Netz-fest für faire Digitalisierung.

Ein Podcast von OXFAM und der lpb bw
Since 09/2022 7 Episoden

Netz-Fest Fokus: Demokratie und Digitalisierung mit Dr. Martin Moore

Der Oxfam Podcast für eine faire Digitalisierung

13.01.2023 59 min Oxfam Deutschland | Katrin Steglich

Zusammenfassung & Show Notes

In dieser Episode von Netz-Fest gehen wir der Frage nach, wie das Internet Demokratie beeinflusst und warum wir uns um die Macht der großen Plattformen kümmern müssen. Katrin Steglich im Gespräch mit Dr. Martin Moore (Voiceover-Version deutsch).

Transkript

KI Linda
00:00:00
Das Digitale ist inzwischen überall. Die Versprechen, dass damit alles besser wird, haben sich nicht für alle bestätigt. In dieser Podcast-Reihe gehen wir der Frage nach, wie eine Digitalisierung aussehen kann, die zu einer lebenswerteren Welt beiträgt, z.B. indem sie Ungleichheit verringert, und Gleichberechtigung, Nachhaltigkeit sowie die Zivilgesellschaft stärkt.
Katrin Steglich
00:00:28
Willkommen zum Oxfam-Podcast, der sich dem Thema "Faire Digitalisierung" widmet und in Kooperation mit der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg produziert wird. Mein Name ist Katrin Steglich und ich spreche heute mit Dr. Martin Moore. Er lehrt politische Ökonomie am King's College London und ist Direktor des Centre for the Study of Media, Communication and Power. Zu seinen Forschungsinteressen gehören politische Kommunikation, Technologieplattformen, digitale Dominanz und die Zukunft der Demokratie. Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für dieses Interview nehmen!
Martin Moore
00:01:14
Ich danke Ihnen sehr für die Einladung!
Katrin Steglich
00:01:16
Martin, im Jahr 2018 haben Sie ein Buch mit dem Titel "Democracy Hacked - How Technology is destabilizing democracy" geschrieben. Auf dem Cover heißt es: "Wir stehen am Abgrund einer Ära, in der der Wechsel der mobilen Plattform mehr Einfluss auf Ihr Leben haben wird als der Wechsel der Regierung. In der Freiheit und Privatsphäre als unvereinbar mit sozialem Wohlstand und Transparenz angesehen werden. In der Ihre Aufmerksamkeit an den Meistbietenden verkauft wird". Sie haben auch festgestellt, dass die Politiker nicht verstehen, was vor sich geht. Hat sich Ihr Eindruck geändert - immerhin sind fast 4 Jahre vergangen?
Martin Moore
00:02:01
Es hat sich eine Menge geändert. Ich vermute, die größte Veränderung ist, dass die Regierungen in der ganzen Welt plötzlich die Macht dieser großen technischen Plattformen erkannt haben. Und was wir jetzt sehen, ist eine Reihe von Versuchen, nicht nur die Tech-Plattformen zu zähmen, sondern den ganzen wilden Westen des Internets, wie er oft genannt wird, und wir sprechen hier auch nicht nur von Demokratien; wir sehen das überall auf der Welt, auch in China. Wir haben in Europa sehr umfangreiche Gesetzesentwürfe im Rahmen des Digital Services Act und des Digital Markets Act, wir sehen es hier im Vereinigten Königreich mit dem Online Safety Bill und wir sehen es in den USA mit einer Reihe von verschiedenen Versuchen, verschiedene Gesetze einzuführen, von denen ich einige absolut begrüße, aber die in der Tat etwas verspätet sind. Andere Aspekte - über die wir vielleicht später sprechen können - bereiten mir mehr Sorgen, weil ich glaube, dass wir eine wirklich grundlegende Veränderung unserer Medien- und Kommunikationsumgebung erleben. Und das hat Auswirkungen auf die gesamte Politik, aber auch auf die Gesellschaft und die Art und Weise, wie wir im nächsten Jahrhundert leben werden. Und ich mache mir Sorgen, dass wir in der Eile, das Internet und diese sehr großen Plattformen zu zähmen, einige der Probleme, die ich in meinem Buch anspreche, in gewisser Weise noch verschärfen werden.
Katrin Steglich
00:03:37
Ich möchte Sie bitten, die Struktur des Internets kurz zu erläutern. Wie das Netz historisch gewachsen ist und welche Auswirkungen dies auf die Wahrnehmung seiner Infrastruktur hatte, sowie auf die Art und Weise, wie es genutzt wird, insbesondere im Hinblick auf die Interaktion mit anderen Menschen und Gruppen im Internet, da einige der Probleme, die wir haben, wahrscheinlich auf diese Wahrnehmung zurückzuführen sind.
