KLARTEXT FÜR IT OHNE BARRIEREN

iDESkmu

#11 - Dienstvereinbarung zur Barrierefreiheit beim NDR sowie Vorgaben und Machbarkeit zur IT Barrierefreiheit

Christa Schmidt-Klevenow berichtet von Ihrer Tätigkeit im Personalrat des NDR und Expertentalk von Andreas Werner (PDV) und Christian Burkamp (Ceyoniq) im Erfahrungsaustausch zu Vorgaben und Machbarkeit

07.03.2022 52 min

Zusammenfassung & Show Notes

Hören Sie heute das Interview mit Christa Schmidt-Klevenow, Dipl. Psych. und Psychodramatherapeutin aus Hamburg, zum Thema Zielvereinbarungen und den Erfahrungen hiermit im Rahmen ihrer Tätigkeit für den NDR.
Im Anschluss hören Sie den interessanten Expertentalk zwischen Andreas Werner, Prokurist und Team Leader der PDV GmbH, und Christian Burkamp, Bereichsleiter Forschung & Entwicklung der Ceyoniq Technology GmbH, über ihre ersten Erfahrungen mit IT-Barrierefreiheit, Vorgaben und Machbarkeit sowie die Notwendigkeit, dieses Thema auch in die Ausbildung von Entwicklerinnen und Entwicklern aufzunehmen. 

Mitwirkende

Christa Schmidt-Klevenow
Dipl. Psych./Psychodramatherapeutin DFP in Hamburg
c.schmidt-klevenow@t-online.de

Andreas Werner
Prokurist / Team Leader
PDV GmbH
Haarbergstraße 73
99097 Erfurt - Deutschland
Andreas.Werner@pdv.de
www.pdv.de
Festnetz: +49 361 4407 420 
Mobil: +49 172 3651902

Transkript

Nadia David, iDESkmu
00:00:03
KLARTEXT. Der Podcast für IT OHNE BARRIEREN. Interessante Informationen und wertvolles Wissen zur digitalen Barrierefreiheit in der Arbeitswelt. Ein Podcast zum Forschungsprojekt iDESkmu, gefördert vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales, unter der Federführung des Blinden- und Sehbehinderten- vereins Hamburg. Hallo und herzlich willkommen zur Episode #11. Mein Name ist Nadia David. Hören Sie heute das Interview mit Christa Schmidt-Klevenow, Diplom-Psychologin und Psychodrama Therapeutin aus Hamburg, zum Thema Zielvereinbarung und den Erfahrungen hiermit im Rahmen Ihrer Tätigkeit für den NDR. Im Anschluss hören Sie den ExpertenTalk zwischen Andreas Werner, Prokurist und Teamleader der PDV GmbH, und Christian Burkamp, Bereichsleiter Forschung und Entwicklung der Ceyoniq Technology GmbH. Sie sprechen über ihre ersten Erfahrungen mit IT-Barrierefreiheit, Vorgaben und Machbarkeit sowie die Notwendigkeit, das Thema auch in die Ausbildung von Entwicklerinnen und Entwicklern aufzunehmen. Beide Unternehmen sind Kooperationspartner im Projekt iDESkmu. In den Shownotes finden Sie die Timecodes zu den beiden Beiträgen und Hintergrundinformationen zu unseren Gesprächspartnern und Gästen. Zum Einstieg in die Episode hören Sie wieder einen kurzen Auszug aus einem bekannten Märchen.
Screenreader
00:01:43
Schneewittchen. Es war einmal im Winter. Die Schneeflocken fielen wie Federn vom Himmel. Eine Königin saß an einem Fenster, das einen schwarzen Rahmen aus Ebenholz hatte und nähte. Und wie sie so nähte, und nach den Schneeflocken schaute, stach sie sich mit der Nadel in den Finger. 3 Tropfen Blut fielen in den Schnee. Und weil das Rot im Weiß des Schnees so schön aussah, dachte sie bei sich: “Ach, hätte ich doch ein Kind so weiß wie Schnee, so rot wie Blut und so schwarz wie Ebenholz.” Bald darauf bekam sie ein Töchterlein. Mit Haut so weiß wie Schnee, Wangen so rot wie Blut und Haaren so schwarz wie Ebenholz. Es wurde darum Schneewittchen genannt. 
Nadia David, iDESkmu
00:01:45
Das war Schneewittchen, gelesen von Grandma aus JAWS in der Geschwindigkeit 100. Kommen wir zu unserem Interview.
Detlef Girke, Externer Berater
00:02:00
Ja, wunderschönen guten Tag! Christa Schmidt-Klevenow heute bei uns im Studio. Bevor ich dich selber vorstelle, Christa, das kannst du auch selbst besser.
Christa Schmidt-Klevenow, ehemalige NDR-Personalrätin
00:02:09
Ja Hallo Detlef! Also ich bin Christa Schmidt-Klevenow, bin jetzt schon einige Jahre Rentnerin und wenn ich zurückblicke, dann war ich seit 1973 im Norddeutschen Rundfunk als Tontechnikerin beschäftigt. Und 1974 habe ich mich dann gleich in der Gewerkschaft engagiert und habe gedacht, wenn man abhängig beschäftigt ist, dann muss man sich da organisieren. Ja, und da bin ich in die sogenannte RFFU eingetreten. (Rundfunk-Fernseh-Film-Union) Das war eine Untergruppe der Gewerkschaft Kunst, die dann später zur IG Medien wurde. Und die IG Medien hat sich dann zusammengeschlossen mit anderen Gewerkschaften, so dass sie dann 2000 oder 2001 in die jetzige große Gewerkschaft Verdi sich etabliert hatte. Und dann habe ich auch noch ein Studium neben dem Job absolviert und habe das auch an der Hamburger Universität im Fachbereich Psychologie dann auch noch durchgezogen. Ja, durch mein gewerkschaftliches Engagement war ich dann auch im Geschäftsführenden Verband Vorstand im NDR, der damaligen IG Medien. Ich war von 1996 bis 2002 dann auch Personalrätin im örtlichen Personalrat Hamburg und dem Gesamt- Personalrat und von 1998 bis 2007 habe ich dann auch noch im Bundesvorstand meiner Fachgruppe 8 war ich dann tätig. Und so wie das so in so einem Betrieb so ist, hat mich der damalige Schwerbehindertenvertreter, also mein Vorgänger, angesprochen, ob ich nicht auch in die Schwerbehinderten- vertretung kommen wollte. Dann landete ich da als erste Stellvertreterin 1998 und 2001 musste ich mich entscheiden, ob ich offiziell kandidiere. Und so bin ich in den Beruf oder in diese Auseinandersetzung mit den behinderten Menschen im NDR erst mal gekommen und habe mich da wahnsinnig engagiert. Also von 2001 bis 2016 war ich dann die Hamburger- und Gesamt- schwerbehindertenvertretung im NDR. Ich war freigestellt und so kam ich dann eigentlich auch dazu, dass wir im Jahr 2009 nämlich beschäftigt waren mit der UN-Behindertenrechtskonvention, die Deutschland dann unter Angela Merkel 2009 dann auch für Deutschland ratifiziert hat. Und so wurde die UN-Behindertenrechtskonvention auch eben für uns gültig. Soweit erst mal der Bogen von meinen beruflichen Anfängen bis zu dem Zeitpunkt, wo es jetzt wahrscheinlich auch für uns interessant wird und wo dann die Barrierefreiheit ins Spiel kommt.
