Gesundheit & Innovation

Sanofi Deutschland

Multiple Sklerose: was wird gerade in der MS erforscht?

Die MS ist die in Mitteleuropa häufigste entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems

21.05.2025 14 min Staffel 6 Episode 2

Zusammenfassung & Show Notes

Die MS ist die in Mitteleuropa häufigste entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems

Mit modernen Therapien gelingt es bereits gut, Schübe unter Kontrolle zu bringen. Auf die schwelende Entzündung haben sie jedoch kaum Einfluss. Die aktuelle Forschung konzentriert sich unter anderem auf kleine Moleküle, die die Blut- Hirn-Schranke überwinden und direkt im zentralen Nervensystem wirken können. In dieser Folge sprechen wir mit einem Molekularbiologen und Patient*innen über ihren Blick auf die MS.

MAT-DE-2501715-1.0-04/2025
MAT-AT-2500467-1.0-04/2025

Transkript

Robin White
00:00:10
Man spricht ja auch von der Krankheit der 1000 Gesichter. Das heißt, je nachdem, welcher Bereich eben dann betroffen ist des Nervensystems, äußern sich die Symptome ganz unterschiedlich.
Sprecher
00:00:19
Und die Symptome können in der Tat sehr vielfältig sein: chronische Erschöpfung, verminderte Aufmerksamkeit, Konzentrationsstörungen, Beeinträchtigung des Sehvermögens, motorische Ausfälle und Spastiken, Probleme mit der Blase bis hin zu Inkontinenz. All das und noch einiges mehr kann durch eine Multiple Sklerose verursacht werden, die in Mitteleuropa häufigste entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems. Und damit herzlich willkommen zu „Gesundheit und Innovation", dem Podcast, in dem wir über wissenschaftliche Entdeckungen, medizinischen Fortschritt und moderne Fertigung berichten. Wir erklären, mit welchem Potenzial wir die Medizin verändern wollen, um für Millionen Menschen das Unmögliche möglich zu machen. In dieser Folge geht es also um das menschliche Nervensystem und darum, was passiert, wenn der eigene Körper ebendieses angreift und schädigt. Dann kann es nämlich zu den bereits genannten vielfältigen Symptomen kommen. Und allein in Deutschland sind davon knapp 300.000 Menschen betroffen und jedes Jahr kommen rund 15.000 weitere dazu. Sie alle haben die Autoimmunerkrankung Multiple Sklerose.
Robin White
00:01:33
Sklerose bedeutet grundlegend in der Medizin Verhärtung, Vernarbung. Und da gibt es eben in dem Nervensystem, besonders im Zentralnervensystem, Bereiche, die verhärtet sind, vernarbt sind. Und das ist in unterschiedlichen Bereichen dieses Systems von daher Multiple Sklerose, verschiedene Bereiche, wo es diese Verhärtung gibt.
Sprecher
00:01:51
Robin White ist Molekularbiologe und hat zehn Jahre in der neurowissenschaftlichen Grundlagenforschung gearbeitet. Bei Sanofi in Deutschland leitet er heute die medizinische Abteilung der Neurologie. Er weiß, dass die Multiple Sklerose eine komplexe Erkrankung ist, weil gleich zwei zentrale Systeme des Körpers involviert sind: das Immunsystem und das Nervensystem.
Robin White
00:02:14
Das heißt, das Immunsystem entartet und greift dann das Nervensystem an und zum Nervensystem gehört ja grundsätzlich das zentrale Nervensystem und das periphere Nervensystem. Das zentrale Nervensystem, das besteht aus dem Gehirn und dem Rückenmark und das periphere Nervensystem sind im Prinzip die peripheren Nerven, die davon abgehen. Und das ist wichtig zu verstehen, dass das bei Multipler Sklerose eine Erkrankung des Zentralnervensystems ist.
Sprecher
00:02:41
Und weil dort, im ZNS, dem zentralen Nervensystem, alle sensorischen und motorischen Informationen des Körpers zusammengeführt, wahrgenommen, interpretiert und weiterverarbeitet werden, können Schäden, die dort entstehen, zu so unterschiedlichen Symptomen führen. Je nachdem, wo Nervenbahnen durch Entzündungsherde geschädigt werden.
