Heiko Kleve
Theorien der Sozialen Arbeit
15.10.2021 77 min Staffel 1 Episode 5
Zusammenfassung & Show Notes
Heiko Kleve (*1969 ) studierte nach einer Ausbildung zum Facharbeiter für Datenverarbeitung in Berlin/Ost zu Beginn der 1990er Jahre über den zweiten Bildungsweg und schloss 1996 sein Studium der Sozialarbeit und Sozialpädagogik an der Alice-Salomon-Fachhochschule Berlin ab. Danach arbeitete er sechs Jahre als Sozialarbeiter und studierte begleitend Sozialwissenschaften mit den Schwerpunkten Soziologie, Politologie und Philosophie an der Humboldt-Universität zu Berlin. Kleve promovierte 1998 im Fach Soziologie an der Freien Universität Berlin.
Transkript
Welche drei Worte beschreiben
Sie am besten?
Oder wie würden Sie sich mit
drei Worten beschreiben?
Schon diese Frage hat
mich zum lange
nachdenken gebracht, denn da
habe ich mich gefragt:
"Aus wessen Perspektive soll ich
mich denn jetzt betrachten?"
Die Persönlichkeit eines Menschen
ist ja doch ganz unterschiedlich
in unterschiedlichen Beziehungen,
unterschiedlichen sozialen
Zusammenhängen und
wenn Sie jetzt meine Frau fragen würden,
würde die bestimmte Worte
vielleicht sagen, wenn sie meine
Kinder fragen würden,
würden die vielleicht
andere Worte sagen;
meine Kollegen sagen vielleicht
noch mal was ganz
anderes. Und dann habe ich
mich gefragt: "Naja gut,
was kann ich jetzt vielleicht aus all
dem zusammengenommen über mich
sagen?" Aber das ist dann auch
immer ein bisschen so eine
Idealvorstellung, so eine
Wunschvorstellung,
vielleicht so ein bisschen so
etwas, was ich gerne wäre.
Ja? Und da hab ich dann
gedacht: "Ja gut,
das werden so drei Sachen." Einmal
versuche ich doch auch sehr empathisch
mich in der Welt
zu bewegen,
die Welt nicht nur
aus meiner eigenen Perspektive wahrzunehmen,
sondern auch mich immer
zu fragen: "Wie ist das jetzt für
die anderen? Wie mag das für die
anderen sein?" Also Empathiefähigkeit
schreibe ich mir zu.
Dann
eine gewisse
Bodenständigkeit, ja? Trotz aller
Beschäftigung mit der Theorie
die Bodenhaftung nicht zu
verlieren und doch immer auch
dafür zu sorgen, dass das theoretische
Abstrahieren
eine gewisse Relevanz hat für die
Menschen, für das Leben der
Menschen, für mein eigenes Leben. Also
das werden wir vielleicht noch
sehen: die Theorieentwicklung,
wie ich sie versucht
habe, ist ganz stark mit meiner Biografie
verwoben und mit meinem
eigenen Leben.
Und drittens: Neugier.
Also ich versuche der
Welt und all dem,
was mir begegnet, mit Neugier
und Offenheit
gegenüberzutreten,
also Herausforderung oder Optionen
neugierig anzuschauen
und zu überlegen,
wie ich mich dazu positioniere;
ob ich bestimmte Einladungen, die
sich vielleicht ergeben durch
bestimmte Offerten in der Welt,
annehme. Ich neige eher zum
Annehmen als zum Grenzen
ziehen. So, das sind vielleicht
die drei Sachen:
Empathie, Bodenständigkeit,
Neugier.
Okay, vielen Dank. Gibt es so etwas
wie eine Lebensphilosophie und
wenn ja, wie sieht die aus?
Eine "Lebensphilosophie" ist natürlich
auch wieder so ein großes
Wort. Da gibt es eine gewisse
Schwierigkeit, sowas dann auf
den Punkt zu bringen.
Aber für mich hat ganz viel
in meinem Leben mit meiner
biografischen Erfahrung zu tun,
in der DDR aufgewachsen zu sein.
Ich bin also Kind der DDR, habe
zwanzig Jahre in der DDR
gelebt, 1969 bis 1989
und dann habe ich
die Wende mitbekommen, also
den Wechsel in eine neue
Gesellschaftsordnung,
neue Zeit und die
Lebensphilosophie hängt in
gewisser Weise damit zusammen.