Detlef Girke, Externer Berater
00:05:09
Ihr habt ja beim NDR über das Mittel "Zielvereinbarung" und so weiter ... gab es dann ja irgendwann auch eine Rahmen-Dienst- vereinbarung und über dieses Vorhaben letztlich haben wir uns ja damals auch kennengelernt. Aber das kannst du wahrscheinlich wesentlich besser erzählen. Wie ging das, sagen wir mal, Stück für Stück sozusagen vonstatten.
Christa Schmidt-Klevenow, ehemalige NDR-Personalrätin
00:05:33
Also der Ausgangspunkt waren zwei Kriterien, und zwar, wie ich gerade erwähnt habe, die UN-Behindertenrechtskonvention, die eben mit diesem Kriterium Barrierefreiheit für alle, also ein starkes Kriterium nicht nur eben für Schwerbehinderte, sondern für alle Menschen, etablieren wollte. Das wollte diese Verbindlichkeit schaffen. Ja, es wollte diese Verbindlichkeit schaffen. Und das zweite Kriterium war eben, dass die Einstellung von schwerbehinderten Menschen in allen ARD-Anstalten, in allen anderen Netzwerken, in denen ich steckte, also auch in großen Betrieben in Hamburg tauschten wir uns darüber aus, dass in den Betrieben zu wenig schwerbehinderte Menschen von außen in die Betriebe reinkamen. So, und nun kam das beides zusammen, und da kam auch diese Verknüpfung her. Wie schaffen wir es als Schwerbehinderten- vertretung Einfluss auszuüben auf die Geschäftsleitungen, auf die Intendanten, die Direktoren, dass wir mehr schwerbehinderte Menschen in den Betrieb einstellen können? Und da hieß es immer, wir können doch keinen Blinden oder gehörgeschädigten Menschen in die Technik bringen. Und so weiter. Da kamen also ganz abstruse Argumente dagegen, die wir landläufig als Barrieren im Kopf nennen, um schwerbehinderte Menschen einzustellen. Und dann wurde klar, dass wenn wir technisch die Möglichkeiten und Mittel haben, Barrierefreiheit hier zu stellen auf der baulichen und auf der digitalen oder medialen Ebene, dass wir eben diesen schwerbehinderten Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen auch eben die Möglichkeit geben, in die Beschäftigung zu kommen, also in das Arbeitsleben zu kommen. Und das galt es jetzt nun zu etablieren und zu entwickeln. So, und dann hörte ich von diesem Projekt, was das Bundesministerium für Arbeit ja in Bewegung gesetzt hatte. Das war, wie du schon sagtest, die BIK, Barrierefrei informieren und kommunizieren.
Detlef Girke, Externer Berater
00:07:53
So hieß das Projekt.
Christa Schmidt-Klevenow, ehemalige NDR-Personalrätin
00:07:55
Es gab einen in einer Abteilung, die sich schon "online" nannte - also der ganze Onlinebereich wurde auch etabliert - und dort gab es einen Abteilungsleiter und der hatte auch Verbindungen zu Menschen, die sich mit Barrierefreiheit beschäftigten. Und bei irgendeiner Sitzung tauschten wir beide uns aus. Und der hat mir mehr oder weniger den Kontakt zu dieser BIK, zu eurem Projekt sozusagen verschafft. Und das war Herr Mayer, an den ich mich erinnere, mit dem ich dann ein erstes Treffen hatte im NDR. Und der hat mir dann von den Möglichkeiten erzählt, was dieses Projekt eben, dieses BIK-Projekt, eigentlich wollte. Und dann haben wir gemeinsam dann diesen Vorgesetzten überzeugt und haben dann ein erstes Treffen mit eben der Abteilung in Bewegung gesetzt. Und in der Zwischenzeit habe ich mit der Personalabteilung und auch Intendanten gesprochen und so konnten wir im NDR beginnen, Barrierefreiheit zu installieren. Und die erste Überlegung, die dabei eine Rolle spielte, war, wenn wir das etablieren und es stehen durch das Projekt Gelder und auch Menschen mit dem entsprechenden Know-how zur Verfügung, dann sollten wir das auch schriftlich fixieren und das zu einer Vereinbarung gestalten, dass eben das verbindlich ist für alle im NDR, für die Behinderten und auch für die nicht Behinderten. Ein weiterer Vorteil und die Gunst der Stunde lag darin, dass mit der Abteilung IT sozusagen, die ja im NDR existierte, dort gab es drei oder vier Menschen, die schon ein sogenannten Styleguide entwickelt hatten. Auch die hatten sich schon mit Barrierefreiheit auseinandergesetzt und haben einen 64-seitigen Styleguide gehabt, wo schon Definitionen standen, was Barrierefreiheit, also insbesondere mediale oder digitale Barrierefreiheit anbelangt, was das eigentlich bedeutet und wie man was eben in Bewegung setzen könnte. Das heißt also, es waren auch schon ein paar Leute da, die da ganz schon mächtig vorgearbeitet hatten und ja auch ein Interesse daran hatten. Das heißt, wir fingen nicht gerade bei Null an, sondern es gab schon eine ganze Menge Leute, die sich damit beschäftigt haben. Und dann haben wir diesen Entwurf genommen und haben zusammen mit Carsten Warnke, mit Herrn Mayer, haben wir dann einen Entwurf ausgearbeitet und der damalige IT-Leiter, bei dem stieß das auf ganz große Ohren, weil du musst wissen, im NDR, in einem öffentlich rechtlichen Rundfunk geht es auch unter anderem ganz stark um ein Image. Denn es gibt ja so gerade bei dem NDR gibt es ja den Slogan "Der NDR. Das Beste am Norden." Ja, das ist ein Stück Ideologie. Und das ist nicht nur so dahergesagt, sondern "Das Beste am Norden" soll natürlich das Programmangebot sein, aber auch das, wodurch Programm zustande kommt und was der Sender eben zu bieten hat. Und da ist eben Image auch angesagt. Wir wollen mit einer Vorbildfunktion dastehen und wollen der Außenwelt deutlich machen, wir sind up to date in vielen Dingen und das in dem Falle in der Technik und Barrierefreiheit, um das jetzt runter zu brechen darauf. Und das stieß eben auf ganz große, offene Ohren und auf die Möglichkeit, dass für den NDR auch umzusetzen. Das heißt, die Hürden waren nicht so besonders groß und ich weiß, dass in der Verhandlung zu dieser Dienstvereinbarung, die da in so einem öffentlich rechtlichen Rundfunk eben die Möglichkeit bietet, das zu verankern, dass das eben auch verankert werden sollte. Und die Vertreter der BIK und ich, wir waren so erstaunt, als wir unseren Entwurf dann vorstellten, dass es überhaupt keinen Widerstand gab, sondern dass alle Punkte, die dort schon vereinbart waren, akzeptiert wurden und dass dies dann in eine wunderbare Dienst- vereinbarung mündete, die gleichzeitig Bestandteil der Dienstvereinbarung, also der Rahmen-Dienstvereinbarung EDV war. Und was mich daran begeisterte als Gesamt-Schwerbehindertenvertretung mitsamt meinen Kolleginnen und Kollegen, war die Tatsache, dass wir als Schwerbehindertenvertretung ein