Martin Moore
00:04:04
Sicher, ich werde mein Bestes tun. Eines der Dinge, die ich in dem Buch zu tun versuchte, war meine eigene Neugier zu stillen, ich nehme an, ein Mangel an Verständnis, meine eigene Unwissenheit, darüber, warum es so schien, als ob plötzlich, als ich schrieb, dieser neue digitale Raum, der eindeutig so integral für unser Leben wurde, warum es für Menschen so einfach war, ihn zu manipulieren, ihn für betrügerische und ruchlose Zwecke zu nutzen, um politische Ergebnisse zu verzerren. Am Ende habe ich versucht zu verstehen, wie sich das Internet entwickelt hat, und insbesondere einige der Prinzipien zu verstehen, die ihm in seinen frühen Stadien zugrunde lagen. Wie viele Zuhörer wissen, war das ursprüngliche Internet ein Internet, das während des Kalten Krieges entstanden ist. In seinen Anfängen war es im Wesentlichen eine panische Reaktion der USA, als sie dachten, dass Russland, die Sowjetunion, einen technologischen Vorsprung hatte, als sie 1957 den Sputnik ins All schickte, und in Bezug auf die militärische Aufrüstung. Der erste Gedanke war also: Wie können wir sicherstellen, dass ein einziger Schlag durch eine von der Sowjetunion abgefeuerte Atomrakete nicht alle Verteidigungs- und Kommunikationssysteme in den USA ausschaltet? Wie können wir also ein dezentralisiertes Netz schaffen, um eine solche Situation zu vermeiden? Und das war, wenn man so will, das clevere Original und das A und O des Ganzen. Nachdem Amerika in vielerlei Hinsicht das Gefühl hatte, aufgeholt zu haben, insbesondere nachdem es einen Menschen auf dem Mond gelandet hatte, waren es Hacker im Sinne von Computerfreaks, die dieses neue Netzwerk übernahmen. Sie waren einfach fasziniert von den Möglichkeiten der Kommunikation, der gemeinsamen Entwicklung, der Zusammenarbeit. Und diese Pioniere waren von bestimmten Philosophien und Prinzipien geprägt. Das zeigte sich auf der ersten Hackerkonferenz, die Ironie des Schicksals, 1984 stattfand. Sie fand in Kalifornien statt. In der Nähe von San Francisco und wurde von einem bemerkenswerten Mann namens Stewart Brand ins Leben gerufen, der in seinen Sechzigern als Person der Gegenkultur von der Technologie fasziniert war und schließlich nicht nur das erste Web-Bulletin Board "The Well" gründete, sondern auch die Bibel des Silicon Valley: Das "Wired Magazine". 1984 richtete er also diese Konferenz aus, um all diese Nerds, diese Hacker, zusammenzubringen, um die Zusammenarbeit zu fördern, aber auch um zu verstehen, in welche Richtung sich die Dinge bewegten und wohin sich diese ganze Internetsache entwickelte. Einer der Teilnehmer war der Journalist Michael Steven Levy, der die Ergebnisse der Konferenz aufzeichnete und kommentierte, welche Ideen und Prinzipien diesem Internet zugrunde liegen. Und eines der wichtigsten Prinzipien, das Steward Brand selbst auf der Konferenz äußerte, war, dass Informationen frei sein wollen. Informationen sollten also frei sein. Es gab dabei eine absichtliche Zweideutigkeit: frei im Sinne von frei zugänglich, aber auch frei für alle Menschen, sie zu nutzen und zusammen zu arbeiten, und frei in einem Sinne, dass sie nichts kosten sollen oder nicht teuer sind. Das war ein sehr starkes Ethos. Also hält man Informationen zurück und hindert Menschen daran, zusammen zu arbeiten, ist dies eine Beschränkung von Fortschritt und Wachstum. Der zweite Grundsatz, der meiner Meinung nach das frühe Web wirklich geprägt hat, wurde von jemandem entwickelt, der zwar nicht an dieser Konferenz teilnahm, aber Steward Brand gut kannte. Das war John Perry Barlow, der eigentlich der Gitarrist der berühmten Band „Grateful Dead“ war, der aber in den späten Achtzigern und frühen Neunzigern vom frühen Internet und den Bulletin Boards völlig in den Bann gezogen wurde. Er sah im Internet einen Raum, der frei von den Gesetzen und Regierungen der realen Welt war. Einen Raum, in dem die Menschen Dinge anders und neu machen konnten. Eine Art Grenzraum, ähnlich dem Wilden Westen, den die ersten Pioniere in den USA im siebzehnten, achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert erkundet hatten. In seiner Vorstellung war es ein Raum den Menschen genauso besiedeln konnten. Menschen sollten dort in der Lage sein, sich etwas zu bauen. Sie sollten dort frei von jeden Zwängen leben können. Ohne Regierungen und Verwaltungen, ohne beschränkende Gesetze und Normen der realen Welt. 1996 hat er das in seiner Unabhängigkeitserklärung des Cyberspace niedergeschrieben, die zu einer Art der Gründungskatechismen des freien Webs geworden ist. Diese beiden Ideen, die Idee, dass Informationen frei sein wollen, und die Idee, dass die Menschen im Internet souverän sein sollten, d.h. frei von staatlicher Kontrolle, waren meines Erachtens entscheidend für die Entstehung des frühen Internets. Sie haben viele derjenigen, die seit den 1990er Jahren an der Entwicklung der Online-Tools gearbeitet haben, sie haben auch jene Plattformen beeinflusst, die zu Giganten wurden: die Googles, Facebooks und Twitters dieser Welt.
Katrin Steglich
00:10:36
Wir haben erlebt, dass aus diesen Prinzipen auch eine toxische Kultur entstanden ist. Die Frage lautet also: Ist das ursprüngliche Verständnis, dass das Web frei und unreguliert ist, noch tragfähig für die heutige Netz-Realität? Eine Infrastruktur, die für uns genauso wichtig geworden ist wie physische Infrastrukturen oder auch die terrestrische Welt?
Martin Moore
00:11:08
Ich denke, Sie haben völlig Recht. Die Einsicht ist, dass das unregulierte Netz nicht aufrechtzuerhalten ist. Ein völlig freies Netz ist nicht nur eine Welt, in der die Menschen tun können, was sie wollen, sondern auch in der sie Betrug begehen, andere missbrauchen, andere belästigen, mobben, doxxen, andere angreifen. Es ist klar, dass diese Welt unbewohnbar ist, wenn es keine Regeln, Normen und Strukturen gibt. Inzwischen haben wir festgestellt, dass ein großer Teil dieser notwendigen Strukturen von den Plattformen entwickelt wurden, die in den frühen 2000er Jahren entstanden: Meta und Alphabet, Google, Amazon und Microsoft. Sie haben, wenn man so will, ihre eigenen souveränen Imperien geschaffen, in dem Sinne, dass man, wenn man sich in ihren Sphären bewegt, bis zu einem gewissen Grad ihren Regeln zu gehorchen hat. Wenn man schon einmal auf der falschen Seite dieser Regeln gestanden hat, weiß man, dass es sehr schwer ist, wieder hineinzukommen. Sie sind zu einer Art Richter und Jury in den digitalen Sphären geworden. Ich denke, dass eines der Probleme darin besteht: die Menschen haben zwar erkannt, dass dieser Raum, diese Sphäre eine gewisse Kontrolle braucht, aber diejenigen, die diesen Raum dann strukturiert haben, waren private Unternehmen. Die Menschen begannen erst in den späten 2010er Jahren, insbesondere nach dem Brexit und Trump im Jahr 2016, zu erkennen, dass das ein Problem darstellt. Also wenn man diesen Raum von Unternehmen kontrollieren und regieren lässt, mögen sie noch so gute Absichten gehabt haben, und es handelt sich um gewinnorientierte Unternehmen deren Geschäftsmodelle auf Werbung beruhen, wie es bei den wichtigsten von ihnen der Fall ist, dann werden sie diesen Raum zwangsläufig auf eine dafür bestimmte Weise strukturieren. Und das kann dann wirklich sehr negative Folgen für uns Bürgerinnen und Bürger haben. Eine der schädlichsten und negativsten Folgen war die Entwicklung dieses Ad-Tech-Modells. Ein neues Werbemodell, das einen Großteil der Informationsströme die wir heute sehen, antreibt und sicherlich den Großteil der Einnahmen einiger der größten Plattformen wie Meta und Google ausmacht. Und das ist meiner Meinung nach für viele der Probleme, die wir im heutigen Internet sehen, verantwortlich. Aber solange wir als Gesellschaft nicht wirklich die Mechanismen der politischen Ökonomie dieser Plattformen verstehen und wissen, warum diese Modelle so problematisch sind, werden wir einige der von Ihnen angesprochenen Probleme nicht an der Wurzel packen können.
