KLARTEXT FÜR IT OHNE BARRIEREN

iDESkmu

#07 - Testverfahren zur Barrierefreiheit und Arbeit 4.0

Expertentalk mit Anne-Marie Nebe von T-Systems und Interview mit Prof. Dr. Erdmuthe Meyer zu Bexten, Leiterin der Durchsetzungs- und Überwachungsstelle für barrierefreie IT beim Regierungspräsidium Gießen

10.01.2022 47 min

Zusammenfassung & Show Notes

Hören Sie heute den Expertentalk zwischen Detlef Girke, externer Berater im Projekt iDESkmu, und
Anne-Marie Nebe. Sie ist Accessibility & Usability Expert der T-Systems Multimedia Solutions GmbH. Sie diskutieren über Kriterien für die Standardkonformität von DMS und ECMS und die Einbettung der Normen und Standards.
Anschließend diskutiert Detlef Girke mit Prof. Dr. Erdmuthe Meyer zu Bexten, Leiterin der Durchsetzungs- und Überwachungsstelle für barrierefreie IT beim Regierungspräsidium Gießen, über das Thema Arbeit 4.0. 

Anne-Marie Nebe  
T-Systems Multimedia Solutions GmbH
Kompetenzzentrum für digitale Barrierefreiheit & Software-Ergonomie
Anne-Marie Nebe
Accessibility & Usability Expert
+49 351 2820-2342 (Telefon)
E-Mail: anne-marie.nebe@t-systems.com
Internet: http://www.t-systems-mms.com

Detlef Girke
BITV-Consult
girke@bitvconsult.de
https://bitvconsult.de
+49 931 41739070

Prof. Dr. Erdmuthe Meyer zu Bexten
Regierungspräsidium Gießen 
Landesbeauftragte für barrierefreie IT Leiterin der Durchsetzungs- und Überwachungsstelle
Neuen Bäue 2 
35390 Gießen
Telefon +49 641 303-2901
E-Mail LBIT@rpgi.hessen.de


Weitere Informationen

Top 10 der größten Stolperfallen für barrierefreie DMS-Entwicklung
iDESkmu - Zusammenfassung der Projektergebnisse

Onlinezugangsgesetz - OZG
https://www.bmi.bund.de/DE/themen/moderne-verwaltung/verwaltungsmodernisierung/onlinezugangsgesetz/onlinezugangsgesetz-node.html

Gesetz zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen
http://www.gesetze-im-internet.de/bgg/

Verordnung zur Schaffung barrierefreier Informationstechnik nach dem Behindertengleichstellungsgesetz (BITV)
http://www.gesetze-im-internet.de/bitv_2_0/

RICHTLINIE (EU) 2016/2102 DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 26. Oktober 2016 über den barrierefreien Zugang zu den Websites und mobilen Anwendungen öffentlicher Stellen
https://eur-lex.europa.eu/
Oder: 
Links zu allen rechtlichen Vorgaben zur EU zur digitalen Barrierefreiheit von öffentlichen Stellen seit dem Jahr 2016.
https://www.bundesfachstelle-barrierefreiheit.de/DE/

Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) 2.0; Autorisierte Deutsche Übersetzung:
https://www.w3.org/Translations/WCAG20-de/

