Dieter Röh
15.10.2021 52 min Staffel 1 Episode 10
Zusammenfassung & Show Notes
Dieter Röh (*1971) ist ein deutscher Sozialarbeitswissenschaftler und Gesundheitswissenschaftler. Röh studierte an der Fachhochschule Ostfriesland Praxisorientierte Interdisziplinäre Gesundheitswissenschaft und schloss dieses Studium 2003 mit dem Abschluss Master of Public Health(MPH) ab. 2005 promovierte er zum Dr. phil. an der Carl-von-Ossietzky-Universität Oldenburg mit dem Thema Empowerment als Hilfe zur Lebensbewältigung - Anforderungen an ein integratives Empowermentmodell für die Arbeit mit psychisch erkrankten Menschen in Zeiten postmoderner Gesellschaftsveränderungen. Röh hat seine handlungstheoretische Konzeption Sozialer Arbeit besonders in seinem Werk Soziale Arbeit, Gerechtigkeit und das gute Leben. Eine Handlungstheorie zur daseinsmächtigen Lebensführung (2013) dargelegt.
Transkript
Ja, Herr Röh, wenn Sie drei
Worte wählen sollten,
die Sie gut beschreiben
oder die Sie
charakterisieren, welche
drei Worte wären das?
Habe ich drüber nachgedacht. Ich würde
anfangen mit dem Humanisten
Ulrich von Hutten, der hat
nämlich einmal gesagt:
"Ich bin kein ausgeklügelt' Buch.
Ich bin ein Mensch mit
seinem Widerspruch." Aber
damit sind Sie ja nicht
zufrieden. Ich habe mir noch zwei
überlegt oder drei überlegt
und ich glaube,
dass ich einigermaßen
empathisch bin,
so um Gerechtigkeit bemüht und ich
bin ziemlich fleißig.
So, das ist, glaube ich,
das. Und ich könnte die
Reihe fortsetzen, aber ich lasse
es mal bei den dreien.
Es so sollten ja drei sein.
Okay. Gibt es in Ihrem Leben
so etwas wie eine
Lebensphilosophie?
Ja, dass es sozusagen immer eine Möglichkeit
gibt, es auch anders zu
sehen und anders zu machen
oder dass sich das,
was
ist, nicht erschöpft, indem sozusagen...
Oder dass, was es sein kann,
sondern dass man mit einem
kleinen Dreh es
auch anders machen kann, es auch
anders sehen kann. Also,
ich weiß nicht, vielleicht optimistisch.
Das wäre auch vielleicht so
eine Eigenschaft. Optimistisch
diese Dinge anzugehen,
ja. Das ist im Grunde
genommen schon
alles und wenn ich gleich das
mit der Theorie verbinde,
dann würde ich sagen, es gibt auch
so etwas, dass ich denke,
ich versuche mein Leben so gut
zu führen wie es irgend geht
und muss aber auch in
Rechnung stellen,
dass bestimmte Dinge nicht
unter Kontrolle sind,
dass wir als Menschen die nicht
unter Kontrolle haben
und dass es glückliche oder
unglückliche Zufälle gibt,
aber dass ich versuche, möglichst
mein eigenes Schiff
möglichst mit einem Kompass
zu führen, zu
steuern.
Gibt es denn so etwas wie so
einen besten Ratschlag,
den Sie mal bekommen haben oder
irgendwie eine Empfehlung,
wo Sie sagen würden, das
war ein Ratschlag,
den ich auch gerne beherzige,
den ich bekommen habe?
Ja, das ist einer und ich glaube,
den sollten viele SozialarbeiterInnen,
also ich bin ja auch
Sozialarbeiter, dann auch bekommen,
nämlich: "Kümmere dich auch um
dich selbst und nicht nur um
andere."
So, das ist wahr. Das habe ich wiederholt
gehört und das ist,
glaube ich, etwas, was ich als
einen der besten Ratschläge
sehe, den ich mal bekommen habe.
Wenn wir uns die soziale Arbeit
anschauen, da gibt es ja
viele, die in diesem Feld tätig
sind und die man so kennengelernt hat.
Gibt es für Sie so etwas wie
ein Vorbild der Sozialen Arbeit?
Ja, also in meinem Berufspraktikum
oder so jetzt in der Praxis hatte
ich schon Kollegen, die mich
sehr geprägt haben,
aber wenn ich jetzt so an die
wissenschaftliche Seite denke, dann
hat mich, ich habe in den
Neunzigern studiert, insbesondere
Silvia Staub-Bernasconi
sehr beeindruckt
als ich diesen Buchtitel
mal las "Vom Ende der
Bescheidenheit". Da habe ich
gedacht: Genau das ist es.
Genau das denke ich auch.
Das war ja so die Zeit,
wo noch sehr viel gezweifelt wurde
an der Sozialen Arbeit und auch
Studierende quasi mit diesem Zweifel
groß geworden sind und ich
weiß noch, dass wir immer darüber diskutiert
haben über diesen Satz:
"Wir können von allem ein bisschen,
aber nichts richtig." Und das habe
ich immer... Das war immer ganz nett
und ganz lustig das zu sagen,
aber die Frage war immer dahinter:
Stimmt das eigentlich?
Ist das jetzt ein positives Merkmal
oder ein negatives Merkmal?
Und da, dass jemand dann mal so ein
Befreiungsschlag macht und sagt:
"Also jetzt, das Ende der Bescheidenheit.
Zeigt das,
was ihr könnt, seid kritisch,
seid reflexiv,
aber geht auch mal voran und bringt
auch mal was voran." Und das hat
mich sehr geprägt. Deswegen
habe ich mich auch nachher
immer weiter sehr dafür interessiert,
zu schauen, wo kann...
Was kann Soziale Arbeit? Wo kann
sie was und wie kann sie das
hinbekommen, etwas zu
bewegen in der Welt?
Warum interessieren sich denn überhaupt
für Soziale Arbeit?
Ja, das ist eine gute Frage. Also
biographisch, muss ich sagen,
ist das eher Zufall gewesen.
Es gab da keine Prägung
oder es gab jetzt kein
Erlebnis oder so. Die üblichen
Dinge vielleicht:
Ich habe Zivildienst gemacht,
das aber auch in einer Richtung, die
mich nicht unbedingt direkt auf
den Weg der sozialen
Arbeit geführt hat.
Ich habe dann im Studium,
das war ja zufällig,
dass ich dazu gekommen bin, aber
gemerkt, dass es ein wahnsinnig
interessantes Fach und eine unglaublich
interessante Tätigkeit
ist; so vielfältig, mit
so vielen Personen,
Gruppen arbeiten zu können, mit
so unterschiedlichen Methoden,
diese ganzen Wissensbestände...
Das war ja diese
Defizitdiagnose ganz lange Zeit
und in meinem Studium,
muss ich auch sagen, gab es nicht
sehr viel Orientierung,
warum man das eigentlich
alles wissen
sollte.
Und das war einigen sozusagen dann
schwierig oder bei mir auch
teilweise schwierig, weil ich es nicht
wusste und dann habe ich aber
irgendwann so einen Gedanken gekriegt:
Das hat was miteinander zu
tun.
Da gibt es ein Dach drüber. Und das
hat mich dann sehr fasziniert und
fortan nicht mehr
losgelassen. Also dieses
Feuer wurde dann geweckt und es
ist nicht erloschen und flammt
immer mal wieder auf an
bestimmten Stellen:
Theorien oder, was weiß ich,
Methoden, bestimmte
Aufgaben in der Gesellschaft,
die zu lösen sind.
Ja, sehr viele Sozialarbeiter
würden ja sagen:
"Die Praxis fasziniert mich, die
Themen faszinieren mich",
aber warum interessiert Sie
gerade die Theorie?
Ja, weil, glaube ich, die Theorie...