weitestgehendes Mitbestimmungsrecht hatten in der Umsetzung dieser Barrierefreiheit. Und das ist, kann ich sagen, bis heute geblieben. Es ist ein Stück weiter aufgebaut worden, aber das war glaube ich ein ziemliches Novum, denn für die Umsetzung und Durchsetzung von Dienstvereinbarungen sind normalerweise nur Personalräte zuständig. Weil die eben das Mittel der echten Mitbestimmung haben. Und dass hier jetzt in so einer Vereinbarung, wo es natürlich auch um schwerbehinderte Menschen in erster Linie geht - zwar nicht nur, aber doch eben sehr stark - dass dort die Schwerbehinderten- vertretung, die normalerweise dieses Durchsetzungselement in der Interessenvertretung nicht hat, dann doch so zum Zuge kam und die eben besagt, dass alle Projekte, die im NDR sozusagen neu aufgelegt werden, Software, webbasierte Oberflächen, die etabliert werden, die angeschafft werden, dass die über den Tisch der Schwerbehindertenvertretung laufen müssen mit einem richtigen Kontrollmechanismus. Und das ist sozusagen der wirklich revolutionäre, ja, die ist der revolutionäre Schritt, der bis heute eben gilt. Und da können viele Firmen sich noch eine Scheibe von abschneiden. Denn soweit ich das immer noch überblicke, ist das längst, längst nicht in vielen, schon gar nicht in großen Firmen etabliert. Nicht nur Firmen, auch andere Rundfunkanstalten der ARD haben das glaube ich nicht in dieser Mächtigkeit glaube ich ausgearbeitet. Ja, in dieser Form, in der Mitbestimmung nicht.
Detlef Girke, Externer Berater
00:15:14
Genau! Diese Form der Mitbestimmung kenne ich eigentlich ansonsten nur vom Land Berlin. Und das ist aber etwas vollkommen anderes, wird auf einer ganz anderen Ebene auch verhandelt und vereinbart. Aber sag mal, das ist ja super. Und ich habe das natürlich auch selber als Barrierefreiheitsberater neben anderen Barrierefreiheitsberatern auch zu spüren bekommen, in Form von Aufträgen. Aber wie hat sich der Grad der Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen beim NDR seit damals geändert?
Christa Schmidt-Klevenow, ehemalige NDR-Personalrätin
00:15:46
Also die Quote liegt und bleibt bei 5 %. Die ist etwas angestiegen. Aber man kann jetzt nicht sagen, soweit ich das bis 2016 verfolgt habe, dass der NDR wesentlich mehr Menschen dadurch eingestellt hat. Die schwerbehinderten Menschen werden durch die eigenen Mitarbeiter rekrutiert. Das heißt, wir Menschen sind mit unserer biologischen Maschine, wenn man das jetzt mal so sagen möchte, mit unserem Körper und unseren Sinnen, doch eben ab 40, 45, 50 Jahren doch auch anfällig für Krankheiten und für Einschränkungen, so. Das man meint, dass innerhalb eines Senders oder einer Firma schwerbehinderte Menschen aus den eigenen Reihen rekrutiert werden, weil sie einfach schon im Betrieb sind, weil sie ein bestimmtes Alter haben und weil sie bestimmte Einschränkungen bekommen. Und jetzt nicht einfach in dem einfachen Ursache-Wirkungs-Schema gesagt, die Arbeit macht uns krank und deshalb werden die Leute krank oder werden zu behinderten Menschen. Also das wäre auch zu kurz gegriffen. Aber es ist so, dass eben der größere Anteil der behinderten Menschen eben ab 45, 50 aufwärts ist. Und das passiert eben auch hauptsächlich bei denen, die eben im Betrieb sind. Das heißt noch lange nicht, dass durch diese Dienstvereinbarung eben oder aufgrund der vorhandenen Dienst vereinbarung eben mehr Menschen von außerhalb eingestellt worden sind.
Detlef Girke, Externer Berater
00:17:39
Das ist ja eigentlich kein schönes Ergebnis, wenn man bedenkt ...
Christa Schmidt-Klevenow, ehemalige NDR-Personalrätin
00:17:42
Nein, das stimmt. Also es sind immer noch die Barrieren im Kopf da, weil immer noch ein Stückchen mit schwebt, die behinderten Menschen sind nicht so leistungsstark, die behinderten Menschen sind vielleicht öfter krank. Und ja, das war es nicht. Aber von vielen Firmen höre ich so und die wird man ja auch gar nicht los, auch wenn man bestimmtes Personal abbauen muss.
Detlef Girke, Externer Berater
00:18:11
Bekanntes Vorurteil.
Christa Schmidt-Klevenow, ehemalige NDR-Personalrätin
00:18:12
Ja und das sind Vorurteile hoch drei. Und ein Teil ist sicherlich dadurch zu erklären, dass ein riesen, riesen Informationsdefizit da ist. Und wenn die Möglichkeit besteht, so war es ja auch mehr, denn in dieser Dienst- vereinbarung stand auch eindeutig drin, dass die Beschäftigten aus der IT und auch Abteilungsleiter geschult werden. Genau du warst derjenige, der auch diese Abteilungsleiter und die Kollegen in der Abteilung wunderbar geschult hat. So, das heißt aber, die, die auch für die für die Einstellung verantwortlich sind, die sitzen nicht in diesen IT-Abteilungen, die sitzen in der Personalabteilung und die sitzen nicht so nahe an dieser Thematik dran. Die Interessenvertreter sind immer wieder aufgefordert, Argumentationen zu liefern. Und das ist schwer genug, weil die, die Entscheidungen da treffen, um Menschen einzustellen, nicht am Puls der Zeit, der Barrierefreiheit sitzen oder der Barriere ... sich mit diesem Thema der Barrierefreiheit auseinandersetzen. So sehe ich das zumindest. Und natürlich sind es eben auch noch andere Kriterien. Und wir wissen, dass ein Arbeitgeber die alleinige Entscheidung hat, über wen er einstellt und wen er nicht einstellt. Etliche andere Kriterien, spielen da auch noch eine Rolle. Das ist so ähnlich wie ein Projekt ausgeschrieben wird. Wir sind durch diese Dienstvereinbarung dahin gekommen, ein Kriterienkatalog zu haben, dass eben Produkte, die ausgeschrieben werden und die von den Firmen von verschiedensten Firmen angefragt werden, heißt es ja, die müssen uns auch im Thema Barrierefreiheit die Überzeugung liefern, dass ihr Produkt annähernd barrierefrei ist, vielleicht auch mit der Option es nachzubessern. So, aber Sie müssen sich erklären. So, und auch da war es so, dass die Firmen überhaupt noch nicht im großen Stil barrierefreie Produkte angeboten haben. Auch das ist ein Prozess, der auch noch eine gewisse Zeit lang wahrscheinlich braucht, um in die Köpfe reinzukommen. Und außerdem hängt das damit zusammen, wenn barrierefreie Produkte nicht abgefragt werden von der Wirtschaft, dann hat sie auch nicht den Anreiz, sie zu liefern. Mittlerweile müssten wir aber wesentlich weiter sein und ich glaube, es ist auch ein Stück in Bewegung gekommen, dass das nicht mehr so eine große Hürde ist, eben IT barrierefrei zu entwickeln.
