Björn Kraus
Theorien der Sozialen Arbeit
15.10.2021 84 min Staffel 1 Episode 6
Zusammenfassung & Show Notes
Björn Kraus (* 1969) gelangte nach verschiedenen Ausbildungen und Tätigkeiten in Gewerbe und Handwerk auf dem zweiten Bildungsweg zum Studium. Er studierte in Ludwigshafen Soziale Arbeit (Dipl.-Sozialpädagoge) und Erziehungswissenschaft in Landau. Er promovierte zum Dr. phil. an der Universität Heidelberg mit dem Thema Konstruktivismus - Kommunikation - Soziale Arbeit. Radikalkonstruktivistische Betrachtungen zu den Bedingungen des sozialpädagogischen Interaktionsverhältnisses. Seine Arbeits- und Forschungsschwerpunkte sind: Wissenschaft Soziale Arbeit, Epistemologie, Kommunikation und Macht sowie systemische Anthropologie und Methodik.
Kraus hat seine erkenntnistheoretischen Untersuchungen zur Sozialen Arbeit in vielen Einzelbeiträgen dargelegt.
Transkript
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Martin Klein: Welche drei Worte beschreiben Sie gut oder am besten?
Kraus: Ich hab da drüber nachgedacht. Ich muss freiwillig gestehen, es
gelingt mir nicht mich mit drei Worten zu beschreiben. Muss ich
passen.
Ich habe das Gefühl, egal wie ich es drehe und wende, bleibt es
unzureichend.
Insofern kann ich da keine Antwort drauf geben.
Martin Klein: Gibt es so etwas wie eine Lebensphilosophie für Sie?
Wenn ja welche?
Kraus: Claudius Magnus hat mal gesagt: "Tue das eine und das wolle von
Herzen."
Das wäre sicherlich ein Teil meiner Lebensphilosophie.
Gleichwohl die Schwierigkeit immer ist festzustellen, was dieses eine
sein soll.
Und für mich ist es sicherlich der Punkt, was mich heute dahin
gebracht hat wo ich bin. Auch weil sicherlich auch viel Glück mit im
Spiel war.
Aber der Punkt sagen zu können: "Ich möchte wissenschaftlich
arbeiten". Das ist etwas, was für mich relativ früh feststand. Und ich
habe dann tatsächlich alles darauf konzentriert. Unbedingt nur noch
das machen zu wollen, also ich hatte relativ wenig Plan B. Würde ich
jetzt auch nicht unbedingt als Lebensphilosophie weiterempfehlen, weil
das was dann nachher gelingt, hängt dann doch viel von Verhältnissen,
Zufällen und glücklichen Umständen ab und man kann es nicht erzwingen.
Also ich finde immer so ganz schwierig wenn Menschen so propagieren,
der Wille alleine wäre entscheidend, denn daraus folgt ja im
Umkehrschluss sozusagen: "Allen, denen es nicht gut geht, die wollten
ja bloß nicht."
Also das halte ich für vermessen.
Und wenn ich jetzt nur auf meine eigene Biografie gucke, ich komme ja
nur aus einem relativ bildungsfernen Bereich, habe Hauptschule gemacht
und dann verschiedene Ausbildungen und als Kfz-Schlosser eine Lehre
und als Verkäufer und habe später als Sägewerker gearbeitet habe dann
erst auf dem zweiten Bildungsweg angefangen nochmal Schule zu machen
zu studieren und zu promovieren. Jetzt könnte man sagen: "Man, das ist
doch ein Beleg dafür, dass man da problemlos rauskommen kann."
Da sind so viele Faktoren die gar nicht in meinen Händen waren.
Da ist so viel Glück dabei letzten Endes.
Ich würde dann schon auch sagen: das Wollen ist das eine, die
Verhältnisse sind das andere. Und das ist vielleicht auch das, was mir
soziale Arbeit so sympathisch macht.
Dieser Fokus auf dem Individuum in seinen Verhältnissen.
Martin Klein: Gibt es so etwas wie einen besten Ratschlag, den Sie mal
bekommen haben?
Kraus: Nein.
Martin Klein: Wenn Sie sich die soziale Arbeit anschauen, gibt es
jemanden oder mehrere, die sie als Vorbilder bezeichnen würden oder
ein Vorbild?
Kraus: Nein. Also ich habe sicherlich eine menge Personen, die ich
beeindruckend finde und aus unterschiedlichen Gründen, also wo ich
teilweise die Stringenz der Argumentation beeindruckend finde. Ich
kann mich sehr dafür begeistern, wenn jemand frei von den jeweils
aktuellen Verhältnissen oder dem Mainstream in Theoriediskursen in der
Lage ist, sozusagen, einen neuen Weg einzuschlagen. So etwas kann mich
beeindrucken oder wenn auch Biografien wo ich auch sagen muss Menschen
unter besonderen Bedingungen Leistungen vollbracht haben, die einfach
außergewöhnlich sind. Das ja. Aber daraus würde ich keinen
Vorbildcharakter ziehen.
Martin Klein: Aber sie interessieren sich ja für die soziale Arbeit.
Warum überhaupt?
Kraus: Wie ich gerade schon gesagt habe, also ich glaube für mich ein
ganz entscheidender Punkt ist, dass aus meinem Verständnis heraus
Soziale Arbeit den Fokus maßgeblich auf dem Individuum in seinen
Verhältnissen hat. Also wenn ich das disziplinäre sozusagen verorten
würde, würde ich sagen es gibt Disziplinen und Professionen, die
beschäftigen sich jetzt mehr mit dem Individuum, etwa dessen
physischer und psychischer Verfasstheit.
Es gibt Disziplinen, die beschäftigen sich mehr mit sozialen
Verhältnissen und meinem Verständnis, würde ich sozialer Arbeit
definieren als einen Beitrag zur Gestaltung des Sozialen, der erstens
an normativen Kriterien der Menschenrechte und der sozialen
Gerechtigkeit orientiert ist, der zweitens wissenschaftlich begründet
ist, in dem was er tut oder lässt und der drittens, und dann kommt
dieser Fokus rein, auf die Schnittstelle zwischen Individuum und
Gesellschaft fokussiert ist.
Und das ist, wenn man so mag, solange ich mich zurück erinnern kann,
die Perspektive meines überlegenes.
Was macht das Individuum? Wie kann es erkennen? Wie kann es handeln?
Wie kann das entscheiden?
Wie kann das Interagieren unter den Verhältnissen in denen es ist? Und
da finde ich soziale Arbeit einfach für mich die Heimat Disziplin und
Profession, weil das aus meiner Sicht der Fokus der Sozialen Arbeit
ist.
Martin Klein: Nun interessieren sich viele für die soziale Arbeit aus
der Praxis heraus, oder sie interessieren sich für die Praxis der
sozialen Arbeit. Sie interessieren sich auch sehr für die Theorie.
Warum denn ausgerechnet die Theorie?
Kraus: Weil es Spaß macht.
Ich war gerne in der Praxis, also ich habe verschiedene Praxisfeldern
gearbeitet.
Ich habe auch heute noch Kontakt zur Praxis, dann allerdings sozusagen
aus einer relativ entfernten distanzierten Metaperspektive als Coach
und Supervisor.
Muss allerdings sagen mein Talent und meine Neigung liegen doch
eindeutig im Bereich der Theorie.
Also wenn ich es moralisch sehe, würde ich sagen, mir liegt
tatsächlich an der Gestaltung des Sozialen und dabei hin zu einer
Verbesserung für den Einzelnen fürs Ganze.
Das ist tatsächlich für mich ein wichtiger Antrieb. Und da bin ich
einfach effektiver und effizienter, wenn ich theoretisch arbeite, als
ich praktisch arbeite, weil ich das besser kann als praktisch zu
arbeiten. Ich bin mir sicher man findet eine Menge Leute, die Praxis
besser können als ich. Und dann ist es tatsächlich so, es ist es eine
Neigungssache. Ich finde Theorie Arbeit ist auch Handwerk, ist auch
Praxis. Ich finde wissenschaftliches Arbeiten ist über weite Strecken
für mich auch so... hat was von Steinbrucharbeit. Also so unter
bestimmten Regeln systematisch sich durch einen Berg gräbt. Und das
macht auch nicht immer Spaß, zumindest mir nicht, es gibt Phasen da
arbeite ich monatelang an einer Problemstellung und stelle fest, dass
ich einen toten Stollen gegraben habe, weil das so nicht weitergeht
und dann muss ich umdrehen und muss wieder zurück und fangen wieder
von vorne an. Das hat wenig Freude in dem Moment, aber wenn dann mal
ein Durchbruch gelingt, dann ist bei mir die Freude so groß, dass das
reicht, um so eine Art Suchtverhalten zu legitimieren.
Für mich ist theoretisch arbeiten eine Seinsform. Das ist mein Leben.
Deswegen, ich habe auch Kolleginnen und Kollegen, gerade jüngere, die
da manchmal fragen, wie ich das eigentlich mache mit der
Work-Life-Balance.
Da sag ich immer das ist für mich gar keine Fragestellung.
Denn ich habe diese Differenzen, gegenüberstellungen nicht, denn
tatsächlich mein theoretisches arbeiten ist mein Leben.
Also wenn ich morgen freigestellt werden würde und müsste nicht mehr
zur Hochschule, wäre ich an einer Stelle ganz dankbar, weil ich dann
die Selbstverwaltung und so weiter mir sparen könnte, aber ich würde
sicherlich nicht weniger arbeiten.
Ich könnte dann in Ruhe theoretisch arbeiten und würde nicht ständig
unterbrochen werden, indem ich in irgendwelche Sitzungen muss. So. Für
mich ist das... und das ist grandios für mich!
Ich habe ein tolles Leben, weil ich tatsächlich hauptberuflich das
machen kann, was mich interessiert.
Das ist ein Privileg, das sicherlich nur ganz ganz wenige Menschen
haben. Bin ich sehr dankbar für.
Helmut Lambers: Als nächsten Gast in unserer Interviewreihe begrüßen
wir ganz herzlich Björn Kraus. Einen schönen guten Tag! Bevor wir zu
unseren Fragen kommen, versuche ich mal in aller Kürze einen kleinen
Abriss über Ihren biografischen, beziehungsweise über Ihren
akademischen Werdegang zu geben.
Sie haben nach verschiedenen Ausbildungen in Gewerbe und Handwerk das
Studium der Sozialen Arbeit in Ludwigshafen aufgenommen und auch
abgeschlossen. Und überdies Erziehungswissenschaften in Landau
studiert.
Einen Masterstudiengang "Management und Didaktik von
Bildungsprozessen" in Freiburg abgeschlossen. Die Promotion an der
Universität Heidelberg mit dem Thema, das muss ich jetzt aber wirklich
vollständig ablesen, "Konstruktivismus Kommunikation sozialer Arbeit.
Radikal konstruktivistische Betrachtungen zu den Bedingungen des
sozialpädagogischen Interaktionsverhältnisses".
Und das ist, denke ich, ja auch ein Thema, was Sie dann in den
laufenden Jahren sehr reichhaltig bearbeitet haben und auch noch
weiterhin bearbeiten. Sie (haben) eine Menge von Zusatzausbildungen:
systemischer Therapeut und Berater, systemischer Supervisor,
systemischer Coach, sowie Supervisor und Coach nach den
unterschiedlichsten Standards.
Sie haben überdies berufspraktische Erfahrungen in der offenen
Jugendarbeit gesammelt. In der Heimerziehung, wie man lesen kann, und
auch als Leiter eines städtischen Kinder-und Jugendbüros.
Seit 2005 sind Sie nun hier in der Evangelischen Hochschule Freiburg
für die Wissenschaft Sozialer Arbeit zuständig.
Man nennt das hier Profil Professur, was also die besondere Bedeutung
für dieses Fach Soziale Arbeit als Wissenschaft noch einmal markiert.
Und haben hier bestimmte Arbeits-und Forschungsschwerpunkte, die wir
kurz umreißen.
Zum einen natürlich Wissenschaft Sozialer Arbeit. Dann Epistemologie,
Kommunikation und Macht sowie systemische Anthropologie und Methodik.