Es gibt da diesen Satz von
Kurt Lewin: "Es gibt nichts Praktisches,
als eine gute Theorie."
Und das finde ich genau richtig.
Weil anders als viele meinen,
finde ich Theorie immer sehr
praktisch oder frag mich auch daraufhin
sozusagen: Was sagt sie mir
über diese Welt? Was sagt sie mir
über mich? Was sagt sie mir,
auch wenn wir jetzt nicht nur über
sozialwissenschaftliche Theorien
reden,
über
nichtweltliche Zusammenhänge, also
philosophische Theorien oder was
sagt sie mir auch, was zu tun
ist, was man tun und lassen
sollte? Also von daher: Ich habe
Theorien nie als etwas gesehen,
was mir so fremd bleibt oder wo
ich sage: "Ich weiß gar nicht,
was das mit mir in meinem Leben oder
mit meiner Profession zu tun
hat." Überhaupt nicht.
Ich habe so viele
Momente gehabt, wo ich gedacht habe
"Ah, genau das drückt es aus,
Und das
finde ich das Wunderbare
an Theorien, dass sie einem sozusagen
Begriffe an die Hand geben,
Gedanken, Bilder und
etwas beschreiben,
was man natürlich auch so sehen
könnte als Mensch,
aber man kriegt den Ausdruck
dafür und das,
finde ich, ist das Spannende
an Theorie.
Ja, als nächsten Gast in
unserer Interviewreihe
können wir Dieter Röh begrüßen.
Herzlich willkommen und herzlichen
Dank, dass Sie sich bereiterklärt
haben zu unserem
Interview. Bevor ich
oder wir auf die fachlichen Fragen
eingehen, versuche ich mal eine
kurze Biografie.
Also ich versuche es, aber... Sie sind
zunächst einmal Sozialarbeits-
und Gesundheitswissenschaftler
in dieser Kombination
und haben natürlich entsprechend
auch einen Abschluss als
Diplom-Sozialarbeiter
und waren dann
ab 2003 im sozialpsychiatrischen
Bereich,
vor allen Dingen in der Behindertenhilfe
tätig.
Sie haben dann noch ein
Studium der interdisziplinären
Gesundheitswissenschaft an der
Fachhochschule Ostfriesland
absolviert
und sind danach als
wissenschaftlicher
Mitarbeiter im Forschungsschwerpunkt
"Entwicklung von
Modellen und Standards der integrierten
Versorgung im Bereich
der Rehabilitation von Menschen
mit motorischen Störungen"
aktiv gewesen,
bis 2005. 2005 dann auch Ihre
Promotion
an der Carl von Ossietzky Universität
in Oldenburg und da zu
dem Thema "Empowerment".
Sicherlich ein Aspekt,
auf den wir auch noch einmal gleich
zu sprechen kommen werden.
Sie sind seit 2005 auch
Professor für
Sozialarbeitswissenschaft an der
Hochschule für Angewandte
Wissenschaften in Hamburg. So, jetzt
noch die Lehrschwerpunkte:
Geschichte, philosophische
Grundlagen,
Theorien und Methoden
der Sozialen Arbeit.
Sie sind natürlich in verschiedenen
Forschungsprojekten und Konzeptentwicklungen
im Bereich der
Behindertenhilfe und
Sozialpsychiatrie
vor allem aktiv,
haben sicherlich, so
weit man das sieht,
auch eine lange Publikationsliste.
Die hier vorzustellen wird den
Rahmen sprengen; ist auch
gar nicht notwendig,
weil wir heute insbesondere
wegen Ihrer vorgelegten
Handlungstheorie zur
daseinsmächtigen Lebensführung,
die Sie publiziert haben.
Ich zeige das Werk
mal kurz in die Kamera.
Aus dem Jahr 2013.
"Soziale Arbeit, Gerechtigkeit
und das gute Leben."
Sie schreiben, dass
sie nicht so ganz
glücklich, das ist jetzt
meine Paraphrase,
über die Gegenstandsbestimmung
der sozialen Arbeit
sind. Und zwar schreiben Sie,
dass diese Gegenstandsbestimmung
eigentlich nicht primär über
die Bearbeitung von sozialen
Problemen hergeleitet
werden sollte, sondern
eben über die Arbeit
einer daseinsmächtigen
Lebensführung. Drängt sich
natürlich die Frage auf,
weshalb reicht es Ihnen nicht aus,
dass soziale Arbeit für die
Bearbeitung sozialer Probleme
zuständig sein soll?
Ich will davor nochmal sagen, weil
nämlich: Es war ein starker
Motivator. Diese Unzufriedenheit,
aus meiner Sicht,
reicht noch nicht
nicht die, die ich für richtig
halte. Da war ein ganz
wichtiger Punkt, dass ich gedacht
habe, wir brauchen endlich eine
Theorie, die es schafft,
die Sozialarbeit und die Sozialpädagogik
auf irgendeine
Art und Weise
zusammenzubringen. Und
zwar ist das ja
vielfach postuliert worden, von
(Mühlhorn?) zum Beispiel.
Es gibt eine Konvergenz oder
Immergenz oder wie auch immer. Jedenfalls
soziale Arbeit ist der
Begriff, aber darunter
finde ich nach wie
vor keine Klarheit,
wie
das wirklich zusammenpasst. Also das
war dieser eine Punkt und in
dieser Bestimmung, klar,
könnte man jetzt sagen,
wir haben uns geeinigt
auf soziale Probleme
und das ist auch nicht
verkehrt an sich, nur ich finde,
dass Lebensführung,
dass Lebensführungsfragen
größer sind als soziale
Probleme. Das heißt, das Thema
ist grundsätzlicher
mit dem die soziale Arbeit sich auseinandersetzt
oder ich könnte es
noch anders sagen: Vorstellbar wäre
ja vielleicht eine komplett
gerechte Welt mit einer
sehr guten Ausstattung aller Menschen.
Und dann glaube ich aber fest
daran, es bleiben Lebensführungsprobleme,
weil wir alle doch
letztendlich ganz existenziell
unser Leben führen müssen,
Entscheidungen treffen müssen,
uns orientieren müssen im Leben.
Und das sehe ich nicht,
eins zu eins zumindest nicht aufgehoben
in einer Bestimmung von
Sozialarbeit, dass sie sich mit sozialen
Problemen auseinandersetzt,
sondern das Thema ist größer,
das ist allgemeiner. Und das
war so die Idee und dann
ist natürlich die Frage, dann sucht
man und findet dann irgendwann
einen Ansatzpunkt und sagt,
das ist es jetzt.
Das ist für mich ein anschlussfähiger
Punkt.
Aber wenn Sie den Gegenstand
der Sozialen Arbeit in den
strukturellen und subjektiven
Bedingungen
gelingender Lebensführung verorten,
dann ist das ja auch sehr nah
an Hans Thierschs gelingender
Alltag oder die Idee
eines gelingenderen Alltags.
Geht der Begriff Lebensführung über
den Alltagsbegriff hinaus
oder ist das
ungefähr ähnlich zu
sehen?
Also, ich glaube schon, dass
es da Ähnlichkeiten gibt.
Also gelingenderer Alltag klingt
ja auch nach: "Ich tue etwas im
Alltag. Ich bin da aktiv."
Und ich würde den Begriff
Alltag nicht nutzen oder ich
habe ihn nicht genutzt,
weil ich ihn so alltäglich
finde und damit
auch irgendwie zu banal.
Der Punkt oder der Ansatzpunkt
von Hans Thiersch,
der ist natürlich aber natürlich
ein richtiger, zu sagen:
"Wendet euch konkret dorthin,
wo Probleme sind oder
wo Menschen ihr Leben leben und
da genau hinzuschauen und ihre
subjektive Perspektive aufzunehmen
und sie zu verstehen und
auch weitgehend zu akzeptieren."
Aber alles das
wollte mir nicht ausreichen oder
reichte mir nicht aus.