Offen zu sein für
Brüche, die passieren
können und die
Spontanität
und
Unvorhersehbarkeit der
Welt anzunehmen und
das Beste daraus zu machen.
Wenn überhaupt,
dann ist das so eine
Lebensphilosophie.
Also akzeptieren, dass bestimmte
Dinge einfach nicht planbar
sind, mit permanenter Unsicherheit
einhergehen, aber dennoch das zu
nehmen und dann das Beste daraus zu
machen. Das wäre vielleicht
so eine Lebensphilosophie.
Wenn überhaupt,
dann wäre das eine.
Vielleicht gibt es ja so etwas
wie einen besten Ratschlag,
den Sie mal bekommen haben?
Keine Ratschläge anzunehmen.
Weil es sind auch Schläge.
Also das erzähle ich den Studierenden
auch immer:
"Seien Sie vorsichtig
mit Ratschlägen,
die sie anderen geben oder
die Sie bekommen,
weil Ratschläge sind immer
extreme Reduktion von
Komplexität und das mag vielleicht
mal gepasst haben,
aber die Situation ist wahrscheinlich
jetzt eine ganz andere.
Und ob es jetzt passt,
kann keiner sagen. Also
auch der beste
Ratschlag ist ein Schlag,
der wehtun kann und
vielleicht überhaupt nicht passt."
Gibt es in der Sozialen Arbeit
ein Vorbild für Sie oder
Vorbilder?
Da gibt es Vorbilder für mich, das
sind aber Menschen die ich
erlebt habe, mit denen
ich in Beziehung
stand oder in Beziehung stehe,
die sich als Sozialarbeiter, Sozialarbeiterinnen,
meine Frau ist auch
dabei,
definieren und auch die
Wissenschaft, die Professionsentwicklung
der Sozialarbeit mit
vorangetrieben haben. Ein Vorbild
ist für mich Britta Heyl.
Das ist eine Professorin
an der Alice Salomon
Hochschule gewesen,
die ich dort kennengelernt habe,
bei der ich auch meine
Diplomarbeit geschrieben habe,
die mein Interesse für
Konstruktivismus mitgeprägt
hat und die auch als
Sozialarbeiterin ganz lange
tätig war in Berlin.
Und das ist für mich ein Vorbild.
Also mit einer großen
Authentizität,
Echtheit habe ich sie erlebt und
das Gefühl gehabt, so ist sie auch
mit den NutzerInnen von sozialer
Arbeit umgegangen und sie hat so
einen Satz immer geprägt: "Die Menschen
wissen am besten selbst,
was gut für sie ist." Also der
Mensch, mit dem du arbeitest,
weiß am besten, was gut für ihn
ist. "Du musst ihn dabei
unterstützen, dass er das für sich
herausfinden kann." Und sie
hat mich gut begleitet. Dann
eine zweite Person,
die leider, leider schon
verstorben ist:
der Heinz Kersting. Auch einer,
der sich als Sozialarbeiter
bezeichnet hat,
gleichzeitig Professor war
in Mönchengladbach
an der Hochschule Niederrhein
und der hat mich
sehr unterstützt mich auch
sozusagen publizistisch mit
Theorie zu befassen
und den habe ich als eine ganz
besondere,
besonders anregende Person
kennengelernt.
Eine Person mit großer
Leidenschaft für
Sozialarbeit, für Theorie,
für Menschen. Und drittens
mein Doktorvater
Reinhard Wolf, der also
sich durch die
Welt bewegt hat als glühender 68er,
der er war.
Ich habe ihn erlebt als Professor an
der Alice Salomon Hochschule und
als Doktorvater,
wie gesagt, mit dem ich mich
intensiv auseinandergesetzt
habe. Also ich habe da eine
anfangs eine ganz
anstrenge Beziehung mit ihm erlebt,
weil er auf ganz anderen
Wellenlängen,
hatte ich das Gefühl, war
als ich und ganz anders,
sehr stark psychoanalytisch
die Welt betrachtet hat.
Ich hatte eine Reibefläche mit ihm,
eine Auseinandersetzungsperson,
durch
die ich ganz gut vorangekommen so
in meiner eigenen Entwicklung.
Also diese drei Personen.
Und das hat sich jetzt vielleicht
ein bisschen
akademisch angehört, was ich gesagt
habe, aber es waren drei Personen,
die sich ganz stark mit der sozialen
Arbeit identifiziert haben oder
immer noch identifizieren. Also
Reinhard Wolf und Britta Heyl,
die sind auch immer
noch ganz aktiv.