Detlef Girke, Externer Berater
00:21:18
Genau! Das ist bei weitem nicht mehr so eine große Hürde, aber immer noch eine zu große, wenn man sich die Zustände anguckt, die du gerade so beschrieben hast. Wenn jetzt also die Abteilungen, die da eigentlich miteinander reden sollten, immer noch nicht miteinander reden. Was wäre ein adäquates Mittel, solche Abteilungen besser miteinander zu verbinden? Dass die auf mehr aufeinander hören zum Beispiel. Was wäre da deine Idee?
Christa Schmidt-Klevenow, ehemalige NDR-Personalrätin
00:21:48
Meine Idee ist aus der Sicht der Schwerbehindertenvertretung, es bleibt einem nichts anderes übrig als alle Möglichkeiten in einem Betrieb zu nutzen, um die Thematik zu etablieren, um die Thematik in das Bewusstsein zu bringen, Überzeugungsarbeit zu leisten. Was anderes gibt es nicht, kann man sich nicht vorstellen. Man muss sich einsetzen, man muss sich Gehör verschaffen. Man muss Betriebs- oder Personalversammlungen nutzen und eine Rede halten. Man muss Beispiele bringen. Man muss in allen möglichen Versammlungen oder auch in Veröffentlichungen im Betrieb, auf der Internetseite, im Internet und alles, was Öffentlichkeitsarbeit ist, muss man sozusagen Verbündete suchen und muss hingehen und muss das Thema ja präsent machen, in den Vordergrund bringen, wie wichtig es ist. Und das ist glaube ich, wie bei einer Schallplatte, die einen Knack hat: immer wiederholen und immer wieder deutlich machen, wie wichtig das ist, immer wieder die Gesetzeslage zitieren. Zu sagen, der Gesetzgeber bietet mittlerweile die Möglichkeiten eben sogar auf der internationalen Ebene der UN-Behindertenrechtskonvention bis hin zu den nationalen Gesetzen, die wir haben. Arbeitsstättenverordnung, Arbeitsschutz, Betriebsverfassung oder Personalvertretungsgesetze mit all den Möglichkeiten, die es gesetzlich gibt, mit EU-Richtlinien und und, und. Und ich glaube, man muss einfach nicht müde werden, dieses Thema eben ins Bewusstsein zu bringen. Eine andere Möglichkeit fällt mir nicht ein. Natürlich kann man politisch arbeiten. Wir sehen, dass wir zurzeit einen Barrierefreiheitsstatusgesetzt haben. Es ist ja eine Menge in Bewegung gekommen. Ich möchte da jetzt nicht so weit ausholen, weil so sehr habe ich mich auch noch nicht damit beschäftigt. Aber das, was ich bisher gelesen habe, das ist zu kurz gegriffen. Auch die Politik macht eben ganz kleine Schritte. Die Umsetzung in diesem Gesetz 2025 oder 2040. Ja, das ist einfach zu weit weg. Das müsste eigentlich schneller laufen können. Und das sind Dinge, die verstehe ich nicht. Die sind dann wieder auf einer politischen Ebene, die ja nicht im Betrieb geregelt werden können. Die müssen ja auf einer anderen politischen Ebene geregelt werden. Aber das ist schon etwas frustrierend, finde ich, dass wir so viel Zeit brauchen, um Dinge umzusetzen, von denen wir eigentlich wissen, dass sie sinnvoll, wichtig und mehr als wichtig eigentlich sind, dass sie notwendig und hinreichend sein müssten. So, und dann verschiebt man das auf so lange Zeiten. Natürlich sind Übergangsfristen wichtig. Aber mir geht das nicht schnell genug eigentlich.
Detlef Girke, Externer Berater
00:25:13
Ja, mir auch nicht. Da sind wir uns einig. Ja, aber ich finde, das war ein ganz gutes Schlussplädoyer. "Auch mir geht das nicht schnell genug!" Also ich fasse das mal ganz kurz noch mal zusammen: Der einzige Weg letztlich, um das Thema weiter zu etablieren, ist eigentlich kommunizieren, kommunizieren und noch mal kommunizieren und möglichst viele Abteilungen dann auch zusammenzubringen. Und ich bin ganz froh, dass wir genau das mit dem Projekt iDESkmu auch machen. Und ich glaube, Dein Input seit 2009 hat auf diese Ideen, die wir jetzt in iDESkmu umsetzen, auch ganz, ganz großen Einfluss, weil gerade beim NDR habe ich das ja hautnah auch mitbekommen, wie schwer es ist, überhaupt auch Abteilungen zusammenzubringen, miteinander zum Reden zu bringen über ein bestimmtes Thema und dann auch das Verständnis für dieses Thema Barrierefreiheit zu stärken. Vielen Dank, Christa Schmidt-Klevenow, für dieses sehr aufschlussreiche Gespräch und den guten Input.
Christa Schmidt-Klevenow, ehemalige NDR-Personalrätin
00:26:15
Bitte Detlef und viel Vergnügen!
Detlef Girke, Externer Berater
00:26:18
Vielen Dank!
Nadia David, iDESkmu
00:26:23
Jetzt erhalten Sie die Antwort auf die folgende Frage aus der letzten Episode. Unternehmensinterne und auch unternehmens- übergreifende Zielvereinbarungen bieten zahlreiche Potenziale zur dauerhaften Sicherstellung der IT-Barrierefreiheit in Unternehmen. Welche Voraussetzungen müssen gegeben sein, damit geeignete Zielvereinbarungen ausformuliert, abgeschlossen und auch erfolgreich umgesetzt werden können? Nach den Ausführungen von Christa Schmidt-Klevenow wird diese Frage von Dr. Fabiano Pinatti, tätig als Research Associate und Deputy Director am Lehrstuhl für Computer Supported Cooperative Work and Social Media an der Universität Siegen beantwortet.
Dr. Fabiano Pinatti, Universität Siegen
00:27:02
Zielvereinbarungen sind das Ergebnis von multilateralen Verhandlungen zwischen der Geschäftsführung, Belegschaftsvertreter*innen und auch Interessenvertreter*innen. Sie alle erarbeiten und beschließen gemeinsam die Ziele und Inhalte einer Zielvereinbarung. Dieser Prozess erfolgt offen und transparent für die ganze Belegschaft. So wird sichergestellt, dass alle im Boot sind und auch auf potentielle Widerstände kann frühzeitig reagiert werden.