Das fand ich zu kleinteilig,
zu kleinräumig,
zu klein insgesamt,
wo ich gedacht habe, das ist auch
so eine Selbstverzwergung der
Sozialen Arbeit. Also ich kann
den Impuls, ich kann auch die
Geschichte dahinter gut verstehen,
aber ich finde das nicht
ausreichend und ich denke,
dass ist eine zu starke Zurücknahme
dessen, was soziale Arbeit kann.
Vielleicht nochmal eine
Zusatzfrage dazu:
Lebensführung, wenn
man so will,
als ein Begriff,
der möglicherweise diese
relativ etablierte
Rede von Lebens-und
Alltagsbewältigung
vielleicht ablösen kann, geniesst ja
eine gewisse Aufmerksamkeit auch
bei anderen Kollegen,
die dazu arbeiten. Kann man sagen,
dass Bewältigung, Alltagsbewältigung,
Lebensbewältigung eigentlich
eher der Blick nach hinten
ist, also quasi die
Krise bewältigen,
die vielleicht akut da ist, die aber
eben eine bestimmte Geschichte
hat? Und dass die Perspektive der
Lebensführung vielleicht doch eher
eine proaktive oder nach vorwärts
gerichtete Perspektive ist? Das
kommt mir jetzt so spontan.
Das muss nicht stimmen,
aber das wäre ja ein
Abgrenzungskriterium, ja.
Lebensbewältigung,
da liegt die Auslöserbedingung des
Handelns in der Vergangenheit,
könnte man sagen und bei Lebensführung,
da muss ich schon
nach vorne schauen.
Ja, vielleicht. Ich weiß es auch
noch gar nicht so genau.
Tatsächlich ist es auch dort
wieder so, dass ich denke,
es ist ein Stück weit allgemeiner und
es setzt tatsächlich nicht erst
mal an ein Problem an
und Problem ist
ja tatsächlich ein Zustand, der
schon einmal entstanden ist,
den wir als negativ bewerten. Von
daher würde ich auch sagen,
es ist quasi ein allgemeinerer
Ansatz.
Ich denke bei dieser Frage
der Bewältigung,
Lebensbewältigung, ganz
prominent ja von
Lothar Böhnisch hervorgehoben,
da denke ich tatsächlich auch
mal an so etwas mühseliges.
Also denke ich immer an Sisyphos
und denke so: "Oh,
mein Gott." Das ist wirklich eine
anstrengende Vorstellung
und natürlich innerhalb seiner
Theorie konsistent
sozusagen. Also es gibt hier
eine dauerstrukturelle
Krise und die kriegen wir nicht aufgehoben
und deswegen müssen wir den
Menschen helfen, ihr Gleichgewicht
zu halten.
Aber trotzdem ist mir dieser Bewältigungsbegriff
dann auch wieder
zu anstrengend irgendwie so. Aber
Lebensführung ist jetzt
nicht weniger anstrengend
und ist auch nicht nur
nach vorne gerichtet, sondern
hat natürlich auch
problematische
Anteile.
Ja, Sisyphos ist vielleicht ein Stichwort
für die nächste Frage,
also wenn Sie so an das Wechselspiel
von Individuum und Gesellschaft
Spannungsfeld.
Dann, ja, ist ja im Grunde genommen
die Frage nach der Lebensführung,
dass im im Prinzip Lebensführung
etwas
ist, was man jetzt nicht
nur als rein
Individuum zentrierten
Begriff sehen kann,
sondern eben auch von,
wenn man so will,
Lebensführung der Gesellschaft
sprechen
kann.
Wie würden Sie das einschätzen
in Ihrer Theoriebildung?
Sehen Sie da eine Art Gleichgewicht
zwischen den subjektiven
Möglichkeiten? Auf die kommt es Ihnen
ja auch nochmal ganz besonders
an, im Sinne von Daseinsmächtigkeit
auf der einen Seite und den gesellschaftlichen
Zwängen auf der
anderen Seite. Kann man
sich das so als
relativ ausgeglichen vorstellen oder
ja, wie würden Sie es einordnen?
Nein, es
kann natürlich nicht
ausgeglichen sein,
aber tatsächlich habe ich da auch
viel drüber nachgedacht
und ich würde jetzt
mal per se sagen,
natürlich sind Strukturen
stärker als Menschen.
Strukturen wirken schon stärker auf
Was durch kulturelle
Habitualisierung
oder Verhaltensanforderungen, Normen,
Erwartungen an uns gestellt
wird, das ist, glaube ich, schon
stärker. Aber was mich immer
daran gestört hat, das sozusagen
so absolut zu (unv.),
dass eben Strukturen stärker
sind als Menschen... Also zur Relativierung
würde ich immer sagen:
Wir sind aber auch keine willenlosen
Roboter. Es gibt da kein
Gängelband der Gesellschaft
oder irgendwelche
Strukturen, die mich führen in
welche Richtung auch immer.
Ob ich in die will oder nicht,
sei dahingestellt.
Aber gleichzeitig und das schwingt
so ständig als Pendel bei mir im
Kopf hin und her, sehe ich natürlich
auch an mir selbst,
diese
Unterscheidung zwischen langsam
und schnell und denken...
Ich habe mal ein Buch gelesen, das hat
mich sehr beeindruckt von einem
Verhaltensökonomen, Dan Ariely
heißt der. Der Buchtitel war:
"Denken hilft zwar,
nützt aber nichts." Und das ging,
sehr kurz gefasst, um die Frage,
wie funktioniert eigentlich Werbung
und wodurch werden wir beeinflusst
und dass vieles eben nicht
kritisches Bewusstsein
zunächst einmal ist und wir folgen
aber schon den Plänen
anderer. Stichwort: Supermarkt.
Wir werden halt so rumgeführt, dass
wir gegen unseren eigentlichen
Impuls anders rumzulaufen,
also links rumzulaufen,
rechts rumlaufen müssen. Also die
Milch ist immer ganz hinten.
Also da gibt's schon Strukturen.
Und ich denke auch ständig
darüber nach, ob man das in so einem
Verhältnis ausdrücken könnte,
irgendwie so achtzig/ zwanzig,
siebzig/ dreißig.
Ich würde dazu
tendieren
und
vielleicht wäre das so eine,
mal herauszufinden,
was ist eigentlich wirkmächtiger. Also
das spielt ständig in meinem
Kopf so eine Rolle, aber ich kriege
da keine endgültige Antwort drauf.
Gut, aber der Rest, wenn man so will,
ist doch noch soweit vorhanden,
Man könnte ja sagen,
also jetzt mal sehr materialistisch
argumentiert,
dass der Mensch eigentlich in
keinster Weise irgendwo eine
Daseinsmächtigkeit haben wird.
Die Strukturen sind so wie sie
sind. Aber da kommen wir
wahrscheinlich gleich nochmal drauf,
was Sie speziell mit dem Begriff
Sie haben ja gerade auf Daniel Kahnemans "Schnelles Denken, langsames Denken" verwiesen
und das ist ja ein Buch,
das viele praktische
Beispiele gibt und
viele Hinweise gibt,
wie man mit diesen Fehlern im
Denken eigentlich auch umgehen kann
oder zumindest im Rahmen der
Selbstbeobachtung feststellen
kann, wann glaube ich,
dass ich denke und wann merke
ich doch, dass ich es nicht
tue. Warum sollte die Soziale
Arbeit, wenn man sich das
anschaut, ihre Theorie,
ihre Handlungstheorie... Warum sollte
die Soziale Arbeit mit ihrem
Theorieansatz arbeiten und könnten
Sie das vielleicht
dann auch mal praktisch, an einem
praktischen Beispiel,
erläutern?
Ja, warum sollte sie damit arbeiten?
Das muss sie selbst entscheiden.