Robin White
00:03:03
Es gibt Patienten, die sind motorisch völlig unauffällig, haben aber sehr starke kognitive Defizite. Die können sich kaum was merken. Und andersrum gibt es das auch. Es gibt welche, die sind dann sehr stark motorisch eingeschränkt, sitzen zum Beispiel im Rollstuhl. Die sind aber kognitiv voll da, die haben da keine Probleme.
Sprecher
00:03:19
Meist tritt die Krankheit zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr auf und wie bei Autoimmunerkrankungen häufig der Fall, ist das Risiko daran zu erkranken für Frauen höher. Zwei Drittel aller Betroffenen sind weiblich. Wie zum Beispiel Caro. Auch sie war Ende zwanzig, als sich bei ihr zum ersten Mal Anzeichen einer MS zeigten.
Caro
00:03:41
Ich hatte die ersten Symptome nach der Geburt meiner Tochter 1995, Sensibilitätsstörungen und Koordinationsprobleme in den Beinen und in den Armen. Das hat sich immer nach einer gewissen Zeit, nach zwei, drei Wochen wieder normalisiert, zurückgebildet, aber kam im Verlaufe der Jahre immer wieder zurück.
Sprecher
00:04:02
Dieses schubförmige Auftreten und Abklingen von Symptomen ist in den meisten Fällen typisch zu Beginn einer MS-Erkrankung. Wobei so ein Schub Tage oder sogar Wochen andauern kann und bei milden MS-Verläufen zwischen zwei Schüben durchaus auch Jahre vergehen können, in denen die Erkrankung stabil scheint. Doch unbehandelt ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sich irgendwann doch wieder ein akuter Entzündungsherd im zentralen Nervensystem bildet. Verantwortlich dafür sind vermutlich Zellen aus dem Teil des Immunsystems, den man im Laufe seines Lebens erwirbt.
Robin White
00:04:36
Und diese Zellen gelangen aus der Peripherie, also von außen im Prinzip ins ZNS und richten da einen Schaden an und der äußert sich eben in einem Schub. Und dieser Schub hat ein Symptom. Und dieses Symptom hängt davon ab, welcher Bereich des Gehirns oder des Rückenmarks eben betroffen ist. Deswegen auch die Krankheit der 1000 Gesichter.
Sprecher
00:04:58
Das mitunter langsame Auftreten und Abklingen der Symptomatik und dessen vielfältige Erscheinungsformen machen es zudem nicht einfach, eine Multiple Sklerose direkt zu erkennen. Auch bei Caro war das so. Die Symptome nahm sie zwar wahr, doch gab es zu der Zeit Wichtigeres. Weil ihr Kind mit einer angeborenen Erkrankung zur Welt kam, kümmerte sie sich mehr um dessen Gesundheit als um ihre eigene. Später unterbrach auch ihre zweite Schwangerschaft die Gedanken an die eigene Gesundheit. Obwohl sich ihre MS über die Jahre immer wieder meldete. Bis zu ihrer finalen Diagnose dauerte es daher auch mehrere Jahre. Heute ist die mittlerweile 59-jährige aufgrund ihrer Erkrankung Frührentnerin und die Multiple Sklerose ist so weit fortgeschritten, dass die Erkrankung sie dauerhaft kognitiv und motorisch beeinträchtigt – obwohl sie mittlerweile keine Schübe mehr hat.
Caro
00:05:53
Das tut sich im Alltag wirklich deutlich zeigen, dass ich mir das meiste nicht merken kann. Ich weiß nicht, was ich gestern zum Mittagessen gehabt habe. Ich wollte vorhin den Einkaufszettel schreiben, habe genau gewusst, zwei Punkte müssen drauf. Ich fange an zu schreiben und weiß nicht mehr. Und auch die Gehstrecke. Ich brauche jetzt kontinuierlich den Rollator draußen und habe immer den Rollstuhl dabei. Also sobald die Strecke mehr als 300-400 Meter ist, brauche ich den Rollstuhl.
Sprecher
00:06:23
Wie bei den meisten Betroffenen hat sich auch bei Caro die Multiple Sklerose über die Zeit weiterentwickelt. Beginnt die Krankheit bei neun von zehn Patient*innen mit Symptomen, die typischerweise in Schüben kommen und sich zwischenzeitlich wieder zurückbilden, geht sie später meist in eine Form über, in der die Schübe abnehmen, aber die Krankheit trotzdem weiter voranschreitet. Die sogenannte sekundär progrediente Multiple Sklerose, kurz SPMS.
