Was wissen wir wirklich über den Zusammenhang zwischen Gewicht und Gesundheit?
26.04.2025
17 min
Zusammenfassung & Show Notes
In dieser Folge spreche ich über zwei Vorstellungen rund ums Thema Gesundheit, die sehr hartnäckig sind – und die leider immer wieder dafür benutzt werden, dicke Menschen zu diskriminieren (und außerdem Körperakzeptanz sehr schwer machen)
Ich erzähle dir, warum wir unsere Gesundheit nicht mit unserem Verhalten kontrollieren können und warum das gängige Bild „dick ist ungesund, dünn ist gesund“ so gar nicht stimmt.
Dabei werfe ich einen Blick auf das, was die Forschung wirklich sagt – und das ist oft viel weniger eindeutig, als wir denken.
Inhalte:
01:00 Ergänzung zur letzten Folge (Healthism)
02:30 Idee 1: Wir können mit unserem Verhalten unsere Gesundheit stark beeinflussen
06:40 Idee 2: Dick sein ist ungesund und dünn sein ist gesund
11:55 Vorurteile und Forschung
14:43 Fazit und Ausblick auf nächste Folge
Zum Weiterlesen und -hören:
Schleifer, Petra & Dr. Post, Antonie (2022): Gesundheit kennt kein Gewicht.
Hallo und herzlich willkommen beim Podcast Körper und Gesellschaft,dem Podcast für das Thema Körperakzeptanz und mein Name ist IraSchumann.In dieser Folge geht es noch einmal das Thema Gesundheit undzwar konkret zwei Ideen rund das Thema Gesundheit, dieimmer wieder verwendet werden, die Diskriminierung dicker Menschen zu rechtfertigen.Außerdem erschweren beide dieser Ideen es vielenMenschen, ihren Körper so zu akzeptieren, wie er ist, mit dem Gewicht, was er ebengerade hat. Und ein Spoiler vorab, es stellt sichheraus, dass das, was wir im Alltag über Gesundheit und Gewicht wissen, garnicht so klar ist, wie oft getan wird. Ok, lass unsloslegen.Bevor ich so richtig rein starte, habe ich noch eine Ergänzung zurletzten Folge, in der es um ein Phänomen namens Healthism oder Healthismusging, von dem auch in dieser Folge wieder die Rede sein wird.Was ich noch ergänzen wollte, ist, dass das Denken,dass Gesundheit das Ergebnis einer Anstrengung ist. Also diese Idee, dasswenn man nur genug leistet, wenn man sich nur genug anstrengt, dann kann man gesundsein, dass dieses Denken wahrscheinlich auch deswegen soverlockend ist, weil es eben das Bedürfnis nach Kontrolle und Orientierung erfülltoder ein ganzes Stück weit erfüllt. Ich hatte hier im Podcastja schon mal von den vier psychologischen Grundbedürfnissen erzählt, auf dieich mich im Coaching öfter beziehe. Mit diesem Modell arbeiteich öfter. Und eines dieser Bedürfnisse ist eben dasBedürfnis nach Kontrollen, Orientierung Und die Idee,dass ich meine eigene Gesundheit, meine eigene Lebensdauer sogar kontrollierenkann, indem ich mich in Anführungszeichen richtig verhalte, alsozum Beispiel auch wieder in Anführungszeichen das richtige esse, kannsehr, sehr attraktiv wirken in einer Welt, in der ich eigentlich wenigwirklich kontrollieren kann oder in der vieles fürmich nicht kontrollierbar ist. Ich stelle gleich da, dassdiese Idee, also diese Idee von Kontrolle, dass das nicht stimmt,aber mir ging es darum eine mögliche Erklärung zu ergänzen, warumHealthismus als Ideologie auch so anziehendund überzeugend sein kann. Und damitkomme ich direkt zur ersten Idee, die es heute gehen wird, Nämlichdie Idee, wir können mit unserem Verhalten unsere Gesundheitstark beeinflussen. Ich hatte letzte Folge schon gesagt, dass ich dazu heutemehr sage. Das kommt also jetzt. Genau wie es ebenschon anklang, es wird oft so getan, als könnten wireben über unser Verhalten unsere Gesundheit kontrollieren. Also indem wir zumBeispiel ein bestimmtes Gewicht erreichen durch Abnehmen, indemwir eben das richtige Essen, viel Sport machen,den richtigen Sport machen, indem wir positiv denken undmöglichst wenig Stress haben, indem wir genügend und auch hier wieder Anführungszeichenrichtig schlafen und so weiter und so fort.Ich vermute, die meisten von uns kennen diese Ideen, mitdenen man vermeintlich die Gesundheit kontrollieren kann. Und ebenHinter dieser Idee von Kontrolle über unsere Gesundheit steckt eben Healthismoder Healthismus. Und noch mal