Katrin Steglich
00:14:52
Betrachten wir nun die positive Seite: Mit dieser Art von Technologie, die heute etwa der Hälfte der Menschheit zur Verfügung steht, können wir persönlich Informationen in die Welt senden. Und sie befreit uns auch von den möglicherweise begrenzten Erzählungen der Mainstream-Medien, zumindest im Westen. Welche Bedeutung hat das für die Gesellschaft?
Martin Moore
00:15:15
Das ist ein wirklich guter Punkt. Wir haben uns von einer Gesellschaft, die durch Informationsknappheit gekennzeichnet war, zu einer Gesellschaft entwickelt, die von Informationsüberfluss oder sogar Fettleibigkeit gezeichnet ist. Von einer Welt, in der die Menge der vermittelten Informationen, auf die man zugreifen konnte, relativ gering war, haben wir heute in gewisser Weise Zugang zu unendlich vielen Informationen. Es wird Jahrzehnte dauern, bis wir uns daran gewöhnt haben. Nicht zuletzt, weil es bedeutet, dass man von allem mehr hat. Es gibt für uns alle mehr Möglichkeiten uns auszudrücken, zusammen zu arbeiten, Entfernungen zu überwinden und mit Menschen auf der ganzen Welt zu sprechen, wann immer wir wollen und das praktisch kostenlos. All das ist eine bemerkenswerte Sache. Aber so wie uns das Netz ermöglicht, mehr Informationen zu produzieren, mehr Informationen zu veröffentlichen, mehr Informationen zugänglich zu machen, so bedeutet dies zwangsläufig auch, dass es auch viel mehr schlechte Informationen gibt. Es ist also keine Überraschung, dass wir eine Explosion von Fehlinformationen, Desinformationen und schlechten Informationen erlebt haben. Es gibt einfach viel mehr Informationen. Es ist auch keine Überraschung, dass man im Internet nicht nur Zugang zu Personen des öffentlichen Lebens und zu vielen Gemeinschaften hat, zu denen man früher keinen Zugang hatte, sondern dass es dort auch massenhaft Menschen gibt, die vielleicht keine guten Absichten haben, oder gar keine Menschen sind, weil sie automatisiert sind, also Bots. Oder es sind Menschen, die vielleicht aus gutem Grund, vielleicht aber auch nicht, unter Pseudonymen sprechen oder Fakeaccounts angelegt haben oder sich eine so genannte Catfish-Identität geschaffen haben, die also mit zusätzlichen oder gefälschten Online-Identitäten arbeiten. Ich glaube, wir beginnen zu verstehen, dass ein Informationsumfeld, das durch Überfluss gekennzeichnet ist, sich grundlegend von einem Informationsumfeld unterscheidet, das durch Knappheit gekennzeichnet ist. Und wir müssen auf andere Weise darüber nachdenken. Wir müssen erkennen, dass wir in einem solchen Umfeld anfällig für einige Dinge sind. Wie zum Beispiel eine sogenannte Selektionsverzerrung. Sie führt dazu, dass wir uns eher zu denjenigen hingezogen fühlen, mit denen wir übereinstimmen und die wir mögen. Daher kommen wir immer weniger mit denjenigen Menschen und Informationen in Berührung, die wir weniger mögen. Das wirkt sich dann darauf aus, was wir glauben und was wir lieber nicht glauben. Ich denke also, dass wir uns in einer sehr fiebrigen Zeit befinden. Wir fühlen uns in dieser Zeit sehr verletzlich. Aber das ist eine unvermeidliche Folge des Wandels im Informationsumfeld. Ich mache mir Sorgen, dass diejenigen, die versuchen wollen, ein Umfeld der Informationsknappheit wiederherzustellen nicht berücksichtigen, was wir alles verlieren würden, wenn wir es versuchen würden. Ja es gibt viele Fehlinformationen. Es gibt auch sehr viele fehlgeleitete Informationen, die aber sehr hilfreich sein können, vor allem wenn sie von einem ganz anderen Ort kommen als dem, an den wir gewöhnt waren. Ich denke also, es wird noch eine steinige Phase sein.
Katrin Steglich
00:19:56
Mir scheint, wir brauchen Mechanismen um mit dieser Masse an Informationen fertig zu werden, um sie auf persönlicher Ebene zu verarbeiten.
