Netz-fest für faire Digitalisierung.

Ein Podcast von OXFAM und der lpb bw
Since 09/2022 7 Episoden

Netz-Fest Fokus: Datenschutz, Innovation + Effizienz mit Dr. Stefan Brink

26.01.2023 24 min Katrin Steglich I OXFAM Deutschland

Zusammenfassung & Show Notes

Katrin Steglich (OXFAM) im Gespräch mit Dr. Stefan Brink, dem ehemaligen Landesbeauftragten für datenschutz und Informationsfreiheit in Baden-Württemberg. Heute leitet er als geschäftsführender Direktor, das von ihm gegründete, ausseruniversitäre, wissenschaftliche Institut WIDA in Berlin.

Transkript

KI Linda
00:00:00
Das Digitale ist inzwischen überall. Die Versprechen, dass damit alles besser wird, haben sich nicht für alle bestätigt. In dieser Podcast-Reihe gehen wir der Frage nach, wie eine Digitalisierung aussehen kann, die zu einer lebenswerteren Welt beiträgt, z.B. indem sie Ungleichheit verringert, und Gleichberechtigung, Nachhaltigkeit sowie die Zivilgesellschaft stärkt.
Katrin Steglich
00:00:28
Herzlich willkommen zu Netz-Fest, der Oxfam Podcast Reihe, die sich dem Thema „Faire Digitalisierung“ widmet, die in Kooperation mit der Landeszentrale für politische Bildung Baden Württemberg entsteht. Mein Name ist Katrin Steglich und heute spreche ich mit dem Noch-Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit Baden Württemberg, Dr. Stefan Brink. Sechs Jahre gestaltete er seine Behörde zu einer innovativen Kraft in Sachen Datenschutz und Informationsfreiheit. Er hat sich einen Namen gemacht für unkonventionelles Vorgehen, seien es die Kunst und Kulturprojekte, das Zurverfügungstellen einer Mastodon Instanz als Service und Alternative zu Twitter für die baden württembergische Verwaltung oder auch sein proaktives Beratungsangebot, insbesondere auch an Unternehmen. Er hat eine Fülle an Videos und Podcasts zum Thema publiziert, um das Thema greifbar zu machen. Davor war er Richter am Verwaltungsgericht Koblenz sowie wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Bundesverfassungsgericht. Vielen Dank, Stefan Brink, dass Sie sich die Zeit nehmen für dieses Interview!
Stefan Brink
00:01:33
Na klar, sehr gern - ich freue mich!
Katrin Steglich
00:01:36
Nun ist es ja so, dass Datenschutz oft als störend, wenn nicht gar als innovationsfeindlich empfunden wird. Wobei der Begriff „innovativ“ in diesem Zusammenhang gerne so verstanden wird, dass Daten unkontrolliert und zu jedem beliebigen Zweck verwendet werden können sollten. Gerne wird der Begriff Innovation auch in Bezug auf die Big Tech Konzerne verwendet. Dies überrascht, denn sind es nicht gerade die Big Tech Konzerne, die seit Jahren Innovationen aufkaufen, um sie allen am Markt als Konkurrenz zu verhindern? Deshalb möchte ich heute gerne mit Ihnen über Innovationskraft und Effizienzgewinne im Datenschutz sprechen. Diese beiden Begriffe werden in der Öffentlichkeit gerne als Gegenpol zum Datenschutz dargestellt. Ist es aber nicht eher so, dass der Datenschutz ähnlich der Total Quality Management Bewegung der 1990er Jahre Blindleistung und Blindkosten verhindert, wenn er von Anfang an mitgedacht wird? Also dass gerade durch Datenschutz und Datenethik Innovationen gestärkt und Effizienzgewinne erleichtert werden?