Robin White
00:06:50
Und in diesem Verlauf der Erkrankung kommt es dann weniger zu Schüben, sondern zu einer stetigen Verschlechterung des Zustands der Patienten, also zu einer zunehmenden Behinderung.
Sprecher
00:07:01
Ein Drittel der Betroffenen erreicht dieses Stadium bereits nach 10 bis 15 Jahren. Nach zwanzig Jahren sind es bis zu 90 Prozent der Patient*innen. In den meisten Fällen bedeutet das: die Krankheit wird ab jetzt auch ohne Schübe immer schlimmer und die dauerhaften Beeinträchtigungen nehmen zu. So auch bei Caro.
Caro
00:07:21
Also zur Zeit, ich bin ja im SPMS-Verlauf, schränken mich die Fatigue, die verminderte Gehfähigkeit, die wird immer kürzer, neuropathische Schmerzen, die Depression und die Sehstörungen schränken mich im Alltag sehr ein. Ich bin auch nicht mehr leistungsfähig, habe kognitive Störungen, die Merkfähigkeit ist herabgesetzt. Also das macht mir im Alltag sehr zu schaffen, schränkt mich sehr ein.
Sprecher
00:07:44
Es sei ein enormer Fortschritt, dass sich Schübe mittlerweile sehr viel besser kontrollieren ließen als früher, sagt Robin White. Denn dadurch konnte man die Eigenschaften der Multiplen Sklerose noch einmal viel besser verstehen.
Robin White
00:07:57
Also das hat schon sehr geholfen, dass man im Prinzip Zustände erreichen kann, in denen Patienten nur einen Schub in etwa zehn Jahren haben. Das ist wirklich toll, dass so was mittlerweile funktioniert. Und aufgrund dieser Tatsache, dass man die Patienten so gut behandeln kann, hat man aber jetzt festgestellt in Studien, dass neben dieser schubförmigen MS stetig aber auch eine parallel verlaufende Verschlechterung passiert, also eine Progression, die unabhängig von Schüben ist.
Sprecher
00:08:24
Vor allem die Forschung der letzten 30 Jahre habe hier signifikante Fortschritte beim Verständnis der Krankheit gebracht.
Robin White
00:08:31
Und das konnte man eigentlich so gut untersuchen erst, weil wir Kohorten hatten, auch aus klinischen Prüfungen, die eben so erfolgreich gegen Schübe behandelt worden sind, sodass man da sieht, okay, die verschlechtern sich leider dennoch, obwohl die keine Schübe mehr haben.
Sprecher
00:08:46
Das Ziel ist es daher nun, diese Erkenntnisse zu nutzen, um Therapien zu entwickeln, die nicht nur die Schübe adressieren, sondern auch die Krankheitsprogression. Für die fehle es nämlich bislang noch an gezielten Behandlungsmöglichkeiten. Dafür gebe es aber auch an anderer Stelle Fortschritte, die sich ebenfalls stark auf die Lebensqualität von MS-Patient*innen auswirken: die Früherkennung.
Robin White
00:09:11
Man kann die MS auch sehr viel früher diagnostizieren und dann den Patienten halt schnell behandeln. Und man sieht auch, da gibt es auch Studien zu, wenn man die Patienten eben früher behandelt, dann ist letztendlich die Prognose besser. Das heißt, je besser man den Patienten zu Beginn der Erkrankung einstellen kann, desto später geht er eben in eine stärkere Progression ein in dieser Erkrankung.
Sprecher
00:09:34
Das heißt, desto später kommt es zu bleibenden Behinderungen. Damit das gelingt, ist es aber wichtig, die vielfältigen Symptome zunächst einmal wahrzunehmen, die Hinweis auf das Entstehen einer Multiplen Sklerose, der „Krankheit der 1000 Gesichter", sein können.
Robin White
00:09:49