Martin Moore
00:20:14
Wir lernen gerade eine Menge darüber, was schädlich ist. Während wir meiner Meinung nach noch weit davon entfernt sind herauszufinden, was hilfreich ist. Aber wir erkennen, dass das Ad-Tech-Modell und Dinge wie programmatische Werbung schädlich sind. Und ich denke, dass man einige der negativen Auswirkungen deutlich sehen kann. Ich glaube aber auch, dass wir allmählich erkennen, und das sieht man vor allem auf Plattformen wie Twitter, dass Anpassungen an Design, Format und Funktionalität einen ziemlich tiefgreifenden Einfluss darauf haben können, wie Menschen miteinander in Kontakt treten. Ich weiß nicht, ob Sie das schon einmal erlebt haben. Aber wenn Sie versuchen einen Tweet zu retweeten oder zu teilen der einen Link zu einem Nachrichtenartikel oder einer anderen Website enthält, den Sie nicht gelesen oder angeklickt haben, wird er Sie zumindest aufhalten und sagen: "Sind Sie sicher, dass Sie das senden, weiterleiten oder retweeten wollen, ohne es vorher gelesen zu haben?" Durch solche kleinen Hinweise und indem man sich klarer macht, mit wem man Informationen teilt, werden wir kompetenter. Denn die Idee, dass wir standardmäßig Informationen mit der ganzen Welt teilen sollten, halte ich für ziemlich seltsam. Für die meisten Menschen macht die Idee, Informationen einfach in die Welt hinauszuschicken, keinen wirklichen Sinn. Ich meine, man spricht entweder direkt mit den Leuten oder man spricht innerhalb seiner Gemeinschaft, man erzählt es nicht einfach der Welt. Warum sollte die Welt daran interessiert sein? Ich glaube, wir lernen gerade, wie man die Funktionalität, das Design und das Format von Websites und Diensten positiv verändern kann. Das hilft zumindest bei dem Versuch, die riesige Menge an falschen oder überhitzten Informationen, die da draußen verbreitet werden, zu reduzieren. Aber ich denke, dass wir langfristig erkennen müssen, dass wir das Problem nicht an der Wurzel packen, wenn wir uns nicht mit dem Umfang dieser riesigen Plattformen auseinandersetzen. Wenn wir nicht ein diverseres Informations- und Medienumfeld schaffen. Wenn wir nicht anfangen, die Geschäftsmodelle der Influencer und die Eigentumsverhältnisse auf diesen Plattformen und was das bedeutet zu erkennen. 14 00:22:53.000 --> 00:23:23.000 <v Katrin Steglich>Eine Sache die mir bei der Menge an Informationen aufgefallen ist, ist, dass die Menschen dazu neigen, Themen sehr oberflächlich zu behandeln. Sie denken nicht tiefgründig über Probleme nach, weil es so viel zu verarbeiten und zu teilen gibt und so weiter. Man hat nicht die Zeit, wirklich in die Tiefe zu gehen oder vernetzt zu denken. Es gibt ein Gefühl und ich spüre das, wenn ich online bin auf einer der Social-Media-Plattformen. Es ist wie ein schnell fließender Fluss. Um sich zu engagieren, muss man sozusagen eintauchen. Sobald man aber eintaucht sieht man natürlich nur das, was unmittelbar um einen herum ist. Gleichzeitig ist man aber ständig in Bewegung und die Dinge ändern sich permanent. Das ist sehr ablenkend, sehr verwirrend, sehr schwierig. Und wenn man gehört werden will, muss man zwangsläufig sehr laut schreien oder sich sehr bemerkbar machen. Das passt meiner Meinung nach zu deinem Punkt, dass die Aufmerksamkeit zu einem begehrten Gut geworden ist, um das in diesem Umfeld gekämpft und gewetteifert wird. Es ist also extrem leicht, ständig abgelenkt zu werden. An einem Ort wie Twitter herrscht ein Gefühl der endlosen Bewegung. Der endlosen Oberflächlichkeit und des Hin- und Herlaufens von einer Sache zur nächsten. Wenn man aber innehält, wenn man aus dem Fluss aussteigt und sich bestimmte Dinge anschaut, stellt man fest, dass es auch einen bemerkenswerten Grad an Tiefe bei bestimmten Themen gibt. Tiefe sowohl im Sinne von Zugang zu Menschen, die wirklich wirklich viel zu einem Thema wissen. Zugang zu riesigen Mengen an Material und das fast zu jedem Thema, über das man mehr wissen möchte. Aber natürlich muss man sich in gewisser Weise vom Strom, vom Fluss abwenden, um sich darauf zu konzentrieren, weil man sonst von der Beliebigkeit mitgerissen wird.
Katrin Steglich
00:25:34
Ich möchte ein wenig mehr über die Macht der Plattformen sprechen. Wie Kollegen von Ihnen, wie Jillian York, gezeigt haben, haben nicht nur Regierungen die Macht, im Internet zu zensieren. Auch Unternehmen in den USA haben die rechtliche Möglichkeit, Menschen und Webbereiche zu zensieren. Konnte Ihre Forschung zeigen, warum die Zensur von Inhalten auf US-Plattformen oft mit politischer Dominanz und weniger mit Menschenrechtsprinzipien einhergeht?
Martin Moore
00:26:19
Das ist natürlich wahr. Wenn wir auf die Entwicklung des Internets zurückblicken, war die absolut kritische Entwicklung aus Sicht der Plattformen das Jahr 1996 mit dem Communications Decency Act Abschnitt 230. Ein amerikanischer Jurist hat ihn als 26-Wörter-Dekret für das Internet bezeichnet, weil diese 26 Wörter den Plattformen im Wesentlichen die Befreiung von der Haftung gewährten. Ich meine damit, dass man das Haftungs-Thema vereinfacht hat, übermäßig vereinfacht. Sie können auch absolut alles von ihren Plattformen entfernen. Gemäß ihren eigenen Gemeinschaftsrichtlinien. Sie tun, was sie wollen. Zumindest in Europa ist es etwas anders. Das bedeutet, dass sie zum Richter und zur Jury dessen werden, was auf ihrer Plattform geschieht. Eine der Schwierigkeiten ist, dass diese Plattform-Unternehmen so groß sind und ihre eigenen Daten unglaublich gut abschirmen und nur sehr wenig Zugang dazu gewähren. So dass wir uns zwangsläufig von dem leiten lassen, was wir sehen können und was wir über sie hören. Und das kann auf einer ganzen Reihe verschiedener Faktoren und Stimmen beruhen, aber es ist unwahrscheinlich, dass es auf einer Big-Data-Analyse selbst beruht. In den USA zum Beispiel sind die Rechten, die Republikaner, fest davon überzeugt, dass die Social-Media-Plattformen systematisch die Demokraten und die Linken des politischen Spektrums gegenüber den Rechten bevorzugen. Und dass sie rechte Inhalte zensieren. Bisher können sie nur auf einzelne, konkrete Beispiele hinweisen, aber ich habe noch keine groß angelegte Analyse gesehen, die eine solche Einseitigkeit belegt oder entkräftet. Aufgrund der Angst vor dem Vorwurf einer einseitigen Zensur auf der rechten Seite sind einige der Plattformen insbesondere Facebook den umgekehrten Weg gegangen. Sie haben versucht, mehr auf der linken Seite und Mitte-Links zu moderieren. Ich denke also, dass es hier ein echtes Verständnis-Problem gibt. Nämlich dass Plattformen in vielerlei Hinsicht mit der öffentlichen Sphäre gleichgesetzt werden. Dennoch sind sie immer noch private Unternehmen und können daher auswählen, was sie aufrechterhalten und was sie löschen. Das ist ein echtes Problem. Denn wenn sie jemandem den Zugang verweigern oder die Sichtbarkeit der politischen Perspektive einschränken, kann das wirklich tiefgreifende Auswirkungen auf Politik und Gesellschaft haben. Oft tun sie das, ohne dass man überhaupt weiß, dass sie es tun. Das ist eine der Bemühungen hinter dem Digital Services Act, diesem neuen großen Gesetz der EU, hier Transparenz zu schaffen. Es ist eines der Ziele des Digital Services Act zumindest einige der Entscheidungen, die diese Unternehmen treffen, transparent zu machen. Und so den Menschen die Möglichkeit zu geben, herauszufinden, ob Informationen verschwunden sind, welche verschwunden sind und warum sie verschwunden sind. Das ist eine klare Verbesserung. Aber ich denke, wir müssen verstehen, dass das eigentliche Problem ist, dass wir die öffentliche Sphäre an diese riesigen amerikanischen Unternehmen ausgeliefert haben. Wir werden also auch weiterhin Probleme haben. Einige dieser Probleme verschlimmern sich aber auch mit einer zunehmenden Regulierung, weil bei einigen dieser Unternehmen die Besorgnis wächst, mit dem Effekt, dass Sie Dinge verbergen, dass sie Themen zensieren, dass sie mit Regierungen zusammenarbeiten. Und unnötigerweise wird es viele Verschwörungstheorien darüber geben, warum das passiert. Ich denke, das ist eine echte Gefahr für unsere Gesellschaften in den nächsten zehn Jahren.