Stefan Brink
00:02:32
Ja, das sollte tatsächlich so sein. Und wenn wir Datenschützer einen guten Job machen, dann ist das tatsächlich auch so. Diese Gegenüberstellung von Innovation auf der einen und Datenschutz auf der anderen Seite ist ein sehr gelungenes Framing von Seiten vieler, die schlicht und ergreifend das Interesse haben, unsere persönlichen Daten, unsere Informationen, wirtschaftlich zu verwerten. Und alles, was sich diesem wirtschaftlichen Verwertungslogik entgegenstellt, wird dann als innovationsfeindlich, altbacken, irgendwie hinderlich und ewig gestrig dargestellt. Es ist eben tatsächlich ein Framing. Schon diese Gegenüberstellung stimmt nicht. Wir müssten bei richtiger Analyse gegenüberstellen: auf der einen Seite den Wunsch von vielen, auch Tech-Konzernen und auch vielen Startups, mit unseren persönlichen Daten Geschäftsmodelle zu betreiben, und auf der anderen Seite den Wunsch der Betroffenen, der Verbraucherinnen und Verbraucher, durchaus moderne Technik zu nutzen, insbesondere zu Kommunikationszwecken, aber dabei eben nicht blindlings die eigenen Rechte aufzugeben, sondern dabei möglichst viel der eigenen Rechte, zum Beispiel auch der Persönlichkeitsrechte - das Recht zu wissen, wer was über mich weiß und des Rechts, darüber selbst zu bestimmen, wer meine persönlichen Informationen hat, darüber selbst zu bestimmen - das ist die richtige Gegenüberstellung. Und deswegen sehe ich es inzwischen mit großer Gelassenheit, wenn Datenschützer als innovationsfeindlich dargestellt werden. Das stimmt einfach nicht und lässt sich, glaube ich, auch relativ gut widerlegen.
Katrin Steglich
00:04:00
Ja, da habe ich ein sehr schönes Zitat gefunden von Nishant Bhajaria, Head of Privacy Engineering and Governance bei Uber: „Datenschutzprobleme sind oft ein Indikator für echte Probleme in einem Unternehmen. In Wachstums Perioden neigen Unternehmen dazu, Fehler bei der Erfassung, dem Zugriff und der Speicherung von Daten zu machen. Diese Fehler erschweren es oft weiterhin innovativ zu sein und zu wachsen.“
Stefan Brink
00:04:24
Ja, kann ich aus meiner Praxis bestätigen, dass es genauso ist. Wer beim Datenschutz schlecht aufgestellt ist, der wird auch mit Sicherheit kein nachhaltiges Geschäftsmodell betreiben, selbst wenn das eine ganze Zeit lang nicht auffällt und sich auch niemand von den Kunden beschwert, weil sie sagen „Na ja, das scheint so zu sein, dass ich meine persönlichen Daten da eben eingeben muss. Das ist sozusagen meine Bezahlung für den neuen Dienst.“ Häufig merkt man an den Datenschutzfehlern, dass auch das Geschäftsmodell selbst hinkt und nicht wirklich funktioniert, also insbesondere zum Beispiel nicht transparent darlegen kann, wie es eigentlich funktioniert. Wenn es transparent wäre, könnten sich die Nutzerinnen und Nutzer ein viel besseres Bild davon machen. Will ich das eigentlich haben? Will ich dafür auch bezahlen und sei es mit meinen Daten. Oder will ich das eben nicht? Und dann gibt es häufig diese klandestinen Geschäftsmodelle, dass man dann erst mal die persönlichen Daten hinterrücks einsammelt. Wenn der Nutzer das feststellt, dann wird er böse und dann kündigt er den Dienst ab und dann ist auch Schluss mit dem schönen neuen Geschäftsmodell. Also das ist ein guter Indikator, wenn ich datenschutzkonform aufgestellt bin, wenn ich transparent gearbeitet habe, wenn ich auch die Interessen meiner Nutzerinnen und Nutzer einbezogen habe in meiner eigenen Überlegung, dann bin ich nachhaltig. Und dann wird das Geschäftsmodell jedenfalls eher funktionieren, als wenn ich im Prinzip von vornherein auf Intransparenz setze, auf Übertölpelung, auf Übervorteilung meiner Kundinnen und Kunden. Und insofern kann ich das bestätigen das Zitat.
Katrin Steglich
00:05:48
Innovation entsteht ja in der Regel nicht im luftleeren Raum, sondern durch Herausforderungen, also durch Beschränkungen, die provozieren und befördern. Denken wir an die Begrenzung unserer fossilen Ressourcen. Dies hat zur Entwicklung alternativer Energiegewinnung geführt oder denken wir an Gesetze zum Schutz der Umwelt, die zu neuartigen technischen Verfahren führen, die unsere Natur entlasten. Welche Assoziationen ergeben sich aus dieser Perspektive für den Datenschutz?