Märchen
https://kurzemaerchen.de/maerchen/fuer-kinder/

Transkript

Nadia David, iDESkmu
00:00:03
KLARTEXT - Der Podcast FÜR IT OHNE BARRIEREN. Interessante Informationen und wertvolles Wissen zur digitalen Barrierefreiheit in der Arbeitswelt. Ein Podcast zum Forschungsprojekt iDESkmu. Gefördert vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales unter der Federführung des Blinden- und Sehbehindertenverein Hamburg. Hallo und herzlich willkommen zur Episode #07! Mein Name ist Nadia David. Hören Sie heute den ExpertenTalk zwischen Detlef Girke, externer Berater im Projekt iDESkmu, und Anne-Marie Nebe. Sie ist Accessibility und Usability Expert der T-Systems Multimedia Solutions GmbH. Beide diskutieren über Kriterien für die Standardkonformität von DMS und ECMS und die Einbettung der Normen und Standards. Anschließend diskutiert Detlef Girke mit Prof. Dr. Erdmuthe Meyer zu Bexten, Leiterin der Durchsetzungs- und Überwachungsstelle für barrierefreie IT beim Regierungspräsidium Gießen. Sie sprechen über das Thema Arbeit 4.0. In den Shownotes finden Sie die Timecodes zu den Beiträgen und Hintergrundinformationen zu unseren Gesprächspartnern und Gästen. Und wieder hören Sie zum Einstieg in die Episode einen kurzen Auszug aus einem bekannten Märchen.
Screenreader
00:01:44
Dornröschen. Es war einmal ein Königspaar, das wünschte sich sehnlichst ein Kind. Nach einem Jahr bekamen sie ein Mädchen. Die Eltern freuten sich so sehr darüber, dass sie ein großes Fest veranstalteten. Sie luden alle Verwandten und Freunde ein. Außerdem noch die weisesten Frauen des Reiches, dreizehn an der Zahl. Weil sie aber nur zwölf goldene Teller hatten, wurde eine nicht eingeladen. Am Festtag feierten alle fröhlich miteinander. Die weisen Frauen beschenkten das Kind mit ihren Wundergaben: Freundlichkeit, Klugheit, Bescheidenheit und mit allem weiteren, was auf der Welt zu wünschen ist. Nachdem die Elfte ihr Geschenk übergeben hatte, kam plötzlich die Dreizehnte herein. Sie wollte sich dafür rächen, dass sie nicht eingeladen war. Ohne jemanden zu grüßen, rief sie mit lauter Stimme: „Die Königstochter soll sich im Alter von fünfzehn Jahren an einer Spindel stechen und sterben!“ Sie verließ den Saal ohne ein weiteres Wort. Alle waren erschrocken. Da trat die Zwölfte vor, die ihren Wunsch noch übrig hatte. 
Nadia David, iDESkmu
00:01:48
Das war Dornröschen, gelesen von Hedda aus NVDA, einem Open Source Screenreader in der Geschwindigkeit 70 - beschleunigt. Nun hören Sie unser Expertengespräch.
Detlef Girke, Externer Berater
00:02:02
Einen wunderschönen guten Tag, Detlef Girke mein Name. Heute bei mir zu Gast ist Anne-Marie Nebe. Wer sie noch nicht kennt: wir hatten ja schon mal einen Beitrag mit ihr über das Thema Standards und Umsetzung in Dokumentenmanagementsystem. Heute soll es um Testverfahren für barrierefreie IT gehen. Aber bevor ich weiter spreche, Anne-Marie, erzähl doch einmal kurz etwas über dich und deinen Hintergrund.
Anne-Marie Nebe, T-Systems Multimedia
00:02:32
Ja, hallo erst mal. Anne-Marie Nebe ist mein Name und ich bin Experte für digitale Barrierefreiheit und Softwareergonomie und arbeite in einem Team von 25 Leuten, also 25 Experten in der T-Systems Multimedia Solutions GmbH.
Detlef Girke, Externer Berater
00:02:49
Alles klar! Vielen Dank! Ja, heute soll es ja um Testverfahren für barrierefreie IT gehen. Und ja, da ist auch in den letzten Jahren einiges durcheinander gelaufen. Ich weiß nicht, ob du es mitbekommen hast. Manchmal wurde sogar der BITV-Test mit der BITV verwechselt und da wäre es heute schön, wenn wir da ein wenig Ordnung reinbringen würden. Ich habe einmal mir überlegt, wir könnten über erstens den BITV-Test sprechen, dann vielleicht über den BITi-Test oder wie er jetzt heißt BITV -Softwaretest und eben das BITV-Audit, was ihr bei T-Systems anwendet . Kannst du was sagen über die Unterschiede zwischen allen drei Verfahren?
Anne-Marie Nebe, T-Systems Multimedia
00:03:29
Ja, vielleicht sollten wir das noch mal in einen größeren Kontext stellen und noch mal sagen, in Deutschland gibt es sozusagen kein Verfahren, kein Testverfahren - drei hast du ja schon genannt - was irgendwie öffentlich vorgegeben ist. Also nicht wie eine Hauptuntersuchung, wo ich zum Schluss dann das sogenannte TÜV Siegel bekomme. Das gibt es in Deutschland nicht. Es gibt unterschiedliche Verfahren, die unterschiedliche Schwerpunkte haben und die auch Sinn machen, je nachdem, was für ein Ziel man verfolgt, wenn man testet. Und da können wir vielleicht auch konkreter darauf eingehen. Der BITV Test oder auch BIK BITV-Test, weil er aus dem BIK-Projekt hervorgegangen ist, ist sehr bekannt und hat auch ein Siegel, was er zur Verfügung stellt. Und das ist ein Konformitäts- bewertungsverfahren, wo ich sagen kann, meine Anwendung ist konform gegenüber einem bestimmten gesetzlichen oder Richtlinien-Background. Hier in dem Fall ist es die Barrierefreie-Informationstechnik -Verordnung und der BITV-Test bescheinigt sozusagen die Mindestanforderungen zur Barrierefreiheit gegenüber der gesetzlichen Verordnung. Der BITi-Test macht das ähnlich. Und das BITV-Audit das hat noch eine Komponente mehr. Hier gibt es zusätzlich noch eine Benutzbarkeitsaussage. Hier wird sozusagen eine empirische Prüfung gemacht, wo ich als in der Rolle des beeinträchtigten Nutzers durch die Anwendung hindurch durchgehe und nachgelagert dann diese Konformität saussage treffe gegenüber einem Gesetz. Aber je nachdem, was für ein Ziel verfolgt wird. Wenn ich jetzt sage, ich brauche wirklich eine Aussage ganz kurz knapp "Ist-Zustand" Wie verhält sich meine Anwendung zum Thema Barrierefreiheit? Wie barrierefrei sind wir gerade laut Gesetz? Da gibt es eben den BITV-Test und den BITi-Test und auch das BITV-Audit. Kann man alle drei benutzen, um hier eine kurze knappe Aussage zu kriegen. Wenn ich allerdings sage, ich möchte mit ganz vielen Lösungsansätzen zum Beispiel auch mit Maßnahmen Plänen schon arbeiten und möchte, dass ein Experte mir hier hilft bei der Durchführung auch von Prozessen, dann lohnt sich eben hier gerade aus der nutzerzentrierten Sicht vielleicht ein Verfahren, was eher mit Methoden arbeitet, die aus eben dieser Benutzerrolle auch heraus agieren können. Das ist erstmal ein kurzer Einblick in meine Sicht über diese drei Verfahren, die du genannt hast.
Detlef Girke, Externer Berater
00:06:16
