Netz-fest für faire Digitalisierung.

Ein Podcast von OXFAM und der lpb bw
Since 09/2022 7 Episoden

Netz-Fest Fokus: Nachhaltigkeit und Digitalisierung mit Prof. Dr. Andre Reichel

Der Oxfam Podcast für eine faire Digitalisierung

27.09.2022 25 min Oxfam Deutschland | Katrin Steglich

Zusammenfassung & Show Notes

In dieser Episode von Netz-Fest gehen wir der Frage nach, wie Digitalisierung zu mehr Nachhaltigkeit beitragen kann.

Transkript

KI Linda
00:00:00
Das Digitale ist inzwischen überall. Die Versprechen, dass damit alles besser wird, haben sich nicht für alle bestätigt. In dieser Podcast-Reihe gehen wir der Frage nach, wie eine Digitalisierung aussehen kann, die zu einer lebenswerteren Welt beiträgt, z.B. indem sie Ungleichheit verringert, und Gleichberechtigung, Nachhaltigkeit sowie die Zivilgesellschaft stärkt.
Katrin Steglich
00:00:28
Herzlich Willkommen zum Podcast Netz-Fest, der in Kooperation mit der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg entsteht! Mein Name ist Katrin Steglich, und heute spreche ich mit André Reichel. Er ist Professor für Internationales Management und Nachhaltigkeit an der International School of Management in Stuttgart. Sein Forschungsbereich umfasst unter anderem die betriebswirtschaftlichen Implikationen einer Postwachstumsökonomie sowie die Verschmelzung von Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Danke, dass Sie sich die Zeit nehmen für dieses Interview!
André Reichel
00:01:05
Ich freue mich!
Katrin Steglich
00:01:07
Unser Leben wird zunehmend digitaler, sei es die Landwirtschaft, die mittels Digitalisierung in großem Stil effizienter werden soll oder auch eine App, die Bauern in Afrika landwirtschaftliche Großmaschinen leihweise verfügbar macht. Auch Krypto-Coins sind ein digitales Pendant zu herkömmlichen Währungen und existieren nur in Datenbanken. Unsere Geräte werden alle smart und sammeln Daten über uns und Meta möchte unsere analoge Welt im Digitalen abbilden. Es gab noch nie so viele gespeicherte Daten, und es nimmt stetig zu. Gleichzeitig sind unsere Anstrengungen beim Löschen von Daten nicht überzeugend, weil dies Aufwand macht es für viele billiger ist, einfach noch eine Festplatte zuzuschalten. Und wie wir im letzten Podcast gelernt haben, es auch ein großes Interesse seitens der großen Tech-Konzerne gibt unsere Daten in anonymisierter Form zu behalten. André Reichel, allein für die Medien, die notwendig sind, alle diese Daten zu speichern, braucht es Rohstoffe, Datenzentren, Kühlung, Strom. Wie beurteilen Sie das Verhältnis zwischen Fortschritt, Effizienz und Nachhaltigkeit in dieser Hinsicht?
André Reichel
00:02:11
Vielen Dank, Frau Steglich, dass sie das jetzt gleich am Anfang so klar formulieren. Denn häufig hört man ja, wenn es um das Thema digitale Transformation geht, das Daten das Öl des digitalen Zeitalters sind. Aber in der Tat sind nicht Daten das Öl, sondern Metalle, vor allem nämlich Edelmetalle und Seltene Erden. Also alles das, was in diesen elektronischen Produkten letzten Endes steckt. Und auch so einen Podcast, der ja zunächst virtuell scheint, hat einen doch nicht unerheblichen energetischen materiellen Unterbau. Und das wird häufig, wenn wir über das Thema Digitalisierung sprechen, ein Stück weit ausgeblendet oder nicht ausreichend beachtet. Also nur, weil etwas virtuell ist, weil man es vielleicht nicht anfassen kann, heißt es aber noch lange nicht, dass es nicht auch sehr physisch und sehr real ist. Die digitale Welt ist eine sehr materielle Welt mit unglaublich großen Materialverbräuchen und natürlich auch - Stichwort Algorithmen - mit Energieverbräuchen. Das alles entsteht nicht aus dem Nichts. Und insofern braucht auch diese digitale Transformation ganz klare Leitplanken, die aus dem Bereich Nachhaltigkeit kommen, was die ökologischen Rahmenbedingungen z.B. dieses technischen Fortschritts angeht.