Stefan Brink
00:06:15
Zunächst mal müssen wir als Datenschützer einräumen, dass wir schon auf der Regulierungsseite stehen. Dass es natürlich viel hipper und schöner ist, zunächst mal zu sagen da ist ein neuer Raum, auch ein technischer Raum, den wir innovativ ausfüllen. Das hört sich großartig an, nach Aufbruch und nach Selbstbestimmung, Freiheit und Abenteuer. Es ist kein Zweifel- wir Datenschützer stehen auf der Regierungsebene, also sind der zweite gedankliche Schritt. Der erste Schritt besteht darin, einen neuen Möglichkeitsraum zu füllen, eben auch mit technischen Innovationen. Und der zweite Schritt heißt dann aber eben häufig, dass man neben dem Interesse an neuen Formen und eben auch dem Interesse an wirtschaftlichem Gewinn, auch gegenläufige Interessen einbeziehen muss. Und das läuft eben häufig nur über die Regulierungsebene. Warum ist das so? Weil die schöne Vorstellung vom Ausgleich der Interessen eben häufig nicht funktioniert. Weil wir tatsächlich häufig nicht auf Marktsituationen setzen können, bei denen man davon ausgeht, dass früher oder später der Anbieter die Interessen der Nachfragenden fair berücksichtigen wird. Nein, wir brauchen tatsächlich eine Regulierung, häufig eben auch eine staatliche Regulierung. Und das ist natürlich alles andere als sexy und abenteuerlich, sondern das ist zunächst mal eingrenzend, beschränkend für diejenigen, die da an der Front gelaufen sind und tolle neue Räume ausgelotet haben. Aber es ist eben Voraussetzung dafür, dass solche innovativen Technologien am Ende auch sozial gerecht genutzt werden können. Dass nicht immer nur der Schnellere und der Stärkere und der Unverschämte und derjenige, der in der Lage ist, andere möglichst hinters Licht zu führen, am Ende obsiegt, sondern dass wir tatsächlich auch sozial verträgliche moderne Nutzungen haben. In einer idealen Welt würde das der Anbieter alles mitbedenken und würde eben nicht versuchen, über sein Geschäftsmodell so den Schleier des Nichtwissens drüber zu legen und zu hoffen „Na ja, das wird schon keiner merken.“ In einer idealen Welt ist auch der Anbieter von vornherein fair. Die Realität zeigt uns: on the long run mag das so sein, auch z.B. in wesentlich weniger regulierten Gesellschaften wie den USA. Aber wir haben in Europa jedenfalls gute Erfahrung auch mit Regulierung gemacht. Auch Regulierung kann die Grundlage für Freiheitsentfaltung sein, eben nicht nur der Anbieter, sondern eben auch der Nachfragenden. Und deswegen ist meine Idee, Regulierung nicht immer nur als einschränkend und belästigend zu empfinden, sondern den Freiheitsfaktor auch dort zu sehen. Jedenfalls eine gute Regulierung macht nichts anderes als gegenläufige berechtigte Interessen in dem Fall der Nutzerinnen und Nutzer einzubeziehen.
Katrin Steglich
00:09:09
Eine eher philosophische Betrachtung könnte ja auch sein, dass Innovationen und Effizienz nur innerhalb eines Werterahmens eine Daseinsberechtigung haben. Zerstören sie diesen Werterahmen, würde sich die Frage stellen, wozu wir diese Innovation brauchen oder wozu der Werterahmen uns dient. Anders ausgedrückt: Innovation ist nicht an sich wertvoll, sondern erst im Kontext der eigenen Werte. In diesem Sinne, da der Datenschutz letztlich Persönlichkeitsrechte und Menschenrechte schützt, könnte er als Innovationsnavigator dazu dienen, Innovationen in diesem Kontext zu bewerten?