Katrin Steglich
00:31:12
Technologieunternehmen geben die Daten, die sie sammeln nicht freiwillig weiter, sagten Sie. Was hat sich mit dem Aufkommen von Big Data und dem Datenmonopol in Bezug auf Lobbyarbeit für bestimmte politische Interessen geändert? Welche Auswirkungen sehen Sie auf demokratische Strukturen und Prozesse? Insbesondere durch die Möglichkeit der Tech-Konzerne, diese Datenmengen mit den eigenen Plattformtechnologien zu analysieren.
Martin Moore
00:31:44
Ich habe mich bei meinen Forschungen auf die Rolle konzentriert, die diese Plattformen während der Wahlkampagnen spielen und auf die Rolle, die die Daten dabei spielen. Denn ich denke, dass wir hier ähnlich wie im Medienumfeld von einem Umfeld der Knappheit zu einem des Überflusses übergehen. Eine echte Verschiebung vom Analogen, von Papiergeld sozusagen zu digitalen Währungen. Daten sind mehr oder weniger eine alternative Währung. Leute sprechen zwar davon, dass Daten das neue Öl sind. Aber meiner Meinung nach sind Daten eher mit einer Währung zu vergleichen. Also mehr das neue Geld, als das neue Öl. Wenn man Zugang zu großen Mengen an Wählerdaten hat, dann hat man einen ähnlichen Vorteil bei der Wahlkampfplanung, bei der Auswahl der Zielgruppen und bei der Priorisierung der Zeit, wie große Parteien oder finanzkräftige Institutionen sie früher und auch heute immer noch haben. Und das selbst, wenn man eine kleinere politische Partei oder auch nur ein einfacher Kandidat ist. Wir haben das in den letzten zehn Jahren in Amerika gesehen. Und ich glaube, wir sehen das nun auch zunehmend in Europa. Dennoch sind unsere Wahlsysteme nicht auf den Umgang mit Daten ausgerichtet. Hier im Vereinigten Königreich und auch in einer Reihe anderer europäischer Länder liegt die Aufmerksamkeit auf den Wahlspenden und Budgets. Sie fokussieren darauf, was Kandidaten und Parteien ausgeben können und was nicht. Wie viel sie in bestimmten lokalen Gebieten ausgeben dürfen, um zu verhindern, dass Wahlen gekauft werden. Aber auch, um gleiche Wettbewerbsbedingungen für die verschiedenen Kandidatinnen und Parteien zu schaffen. Das Problem mit den Daten ist: sie sind nicht im Fokus und damit nicht reguliert. Sie werden nicht in die Rechnung einbezogen. Wenn ein Kandidat einer Partei über viel bessere Daten verfügt als der einer anderen Partei und viel besser in der Lage ist, diese Daten für eine gezielte Kommunikation zu nutzen, um seine Aufmerksamkeit zu bündeln, dann werden viele der Regeln, die eingeführt wurden, um gleiche Wettbewerbsbedingungen zu schaffen, um zu verhindern, dass Wahlen manipuliert werden, wirkungslos. Ich denke, das ist das Thema: Wir bewegen uns auf eine Ära zu, in der Daten in der demokratischen Politik unglaublich wichtig werden. Und dennoch werden sie noch nicht richtig berücksichtigt.
Katrin Steglich
00:34:37
Ein weiteres Thema, das für mich in diesen Zusammenhang dazu gehört, ist, dass Menschen empfänglicher für politische Einflussnahme sind, wenn diese durch soziale Beziehungen, offline und online, unterstützt wird. Sie haben darüber geschrieben. Vielleicht können Sie diesen Aspekt auch im Hinblick auf Tech-Plattformen etwas näher erläutern.
Martin Moore
00:35:03
Ja, gerne. Machen wir ein Sprung zurück in der Geschichte. Ich bin ja von Hause aus Historiker, also suche ich nach den Wurzeln der Phänomene. Ich habe mir die Forschung dazu angesehen, um zu verstehen, warum Menschen wählen und wie sie wählen und was ihre Wahl beeinflusst. In den 1940er Jahren führte ein Mann namens Paul Lazarsfeld, ein österreichischer Wissenschaftler, der in die Vereinigten Staaten ausgewandert war, eine Reihe von Studien durch, die in vielerlei Hinsicht die ersten quantitativen Studien über Wähler waren und darüber was Menschen dazu bringt, ihre Stimme abzugeben, insbesondere die Auswirkungen verschiedener Faktoren auf ihre Stimmabgabe, also Medien, Parteiverpflichtungen und dergleichen. Zu seiner Überraschung entdeckten sie, dass vielleicht als wichtigster Faktor für die Stimmabgabe, über den familiären Hintergrund hinaus, das soziale Netzwerk war. Also die Menschen, die man kennt. Sie stellten vor allem fest, dass es in jedem sozialen Netzwerk eine oder zwei Personen gibt, die einen viel größeren Einfluss haben als andere im Netzwerk, weil sie sich für Politik interessieren, belesen sind und darüber sprechen können. Dadurch haben sie einen übergroßen Einfluss. Er wies auf einen, zweistufigen Fluss hin, wie er es nannte, bei dem es einerseits die Medien gibt und andererseits Politiker Zusagen machen, die jedoch nur von einer relativ kleinen Anzahl von Personen gelesen oder konsumiert werden. Diese Einzelpersonen haben dabei einen deutlichen Einfluss, wenn es darum get, diese Informationen an ihr soziales Netzwerk oder ihre Gruppe weiterzugeben. Dieses Phänomen ist auch heute noch relevant, aber es wurde seither weniger wichtig. Beginnend in der Ära des Rundfunks und dann im späteren zwanzigsten Jahrhundert, als Fernsehen als Massenmedium sehr dominant wurde. Die meisten Menschen erhielten ihre Informationen zunehmend aus dem Fernsehen, dem Radio und oder den Printmedien. Aber ich glaube in den letzten fünfzehn Jahren haben wir festgestellt, dass mit der zunehmenden Bedeutung von Social Media auch dieser zweistufige Informationsfluss wieder an Bedeutung gewonnen hat. Social Media hat die Art und Weise, wie wir unsere Entscheidungen bezüglich Politik und Wahlen treffen, verändert. Das sehen wir sehr deutlich in einem Land wie Indien. Für die Art und Weise, wie Politik dort jetzt funktioniert, ist WhatsApp entscheidend. Ich denke es ist der größte Markt für WhatsApp. Jeder ist Mitglied in mehreren WhatsApp-Gruppen, insbesondere in Familien und Gemeinschaftsgruppen. Das haben Parteien wie die von Narendra Modis verstanden. Sie versuchen ganz bewusst, entweder selbst in diese Gruppen zu kommen oder jemanden innerhalb dieser Familien und Gemeinschaften als ihr "Influencer" zu finden. Also jemanden der der Partei als „Beeinflusser“ innerhalb dieser Gruppe dienen kann. Das war bei den letzten Wahlen bemerkenswert effektiv. Aber wir sehen das natürlich auch auf anderen Plattformen: auf Facebook, auf Instagram, auf Snapchat und ich bin mir sicher auch wenn ich mit TikTok weniger vertraut bin, dass wir das zunehmend auf TikTok sehen werden. Es ist dies Phänomen, das in letzter Zeit zugenommen hat und weiter zunehmen wird. Soziale Medien sind zu einer relevanten Plattform für die politische Kommunikation geworden.