So. Das was jetzt relativ viel, aber mit Sicherheit noch nicht alles,
aber ich habe mal versucht das so kursiv auf die wichtigsten Merkmale
zu bringen.
Ihre Arbeiten zur Theoriebildung der Sozialen Arbeit, sehr vielfältig
in vielen Publikationen hinterlegt, können wir hier nicht alle
vorstellen, müssen wir vielleicht auch gar nicht, denn uns
interessiert hier insbesondere Ihre Publikation aus dem Jahr 2013
"Erkennen und entscheiden: Grundlagen und Konsequenzen eines
erkenntnistheoretischen Konstruktivismus für die soziale Arbeit".
Das ist eine Publikation, in dem Sie wesentliche Grundthemen und auch
Grundbegriffe der Sozialen Arbeit aus Ihrer sehr sehr... ich sagt mal
aus ihrer eigenen theoretischen Perspektive heraus beleuchten.
Natürlich gibt es weitere Publikationen. Hier vielleicht noch.
Relativ neu "Macht in der Sozialen Arbeit".
Also das Thema Macht ist für Sie auch ein sehr prominentes Thema. Hier
sehe ich haben wir die zweite überarbeitete Auflage. Mittlerweile ist
es glaube ich die vierte. 2016. Also wird auch stark rezipiert.
Und, ja vielleicht sollte man noch darauf hinweisen, ein Buch was im
März diesen Jahres erscheinen wird "Relationaler Konstruktivismus -
Relationale Soziale Arbeit".
Da versuchen Sie also von der systemisch konstruktivistischen
Lebenswelt Orientierung zu einer relationalen Theorie der Sozialen
Arbeit zu gelangen.
Da können wir vielleicht zum Schluss noch einmal kurz drüber sprechen.
Das Buch, wie gesagt, erscheint ja erst im März.
Ja Sie haben über eine lange Zeit, wenn man so will, nicht an einer
eigenen Disziplin und professionstheoretischen Begründung der Sozialen
Arbeit gearbeitet. Das hat sich geändert.
Ich hatte es gerade schon kurz angedeutet, die mit Spannung erwartete
Publikation jetzt im März wird da sicherlich einige... ein wenig mehr
Aufschluss geben, denn sie wird Ihre Erkenntnisse, Ihre Beiträge zu
einer eigenständigen Theoriebildung, oder zu einem eigenständigen
Theorieangebot, dann noch einmal gesammelt vorstellen.
Sie haben eine Reihe von Theoriebeiträgen für die Rezeption, und vor
allen Dingen Reflektionen Theorie geleitet Grundsatzfragen und auch
Grundbegriffe der Sozialen Arbeit, vorgelegt.
Ich möchte sie ganz kurz nennen. Begriffe wie Macht, Hilfe und
Kontrolle spielen eine Rolle.
Dann natürlich sehr zentral das Thema Lebenswelt, auch in der
Fortführung von Hans Thiersch, Lebenswelt und Lebenslage und weiterhin
arbeiten Sie auch an der Frage der ethischen Fundierung und
Begründbarkeit der Sozialen Arbeit und das eben aus spezifisch
konstruktivistische Sicht und darüber sollten wir und wollen wir als
Erstes sprechen.
Ihre Theoriebeiträge stehen in der Tradition des Konstruktivismus. Das
ist ein großer Begriff.
Und gleichzeitig stehen sie dem Konstruktivismus aber auch kritisch
gegenüber.
Sie haben einmal festgestellt, hier in dem Buch "Erkennen und
entscheiden", dass die Aufnahme konstruktivistischer Denkkonzepte der
Wissenschaft der Sozialen Arbeit nicht nur neue Chancen, sondern
möglicherweise auch Risiken gebracht hat.
Sie sprechen an einer Stelle zumindest von Erschütterungen, die ja vom
Konstruktivismus auf soziale Arbeit auszumachen sind.
Können Sie vielleicht ganz kurz umreißen, worin Sie die Risiken einer
konstruktivistische begründeten Perspektive sehen?
Vielleicht gelingt das auch an einem Beispiel das mal klarzumachen.
Kraus: Worauf Sie abzielen hier in dem Buch ist... das kann ich auch
nicht auswendig, aber ich meine zum einen der Part, dass ich überhaupt
erst mal thematisiere welche Erschütterungen quasi die draufkommen
konstruktivistische Ideen in den Diskursen der Sozialen Arbeit
verursacht haben und das war dann in der Tat sowohl auf der Ebene der
Zielfestlegung, als auch auf der Ebene der Zielerreichung, also die
Schlagwörter von Zivilisation und Technologiedefizit. Dass einfach
gesagt worden ist: "Ok, wie können wir eigentlich überhaupt noch
entscheiden, was denn das richtige Ziel sei, wenn uns quasi die
Wirklichkeit oder die Realität als Garant sicheren Wissens
abhandenkommt? Und wie können wir überhaupt noch in der Lage sein zu
wissen mit welchen methodischen Werkzeugen wir dieses Ziel erreichen
können, wenn Menschen doch als nicht steuerbar klassifiziert werden?"
Die Grundidee des Konstruktivismus, ich glaube das muss man vielleicht
mal voransetzen an der Stelle, ist ja eine sehr alte, findet man bei
den Vorsokratikern, die haben sich ja letzten Endes die Grundfrage
stellt: "Okay, jetzt ist ja dieses Glas nicht in unserem Kopf, sondern
es ist außerhalb unseres Kopfes. Aber das Bild von diesem Glas
entsteht in unserem Kopf."
Die spannende Frage ist ja: wie können wir sicher sein, dass das Bild
in unserem Kopf mit der Welt da draußen, also dem tatsächlich
existierenden Glas, etwas zu tun hat. Also wie es die Qualität unserer
Erkenntnis?
Da haben die Vorsokratiker schon sehr schön ausgeführt und sagten:
"Naja, wir stehen vor einem grundsätzlichen Dilemma. Wir können das in
letzter Konsequenz gar nicht überprüfen."
Denn ich kann immer nur das Bild in meinem Kopf mit einem anderen Bild
in meinem Kopf vergleichen, aber ich habe keine Chance da rauszukommen
und das Bild in meinem Kopf mit dem tatsächlichen Anlass des Bildes zu
vergleichen, ohne dabei die Sinnesapparatur zu benutzen, deren
Funktionsweise ich ja überprüfen möchte.
Vor dem Hintergrund sagt man: "Na gut, wir konstruieren uns ein Bild
von der Welt, aber dieses Bild kann nicht an der Welt daraufhin
überprüft werden, ob es denn tatsächlich abbildend stimmt also
korrespondenztheoretisch wahr wäre."
Das ist eine. Und dann haben wir dieses schöne Schlagwort von
dieser... ganz fiese Fremdwörter kognitiven Selbstreferenzialität.
Das heißt also Selbstbezüglichkeit der Kognition, also Kognition hat
keinen Weg nach draußen keinen direkten Zugang zur Welt, sondern immer
nur zu den eigenen jeweils relativ veränderten Bewusstseinszuständen.
Das macht die Sache doppelt schwierig für die soziale Arbeit.
Ich kann also nicht mehr erkennen, wie die Welt tatsächlich ist und
selbst wenn ich mich endlich entschieden haben zu wissen wo ich hin
möchte, dann weiß ich gar nicht mit welchen Möglichkeiten ich auf
meine Gegenüber, auf meine Adressaten unterstützend oder
kontrollierend Einfluss nehmen kann, um das Ziel, das ich vorher
festgelegt habe, mühselig zu erreichen.
Das hat zunächst erst einmal in der Tat zu Erschütterungen geführt und
hat auch, wenn man sich die Diskurse der neunziger Jahre anguckt, zu
vehementen Widerstand geführt, der sehr emotional geführt worden ist.
Gerade wenn es auch um die Fragen der Normativität ging, also da war..
hatte man den Eindruck konstruktivistische Denkweisen in der Sozialen
Arbeit unterschiedlichster Couleur gefährden die normative Integrität
der Sozialen Arbeit, die Zielsetzungen der Sozialen Arbeit, das
Handeln der Sozialen Arbeit.
Ich würde das allerdings trotzdem als einen riesen Gewinn und Vorteil
beschreiben.
Nicht, dass man mich missversteht.
Denn diese Erschütterung hat maßgeblich dazu beigetragen, dass die
Perspektiven der Adressatinnen und Adressaten aufgewertet wurden, dass
man nicht mehr sagen konnte: "Wir wissen schon was richtig ist für den
Menschen gegenüber." Sondern wir müssen uns vielmehr mit der
Perspektive des Menschen, mit denen wir zu tun haben, uns
auseinandersetzen.
Wir müssen vielmehr die Frage stellen. "Welche Bedeutung haben die
Verhältnisse für den Menschen aus der Perspektive des Menschen und
nicht aus unserer Perspektive, die wir vermeintlich alles besser
wissen?"
Gleichermaßen auch mit Blick auf die Frage: "Wie kann Kommunikation
gelingen? Wie kann Einflussnahme gelingen?"
Die Einsicht darin, dass das nicht so einfach ist steigert die
Wahrscheinlichkeit Kommunikation nicht vorschnell abzubrechen, weil
man glaubt schon verstanden zu haben, obwohl das gar nicht der Fall
ist.
Diese Risiken sind erst einmal Gewinne.
Gleichwohl muss man aufpassen, aus meiner Sicht, erstens an der
Stelle, das habe ich Ende der neunziger Jahre angefangen zu
thematisieren, also da bin ich Binnenkritiker, wenn es darum geht
subjektivistische Überziehungen zu problematisieren.
Man findet in konstruktivistischen Diskursen durchaus Äußerungen, die
nahelegen als wäre die Konstruktion der Welt eine beliebige Leistung
individueller Kognitionen.
Dann sind wir in der Tat sehr schnell einen Punkt, dass man sagt: "Wie
die Welt gefällt der nicht? Konstruier dir doch eine andere!"
Also so einfach ist es eben nicht.
Und das ist glaube ich auch die Perspektive und der Motor von Anfang
an, durchzieht sich wie ein roter Faden durch meine Arbeiten. "Wie
kann ich, ausgehend von der Grundannahme, dass ich Kognition von außen
weder Steuern noch einsehen kann, dennoch erklären, welche Relevanz
für diese subjektiven Kognitionen die sozialen Verhältnisse haben,
unter denen dieses subjektive konstruieren stattfindet?"
Und da bin ich zum einen Binnenkritiker der kritisiert, dass teilweise
sozusagen dieser Schritt übersehen wurde.
Ich bin aber auch Kritiker der Kritiker, denn meines Erachtens ein
Großteil der Kritik gegen konstruktivistische Argumentationen ist eine
Kritik gegen Don Quijot`sche Strohmännern. Gegen solipsistische
Unterstellungen.
Also es wird unterstellt, der Konstruktivismus würde behaupten, es
gäbe gar keine Welt.
Das ist auch eine theoretische Richtung, die es gibt. Die heißt aber
Solipsismus, ist eine völlig andere Baustelle.
Der Konstruktivismus selbst, der radikale, also Ernst von Glasers
fällt meiner Heimathafen wenn man so mag. Von da bin ich gestartet.
Die Grundannahmen teile ich immer noch.
Der bestreitet nicht die Existenz der Welt, lediglich deren
Erkennbarkeit im Sinne von abbildenden Erkennbarkeit.
Helmut Lambers: Nun ist es ja so, dass Sie mittlerweile den Begriff
des sogenannten relationalen Konstruktivismus bevorzugen.
Und Sie sprechen auch von einer relationalen Sozialen Arbeit, das
heißt setzten das auch in Bezug zu den theoriebildenden Grundlagen der
Sozialen Arbeit.
Können Sie uns kurz erläutern, was Sie mit dem Begriff reletionalem
Kostruktivismus meinen und auch sagen welche Folgerungen hätte denn
das für die Soziale Arbeit, wenn wir es jetzt eben nicht mehr radikal
konstruktivistisch, sondern relational konstruktivistisch
reflektieren?
Kraus: Da muss ich doch vielleicht einen Schritt nochmal ausholen.