Stefan Brink
00:09:46
Absolut. Das ist auch meine Idealvorstellung von unserer Rolle. Genau mit Bezug auf den Werterahmen, den wir haben und den wir glücklicherweise auch im großen Kontext haben. Wir haben es ja geschafft, z.B. mit der europäischen Datenschutzgrundverordnung einen europäischen Werterahmen zu schaffen, der weltweit nicht nur Beachtung findet, sondern auch von uns durchgesetzt wird. Im Hintergrund steht ein häufiges Missverständnis in diesem Kontext. Häufig wird uns gerade von Seiten der Wirtschaft suggeriert, dass Innovation an sich etwas Gutes wäre. Und sobald es sozusagen eine technische Möglichkeit gibt, die Entscheidung darüber schon getroffen sei, dass sie auch genutzt wird. Das ist aber falsch. Es ist letztlich eine demokratische Entscheidung, welche technischen Möglichkeiten wir nutzen wollen. Und das ist vollkommen zu erwarten und auch okay, sozusagen, dass wir nicht alles, was technisch möglich ist, auch tatsächlich umsetzen. Also auch dort hat Regulierung ihren Sinn. Wenn wir feststellen, wie zum Beispiel im Kontext von neuen Technologien zur Gesichtserkennung, dass die so schwierig sind, dass die so stark in unser gesellschaftliches Gefüge eingreifen, dass sie ein so großes Bedrohungspotenzial für unsere Freiheit haben, dass wir sie besser nicht nutzen, dann ist das eine vollkommen legitime demokratische Entscheidung, dann tatsächlich diese Techniken zurückzustellen oder wesentlich einzuschränken. Und das führt eben zum Kern zurück. Wenn wir einen Werterahmen haben, dann müssen wir auch in diesem Rahmen Entscheidungen treffen. Es ist nicht technisch vorgesehen, dass alles, was geht, auch gemacht wird. Umso wichtiger, uns das immer wieder klarzumachen. Nicht nur unter dem Gesichtspunkt, dass wir im Sinne der Partizipation dort uns selbst beteiligen, sondern eben auch, dass wir bereit sind, solche Entscheidungen durchzusetzen. Das ist nichts Freiheitsbeschränkendes, sondern das ist nichts anderes als die Verwirklichung eines demokratischen Gedankens.
Katrin Steglich
00:11:44
Was ja in anderen Gebieten letztlich genauso funktioniert, nicht nur im Datenschutz.
Stefan Brink
00:11:47
Absolut, absolut.
Katrin Steglich
00:11:49
Für die Speicherung von unnützen und ungenutzten Datenbergen werden ja sehr viele Ressourcen gebunden, die sich nachteilig auf die angestrengten Klimaziele auswirken. Datenschutz könnte also auch in diesem ganz banalen Zusammenhang bereits ein innovativer Aspekt zum Klimaschutz sein durch organisatorische Effizienzgewinne beim Ressourcenverbrauch? Oder wie sehen Sie das?
Stefan Brink
00:12:12
Ja, würde ich unterschreiben. Sowohl mit Blick auf den Klimaschutz als auch mit Blick auf eine größere Effektivität unserer Datenverarbeitung ist das Löschen zentral und auch ein wichtiger Bestandteil. Viele Anhänger neuer Technologien, gerade auch von Big Data oder jetzt von Künstlicher Intelligenz (KI) wollen uns weismachen, dass es absolut positiv ist, möglichst viele Daten zu sammeln, möglichst große Data Lakes zu produzieren, und dann würde daraus Innovation entstehen. Dabei übersehen sie komplett, dass das unbegrenzte Sammeln und Aufbewahren von Daten nicht nur dem datenschutzrechtlichen Ideal der Zweckbindung widerspricht - wir dürfen Daten nur so lange nutzen, wie wir auch einen konkreten Zweck damit verfolgen und wenn der Zweck erreicht ist, müssen die Daten wieder weg, also gelöscht werden – sondern, dass das natürlich auch ökologische Konsequenzen hat, wenn ich die Datenmengen immer weiter hochschraube. Technisch haben wir in den letzten Jahren eine ganz starke Entwicklung gesehen, dass das hinzuspeichern und im Prinzip auch unbefristete Aufbewahren von Daten kein großes Problem mehr ist. Speichermäßig bekommen wir das hin, aber es hat eben andere wesentliche negative Effekte, nicht nur in Bezug auf den Datenschutz, sondern auch ökologisch. Da würde ich Ihnen vollkommen zustimmen. Nicht umsonst versuchen wir als Datenschützer unsere Zielvorstellung auch immer wieder anzuknüpfen an wichtige soziale Bewegungen der 70er und 80er Jahre. Wir versuchen immer wieder klarzumachen, dass der Datenschutz so etwas sein kann wie der neue Umweltschutz. Und mit dem Gedanken kommen wir, glaube ich, relativ weit. Und wenn wir da uns zusammentun und synergetisch Effekte haben, dann sollten wir die betonen.