Genau! Das eine ist halt die reine Konformitätsperspektive und das andere ist eben der, wie du sagst, nutzerzentrierte Ansatz oder auch der Beratungsansatz, weil ein Beispiel im BITV-Test ist zum Beispiel, dass man sagt, wenn eine Internetseite, ein Internetauftritt nicht validiert im Quelltext, dann ist das eben ein "nicht erfüllt". Im BITi-Test gehen wir da übrigens einen anderen Weg, da sagen wir meistens, es ist einfach nur eine "leichte Einschränkung". Insofern, als die Nutzbarkeit der Anwendung dadurch nicht eingeschränkt ist, ist es also schon wieder eine Mischung. Also es ist kein reiner Konformitätsansatz, sondern wir sagen uns: Nein, es hat ja auf die Nutzer so gut wie keine Auswirkungen. Wenn es Auswirkungen hat, dann bewerten wir das natürlich strenger. Aber ansonsten sagen wir an der Stelle auch: "Nö. Klar ist zwar nicht valide, aber das stört niemanden sozusagen." Und dann sagen wir da auch, dass das eher eine leichte Einschränkung. Wie geht ihr da im Audit mit um?
Anne-Marie Nebe, T-Systems Multimedia
00:07:15
Das ergibt sich teilweise auch aus der Technologie. Also prinzipiell haben wir einen nutzerzentrierten Ansatz, wo wir sagen, wir können mit einem Prüfverfahren auch technologieübergreifend arbeiten. Das, was du gerade angesprochen hast, ist ein ganz wichtiger Aspekt, weil der BITV-Test als reines Konformitätsbewertungsverfahren, der braucht quasi die Sicht auf den Quellcode auch, um zu sagen, ja ... An der Stelle gibt es hier - du hast das Syntax Thema ja angesprochen - ist etwas nicht standardkonform entwickelt worden und das könnte zu einem Benutzungsproblem führen. Wir gehen, der BITI-Test und auch der BITV-Audit, ja hier anders vor, dass ist auch so ein bisschen Technologie bezogen. Es gibt Software, da kann ich nicht in die Entwicklungsumgebung rein. Da habe ich sozusagen nur die Oberfläche, nur das GUI, mit dem ich arbeiten kann. Und mir fehlt der Blick in den Quellcode. Das heißt, mir bleibt eigentlich nur die Nutzersicht übrig. Also ich gehe aus der Sicht des Nutzers - genauso wie in der Usability im Benutzertest - durch die Anwendung hindurch. Und wenn mir ein Benutzungsproblem auffällt, dann ordne ich es auch in ein Prüfkriterium ein, weil dann hat es ja auch eine Relevanz auf die Nutzbarkeit für den User.
Detlef Girke, Externer Berater
00:08:34
Ich verstehe, genau. Dem kann ich auch sehr gut folgen, weil ich selber arbeite auch mit dem Beratungsansatz. Dem entspricht das auch eher. Jetzt noch mal ein bisschen zur Vergleichbarkeit. Also der BITV-Test orientiert sich ja klar an der Tabelle A1 im Anhang der EN 301 549. Der BITi-Test bzw. BITV-Softwaretest orientiert sich an Kapitel 11 und 12 der EN 301 549. Und wie ist das mit dem BITV-Audit? Ihr testet scheinbar gleichzeitig damit sowohl Internetseiten als auch Software. Ist das richtig oder habt ihr dafür eine interne unterschiedliche Verzweigungen? Wie macht ihr das?
Anne-Marie Nebe, T-Systems Multimedia
00:09:21
Also, wir haben ein Testvorgehen für alle Technologien. Unser Background ist genauso die EN 301 549 und zwar hier alle Kapitel außer Hardware - je nachdem, was für ein Produkt wir prüfen. Das kann ein Dokument sein. Das kann eine Software sein. Es kann eine mobile App sein oder eben eine informationsorientierte Webseite oder auch eine Webanwendung. Je nachdem, was für eine Anwendung wir prüfen, sortieren wir sozusagen einige Prüfkriterien aus. Einiges gilt für Mobile nicht, einiges geht für Dokumente nicht. Da braucht man sich sozusagen oder kann man sich sehr gut an der EN langhangeln, weil dort sind ja auch technologiebezogen die Anforderungen aufgelistet. Und wenn wir von der Vergleichbarkeit ausgehen, dann glaube ich, kommt es ein Stückchen weit auf die Betrachtung der Technologie an. Denn der BITV-Test, der ist im Moment für informations orientierte Webseiten entwickelt. Wir haben hier einen Ansatz auch für die Prüfung von mobilen Applikationen. Der BITI-Test, der ist, wie du ja gesagt hast, für Software geeignet. Der BITV-Audit gibt mir hier die Möglichkeit, eine Auswahl zu treffen aus den Erfolgskriterien, gegen die gemappt werden muss, je nach Technologie. Aber er ist geeignet dazu, jegliche Art von digitaler Anwendung prüfen zu können.
Detlef Girke, Externer Berater
00:10:57
Ah ja, ihr habt also ein ganzes Set von Prüfschritten sozusagen und sortiert aus, bevor ihr mit dem Test startet.
Anne-Marie Nebe, T-Systems Multimedia
00:11:04
Richtig. Also wenn zum Beispiel auch gefordert ist, dass auch eine erhöhte Anforderung an Barrierefreiheit geprüft werden soll - nicht nur die Mindestanforderungen laut BITV, sondern auch beispielsweise Kriterien Triple-A oder Kriterien aus der Software Ergonomie, zum Beispiel der Zugänglichkeit von Software. Das habt ihr ja auch als als Background, wo ihr Anforderungen mit rauszieht. Das ist die DIN EN ISO 92 41, der Subteil 171, wo eben auch die Zugänglichkeit zu Softwareprodukten beschrieben ist. Die ziehen wir dann auch mit heran. Das ist Kundenabsprache. Wie gesagt, was für ein Ziel möchte der Kunde verfolgen? Das ist für uns ganz konkret die Definition auch unseres Tests. Und danach richten wir dann auch Prüfschritte ein und aus. Mindestanforderung ist für uns immer auch und da ist glaube ich, die Vergleichbarkeit auch in allen drei Verfahren gegeben: das ist die EN 301 549.
Detlef Girke, Externer Berater
00:12:07
Okay, alles klar. Verstehe. Spannend auf jeden Fall. Was mich noch interessiert ist, egal welches, euer Verfahren ist ja nicht veröffentlicht. Und jetzt verstehe ich auch, dass es jetzt auch schwierig ist zu sagen, aus wie vielen Einzel- prüfschritten besteht euer Verfahren. Beim BITV-Test kann man sagen das sind 92, beim BITi-Test kann man sagen das sind 75, weil es ist entsprechend veröffentlicht. Aber natürlich haben wir auch immer eine Reihe von Schritten, die nicht anwendbar sind. Und die dann im Vorfeld herauszufiltern ist natürlich auch geschickt. Dann hat man sozusagen die perfekte Abstimmung mit dem Kunden: Okay, das prüfen wir. Und dazu gibt es dann eben auch eine Aussage. Betreffend der Aussage: Es muss ja auch immer intern in Unternehmen kommuniziert werden. Und als wir früher beim beim BITV-Test das Scoring noch hatten, da war es immer relativ einfach zu kommunizieren. Ja und wir haben jetzt ein Ergebnis von 89 Punkten. Wir wollen unbedingt noch auf 95 Punkte kommen und dahin müssen wir jetzt hinarbeiten. Und dann hat es ja teilweise auch dazu geführt, dass dann sozusagen mit Kleinigkeiten gearbeitet wurde und sich dann in 25-Prozent-Schritten oder 0,2-Punkten-Schritten sozusagen langsam hochgearbeitet wurde, was nicht unbedingt der Barrierefreiheit gedient hat. Deswegen bin ich persönlich ehrlich gesagt ganz froh, dass das Scoring sozusagen begraben wurde. Aber wie? Welche? Welches Mittel habt ihr, um diese Kommunizierbarkeit von Prüfergebnissen in Unternehmen gerade gegenüber Vorständen zum Beispiel zu erleichtern?