Also häufige Gesichter sind Probleme im Sehen, also visuelle Probleme, vor allem aber auch Missempfindungen an den Beinen. Das ist manchmal ein Kribbeln und Taubheitsgefühl in den Beinen, auch in den Armen. Es können aber auch Probleme sein, die gastrointestinal dann sich äußern. Also dadurch, dass es eben davon abhängig ist, welcher Bereich des Nervensystems betroffen ist, so äußern sich dann die Symptome. Aber sehr häufig sind eben diese Missempfindungen an Beinen, an Armen. Auch Gangstörungen können dann passieren.
Sprecher
00:10:20
Doch bedeutet das nicht, dass man bei jedem Kribbeln im Fuß gleich die Befürchtung einer Entzündung im zentralen Nervensystem haben sollte. Die Intensität und Dauer eines Missempfindens ist im Fall der Multiplen Sklerose deutlich ausgeprägt. Laut Definition muss ein Schub zudem mindestens 24 Stunden andauern. Dennoch ist es nicht immer leicht, die Symptome der Erkrankung korrekt zuzuordnen.
Robin White
00:10:44
Ist das jetzt ein Schub oder ist das kein Schub? Da sind Patienten auch verunsichert und müssen dann mit ihrem Arzt Rücksprache halten. Es gibt da bestimmte Phänomene, dass so eine schubartige Symptomatik auftritt, wenn eine Temperaturveränderung stattfindet. Wenn ein Patient in die Sauna geht oder so, dann kann so was auch auftreten und man muss dann immer genauer definieren, oder der Neurologe muss definieren, ist das jetzt wirklich ein MS Schub oder ist er nicht?
Sprecher
00:11:07
Bei begründetem Verdacht auf eine MS sollte also immer der Hausarzt und später auch ein Neurologe oder eine Neurologin zur Abklärung miteinbezogen werden. Mit Hilfe von Bildgebung können dort dann mögliche Schädigungen des Nervensystems sichtbar gemacht werden. Zudem kann in der Neurologie untersucht werden, ob die Geschwindigkeit verändert ist, mit der das Nervensystem Reize weiterleitet. Oder es wird Nervenwasser aus dem Rückenmark zur weiteren Untersuchung entnommen. Doch auch hier wird gerade intensiv an weiteren Diagnoseverfahren geforscht. Vor allem die schwelende MS, bei der keine Schübe auftreten, die Behinderung aber trotzdem schleichend zunimmt, ist bislang nur schwer messbar. Das macht eine Verlaufskontrolle ebenso schwierig wie Aussagen über den künftigen Verlauf.
Robin White
00:11:57
Das muss auch das Ziel sein der zukünftigen Therapie, dass man eben nicht wartet, bis ein Schaden entstanden ist, der vielleicht in einem komplexen System wie dem Nervensystem gar nicht mehr reparabel ist, sondern dass man eben sehr früh erkennen kann: Da gibt es einen prognostischen Faktor, der wird in aller Wahrscheinlichkeit dazu führen, dass es zu einer Zunahme der Behinderung kommt, dass man dann eben frühzeitig behandeln kann, dass es gar nicht zum Schaden kommt. Das wäre wirklich das Ziel.
Sprecher
00:12:20
Auch neue Medikamente sind ein wichtiger Faktor. Zwar gelingt es bereits mit modernen Therapien, Schübe unter Kontrolle zu bringen. Doch können beispielsweise Antikörper aufgrund ihrer Eigenschaften nicht alle Bereiche des Körpers gleich gut erreichen.
Robin White
00:12:35
Ein Antikörper ist ein sehr großes Molekül und kann nur zu einem ganz geringen Anteil ins ZNS eindringen. Und ein kleines löslichen Molekül kann eben diese sogenannte Blut-Hirn-Schranke überwinden und kann dann im Ort des Geschehens Zelltypen erreichen, die Probleme verursachen in der Multiplen Sklerose.
Sprecher
00:12:53
Es gebe eben noch sehr viel zu lernen, doch mit jeder neuen Therapie verstehe man auch die Erkrankung selbst immer besser. Und dadurch ergeben sich dann auch wieder neue Forschungsansätze. Und damit sind wir am Ende unsere Folge über die Multiple Sklerose und wie moderne Forschung Stück für Stück diese Erkrankung besser versteht. Alle bisher erschienenen Folgen von „Gesundheit und Innovation" finden Sie auf Sanofi-Punkt.de und überall, wo es Podcasts gibt. Dort können Sie diesen Podcast auch abonnieren. Bis wir uns wiederhören, bleiben Sie gesund! Tschüss.