Also was ich denke,
was mir natürlich dann am Herzen
liegt, wäre zu sagen:
"Schaut euch immer beide Seiten an.
Schaut euch subjektive Handlung
an und schaut euch soziale oder gesellschaftliche
Strukturen an
und schaut vielleicht im
Einzelfall wie was
ineinandergreift." Und
so Beispiele...
Also aus meiner praktischen
Erfahrung, muss ich sagen,
vielleicht ist das auch eine Besonderheit,
wenn man viel mit
Menschen mit psychischen Erkrankungen
gearbeitet hat,
dann weiß man eben: Nicht alles ist
gesellschaftlich beeinflusst,
nicht alles ist per se
gesellschaftlich
determiniert. Also wenn ich zum Beispiel
an schizophrene Erkrankungen
denke, dann haben wir
dort einen sehr
starken existenziellen
Anteil daran,
wenn man also anthropologisch
das sieht,
dass Menschen in eine Krise geraten.
Die hat natürlich etwas mit
Übergängen zu tun. Die hat was
mit Belastungen zu tun,
also auch gesellschaftlichen
Belastungen.
Aber es steckt auch so was drin,
dass ganz existenzielle Fragen
gestellt werden, nämlich:
Was kann ich eigentlich?
Wie kann ich alleine sein? Wie kann
ich mit meiner individuellen
Existenz klarkommen? Und
da bringt es mir
natürlich nichts zu sagen, es liegt,
wie es ja eine zeitlang auch
durchaus mal vermutet wurde, sozusagen
alles nur an gesellschaftlichen
Strukturen. Bei der Schizophrenie,
wissen Sie ja auch,
dass es relativ
Kultur invariante Quoten gibt sozusagen.
Es gibt andere psychische
Erkrankung wie Depressionen, da
ist es anders. Kurz gesagt:
Ich glaube, es gibt da einen Anteil,
der ist viel basaler,
als zu sagen,
es hängt mit einem gesellschaftlichen
Leistungsdruck zusammen
oder irgendwie so etwas und auf der
anderen Seite weiß ich natürlich,
dass in der Bewältigung von gerade
psychischer Erkrankung,
gerade Schizophrenie, die Welt, die
reale Weltgesellschaft eine große
Rolle spielt. Also Stichwort:
Stigmatisierung. Die
sekundäre Krankheit, wie (Finston?)
das mal genannt hat.
Also das kommt natürlich dazu
und entweder hilft es mir,
meine psychotischen Wahrnehmungen
sozusagen
zu überwinden und meinen Platz in der
Welt zu finden oder das hilft
mir nicht; es verhindert das sogar.
Oder ein anderes Beispiel, das bringe
ich immer dann, wenn...
Und das ist ja, wir sind ja noch
nicht dort, aber es ist ja ein
Vorwurf auch immer an die Theorie,
an den Capability supproach,
insbesondere dass er paternalistisch
sei. Also,
wenn jemand weiß, was
ein gutes Leben ist,
dann hat er vielleicht auch den Anspruch,
dass alle anderen das auch
so wissen sollten und die ihm
folgen sollten und dann
sage ich immer: Ja, das mag sein,
dassdas eine Gefahr ist,
aber stellen Sie sich vor, es gibt
eine obdachlose Personen,
Mann oder Frau, die
Platte macht und
Sie fragen sie: "Warum machen Sie
das?" Und die Person sagt:
"Mein Leben hat mich enttäuscht.
Viele Menschen haben mich
enttäuscht. Ich mache jetzt einfach
Platte und es ist auch gut so.
Ich fühle mich da auch richtig gut
drin, viel besser als wenn ich an
die Notunterkünfte denke
oder wenn ich an eigene
vier Wände denke. Das beengt mich."
Und da frage ich mich natürlich:
Wo kann man noch einen
Ansatzpunkt haben,
nachzufragen: "Warum sind
Sie mit dieser Situation
zufrieden?" Ich müsste eigentlich
ein Bild davon haben,
was die Unzufriedenheit eigentlich
bedeuten müsste.
Woher bekomme ich, woher kriege
ich Gründe, die mir sagen,
das kann nicht der Ausdruck
eines guten Lebens sein,
wenn jemand zu mir sagt: "Ich
möchte hier auf der Straße
weiterleben. Ich möchte nicht
in Wohnungen leben." Und das
sozusagen würde mich immer dazu bringen,
dass ich hier schauen muss:
Was hat die Person dazu gebracht,
zu diesem Denken zu kommen, dass
sie sozusagen zufrieden ist
und was hat das sozusagen mit biografischen
Erfahrungen zu tun,
was hat das mit gesellschaftlichen
Erfahrungen zu tun?
Aber letztendlich ist das eine
ganz individuelle Sache auch,
diese Entscheidung jeden
Tag zu treffen,
wieder Platte zu machen und nicht in
eine Unterstützung hineinzugehen
oder eine Unterstützung in Anspruch
zu nehmen. Und das,
kriegt man eher eingefangen,
wenn man es etwas größer
zieht, als nur zu sagen, es
gibt dort entsprechende
dominierende Strukturen.
Ja, Sie beschreiben ja konkret, dass
die praktische Aufgabe der
Sozialen Arbeit eigentlich
die Unterstützung einer
daseinsmächtigen Lebensführung sei.
Was muss ich mir darunter
vorstellen unter einer
Unterstützung einer daseinsmächtigen
Lebensführung?
Naja, ich sehe immer tatsächlich
beide Dinge. Ich sehe immer,
es gibt einen handelndes Subjekt,
das jeden Tag aufsteht
und zu Bett geht oder einschläft und
aufwacht und es muss jeden Tag
sein Leben alleine führen. Es
gibt niemanden anderen,
der es für diese Person führen kann.
Und auf der anderen Seite
eben, das hatten wir ja gerade
eben schon besprochen,
gibt es eben diese Umgebung, die es
einem ermöglicht oder eben auch
sehr erschwert, für sich eine eigene
Idee davon zu kriegen:
Was will ich eigentlich? Was
kann ich? Was will ich?
Woraufhin will ich sozusagen mich
entwickeln? Und das ist ein
Thema für die soziale Arbeit,
dahin zu schauen,
dass beides gleichermaßen
in den Blick gerät und
dass man versucht, die Verbindung
zwischen beiden zu bearbeiten,
also Menschen kompetenter macht,
ihnen auch vielleicht nochmal eine
Möglichkeit bietet, darüber nachzudenken,
was sie wollen,
sie auch darin unterstützt, herauszufinden,
was sie wollen,
aber sie nicht damit allein zu
lassen, sondern ihnen zu sagen:
"Wir haben hier die und die
Strukturen. Wir haben die und
die Möglichkeiten und lassen
Sie uns überlegen, wie wir damit
umgehen können." Und
dann sozusagen auch natürlich auch
wissend und auch kritisieren
könnend, welche Strukturen
es noch nicht gibt.
Also dass zum Beispiel dieser Wunsch
dieser Personen dann weiterhin
auf der Straße zu übernachten
damit zusammenhängt,
dass diese Notunterkünfte
halt nicht gut sind
oder dass eigener Wohnraum
nicht attraktiv ist.
Aber Sie sprechen ja
in dem Zusammenhang
davon, dass man versuchen soll,
Möglichkeitsräume zu finden,
dass man auch Kompetenzen
oder Menschen dabei unterstützen
sollte,
diese Kompetenzen zu entwickeln, diese
Möglichkeitsräume zu sehen und
zu entdecken und vielleicht
auch für sich zu nutzen.
Welche Kompetenzen können das sein?
Also ganz klassisch würden
wir ja vielleicht sagen,
es gibt personelle Kompetenzen
oder personale Kompetenzen.
Also das meine ich mit dem: ich muss
die Dinge am Ende des Tages
selber tun, es tut kein
anderer für mich.
