HÖRBAR BUNT & VIELSEITIG Sonntagsgeschichten

Mitmach-Podcast gelesen von Tanja Esche
Since 08/2020 85 Episoden

Mitrategeschichte: "Alles rosa" von Christine Todsen mit "A Brilliant Idea" von TerraSound, Dag Reinbott

12.03.2023 5 min Christine Todsen | TerraSound, Dag Reinbott

Zusammenfassung & Show Notes

Hallo, ihr Lieben, habt ihr Lust auf eine kleine Mitrategeschichte? 
Christine Todsen hat für einen Kurzgeschichten-Wettbewerb im letzten Jahr „Alles rosa“ aufs Papier gezaubert. Und heute wartet diese Geschichte in der HÖRBAR auf euch: Zum Lauschen und zum Lesen. Stellt euch vor, da ist jemand, der oder die doch tatsächlich die ganze Welt durch eine rosarote Brille sieht. (Vielleicht sind es auch rosafarbene Kontaktlinsen?) Wer das wohl sein mag?

Wir wünschen euch viel Freude beim Eintauchen in die bunte Welt der Geschichten und danken euch ganz herzlich fürs Dabeisein, fürs Mitmachen, fürs Unterstützen ☺️

Christine Todsen: „Alles rosa“
(bislang unveröffentlicht; auf Wunsch der Autorin veröffentlichen wir die Geschichte heute auch zum Lesen im Anhang)


FreeSound-Mitmacher*innen: freesound.org


„Alles rosa“ von Christine Todsen zum Schmökern: 
Ich bin verzweifelt. Jeder sagt, dass man die Welt nicht durch eine rosarote Brille sehen dürfe. Das will ich ja auch gar nicht. Aber ich werde die Brille nicht los! Sie scheint festgewachsen zu sein. Fast alles sehe ich rosa. Nur selten erkenne ich etwas Weißes, Graues, Gelbliches oder Schwarzes. Sonst wüsste ich ja auch gar nicht, dass es noch andere Farben gibt. Es soll noch weitere geben, aber unter denen kann ich mir nichts vorstellen. 
Ist es überhaupt eine Brille? Oder sind es Kontaktlinsen? Die ich nicht wieder aus den Augen rausbekomme? 
Ja, das glaube ich jetzt. Denn eine Brille hätte doch Gläser und ein Gestell. Aber wann wurden mir die Kontaktlinsen, falls es welche sind, eingesetzt? Und von wem? Ich erinnere mich nicht daran. An einen Brillenkauf im Übrigen auch nicht.
Trage ich womöglich weder Brille noch Kontaktlinsen? Liegt der Fehler in meinen Augen? Lassen sie fast alles, was ich sehe, in der Farbe Rosa erscheinen? Dann müsste ich wohl dringend zu einem Augenarzt. Sofern mir der überhaupt helfen könnte. Aber wie soll ich in meiner Situation einen aufsuchen?
Ein paar Tage habe ich jetzt nachgedacht. Woran es liegt, dass ich fast alles rosa sehe, weiß ich noch immer nicht. Aber ich habe angefangen, die Sache von einer anderen Seite zu betrachten. Ist es denn tatsächlich so schlimm, wenn man alles rosa sieht? Wäre es nicht schlimmer, alles grau zu sehen? Oder gar schwarz? Ich glaube, schwarz wäre am schlimmsten. Rosa dagegen ist doch im Grunde eine schöne Farbe. Gerade deshalb wird ja auch davor gewarnt, die Welt durch eine rosarote Brille zu sehen. 
Warum heißt es eigentlich rosarot und nicht einfach rosa? Wahrscheinlich deshalb, weil ‚rosa‘ auf einen Vokal endet. Man müsste „eine rosafarbene Brille“ sagen. Da nahm man lieber das Rot noch dazu. Zumal ‚rosarot‘ durch das zweimalige ‚r‘ und das zweimalige ‚o‘ hübsch klingt. Unter Rot kann ich mir übrigens auch nichts vorstellen.
Sind alle diejenigen, die vor der rosaroten Brille warnen, womöglich Miesepeter, die mich insgeheim beneiden würden?

Seit einer Woche versuche ich jetzt, meine offenbar angeborene rosarote Brille zu genießen. Ganz gelingt es mir leider nicht. Es ist halt langweilig, wenn fast alles, was man sieht, dieselbe Farbe hat, und sei sie noch so schön. Aber ich sage mir: „Eigentlich hab ich’s doch gut! Wenn die Miesepeter mir die rosarote Brille verbieten wollen, kann ich ihnen sagen, dass ich sie gar nicht absetzen KANN. Dann ärgern sie sich bestimmt.“

Heute hat mein Leben sich total verändert! Ich habe zum ersten Mal Grün gesehen! Und Blau! Und Rot! Und … Bisher sah ich ja fast alles rosa. Diese Farbe ist zwar ebenfalls noch da. Aber sie ist für meine Augen nicht mehr allgegenwärtig, seit ich heute mit meinen Geschwistern und den anderen Ferkeln zum ersten Mal aus dem Schweinestall ins Freie gelaufen bin.