Obwohl sie teilweise aus anderen
Feldern gekommen sind, haben Sie eine
ganz starke Leidenschaft für die
soziale Arbeit entwickelt.
Und das sind für mich
so drei Vorbilder.
Also Heyl, Kersting,
Reinhard, Wolf.
Warum interessieren sich überhaupt
für Soziale Arbeit?
Ja, warum interessiere ich mich
für die soziale Arbeit?
Das ist auch biografisch
natürlich nur
zu beantworten.
Ich sagte schon: Ich bin in
der DDR aufgewachsen und
hatte ursprünglich mal die Idee
Wirtschaftsinformatik zu studieren
und hatte einen
Erstberuf in der DDR, Facharbeiter
für Datenverarbeitung und
konnte in der DDR kein Abitur machen.
Ich wollte dann Berufsausbildung
und Abitur machen in der DDR. Das ging
dann auch nicht aus bestimmten
Gründen und ich bin dann in diese
ganz normale Ausbildung
gegangen und dann kam die Wende.
Und während der Wendezeit war
ich sehr politisch interessiert,
habe mich engagiert
in verschiedenen politischen
Vereinigungen der
DDR-Zeit,
also so Oppositionsbewegungen und
hatte das Gefühl,
Gesellschaftsveränderung wäre angesagt.
Ich hatte eine ganz starke
linke Perspektive, so:
"Wir können jetzt den richtigen
Sozialismus mal versuchen und
jetzt ist es doch möglich", so
Prager Frühling im Blick,
1968. Und dann
kam die Wende und
ich wollte nicht mehr Wirtschaftsinformatik
studieren.
Zwischenzeitlich musste ich auch
noch zur Nationalen Volksarmee.
Da war ich noch ein halbes Jahr meinen
Grundwehrdienst zumindest ein
halbes Jahr ableisten und dann
hatte ich die Frage: Was
mache ich denn jetzt?
Ich hatte diese Berufstätigkeit
im Bereich der
Datenverarbeitung. Das ist
dann zu Ende gegangen,
da musste ich dann raus aus dem
Betrieb. Was mache ich jetzt?
Ich habe mich für Philosophie, Soziologie
und Psychologie interessiert
und ich habe keine Lust gehabt,
drei Jahre nochmal Abitur nachzumachen.
Ich hatte kein Abi.
Also habe ich gesagt: "Gut, ich
mache jetzt Fachabitur,
dann habe ich das in einem Jahr
in der Tasche." Ich habe eine
Berufsausbildung gehabt und
dann mache ich das,
was am ehesten all das umfasst:
Soziale Arbeit. Und im Studium
der Sozialen Arbeit,
in den ersten Semestern,
merkte ich dann,
dass das ganz viel mit
meiner Person zu tun
hat. Ich erlebte noch Anfang
der neunziger Jahre
den ausgehenden Psycho-Boom.
Also ich habe ganz viel
Selbsterfahrungskurse gehabt,
ganz viel gruppendynamische
Geschichten und
tiefenpsychologische Auseinandersetzung
mit der eigenen Person und
merkte,
soziale Arbeit hat was zu
tun auch mit meiner
Familienbiografie, nicht
nur mit meiner
Denkbiografie oder so etwas, sondern
es hat was zu tun mit meinem
Leben und Helfen
gehört in gewisser Weise zu
mir. Ich merkte dann,
dass diese Profession doch
ganz viel mit mir zu
tun hat und dass ich in dieser Profession
ganz gut aufgehoben bin
und habe
es aber dann geschafft, glaube
ich, in gewisser Weise für
mich, dass ich es immer
gut verbinden konnte:
also diese praxisorientierte,
auch eigene Biografie orientierte Perspektive
auf die Sozialarbeit.
Also Persönlichkeitsentwicklung
gehört eigentlich
zur Sozialarbeit dazu. Wer erfolgreich
in der Sozialarbeit agieren
möchte und überleben will, sage ich
mal, muss auch immer die eigene
Persönlichkeit im Blick haben, sich
entwickeln und andererseits
das große Interesse für Theorie,
für Philosophie,
Soziologie mit zu betrachten
und bestenfalls zu kombinieren.
Und so bin ich sozusagen auf
die Theorie der Sozialarbeit
angekommen,
aus diesen unterschiedlichen
Perspektiven.