Katrin Steglich
00:38:35
Wenn man all die Möglichkeiten sieht, die auf digitalen Plattformen nutzbar sind, muss sich das auf die Beeinflussbarkeit der Menschen auswirken. Ich würde Sie gerne zur Rolle des Journalismus befragen. Wie trägt der Journalismus heute zur Demokratie bei, da sich die Rolle des Journalismus mit dem Aufkommen der sozialen Medien meiner Ansicht nach stark verändert hat.
Martin Moore
00:39:09
Es hat sich viel verändert. Wir befinden uns in einer neuen Phase des Journalismus. Um die Jahrtausendwende gab es eine Art Existenzangst unter vielen Journalisten. Wenn jeder Filmmaterial aufnehmen, ein Foto machen, einen Artikel schreiben und ihn online veröffentlichen kann, was soll künftig ihre Rolle sein? Die Unterscheidung zwischen einer professionellen Journalistin und jemandem, der - sagen wir ein Zufallspublizist oder eine Gelegenheitsjournalistin oder einfach eine Expertin ist - die ihre Meinung via Internet direkt äußert, wird immer unschärfer. Es sah lange Zeit so aus, als sei nicht nur unklar, welche Rolle der Journalismus spielen würde, sondern auch, ob er es sich leisten könnte, diese Rolle zu spielen, weil die Tech-Giganten alle Werbeeinnahmen an sich rissen. Aktuell sehen wir eine andere Entwicklung. Menschen beginnen zu erkennen, dass es eine sehr wichtige Funktion für den professionellen Journalismus gibt. Die größten Nachrichtenorganisationen und damit meine ich die New York Times, die Times in Großbritannien, die ganz großen nationalen Medienunternehmen, haben herausgefunden, wie sie die Finanzierungskrise überwinden. Die meisten von ihnen haben dies durch neugestaltete Abonnements oder Varianten von Aboservices getan. Der Guardian hat ein besonders ungewöhnliches Modell aus Mitgliedschaft und Spenden. Sie haben einen Weg gefunden, finanziell nachhaltig zu werden. Das Problem für den Journalismus ist die Vor-Ort-Berichterstattung. Insbesondere die Vor-Ort-Berichterstattung auf lokaler Ebene. Im Zuge der Entwicklung des Internets haben wir nämlich festgestellt, dass diese Art von Journalismus im Netz extrem schwer zu finanzieren ist. Denn insbesondere auf lokaler Ebene gibt es einfach nicht genügend Zuschauer, die sich den Lokaljournalismus ansehen, um genügend Werbeeinnahmen zu erzielen. Ebenso herausfordernd ist es ihn auf Abonnementbasis zu betreiben. Und natürlich gibt es noch die Diskussion über das Ausmaß staatlicher Finanzierung. Was wir aber sehen können ist die Konsolidierung der großen Nachrichten- und Medienorganisationen. Aber ich denke, aus demokratischer Sicht gibt es ein wirklich grundlegendes Problem: Wenn wir nicht herausfinden können, wie wir die Berichterstattung vor Ort auf lokaler Ebene finanzieren können, dann verlieren wir eine wichtige Funktion innerhalb eines demokratischen Informationsumfelds. Denn eigentlich ist es die lokale Berichterstattung, die Berichterstattung vor Ort, die als Grundlage für unser Verständnis darüber dient wie sich die Dinge entwickeln. Sie ist relevanter Baustein für die Meinungsbildung. Wir verlieren etwas wirklich Entscheidendes. Meine Sorge ist, wenn ich mir die Demokratien der Welt anschaue, dass ich noch keine gesehen habe, die herausgefunden hat, wie man diese Funktion von Journalismus aufrechterhalten kann.
Katrin Steglich
00:42:35
Ich denke, dass Rechenschaftspflicht von Politikern ein Thema ist, mit dem sich Journalisten auf lokaler Ebene befassen.
Martin Moore
00:42:52
Ganz genau. Wenn man den Journalismus nicht finanzieren kann, dann wird man nicht in der Lage sein, diese Funktion von Journalismus zu erhalten.
Katrin Steglich
00:43:09
Ich möchte noch zu einem anderen Thema übergehen. Angesichts des umfangreichen Trackings und dem Datenhandel werden große Technologieplattformen die Möglichkeit haben, auch in anderen Bereichen zu dominieren: Zum Beispiel auf dem Gesundheits- oder Versicherungsmarkt. Auch das digitale Identitätsmanagement ist ein neuer Markt. Deshalb möchte ich gerne von Ihnen wissen: Sollten Technologieunternehmen als Plattformen für das digitale Identitätsmanagement fungieren dürfen obwohl diese Art von Diensten bisher in der klassischen Verantwortung der Regierungen lag? Wie stehen Sie zu dieser Frage?