Nadia David, iDESkmu
00:27:36
Und hier die Frage, die wir Ihnen in der nächsten Episode beantworten werden. Was verbirgt sich hinter der iDESkmu Software Testing Suite? Antwort A: Die iDESkmu Software Testing Suite ist ein Baukastensystem zur Erfassung von IT-Barrieren, mit der zunächst die Grundlagen der Barrierefreiheit geprüft werden. Ist dieser Test erfolgreich verlaufen, können auch erst dann Barrierefreiheits- kriterien wie automatischer Sprachwechsel, Schriftvergrößerung auf 400 % sowie die Kantenglättung im Großbildsystem getestet werden. Die iDESkmu Software Testing Suite ist streng hierarchisch und sehr strukturiert aufgebaut. Das hat den Zusatzeffekt, dass Fehler im Zuge des Testens der Vergangenheit angehören. Antwort B: Die iDESkmu Software Testing Suite ermöglicht die automatisierte Prüfung und Korrektur der Tastaturbedienbarkeit und der Kontraste von Anwendungen in einem Arbeitsgang. Zusätzlich ist der Aufbau und Ablauf der Prüfung individualisierbar. Dadurch wird die Qualität der Prüfergebnisse jedoch nicht gefährdet, da die streng hierarchische Struktur des Tools ein einheitliches Vorgehen jederzeit gewährleistet. Die Unterteilung in die Bereiche Administration, Prüfung und Reporting steigert die Übersichtlichkeit der Prüfung und Ergebnisse. Antwort C: Die iDESkmu Software Testing Suite ist ein modulares, erweiterbares Tool zur Erfassung von IT-Barrieren. Sie besteht aus den Bereichen Administration, dem Prüf- bereich und dem Reporting. Sie ermöglicht eigene Prüfkataloge zu erstellen und zu verwalten und sogar eigene Prüfformen, wie zum Beispiel kooperative Evaluation im Rahmen heuristischer Untersuchungen zu ergänzen. Die iDESkmu Software Testing Suite ist hoch flexibel und individualisierbar. Das heißt, die Nutzerinnen bzw. der Nutzer kann sie selbst nach den eigenen Bedürfnissen aufbauen. Verfolgen Sie nun unseren ExpertenTalk. In unserem heutigen Expertengespräch begrüße ich zwei Unternehmen, die das Projekt iDESkmu als Partner bereits unterstützen. Besonders froh sind wir über die Bereitschaft, sich auszutauschen und die Erfahrungen mit uns zu teilen rund um das Thema Barrierefreiheit. Es handelt sich einmal um das Unternehmen PDV GmbH, 1990 gegründet mit sieben Standorten, hat über 220 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und ist Hersteller der VIS Suite, einem DMS/ECMS- System für die öffentliche Verwaltung in Bund, Ländern und Kommune und Komplett- dienstleister unter Bereitstellung der Produkte Einführungsunterstützung, Support, Betrieb. Alles im Umfeld der E-Akte. Im Gespräch mit der Firma Ceyoniq. Gründung 1989, 160 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, spezialisiert auf Enterprise Information Management und Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung. Hauptstandort der Firma Ceyoniq ist Bielefeld. Entgegen aller Verschwörungstheorien kann Herr Burkamp gleich bestätigen, dass es diesen wunderbaren Ort im Nordosten Nordrhein-Westfalens tatsächlich gibt. Und Sie finden neben Bielefeld das Unternehmen auch in Hamburg und in München. Ich bitte Sie, sich ganz kurz uns noch mal persönlich vorzustellen. Vom Unternehmen Ceyoniq ist der Herr Christian Burkamp heute dabei.
Christian Burkamp, Ceyoniq
00:31:15
Ja, Christian Burkamp ist mein Name von der Ceyoniq. Ich bin bei der Ceyoniq schon seit über 20 Jahren und bin als Bereichsleiter für den Bereich Forschung und Entwicklung zuständig für das Produkt Endscale, das unser ECM-Produkt, unsere ECM-Plattform und bin auch zuständig für die Lösung für die öffentlichen Auftraggeber Endscale E-Gov.
Nadia David, iDESkmu
00:31:34
Herr Werner, mögen Sie sich gleich anschließen?
Andreas Werner, PDV GmbH
00:31:36
Andreas Werner ist mein Name. Ich bin seit 1994 in den Unternehmen der PDV Gruppe tätig, mit sehr unterschiedlichen Aufgaben. Habe auch mal eine Zeit lang unser Produkt federführend entwickelt. Bin bei der PDV Prokurist und beschäftige mich momentan sehr stark mit dem Bereich der Justiz.
Nadia David, iDESkmu
00:32:01
Ja, vielen Dank an Sie beide. Sie haben sich bereiterklärt, heute als Experten bei uns ins Gespräch zu gehen. Darüber freuen wir uns sehr in dem Projekt. Und meine Einstiegsfrage an Sie beide ist: Wie sind Sie persönlich zuerst mit dem Thema Barrierefreiheit konfrontiert worden? Und vielleicht, Herr Burkamp, mögen Sie beginnen?
Christian Burkamp, Ceyoniq
00:32:22
Ja, sehr gern! Und wie Sie schon in der Anmoderation richtig gesagt haben: Bielefeld - die Stadt gibt es tatsächlich. Und meine Geschichte mit der Barrierefreiheit beginnt auch tatsächlich in Bielefeld, wo ich einen Freund kennengelernt habe über eine Freundin. Die brachte ihn mit und der konnte nicht sehen. Und wir haben uns kennengelernt in einem ganz verrückten Setting, wo der mit zum Essen kam. Wir wussten es gar nicht, dass der blind ist und der bestellte sich dann im Restaurant Hummer und wir waren total geflasht, dass der in der Lage war, mit diesem barrierefreien Krustentier umzugehen. Und ein bisschen später kam es durch einen Zufall dazu, dass der wirklich bei uns angefangen hat, bei der Ceyoniq, und als Mitarbeiter bei uns in der Server- entwicklung gearbeitet hat. Und das waren noch die Zeiten von Textbildschirmen. In den 90er-Jahren konnte man noch sehr sehr viel mit Textbildschirmen machen und so nach und nach kam dann das auf, das dann Windows kam mit. Mit JAWS ging es dann los, dass man versucht hat, den Kollegen auch da reinzubringen in diese Welt und verrückterweise, dass wir dann wirklich auch mit Barrierefreiheit für unsere eigene Softwareentwicklung begonnen haben zu beschäftigen, kam erst viel später. Als wir dann über den öffentlichen Auftraggebermarkt eigentlich wirklich darauf gestoßen worden sind. Und dann ist es eigentlich erst losgegangen, dass wir dann auch wirklich unsere Software barrierefrei versucht haben auszugestalten.
Nadia David, iDESkmu
00:33:46
Herr Werner, wie war das bei Ihnen? Das war ja schon eine interessante Einstiegsgeschichte.