Anne-Marie Nebe, T-Systems Multimedia
00:13:43
Also wir haben zwei Aussagen, die wir hier in unsere Management-Summary packen. Das eine ist die Konformitätsaussage. Da haben wir uns orientiert auch an der gesetzlichen Maßgabe, die ja fordert eine Aussage zur Konformität. Entweder konform, teilweise konform oder nicht konform. Und das ist sozusagen die erste Aussage, die wir treffen. Dabei geben wir auch ab, wie viele der geprüften Prüfkriterien sind denn bestanden oder nicht bestanden. So hat man sozusagen zwei Zahlen oder zwei Aussagen, mit denen man hier arbeiten kann. Eine Zahl. Ich habe meinetwegen von den geprüften 50 Prüfkriterien 37 bestanden. Das ist, das ist schon mal eine Aussage in Richtung Management und ich bin eben gesetzlich konform oder nicht konform. Die zweite Aussage, die wir treffen, auch in der Management-Summary, die besonders interessant ist für die Sozialpartner im Unternehmen, also Schwerbehinderten- vertreter, Betriebsräte etc., ist die Benutzbarkeitsaussage für fünf Nutzergruppen. Und wir unterscheiden in seh- beeinträchtigte Nutzer, blinde Nutzer, kognitiv beeinträchtigte Nutzer, motorisch eingeschränkte Nutzer und hörgeschädigte Nutzer. Und wir geben hier für diese Nutzergruppe ein Notensystem ab. Das heißt, wenn wir ein Problem finden für eine bestimmte Benutzergruppe (nehmen wir an, ein Kontrast ist nicht ausreichend) und sehbeeinträchtigte Nutzer können wichtige Informationen auf der Seite nicht wahrnehmen und können das auch nicht einstellen. Das heißt, Ihnen gehen wirklich essentielle Arbeitsinformationen verloren. Dann würden wir das sozusagen gewichten dieses Problem aus Nutzer- sicht und sagen: Ja. Zum einen ist die Konformität verletzt in einem Kriterium, das ist ein FAIL. Für den Nutzer bedeutet das aber, ich kann meine Arbeitsaufgabe eventuell nicht beenden oder nur mit großen Umwegen dazu meine Aufgabe wirklich abschließen. Dann würden wir das gewichten in drei Stufen. Entweder "Blockade" - er kann die Arbeitsaufgabe gar nicht abschließen. "Hürde": muss sehr, sehr große Umwege gehen. Oder "Einschränkung": er hat zum Beispiel Dopplung in der Ausgabe oder er kann eben weniger wichtige Informationen nicht so gut lesen. Das führt uns zu einer Nutzbarkeitsaussage für das einzelne Problem und das führen wir zusammen. Wir zählen quasi die Probleme auch in ihrer Gewichtung und führt uns zum Schluss zu einer Schulnote, wo wir sagen, für sehbeeinträchtigte Nutzer ist diese Anwendung nur eingeschränkt, also mit Schulnote 3 benutzbar. Für hörgeschädigte Nutzer ist die Anwendung sehr gut nutzbar oder für kognitiv beeinträchtigte Nutzer haben wir eine ungenügende Zugänglichkeit, also Schulnote 5. Das gibt im Konglomerat eine sehr, sehr gute Übersicht für unterschiedliche Rollen. Also die eine Rolle ist der Product-Owner, der eine gesetzliche Maßgabe vollziehen muss und hier eine Aussage gegenüber dem Management treffen muss. Der sagt: Ja, wir sind teilweise konform und wir haben jetzt hier 55 von 60 Prüfschritten beispielsweise erfüllt für den Sozialpartner. Der sagt: Oh, ihr habt zwar 55 Prüfschritte erfüllt, aber für blinde Nutzer haben wir trotzdem eine ungenügende Nutzbarkeit. Das heißt, was machen wir mit der Belegschaft, die blind ist? Oder was machen wir mit den Kunden, die eben auf bestimmte Anforderungen angewiesen sind? Obwohl ich ja nur eigentlich 5 Prüfkriterien hier empfehle, kann es eben dadurch sein, dass trotzdem eine Nutzergruppe sehr schlecht mit der Anwendung umgehen kann. Und deshalb bieten wir diese zweigeteilte Übersicht an für unterschiedliche Rollen im Unternehmen und eben auch für unterschiedliche Aussagen, die wir damit treffen wollen.
Detlef Girke, Externer Berater
00:17:44
Ich habe noch eine andere Frage. Und zwar: niemand kann ja alles testen. Es kann höchstens eine Maschine machen und das dann auch nur bei den Dingen, die automatisiert geprüft werden können. Also gibt es immer beim BITV-Test eine Auswahl an Einzelseiten, beim BITi eine Auswahl an Szenarien zum Beispiel, die dann möglichst viele typische Masken zum Beispiel einer Anwendung durcharbeiten oder denen begegnen sozusagen. Das macht ihr wahrscheinlich ganz ähnlich bei euch. Aber wie kommuniziert ihr das? Wie kommuniziert Ihr mit dem Kunden, dass das alles natürlich nur exemplarisch ist und dass dann der Auftrag an die Entwicklung dann ist, zum Beispiel bei gefundenen Kontrastproblemen: Ihr müsst leider die ganze Anwendung noch mal durchforsten auf genau dieses Kontrastproblem.
Anne-Marie Nebe, T-Systems Multimedia
00:18:37
Das ist tatsächlich relativ schwierig in der Kommunikation, da hast du vollkommen Recht. Wir gehen auch szenariobasiert vor bzw. eben Use Case-basiert. Wir gucken uns die Kernaufgaben an, die der Nutzer in der Anwendung vollziehen muss und prüfen eben genau solche Kernprozesse. Das heißt, wir arbeiten in den meisten Fällen nicht Seitenbezogen, außer bei informationsorientierten Webseiten. Aber das meiste was wir prüfen sind auch Anwendungen, Webanwendung und Desktopanwendung. Da gehen wir wie gesagt Use Case-bezogen vor und wir können dabei nicht jede Seite betrachten. Wir können dabei auch nicht jede Aufgabe, die der Nutzer im Programm vollziehen muss, betrachten. Das geht über die Wirtschaftlichkeit eines Tests weit hinaus. Das eine, was man tun kann, ist tatsächlich auch wenn der automatisierte Test nicht alles an Kriterien abrufen kann, den doch ergänzend mit dazu zu nehmen. Wir haben hier ein Audit auch entwickelt, ein Automated Accessiblity Audit, das wir ergänzend zu unserem manuellen Test einsetzen, was auch die Tester unterstützt bei der Prüfung und wo wir eben auch jedes einzelne Fehlervorkommen auflisten können. Zumindest für die Kriterien, für die der automatisierte Test geeignet ist. Das ist eine Variante, wo man eben auch dem Team recht deutlich machen kann: Hey, das was wir im Prüfbericht drin haben, das ist ein Beispiel. Wir haben euch auch ein Beispiel -Screenshot mit reingepackt, vielleicht ein oder zwei oder drei Beispielvorkommen damit dokumentiert und im automatisierten Testergebnis findet ihr jetzt alle Fehlervorkommen für die geprüften Seiten oder für die geprüfte Website, weil wir einen Crawler haben, der in der Lage ist, zumindest was Webseiten angeht, hier auch in die Tiefe zu gehen. Die zweite Variante ist es immer wieder zu verdeutlichen. Wir haben das an vielen Stellen im Prüfbericht