Katrin Steglich
00:03:30
Wie ich in der Einleitung bereits erwähnte, forschen Sie zur Verschmelzung von Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Was kann denn die Digitalisierung beitragen, um den Ressourcenverbrauch unseres jetzt noch sehr expansiven Wirtschaftssystems zu reduzieren? Aktuell, wie Sie ja sagten, wird mit Digitalisierung eher eine Steigerung bezweckt, auch des Verbrauchs, weil das das Narrativ ist, was unsere expansive Wirtschaft erzählt. Welche Beispiele gibt es im Positiven?
André Reichel
00:03:59
Also selbstverständlich kann auch Technologie für positive Dinge eingesetzt werden, wenn es um das Thema ökologische Verbräuche geht, also Optimierung von Energieverbräuche, von Lieferketten, von Logistik, von Mobilität. All das sind Beispiele, wo wir sehen, dass neue digitale Technologien, das Software, dass Algorithmen, das auch KI (Künstliche Intelligenz) einen Beitrag leisten kann, die Dinge, die wir machen, effizienter zu machen letzten Endes, und das ist sicherlich ein nicht zu kleiner Hebel, den Digitalisierung oder Digitalisierungstechnik haben. Ein anderer Hebel ist, dass sie in der Tat natürlich physische Aktivitäten durchaus auch ersetzen können, also die Physikalität verschwindet nicht, aber sie kann geringer werden, also beim Thema Raumüberwindung haben wir das jetzt in den zwei Jahren der Pandemie gesehen. Da wird durch so Dinge wie den Zoom-Boom oder andere Videokonferenzsysteme auf einmal der Raum ein Stück weit irrelevant, und wir müssen ihn nicht mehr überwinden - damit auch noch verbunden ganz neue Formen der Organisation von Arbeit, von Arbeitszeiten, von Arbeitsorten. Und ich glaube, das ist auch so eine richtige Perspektive. Diese digitalen Technologien alleine können bestimmte Dinge tun. Aber wenn wir sie in einen größeren organisationalen, institutionellen Veränderungsrahmen einbetten, dann entfalten sie vielleicht auch ganz interessante, positive Nachhaltigkeitseffekte.
Katrin Steglich
00:05:23
Jetzt gibt es ja auch den berühmten Rebound-Effekt. Das ist die Steigerung des Konsums durch die Steigerung der Effizienz. Das kennen wir. Das bezieht sich natürlich auch auf den digitalen Konsum. Was glauben Sie, was braucht es, um in eine nachhaltige Entwicklung auch von digitalem Konsum zu kommen? Oder ist es eher so, dass man sagt, man ersetzt manches und manches eben vielleicht doch nicht?
André Reichel
00:05:48
Also beim Rebound Effekt, der begleitet, wie Sie auch schon richtig angemerkt haben, jede Effizienzsteigerung. Das muss nicht immer negativ sein. Es ermöglicht ja auch der Rebound -Effekt, dass zum Beispiel mehr Konsum möglich ist, in Situationen, wo absolute Knappheiten vorhanden sind. Jetzt reden wir beim digitalen Konsum sicherlich nicht von einer Situation absolute Knappheit, sondern eher, dass wir im Überfluss sind und dann noch mehr Konsum-Optionen dadurch gewinnen können, und auch dann natürlich mehr Natur-Verbräuche damit einhergehen. Den Rebound-Effekt, den kriegt man nicht richtig weg. Wenn Sie ökonomisch argumentieren, ist die einzige Möglichkeit eigentlich die Effizienz. Denn Effizienzfortschritt, der z.B. durch eine digitale Technologie möglich ist, den zu besteuern, durch eine Efficiency Tax - das hat Ernst Ulrich von Weizsäcker vorgeschlagen - wenn Sie also vier Prozent effizienter werden, dann müssen sie eine Steuererhöhung draufschlagen von vier Prozent, sodass es wieder weg ist, dass gar keine Mehr-Konsum-Optionen entstehen können. Ob das politisch durchsetzbar ist, das weiß ich nicht. Ob sie auch immer so zielgenau sein können, das ist auch unklar. Die andere Frage ist: Ermöglicht uns der digitale Konsum eine andere Art von Konsum, der dann vielleicht doch - wenn wir den energetischen materiellen Unterbau einbeziehen, den ich angesprochen habe - der dann doch Ressourcen-leichter ist. Wir wissen, dass, wenn wir Kultur, Kunst und solche Dinge „konsumieren“ oder auch Bildungsangebote, dass die natürlich deutlich Ressourcen-leichter sind, als wenn sie eine Fernreise auf die Malediven machen. Also hier ist die Frage, welche anderen Formen des Konsums ermöglicht Digitalisierung und könnten die auch Ressourcen-leichter sein? Und was müsste man tun, dass wir genau solche Arten von Konsumgütern fördern?