Andreas Werner, PDV GmbH
00:33:50
Bei mir war es ähnlich interessant und ähnlich früh. Ich bin das erste Mal tatsächlich mit behinderten Menschen in Berührung gekommen während meines Studiums. Ich habe Informatik in Dresden studiert Anfang der 90er Jahre, Ende der 80er / Anfang der 90er Jahre. Und dort hatten wir einige Kommilitonen, die voll erblindet waren. Und ja, ich habe da immer mit Ehrfurcht auf die Kommilitonen geblickt, weil die waren sehr gut, auch theoretisch sehr gut. Und mir war das vollkommen unklar, wie die Kommilitonen sich dann alles haben merken können. Damals gab es auch schon dedizierte - man kann schon fast sagen, Laptops - das waren so ziemlich klobige, große Maschinen mit ganz, ganz großen Tasten, die die anstelle von Papier vor sich hatten und tatsächlich mit den sehr, sehr großen Tasten haben mitschreiben können. In meiner beruflichen Karriere bin ich das erste Mal wahrscheinlich so vor etwa 17 Jahren in Berührung gekommen mit der Herstellung barrierefreier Software, weil wir einen Kunden hatten, ganz konkret in der Freien und Hansestadt Bremen, wo man uns damals darauf hingewiesen hat, dass es eben diese BITV Richtlinie oder Verordnung gibt, die es umzusetzen gilt damals für unseren Web Client. Und dort war ich auch mit betroffenen Kollegen der Freien und Hansestadt Bremen im Austausch und wir haben uns sehr intensiv über BITV ausgetauscht.
Nadia David, iDESkmu
00:35:17
Wie ging es weiter so in Ihrem Zusammenhang Beruf und Barrierefreiheit?
Christian Burkamp, Ceyoniq
00:35:24
Ich finde, was wirklich schnell auffällt, wenn man sich dann anfängt, mit dem Thema Barrierefreiheit zu beschäftigen, ist, dass es eigentlich so eine Diskrepanz gibt zwischen dem was eine Norm regeln kann und dem, was eigentlich wirklich gebraucht wird. Da kann man so feststellen, finde ich, dass man eben sehr, sehr viel natürlich Buchstaben des Gesetzes hat über die entsprechenden Normungen. Und wenn man das alles strikt einhält, heißt das überhaupt noch nicht, dass dann mit dieser Software oder mit dieser Dienstleistung wirklich jemand barrierefrei was anfangen kann. Das ist immer noch immer noch ein gewisser Unterschied. Und das scheint doch ganz wesentlich zu sein, dass man die Leute, die so was entwickeln, also jetzt unsere Softwareentwickler zum Beispiel, immer wieder auch sensibilisiert dafür, dass eben nicht nur die Standards einzuhalten sind, sondern eben auch die von der Usability her, von der Herangehensweise her, Software wirklich angepasst werden muss daran, dass man eben möglicherweise mit Leuten mit Sehschwächen, vielleicht sogar mit ganz erblindeten Menschen arbeitet und diese Sachen sich wirklich plötzlich ganz anders verhalten müssen, auch ganz anders zugänglich sein müssen.
Nadia David, iDESkmu
00:36:38
Hat es Ihnen dann geholfen, dass Sie, wie Sie vorhin berichteten, einen Mitarbeiter hatten, der selbst Betroffener war?
Christian Burkamp, Ceyoniq
00:36:44
Ja, unbedingt. Also die Sensibilität dafür - ich hab ja schon gesagt, sie ist tatsächlich erst eingetreten, nachdem wir uns dann wirklich auch verpflichtet sahen, das zu machen-, aber das natürlich, wenn man jemanden tatsächlich persönlich kennt, dann hat man natürlich mehr einen Blick darauf, dass die sagen, dass es einfach nicht ausreicht, dass man irgendwo überall mit der Tab -Taste hinkommt, sondern man muss schon dafür sorgen, dass das vielleicht dann nicht 150 Tabdrücke sind, bis man dann wirklich in dem in dem Indexfeld steht, in dem man jetzt dann gerade was was ändern möchte. Und das ist tatsächlich eine Sache, die ist sehr ... Also, ich stelle immer wieder fest, für Sehende sehr, sehr schwer zu greifen, wenn man da eigentlich nicht mit Betroffenen zu tun hat.
Nadia David, iDESkmu
00:37:27
Das ist spannend. Herr Werner, gibt es denn auch in Ihrem Unternehmen bei der PDV die Tendenz dazu, jemanden, der betroffen ist, mit einzubinden in die Entwicklungsprozesse?
Andreas Werner, PDV GmbH
00:37:38
Ja, das möchten wir sehr gerne. Bislang ist es uns aber nicht gelungen, eine Person zu akquirieren, die bei uns mit eingesetzt werden kann. Wir hatten dort auch schon Gespräche mit Kunden, die durchaus hier in Thüringen geneigt waren, bei uns ein Arbeitsverhältnis anzufangen. Das hat sich dann aber leider zerschlagen. Mich hatte immer der Kontakt mit den betroffenen Personen, ganz konkret eben tatsächlich auch mit unserem Produkt, sehr inspiriert. Und ich musste dort auch lernen, dass der Standard das eine ist. Also sehr, sehr starker Fokus auf Tastaturbedienung, auf Vorlese Clients, dann aber tatsächlich die Einschränkungen der betroffenen Personen sehr, sehr weit gefächert sind. Also wir haben sicherlich auch hin und wieder vollblinde Personen, die das dringend benötigen, aber insbesondere eben auch sehr viele Kolleginnen und Kollegen mit Sehschwächen, die mit ganz unterschiedlichen Hilfsmitteln (Bildschirmlupe, teilweise eben aber auch speziellen Tastaturen, speziellen anderen Hilfsmitteln) ausgestattet sind und ganz unterschiedliche Bedürfnisse haben. Also sei es Kontrast, sei es eben wirklich sehr starke Vergrößerungen bis hin eben auch zu Personen, die motorische Einschränkungen haben, die zum Beispiel eben die Maus oder die Tastatur nicht bedienen können. Und ich sehe eben auch tatsächlich das Problem, dass es ein sehr, sehr weites Feld ist und die Unterstützung der Standards das eine ist, aber eben den angepassten Arbeitsplatz, eben das andere. Und man muss eben auch dazu sagen, dass die Informationsfülle, die wir in unserem ja doch sehr komplexen Arbeitsumfeld dort darstellen, für die - ich will es mal so sagen - nicht eingeschränkten Personen tatsächlich in ihrem Gesamtumfang auch nicht immer geeignet sind und man letzten Endes mit dieser Informationsflut umgehen muss und gegebenenfalls eben auch sehr stark auf bestimmte Einsatzfälle den Client letzten Endes optimieren muss. Ja, die Fälle, die Einsatzstelle, die Use Cases, wie wir so schön auf Entwicklerdeutsch sagen, sind natürlich sehr, sehr weit gefächert und das ist tatsächlich sehr schwer, da alles so abzudecken, dass es dann wirklich zugänglich ist für jegliche Form von Einschränkung. Das muss natürlich das Ziel sein, aber man muss da auch ehrlich sein. Die Software wird natürlich nach wie vor entworfen von ... Also primär von Sehenden oder auch in der Regel normal Sehenden. Und dadurch muss man einfach immer wieder diese Sensibilität bei den Entwicklern wecken, damit einfach ... Ich sehe das so ähnlich wie bei den Sicherheitsthemen, wo es auch erst nach und nach eigentlich in das Entwickler- gewissen einsickert, das man eben nicht einfach drauflos programmiert und am Ende testet man dann noch Sicherheit rein. Das ist ... Das wird nichts, sondern das muss natürlich im Kern passieren. Und so ist das ja eigentlich bei den Barrierefreiheitsthemen vielfach auch, dass man eigentlich so von der Konstruktion her relativ früh eigentlich anfangen muss, das Fundament dafür zu legen, damit Sachen navigierbar sind, damit Bedienenkonzepte so sind, dass man tatsächlich auch als Nichtsehender oder seheingeschränkte Personen drauf zugreifen kann.