dokumentiert, dass wir hier Kernaussagen prüfen. Wir haben eine Liste der Kernaufgaben, die wir abgeprüft haben bei informations orientierten Webseiten eine direkte Webseitenliste und wir versuchen das schon im Vorfeld bei der Projektorganisation beim Kunden direkt abzufragen. Das heißt, wir haben so ein Mitwirkungsdokument, wo uns der Kunde auch so ein bisschen beschreiben muss, was sind denn die Kernaufgaben des Programms? Manchmal prüfen wir ja auch so ganz große Software, die eher eigekauft wurde, wo dann aber eigentlich der Sachbearbeiter nur fünf oder sechs Menüpunkte oder Kernaufgaben erfüllt und der Rest ist eigentlich gar nicht relevant für ihn, also nicht in dem Konzern und nicht in dem Nutzungskontext. Das fragen wir vorher ab und wir dokumentieren das haarklein im Prüfbericht und schreiben immer wieder, das sind Beispiele. Aber das begegnet uns immer wieder auch im Nachtest. Dann ist es sehr, sehr häufig, dass wir schauen und sehen beim Nachprüfen von Problemen, zum Beispiel im nächsten Release, dass nur die Probleme behoben wurden, die wir auch wirklich im Screenshot dokumentiert haben, das die wirklich namentlich im Prüfbericht drin sind. Das ist etwas, was wir oft beobachten. Deshalb schauen wir bei allen Nachtests eben auch in andere Masken, um dem vorzuwirken und das lernt der Kunde dann sehr schnell, dass es nichts bringt, nur diese einzelnen Vorkommen zu beheben, sondern dass wir da auch links und rechts schauen.
Detlef Girke, Externer Berater
00:22:14
Ja, super, okay. Also aus meiner Sicht finde ich, haben wir das Thema Prüfverfahren und Prüfen der barrierefreien IT von Anwendungs- software und von Webseiten ja sehr schön beleuchtet. Ganz, ganz herzlichen Dank für die ... ja für das gute Gespräch.
Anne-Marie Nebe, T-Systems Multimedia
00:22:32
Gerne!
Nadia David, iDESkmu
00:22:36
Kommen wir nun zu dem Bereich Quiz und der Antwort auf die Frage aus der letzten Episode. Die Kriterien zur Identifikation und Beurteilung der IT Barrierefreiheit einer Software sind vielfältig. Auf welche Weise lässt sich eine erste Einschätzung über die Barrierefreiheit an der Software durchführen? Nach dem Expertengespräch mit Anne-Marie Nebe fasst nun Dr. Paul Matthias, Software Developer bei der HAVI Solutions GmbH & Co. KG in Hamburg und Partner im Projekt iDESkmu, die Kriterien für uns zusammen.
Dr. Paul Matthias, HAVI Solutions
00:23:07
Auch wenn Accessability von Software ein komplexes Thema ist, lässt sich eine erste Beurteilung der Barrierefreiheit auch von Laien ohne technische Vorkenntnisse erreichen. Die "Handreichung zur Identifikation von Software-Accessibility-Mängeln in der Praxis" von iDESkmu bietet dafür einen guten Einstieg.
Nadia David, iDESkmu
00:23:25
Und hier die Frage, die wir Ihnen in der nächsten Episode beantworten werden. Stimmt es, dass agiles Projektmanagement das Problem der Barrierefreiheit in IT Projekten löst? Antwort A: Die Besonderheit von agilen Projektmanagementmethoden ist unter anderem, dass immer das gesamte Team eingebunden ist. Und daher ist das Thema Barrierefreiheit im Bewusstsein aller Beteiligten. So entsteht am Ende des Projektes ein barrierefreies Produkt. Antwort B: Keine Projektmanagementmethode kann per se die Einhaltung der IT-Barrierefreiheit garantieren. Es bleibt unabdingbar, alle Beteiligten an die Hand zu nehmen und einzubinden. Beim agilen Projektmanagement mit Scrum sind alle Mitarbeiter mit dem Thema Barrierefreiheit konfrontiert und nicht nur einzelne Mitarbeiter. So kann man voneinander lernen und die zeitlich begrenzten Sprints auch dazu nutzen, bei eventuellen Fehlentwicklungen frühzeitig gegenzusteuern. Antwort C: Beim agilen Projektmanagement- tool "Scrum" wird mit Sprints gearbeitet, in die IT-Barrierefreiheit integriert ist. Dadurch kann sie jederzeit sichergestellt werden.
Nadia David, iDESkmu
00:24:42
Und nun unser heutiges Interview.
Detlef Girke, Externer Berater
00:24:45
Ja, einen wunderschönen guten Tag! Detlef Girke mein Name und im heutigen Podcast geht es um das Thema Barrierefreie Arbeit 4.0 - also brandaktuell. Zu Gast habe ich heute Frau Prof. Dr. Meyer zu Bexten. Und ja, erst mal Hallo, Frau Meyer zu Bexten.
Prof. Dr. Meyer zu Bexten, Leiterin der Durchsetzungs- und Überwachungsstelle für barrierefreie IT
00:25:06
Hallo Herr Kollege, einen schönen Tag!
Detlef Girke, Externer Berater
00:25:09
Schön, dass Sie heute mit dabei sind! Ich würde gerne erst mal, bevor wir starten, ein wenig von Ihnen hören. Und zwar, wie ist Ihr beruflicher Hintergrund? Wie sind Sie zum Thema Barrierefreiheit gekommen? Was haben Sie so in Gießen alles angestellt in den letzten Jahren?
Prof. Dr. Meyer zu Bexten, Leiterin der Durchsetzungs- und Überwachungsstelle für barrierefreie IT
00:25:27
Gute Eingrenzungen in Gießen. Ich bin von Hause aus Professorin für Praktische Informatik und habe im Bereich Elektrotechnik Informatik promoviert und bin dann in den Bereich der Wehrtechnik gegangen. Und ich habe in Gießen 1998/97 die Idee gehabt für das Zentrum BliZ, ein Institut zur Unterstützung blinder und sehbehinderter Studierender, das dann 98 zum Wintersemester offiziell eröffnet wurde. So wie wir es im BliZ machen, ist es einzigartig in Deutschland, auch mit dem gesamten Rundum -Service, den wir anbieten. Und das BliZ habe ich bis zum ersten März dieses Jahres auch geleitet - bzw. 28. Februar. Und seit 21. September 2018 bin ich Landesbeauftragte und Leiterin der Durchsetzungs- und Überwachungsstelle - aus diesem Kontext heraus, dass wir eben im BliZ auch schon viel im Bezug, im Rahmen von Projekten mit Barrierefreiheit, barrierefreie Dokumente und so weiter gemacht haben. Und dann bin ich eben jetzt Landesbeauftragte und seit 1. März auch Leiterin des neu von mir aufzubauenden Landeskompetenzzentrum für barrierefreie IT in Hessen. Also jetzt mal so ganz kurz. Also wie gesagt, durch die Arbeit mit den Studierenden und den Instituten, was wir dort auch entwickelt haben bzw. was wir auch für Erfahrungen gemacht haben, bin ich zu dem Thema barrierefreie IT gekommen. Super! Ja, das klingt wirklich sehr, sehr spannend und führt uns also gerade dadurch, dass Sie das Kompetenzzentrum auch aufbauen in Hessen, führt es uns natürlich direkt auch zu dem Thema. Also für den ersten Bereich Digitalisierung zum Beispiel. Da hat die Pandemie ja gezeigt, dass das Arbeiten zukünftig eben digitaler wird. Und in manchen Teilen ist es ja wirklich ganz, ganz stark beschleunigt worden. Die ganzen Entwicklungen ... Wenn man sich zum Beispiel vorstellt, auf welchem Stand die ganzen Videokonferenz- systeme Anfang 2020 waren und wo die jetzt stehen. Das ist ja eine Entwicklung, die normalerweise nur so in fünf Jahren sich vollzieht und das hat sich wesentlich schneller vollzogen. Und jetzt meine Frage: Wie sind Ihre Erfahrungen denn bezüglich Menschen mit Behinderungen, die von einem Tag auf den anderen gezwungen waren oder sind, eben von zu Hause aus zu arbeiten? Wie gut funktioniert das eigentlich?