zur Erinnerung, diezentralen Ideen von Healthism lassen sich so auf den Punkt bringen, dieeinzelne Person wird als verantwortlich für ihre eigene Gesundheit gesehen undes wird erwartet, dass jede oder jede allesmögliche dafür tut, gesund zu sein. Unddiese Ideen sind uns sehr vertraut, also die kennenwir auch schon von klein auf und viele von uns leben auch danach. Abernur weil Ideen uns vertraut sind, heißt es nicht, dass sie wahr sind.Denn wir haben gar nicht so viel Kontrolle über unsere Gesundheit, wiesuggeriert wird. Denn ja, unser Verhalten spielt eine Rolle,Aber unsere Genetik, gesellschaftliche Faktorenund unsere Umwelt haben einen viel, viel größeren Einfluss. Alsogesellschaftliche Faktoren bedeutet zum Beispiel, wie es auchin der letzten Folge schon anklang, sowas wie Armut,Diskriminierung, Zugang zu guter Gesundheitsversorgung oderauch Trauma. Das ist nur ein kleiner Ausschnitt, das kann auch viel mehr bedeuten.Und Umweltfaktoren kann sowas bedeuten, wie zum Beispiel Luftverschmutzungoder auch eben die Folgen von Klimawandeln. Esgibt unterschiedliche Angaben dazu, wie viel Einflusswir konkret mit unserem Verhalten auf unsere Gesundheit haben. Die Prozentzahlen,die an verschiedenen Stellen genannt werden, sindein Stück weit unterschiedlich. Aber die haben immer gemeinsam, dassder Einfluss den Faktoren wie Ernährung und Bewegung auf die Gesundheit haben,viel geringer ist, als im Alltag von den meisten Menschenangenommen wird. Und als ein Beispiel hiermal ein Zitat mit konkreten Zahlen. Ich zitiere,Forschende haben herausgefunden, dass Ernährung und körperlicheAktivität zusammen nur etwa 10 Prozent derGesundheit einer Bevölkerung ausmachen. Andere gesundheitsförderndeVerhaltensweisen, die wir individuell beeinflussen können,machen weitere 20 Prozent aus." Zitat Ende.Dieses Zitat stammt aus dem Buch Gesundheit kenntkein Gewicht. Die Autorinnen beziehen sich dabei auf zweiStudien aus den USA, also mit diesen Zahlenangaben. AlleLinks findest du in dem Buch und die Studien findest du in den Show Notes.Und wenn du dich jetzt fragst, was mit andere gesundheitsfördernde Verhaltensweisengemeint ist, Also das, was im Zitat genannt wurde.Dann, eine der zitierten Studien schaut sich neben Ernährungund Bewegung auch folgende Faktoren an: Tabakkonsum, Alkoholkonsum,Geschlechtskrankheiten und Teenagerschwangerschaften. Alsodas ist in diesen 20% mit drin. Alsowenn wir jetzt wieder ein Stück rausgehen aus diesen ganzkonkreten Zahlen, dann lässt sich sagen, dass die Gesundheiteiner Bevölkerung also zu 70 Prozent von Faktorenbestimmt wird, die einzelne Menschen gar nicht beeinflussen können.Und trotzdem wird so getan, als könnten Menscheneben ihre Gesundheit kontrollieren. Und Menschen,die vermeintlich unverantwortlich mit ihrer Gesundheit umgehen, werden ausgegrenzt.Das hatte ich ja in der letzten Folge erklärt. Das betrifft unter anderem dickeMenschen ganz massiv. Und damit komme ich auch schonzur zweiten Idee, die es hier gehen soll, nämlich dicksein ist ungesund, dünn sein ist gesund. Ich habe die Idee hier schonim Podcast mehrmals erwähnt und immer auch wieder im Zusammenhang mitVorurteilen. Aber heute will ichsie nochmal genauer anschauen und auch so ein bisschen schauen, was wir aus der Forschungerfahren können. Also wenn man so allgemeinMenschen auf der Straße fragen würde, dann wäre der Zusammenhangzwischen Gesundheit und Gewicht wahrscheinlich völlig klar. Dünnsein ist gesund und dick sein ist ungesund. Aber wenn wir uns genauer anschauen,was es wirklich an Wissen dazu gibt, dann wird es sehr schnell viel unklarer.Und bevor ich einen kurzen Einblickin die Forschung gebe, ist mir aber wichtigzu sagen, dass es mir hier nicht darum geht zu beweisen, dass dickeMenschen auch gesund sein können, beziehungsweise dass sie genauso gesund sein könnenwie dünne Menschen. Denn wenn ich das machen würde, würde ich weiterhinin der Logik von Healthism oder Healthismus verbleiben. Also woes darum geht, dass der Wert eines Menschen danach beurteilt wird, wiegesund er ist oder wie gesund sie ist und