Damit haben Sie die letzte Frage
eigentlich schon beantwortet:
Warum insbesondere die
Theorie?
Ja, also, mich hat immer interessiert,
was hält die Gesellschaft
zusammen. Wieso sind die Menschen,
so wie sie sind?
Ich hatte in meiner Kindheit und
Jugend mit meinem Bruder meiner
Mutter immer ganz
intensiv diskutiert. Wir haben uns
über die DDR unterhalten und ist
das jetzt ein richtiger Sozialismus
oder nicht?
Wohin führt dieses... Wohin wird
dieses Land noch gehen?
Als die Wende kam, habe ich schon
gesagt, brach alles zusammen,
es tauchten ganz neue Fragen
auf und ich habe mich immer
interessiert: Was ist das
was da läuft in der
Welt, ja? Warum gehen die Menschen
miteinander so um?
Kann man eine Gesellschaft bauen?
Diese Idee war auch die,
die dazu führt,
dass Menschen da was
erleben, was ihnen guttut,
wo die Persönlichkeiten
sich entfalten
können und wo wir tatsächlich
vielleicht sogar so einen
marxistischen Traum,
kommunistischen Traum,
sage ich mal, dann in der
Realität erleben.
Den Kommunismus... Ich
habe das ja in
meiner Schule, Schulausbildung
noch ganz klassisch erlebt:
die marxistische Idee der
Entwicklung einer
Gesellschaft hin zum Kommunismus.
Mit solchen Fragen habe ich mich
auseinandergesetzt und
mich da
abgearbeitet und so bin irgendwann
auf die Systemtheorie
gekommen und etwas
desillusioniert auch von gewissen
Gesellschaftsutopien und so weiter.
Also Theorie, Beschreibung
von Welt,
Erklärung der Welt, Erklärungen
von Menschen,
Beschreibung von Menschen
- das hat mich,
seit ich denken kann, seitdem
ich mit meinem Onkel darüber
intensiv diskutiert habe, interessiert
und wenn ich mich in der
Sozialarbeit weiter bewege dann
musste das einfach auch
verbunden werden damit.
Ja, als nächsten Gast in
unserer Interview Reihe
begrüßten wir ganz herzlich
Heiko Kleve.
Schönen guten Tag, Herr Kleve. Bevor
wir zu unseren fachlichen Fragen
an Sie kommen, für unsere Zuschauerinnen
und Zuschauer
ein kurzer
Überblick, einige Eckdaten
über Ihre
bisherige akademische
Laufbahn. Sie haben
zunächst einmal eine Ausbildung
zum Facharbeiter für
Datenverarbeitung in der
damaligen DDR in
Berlin Ost gemacht
und sind
danach dann doch relativ schnell
in die, wenn man so will,
akademisch wissenschaftliche
Laufbahn
hineingegangen.
Beginn der neunziger Jahre ein
Studium der Sozialarbeit und
Sozialpädagogik an der Alice
Salomon Fachhochschule,
West
natürlich. Danach waren sie sechs
Jahre als Sozialarbeiter in der
ambulanten Erziehungshilfe
tätig und auch in der
Sozialpsychiatrie und haben parallel
zu dieser Zeit auch
ein Studium der Sozialwissenschaften
mit Schwerpunkten
Soziologie, Politologie
und Philosophie an der
Humboldt-Universität in
Berlin aufgenommen.
1998 dann die Promotion im Fach
Soziologie an der Freien
Universität Berlin.
Und Sie waren dann drei,
vier Jahre von 2002 bis
2005 Professor für Theorie
und Geschichte der
Sozialen Arbeit an der Alice
Salomon Hochschule in
Berlin.
Darauf folgten zwölf
Jahre einer Professur im
Fachbereich Sozial-und
Bildungswissenschaften der
Fachhochschule Potsdam.
Dort mit den Schwerpunkten soziologische
und sozialpsychologische
Grundlagen der Sozialen Arbeit.
In dieser Zeit waren Sie auch
als Entwickler und Leiter von drei
Weiterbildungen unterwegs.
Zum einen ging es um
systemisches Case-Management,
zum zweiten systemisches Coaching;
an der Fachhochschule Potsdam und
systemische
Aufstellungen sowohl an der
Fachhochschule Potsdam,
als auch an der Universität
Witten-Herdecke. Ja,
Witten-Herdecke ist ein Stichwort.