Andreas Werner, PDV GmbH
00:41:03
Definitiv. Das kann ich nur unterstreichen. Auch von der Entwicklung her sind wir diesen Weg durchaus kontinuierlich gegangen. Wenn ich mich noch daran erinnere, wie wir Anfang der 2000er Jahre Software entwickelt haben. Da spielte das im Entwicklungsprozess noch eine eher geringe Rolle oder man kann es auch deutlich sagen, gar keine Rolle. Mittlerweile ist es so, dass alle geschult sind, mit entsprechenden Checklisten wir arbeiten und versuchen das tatsächlich in den Software-Entwicklungsprozess zu integrieren. Wichtig hier ist zu erwähnen, dass es eben auch beim Design der Anwendung notwendig ist. Und wir haben tatsächlich hin und wieder Kunden, die Anforderungen stellen, die relativ schwer barrierefrei umzusetzen sind, wo wir dann auch schon im Rahmen des Designs der erweiterten Funktionalitäten mit dem Kunden uns auseinandersetzen müssen. Okay, und diskutieren gemeinsam mit unserer Kundschaft darüber, wie wir bestimmte Funktionen dann eben auch tatsächlich barrierefrei umsetzen können bzw. auch, mit welchen Einschränkungen man umgehen kann. Ein Beispiel sind eben Annotations-Funktionen, die zum Beispiel so was wie gelbe Zettel, Anmerkungen direkt auf Dokumenten aufbringen. Das lässt sich natürlich relativ schwer komplett barrierefrei umsetzen, ist aber eine Funktionalität, die an sich jeder haben will. Und da muss man natürlich dann auch Kompromisse eingehen.
Christian Burkamp, Ceyoniq
00:42:27
Beliebt sind ja auch die typischen Stempel, die gerne immer wieder verlangt werden. Dass man sie quasi auch in Software wieder umsetzt, sei ein Relikt aus einer außer Papier Welt, wo natürlich aber viele Anwender daran gewöhnt sind. Das ist schon ... Das macht das Leben schon schwer, wenn man jetzt wirklich visuell einen Stempel gerne setzen möchte auf so ein Dokument. Das ist nicht unbedingt ein barrierefreier Ansatz und das gilt es natürlich auch einfach in der Beratungspraxis dann möglichst weg zu beraten, damit man dann zu Verfahren kommt, die einfach so einem ECM-System besser stehen oder die einfach auch besser zu verwalten sind, wo man dann an strukturierten Daten diese Zustimmung oder was es immer ist, dann was man entsprechend drauf stempeln möchte, auf so ein Dokument dann auch bekommt. Und dabei hilft nicht ... Allein Software macht nicht allein glücklich, sondern man muss schon dann auch wirklich in der Beratungspraxis da reingehen und versuchen, die Prozesse so zu gestalten, dass die überhaupt eine Chance haben, barrierefrei zu werden. Ich glaube, was noch ein Aspekt ist, der auch dazu beiträgt, dass eben Entwickler nicht von Hause aus darauf achten, dass das auch in der Ausbildung eigentlich Barrierefreiheit und Themen rund um die Barrierefreiheit gar nicht so einen Niederschlag finden. Ich glaube, dass ist bislang so, dass mittlerweile Sicherheitsthemen sicherlich viel stärker schon da Einzug gehalten haben, auch in der Ausbildung, während Barrierefreiheit immer noch so Nischenthema ist, wo man eben sagen muss, dass viele neue Entwickler, die wir einstellen, haben damit noch nie Kontakt gehabt und sehen und hören das zum Ersten Mal, wenn sie dann bei uns in die Software reinkommen. Und ich denke mal, da wird sich auch noch was ändern, wird sich auch ändern müssen. Jetzt durch die neue Regelung auf europäischer Ebene, die jetzt auch in Gesetz gekommen ist, würde mich auch interessieren, Herr Werner, wie Sie das sehen. Dass das Gesetz zu dem European Accessibility Act ist ja jüngst Wirklichkeit geworden. Für uns ist ja zum Glück, weil beide Unternehmen schon eine Barrierefreiheit eingestiegen sind nicht so dramatisch. Aber wie schätzen Sie das ein? Wird das für andere Software- produkte auch relevant werden?
Andreas Werner, PDV GmbH
00:44:34
Das glaube ich schon. Ich glaube, diese Barrierefreiheit, so wie sie jetzt das europäische Recht einschließt, betrifft vor allen Dingen eben das, was allgemein auch zur Verfügung steht. Denken wir z. B. an Geldautomaten oder Kassensysteme. Ich gehe jetzt heute in meinen Supermarkt und da gibt es eben plötzlich die Möglichkeit, das alles elektronisch abzuwickeln und dann an so einem Kassensystem nicht mehr gegenüber einer Kassiererin und dem Kassierer das Geld abzugeben. Und diese Automaten, ja ... diese Maschinen sind aus meiner Sicht Stand heute eben nur gering oder gar nicht barrierefrei. Und das wird man sicherlich sehr stark fordern.
Christian Burkamp, Ceyoniq
00:45:15
Ich habe da so den Verdacht, dass die Hersteller, die jetzt in diesem Sektor eben nicht unterwegs sind, so wie wir, die PDV, und die Ceyoniq sind beide ja schon eine Weile auch in diesem Markt öffentliche Auftraggeber unterwegs. Da ist es wahrscheinlich keine große Überraschung. Aber in dem übrigen Softwaremarkt stelle ich mir vor, dass da für viele Hersteller noch eine entsprechende Überraschung kommen wird. Vielleicht so ähnlich wie bei der DSGVO, wo ja auch die Überraschung groß war, als das plötzlich da war, nachdem das eigentlich jahrelang schon schon bekannt war. Aber plötzlich ist es dann ... wird es dann plötzlich scharf, das Gesetz und so wird das wahrscheinlich mit der Barrierefreiheitsverordnung auch kommen, so dass viele Softwarehersteller, die sich noch nicht damit auseinandergesetzt haben, doch heftig an dieses Thema ran müssen. Deswegen finde ich das auch gut, dass diese Regelung kommt. Denn einfach ohne eine Regelung, sie sehen es ja selber, da, wo das nicht verlangt wird, wird es einfach nicht gemacht und dann verbleibt das und entsprechend sind dann eben Nutzer ausgeschlossen, was natürlich eigentlich nicht sein darf.