Prof. Dr. Meyer zu Bexten, Leiterin der Durchsetzungs- und Überwachungsstelle für barrierefreie IT
00:28:06
Ja, wie Sie schon sagten, Herr Girke, für das Thema barrierefreie IT war das sehr positiv. Die Pandemie, so schlimm wie es ist für die Menschen, vor allen Dingen die, die betroffen sind, selbst betroffen, aber auch die Geschäftsleute und alles, was da dran hängt. Sehr fatal vielermals. Aber für das Thema barrierefreie IT, Digitalisierung hat es natürlich einen schnellen, enormen Aufschwung bereitet. Nun aber wie alles: es hat alles seine Vor- und Nachteile. Fluch und Segen liegen hier eng beieinander. Ich habe auch jetzt wieder - von meinen elf Mitarbeitern sind auch die Hälfte schwerbehindert, vormals blind, sehbehindert vor allem. Und da gibt es dann natürlich auch Probleme. So schön wie Homeoffice ist, haben sich viele ja auch sehr gut vorgestellt. Jetzt sind die Meinungen sehr geteilt. Viele Befürworter haben mir jetzt auch gesagt, ja, der Kontakt fehlt und das ist gerade bei Behinderten sehr wichtig. Die brauchen auch den Kontakt und vor allen Dingen, wenn sie alleine leben. Und dann ist auch der Arbeitsplatz für sie die Hauptkommunikation. Und gerade wenn man dann ins Homeoffice muss, da fehlt es dann an entsprechender Ausstattung. Weil wir hatten hier auch so die Regelung, dass man einmal in der Woche versuchen sollte zu kommen, um hier seine Post abzuholen, auch mal Kommunikation mit den anderen und Austausch zu haben. Und da ist natürlich so, dass die Hilfsmittel natürlich für die Zeit doppelt angeschafft werden können sie mussten sie dann oftmals hin und her transportieren. Und das klappte aber sehr gut. Wir haben alle hier ... Da waren die Behörden in Hessen sehr gut aufgestellt, dass wir ganz schnell das bewältigt haben, dass wir Homeoffice- Plätze für alle einrichten. Und das lief sehr problemlos eigentlich. Zumindest, was ich hier aus meinem Bereich sagen kann bei den Mitarbeitern. Aber was natürlich für Blinde und Sehbehinderte oder stark Sehbehinderte das Problem war, dass die Assistenz natürlich hier ist. Die kann ja nicht mit nach Hause genommen werden. Und das ist dann ein Problem, sodass sich auch der eine oder andere entschlossen hat, trotz der Möglichkeit des Homeoffice hier zu bleiben und hier mit seiner Assistenz zu arbeiten. Andere, die lange Fahrtwege haben, haben natürlich das sehr genutzt und haben dann ihre Einschränkungen versucht irgendwie anders zu bewältigen. Durch Chats, Telefonate, Videokonferenzen und was natürlich gerade für Schwerbehinderte dann auch der Vorteil war, die Flexibilität bei der Arbeitszeit, das ich über den Tag auch die Zeit einteilen konnte.
Detlef Girke, Externer Berater
00:30:55
Was sich gerade schon raus gehört habe, war etwas, was mir andere Menschen mit Behinderung auch erzählten, dass sie dann doch lieber an ihren Arbeitsplatz gegangen sind, sogar lieber das Risiko eingegangen sind, mal einem erhöhten Infektionsrisiko sich auszusetzen. Und das alles nur dafür, dass sie halt dann ihre Hilfsmittel nutzen können, ihre Assistenz nutzen können und so weiter. Das ist schon beachtlich. Also, zu was Menschen dann bereit sind in so einer Situation.
Prof. Dr. Meyer zu Bexten, Leiterin der Durchsetzungs- und Überwachungsstelle für barrierefreie IT
00:31:29
Ja, also ich habe es eigentlich immer versucht zu vermeiden, dass diejenigen, die Fahrtwege haben mit öffentlichen Verkehrsmitteln, dass die möglichst nicht kommen. Aber natürlich ist klar, sie haben dann die Assistenz nicht. Mit Videokonferenz alleine - wie sie ja auch zu Beginn schon sagten - die sind nicht unbedingt alle barrierefrei. Wir hatten am Anfang ja, da waren ja deutschlandweit sehr viel Abbrüche, was dann auch sehr lästig ist, weil man nicht weiß, wo ist es. Wir hatten auch nicht alle, alle hatten nicht Zugang zu Videokonferenzsystemen, weil nicht überall das schon installiert war. Also, da gab es dann schon die Probleme. Und auch der soziale Kontakt war eben für viele Behinderte - vor allen Dingen wie gesagt die alleine leben - dann doch das Risiko abwägen, was ist mir wichtiger ? Der Kontakt oder dass ich mich vielleicht infiziere? Aber manche sind dann auch einfach später gekommen, wo die Busse, Bahnen nicht mehr so überlastet waren und haben dann ihren Arbeitsrhythmus entsprechend angepasst. Die Flexibilität gab es bei uns hier im Regierungspräsidium. Man konnte um 6 Uhr beginnen und bis 21 Uhr arbeiten, also in der Zeit seine acht Stunden. Und dann kann man das ja so ein bisschen steuern. Andere haben das auch genutzt, dass sie gesagt haben: Okay, ich möchte trotzdem immer mal wieder kommen, weil ich da konzentrierter arbeiten kann und so weiter als zu Hause, weil da zu viel drum rum ist. Und also diese Flexibilität war sehr gut und das haben auch viele genutzt.
Detlef Girke, Externer Berater
00:32:57
Super. Mit der Digitalisierung steigt ja in der Regel auch, sagen wir mal, die Transparenz und die Mitarbeiterbeteiligung. Wie sehen Sie das, was kann oder was sollte die Digitalisierung in Unternehmen, in Unternehmen aus Ihrer Sicht ändern? Und welche Auswirkungen sollten sich daraus ergeben für die Arbeit für Menschen mit Behinderung, insbesondere bezüglich der Einbindung in die Entscheidungsprozesse oder für die Arbeit im Team?
Prof. Dr. Meyer zu Bexten, Leiterin der Durchsetzungs- und Überwachungsstelle für barrierefreie IT
00:33:24
Das Problem ist, wir leben einfach in einer sehr schnelllebigen Zeit, unterstützt eben durch die Digitalisierung. Und die Arbeitsabläufe werden in einer Art einfacher. Man kann vieles digital erledigen, aber da kommen dann auch wieder die Probleme auf, weil die geforderten Dokumente eben nicht barrierefrei sind, was ja sich durch das OZG, das Online zugangsgesetz, ab Ende 2022 hoffentlich massiv ändern wird. Aber durch die Digitalisierung ist auch die Forderung und das höre ich dann von Kliniken und auch anderen Bereichen, zum Beispiel auch Werkstätten und so weiter, Autowerkstätten und so, dass die Dokumentation natürlich viel höher ist, als was man früher hatte. Heute wird dann alles, muss alles protokolliert werden, um Statistiken zu führen und die einfacher auswerten zu können. Und da haben dann die Behinderten bei der Digitalisierung eben sehr große Probleme, weil dann große Softwaresysteme wie von der SAP oder so sowas nicht unbedingt gleich barrierefrei sind und die Hilfsmittel-Software auch nicht so schnell angepasst werden kann, wie das in so einer schnelllebigen Zeit von Nöten wäre.