Da hilft mir manchmal so eine
ganz einfache Formel,
die
und das heißt einfach: Ich muss
mein Leben verstehen.
Ich muss verstehen, was auf mich
zukommt. Ich muss das handhaben
können, ich muss damit umgehen
können und die Komponente,
von der er sagt, die Kompetenz
ist die wichtigste...
Ich muss sozusagen eine Sinnbedeutung
darin finden.
Ich muss einen Sinn darin sehen, dass
das gerade mir widerfährt und
dass ich damit umgehen
muss.
Also verstehen, handhaben und dem
Ganzen einen Sinn geben können.
Also das ist sozusagen die personelle
Seite und dann gibt es aber
natürlich auch da drin oder daran anschließend
soziale Kompetenzen,
von denen ich denke,
die brauche ich,
um mein Leben führen zu können,
gerade im Kontakt mit anderen.
Also ich muss kommunizieren können,
ich muss kooperieren können und
ich muss auch an Konflikten
arbeiten können. Ja,
soziale
Kompetenz und vielleicht kulturelle
Kompetenzen, also mich in einem
größeren Zusammenhang auch noch verorten,
mich selber als Person
irgendwie im kulturellen
Zusammenhang zu
verorten. Also das hängt auch sehr stark
mit dem Sinn wieder zusammen,
also welchen Sinn hat das Leben
oder hat mein Leben,
aber eben auch die Sinndeutung
anderer erst einmal zu sehen,
zu akzeptieren. Also ich glaube,
das sind so drei
Kompetenzbereiche, die ganz personal,
die mich immer wieder
zurück auf mich selbst
zurückwerfen.
Also ich muss damit... Ich muss
da Antworten darauf finden.
Ja, Sie haben sich ja mit der klinischen
Sozialarbeit beschäftigt und
haben das Thema also der Salutogenese
ja praktisch
bei Antonovsky ja dann genannt und
dieser Paradigmenwechsel in der
Medizin, also weg von der Krankheit
hin zur Gesundheit,
ist das vielleicht auch wiederzufinden
in dem Unterschied von
Lebensbewältigung in Lebensführung?
Ist das damit auch zu
verbinden?
Ja, aber ich
weiß nicht. Ich glaube, das ist zu
einfach. Ich würde mich natürlich
freuen, wenn ich eine
Theorie beschreibe,
die alles ins Positive auflöst,
weil an dieser Frage,
was hält Menschen gesund, ist
natürlich viel Richtiges
dran. Aber die Frage,
was macht Sie krank,
darf man nicht vergessen.
Und ich glaube, man hat keine Salutogenese
ohne Pathogenese,
weil dann würde man das
sich zu einfach
machen. Das Interessante ist ja,
wenn wir über den Antonovsky sprechen,
dass er quasi als Soziologe
gestartet ist und mit einer psychologischen
Komponente landet mit
ich
würde das, glaube ich, nicht
so einfach auflösen wollen,
dass es mehr um die Gesundheit
und Perspektivität und sowas
geht.
Das ist auch existenziell
anstrengend.
Sie hatten gerade das Beispiel
des Wohnungslosen
Sie hatten gerade das Beispiel
des Wohnungslosen
gegeben,
der Platte macht. Nun könnte man ja
sagen, okay, es ist seine eigene
Entscheidung und sein Ausdruck
von Daseinsmächtigkeit,
aber Sie haben ja auch
sehr plausibel dann
darauf hingewiesen, dass man dann
eigentlich gar nicht mehr weiter
fragen kann nach den Bedingungen.
Was hat Ihnen eigentlich
dahin gebracht?
Ich denke also, Sie scheinen
mir auch sehr deutlich,
dass Soziale Arbeit eine
normativ ethische
Werte-Orientierung braucht.
Die wird ja gemeinhin, wenn man
sich die Theorielandschaft so
anschaut, eben so aus den
Vorstellungen sozialer
Gerechtigkeit in der
kritischen Theorie,
zum Beispiel herrschaftsfreien
Diskurs,
Menschenrechte, Menschenwürde...
Also es gibt ja schon,
wenn man so will,
einiges.
Codes of Ethics haben sich wiederum
der Berufsverband der
Sozialarbeiter und Sozialarbeiterinnen
auf die Fahnen
geschrieben. Aber Sie gehen ja
nochmal in die Richtung der
Gerechtigkeitstheorie. Können Sie uns
da vielleicht was dazu sagen?
Was hat Sie dahin
gebracht?
Tja, was mich dahin gebracht hat?
Das ist eine gute Frage.
Ich bin einfach
auf etwas gestoßen,
von dem ich denke,
dass das eine Art von Gerechtigkeitstheorie
ist und
das
beschreibt diese normative
Grundlage.
Dieses: Was zeichnet wirklich ein
gutes menschliches Leben aus?
Das findet man. Da findet
man Antworten darin;
einerseits sozusagen dezidierte
Antworten wie bei Nussbaum,
aber vielleicht auch erst mal nur
die Fragestellung insgesamt
und dann hat man gleichzeitig
sozusagen diesen
Dualismus von: es gibt die Person
und es gibt die Umwelt
und beides kommt auf
eine Art und Weise
zusammen. Und das ist
eine spezielle
Gerechtigkeitstheorie, die mich einfach
sehr angesprochen hat und die
die anderen nicht aufhebt
oder denen auch nicht
widerspricht. Das war einfach
das Interessante,
gerade diese zwei Ebenen,
die
fand ich. Von daher gilt also sozusagen
das andere nach wie vor,
aber diese Frage,
was sind Menschen eben zu tun
und zu sein in der Lage und
fähig, das ist so ein
zentraler Ansatz in diesem
Capability Supproach.
Diese Frage fand ich sehr faszinierend
und die Antworten
sind dann eben Möglichkeitsräume;
tatsächliche Möglichkeiten zu haben.
Das ist die Antwort auf diese
Frage. Das fand ich
sehr überzeugend.
Überzeugender als andere Ansätze.
Ja, der hat ja auch eine hohe Bedeutung
für Ihre Theorieentwicklung
und Sie haben gerade schon gesagt:
Martha Nussbaum. (Unv.)
wäre ja noch mal davon abzugrenzen,
der eigentlich eher,
wenn man so will,
eine sozialstrukturelle Perspektive
einnimmt, während Martha
Nussbaum ja die Liste
vom guten Leben,
wenn man so will, entwickelt hat
und auch sicherlich noch
weiterentwickelt.
Kann man das vielleicht in zwei,
drei Sätzen abgrenzen,
was Martha
Nussbaum im Prinzip
mit dieser Liste
intendiert?
Ja, diese Liste ist natürlich
ein ganz schwieriger Punkt,
weil diese Liste ist nach
ihrer Lesart eine
abgeschlossene Liste, eine Liste,
die eine weiße US-amerikanische
Philosophin der Upper Class
sich überlegt und sagt:
"Das gilt für die ganze Welt."
Also das ist natürlich ein
Problem. Sie gibt da ja auch keine
überzeugende Definition dessen oder
Herleitung, wie komme ich da
drauf, außer dass sie sagt, ich habe
die Kulturgeschichte studiert und
ich sehe immer wiederkehrende Muster:
das, was Menschen für sich gut
beschreiben. Ob das nun diese
zehn Capability sind oder
ob sie es nicht sind, das sei mal
dahingestellt. Aber was ich viel
spannender finde an der
Frage oder an ihrer
Theorie, ist eigentlich,
dass sie sagt,
es gibt interne
Fähigkeiten, Internal Capabilities
nennt sie die,
Und erst
wenn beides auf eine gute Art
und Weise zusammenkommt,
also wenn ich Fähigkeiten herausbilden
kann durch Bildung,
durch ein gesundes Aufwachsen,
also wenn ich kompetent
werde und es gibt eine Umwelt, die
mich kompetent sein lässt,
dann entsteht gutes Leben
und dann kann man
diese zehn Capabilities ansetzen, die
sie dann Combined Capabilities
nennt, man muss es aber
auch nicht tun.