wiesehr sich die Person anstrengt, gesund zu sein. Aberob wir gesund sind oder nicht, hat nichts mit unserem Wert als Menschzu tun. Also selbst wenn diese Vorurteile über dicke Menschen alle wahr wären,alle dicken Menschen ungesund leben und früher sterben würden,dann würde das nichts daran ändern, dass dicke Menschen diegleichen Zugangs- und Teilhabemöglichkeiten haben sollten wie alle anderen Menschen.Also niemand muss sich Menschenrechte verdienen und nichts rechtfertigtDiskriminierung. Das war mir noch mal wichtig zu sagen. Undjetzt können wir mal gucken, was die Forschung sagt. Genau,immer wieder erscheinen so Berichte, also Presseberichtevor allem auch, in denen es zum Beispiel darum geht, dassein hohes Körpergewicht zum Beispiel schlecht ist fürs Herzoder dass ein hohes Gewicht ein Risikofaktor ist für bestimmte Krankheiten. Ichhabe mich dagegen entschieden, ganz konkrete Beispiele zu nennen für solcheBerichte, weil die Überschriften oft verletzende Sprache enthalten. Aberwenn du selbst schauen möchtest, dann kannst du zum Beispiel online mit den Begriffen hohesGewicht, Gesundheit suchen unddann kommst du bei den entsprechenden Schlagzeilen raus. Diese Berichteerscheinen oft dann, wenn eine neue Studie veröffentlicht wurde. Esentsteht dann dadurch eben der Eindruck, als gäbe es unzählige Studien, die ganz klarbeweisen, dass Dicksein ungesund ist. Aber diesenklaren Beweis gibt es nicht. Denn diese Studien zeigennur eine Korrelation, aber keine Kausalität. Kausalitätbedeutet eine eindeutige Ursache-Wirkungsbeziehung.Also A verursachtB. Aber diese Kausalität zeigendie Studien, die immer wieder zu hohem Körpergewicht angeführt werden, nicht.Also sie zeigen maximal, dass ein hohes Körpergewicht irgendwiein Beziehung zu zum Beispiel Herzproblemen auftritt, Aberwas das genau heißt, wissen wir nicht. Und was genau der Zusammenhang ist, das wissenwir eben nicht. Könnten die häufigeren Herzprobleme aucheine Folge von vielen Diäten sein, die die meisten dicken Menschen in ihrem Leben machen?Ja, das wäre möglich. Undkönnten die häufigeren Herzprobleme auch eine Folge von dem Stress sein, der durch ständigeDiskriminierung entsteht? Ja, auch das wäre möglich. Zubeiden Themen erzähle ich in der nächsten Folge mehr, aber an dieser Stelle möchte ichfesthalten, wir kennen den Zusammenhang zwischen einem hohen Körpergewichtund bestimmten gesundheitlichen Problemen nicht. Und trotzdem wird uns ständig suggeriert,als wäre dieser Zusammenhang total klar. Eswird ständig behauptet, der Zusammenhang wäre total klar. Wasdagegen aus der Forschung klarer wird, es ist nichtmöglich, vom Gewicht einer Person auf ihre Gesundheit zu schließen. PetraSchleifer und Antonie Post schreiben dazu in dem Buch,was ich vorhin schon erwähnt habe Gesundheit kennt kein Gewicht, Zitat anfangen,Wer behauptet, dass ein hohes Körpergewicht bestimmte Krankheiten verursacht,ignoriert hunderte Studien, die zeigen,dass wir anhand des Körpergewichts keine verlässliche und konkreteAussage über die körperliche oder geistige Gesundheitoder das mentale Wohlbefinden einer Person machen können."Spannend ist übrigens auch, dasses auch Studien gibt, die sogar positiveZusammenhänge zwischen höherem Körpergewicht und Gesundheit herstellen. Aberdie werden spannenderweise oder eben auch, ja, vielleicht auchnicht spannenderweise, werden diese Studien viel, viel weniger zitiert. Ichwerde in den Shownotes eine Podcast-Folge von Maintenance Phase,das ist ein Podcast, diewerde ich verlinken, wo mehrere Beispiele dazu genannt werden. Der Podcast ist auf Englisch,aber es gibt online ein Transkript, was man natürlich auch einfach sich relativ schnellonline übersetzen lassen kann. Alsoich halte fest, der Blick auf die Forschung zeigt, dass es sich bei Dickseinist Ungesund und Dünnsein ist gesund nicht gesichertes Wissen handelt.Und trotzdem denken die meisten Menschen, dassicher zu wissen. Und so wird es auch eben immer wieder kommuniziert.Und wenn du dich jetzt fragst, wie kommt das,also wie kommt das, dass diese Vorurteile aber irgendwie als wahrimmer