Mein Startpunkt ist ja in der Tat der radikale Konstruktivismus und
der radikale Konstruktivismus ist eine aus der Perspektive, finde ich
auch, notwendig relativ subjektorientierte Theoriebildung. Es geht um
das erkennende Subjekt, also wie sind die Erkenntnisbedingungen des
Subjekts und man fokussiert dabei sehr stark die Bedingungen des
Subjekts und nicht die Rahmenbedingungen des Subjekts. Es gibt andere
konstruktivistische Richtungen, die genau das Gegenteil tun, die sich
eher auf das Soziale konzentrieren und dabei das Subjekt systematisch
ausklammern. Mein Ziel ist letzten Endes weder das eine noch das
andere zu tun, sondern letzten Endes beides. Und ich möchte die
relationalen Bedingungen des Erkennens reflektieren und nicht so sehr
die subjektiven Bedingungen des Erkennens, ohne dabei allerdings, wie
das etwa teilweise in relationalen Soziologiediskursen der Fall ist,
den Fokus allein auf die Relationen zu beschränken.
Also mir geht es schon auch darum, das Subjekt als erkennendes
entscheidendes Subjekt zu berücksichtigen.
Mir geht es auch darum die Rahmenbedingungen zu berücksichtigen, die
dieses konstruieren ermöglichen und behindern, aber eben tatsächlich
mit einem ganz wesentlichen Fokus auf die relationalen Verhältnisse
zwischen dem einen und dem anderen.
Wenn ich mir das so entwicklungsmäßig angucke würde ich sagen, ich
habe eigentlich radikal konstruktivistisch gestartet und habe damals,
das habe ich in meinem zweiten Buch damals auch so geschrieben, mir
ging es darum die intersystemische Perspektive des radikalen
Konstruktivismus herauszuarbeiten. Also ich habe von Anfang an
sozusagen diese Sozialität in den Blick genommen und bin dann letzten
Endes bei einem relationalen Konstruktivismus gelandet, weil der Fokus
sich immer mehr verschoben hat hin zu dieser Relationalität. Und
Relationaltät deshalb, weil das für mich kein Ersatzbegriff ist für
sozial. Soziale Verhältnisse sind ein Teilbereich der relationalen
Verhältnisse menschlichen Seins, aber eben nur ein Teilbereich. Es
geht auch um materielle Relationen.
Es geht auch um innerpsychische Relationen.
Das ist für mich deutlich weiter gefasst. Es ist eher ein Begriff, der
für mich relativ aus der Physik kommend sehr abstrakt nicht auf
Beziehungen etwa bezogen ist, sondern tatsächlich auf die Verhältnisse
und auf die Relationen zwischen einem erkennenden Subjekt und seinen
insgesamt weit gefassten Umweltbedingungen.
Helmut Lambers: Kann man oder muss man sich das dann auch so
vorstellen, dass im Prinzip das, was man dem radikalen Konstrukt oder
dem radikalen Konstruktivismus vorgeworfen hat, das Prinzip, ich
glaube Luhmann hat einmal gesagt, seine Hausaufgaben nicht macht, dass
er zwar bei den Möglichkeiten von Erkenntnis irgendwo stehenbleibt,
aber eben sich nicht fragt, was bedeutet das denn dann für die
Prozesse sozialer Ordnungsbildung. Und da noch einmal nachgefragt,
würde das in Ihrem Verständnis von relationalen Konstruktivismus eine
Rolle spielen, dass darüber Soziale Arbeit auch die Möglichkeit hätte
einen Reflektionsbezug herstellen zu können zu dem was wir
Systembildung nennen, also soziale Systeme wie Familie, Organisation,
Interaktion ist das dann mit gedacht oder wie kann man sich das
vorstellen?
Kraus: Auf jeden Fall! Also ich tu mich ja immer sehr schwer damit
Theorien zu kritisieren. Ich finde es ist immer eine ganz schwierige
Geschichte, wenn man aus einer eigenen theoretischen Warte eine andere
Theorie kritisieren möchte. Das würde ich nach Möglichkeit versuche
ich das zu vermeiden. Ich finde auch, vielleicht kommen wir da nachher
aber auch noch zu, was kann eine Theorie überhaupt leisten? Also keine
Theorie kann alles und ich finde wir brauchen für viele Fragen viele
Theorien und es ist schön, wenn Theorien einzelne Fragen so weit
sinnvoll beleuchten, dass man damit etwas anfangen kann. Dann st schon
viel getan. Für die soziale Arbeit wäre das in der Tat mein Punkt,
wenn ich auf die soziale Arbeit übertrage und das ist für mich das
Programm der letzten Jahre. Am Anfang würde ich sagen, ich habe mich
sehr stark mit erkenntnistheoretischen Fragen beschäftigt.
Das sehr sozialtheoretisch gerahmt und fokussiert und bin dann beim
relationalen Konstruktivismus gelandet. Habe parallel dazu aber, wie
Sie vorhin auch schon beschrieben haben, Eckpunkte und Grundfragen
sozialer Arbeit thematisiert und diskutiert was dann, würde ich sagen
irgendwann in ein Gebilde und Fragmenten einer systemisch
konstruktivistischen Lebensweltorientierung endete.
Und von dort ausgehend, und die würde ich gar nicht überwinden wollen,
sondern erweitern wollen hin zu einer relationalen Theorie der
Sozialen Arbeit, geht es mir dann tatsächlich darum diese
Relationalität als ein grundlegendes Kriterium sozialer Arbeit
auszuweisen und zwar sowohl mit Blick auf die Gegenstandsbestimmung
oder Funktionsbestimmung, was ja wohl eher meine Baustelle ist, als
auch mit Blick auf die Frage der Professionalität und der Bestimmung
von Professionalität.
Mit Blick auf den Gegenstandbestimmung, da kommt dann vielleicht auch
das rein was Sie gesagt haben, also das Auseinandersetzen mit solchen
sozialen Systemen, wäre für mich tatsächlich ein ganz wichtiger Punkt.
Der Gegenstand sozialer Arbeit ist aus meiner Sicht...oder der Fokus
sozialer Arbeit, wie schon gesagt, liegt auf der Schnittstelle
zwischen Individuum und Gesellschaft und damit, aus meiner Sprache,
auf den relationalen Verhältnissen zwischen Lebenswelten und
Lebenslagen. Das ist wesentlich für den Gegenstandsbestimmungen und
für die Bestimmung von Professionalität wären es verschiedene Ebenen
von Relationationalität. Einmal die Relation zwischen den Fachkräften
und dem was sie beobachten, also den Adressaten der sozialen
Verhältnissen, was auch immer. Zum anderen die Relation zwischen den
Fachkräften und deren eigenem Wissensbeständen mittels derer sie
überhaupt Beobachtung, Bewertung und Entscheidung leisten können. Und
zum anderen, zum dritten auch die relationationalität zwischen den
Fachkräften und ihrem eigenen biografischen geworden-sein, würde ich
das so nennen. Weil nämlich die persönlichen Affinitäten und
Aversionen: was ich mag und was ich nicht mag. Relativ, meines
Erachtens nach, eine relativ wichtige Rolle spielen, wenn es darum
geht wie erlebe ich soziale Situationen wie bewerte ich diese.
Und das ist nicht aufzuheben. Das kann man nicht subtrahieren und
sagen: "Das machen wir nicht." Was man aber machen kann, und das wäre
Professionalität in meiner Sicht, wäre diese drei Ebenen möglichst
systematisch zu reflektieren. Ab und zu mal innezuhalten und
nachzufragen: "Meine Güte, was habe ich denn da eigentlich gerade
wahrgenommen und was hat das mit mir zu tun? Was hat es mit meinen
Vorerfahrung zu tun, mit meinem Wissensbeständen zu tun, meinen Ideen
von Richtig und Falsch. Und so weiter. Und das ab und zu mal kritisch
zu hinterfragen.
Martin Klein: Haben Sie ja schon Hinweise gegeben, warum die Soziale
Arbeit mit Ihrem Theorieansatz arbeiten sollte. Gleichzeitig wäre es
ja interessant zu wissen, ob Sie mal anhand eines konkreten Beispiels
beschreiben könnte, wie Ihre Theoriebeiträge in der Sozialen Arbeit
auch ja... Welche Bedeutung sie haben können und wie sie vielleicht
angewendet, oder zumindest auch berücksichtigt werden können. Ginge
das?
Kraus: Ich versuche es. Grundlegend wäre schon für mich der Punkt also
wenn Sie sagen: "Warum soll soziale Arbeit sich damit beschäftigen?"
Ich glaube, dass soziale Arbeit, wie alle Professionen und
Disziplinen, die sich mit Interaktionsmöglichkeiten beschäftigen,
notwendig Theorien benötigt, die Erklärungsmodelle dafür liefern, wie
einzelne Menschen und soziale Verhältnisse und soziale Systeme
funktionieren.
Und dazu glaube ich sind diese Theorien ganz dienlich. Eine
Möglichkeit neben anderen eben auch. Wenn man es konkret runter
bricht, oder vielleicht noch mal allgemein wäre die Frage: "Was kann
man erkennen? Was kann man entscheiden? Was kann man beeinflussen?"
Die zentrale Frage für mich. Am konkreten Beispiel: Wenn ich mir eine
Beratungssituation vorstelle, etwa im Bereich der Jugendhilfe oder der
stationären Jugendhilfe, Hilfeplangespräch, dann gibt es ja bestimmte
Methoden, die darauf aufbauen, etwa am systemischen Bereich, dass man
sagt: "Okay wir müssen uns an der Perspektive des Gegenübers
orientieren und wir müssen ernst nehmen wie er das sieht und wir
müssen ihn deshalb fragen." Meines Erachtens nach macht es einen
riesen Unterschied, ob ich das als Technik auswendig lernen und dann
anwende, oder ob ich die theoretischen Hintergründe habe, die
begründen, warum diese Technik so ist und das dann eine Haltung ist.
Und diese konstruktivistische Grundeinsicht darin, dass ich nicht in
den Kopf eines anderen Menschen schauen kann, ist an der Stelle,
glaube ich, von großer Bedeutung.
Alles was Menschen tun und lassen hat für sie subjektive Vor-und
Nachteile.
Man könnte sagen, also jetzt nicht monetär gesprochen, sondern
insgesamt gesprochen, man könnte das Leben unter
Kosten-Nutzen-Rechnungen reflektieren. Bestimmte Entscheidungen.
Morgens aufzustehen und in eine Ausbildung zu gehen ist mit Preisen
verbunden.
Ich muss aus dem Bett raus, ich muss aufstehen und so weiter.
Wie hoch die Preise sind weiß nur derjenige, der die Preise zahlt und
nicht die Fachkraft und der Job der Fachkraft wäre aus meiner Sicht
Menschen bei diesen subjektiven Rechnungen zu unterstützen. Diese
Rechnungen anzuleiten, dafür Sorge zu tragen, dass eventuell Faktoren
in den Blick genommen werden, die ohne die Begleitung gar nicht im
Blick genommen werden würden.
Auch Faktoren hinzuzufügen, die es gar nicht gibt.
Unterstützungsleistungen und ähnliches mehr.
Aber ernsthaft da zu sitzen und nichts zu sagen. Ich frage rhetorisch
so lange bis der vor mir sitzende endlich auch einsieht, was gut für
ihn ist. Ich weiß es wirklich nicht. Ich weiß es nicht. Ich brauche
nicht so zu tun, als würde ich es wissen. Ich weiß es wirklich nicht
und ich bin mir sicher und das macht einen großen Unterschied. Und das
macht auch einen großen Unterschied mit Blick auf Kommunikation.
Einzusehen, dass ich nicht weiß, ob das Gegenüber mich verstanden hat,
oder ich ihn verstanden habe, trägt maßgeblich dazu bei, dass ich
Kommunikation länger am Laufen halten und nicht vorschnell abbrechen
in der irrigen Annahme ich hätte schon verstanden, obwohl wir weit
davon entfernt sind.
Also ich komme aus lauter paradoxen Ergebnissen. Die Einsicht nicht
steuern zu können, die Einsicht nicht verstehen zu können, steigert
die Wahrscheinlichkeit mich zumindest anzunähern.