Detlef Girke, Externer Berater
00:34:40
Genau. Und gerade im Unternehmenskontext hängt es ja auch sehr stark damit zusammen, wie viel ist ein Arbeitgeber bereit, zumindest kurzfristig auch mal zu investieren in eine Übergangslösung, die dann vielleicht auch mithilfe des Integrationsamtes dann in eine dauerhafte Lösung überführt wird. Das ist natürlich das nächste Problem.
Prof. Dr. Meyer zu Bexten, Leiterin der Durchsetzungs- und Überwachungsstelle für barrierefreie IT
00:35:00
Aber das ist halt schwierig. Gerade in der Pandemiezeit, wenn ich an letztes Jahr um diese Zeit denke, wo das Thema ganz neu für uns war, da wurde erst mal die Masse versucht in der Arbeitswelt zu halten. Wir haben Videokonferenzen, da haben wir x Abbrüche gehabt. Die Videokonferenzsysteme - hatten sie auch am Anfang schon gesagt - waren nicht barrierefrei. Sind heute nicht unbedingt alle barrierefrei. Es gibt kein einheitliches System. Hier arbeiten wir auch sehr viel mit dem Bund zusammen mit anderen Bundesländern. Das eine Bundesland darf das System nicht nehmen, das dürfen wir aber hauptsächlich nur nehmen. Also auch da gab es ja unter den Bundesländern und dann auch bei Firmen, die vielleicht auch eigene Lösungen hatten, die wir dann nicht fahren dürfen und so weiter hier in den Behörden, viele Startschwierigkeiten. Aber das ist normal, das kann man nicht verhindern. Das war für alle eine neue Erfahrung und da musste man eben eine gute Lösung versuchen zu finden.
Detlef Girke, Externer Berater
00:35:57
Genau! Eine gute Vereinheitlichung und vor allen Dingen eine barrierefreie Vereinheitlichung von solchen Systemen, die gemeinsam genutzt werden, vielleicht sogar länderübergreifend. Das wäre schon ...
Prof. Dr. Meyer zu Bexten, Leiterin der Durchsetzungs- und Überwachungsstelle für barrierefreie IT
00:36:09
Da arbeiten wir jetzt in Hessen extrem dran, dass wir die neuen Videokonferenzsysteme dann eben auf diese verschiedenen Punkte hin untersuchen mit Untertitelung, dass sie barrierefrei sind, auch in der Bedienung und und und.
Detlef Girke, Externer Berater
00:36:24
Ja, Sie sprachen ja gerade schon mal kurz vom Onlinezugangsgesetz und das bringt mich auf die Anforderungen, auch die Anforderungen der BITV und vor allen Dingen auf die europäische Norm 301 549, die ja Maßstab ist sozusagen für die Barrierefreiheit im Sinne der BITV. Und die Anforderungen jetzt an Barrierefreiheit von Produkten im klassischen Sinne oder auch von Software, die ist ja dort auch gut festgeschrieben und besonders jetzt in Bezug auf barrierefreie Software. Sehen Sie für die Beschaffung von neuen Anwendungen in Unternehmen, aber auch im Behördenkontext und so weiter, sehen Sie da positivere Entwicklungen?
Prof. Dr. Meyer zu Bexten, Leiterin der Durchsetzungs- und Überwachungsstelle für barrierefreie IT
00:37:10
Also, das kann ich nur unterstreichen. Zumindest ich kann jetzt immer nur für das Land Hessen sprechen. Aber wir haben einen einheitlichen Vergabe bausteine entwickelt, der für das Land gilt, wo ganz klar die Barrierefreiheit sehr herausgestellt wird. Und es ist auch die, wenn Sie jetzt an Webfirmen denken, Webdesigner-Firmen oder andere Softwareentwickler, das haben wir alle schon im Hinterkopf mit dabei. Wissen es teilweise nicht, wie sie es umsetzen sollen oder haben nur nicht das Know-how. Was eben auch das Problem ist, dass das weder in den Ausbildungsberufen zum Fachinformatiker oder andere Ausbildungsberufe in diesem Bereich gelehrt wird, noch im Studium unbedingt flächendeckend als Modul barrierefreie IT angeboten wird. Und die haben einen Nachholbedarf, wie gesagt, aber sie sind sensibilisiert für die Thematik und versuchen auch ihr Bestes in diesem Kontext zu geben. Und die sind auch, die oft auf uns zukommen und nach Richtlinien, Katalogen, Fragen nach Hilfe oder der Hilfsbedürfnisse äußern bei der Umsetzung ihrer Software.
Detlef Girke, Externer Berater
00:38:22
Also das hat ganz klar zugenommen. Das ist ja super.
Prof. Dr. Meyer zu Bexten, Leiterin der Durchsetzungs- und Überwachungsstelle für barrierefreie IT
00:38:25
Das hat auf jeden Fall zugenommen. Wir haben die Anforderungen und auch die Nachfrage von den Firmen, von Behörden bis runter zu den Kommunen, die eben nachfragen, wie können wir barrierefrei unsere Webauftritte, unsere Dokumente und jetzt auch die mobilen Anwendungen anbieten? Die Sensibilisierung ist voll im Gange und nicht zuletzt durch das Onlinezugangsgesetz müssen ja der Bund, die Länder und die Kommunen entsprechend bis Ende 2022 ihre Verwaltungsleistungen über die Verwaltungsportale auch digital und somit barrierefrei anbieten. Und dass man mal eine Vorstellung hat, wieviele Leistungen das sind. Da arbeiten alle Bundesländer mit dran, teilweise mehrere Bundesländer an einem Thema. Das sind knapp 600 Leistungen, die im OZG verankert sind, die sogenannten OZG-Sozialleistungen, und diese wiederum sind in 35 Lebens- und 17 Unternehmens- lagen gebündelt und 14 übergeordneten Themenfeldern dann entsprechend zugeordnet. Jedes Bundesland versucht diese Leistungen - wie zum Beispiel, wir machen in Hessen den Führerschein oder das Dokument für den Waffenschein usw. - und jedes Bundesland, wie gesagt, macht eine andere Leistung. Und die werden dann gebündelt und in dem großen Verwaltungsportal für alle zur Verfügung gestellt. Und somit müssen diese auch barrierefrei sein, damit der Bürger dann von zu Hause aus seine Leistungen beantragen kann oder Informationen bekommen kann.
Detlef Girke, Externer Berater
00:40:14
Sind Ihnen da auch Hersteller bekannt, irgendwie? Gerade zumindest im Land Hessen zum Beispiel?
Prof. Dr. Meyer zu Bexten, Leiterin der Durchsetzungs- und Überwachungsstelle für barrierefreie IT
00:40:20
Also wir haben hier im Land Hessen ... Ich bin jetzt keine Hessin, aber ich wüsste jetzt nicht, dass wir weiße Ware herstellen. Ich weiß es nur von Miele aus Nordrhein-Westfalen, die seit Jahren, Jahrzehnten schon sehr aktiv in dem sind und gerade sich auch Gedanken gemacht haben, wie das für Blinde und Sehbehinderte ist. Samsung, also die sind da sehr auf dem Vormarsch und mit den entsprechenden Kühlschränken und so weiter. Und es gibt ja auch ein Fraunhofer-Institut in Duisburg, das Inhouse-Zentrum, die sich mit dieser Thematik seit Jahren beschäftigen.