wieder kommuniziert werden. Das liegt daran, dassForschung und auch Berichte über Forschung eben genauso vonVorurteilen beeinflusst werden wie alle anderen Lebensbereiche. Alsodas bedeutet, dass Vorurteile, die wir alle von klein auf lernen, wie zum Beispiel Dickseinist ungesund, auch in Forschung einfließen. Undzum Beispiel heißt das, das fließt ein in die Art, wie Fragestellungenin Studien formuliert werden, welche Daten inStudien erhoben werden und wie diese Daten dann interpretiert werden. Natürlichfließen diese Vorurteile auch an der Stelle schon ein, wo es darumgeht, welche Studien überhaupt Geld bekommen, welche Studien überhaupt finanziert werden.Vorurteile spielen dann eben aucheine Rolle dabei, welche veröffentlichten Studien dann Aufmerksamkeit findenund in Presseberichten überhaupt aufgegriffen werden. Und,man kann sogar einen Schritt weiter gehen, nicht nur beeinflussen Vorurteiledie heutige Forschung, sondern das Vorurteil,dass dicke Menschen ungesund sind, existierte schon lange, bevores vermeintlich in Studien bewiesen wurde. Also bewiesen in großenAnführungszeichen. In der verlinkten Podcast-Folge vonMaintenance Phase wird zum Beispiel erwähnt, dass schonim 17. Jahrhundert Erzählungen von einer "Adipositas-Epidemie" auftauchten.Und dieseErzählungen existieren ja heute noch oder sie existieren heute wieder. Diesind schon älter alsdie Forschung zum Zusammenhang zwischen hohem Körpergewicht undGesundheit. Hier gibt es übrigens eine, ja, vielleichtgar nicht so überraschende Parallele zum Thema Rassismus, wo esrassistische Vorurteile schon gab und dann Wissenschaft dazugenutzt wurde, diese zu beweisen. Also beweisen hierauch wieder in großen Anführungszeichen, denn natürlich wurde das nicht bewiesen, aberWissenschaft wurde eben genutzt, vermeintlich zubelegen, dass weiße Menschen diebesseren Menschen sind und höherwertiger sind etc. Und TupokaOgette hat ein Buch geschrieben vor mehreren Jahren, das heißt Exit Racism,auch das findest du in den Shownotes, und darin schreibtsie, Zitatanfang, "Gesellschaftliche Zustände unddie ideologische Untermauerung derselben laufen nicht parallel ab. Daseine folgt dem anderen. Also zuerst sindda gesellschaftliche Zustände und dann erstkommt die ideologischeUntermauerung." Also dann kommt erst das, inAnführungszeichen, Beweisen durch sowas wie Studien durch Wissenschaft.Okay, ichkomme so langsam am Ende an. Einfach das nochmal, weiles jetzt relativ viel war, nochmal zusammenzufassen. In dieser Folge ging es zwei Ideen,die immer wieder angeführt werden, wenn es darum geht, dass Menschen aufgrund ihresKörpergewichts vermeintlich ungesund sind oder vermeintlich unverantwortlich mitihrer Gesundheit umgehen oder wenn Menschen abnehmen sollten, sichanders ernähren und mehr bewegen sollten, dann werdenauf diese zwei Ideen herangezogen und damit wird argumentiert. Aber beimgenaueren Hinschauen stellt sich heraus, dass die Ideen eine Menge Vorurteileenthalten und eben gar nicht wissenschaftlich bewiesen sind oder wissenschaftlich belegtsind. Und trotzdem gehören sie zum Alltagswissen dermeisten Menschen und beeinflussen, wie wir verschiedene Körperformen und wiewir Verhaltensweisen beurteilen. Und natürlich beeinflussen sie auchganz stark, wie wir auf unsere eigenen Körper schauen. Diese Ideenhaben eine Menge problematische Auswirkungen. Dazu gab es ja auch schon einiges inder letzten Folge. Und eben eine dieser problematischen Auswirkungenist, dass sie diese Ideen eine Hürde darstellen, einHindernis darstellen für Menschen, die freundlicher mit ihrem Körper umgehenwollen und die ihn akzeptieren wollen. Mit dem Gewicht, was ihrKörper jetzt hat und was er zukünftig haben wird. Und wennwir ehrlich über den Zusammenhang zwischen Körpergewicht und Gesundheit sprechen wollen würden,dann sollten wir viel mehr auf die Auswirkungen anderer Faktorenschauen, nämlich auf die Auswirkungen vonDiäten, von Diskriminierung und von verinnerlichter Fettfeindlichkeit.Dazu erzähleich mir in der nächsten Folge, die in einer Woche erscheint. Bisdahin und tschüss.