Oder auch meine Machttheorie. Wäre auch ein entscheidender Punkt.
Fachkräfte müssen meines Erachtens nach systematisch ihre
Möglichkeiten der Einflussnahme und die Möglichkeiten Dritter der
Einflussnahme reflektieren, damit sie ihre Möglichkeiten, die sie
haben nicht überschätzen. Ideale Voraussetzungen, um im Burnout zu
landen, oder den Beruf zu wechseln. Oder unterschätzen und damit
fachlichen moralischen und normativen Standards nicht gerecht zu
werden.
Martin Klein: Sie beschreiben ja, dass es darum geht in der
Interaktion das Verstehen zu ermöglichen, oder sich dem Verstehen
anzunähern. Sie interessiert sich sehr für Kommunikation und Sie
interessieren sich weniger für die Bedingungen des Zustandekommens von
Kommunikation, sondern Sie beschäftigen sich mit der Frage: "Wie kann
erfolgreiche Kommunikation gelingen?" Stichwort Anschlusskommunikation
von Luhmann und haben ein eigenes Kommunikationsmodell beschrieben.
Könnten Sie das erläutern, wenn das möglich ist in der Kürze der Zeit?
Und dann auch das verbinden mit der Frage. "Was ist erfolgreiche
Kommunikation eigentlich überhaupt?"
Kraus: Und das möglichst einfach. Ohne Fremdwörter. Also wir reden
nicht von Kommunikaten und Kommunikatbasen.
Was mich wirklich erstaunt, das sollte man nicht für möglich halten,
man findet auch heute noch in Lehrbüchern im sozialen Bereich
Rückgriffe auf Shannon und Weavers mathematischen
Kommunikationsmodell. Das finde ich wirklich erstaunlich insbesondere
deshalb, weil der kommunikationstheoretische Diskurs schon vor 50
Jahren festgestellt hat, dass dieses Modell nicht dazu da ist
zwischenmenschliche Kommunikation zu diskutieren, sondern lediglich
mathematisch sich mit Signalübertragung beschäftigt. Shannon und
Weaver selber haben nie den Anspruch gehabt, dass man das benutzen
könnte.
Dieses Modell beschäftigt sich mit der Frage: "Wie kann von einem
Sender zu einem Empfänger sozusagen eine Nachricht transportiert
werden?" Und die beschäftigen sich damit "Okay wir haben Telegrafen.
Wir schicken sozusagen Signale an und wir gucken hier gehen die
Signale los. Wieviel Signale kommen da an?" Das ist das womit sich
beschäftigt wird. Das ist in der Tat durchaus eine wichtige Frage.
Denn wenn meine Signale nicht beim Empfänger ankommen, dann ist
tatsächlich generell Kommunikation schwierig. Das viel entscheidendere
ist aber nicht die Signalübertragung, sondern die
Bedeutungskonstruktion. Denn Kommunikation ist ja nicht damit erledigt
und erfolgreich, dass die Signale von A nach B gekommen sind.
Kommunikation ist ja dann erst erfolgreich, wenn ich einen Grund habe
anzunehmen, dass das was sich A dabei gedacht hat, dass es die Signale
losgeschickt hat, bei B sozusagen auch dazu führt sich sowas zu
denken, was bei A die Grundlage war. Also wenn wir jetzt die mündliche
Kommunikation nehmen. Was mache ich denn die ganze Zeit?
Ich produziert seit geraumer Zeit ganz tapfer Schallwellen auf
Grundlage von Ideen in meinem Kopf. Verbunden mit der dringenden
Hoffnung, dass diese Schallwellen bei Ihnen dazu führen, dass sie in
ihrem Kopf zu Ideen kommen die etwas mit den Ideen zu tun haben, die
mir Grundlage der Schallwellen Produktion war.
Wir alle wissen wenn man Hausarbeiten und Klausuren korrigieren, dass
das offensichtlich so einfach nicht zu funktionieren scheint. Da gibt
es doch irgendwie Schwund, Missverständnisse, keine Ahnung.
Das ist das womit ich mich beschäftige.
Und für mich ist dann in der Tat der Punkt ganz wesentlich
herauszuarbeiten. Erstens wir haben kommunikative Möglichkeiten. Also
auch da wieder gegen subjektivistische Überziehungen, weil dann könnte
man ja sagen: "Ja gut, eine selbstreferenzielle Kognition, noch eine
selbstreferenzielle Kognition und die sind unüberwindbar einsam."
Das ist logisch durchaus richtig, aber dennoch gibt es so etwas wie
konsensuale Bereiche, also Möglichkeiten etwas gemeinsames zu finden.
Das hat nichts mit Horizontverschmelzungen zu tun oder, dass wir jetzt
wüssten was tatsächlich im Kopf des anderen los ist. Wir könnten hier
die nächsten drei Tage sitzen und hätten keine Chance sicherzustellen,
ob wir einander tatsächlich verstanden haben.
Wann gehen wir davon aus einander verstanden zu haben?
Erste Einsicht: es ist immer eine Entscheidung, die getroffen wird,
dass wir einander verstanden haben.
Das hat nichts mit Wahrheit zu tun.
Irgendein Beobachter entscheidet: "Jetzt gehe ich davon aus ich bin
verstanden worden." Das kann ich sein. Das können Sie sein. Das kann
ein Dritter sein der den Kommunikationsprozess beobachtet und sagt:
"Ach guck mal, die haben sich verstanden." Auch wenn die beiden
vielleicht subjektiv sagen: "Nee haben wir nicht." Und anhand welcher
Kriterien wird das gemacht?
Die Wahrscheinlichkeit, dass diese Entscheidung getroffen wird, steigt
dann, wenn der Gegenüber einer Orientierungserwartung nicht
widerspricht.
Für mich wäre Kommunikation Orientierungsinteraktion.
Das heißt wir wirken aufeinander ein in den dringenden Hoffnung, dass
unser Einwirken beim Gegenüber etwas bewirkt, was wir selber wollen,
was Intention unseres Einwirkende ist.
Wann gehe ich davon aus, dass das der Fall ist?
Dann, wenn ihre Reaktionen meinen Erwartungen nicht widerspricht.
Sie müssen ihr nicht entsprechen, wie es etwa bei Rusch ist. Dazu
müsste ich dann ja genau wissen wie Sie reagieren und nur das wäre
dann richtig. Es reicht. Sie können selbst überraschend reagieren.
Hauptsache ich habe den Eindruck das passt zu dem, was ich erwartet
habe. Und wenn das der Fall ist, dann gehe ich davon aus, dass
Kommunikation erfolgreich war.
Ob das tatsächlich stimmt, im Sinne von Übertragung der Gedanken, das
weiß ich nicht. Wenn es funktioniert, dann reicht das. Und für die
Soziale Arbeit ist für mich an der Stelle genau das der Ertrag. Wir
müssen uns gewahr werden, dass wir immer vor dem Hintergrund unserer
bisherigen Biografie, unserer bisherigen Wissensbestände verstehen,
was unsere Gegenüber als kommunikative Angebote machen.
Und umgekehrt diese auch nur so verstehen können, wie sie das
verstehen können, vor dem Hintergrund ihrer eigenen Horizonte.
Und das kritisch im Blick zu behalten hält Kommunikation länger am
Laufen, denn Kommunikation wird dann abgebrochen, wenn wir den
Eindruck haben, wir sind verstanden worden und waren erfolgreich. Und
wenn das so früh der Fall ist, glaube ich, ist das unprofessionellen.
Martin Klein: Sie beschreiben ja, dass Sie Kommunikation als Vorgang
wechselseitigen Verstehens beschreiben würden oder, dass es damit
einhergeht und gleichzeitig eben einen Versuch gegenseitiger
Einwirkung zumindest beinhaltet.
Jetzt haben wir eine Situation in der im Bereich der Sozialen Arbeit
das Thema, dass ja dann vielleicht auch zu einer Frage der Macht
werden kann, oder es vielleicht auch unterschiedliche Voraussetzungen
gibt, unterschiedliche Zugänge, unterschiedliches Erfahrungswissen und
dergleichen.
Weshalb sollten sich denn SozialarbeiterInnen im Zusammenhang mit der
Kommunikation mit dem wechselseitigen verstehen auch mit dem Thema
Macht beschäftigen?
Kraus: Naja, ich würde vielleicht weiter fassen. Sozialarbeiter
sollten sich generell mit dem Thema Macht beschäftigen, also nicht
erst dann, wenn es um kommunikative Prozesse geht, denn wobei
eigentlich müsste ich jetzt erst mal erklären was Macht ist, bevor ich
sage man soll sich damit beschäftigen. Denn wir sind in der Sozialen
Arbeit. Das hat sich deutlich verändert.
Man beschäftigt sich mehr und systematischer mit der Frage nach Macht.
Als wir die erste Auflage des Buches veröffentlicht haben, wollte kein
Verlag das haben. "Das interessiert kein Mensch. Um Gottes Willen."
Wir hatten lange Phasen in denen Macht sehr schnell normativ
diskutiert wird. Also: "Ist das gut? Ist das schlecht? Darf man das
haben? Wer soll das haben?" Und so weiter. Die Frage, was das
eigentlich sein soll wurde dabei weitestgehend ausgeklammert.
Meines Erachtens nach sollte das erst einmal geklärt werden, bevor ich
darüber verhandele wer es haben soll oder wer nicht. Für Soziale
Arbeit gilt, dass sie in verschiedenster Form gravierend von Fragen
der Macht betroffen ist.
Zum einen übt sie selber Macht aus. Gegenüber ihren Adressatinnen und
Adressaten. Zum anderen ist sie davon betroffen, dass diese auch in
der Lage sind Macht auszuüben. Also was die direkte professionelle
Interaktion angeht, muss ich eine Einschätzung haben welcher der
Akteure hat welche Durchsetzungspotenziale. Gleichermaßen ist Sozialer
Arbeit eingebunden in gesellschaftliche Verhältnisse die Macht
ausüben. Sie muss selber überprüfen inwieweit ihre Handlungsspielräume
davon bestimmt oder beschränkt werden.
Und sie muss selber, das wäre das dritte, der Überlegung nachgehen
inwieweit sie selbst als gesellschaftsgestaltende Kraft Macht ausüben
möchte.
Macht es für mich im übrigen auch weder positiv noch negativ.
Das ist eine ganz andere Entscheidung. Die normativ getroffen werden.
Macht hat maßgeblich etwas mit Durchsetzungspotenzialen zu tun.
Helmut Lambers: Nun ist es aber doch auch so, dass Sie in Ihren
Analysen zu dieser Machtthematik zuwischen instruktiver und
destruktiver Macht unterscheiden.
Mich hat das so ein bisschen auch an diese Differenzierung von
Staub-Bernasconi erinnert, der zwischen Behinderungsmacht und
Begrenzungsmacht unterscheidet.
Können Sie das vielleicht mal, soweit es geht in aller Kürze,
versuchen zu verdeutlichen welcher Unterschied diese beiden Seiten der
Macht eigentlich ausmacht?
Man könnte ja sagen: "Macht ist Macht. Mal ist es gut, mal ist es
schlecht. Kommt doch darauf an wer sie hat oder wer sie ausübt."
Natürlich kommt es auch darauf an, wer von ihr betroffen ist, aber
Ihre Ausführungen legen nahe, dass man zunächst einmal die gute und
die schlechte Seite der Macht unterscheidet, oder ist das schon ein
Missverständnis?
Kraus: Das wäre ein Missverständnis. Denn in der Tat Staub-Bernasconi
hat eine normative Machttheorie. Sie unterscheidet zwischen guter und
schlechter Macht.
Und genau das ist nicht meine Baustelle.
Diese Unterscheidung braucht man, finde ich, man muss diese Treffen.
Man muss sich überlegen warum man sich entscheidet Macht für gut oder
schlecht zu halten.
Das ist ein normativer Diskurs, hochnotwendig.