Katrin Steglich
00:07:35
Jetzt denke ich an die großen Tech-Konzerne, die ja die Strategie haben, durch ihre werbebasierten Geschäftsmodelle und so lange wie möglich online zu halten. Ist das ein Problem? Müsste man da auch mal rangehen?
André Reichel
00:07:48
Einer der der Gründungsväter der ökologischen Ökonomie, Nikolaus Georgescu Rügen, rumänischer Mathematiker und Ökonom, hat mal in seinem „Bio-Ökonomischen Minimalprogramm“ ein Verbot der Werbung vorgeschlagen, weil er gemeint hat, wir können alles Mögliche machen, aber solange es Werbung gibt, die uns anreizt, immer mehr zu konsumieren, dann werden alle technologischen Lösungen für Umweltprobleme, z.B. Kreislaufwirtschaft, auch nichts bringen, weil die Leute trotzdem mehr konsumieren werden. Jetzt weiß ich nicht, ob man ein Verbot von Werbung braucht. Es ist vielleicht auch noch einmal interessant, sich zu überlegen, warum eigentlich Werbung hier so ein dominantes Geschäftsmodell ist. Das heißt ja, dass man offensichtlich anders auch kein Geld verdienen kann, wenn ich das mal ganz ketzerisch anmerken darf: Also so ganz viel scheint ja da nicht an Realem möglich zu sein, wenn es nicht werbebasiert ist. Und das führt mich doch wieder zur Frage des Eigentums, unter Umständen, und zwar des Eigentums „Wem gehören eigentlich diese Plattformen?“ Um die geht es ja letzten Endes. Und ich glaube, wenn solche Plattformen wie Facebook oder Google oder Amazon jetzt so beherrschend sind für unsere Leben und wir alle unsere täglichen Erledigungen über diese Plattformen abwickeln, dann gehören Sie eigentlich zur digitalen Daseinsvorsorge. Und wie wir das in Deutschland kennen, also Daseinsvorsorge ist eigentlich eine öffentliche Aufgabe bzw. eine Aufgabe, wo die öffentliche Hand stark reguliert und u.U. - das muss man sich eben doch überlegen - wie man diese Plattformen entweder deutlich stärker reguliert oder wem sie dann tatsächlich gehören.
Katrin Steglich
00:09:28
Also mir stellt sich die Frage - dieses Narrativ von mehr Wachstum, was ja stark an die Werbung gekoppelt ist, passt nicht zu den CO2 Einschränkungen, die wir uns letztlich auferlegen, um die Klimaziele zu erreichen. Welche neuen Wege kann man da gehen? Das ist, glaube ich, ein guter Hinweis - wenn man Werbung reduzieren könnte oder eventuell sogar ausschalten würde und die Infrastruktur in öffentlich-rechtlicher Hand läge, dann hätte man vielleicht auch ein anderes Konsumverhalten, weil es nicht angeheizt wird.