Katrin Steglich
00:13:49
Jetzt habe ich ein Aber, ein kleines Aber. Große Datenmengen sind ja durchaus für manche Zwecke auch sinnvoll, wenn man dadurch Lösungen generieren kann. Also ich ziele jetzt auf gesellschaftlicher Ebene ab, auf die Zivilgesellschaft, die ja in der Regel solche Daten gar nicht hat. Macht es nicht Sinn, ungenutzte Daten der Zivilgesellschaft - oder ich sage einfach mal Stichwort „Open Data“, also Daten zur Verfügung zu stellen für den gesellschaftlichen Nutzen? Kann der Datenschutz da etwas bewirken?
Stefan Brink
00:14:18
Ja, ich glaube, diese Grundidee, dass man Daten für gesellschaftliche Projekte zur Verfügung stellt, ist natürlich naheliegend und faszinierend. Allerdings muss man sagen, auch das setzt voraus, dass die Daten nicht irgendwie irgendwo hergenommen werden und für irgendwelche Zwecke verwendet werden, sondern dass man sich im Vorhinein klare Vorstellungen davon macht, was man eigentlich mit diesen Daten anfangen möchte. Der Grundsatz der Zweckbindung ist ein elementarer datenschutzrechtlichen Grundsatz. Der fordert eigentlich von jedem, der mit Daten umgeht, dass er erstmal seine Gedanken sortiert und sich ganz klarmacht „Wozu brauche ich das?“ Es spricht aus datenschutzrechtlicher Sicht überhaupt nichts dagegen, bestimmte qualifizierte Daten auch für Open Data Projekte einzusetzen. Aber eben nicht im Sinne von „Ich sammle - immer alles Mögliche - bewahre es mal auf und mal sehen, was passiert“, oder was uns heute ganz stark verkauft wird: „Künstliche Intelligenz braucht einfach nur große Datenmengen. Was sie genau macht, wissen wir nicht. Aber das Ergebnis ist herausragend und hilft uns allen weiter.“ So geht es nicht, sondern ich muss schon beschreiben können, zumindest im Grundsatz beschreiben können, in welchem Kontext ich Daten verwenden möchte. Wenn ich das kann – wunderbar! Dann ist der Datenschutz auch gewahrt, durch den Rahmen der Zweckbindung aber nicht sagen „wir werfen alles in eine große Blackbox rein, dann passiert ein Wunder und das Ergebnis nennen wir Fortschritt.“ So wird es nicht funktionieren. Ja, absolut. Wir haben auch schon Beispiele, konkrete Beispiele tatsächlicher Art und wir haben schon Regulierungen, die genau in diese Richtung gehen. Wir haben im Gesundheitsbereich, also, wenn mit Gesundheitsdaten gearbeitet wird, schon gute Überlegungen auch in der Pandemie entwickelt zur sogenannten Datenschutz-Spende. Dass ich also als einzelner Betroffener sagen kann „Ich glaube, dass ich, wenn ich meine Gesundheitsdaten in diesem bestimmten Kontext freigebe, z.B. für Forschungszwecke, dass das helfen kann.“ In dem Kontext sind wir Datenschützer vollkommen zufrieden. Wir wollen nicht, dass möglichst wenig Daten verarbeitet werden, sondern wir wollen die Selbstbestimmung des Betroffenen durchsetzen. Und wenn der selbstbestimmt sagen kann „Ich möchte meine Daten aber gerne zur Verfügung stellen“, dann sind wir Datenschützer die Letzten, die sich da in den Weg stellen würden. Diese Erschließung von Daten für sehr unterschiedliche Zwecke, auch gerade für Zwecke nicht-kommerzieller Art oder für gesellschaftliche Zwecke, ist adressiert inzwischen durch neue europäische Gesetzgebung. Es gibt einen Data Act auf Basis der Europäischen Union, der jetzt in der Beratung ist, wo genau dieser Gedanke dahinter steckt, dass nicht nur die großen Datenkraken die Daten sammeln und diese Daten zu eigenen Zwecken benutzen dürfen, sondern dass sie die auch zur Verfügung stellen müssen, dass sie die auch freigeben müssen für andere Nutzungsmöglichkeiten. Das ist etwas, was man sehr wohl natürlich unter Beachtung des Datenschutzes vorantreiben kann. Auch da haben wir Datenschützer durchaus nicht nur ein Wörtchen mitzureden, sondern auch Vorschläge zu machen, wie man über Einwilligung zum Beispiel oder durch kluge Gesetzgebung das regulieren kann, dass die Gruppe derjenigen, die an solche Daten auch herankommen und den Nutzen dieser Daten ziehen können, nicht nur auf diejenigen beschränkt bleibt, die eben in der Vergangenheit schon immer die ersten und die cleversten waren.