Mir gehts aber, und da bin ich tatsächlich.. da merkt man glaube ich
auch.. komme immer wieder zurück zur erkenntnistheoretischen
Grundfrage. Ich fange immer ganz basal an. Und mir geht es erstens
immer um die Frage wenn ich einen Begriff benutze, der zentral ist,
was bitteschön soll dieser Begriff eigentlich bedeuten? Bevor ich den
diskutiere.
Das ist immer meine Ausgangsbasis und bei Macht greife ich dann
tatsächlich zurück auf, glaube ich, einen der meist rezipieren
Machtdefinitionen von Max Weber: "Macht bedeutet die Chance den
eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen."
Jetzt haben die Konstruktivisten der 80er Jahre bis in die neunziger
Jahre hinein gesagt: "Okay, wenn das Macht ist, dann gibt's das
nicht."
Bateson hat ganz hart gesagt: "Macht ist erkenntnistheoretischer
Schwachsinn und so ein gefährlicher Mythos und je mehr man glaubt je
mehr bestätigt er sich."
Oder Portele hat gesagt: "Es gibt keine Macht, es gibt lediglich
soziale Verhältnisse die sehen so aus als gäbe es Macht, sind genau
genommen aber das Ergebnis von Unterwerfungsprozessen. Macht braucht
die freiwillige Aufgabe der eigenen Möglichkeiten und des eigenen
Willens. Das ist natürlich sozusagen eine relativ harsche Position,
die zu wenig Gegenliebe und Begeisterung im Diskurs geführt hat. Daran
haben sich wirklich große Streits entzündet, die aber dann meistens so
aussehen, dass man sagte: "Aha, die einen haben gesagt: ja wir sind
Konstruktivisten und deswegen ist das so. Und die anderen haben
gesagt: da kann man mal sehen, wie blöde Konstruktivisten sind, weil
die das glauben."
Und meine Position war dann tatsächlich ein Ausbruch aus diesem
Entweder/Oder hin zu einem Sowohl als Auch.
Ich bin.. ich habe immer wieder, auch zur Zeit meiner Doktorarbeit,
das erste Jahr damit verbracht nochmal zu überprüfen, ob diese
Grundannahme des Konstruktivismus plausibel bleibt.
Bin immer wieder zu den Ergebnissen kommen: ja, für mich ist sie
plausibel und dann ist die Frage: Ist das tatsächlich die zwingende
Konsequenz aus dieser Grundüberzeugung.
Und das klassische Beispiel, was ich mit Ihnen jetzt nicht mache. Mit
einem Kollegen. Ich habe Kollegen, der ist kein Konstruktivist. Der
kritisiert mich immer, ich kritisiere ihn immer. Wir streiten immer
ganz trefflich.
Jetzt könnte ich sagen: Ich habe jetzt endgültig die Nase voll.
Offensichtlich ist er kommunikativen Argumenten nicht zugänglich, ich
kann mich nicht verständigen, was bleibt mir also? Vielleicht kann ich
das Problem mittels Macht lösen. Und dann würde ich sagen: kann ich
jetzt meinen eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchsetzen?
Nehmen wir an ich wäre bewaffnet, das bin ich jetzt selten in
Vorlesungen, aber ich mache eine Ausnahme, ich wäre bewaffnet, würden
den Kollegen mit der Waffe bedrohen und würde sagen: "Jetzt bist du
mal so nett und sagst den Studenten du hättest dich die letzten zehn
Jahre durchgängig geirrt, der Herr Kraus hätte Recht."
Hab ich jetzt die Chance meinen Willen, auch gegen Widerstreben,
durchzusetzen? Das wäre ja die Definition. Und dann sagten die
Konstruktivisten: "Naja, wenn ich das so sehe, nein, das kann immer am
Eigensinn der selbstreferenziell operierenden Kognition scheitern."
Der Kollege kann sagen: "Och, der Kraus der ist ein netter, der
schießt ja doch nicht." Der Kollege kann latent suizidal sein und
sagen: "Super, dann brauch ich das nicht selber machen!" Der Kollege
kann auch total aggressiv sein, ist selber bewaffnet und zieht seinen
eigenen Revolver. Es ist auch egal wie es ausgeht. Selbst wenn ich ihn
erschieße, hab ich ja meinen Willen nicht durchgesetzt.
Also gibt es, nach dieser Definition, keine Macht.
Martin Klein: Und selbst wenn er sagt, selbst wenn er sagt, kann es
nur pro forma sein.
Kraus: Das würde mir erreichen.
Martin Klein: Ach, das wäre okay?
Kraus: Ja ich. Will ja Menschen nicht überzeugen.
Martin Klein: Achso, ich dachte, dass er will dass er wirklich
überzeugt ist.
Kraus: Nein, es reicht ja, wenn er tut was ich möchte.
Aber in der Tat, wenn es darum geht, dann ist sowieso entgültig
Feierabend.
Also wenn ich jetzt möchte, dass jemand etwas Bestimmtes denkt, habe
ich auch keine Überprüfungsmöglichkeit, genau.
Und dann war für mich der Punkt, dass ich gesagt habe: "Aber irgendwas
stimmt da nicht. Irgendwas fehlt da. Irgendetwas wird da übersehen.
Und das war tatsächlich eine der ersten Ergebnisse meiner Doktorarbeit
damals. Noch publiziert vor der Doktorarbeit und in meinem ersten Buch
vorne dran, damit ich hier die Begrifflichkeiten sichere.
Dass ich sage: "Okay, das stimmt aber nur dann, wenn mein Wille auf
Instruktion zielt. Also wenn mein Wille darauf zielt, etwas Bestimmtes
zu wollen, dann kann das immer am Eigensinn des Gegenübers scheitern,
dann bedarf es der Unterwerfung.
Der moralische Diskurs ist ein völlig anderer.
Es gibt gute Gründe für Unterwerfung.
Damit ist nicht gesagt, dass die Unterwerfenden sozusagen auch
verantwortlich sind.
Also das wird ja dann zynisch. Dann sind sozusagen
Vergewaltigungsopfer verantwortlich dafür.
Also das kann man ja nicht machen.
Anderer Diskurs. Ich bin rein auf der Wirkebene unterwegs. Rein auf
der Frage: Kann man den eigenen Willen durchsetzen oder nicht? Und wie
sicher ist das?
Und da ist dann der Punkt, wenn es mir darum geht, Möglichkeiten zu
zerstören und zu beschränken, also destruktiv unterwegs zu sein, dann
reicht es ihn zu erschießen.
Also möchte ich, dass er künftig nicht mehr draußen rumläuft und meine
hervorragenden Theorien in Frage stellt, würde ich ihn einfach nur
erschießen müssen. Das mache ich jetzt nicht das lohnt sich nicht, das
ist doch unverhältnismäßig und moralisch schwierig. Aber so als
Beispiel, als drastisches. Für die soziale Arbeit.. jetzt sind wir ja,
Gott sei Dank, regelhaft nicht bewaffnet. Aber für die Soziale Arbeit
ist das eine ganz zentrale Frage. Typisches Beispiel:
Kindeswohlgefährdung. Daran sieht man auch, dass Macht weder gut noch
schlecht ist, per se. Auch instruktive und destruktive Macht ist nicht
per se gut oder schlecht.
Die Begrifflichkeiten sind unglücklich an der Stelle, weil destruktiv
so negativ besetzt ist und sofort so klingt, als würde das was
Negatives sein. Ist für mich nicht der Fall.
Wenn Eltern ein Kind im Keller einsperren, ist das die Ausübung
destruktiver Macht.
Es werden Möglichkeiten drastisch reduziert.
Das würde ich moralisch negativ bewerten. Anhand von moralischen
Kriterien. Wenn ich danach die Eltern einsperre und das Kind aus der
Familie nehme, ist das auch ein Ausüben destruktiver Macht.
Ich reduziere drastisch die Möglichkeiten der Eltern das Kind zu
misshandeln.
Das würde ich moralisch positiv bewerten, auch wieder anhand der
gleichen moralischen Kriterien.
Und das ist etwas, das Soziale Arbeit in den Blick nehmen muss.
Wichtig auch dabei nochmal, Macht und die Einsetzung derer ist Ultima
Ratio. Wir arbeiten hier in der Sozialen Arbeit nicht regelhaft mit
Macht, im Gegenteil, wir versuchen möglichst lange uns auch im Bereich
der Hilfe zu bewegen und Unterstützungsleistungen anzubieten, aber es
kommt der Punkt, an dem wir sagen, wir bewegen uns nicht mehr im
Bereich der Hilfe, sondern wir wechseln rüber in den Bereich der
Kontrolle.
Hier spielt nicht mehr die Perspektive der Adressaten die
entscheidende Rolle, sondern die gesellschaftlich und fachlich
legitimierte Perspektive der Fachkräfte und dann muss eventuell auch
kontrollierend eingegriffen werden.
Und dann muss ich mir sehr wohl überlegen mit welchen Möglichkeiten
des Eingreifens erzeuge ich welche Sicherheiten bin ich bereit diese
bleibenden Risiken in Kauf zu nehmen.
Das ist Alltagsgeschäft in allen Bereichen etwa, wenn es um Kindeswohl
geht.
Helmut Lambers: Gut, ich hatte eigentlich eine Zeitlang gedacht, dass
man von der Machtthematik aus auch auf den Begriff Ethik stoßen
könnte, aber mir ist klar geworden, dass das eigentlich gar nicht
geht.
Kraus: Doch, das geht.
Helmut Lambers: Ja, aber nicht im Sinne einer Ableitung, dass wir
jetzt sagen können: "Okay, wenn wir jetzt Ihr Konzept, Ihr
Machtkonzept mal auf die Soziale Arbeit beziehen, dann bräuchten wir
ja Kriterien irgendwie für die Ausübung instruktiver beziehungsweise
destruktiver Macht.
Aber vielleicht geht es, ja.
Sie sind auf jeden Fall, und waren das in vielen Beiträgen immer
wieder, an der Frage einer konstruktivistischen Verantwortungsethik,
so haben Sie das mal genannt, interessiert.
Es überrascht erst mal, dass man Konstruktivismus mit Ethik in
Verbindung bringen kann, oder dass das überhaupt gelingt.
Aber das macht natürlich neugierig.
Können Sie kurz erläutern, was Sie unter dem Begriff der
konstruktivistischen Verantwortungsethik verstehen?
Kraus: Kurz..
Helmut Lambers: Ja, kurz ist immer schwierig, ich weiß.
Kraus: Womit Sie ja angefangen haben, war ja zu sagen es überrascht
einen zunächst. Und in der Tat das war ja auch das, was ich vorhin am
Anfang schon gesagt hatte. Also der Konstruktivismus der es sehr stark
abgelehnt worden. Unter anderem mit dem Vorwurf, wenn man
Konstruktivismus in der Sozialen Arbeit ernst nehmen würde, dann wäre
man nicht mehr in der Lage die notwendigen normativen Entscheidungen
zu treffen.
Jetzt glaube ich haben wir... gibts einen weitgehenden Konsens
dahingehend, dass normative Arbeit, äh, Soziale Arbeit als Praxis
normativ orientiert ist.
Welche Normen das sind und wie sie zustande kommen, darüber
gestritten, aber das ist in irgendeiner Weise normativ orientiert ist,
da gibt es ein Konsens.
Und jetzt ist die Frage: Wie kann man konstruktivistisch damit
umgehen, dass man ja notwendig normative Entscheidungen treffen muss?
Und jetzt ist für mich der Punkt der aus dem Konstruktivismus heraus
kann man keine Ethik oder normative Position ableiten.
Das kann man im übrigen, nach meiner Einschätzung, aus keiner einzigen
Erkenntnistheorie. Erkenntnistheorie führen nicht zu normativen
Positionen.
Gleichwohl Erkenntnistheorien sind wichtig für das Aufstellen
normativer Positionen, weil Erkenntnistheorien die Rahmenbedingungen
und die Grenzen normativer Positionen durchaus thematisieren und
festlegen. Ich mache das mal an einem Beispiel.
In den Konstruktivismusdiskursen, den Ursprungs Diskursen, also vor
der Sozialen Arbeit, wenn man sie mag, wurde das mit der Ethik auch
trefflich diskutiert. Gibt's einen schönen Delfin Band zu:
Konstruktivismus und Ethik verschiedenste Positionen. Und eine der
gängigen Positionen ist immer, dass man gesagt hat: "Ja, aus dem
Konstruktivismus folgert ein Toleranzgebot."