Man kann dieses
Zusammenspiel von internen Fähigkeiten
und externen Fähigkeiten aber
auch so stehen lassen.
Ich habe ja dann,
nicht nur ich, sondern auch andere,
haben ja eigentlich formuliert,
dass es schwierig ist, jetzt Capabilities
in Fähigkeiten einfach so
umzudeuten im Deutschen,
weil unter Fähigkeiten verstehen
wir eigentlich immer nur unsere
Kompetenzen, also unsere Möglichkeiten
und sie meint aber mit
Fähigkeiten, also Capabilities
auch die externen.
Und deswegen habe ich gedacht,
ist vielleicht persönlicher Möglichkeitsraum
und gesellschaftlicher
Möglichkeitsraum die
bessere Übersetzung
von Capabilities und in diesem
Zusammenspiel ist tatsächlich
etwas drin,
was man ausloten kann, was für
die soziale Arbeit sehr,
sehr gut
ist und nutzbar ist.
Wir finden ja eine Theorielandschaft
der Sozialen Arbeit,
Ansätze die eher verhaltensorientiert
sind,
dann haben wir Ansätze, die gesellschaftskritisch
sind und Sie
versuchen ja beides zu vereinen
oder beides zu kombinieren und
diese
Integrationskraft zu.
Naja, ich glaube, aus den eben beschriebenen
Gründen. Also es gibt ja
bei beiden, bei (unv.) und
auch bei Martha Nussbaum,
verschiedene Beispiele, die das
belegen. Also es reicht nicht
aus oder andersrum:
Gerechtigkeit würde bedeuten, dass
ich Menschen jede Chance gebe,
ihre Fähigkeiten zu entwickeln,
aber wenn sie dann in einer
Gesellschaft sozusagen
fähig sind zu etwas,
was ihnen die Gesellschaft nicht erlaubt,
dann habe ich hier keine
gerechte Gesellschaft. Auf der anderen
Seite reicht es nicht aus,
wenn ich sozusagen Möglichkeiten bereitstelle,
aber die Menschen nicht
in der Lage sind, nicht fähig
sind, sie zu nutzen und aus
diesem Wechselspiel, aus diesem
Hin und Her zwischen:
es gibt Möglichkeiten, etwas
zu tun und es gibt
Fähigkeiten, etwas zu tun, entsteht
für mich eine Aufgabe der
Sozialen Arbeit und auch so ein
Gerechtigkeitsverständnis.
Beides geht und deswegen, glaube ich,
ist das für die soziale Arbeit
so hilfreich so zu denken.
Ich muss über ausreichend
Ressourcen verfügen, über ausreichend
Mittel verfügen
und ich muss diese anwenden
können und dann werde ich
dann mittels kluger Wahl herausfinden,
was für mich richtig ist
und entscheiden, wie ich mein
Leben führen möchte,
was ich tun möchte mit diesen Ressourcen
und natürlich kann ich als
Sozialarbeiter dann anfangen zu sagen,
hier hat eine Person gar keine
Auswahlmenge, weil sie hat gar
nicht genug Ressourcen,
Möglichkeiten und oder sie
hat nicht die Fähigkeiten
dazu, vielleicht sogar vorhandene
Möglichkeiten,
Ressourcen zu nutzen.
Das ist für mich sehr kurz gefasst,
eigentlich der Clou an diesem Capilibility
Supproach und sehr,
sehr nachvollziehbar auf
die Sozialarbeit
übertragbar.
Ja, Sie bringen ja noch den
Begriff Empowerment in
den Diskurs ein,
beziehungsweise reaktivieren
ihn, aus meiner Sicht,
schon eher und
sprechen von einer sogenannten
sorgenden
Verantwortung, also und das mittels
Empowerment. Empowerment ist
so die eine Seite,
sich sorgen
reflektiere ich schon wieder
auf der anderen Seite.
Es läuft jetzt so ein bisschen auf die
Frage hinaus, ob das nicht auch
die Gefahr des Paternalismus
beinhaltet,
aber vielleicht können Sie mal kurz
sagen wie Sie oder worin Sie das Potenzial
von Empowerment sehen?
Ist es für sie also keine Methode oder
ist es eine Methode oder ist es
eher eine Grundhaltung, die
da nochmal in den Blick
kommt?
Also ich würde, glaube ich, sagen:
beides, aber für mich ist es
weniger eine Methode. Es gibt
etwas methodisch da dran.
Also man kann sich überlegen,
wie schaffe ich es,
dass Menschen wieder Mut fassen,
eigene Entscheidungen zu treffen,
dass sie noch mal schauen,
sind die Möglichkeiten
wirklich so begrenzt,
wie sie mir sich darstellen oder ist
meine Biografie tatsächlich schon
am Ende, wenn ich meine sozusagen
negativen Erfahrungen,
meine Hilflosigkeit habe.
Man kann es methodisch
unterlegen, aber im Grunde genommen
ist es erst einmal eine
Haltung, die ich dazu habe, dass
Menschen, auch wenn sie viele,
viele deprimierende Erfahrungen
gesammelt haben,
trotzdem in der Lage sind,
ihr Leben zu führen,
wieder zu führen. Von daher:
Ich sehe aber tatsächlich
Empowerment nicht nur
aufgelöst in Richtung Empowerment heißt
Selbstständigkeit oder heißt
Selbstbestimmung, sondern der
andere Teil ist auch:
Wir leben unser Leben immer
in Möglichkeiten und
Grenzen. Das heißt,
Empowerment heißt auch
anzuerkennen,
dass Menschen aktuell nicht
in der Lage sind,
diese Kraft zu entwickeln oder
diese Fähigkeiten haben,
sich entsprechend einzulassen.
Und dann gibt es
sozusagen den Teil von Personen,
von dem man sagen kann:
Das ist jetzt eine freie Entscheidung,
das Potenzial nicht zu
nutzen und die Möglichkeiten nicht
zu nutzen und dann gibt es
diejenigen, die sich sozusagen
und das ist
tatsächlich mein Hintergrund, glaube
ich, um die man sich sorgen muss,
weil sie nicht für sich
selber sorgen können,
also insbesondere jetzt psychisch Kranke.
Von daher ist Empowerment
für mich ein Kontinuum von Fremdbestimmung
bis Selbstbestimmung geht
und ausgeschlossen ist
natürlich ein ganz
plumper Paternalismus,
also eine ganz plumpe
Bevormundung, aber eingeschlossen,
finde ich, dass man durchaus auch
für Menschen entscheiden muss, wenn
sie nicht in der Lage sind,
für sich eine gute Wahl zu treffen.
beziffern will, aber die zumindest
theoretisch auch denkbar ist,
schauen, die tatsächlich Möglichkeitsräume
nicht nutzen wollen,
obwohl sie es können, hätten
wir in der Sozialen Arbeit
doch eigentlich keinen Auftrag
mehr oder wäre
es
dann wiederum ein Auftrag für die
Soziale Arbeit da noch einmal
genauer hinzuschauen? Möglicherweise
kommen wir da
auf vermintes
Gelände, sage ich mal.
Ja, die Frage stellt sich ja,
warum sie es nicht wollen.
Also Selbstexklusion
ist ja durchaus in modernen
Gesellschaften etwas,
worauf wir stoßen.
Es gibt Politikverdrossenheit,
vierzig - fünfzig Prozent
der Menschen gehen nicht
mehr wählen.
Im Bereich der Spiritualität oder
Religiösität gibt es auch
ein Ausdruck von Daseinsmächtigkeit.
Aber ich glaube, Sie haben das schon
mal gerade so angedeutet.