Detlef Girke, Externer Berater
00:40:54
Ganz genau. Deswegen haben wir ja zum Beispiel als Evaluationspartner bei uns im Projekt auch die Uni Siegen mit im Boot. Und der Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik und eben auch für die alternde Gesellschaft - eben Technik für die alternde Gesellschaft. Das berührt ja genau dieses Thema. Wie kann Hardware gestaltet werden für Menschen oder für eine Gesellschaft, die immer älter wird? Und was sind dann die speziellen Bedürfnisse? Worin unterscheiden die sich von den Bedürfnissen, die Blinde, Sehbehinderte oder Menschen mit anderen körperlichen Behinderungen haben und so weiter und so fort. Das ist genau das Gebiet und ...
Prof. Dr. Meyer zu Bexten, Leiterin der Durchsetzungs- und Überwachungsstelle für barrierefreie IT
00:41:32
Ja, und das geht dann ja noch weiter, auch mit leichter Sprache. Wir machen hier in Hessen die Elternbriefe. Vom Kultusministerium setzen wir alle um in leichter Sprache. Und da habe ich schon von vielen gehört, die gar nicht die Leichte Sprache brauchen, aber die gesagt haben: Toll, jetzt verstehe ich das Ganze. Ich muss nicht da ... Das sind höchstens lange Texte, aber die sind einfach und schnell für mich zu lesen. Die kann ich auch meinem Kind geben, weil das ist noch nicht so weit, komplexere Texte zu lesen. Aber das mit den Bildern und die kurzen Sätze ist hervorragend. Und wir müssen immerhin daran denken, dass wir sechs bis acht Millionen funktionale oder Analphabeten in Deutschland haben. Das ist eine riesengroße Gruppe. Dazu kommen die Migranten und für die brauchen wir auch Medien und Unterstützung eben entsprechend in Leichter Sprache mit Bild Datenbanken unterstützt, um ihre Bedürfnisse und ihre Probleme und auch ihre Kommunikation zu unterstützen.
Detlef Girke, Externer Berater
00:42:29
Aber mir scheint es so, also wenn ich Sie so höre, was jetzt einmal die Änderungs- bereitschaft betrifft von Unternehmen, zumindest auch die Unternehmen, mit denen sie jetzt auch zu tun haben. Da scheint es so zu sein, als wäre das Bemühen um die Barrierefreiheit, das Bemühen darum, auch Menschen mit Behinderungen in die Belegschaft mit einzubinden, das ist nicht nur so zur Verbesserung des eigenen Rufs, Stichwort CSR, sondern das scheint wirklich auch eine fast schon intrinsische Motivation zu sein, einfach alle Menschen wirklich mit abzuholen sozusagen auf dem Weg in eine digitalere Gesellschaft. Ist das Ihr Eindruck?
Prof. Dr. Meyer zu Bexten, Leiterin der Durchsetzungs- und Überwachungsstelle für barrierefreie IT
00:43:14
Ja, das ist ja gerade ein besonderes Problem bei den Banken zum Beispiel. Die haben ein ... Ja, eine Bevölkerung, die sehr breit gefächert ist, von jung bis alt und behindert, nicht behindert, von technikaffin bis nicht technikaffin und so weiter. Und die sind auch auf mich zugekommen und haben gesagt, wie können wir das für unsere Kunden besser anbieten, auch wenn wir es noch nicht müssen. Und das ist einer von vielen, oder wie ich eben sagte Miele, solche Großkonzerne, die auch sagen, wie können wir das besser darstellen, besser machen, damit jeder unsere Produkte einfach und schnell bedienen kann?
Detlef Girke, Externer Berater
00:43:53
Das ist super. Während man sich früher in dem Bereich nur um die Usability gekümmert hat, hat jetzt die Accessibility wirklich Einzug gehalten anscheinend.
Prof. Dr. Meyer zu Bexten, Leiterin der Durchsetzungs- und Überwachungsstelle für barrierefreie IT
00:44:01
Ja. Also, mit denen ich zusammenarbeite. Gut, vielleicht kommen auch andere nicht so auf mich zu, die das noch nicht haben. Das wird sich in den nächsten Jahren dann zeigen. Aber es ist einfach ein Druck da durch die ältere Bevölkerung. Die Behinderten, die werden ja leicht immer schnell an ... Ja, das sind ja nicht so viele und die paar ... Aber die Älteren, gerade für Geschäftsleute oder für die Industrie ist das ein mächtiger Markt und dementsprechend kümmern die sich auch um den Markt und da fällt dann positiv wieder was davon ab für die Behinderten.
Detlef Girke, Externer Berater
00:44:36
Lässt sich nur hoffen, dass diese positive Entwicklung weitergeht. Und ja, ganz im Sinne unseres Projektes die Beschäftigungsmöglichkeiten für Menschen mit Behinderung auch im privaten Sektor sich verbessern. Gutes Schlusswort, Frau Meyer zu Bexten. Vielen, vielen Dank für das wirklich echt super interessante Interview.
Prof. Dr. Meyer zu Bexten, Leiterin der Durchsetzungs- und Überwachungsstelle für barrierefreie IT
00:44:57
Ja, danke schön auch an Sie und viel Erfolg weiterhin mit Ihrem Projekt.
Detlef Girke, Externer Berater
00:45:03
Ja, vielen Dank! Schöne Grüße nach Hessen dann!
Prof. Dr. Meyer zu Bexten, Leiterin der Durchsetzungs- und Überwachungsstelle für barrierefreie IT
00:45:05
Tschüss!
Detlef Girke, Externer Berater
00:45:07
Tschüss!
Nadia David, iDESkmu
00:45:10
Das Team von iDESkmu bedankt sich bei Anne-Marie Nebe und Prof. Dr. Erdmuthe Meyer zu Bexten für die Unterstützung des Projektes durch ihre Beiträge.
Nadia David, iDESkmu
00:45:19
Hier nochmals der Hinweis auf unsere Shownotes. Sie finden dort wie immer neben den Hintergrundinformationen zu unseren Gesprächspartnern grundsätzlich umfangreiche Quellenangaben und Tipps rund um die Beiträge und Themen dieser Episode. In der nächsten Podcastfolge spricht Wolfgang Haase, externer Berater im Projekt iDESkmu, mit Klaus Jäde über das Thema Führung im IT-Projektmanagement. Herr Jäde verfügt über 20 Jahre Erfahrung als Projektleiter, ist PMI zertifiziert und er spricht über historisch gewachsene Systeme, die auf neue gesetzliche Anforderungen und Herausforderungen treffen. Außerdem diskutieren in unserem zweiten Beitrag Michael Grosse-Drenkpohl vom Inklusionsamt Arbeit des Landschaftsverband Westfalen-Lippe, kurz LWL, und erneut Wolfgang Haase über eine musterhafte DMS-Arbeitsplatzlösung für vernetztes Arbeiten 4.0 nach den Kriterien des Design4All. Und auch heute freuen wir uns, wenn wir Ihr Interesse geweckt haben. Abonnieren Sie diesen Podcast und teilen Sie ihn mit Ihrem Netzwerk und folgen Sie uns auf Facebook & Twitter. Lernen Sie uns noch besser kennen und besuchen Sie unsere Webseite unter www.projekt-ideskmu.de. Sind Fragen offen geblieben oder haben sich neue Fragen für Sie ergeben? Dann senden Sie uns gerne eine Nachricht. Wir freuen uns darauf. Das war die Episode #07 der Podcastserie KLARTEXT FÜR IT OHNE BARRIEREN zu dem Projekt iDESkmu. Mein Name ist Nadia David. Vielen Dank für Ihr Zuhören.