Halte ich für problematisch, denn, ja, aus dem Konstruktivismus
folgert, dass Menschen potenziell unterschiedliche Weltsichten haben
können. Gehe ich sofort mit.
Daraus folgt auch, dass es potenziell unterschiedliche normative
Vorstellungen gibt. Normative Vorstellungen haben etwas mit der
Perspektive des Menschen auf seine Welt zu tun.
Auch da gehe ich mit.
Daraus folgern also quasi die Einsicht von Vielfalt.
Diese allerdings auch zu tolerieren bedarf ein normatives Kriterium,
nämlich das der Toleranz, also Einsicht von Vielfalt ist das Ergebnis
konstruktivistische Positionen, aber nicht, dass man das auch noch
tolerieren muss.
Dazu muss ich einen Wert bemühen und Werte lassen sich nicht aus
Erkenntnistheorie ableiten.
Und dennoch kann ich sagen, diese konstruktivistische
Erkenntnistheorie hat normative Konsequenzen, weil sie nämlich
normative Positionen verunmöglicht zum Beispiel, die darauf
regulieren, dass es allgemeingültige, endgültige und immer gültige,
wahre normative Positionen gibt. Die sind logisch nicht haltbar, wenn
ich denn den Konstruktivismus akzeptiere, oder ernst nehme, muss ich
ja nicht, aber wenn das machen.
Und von daher würde ich sagen folgt daraus zum Beispiel ein
eingeschränktes Toleranzgebot, denn wenn ich den Konstruktivismus
ernst nehme, gibt es Bereiche, in denen ich notwendig intolerant sein
muss.
Nämlich gegenüber Intoleranz.
Wenn ich eine Position habe, die sagt, nur so geht's, dann ist der
Konstruktivismus, finde ich, die ultimative Waffe dagegen, weil ich
gegen jede Form von Dogmatismus einfach die Grundlagen dieser
Positionen infrage stellt.
Mit Blick auf die Verantwortung. Was heißt Verantwortung?
Verantwortung ist ja eines der zentralen Kriterien späterer oder
künftiger sozialarbeiterischer Praxis. Sozialarbeiter sind mit
Verantwortung konfrontiert, ihnen wird sie zugeschrieben. Sie
schreiben sich die selber zu.
Sie bekommen diese durch rechtliche Konstruktionen zugeschrieben, also
relativ vielfältig.
Was da geklärt werden muss ist erstens: Ist diese Form der
Zuschreibung legitim?
Also gibt es moralische und rechtliche Gründe die ich akzeptieren kann
aus fachlicher Perspektive?
Manchmal kriegt man Verantwortung für Dinge zugeschrieben da gibt es
gar keine Grundlage für, man tut so als ob.
Und zweitens, und da kommt dann der Konstruktivismus ins Spiel, habe
ich überhaupt die Möglichkeit dieser Verantwortung gerecht zu werden?
Also, wenn man immer so schön sagt: "Du bist verantwortlich für dein
Handeln."
Das ist so eine der Forderungen in diesem konstruktivistischen
Ethikdebatten.
"Handle stets so, dass du die Verantwortung für ein Handeln übernehmen
kannst." Ist das eine ziemlich gewagte Forderung, denn dazu müsste ich
in der Lage sein die Konsequenzen meines Handelns auch tatsächlich
sicher vorherzusehen.
Ich müsste in der Lage sein mit meinem Verhalten bestimmte Ergebnisse
zu steuern und zu kontrollieren.
Das bin ich konstruktivistische gar nicht. Das heißt, ich würde schon
sagen, man kann Menschen Verantwortung zuschreiben.
Man sollte dies auch tun, normativ begründet.
Und man muss dann aber immer die Frage stellen: Ist diese Zuschreibung
legitim und ist diese Zuschreibung möglich?
Banales Beispiel: ich bin jetzt nicht so gut zu Fuß.
Es gibt das Prinzip der unterlassenen Hilfeleistung.
Man schreibt Menschen auch Verantwortung zu für etwas, das sie nicht
tun.
Wenn jetzt hier in dem Raum ein Feuer ausbricht und ein Teil der
Menschen liegt auf dem Boden und wir marschieren alle, die wir können,
raus und lassen die liegen, dann wird man nachher die Frage stellen:
"Hätten wir sie nicht rausholen können?"
Ich bin relativ gut weg. Ich habe mir als Attest, ich kann das gar
nicht, wie das bei Ihnen aussieht nicht weiß ich nicht.
Ich würde davon ausgehen, Sie müssten versuchen einen rauszuziehen.
Von daher würde ich sagen, man kann konstruktivistisch normative
Entscheidungen treffen.
Ich würde sogar noch weitergehen, ich würde sagen der Konstruktivismus
ist eine Grundlage dafür, dass man überhaupt normativ entscheiden
kann, denn wenn man das nicht annehmen würde, dann würde man keine
Entscheidungen mehr treffen, sondern man müsste nur lange genug
suchen, bis man die absoluten und allgemeingültigen wahren normativen
Positionen gefunden hat und dann bräuchte man nicht mehr entscheiden,
sondern man müsste sich nur dementsprechend verhalten.
Konstruktivistisch geht es mir darum. Wir können nicht in einer
normativen Beliebigkeit verharren. Das geht nicht.
Das geht auch für die Praxis der Sozialen Arbeit nicht.
Wir müssen uns normativ positionieren.
Aber wir müssen das eingedenk dessen tun, dass das Positionierungen
sind und, dass diesen Entscheidungen zugrunde liegen.
Und das müssen wir verantworten.
Dafür müssen wir geradestehen.
Das müssen wir transparent nach außen begründen und vertreten und auch
kritisieren lassen.
Das heißt für mich wesentlicher Appell: Wir sind auf normative
Diskurse angewiesen.
Diese werden nie abgeschlossen sein.
Sie werden immer vorläufig sein.
Und sie werden sich immer wieder verändern.
Aber wir brauchen zu einem bestimmten Zeitpunkt zeitlich und räumlich
begrenzt gültige normative Grundlagen anhand derer wir unser
Entscheiden und Handeln ausrichten können, ansonsten landen wir
tatsächlich in einer normativen Beliebigkeit.
Martin Klein: Sie haben ausführlich mit den Begriffen Lebenswelt und
auch Lebenslage beschäftigt und diese eingehend untersucht.
Warum ist die Klärung dieser beiden Begriffe für Sie so wichtig und zu
welchem Ergebnis sind Sie bei diesen beiden Begriffen in der
Unterscheidungen gekommen?
Kraus: Warum ist das so wichtig?
Das zählt tatsächlich mit zu den Ausgangspunkten meines Arbeitens in
den 90er Jahren.
Damals sah ich mich mit zwei gleichzeitigen Phänomenen konfrontiert in
den Theoriediskursen der Sozialen Arbeit.
Deren Vereinbarkeit zu prüfen war, aus meiner Sicht. Nämlich
einerseits auf einer zunehmenden Etablierung konstruktivistische
Überlegungen zu denen ich ja nun selber auch mich zähle und
andererseits einer damals in der Theoriediskursen, aber vor allen
Dingen auch in der Praxis, sehr breit etablierten
Lebensweltorientierung.
Zumindest wurde es sehr breit sozusagen diskutiert und wenn man
Praxiskonzepte las, dann hatte man den Eindruck jede Praxis ist
irgendwie Lebenswelt orientiert.
Gleichwohl wenn man dann versucht rauszukriegen, was das eigentlich
genau bedeuten soll, wurde es dann oft schon dünner.
Und was ich besonders problematisch fand war, dass man dann irgendwann
Ausführungen gelesen hat, bei denen die Begriffe Lebenswelt und
Lebenslage synonym gebraucht worden sind.
Das fand ich dann endgültig schwierig.
Ausgangspunkt war für mich in der Tat zu sagen: Okay wenn ich diese
gerade hier entfalteten konstruktivistischen Grundannahmen für
plausibel halte, dann stellt sich die Frage, ob die Forderung nach der
Orientierung an der Lebenswelt von Adressaten überhaupt eine mögliche
ist.
Dann kommt wieder so meine typische Arbeitsweise: bevor ich klären
kann, ob ich was erreichen kann, muss ich erst mal klären, was es ist.
Also habe ich mich erst einmal den Begriff der Lebenswelt beschäftigt.
Hans Thiersch hat den ja nun maßgeblich in die Diskurse der Sozialen
Arbeit eingeführt.
Spätestens seit 1990 hatten im Kinder-und Jugendbericht... Kann man
sagen gilt das als ein zentrales Paradigma der Sozialpädagogik und
bezieht sich selber auch maßgeblich auf phänomenologische Wurzeln. Ich
hab mir dann mal diese Wurzeln des Begriffs angeguckt, um erst mal den
Begriff zu klären, bin dann zurück bis zur Hussel, der den 1917 schon
gebraucht hat und hab das mal so ein bisschen rekonstruiert und habe
dann festgestellt: okay es gibt durchaus Vereinbarkeiten mit
konstruktivistischen Überlegung, nämlich dahingehend, dass auch
phänomenologisch die Subjektivität von Lebenswelt eine Rolle spielt.
Immer irgendwie hat das was mit der Biografie zu tun in der
Phänomenologie, also "Wie nehme ich die Welt wahr vor dem Hintergrund
meines bisherigen Geworden-seins?"
Gleichwohl der Begriff auch in der Phänomenologie relativ unspezifisch
gebraucht wird, auch bei Husserl selber.
Also man findet da sehr unterschiedliche Lesarten. Und entscheidend,
glaube ich, ist immer, dass nicht nur die subjektive Perspektive damit
benannt wird, sondern auch das was da wahrgenommen wird.
Der Begriff benennt sozusagen zwei Sachen gleichzeitig. Das finde ich
persönlich immer ein bisschen schwierig und hab dann auch geguckt "Ok,
wie kann ich das konstruktivistische verorten? Kann ich das mit
konstruktivistische überhaupt etwas anfangen?"
Habe dann im Rahmen dessen bin ich auf den Lebenslagebegriff gestoßen,
der ja wie gesagt, aus meiner Sicht problematischerweise synonym
gebraucht wurde.
Der ist bei Marx entlehnt und ist maßgeblich von Neurath und Weiser in
die Diskurse eingeführt worden. Der Lebenslagebegriff ist so ähnlich,
er benennt zwei Sachen gleichzeitig, nämlich die Rahmenbedingungen und
aber auch ein bisschen die subjektiven Kategorien.
Da geht es um Sinnkonstruktion und Lebensperspektiven, allerdings mit
dem deutlichen Schwerpunkt auf den Rahmenbedingungen, während der
Schwerpunkt bei dem Lebensweltbegriff stärker auf der subjektiven
Wahrnehmung liegt.
Konstruktivistische habe ich das dann letzten Endes so reformuliert,
dass ich gesagt habe: "Okay, ich konzentriere diese beiden Begriffe
auf ihre jeweiligen Extreme hin und schließe damit an an einem
begriffliche Unterscheidung im Konstruktivismus, nämlich der zwischen
Wirklichkeit und Realität. Dann steht die Wirklichkeit für die
subjektive Konstruktion und die Realität für die tatsächlich
existierende Welt.
Wenn ich das anschließe, dann steht Lebenswelt für die subjektive
Konstruktion eines Menschen unter den Bedingungen, und das ist für
mich wichtig, seiner Lebenslage, also den tatsächlich zur Verfügung
stehenden Rahmenbedingungen, die ein Mensch hat. Warum ist das wichtig
das zu trennen?