Also diejenigen, die es
für sich selber nicht
entscheiden können, aus Altersgründen
oder Gründen der
Geschäftsfähigkeit vielleicht,
für die müssten wir (unv.)
stellvertretend schon handeln,
diese Möglichkeitsräume zu nutzen,
aber in der praktischen
Sozialen Arbeit,
da nochmal darauf bezogen, müsste es
eigentlich einen Sozialarbeiter
nicht beunruhigen,
wenn jemand sagt:
"Ich schlafe hier unter der
Brücke und lasse mich in
Ruhe." Oder sehen Sie da
auch eher mit Blick auf
Martha Nussbaums Liste
einen
Bezugsrahmen, zu sagen: "Nee, da muss
ich jetzt aber am Ball bleiben,
damit der von der Platte
runterkommt."
Ja, tatsächlich, glaube ich, sehe
ich... Also ich würde an dieser
Stelle immer sagen,
ich hätte mit meinem Ansatz mehr
Grund, immer wieder an dieser
Stelle zu gehen und zu
sagen: "Ist es immer noch
so? Ist es eine freie
Entscheidung?" Was sozusagen in
der Abwägung von Vor-und
Nachteilen des auf der Straße
Schlafens unter
den Aspekten von:
man ist nicht vollständig sicher,
man ist Wind und Wetter
ausgesetzt... Ist es wirklich noch
eine freie Entscheidung?
Natürlich kommen dann immer diese
Beispiele von den Menschen,
wo man sagt: "Aber die haben
doch auch mit dieser
Liste des guten Lebens gar nichts
zu tun." Also die wollen das gar
sozusagen.
Und dann, glaube ich, ist es eine
Überschätzung der Anzahl dieser
Personen. Ich glaube, das ist eine
sehr kleine Zahl von Menschen,
die aus diesen Möglichkeitsraum geschöpft
haben und sich bewusst
abwenden. Der klassische Eremit,
der sich zurückzieht und mit allem
nichts zu tun haben will und
eigentlich auch gar keine Sorge hat
um die Länge seines Lebens,
also hauptsache, er wird alleingelassen
und er kann sich seiner
Spiritualität widmen. Aber
ist das die Realität?
Was sind das für Personengruppen, die
man sich da vorstellen könnte?
Ich glaube, der größere Teil von
Menschen ist ein Stück weit
hilflos oder fühlt sich hilflos oder
fühlt sich abgehängt und da will
ich jetzt auch nicht nerven. Ich würde
sagen, ich bin jetzt auch nicht
aber würde, glaube
ich, ein paar Mal mehr hinkommen und
fragen: "Ist das noch richtig so?
Soll das noch so sein?", als
andere, die sagen würden,
das ist Ausdruck einer Selbstbestimmung
oder es ist mindestens auch
Respekt vor der Autonomie
dieser Person,
jetzt nicht hier ständig als
Sozialarbeiter zu kommen
und zu sagen: "Hören Sie, wir müssen
da nochmal drüber reden." Da
hätte ich, glaube ich, ein bisschen
mehr Beharrlichkeit,
die ich begründen könnte,
als andere, die früher sagen würden:
"Es scheint hier keinen
Ansatzpunkt zu geben."
Wenn wir über Herausforderungen
sprechen,
dann meine ich zumindest, sollte
man auch nur mal das
Thema der Mandatierung der Sozialen
Arbeit in den Blick nehmen.
Das ist zumindest ein Thema, was
uns schon seit vielen Jahren
begleitet. Sie schreiben
ja deutlich,
dass im Grunde genommen
ein sogenanntes
Einfachmandat in der Sozialen
Arbeit nicht möglich
ist.
was Staub-Bernasconi fordert, das reicht
aus Ihrer Sicht nicht aus und
Sie sprechen von einem vierten Mandat.
Das hat mich überrascht.
Sie benennen das als ökonomisches
Mandat.
Wenn
Sie uns da kurz nochmal sagen, weshalb
die Soziale Arbeit dieses
ökonomische Mandat benötigt oder war
es gar nicht so zu verstehen,
dass wir es benötigen,
sondern dass es uns mehr
oder weniger zufällt?
Ja, also Mandate stelle
ich mir gar nicht so
sehr in dem Wortsinne vor, im Sinne
von: ich kriege was in die Hand,
ich kriege einen Auftrag, sondern
mehr so an Zugkräften.
Also ich tue Soziale
Arbeit, ich bin in der Praxis tätig
und dann ziehen verschiedene
Machtgruppen an mir.
Und da gibt es die
eine relativ abstrakte Gruppe
der Gesellschaft,
die normative Anforderungen
an die soziale Arbeit
hat,
also: "Regel dies. Diszipliniere
diese Person über eine
Es braucht
eine eigene ethische Basis, seien
es die Menschenrechte oder etwas
anders
wenn ich aus meiner eigenen Erfahrung
auch spreche, dass es eben etwas
es gibt ökonomische
Interessen, es gibt aber auch Leitbilder.
Deswegen ist es nicht nur
Ökonomie, es ist auch
eine Leitbildfrage.
Die zieht auch noch an mir. Und
das, also nur aus analytischen
Gründen, fand ich das wichtig,
einmal zu benennen.
Das hat vielleicht seine Verbindung
zur Gesellschaft,
das hat auch seine Verbindung vielleicht
zur Sozialen Arbeit,
aber es ist etwas Eigenständiges
und deswegen
ist es das vierte Mandat.
der in seiner dualen
Rahmentheorie davon ausgeht,
dass wir ein Multimandat
abgeschlossen. Interessantes Thema,
was wir sicherlich hier nicht
vertiefen können, nur
kurz anschneiden,
aber auch
glaube ich, noch nicht abschließend
im Diskurs eine
Positionierung gefunden haben.
Vielleicht zum Abschluss: Zu den
Herausforderungen gehört
ja auch oder kann gehören, sich
die Frage zu stellen,
inwieweit Ihre Handlungstheorie,
die sie vorgelegt haben,
diesen Herausforderungen vielleicht
nicht gerecht
wird oder wo sehen Sie
möglicherweise noch
Handlungsbedarf oder Perspektiven,
die noch nicht so in den Blick
gekommen sind,
vielleicht auch in Abgrenzung zu
der großen Theorielandschaft.
Gerade,
was Lebensführung angeht,
Peter Sommerfeld, Jan
die ebenfalls einen Theorieentwurf
vorgelegt haben. Ja, wie
schätzen Sie das ein?
Die, ich will jetzt nicht fragen,
die Halbwertszeit Ihrer Theorie,
aber doch bezogen auf die
Herausforderungen,
auch was das Zusammenbringen
von Sozialarbeit und
Sozialpädagogik, hatten
Sie ja angedeutet,
angeht, vielleicht auch
bezogen auf andere
Herausforderungen, gesellschaftliche
Herausforderungen,
mit denen es Soziale
Arbeit zu tun hat.
Wo sehen Sie das Potenzial Ihres
Ansatzes?
etwas. Die anderen Theorien
behalten ihre Legitimität.
Sie müssen auch mit ihrer Sprache,
mit ihrer Begrifflichkeit
sozusagen überzeugen.
Das habe ich ja auch gleich
am Anfang geschrieben.
Und das ist natürlich auch das...
Das ist ein Wettbewerb,
um die Idee. Vielleicht
auch noch doch bessere
Idee sozusagen, wie die Wirklichkeit
zu verstehen ist.
Von daher würde ich sagen:
Bei dieser Idee,
Lebensführung ist etwas ganz Zentrales,
würde ich bleiben und ich
würde sagen, mir geht es um
grundsätzlichere Fragen,
als nur die problembehaftete Seite,
sondern auch um sowas wie (Strebensethik?).
Da könnte man auch
jetzt noch mal drüber sprechen, ja
aber das machen wir auch nicht
wahrscheinlich heute. Also, was steckt
in dem Menschen sozusagen für
man wird ja sehen müssen. Also eine
zweite Auflage ist nicht in Sicht,
aber das kann ja kommen. Wenn
es eine zweite gäbe,
würde ich ein paar Dinge verändern.