Katrin Steglich
00:17:51
Ich möchte gerne noch auf die Möglichkeiten der sozialen Innovation zu sprechen kommen, die im Datenschutz und der Informationsfreiheit liegen, das heißt, welche Lösungen für gesellschaftliche Probleme und Herausforderungen sich daraus ergeben. Beispielsweise die Stärkung des demokratischen Gemeinwesens durch Steigerung der Transparenz, durch die Verhinderung der Aushöhlung von Persönlichkeitsrechten oder durch Schaffung zum Beispiel föderierter Netzwerke. Sehen Sie Ansätze in diese Richtung?
Stefan Brink
00:18:19
Absolut. Da ist eigentlich das große Feld der Informationsfreiheit angesprochen. Da steckt die Idee dahinter, dass man Daten, in erster Linie Daten, die bei öffentlichen Stellen, also bei Behörden vorliegen, öffnen sollte für die Gesellschaft. Das ist nicht nur ein enormer Transparenzgewinn, sondern das hat natürlich auch die große Chance, zu mehr Partizipation zu führen. Also wenn eine Bürgerbewegung, die sich um ein bestimmtes Umweltproblem kümmern möchte, nicht nur sich sozusagen selbst schlau machen kann, sondern auch in der Lage ist, auf Informationen der Verwaltung zurückzugreifen, die ja häufig besonders verlässlich sind oder die aus besonders guten Quellen stammen, dann ist das ein toller Ansatz, die Bürgerbewegung schlauer zu machen und die Chance zu geben, zielgerichteter vorzugehen. Anstatt so ein bisschen im Nebel zu stochern, kann man sich das Know how, das in der öffentlichen Verwaltung vorgehalten wird, zu eigen machen. Ein weiteres Beispiel sind die sogenannten Transparenzportale. Das ich nicht mehr wie in der Vergangenheit, wenn ich von der Verwaltung was wissen möchte, dort anklopfe, einen Antrag stelle und am Ende noch eine Gebühr bezahle und dann irgendeine geschwärzte Kopie bekomme, sondern dass die Verwaltung von sich aus alle Informationen, die sie hat, über ein Internetportal, das sogenannte Transparenzportal zugänglich macht und letztlich diesen Schritt der Digitalisierung vollzieht. Wir haben sehr gute Erfahrungen in einzelnen Ländern Deutschlands, z.B. in Hamburg oder auch in Bremen, wo solche Transparenzportale schon sehr schön funktionieren und tatsächlich auch eine Innovationskraft haben. Ich treffe häufig auch gerade Politiker, die dann den Einwand erheben „Ja, aber da wird doch öffentliches Gut, also Informationen, die bei der Verwaltung liegen, dann zu privaten Zwecken gebraucht. Wollen wir das denn überhaupt?“ Und meine Antwort ist erstens: Die Daten, die der öffentlichen Verwaltung vorliegen, sind ja schon von uns bezahlt, mit unseren Steuergeldern bezahlt. Es spricht überhaupt nichts dagegen, dass wir auch deren wirtschaftlichen Nutzen ziehen und gleichzeitig in Verbindung mit den eben schon genannten Argumenten -Partizipation - letztlich auch eine stärkere Kontrolle, die wir gegenüber der Verwaltung ausüben, wenn sie transparenter ist. Das sind alles sehr gute Aspekte, die letztlich auch unser gesellschaftliches Zusammenleben, auch das Vertrauen, das wir in staatliche Institutionen haben, kann, ganz positiv befördert.
Katrin Steglich
00:20:35
Ja, das sehe ich auch so. Da haben Sie ja jetzt auch gerade einen Gesetzentwurf eingebracht, habe ich mitbekommen.