Ich möchte das begrifflich auseinanderhalten, damit ich weiß worüber
ich rede, wenn ich im Diskurs bin. Und das eine ist für mich dann
Lebenswelt und das andere ist für mich dann Lebenslage. Für mich
wichtig auf den Punkt gebracht: Die Lebenswelt ist die subjektive
Konstruktion unter den Bedingungen der Lebenslage, denn für mich ist,
wie gesagt, die Relationalität zwischen diesen beiden Kategorien so
wichtig. Die Lebenswelt wird nicht in einem luftleeren Raum
konstruiert. Dann könnte man ja auch sagen, was außen herum es ist
völlig egal, Menschen konstruieren sich ihre Welt und sind allein
dafür verantwortlich. Die Lebenslage setzt die ermöglichenden und
begrenzenden Bedingungen dieses subjektiven konstruierens.
Helmut Lambers: Das leuchtet ein und wir hatten ja eingangs über den
relationalen Konstruktivismus gesprochen, also da kommen ja auch
wieder die Perspektiven zusammen, die wir eben ja an dieser
sogenannten Schnittstelle, ich mag den Begriff nicht, aber mir fällt
grade schneller kein besserer ein, zwischen Individuum und
Gesellschaft immer wieder sehen müssen. Die nächste Frage, die sich
aufdrängt, ist natürlich eine, wenn wir uns anschauen auf welche
Herausforderungen Gesellschaft und natürlich auch Soziale Arbeit
reagieren muss, oder welche sie im Blick nehmen muss. Daher zunächst
die Frage an Sie: sehen Sie für die Theoriebildung der Sozialen Arbeit
bestimmte Herausforderungen und möglicherweise auch bestimmte wichtige
Herausforderungen für die Profession der Sozialen Arbeit?
Martin Klein: Wir erwarten jetzt kein Szenarioanalyse über die
nächsten fünf Jahre, aber..
Kraus: Ich habe zwei Punkte im Blick und betreffen meines Erachtens
nach gleichermaßen die Theorie wie Praxis. Auf der einen Seite das
gesamtgesellschaftliche Phänomen das wir seit den 80er Jahren
diskutieren unter den Schlagworten von Postmoderne oder Zweiter
Moderne, oder wie man es letzten Endes nennen mag.
Maßgeblich gekennzeichnet durch die Erosion kollektiver Orientierung.
Das ist durchaus ein Phänomen, das weiterläuft, das mit einer Menge
Vorteile verbunden war und ist, also etwa die Befreiung aus normativen
Einengung. Heute sind viel mehr Lebensentwürfe in unserem Kulturkreis
akzeptiert und normativ zulässig, als das noch in den siebziger Jahren
der Fall war oder Anfang und Mitte der achtziger Jahre.
Insofern ist das ein Gewinn.
Gleichermaßen haben wir im Zuge dessen eine zunehmende
Individualisierung der Perspektiven. Das finde ich für
gesellschaftliche Verhältnisse nicht ganz unproblematisch. Also was
mir manchmal zusehends abhanden zu kommen scheint, ist die Einsicht
darin, dass alles Handeln und nicht-Handeln auch soziale Konsequenzen
hat. Also, dass quasi das Leben nicht alleine ein Projekt der
individuellen Selbstverwirklichung sein kann, sondern, dass wir in
soziale Verhältnisse eingebunden sind, die zu berücksichtigen sind und
diese dienen nicht nur dazu, um mich selber selbst zu verwirklichen,
sondern auch meine eigene Selbstverwirklichung endet etwa an den
Grenzen... endet etwa dort, wo sie die Möglichkeiten anderer
beschränkt und betrifft.
Da, glaube ich, werden wir insgesamt uns mit beschäftigen müssen und
werden insgesamt Wege finden müssen ohne individuelle Freiheiten zu
verlieren und aufzugeben gleichermaßen wieder eine stärkere soziale
Perspektive in die Diskurse und in das Leben der Menschen einzuführen.
Und auch was diese kollektive Orientierung gibt, ich meine wenn man
sich die letzten Jahre ansieht, dann scheint es ja so, dass sozusagen
der Wegfall dieser kollektiven normativen Orientierung nicht von allen
Menschen gleichermaßen begrüßt wird und sich einige dieser normativen
Vielfalt auch dadurch entziehen, dass es letzten Endes doch wieder
zurückgreifen auf einfache und allgemeingültige Antworten.
Das ist auch nicht ganz unproblematisch. Also ich würde schon sagen,
dass wir in einem relativ freien Land leben.
Man kann im Detail viel kritisieren global im Vergleich finde ich
haben wir ein hohes Maß an Freiheit.
Wir haben eigentlich eine relativ gut funktionierende Demokratie, aber
ich kann an vielen Stellen sehr ins Schimpfen geraten, gleichwohl mir
keine bessere Alternative einfällt.
Und das ist nicht selbstverständlich.
Auch da glaube ich, müssen wir im Blick behalten, dass es nicht nur
immer ein Weiterentwickeln und einen Nach-vorne-gehen geht, sondern es
gilt auch tatsächlich Errungenschaften zu erhalten und sicherzustellen
und sich darüber bewusst zu sein, dass das fragile Systeme sind. Und
ein letzter Punkt vielleicht noch, der damit zusammenhängt: ich selber
mit meinem Handeln bin sehr dem Programm der Aufklärung verpflichtet.
Das ist für mich so auch so eine meiner Heimathafen.
Als man Kant gefragt hat, das ist ja nun schon ein paar Tage her, ob
man nun einem aufgeklärten Zeitalter lebe, hatte diese Frage ja
verneint und hat gesagt: "Nein, wir sind nicht in einem aufgeklärten
Zeitalter, aber wir sind in einem Zeitalter der Aufklärung."
Und für ihn war ja die Programmatik zu sagen, also dieses vielzitierte
"Habe Mut dich deines eigenen Verstandes zu bedienen."
Es ging darum zu sagen Menschen sollen in der Lage sein, und das auch
tun, vor allen Dingen, jetzt werden sie von außen nicht mehr
bevormundet, das war damals schon die Analyse, jetzt mögen sie doch
bitteschön die Vernunft, die ihnen gegeben ist, auch anwenden. Was
aber oft übersehen wird ist, geht ja nicht nur um den Mut, sondern es
geht auch um die Kompetenz und um den Willen und um die Verantwortung
das zu tun. Da hat Kant damals schon beklagt, dass viele weder Willens
noch in der Lage sind sich des nun gewonnenen Freiheiten zu bedienen
und da glaube ich auch das werden wir weiterhin im Blick haben müssen.
Wir werden dieses Programm der Aufklärung, das glaube ich, werden wir
weiter vorantreiben müssen.
Ich glaube nicht, dass wir inzwischen das Ziel erreicht hätten in
einem aufgeklärten Zeitalter zu leben, sondern ich glaube wir sind
weiterhin in einem Zeitalter der Aufklärung und Entwicklungen.
Gesellschaftliche laufen nicht linear immer nur in eine Richtung,
sondern die laufen kreuz und quer und vor und zurück und mancherorts
fallen mir diese Rückwärtsbewegung vielleicht deutlich ins Auge.
In dem Zusammenhang, vielleicht auch für Konstruktivisten von
besonderer Bedeutung, wir werden damit umgehen müssen in einer
multioptionalen Welt mit multioptionalen Informationen konfrontiert zu
sein und wir müssen Menschen in die Lage versetzen mit dieser Vielfalt
von tatsächlichen oder vermeintlichen Informationen umzugehen.
Also auch der Konstruktivismus, der mir manchmal vorgeworfen wird, der
wäre quasi die Voraussetzung für Fake News gewesen.
Würde ich dringend bestreiten.
Auch konstruktivistische lassen sich Kriterien angeben anhand derer
man Informationen in bessere und schlechtere, in brauchbare begründete
oder nicht begründete unterscheiden kann.
Auch das werden wir tun. Also wir werden es schaffen müssen angesichts
einer notwendigen Breite und Vielfalt doch immer wieder Entscheidungen
treffen zu müssen und zu Entscheidungen zu kommen.
Wir werden immer wieder in der Lage sein müssen normative
Entscheidungen zu treffen, was wir für richtig und für falsch halten,
für besser und für schlechter.
Wir werden Entscheidungen darüber treffen müssen, welche Informationen
wir für brauchbare und weniger brauchbare halten.
Das heißt im Endeffekt, wir brauchen eine Auseinandersetzung, eine
skeptizistische Auseinandersetzung mit unseren Möglichkeiten und wir
müssen quasi immer wieder neu vorläufige Entscheidungen aushandeln und
treffen und das ist eine Herausforderung, der sich auch die Soziale
Arbeit stellen muss.
Helmut Lambers: Vielleicht in dem Zusammenhang noch die Theorie
"Vielfalt der Sozialen Arbeit" ist ja nun mehr als bekannt und
bereitet auch so manchem Verdruss. Pluralismus ist andererseits nach
Feierabend eben auch eine, und damit meine ich den mit EY, eine Chance
oder eine Möglichkeit den wissenschaftlichen Diskurs voranzubringen.
Wie sehen Sie denn eigentlich die Aussicht auf eine, die Soziale
Arbeit mehr oder weniger vereinende, Leittheorie oder ist das gar
nicht so erstrebenswert aus Ihrer Sicht?
Kraus: Wenn ich es auf den Punkt bringen soll, letzteres. Also ist
nicht erstrebenswert.
Ich halte es weder für möglich, noch für notwendig, im Gegenteil. Ich
würde es für relativ gefährlich halten, wenn wir die Idee verfolgen
wir könnten eine allgemeingültige oder umfassende Theorie entwickeln.
Helmut Lambers: Aber so gerade in denen von Ihnen beschriebenen Sinne
der Herausforderungen, also Stichwort Individualisierung,
Entscheidung, sich mit Entscheidungen auseinanderzusetzen.
Wäre das nicht ein Thema auch für die Theoriebildung in der Sozialen
Arbeit?
Das kann man ja nicht so eindeutig feststellen, dass es da schon, ich
sag mal so, der Fragestellung Individuum oder Mensch im Spannungsfeld
von Individuum und Gesellschaft. Dass es da zu einer Übereinkunft
gekommen ist. Oder haben Sie den Eindruck die Positionen gehen doch da
sehr auseinander.
Kraus: Ich bin mir nicht ganz sicher mit der Frage jetzt.
Helmut Lambers: Ich denke mal so die wissenschaftstheoretischen
Voraussetzungen der Theoriebildung der Sozialen Arbeit gehen da noch
ziemlich auseinander und die Beurteilung, also Stichwort
Entscheidungen wie entscheidungsfähig ist denn das Subjekt, das
unterworfene. Letztlich ja doch gibt es das Subjekt im Kantschen Sinne
überhaupt und diese Fragen werden ja auch durchaus in den
Theoriebildung der Sozialen Arbeit reflektiert bis hin zu dezidierten
Stellungnahmen, die sagen: "Also das lässt sich doch relativ eindeutig
bestimmen. Wo liegt das, wo liegt das Problem?"
Und wenn wir das auf die Herausforderungen beziehen, die Sie gerade
genannt haben, dann kam mir so der Gedanke müsste das denn dann nicht
die Theoriebildung der Sozialen Arbeit auch stärker in den Blick
nehmen? Also zumindest sich mal an dem Punkt einigen wie eigentlich
das Verhältnis Individuum - Gesellschaft zu beschreiben ist.
Nicht im Sinne einer absolut ontologischen Realität, oder wie auch
immer, aber doch zumindest im Sinne einer kollektiv intentionalen
Übereinkunft, so sehen wir das jetzt.
Da scheint doch irgendwo mit Blick auf die Herausforderungen. Also die
soziale Frage, die sich möglicherweise neu stellen wird durch
Globalisierung, durch Digitalisierung und so weiter.
Es muss doch auch in der Theoriebildung irgendwo aufgegriffen werden.
Und wenn wir dann aber immer noch streiten, wie beurteilen wir denn
eigentlich das Verhältnis Individuum und Gesellschaft, dann wird es
doch, glaube ich, ein bisschen schwierig.
Kraus: Naja, ich würde antworten wir müssen unterscheiden worüber wir
reden. Reden wir über Praxis oder über Wissenschaft? Und die Praxis
die braucht diese Entscheidung.
Die Praxis muss notwendigerweise sich zu einem bestimmten Zeitpunkt
ihres Handelns auf irgendeine Grundlage einigen und muss sagen: "So
wir gehen von folgendem aus und aufgrund dessen haben wir folgende
normative Positionen oder wollen an folgendes hin."