Ich merke natürlich, dass es aufgenommen
wird, bei Ihnen ist es ja
auch aufgenommen worden, also es
wird wahrgenommen und wird
diskutiert und ich denke
daran weiter rum,
an dieser Theorie.
jeweils bei so kleineren Artikel,
die man mal so schreibt,
würde ich auch was anpassen, aber
bei der Grundlinie würde ich
bleiben.
Wenn man Soziale Arbeit studiert, stellt sich die Frage, warum sollte ich das machen und die
Frage würden wir gerne an Sie
weiterreichen. Warum ist das eine gute
Idee eigentlich soziale Arbeit
zu studieren?
Ja, ich kann das eigentlich auch
nur so biografisch nochmal
wiederholen, was ich gesagt habe. Ich
fand es einfach und ich hoffe,
dass das studieren auch so geht
oder würde Ihnen sagen:
Lassen Sie sich drauf ein. Es ist
einfach in höchstem Maße ein
sinnvoller Beruf. Es gibt
viele sinnlosere Berufe,
die man anstreben kann
als Soziale Arbeit.
Es ist wahnsinnig spannend,
weil es so vielfältig ist,
weil es dynamisch ist, es gibt
da nicht einen Korpus,
den lernt man und dann bleibt das
so. Deswegen ist es auch so
Also theoretisch zu verstehen,
wie die Dinge eigentlich zusammenhängen
und aber auch praktisch sie
umzusetzen. Also aus einer Theorie
eine Praxis zu machen,
die auch wirklich konkrete Probleme
löst. Von daher würde ich einfach
sagen, es ist einfach ein wahnsinnig
toller Beruf und ein
wahnsinnig tolles Feld. Ich kann
mir wenig andere vorstellen,
die besser sind als dieses.
Aber wenn Sie sich Studierende vorstellen,
die im ersten Semester sind
und Sie sich vielleicht noch an
Ihr eigenes Studium erinnern:
Was für ein Tipp würden Sie Studierenden
im ersten Semester
geben?
Im Grunde genommen sich darauf einzulassen
auf diese Vielfalt und
sich ein Stück weit auch verwirren
lassen erst mal und das erst mal
so stehen lassen,
sich verzaubern lassen vielleicht
auch so ein bisschen von dieser
Welt, von dieser Vielfältigkeit
und da Ihren Weg suchen.
Alice
im Wunderland.
Manchmal ist es ja so, wenn wir nochmal
einen Schritt zurücktreten,
ist das schon ein Wunderland, ist
das schon eine Wundertüte auch,
die Soziale Arbeit und wenn wir dem
Kaninchen erst einmal in seinen
Bau gefolgt sind, dann trifft man
ja auf komische Gestalten,
also unter denjenigen, die so eine
Theorie formulieren oder
die soziale Arbeit machen;
auch unter denjenigen,
die AdressatInnen sind. Das ist
schon eine sehr bunte Welt,
auf die man trifft. Und da einfach
ein bisschen den Zauber wirken
lassen und
Möglichst den
Zauber lange wirken lassen
und aufnehmen und
reflektieren und
darüber
nachdenken: Was hat das Ganze für eine
Bedeutung? Was hat es für mich
eine Bedeutung, für die Welt?
Und da so lange wie möglich
mit offenen Augen, mit staunenden
Augen drinbleiben.
Wenn Sie sich dann vorstellen, Studierende
haben das dann gemacht und
sind kurz vor Abschluss ihres Studiums:
Was würden Sie denen,
die kurz vor dem Eintritt in
das Berufsleben stehen,
mit auf den Weg geben?
Nochmal kurz innehalten und vielleicht
nochmal ein Semester
dranhängen, weil man noch irgendwas
sich nicht ausführlich genug
angeschaut hat, also durchaus
nochmal schauen:
Was brauchen Sie noch für die
anstehenden Aufgaben?
Und wenn dann das Studium abgeschlossen
ist und ich gehe davon aus,
die Absolventen gehen
dann in die Praxis,
dann tatsächlich diesen Kontakt
zu halten zur Theorie,
zu den
Hochschulen,
zu diesem Reflektionsprozess und nicht
sich zu schnell quasi aufgeben,
in dem: "Ich muss jetzt hier praktisch
arbeiten, ich muss die Probleme
lösen. Ich kann mir das
nicht mehr leisten
zu denken oder zu reflektieren."
Das wäre ganz schön,
finde ich, weil das ist auch unsere
Aufgabe als Hochschule uns da
attraktiv zu machen, so ein
Rückkehrort zu sein,
an dem man mal wieder in
Ruhe nachdenken kann,
was Neues lernen kann.
Lebenslange Partnerhochschule
eigentlich. Ja, genau.
So ein attraktiver Ort zu sein,
an den man gerne wieder
zurückkommt.
Gibt es ein für Sie wichtiges Buch oder
ein Buch, wo Sie sagen würden:
"Das sollte eigentlich
jeder Sozialarbeiter,
jede Sozialarbeiterin gelesen
haben." Gibt es so ein Buch?
Nee,
im Ernst. Das kann man, glaube
ich, gar nicht so sagen.
Also das wichtigste Buch...
Ich habe mal ein Interview
mit Umberto Eco gelesen
und der hat gesagt:
"Ich habevierzigtausend Bücher in
meiner Bibliothek. Ich hoffe,
ich kann sie noch alle bis zum Lebensende
lesen." Von daher ist es
unüberschaubar, was
man lesen sollte.
Ich würde tatsächlich sagen, dass
man bei den ganz grundsätzlichen
Dingen... Also die man sollte
man gelesen haben.
Die Menschenrechtserklärung
sollte man gelesen haben.
Das Grundgesetz sollte man gelesen
haben und dann würde ich auch,
aber das ist nicht unbedingt das,
was die meisten auch für sich in
Anspruch nehmen wollen: Ich
würde die Klassiker lesen,
also griechische Philosophen lesen.
Auch vielleicht neuere
Philosophien zur Kenntnis
nehmen und
Martha Nussbaum mal lesen,
John Rawls,
solche Dinge. Sowas
ganz Grundlegendes. Und, was, finde
ich, auch ganz gut ist,
mal was ganz anderes lesen. Also
nicht etwas, was nur aus dem
Kanon kommt und Comics
zum Beispiel.
Also Charlie
Brown ist voll von Geschichten
über die
soziale Arbeit und was man alles...
Also wenn ich nur an Lucy
denke mit ihrer Psychotherapie
am Straßenstand und so.
Charlie Brown als Figur ist eigentlich
eine wunderbare Figur für die
soziale Arbeit, weil der stolpert ja
ständig durchs Leben und versucht
damit irgendwie zurechtzukommen
und scheitert im Grunde
jeden Tag, aber versucht
es immer wieder.
Da gibt es so eine schöne Geschichte,
an die ich mich erinnere,
dass Charlie Brown und Snoopy
auf einem Steg sitzen
mit Blick in den See. Man sieht
sie beide von hinten und
Charlie Brown sagt zu
Snoopy: "Weißt du, Snoopy,
eines Tages werden wir
alle sterben."
Und Snoopy sagt daraufhin: "Ja, das
werden wir, aber an allen anderen
Tagen leben wir noch." Und das
finde ich eine schöne Idee.
Also ich will damit sagen: In Comics,
auch in Romanen kann man sehr
viel erfahren. Das würde ich empfehlen.
Also lesen, lesen, lesen...
Also: Lesen, lesen, lesen.
Martin Klein: Ja, vielen Dank,
Herr Röh, dass Sie sich die Zeit genommen haben für das Interview.
Es war uns eine große Freude und
ja, wir wünschen Ihnen erstmal alles Gute
und bis demnächst mal.