Martin Moore
00:43:49
Ja ich stimme voll und ganz zu: dies ist ein Bereich, in den sie stark eingedrungen sind. Und ich denke, es ist ein Schlüsselbereich, in dem man ihre Initiativen regulieren muss. Als Folge ihrer exzessiven Sammlung, Organisation, Analyse und Nutzung personenbezogener Daten konnten sie auch in Felder des öffentlichen Bereichs, sei es das Gesundheitswesen, das Bildungswesen, des Verkehrs oder die Energieversorgung vordringen. Es scheint mir, dass sie sich zunehmend als das Tor zu diesen Dienstleistungen sehen. Nehmen wir den Bereich der Gesundheitsfürsorge. Zunehmend werden unsere Smartphones zu einer Art medizinischem Gerät, das uns über unseren Gesundheits- und Leistungstand informiert. Ein Smartphone ist in der Lage, Bewegungen zu verfolgen, verschiedene Gesundheitsaspekte aufzuzeichnen. Diese Daten kann man dann nutzen, um Gesundheitsentscheidungen zu treffen oder Gesundheitsmaßnahmen zu ergreifen. Dies kann durch Ihren Arzt geschehen aber zunehmend auch durch eine App, die von Apple oder Google oder einem anderen Unternehmen entwickelt wurde. Und so kann man sich leicht eine Zukunft vorstellen, in der diese Unternehmen so tun als seien sie neutrale Speicher oder Treuhänder für all unsere persönlichen Daten. Aber wenn wir oder jemand anderes diese Daten nutzen wollen, um in unserem Namen Entscheidungen zu treffen, sei es im Bereich der Bildung oder der Gesundheit, dann müssen sie sich an diese Plattform wenden um diese Daten zu erhalten. Und das scheint mir in vielerlei Hinsicht ein Problem zu sein. Zunächst einmal sind viele dieser Daten unsere Daten und nicht unbedingt die Daten des Unternehmens. Warum sollten sie das Eigentum an den Daten haben oder die Möglichkeit sie zu kontrollieren und zu bestimmen, wohin sie fließen? Aber da sie die Kontrolle haben, beginnen sie, wie Sie es formulierten, einige der Funktionen zu übernehmen, die wir normalerweise mit Staaten und Regierungen in Verbindung bringen. Wenn zunehmend Entscheidungen über unsere Gesundheitsfürsorge, unsere Mobilität oder unsere Wohnsituation oder unser Bildungswesen auf der Grundlage der auf diesen Plattformen gespeicherten Daten getroffen werden, welche Rolle hat dann eine demokratisch gewählte Regierung über die Überwachung oder Kontrolle dieser Aspekte hinaus? Es ist eine wirklich ernste Frage, wie viel Kontrolle die Tech-Unternehmen haben sollten. Wie viel von unseren Daten sie sammeln und speichern können dürfen. Es gibt natürlich Bestrebungen, diese Praxis einzuschränken und herauszufinden, wie die Macht der Plattformen eingeschränkt werden kann. Aber viele dieser Initiativen gehen nicht weit genug. Ich habe zusammen mit meinem Kollegen Tambini ein Buch mit dem Titel "Regulating Big Tech" herausgegeben. Es ist Ende 2021 erschienen und enthält eine Reihe von Aufsätzen von Wissenschaftlern und politischen Entscheidungsträgern aus der ganzen Welt, wie wir diese Plattformen regulieren könnten. In einem der Aufsätze geht es darum, diese Plattformen als öffentliche Datentreuhänder in die Pflicht zu nehmen. Ihnen also viel mehr Verantwortung dafür zu übertragen, was sie mit diesen Daten tun und was sie nicht tun dürfen. Andere sind noch weiter gegangen und haben gesagt: "Eigentlich müssen wir neue Institutionen einrichten: Datentreuhandgesellschaften, die entweder von der Regierung oder von unabhängigen Behörden beaufsichtigt werden." Diese würden unsere Daten in unserem Namen aufbewahren und wir ermächtigen sie, bestimmte Entscheidungen zu treffen. Aber das nimmt den großen Plattformen die Daten weg, so dass sie sie nicht zum Wettbewerbsvorteil und für mehr Kontrolle über unser Leben nutzen können. Ich denke also, dass es eine ganze Reihe von Möglichkeiten gibt die Erfassung und Nutzung von Daten neu zu überdenken. Aber wir müssen schneller vorankommen, denn diese Unternehmen sind uns bei der Erfassung und Nutzung von Daten im Moment eindeutig weit voraus.
Katrin Steglich
00:48:41
Die EU hat zwei neue Gesetze auf den Weg gebracht: nämlich das Gesetz über digitale Dienste und das Gesetz über digitale Märkte, die von den Technologieplattformen mehr Transparenz verlangen. Das könnte einige der Probleme lösen, die wir im Zusammenhang mit der Werbung diskutiert haben. Außerdem werden Grundrechte in die Nutzungsbedingungen aufgenommen und die Zusammenarbeit mit den Behörden gefordert. Aber es werden auch Regeln festgelegt, was Sie gerade erwähnt haben. Glauben Sie, dass diese Gesetze die Probleme lösen können, über die wir gerade sprechen?
Martin Moore
00:49:49
Ich denke auf jeden Fall, dass es ein großer Schritt nach vorn ist. Von allen Gesetzen, die ich gesehen habe, ist der EU Digital Services Act und der Digital Markets Act ein relevanter Schritt, transparent zu machen, was diese Plattformen wirklich tun. Und es ist ein großer und wichtiger Schritt, um herauszufinden, wie man einige der genannten Probleme erfolgversprechend angehen kann. Denn solange wir nicht mehr Transparenz haben, solange wir nicht verstehen, was sie tun und warum wir diese negativen externen Effekte haben, werden wir nicht in der Lage sein, diese Probleme zu lösen. Wir sollten aber auch die Grenzen dieser Gesetze verstehen. Genauso müssen wir die Grenzen von Transparenz verstehen. Transparenz bringt einen nur weit, wenn sie auch möglich ist. Zum Beispiel reden viele Leute vom Google-Algorithmus oder vom Facebook-Algorithmus. Doch das sind keine Algorithmen. Sie bestehen aus einer riesigen Menge an Code, einer riesigen Anzahl von Algorithmen, die sich ständig verändern. Die Zusammenhänge zwischen ihnen zu verstehen und die Auswirkungen auf den Einzelnen geschweige denn auf die Gesellschaft als Ganzes ist eine sehr, sehr komplexe Angelegenheit. Digitale Werbung zum Beispiel funktioniert in einem so großen Maßstab und so schnell in Nanosekunden, dass man tatsächlich noch so umfangreiche Transparenz haben könnte und man wäre immer noch nicht in der Lage herauszufinden, was genau passiert und warum. Ich denke also, dass uns die Transparenz sicherlich einen Schritt vorwärtsbringt, aber sie löst nicht alle Probleme. Und dann gibt es noch ein weiteres Thema, von dem ich hoffe, dass das Gesetz über digitale Märkte einen relevanten Beitrag zur Lösung leistet. Allerdings ist die Herausforderung größer als bei Transparenzanforderungen und Moderation. Wenn wir die großen Online-Plattformen, wie sie im Digital Services Act genannt werden, regulieren, riskieren wir ihre Macht und ihre Geschäftsmodelle zu konsolidieren und sie in unserem öffentlichen Raum zu verankern. Und so scheint es mir, dass man gleichzeitig versuchen muss, die Handlungen der Plattformen zu hinterfragen und ihnen Verpflichtungen und Verantwortlichkeiten aufzuerlegen, um Schaden zu vermeiden. Gleichzeitig muss man Wege finden, um ihre Macht zu beschneiden und es anderen Plattformen und digitalen Organisationen ermöglichen, aufzutauchen und in Konkurrenz zu treten. Ich möchte nicht in 10 oder 20 Jahren in einer Welt leben, die immer noch von einem halben Dutzend amerikanischer Tech-Plattformen an der Westküste dominiert wird.