André Reichel
00:10:07
Auf jeden Fall. Ich habe mal irgendwann vor einigen Jahren aus Spaß geschaut bei Facebook, wie viele Nutzerinnen hat denn Facebook aktiv? Was sind die Werbeeinnahmen, die Facebook generiert und habe dann gesagt: OK, also für 17 /18 Euro im Jahr, wenn wir das zahlen würden, dann würden wir quasi Facebook komplett die Werbeeinnahmen ersetzen. Und wir bräuchten es nicht mehr. Insofern ist es in der Tat die Frage und das ist natürlich unangenehm, ja, aber die Eigentumsfrage steht im hier Raum. Und die andere Sache ist aber auch, dass wir gerade bei diesen digitalen Technologien und vielleicht auch bei diesen Plattformen, über die wir ja viele Zugriffe haben, ob wir nicht hier viel stärker auch gesetzliche Vorgaben brauchen, dass Nachhaltigkeit, dass ökologische Leitplanken dort eine Vorgabe werden, die erfüllt werden muss. Also so ganz naiv zu glauben, dass durch Technologie die Sache sich schon von alleine klärt, ich glaube, so naiv können wir im einundzwanzigsten Jahrhundert einfach nicht mehr sein.
Katrin Steglich
00:11:10
Was könnten Sie sich vorstellen?
André Reichel
00:11:13
Also, die Sache finde ich beim Thema Energieverbrauch, beim Thema Effizienz – hier könnte es klare Vorgaben geben. Ein Nachhaltigkeitsberichtswesen für diese Plattformen kann ich mir vorstellen. Eine Offenlegungspflicht von Algorithmen kann ich mir sehr gut vorstellen. Oder eben in der Tat die Überlegung, inwiefern die Nutzerinnen und Nutzer nicht an Entscheidungen der Plattform in irgendeiner Form in geeigneter Weise beteiligt werden müssen. Also noch einmal: wenn diese Plattformen so stark in unserem Leben eingreifen und Teil unserer Daseinsvorsorge werden, dann ist es nichts mehr, was man nur privat organisiert lassen kann, meiner Meinung nach.
Katrin Steglich
00:11:57
Wie beurteilen Sie die Auswirkungen für eine gerechtere und gleichberechtigt Welt, wenn es z.B. von Seiten dieser Plattformen auch eine Datenallmende für zivilgesellschaftliche Interessen gäbe, also auch vielleicht „KI as a Service“, also künstliche Intelligenz auf Mietbasis für Civic Science Gruppen, weil die agieren nicht Profit-ausgerichtet, sondern Interessen-ausgerichtet, was für die Zivilgesellschaft interessant wäre und diese Daten und diese Entwicklungen sind ja auch immer durch Bürger und Steuern ermöglicht #00:13:04-8# worden.
André Reichel
00:12:30
Das ist auch ein wichtiger Punkt, dass alle diese Technologien häufig durch staatliche Leistungen überhaupt ermöglicht worden sind. Es gibt auch Bewegungen wie den Plattform-Kooperativismus, dass man versucht, eigene Plattformen in BürgerInnenhand zu machen, also auch aktivistisch hier vorgeht. Das Problem ist natürlich, dass sie es schwer haben in einer Bedarfswelt, wo sie so große Plattform-Unternehmen haben wie Amazon oder Facebook, Apple oder Google, dass sie da kaum reinkommen. Sie haben bei digitalen Technologien und in einer digitalen Ökonomie diese Netzwerkeffekte. D.h. wenn Sie mitmachen bei einer Plattform, dann steigert es Ihren Mehrwert und den Mehrwert des Nächsten, der da auch mitmacht und je mehr Leute da mitmachen, umso mehr Nutzen bringt die ganze Sache. Das ist zwar ein Geschäft, wo - wenn man so will - immer der Erste gewinnt. Es gibt auch jetzt kein richtig zweites Facebook oder kein zweites Google oder kein zweites Amazon, das sind immer Märkte, diese digitalen Märkte, wo wir Monopolbildungen haben. Und bei Monopolbildungen, naja, wer kann dagegen vorgehen? Das ist nun mal der Staat. Und wir sehen ja auch - und ich möchte anfügen Gottseidank- dass die Europäische Union hier sehr stark in diesem Bereich, agiert. Jetzt zuletzt mit dem Digital Service Act.