Weil Praxis auch in notwendige Handlungvollzüge eingebunden ist.
Meinem Verständnis ist Wissenschaft davon notwendig entbunden.
Wissenschaft kann zunächst rein dem Erkenntnisinteresse folgen. Die
Ergebnisse, ob die brauchbar sind oder nicht, wird sich irgendwann
erweisen, aber sicherlich kein entscheidendes Kriterium für das
Betreiben von Wissenschaft sein.
Deswegen bin ich ein großer Freund von dieser Vielfalt, die wir in den
Diskursen haben.
Gerade die Uneinigkeit lässt den Diskurs nämlich weiterlaufen und dass
der Diskurs weiterläuft das halte ich für hochnotwendig.
Selbstverständlich bin ich von meinen eigenen Theorien überzeugt.
Gleichwohl, da ich das so lange noch mache, habe ich selber schon
Theorien von mir selber revidiert. Was weiß dann ich, ob ich nicht in
fünf Jahren sage: "Man, da warst du aber auf dem Holzweg!"
Das weiß ich nicht.
Ich arbeite an Theorien.
Ich versuche möglichst in sich konsistente widerspruchsfreie Gebilde
zu entwickeln, dabei Werkzeuge, die als Begrifflichkeiten und Modelle,
die als Werkzeuge taugen, zur Analyse von Welt und zum Treffen von
Entscheidungen. Aber, und da gibt es auch ein unterschiedliches
Verständnis davon was eine Wissenschaft Soziale Arbeit überhaupt zu
leisten habe, ob sie eine Handlungs Wissenschaft ist, die auch die
Handlungen anzuweisen hat, oder ob sie nur eine Handlungs Wissenschaft
ist, die wir Handlungen kritisch zu reflektieren hat, aber zur Praxis
nichts zu sagen hat.
Ich bin eher im letzteren beheimatet.
Nach meinem Verständnis braucht es eine Theorie, die nach ihren
eigenen Regeln mit ihren eigenen Werkzeugen um Erkenntnisse ringt und
das möglichst plural und divergent.
Und auf der anderen Seite braucht es eine Praxis, in der Fachkräfte
wissenschaftlich qualifiziert sind, damit sie in der Lage sind von den
Bedürfnissen und Bedarfen in der konkreten Praxissituation sich bei
der Theorie zu bedienen, um diese Bedarfe nach ihrer Einschätzung zu
befriedigen und damit umzugehen.
Insofern, glaube ich, es kann keine allgemeine Theorie geben, es
sollte auch keine geben, es muss ein Ringen, eine Pluralität geben.
Das sollte ein fortlaufender Prozess bleiben.
Auf der anderen Seite wird Praxis immer wieder temporär begrenzte
Entscheidungen darüber treffen müssen, was sie jetzt aus diesem Kanon
von möglichen Theorien in bestimmten Bereichen für brauchbar, tauglich
und handlungsorientiert hält.
Helmut Lambers: Soziale Arbeit als kritische Reflektionswissenschaft.
Umso gespannter sind wir, denke ich, auf das bald erscheinende Buch,
in dem Sie Ihre Überlegungen noch einmal weiterführend
zusammenfassend, aber auch weiterführend vorstellen werden.
Wollen Sie da vielleicht noch ein zwei Worte zu sagen, was Sie dazu
gebracht hat Ihre Überlegungen der letzten zehn, fünfzehn Jahre hier
noch einmal gesammelt vorzustellen und weiterführend nochmal
darzulegen?
Offensichtlich war es ja nötig.
Kraus: Ja, wenn man so mag witzigerweise, oder ob das so witzig war
weiß ich gar nicht, direkt nach "Erkennen und Entscheiden".
Das 2013 erschienene, das hab ich 2012 abgegeben, dann dachte ich
eigentlich: "Ah, jetzt habe ich ein wunderbares Fundament."
Und danach habe ich mich mit Konflikttheorien beschäftigt.
Aufgrund eines Vortrags, den ich halten sollte. Und habe die
Konflikttheorien mir angesehen und habe dann festgestellt, naja, dass
dieser Konflikttheorien in ihren Theorien oft nicht verdeutlichen,
dass alle Aussagen, die getroffen werden, immer von Beobachterinnen
und Beobachtern getroffen werden, dass es hier um relationale Aussagen
geht und nicht um absolute Aussagen geht.
Nachdem ich das so trefflich gemacht habe, habe ich festgestellt, das
trifft auf viele von mir selber leider auch zu und habe dann
angefangen bestimmte Theorien von mir selber nochmal neu zu bearbeiten
und teilweise auch zu revidieren.
Das heißt, was schon deutlich wird, ist bei mir sieht so aus, man
könnte, wenn man die Inhaltsverzeichnisse meiner Bücher sich anguckt,
denken: "Meine Güte, der Mann schreibt ja immer das Selbe." Das stimmt
ein Stück weit.
Ich beschäftige mich seit 25 Jahren mit den gleichen Fragen, aber die
Antworten verändern sich. Nicht die Fragen.
Und da hat sich tatsächlich nach "Erkennen und Entscheiden" ein
wirklich gravierender Fortschritt, eine gravierende Veränderung
gezeigt.
Ich habe in den letzten Jahren relativ viel dazu an verschiedenen
Stellen publiziert, was Jahre Vorlauf hatte auch.
Und da ist ziemlich viele erschienen und da kam dann die Idee zustande
daraus eine sortierte und begründete Schriftensammlung zu machen und
das Buch ist jetzt tatsächlich so, dass es noch einen zentralen
Aufsatz aus der Frühzeit hat, nämlich zur lebensweltlichen
Orientierung, weil der deutlich macht, was sozusagen das Kontinuum,
was die Theorieentwicklung sozusagen bis heute Bestand hat, aus dieser
systemisch-konstruktivistischen Lebensweltorientierung.
Und das andere ist, dass dann verschiedene Aufsätze für sich genommen
zur Frage "Was uns relationale Konstruktivismus? Was ist relationale
Soziale Arbeit? Wie sieht ein relationales Kommunikationsmodell aus?
Wie kann Wissenschaft bestimmt werden? Wie es das Verhältnis von
Wissenschaft zu normativen Entscheidungen?"
Das sind dann lauter einzelne Aufsätze zu diesen Themen.
Was vielleicht den Vorteil hat in der Nutzbarkeit, das ist jetzt der
Werbeblock, dass man sagen kann "Okay, man kann das im Studium ganz
gut nutzen. Man kann nämlich zu den Fragestellungen, die man hat, sich
den jeweiligen Aufsatz herausnehmen und ist für sich genommen lesbar
und verstehbar. Man kann aber auch das ganze nehmen und die Einordnung
und die Zusammenfassung und die Begründungen und Hinführung, um
sozusagen die Eckpunkte eines Theorieentwurfs zur Kenntnis zu nehmen."
Helmut Lambers: Warum ist eigentlich eine gute Idee soziale Arbeit zu
studieren?
Kraus: Pointiert, weil das Studium etwas mit dem menschlichen Sein zu
tun hat und das betrifft jenen Studenten.
Das heißt, man kann Maschinenbau studieren, das finde ich total
spannend, betrifft aber wenig das eigene Sein, also wenig die Frage,
wie ich mein Leben gestalte, in welchen sozialen Verhältnissen nicht
leben möchte.
Insofern finde ich ist das ein total attraktives Studium, weil es die
Gelegenheit gibt, sich mit grundlegenden Fragen menschlichen Daseins
zu beschäftigen und mit der Chance später etwas zu tun, das sinnvoll
ist und dafür Geld zu bekommen.
Martin Klein: Was würden Sie Studierenden empfehlen, die kurz vor
Abschluss des Studiums stehen?
Kraus: Halten Sie noch einmal Rückschau und vergewissern Sie sich
Ihrer eigenen professionellen Identität, wenn Sie sie nicht haben,
machen Sie sich Gedanken, wie Sie zu einer solchen kommen.
Ich glaube, dass am Ende des Studiums Studierende regelhaft mehr
studiert haben, als Ihnen eigentlich bewusst ist.
Und es macht Sinn da auch noch mal sozusagen sich das ins Bewusstsein
zu holen, noch einmal nachzusehen und nochmal nachzuarbeiten auch.
Und seien Sie entspannt.
Der Abschluss des Studiums ist die Grundlage des Lernens und nicht das
Ende des Lernens, also sprich diese Angst vor der Praxis oder den
Praxisschock halte ich für völlig unbegründet, denn es ist normal,
dass man am Ende des Studiums noch kein fertiger Praktiker ist, noch
keine fertige Praktikerin.
Das gilt für alle anderen Bereiche auch. Wenn Sie Psychologie
studieren, dann haben Sie die Voraussetzungen sich freiwillig danach
fünf Jahre in eine Therapie Ausbildung zu begeben für 20 000 Euro, um
Handwerkszeug zu lernen.
Martin Klein: Was ist das wichtigste Buch, aus Ihrer Sicht, das alle
Sozialarbeiter*innen gelesen haben müssten?
Kraus: Da kann ich nur sagen, ich weiß gar nicht, was gefährlicher
ist, gar kein Buch gelesen zu haben oder nur ein Buch gelesen zu
haben. Von daher, lesen Sie Bücher.
Ich glaube lesen hilft. Misstrauen sie diesen.
Ich glaube, haben Sie eine grundlegend skeptische Haltung gegenüber
alles, was Ihnen gesagt wird, auch gegenüber das, was in meinen
Büchern steht.
Seien Sie skeptisch. Das haben auch nur Menschen geschrieben.
Aber lesen Sie. Und bevor Sie kritisieren, ich bin ein großer Freund
von Kritik, aber bevor Sie kritisieren, versuchen Sie zu verstehen,
was gesagt wurde, bevor Sie es kritisieren.
Und haben Sie nicht die Kritik und lesen Sie dann.
</i>
Martin Klein: Gibt es so etwas wie einen Tipp für Studierende die im
ersten Semester Soziale Arbeit studieren?
Björn Kraus: Mal vielleicht ganz altbacken:
Respekt und Verantwortung.
Respekt vor sich selber und vor anderen.
So mein Thema auch was ich vorhin angeschnitten habe zu gucken, was
welches Konsequenzen hat mein eigenes Handeln und Nichthandeln für
mich selber, aber auch für mein Umfeld.
Ganz blöde gesagt: Nutzen Sie die Gelegenheit. Es ist ein totales
Privileg das einem ganz geringen Teil der Menschheit überhaupt
zugestanden wird, quasi frei zu studieren, sich für Sachen zu
interessieren.
Und gehen sie verantwortlich mit ihren Möglichkeiten um.
Man kann aus guten Gründen immer beklagen wie sehr das Studium
eingeschränkt ist und was vorgegeben ist.
Gleichwohl bleibt innerhalb dieser Einschränkung ein hohes Maß an
Entscheidungsfreiheit.
Und was man damit macht und, dass man überhaupt etwas damit macht, das
liegt bei den jeweiligen einzelnen Studierenden.
Und ich sage immer zu meinen Studierenden: Das Studium findet nicht in
der Hochschule statt.
In der Hochschule gibt es Anregungen und ein paar Werkzeuge wenn es
gut läuft.
Das eigentliche Studium findet außerhalb der Hochschule statt und ob
das stattfindet oder nicht kann ich leider wenig beeinflussen.
Martin Klein: Vielen Dank, Herr Kraus, für die Ausführungen und für
Martin Klein: Vielen Dank, Herr Kraus, für die Ausführungen und für
das Interview. Zum Abschluss.
Kraus: Ich danke Ihnen sehr für die Gelegenheit.
Ich finde es ein hervorragendes Projekt. Ich bin sehr sehr gespannt
auf das Gesamtergebnis nachher und finde auch das ist gerade, weil ich
so ein großer Freund von Theorievielfalt bin, ein hervorragendes
Projekt, weil es nämlich eben auch Vielfalt deutlich macht und sich
nicht sehr verengt auf zwei, drei zufällig, oder den eigenen Neigungen
entsprechend herausgegriffen Theorien, konzentriert.
Das finde ich sehr gut.