Andreas Werner, PDV GmbH
00:46:23
Aber ich glaube schon, dass die europäische Gesetzgebung auch dazu führen kann, dass das eben mehr und mehr insgesamt betrachtet wird. Ich halte es eben aber auch für notwendig, dass es einfacher wird. Also ich spreche da insbesondere eben die gängigen Softwareentwicklungs-Tools an. Es kann einfach nicht sein, dass jeder dort, der Software entwickelt, ein Spezialist in diesem Umfeld ist, sondern es muss einfach Tools geben, die einen Entwickler dazu zwingen, solche Software zu schreiben bzw. ihn automatisiert darauf hinweisen, wenn es dort entsprechende Abweichungen gibt. Weil wir merken ja, der Bedarf an Fachkräften ist sehr, sehr groß, insbesondere im Bereich der Softwareentwicklung. Und es kann einfach nicht sein, dass der Aufwand, dort Know-how eben reinzubringen, so groß ist, wie er momentan ist. Sehr mit Freude kriege ich mit, dass Standardsoftware zum Beispiel die Microsoft Produkte, eben Word, dort eben neue Wege gehen und tatsächlich eben bei der Erstellung von einem Dokument dann auch drauf hinweisen können, wenn eben dort irgendwas nicht barrierefrei ist. Und ich wünsche mir, dass mehr und mehr eben auch für die technischen Tools, mit denen wir unsere Entwickler ausstatten, damit eben diese Lernkurve nicht so, nicht so stark ist.
Nadia David, iDESkmu
00:47:46
Es ist mir fast unangenehm, sie beide jetzt bei dieser spannenden Unterhaltung zu unterbrechen, aber wir haben ja nur eine begrenzte Zeit zur Verfügung und ich höre verschiedene, wirklich sehr interessante Aspekte heraus aus Ihrem Gespräch. Vielleicht für unsere Zuhörerinnen und Zuhörer am Ende noch mal ein Tipp von ihnen, wenn man sich als Software entwickelndes Unternehmen der Barrierefreiheit zuwendet: Welche Tipps können sie von ihrer Seite aus geben, wie man damit beginnt? Ich spreche jetzt erst mal den Herrn Burkamp an und dann noch mal den Herrn Werner.
Christian Burkamp, Ceyoniq
00:48:23
Ja, sehr gerne. Also ich kann das wirklich nur sehr raten. Also auch wegen dieser Gesetzeslage, über die wir gesprochen haben. Aber auch generell, weil es einfach wirklich sinnvoll ist, dass das wirklich jeder Benutzer die Möglichkeit hat, auch ein entsprechendes Softwaresysteme zu verwenden, dass man sich damit auseinandersetzt. Um reinzukommen gibt es ganz tolle Beratungsressourcen. Es gibt wirklich ein super engagiertes Netzwerk oder mehrere Netzwerke mittlerweile, die sich rund um die Barrierefreiheit in Software- Produkten beschäftigen. Wenn man nach BITV sucht im Netz, dann findet man da schnelle Ressourcen und gute Ansprechpartner, die da wirklich sehr engagiert, teils ehrenamtlich unterwegs sind und wirklich eine tolle Arbeit leisten. Und zum anderen insbesondere im Web Entwicklungsbereich, ich denke mal, dass ist vielleicht doch so der Mainstream zurzeit, gibt es einfach wirklich grandiose Ressourcen vom W3C, wo man sehr genau erklärt bekommt, was da zu tun ist und wie man das anstellen kann in Webanwendungen. Da gibt es eigentlich sehr, sehr viel Material, mit dem man da gut einsteigen kann.
Nadia David, iDESkmu
00:49:25
Ja, danke! Herr Werner, haben Sie noch Tipps?
Andreas Werner, PDV GmbH
00:49:28
Das sehe ich auch so. Für uns war es ganz, ganz wichtig, dass wir entsprechende Standards bei uns im Unternehmen schaffen. Das heißt also bestimmte Checklisten oder Prüftpunkte von der Entwicklung hin, dass also jeder weiß, wenn ich einen Menüpunkt neu einbringe in die Software, dann muss der eben auch in die richtige Reihenfolge, es muss eine alternative Beschreibung her, damit das alles sofort funktioniert. Und es wird eben auch innerhalb der Qualitätssicherung dann eben gegen getestet, damit man eben nicht nur das Know-how reinbringt grundsätzlich, sondern eben dann auch die Qualität, die kontinuierliche Qualität der Barrierefreiheit der Produktentwicklung herstellen kann.
Nadia David, iDESkmu
00:50:12
Ganz herzlichen Dank an Sie beide, dass Sie erst mal überhaupt hier miteinander gesprochen haben als Vertreter der PDV GmbH und der Ceyoniq Technology GmbH. Ist etwas ungewöhnlich, dass im Grunde zwei Wettbewerber mit miteinander in ein Expertengespräch gehen. Dafür noch mal ganz herzlichen Dank und ich wünsche Ihnen beiden weiterhin viel Erfolg und freue mich auf die weitere Zusammenarbeit mit Ihnen.
Andreas Werner, PDV GmbH
00:50:36
Ja, das wünsche ich auch. Und ich möchte nochmal sagen, dass ich es toll finde, dass es so viele engagierte Leute gibt, die sich für diesen sehr wichtigen Bereich einsetzen und dieses Thema voranbringen. Ich glaube, durch diesen oder ohne diesen engagierten Einsatz wären wir nicht da, wo wir heute stehen.
Christian Burkamp, Ceyoniq
00:50:55
Da kann ich mich nur anschließen. Vielen Dank für die tolle Arbeit, die da geleistet wird.
Nadia David, iDESkmu
00:51:02
Das Team von iDESkmu bedankt sich bei Christa Schmidt-Klevenow sowie Andreas Werner und Christian Burkamp für die Unterstützung des Projekts durch ihre Beiträge. Hier der Hinweis noch mal auf unsere Shownotes. Sie finden dort neben den Hintergrundinformationen zu unseren Gesprächspartnern grundsätzlich umfangreiche Quellenangaben und Tipps rund um die Beiträge und Themen dieser Episode. In der nächsten Episode erfahren Sie von unserem externen Berater Detlef Girke alles über die iDESkmu Testing Suite. Im anschließenden Gespräch mit Stefan Schnürer vom Ministerium für Energie, Infrastruktur und Digitalisierung in Mecklenburg-Vorpommern geht es um das Thema Angebotsbewertung und Auswahl im Rahmen von Ausschreibungsverfahren. Es freut uns, wenn wir Ihr Interesse geweckt haben. Abonnieren Sie diesen Podcast und teilen Sie ihn mit Ihrem Netzwerk und folgen Sie uns auf Facebook oder Twitter. Lernen Sie uns gerne besser kennen und besuchen Sie unsere Webseite unter www.projekt-ideskmu.de Bei offenen Fragen oder neuen Fragen, die sich für Sie ergeben haben, freuen wir uns auf eine Nachricht von Ihnen. Das war die Episode #11 der Podcast Serie KLARTEXT FÜR IT OHNE BARRIEREN zu dem Projekt iDESkmu. Mein Name ist Nadia David. Vielen Dank für Ihr Zuhören.