Stefan Brink
00:20:41
Ja, da ein bisschen Schützenhilfe geleistet. Wir haben es mit großer Freude gesehen, dass die jetzige Regierungskoalition in Baden-Württemberg (grün schwarz) sich im Koalitionsvertrag darauf verständigt hat, genauso ein Transparenzgesetz zu schaffen, haben jetzt mit einiger Sorge zur Kenntnis nehmen müssen, dass ein bisschen der Elan fehlt, das Gesetz auch voranzutreiben und diesen guten Entschluss auch umzusetzen. Wir sehen schon, das ist eine schwierige Sache, so ein Gesetz zu entwickeln, dass man dafür Zeit braucht. Und wir wollen auf gar keinen Fall, dass am Ende der Legislaturperiode die Antwort heißt „Ach, tut uns leid, war jetzt doch ein bisschen viel, machen wir später mal!“ Deswegen unsere Hilfestellung, die absolut positiv gemeint ist. Wir zeigen mal der Regierung und dem Parlament, wie so ein Gesetz aussehen könnte. Und auf der Basis kann man, glaube ich zumindest sehr gut diskutieren, wie man diesen Schritt noch in dieser Legislaturperiode auch tatsächlich umsetzt.
Katrin Steglich
00:21:35
Sehr begrüßenswert. Ich möchte zum Schluss noch eine Frage stellen zu Tipps, die Sie für uns haben Also was geben Sie uns mit auf den Weg? Was gehört auf unsere Agenda als politische Akteure, aber auch als Privatperson?
Stefan Brink
00:21:49
Als Privatperson würde ich den Tipp geben, nicht nur sehr aufmerksam zu sein und die digitale Entwicklung, in der wir drinstecken, nicht mit Furcht, sondern mit Interesse, mit Neugierde und auch mit einem gewissen Bildungseinsatz zu begleiten, sich kundig zu machen, auf dem Laufenden zu bleiben. Und da ist ein ganz wichtiger Gesichtspunkt, dass Digitalisierung von uns mitgestaltet werden kann, auch als Konsumenten. Bei der Frage nämlich, welche Produkte wir nutzen und welche wir nicht nutzen. Wir sehen gerade eine ganz intensive Debatte, zum Beispiel bei den Messengern, die angeboten sind. Eine starke Bewegung weg von Twitter, die durch den neuen Inhaber Elon Musk jetzt nicht gerade attraktiver geworden ist, sondern wo man viele Probleme sieht; was es heißt, wenn zentrale Kommunikationsmittel in der Hand eines Einzelnen und letztlich auch seiner Willkür ausgesetzt sind. Und siehe da, wir haben Alternativen dazu, wir bauen die gerade ganz massiv auf. Mastodon ist so eine lange Zeit als Mauerblümchen belächelte Alternative bei diesen Messenger Möglichkeiten, bei diesen Kurznachrichtendiensten. Mastodon ist dezentral aufgebaut. Also da ist keine Gefahr, dass ein reicher Mensch kommt und das alles aufkauft. Es ist letztlich alles von der Community selbst reguliert, hat also noch einen hohen Anspruch auf Vertraulichkeit und wächst im Moment ganz zentral und ganz schnell. Wir haben es schon über 80 Stellen in Baden Württemberg dazu bekommen, öffentliche Stellen, sich so ein Mastodon Account zuzulegen. Wir haben eine eigene Plattform dafür gebaut. Die Landesregierung zum Beispiel ist darauf und das ist mein Rat an die Privatleute: „Schaut euch die digitale Entwicklung an, verfolgt sie furchtlos und schaut immer nach Alternativen -was / wie könnte es denn besser aussehen? Auch die Entscheidung, wie das Netz in Zukunft aussieht, ist letztlich eine demokratisch zu fällende - und dann sind wir bei den Politikern - und muss also diskutiert werden, darf nicht abhängig gemacht werden von den Entscheidungen von irgendwelchen sozusagen digitalen Großgrundbesitzern, sondern das muss wieder zurückgeholt werden in die Parlamente und letztlich auch in die Gesellschaft. Das wäre mein Ziel, dass wir die Digitalisierung auch politisch gestalten und dabei am Ende wirklich eine faire, allgemein zugängliche und transparente Möglichkeit finden, digital zu kommunizieren. Das ist möglich, dass es keine Zukunftsfantasie, sondern das ist machbar. Und genau daran sollten wir arbeiten.
Katrin Steglich
00:24:12
Ganz herzlichen Dank für dieses Gespräch!
Stefan Brink
00:24:14
Sehr gern!