Katrin Steglich
00:52:23
Man kann zusammenfassend sagen, dass eine Tatsache, die für die Technologie gilt darin besteht, dass sie auf unterschiedliche Weise genutzt werden kann. Es kommt also auf den Kontext und den rechtlichen Rahmen an, der bestimmt, ob sie mehr Nutzen oder Schaden bringt. Welche Anregungen oder Vorschläge haben Sie, wie demokratische Strukturen und Praktiken in der digitalen Sphäre geschützt, angepasst und gestärkt werden können?
Martin Moore
00:52:54
Einer der Gründe, warum mein Kollege Tambini und ich dieses Buch herausgegeben haben war, dass wir der Meinung sind, dass wir die neuentstandenen Probleme durchaus kreativ angehen sollten. Und so versuchten wir eine Art digitales Toolkit für politische Entscheidungsträger und Zivilgesellschaft zu erstellen, wie man das Thema kreativer angehen könnte. Und das ist notwendig, denn im Moment scheint es in Großbritannien, als ob man nur ein Gesetz bräuchte, den Online Safety Bill. Als das Gesetz mit einem Konsultationspapier im Jahr 2019 vorgestellt wurde, sprach man davon, dass das Internet im Vereinigten Königreich gezähmt werden würde. Dieses Gesetz würde das Land zum sichersten Ort machen, an dem man im Internet sein kann. Das Problem dabei ist, dass, wenn man versucht, all diese Probleme mit einem einzigen Gesetz zu lösen, dieses Gesetz unweigerlich extrem vage wird. Es ist zwar sehr umfangreich geworden aber eben auch sehr vage und spricht keine spezifischen Probleme an. Man muss ein Problem identifizieren, das man zu lösen versucht. Zum Beispiel wenn es um Wahlkampagnen geht oder bei Ad-Tech und programmatischer Werbung. Und dann muss man es mit dem richtigen Instrument für dieses spezielle Problem angehen. Das richtige Instrument könnte eine Form von restriktiver Gesetzgebung sein, muss es aber nicht. In diesem speziellen Fall könnte es auch mehr Wettbewerb sein. Ich denke also, dass es eine ganze Reihe verschiedener Möglichkeiten gibt, die man umsetzen kann, aber man muss ziemlich genau wissen, was man verändern will und gleichzeitig eine Vorstellung davon haben, wo man am Ende hin will.
Katrin Steglich
00:54:48
Abschließend würde ich gerne wissen, welche drei Punkte aus Ihrer Forschung auf unsere Agenda als politische Akteure, aber auch als Privatpersonen gehören?
Martin Moore
00:55:06
Nun, ich denke der letzte Punkt, den ich gerade genannt habe, ist das erste, wovon ich nicht annähernd genug gesehen habe, insbesondere von politischen Parteien oder von Gruppen der Zivilgesellschaft: Eine klare Vision, wo wir hinwollen, wo wir landen wollen. Wollen wir in zehn Jahren in einer Welt leben, die immer noch von sechs amerikanischen Technologieplattformen dominiert wird? Oder wollen wir in einer Welt leben, in der es mehrere Suchmaschinen und mehrere Social-Media-Plattformen gibt und die unterschiedliche Geschäftsmodelle haben können. Einige von ihnen sind vielleicht genossenschaftlich, einige sind gemeinnützig, einige sind gewinnorientiert, haben aber auf jeden Fall ein anderes Modell als den Überwachungskapitalismus von Google und Facebook. Ich möchte also gerne mehr Visionen sehen. Visionen, wo wir hinwollen. Ein zweiter Punkt, auf den ich hinweisen will, ist die Notwendigkeit, sowohl positiver als auch regressiver oder negativer Interventionen. Ich sehe viele der aktuellen Gesetze und Vorschriften als regressiv und als Versuch, das Internet und die großen Technologieplattformen einzuschränken, zu blockieren, zu zensieren und zu zähmen. Ich will aber wirklich gerne auch mehr positive, stärkende Interventionen sehen. Positiv im Sinne von Demokratie-stärkend. Gehen wir 100 Jahre zurück: wir hatten damals die größte, positive Intervention einer britischen Regierung in Bezug auf die Massenmedien mit der Gründung der BBC. Die BBC war eine enorm wichtige und einflussreiche Organisation und ist es immer noch. Ich wünsche mir, dass wir uns mehr Gedanken machen und mehr Ehrgeiz an den Tag legen, was wir jetzt an ähnlich positiven Maßnahmen ergreifen könnten. Und drittens mache ich mir Sorgen, dass wir uns immer noch nicht genug darauf konzentrieren, wie wir die Größe dieser Plattformen verringern können. Ich meine diese Plattformen sind zu groß. Sie sind riesig, sowohl in Bezug auf die Anzahl der Nutzer als auch in Bezug auf ihre Einnahmen. Sie sind einfach riesig und viele der Probleme, die wir in der Gesellschaft und in der Politik mit ihnen haben, sind eine wesentliche Folge ihrer Größe. Ich denke wir müssen uns mehr darauf konzentrieren, wie wir ihr Ausmaß verringern können.
Katrin Steglich
00:57:52
Es war toll, mit Ihnen zu sprechen! Vielen Dank, Martin, für dieses Interview.
Martin Moore
00:57:55
Vielen Dank, Kay, vielen Dank!