Katrin Steglich
00:13:58
Ein Aspekt, über den wir noch nicht gesprochen haben, ist die Verteilung von Chancen und Möglichkeiten auf globaler Ebene. Einerseits gibt es eben die Länder, in denen in prekären Arbeitsverhältnissen Ressourcen für die Produktion der digitalen Infrastruktur abgebaut werden. Und andererseits gibt es wenige Monopolisten mit ihren skalierenden digitalen Geschäftsmodellen, mit denen eine noch nie da gewesene monetäre Macht entstanden ist. Und diese Gegensätze verstärken sich, glaube ich, immer mehr. Können auf Basis einer wirtschaftlichen Schwäche in großen Teilen dieser Welt überhaupt gute ökologische Entscheidungen getroffen werden?
André Reichel
00:14:34
Das ist natürlich eine sehr gute Frage. Aber ich denke, dass es sehr wohl möglich ist. Man kann manchmal etwas verzweifeln, wenn man sich gerade die letzten 30 Jahre der Klimakonferenzen anschaut. Wir dürfen aber nicht vergessen, es sind immer wieder große Durchbrüche erzielt worden. Ein großer Durchbruch war z.B. das Pariser Klimaabkommen, das jetzt auch extreme Wirkung entfaltet. Es ist ja nicht nur ein Abkommen, das jetzt Staaten verpflichtet, sondern letztes Jahr, mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, konkretisiert es tatsächlich auch das deutsche Grundgesetz mit dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen. Also ich glaube in der Tat, dass wir die politische Dimension, auch die globale politische Dimension nicht unterschätzen dürfen. Da passiert vieles, da ist viel passiert. Und ich bin da eigentlich ganz frohen Mutes, dass da auch noch mehr passieren wird, auch weil der Handlungsdruck größer wird. Und wenn wir jetzt auch die letzten Jahre und auch die letzten Wochen anschauen, natürlich verändert sich sehr viel. Aber wir haben auch gesehen, dass gerade die Politik ihr Primat wiederhergestellt hat. Wir leben ja nicht mehr in neoliberalen Zeiten, wo der Markt alles bestimmt, sondern die Politik ist ja wieder da. Der Staat ist wieder da. Und insofern denke ich schon, dass auch hier wieder durchaus Chancen bestehen, dass hier auch global gehandelt werden kann.
Katrin Steglich
00:16:06
Ein Thema das ich gerne noch anspreche möchte, ist die Innovationsmethodik, die wir aktuell verfolgen, ist die, dass Konkurrenz den Markt belebt. D.h. dass immer sehr viele Anbieter um eine Vormachtstellung ihres Produktes kämpfen. Am Ende bleibt dann einer übrig, vielleicht zwei, und die anderen wurden übernommen oder verdrängt. Braucht es vielleicht auch in der Innovationsmethodik ein neues politisches Rahmenwerk, um da ressourcenschonender vorzugehen? Mit Blick auf gesamtgesellschaftliche Vor- und Nachteile?
André Reichel
00:16:40
Sagen wir mal so: in der nicht-digitalen Ökonomie bleiben immer mehr übrig. Es ist eine ganz spezifische Eigenschaft der digitalen Ökonomie, dass wir diese Monopolisierungstendenzen haben. Ja, das ist sonst - sagen wir mal beim Automobilbau oder in anderen Branchen - so nicht der Fall. Dass es immer wieder Konzentrationswellen gibt, das schon. Aber es gibt immer auch wieder Diversifizierungswellen; aber in der digitalen Ökonomie eben nicht. Und deswegen ist sie auch so grundlegend anders als andere Industrien, die wir haben. Wir müssen, das, glaube ich, stärker überlegen: Wie gehen wir mit solchen Besonderheiten letzten Endes um? Und wie gehen wir damit um, mit solchen Monopolen? Ich glaube, die Frage „Konkurrenz belebt das Geschäft“, das ist ja nicht grundsätzlich falsch. Aber ich glaube, da muss auch eine Wettbewerbsaufsicht ihre Naivität ablegen. Denn es hat sich gezeigt - gerade in digitalen Märkten - man kann noch so versuchen, diese Märkte offen zu halten, wenn sich so eine Monopolstellung bildet, dann gibt es so gut wie keine Möglichkeit, sie mehr aufzubrechen, weil dann genau dieses beherrschende Unternehmen im Zweifelsfall alle Newcomer, die auf den Markt kommen, einfach aufkauft bzw. an sich zieht. Und das ist in der Tat so eine grundlegend andere Eigenschaft dieser digitalen Märkte, dieser digitalen Wirtschaft, die wir haben.
Katrin Steglich
00:18:06
Jetzt forschen Sie auch zur Postwachstumsökonomie. Und da wollte ihr noch fragen, was die Vision der Postwachstumsökonomie ist und wie diese einzahlt auf mehr Nachhaltigkeit und welcher Rahmen letztlich dafür auch gesteckt werden müsste.
André Reichel
00:18:23
Also im Deutschen: die Postwachstumsökonomie; im Französischen ist es ja: de croissance - das ist ja der Schlachthof, den Serge Latouche vor jetzt fast 20 Jahren in einem Aufsatz niedergeschrieben hat. Die Idee dahinter war, zu sagen: Wir müssen diese politisch-ökonomischen Diskussionen aufrütteln und erschrecken, weil wir offensichtlich gar nicht mehr Jenseits der Wachstumsvorstellungen reden und denken können. Wir sind so fixiert auf wirtschaftliches Wachstum als einen Normalzustand, und außerhalb von Wirtschaftswachstum sind auch keine Problemlösungen denkbar und sagbar. Da kam eben dieser Begriff von „de croissance“ oder im Deutschen: der Postwachstumsökonomie als ein Weckruf. Also eine Provokation. Dass man sagt „Moment mal, ist nicht auch eine ganz andere Art der Wirtschaft denkbar?“ Die Vision dahinter ist in der Tat, dass es eine Wirtschaft und auch eine Gesellschaft ist, die eben jenseits des Wachstums operiert, wo auch Kontraktionsprozesse denkbar und sagbar sind, wo wir auch tatsächlich absichtsvoll und geplant Kontraktionen #00:20:38-8# der Wirtschaft herbeiführen, z.B. in den Bereichen, die nicht nachhaltig sind, die große Ungerechtigkeiten erzeugen. Und das ist natürlich weiterhin eine Provokation, weil wir ja gerne Probleme nicht dadurch lösen, dass wir die unerwünschten Dinge wegmachen, sondern dass wir einfach so viele neue Dinge draufschmeißen, bis wir sie nicht mehr sehen. Und das finde ich das Interessante an der Postwachstumsökonomie und an diesem ganzen Diskurs, dass er eben sagt „Wir müssen auch über Schrumpfung reden, über Kontraktion reden und uns wieder grundsätzlich fragen, wofür ist eigentlich die Wirtschaft da?“ Die Wirtschaft ist da, dass es eine gerechte, lebenswerte Gesellschaft für alle gibt, und dass alle teilhaben können. Im Übrigen, zu diesen „allen“ gehören auch nicht die Nicht-Menschen, die ja auch ein großer Teil unserer Welt darstellen, also insofern - es ist tatsächlich eine ganz andere Vorstellung, wie Wirtschaft und Gesellschaft ausschauen.
Katrin Steglich
00:20:36
In Bezug auf Digitalisierung gibt es da ein gutes Beispiel? Das bezieht sich ja letztlich auf Verhaltensänderung. Ich denke da in Richtung von Sharing-Angeboten, also, dass man nicht mehr alles kauft, sondern vielleicht auch tauscht oder teilt. Was gibt es für Modelle in digitaler Hinsicht, was man besser machen kann?
André Reichel
00:20:59
Man muss immer aufpassen, dass man nicht sofort auf die digitale Lösung schaut und ganz vergisst, was eigentlich das Problem ist, dass man damit lösen will. Sicherlich können digitale Lösungen helfen, Dinge zu skalieren. Wenn ich an die Umsonstläden denke, die es seit vielen Jahrzehnten gibt oder andere Dinge wie Tauschringe, die dann meistens auch gekoppelt sind an Regionalwährungen. Alle diese Dinge können mittels digitaler Technologien skaliert werden, also größer werden, auch sicherer werden. Und da ist es durchaus denkbar, dass wir digitale Technologien dafür anwenden, bei Regionalwährungen bei Tauschringen, wo direkter Leistungstausch zwischen Bürgerinnen und Bürgern stattfindet, jenseits des Marktes. Da finde ich das ganz interessant. Gibt es Möglichkeiten, dass wir die Plattform-Technologien und andere Dinge nutzen, um solche nicht-marktlichen oder mehr als nur marktlichen Austauschbeziehungen, die ja immer auch soziale Interaktionsbeziehungen sind, zu gestalten? Denn ich bin wirklich davon überzeugt, dass wir auch solche nichts streng kommerzialisierten Systeme benötigen, wo sich Menschen direkt begegnen können und auch direkt in einen Tausch von Leistungen von Ideen, von Angeboten treten können.
Katrin Steglich
00:22:19
Würden Sie sagen, dass mit einer gelungenen Digitalisierung, die zu mehr Nachhaltigkeit führt, auch mehr Gerechtigkeit im Sinne von der Ressourcenverteilung erreicht werden kann, vielleicht auch auf globaler Ebene?
André Reichel
00:22:30
Davon bin ich überzeugt. Und ich glaube, das ist auch absolut notwendig. Denn das darf man auch nicht vergessen. Manchmal, gerade #00:23:55-2# wenn wir diskutieren über das Thema soziale Gerechtigkeit - und manchmal wird ja gerne die Ökologiefrage und die Frage nach sozialer Gerechtigkeit gegeneinander gestellt - aber für mich ist es klar, dass im einundzwanzigsten Jahrhundert die ökologische Frage die soziale Frage ist. Ja der gerechte Zugang zu Naturressourcen, zu intakter Umwelt, das ist eigentlich eine ganz zentrale Debatte, die wir führen müssen. Stichwort Klimagerechtigkeit: Der letzte IPCC-Bericht hat den Kolonialismus als einen Hauptverursacher für den Klimawandel benannt. Und da sieht man auch, dass diese sozialen Ungerechtigkeiten, die wir haben, ökologische Wirkungen haben. Und ich denke auch umgekehrt, insofern ist dieses Zusammendenken von Ökologie und Soziales hier sehr zentral. Es ist kein Gegensatz, und da wehre ich mich immer, wenn man versucht, einen Gegensatz zu konstruieren.
Katrin Steglich
00:23:32
Zum Schluss im Hinblick auf Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit und Digitalisierung noch eine Frage: Welche drei Tipps geben Sie uns mit auf den Weg? Was gehört auf unserer Agenda, als politische Akteure, aber auch als Privatpersonen?
André Reichel
00:23:45
Der erste Punkt oder Tipp wie immer man es nennen mag, ist: Wir sollten uns nicht als Konsumierende verstehen, sondern als aktive Bürgerinnen und Bürger in einem demokratischen Gemeinwesen. Es war der größte Trick des Neoliberalismus, dass wir alle gedacht haben, es gibt einen nachhaltigen Konsum. Und es ist deine Entscheidung, was du kaufst. Es geht nicht um das. Es geht in der Tat darum, dass wir Teile dieses Gemeinwesens sind und aktiv daran mitgestalten. Also das wäre der erste Punkt: Sich nicht als Konsumierende verstehen, sondern wir sind Bürgerinnen und Bürger. Der zweite Punkt und das habe ich schon anklingen lassen, auch wenn wir -ich denke auch viele, die jetzt diesen Podcast hören - auch interessiert und vielleicht auch begeistert sind an digitalen Technologien: Hinterfragen Sie technologische Lösungen! Häufig sind Technologien Lösungen auf der Suche nach Problemen. Und dabei schaffen sie dann noch neue Probleme. Also wirklich kritisch sagen „Wozu brauche ich das eigentlich?“ Und nicht von vornherein denken, das wird schon eine ganz tolle Sache sein - also kritisch bleiben. Und ich glaube, beim Thema Digitales ist ganz wichtig, dem Motto von Peter Lustig zu folgen: Abschalten. Die Welt ist halt kein Screen, die Welt ist so viel mehr als das. Also auch, sich wieder aus diesem Digitalen immer wieder herauszuziehen, auch wenn das digitale große Inklusionsmöglichkeiten bieten kann. Aber vergessen wir nicht, dass es da noch eine materielle, physische Welt gibt, die auch zu unserem menschlichen Leben dazugehört.
Katrin Steglich
00:25:13
Ich danke Ihnen für das Gespräch und wünsche Ihnen noch einen ganz schönen Tag!
André Reichel
00:25:15
Dankeschön!