Also seit 2017, noch relativ jung,
sind Sie Inhaber des Stiftungslehrstuhls
für
Organisation und Entwicklung von
Unternehmerfamilien am
Wittener Institut für
Familienunternehmen, dort
die Fakultät für
Wirtschaftswissenschaften
der Universität Witten
Herdecke. Was ihre
Publikationsstetigkeit angeht:
Die Zeit reicht nicht,
das alles hier aufzuzählen und wäre
auch sicherlich gar nicht
so notwendig mit Blick auf das,
was wir jetzt im nächsten
Teil vorhaben.
Aber doch vorab einige Hinweise:
Sie haben viele Monographien und
Sammelwerke herausgebracht.
Unter anderem auch ein
Lexikon: "Das Lexikon
des systemischen
Arbeitens", zusammen mit Jan Volker
Wirth. Und was
Ihre theoretischen Grundlegungen
angeht,
greife ich mal drei Publikationen
heraus.
Zunächst einmal das Buch
"Konstruktivismus und
Soziale Arbeit".
Dort führen sie ein in die
Grundlagen systemisch
konstruktivistischer Theorie und
Praxis. Dann das Stichwort,
über das wir uns sicherlich gleich
auch noch einmal verstärkt
unterhalten werden:
"Postmoderne Sozialarbeit. Ein
systemtheoretisch-konstruktivistische
Beitrag zur
Sozialarbeitswissenschaft." Wenn
man so will, ein Ansatz, der sich
gegenüber der klassischen
Sozialpädagogik versucht zu
etablieren.
Und dann, ja, ich sage
mal, das Buch,
was also auch eingeschlagen
hat wie eine Bombe damals:
"Die Sozialarbeit ohne
Eigenschaften.
Fragmente einer postmodernen
Professions-und
Wissenschaftstheorie
sozialer Arbeit."
Gleichzeitig auch ihre
Dissertationsschrift.
Das war die erste.
Okay, so lernt man dazu.
Ja, zunächst einmal zur
Markierung ihrer
eigenen Theorie: Sie
haben eine eigene
Professions-und Wissenschaftstheorie
sozialer Arbeit
vorgelegt in der Sie
der sozialen Arbeit
bescheinigen, dass sie ohne
Eigenschaften sei.
Sie haben später mal korrigiert,
dass sie heute wahrscheinlich eher
von vielen Eigenschaften
sprechen würden.
Frage nun: Was hat es mit
dieser speziellen nicht
oder viel Eigenschaft der
Sozialen Arbeit denn auf sich?
Vielleicht noch einmal zum Titel:
die "Sozialarbeit ohne Eigenschaften",
das ist ja ein Titel,
der inspiriert ist vom
Roman "Der Mann ohne
Eigenschaften" von Robert
Musil und der damalige
Verlagsleiter, der Herr
Beul von Lambertus,
mit dem sprach ich über die
Publikationsmöglichkeit meiner Thesen
zur postmodernen Sozialarbeit
beim Lambertus-Verlag
und er war dann ganz Feuer und Flamme
dafür, zu sagen: "Okay.
Wir machen jetzt die Sozialarbeit
ohne Eigenschaften.
Das ist Marketing mäßig
der beste Titel.
Das wird einschlagen.
Dass passt gut.
Das ist auch provozierend.
Den nehmen wir doch." Und natürlich
ist dieser Titel
provozierend und dieser Titel
hat auch zu vielen
Missverständnissen geführt,
weil es vielleicht eine
Defizitmarkierung ist oder so
rüberkommt, ja,
also ohne Eigenschaften. Ja?
Und mit dem Titel
ist gemeint,
dass Sozialarbeit eben in
ganz unterschiedlichen Feldern
agiert und sich
permanent neu einstellen
muss auf das,
was da zu tun ist, das,
was da angesagt ist,
das was die Aufträge sind
und auch eine
Vielfalt von Arbeitsfeldern vorfindet.
Ich habe das dann ja auch ein
bisschen weniger eingängig
bezeichnet, als den doppelten Generalismus
sozialer Arbeit.
Also einmal zu sagen:
Sozialarbeit, SozialarbeiterInnen...
Das ist egal,
wo sie tätig sind - mit einem
klassischen Wort:
sie sind ganzheitlich unterwegs;
also generalistisch,
haben unterschiedliche Facetten
menschlichen Lebens in den
Blick zu nehmen, also die gesamte
Lebensführung vielleicht,
wie man heute sagen würde,
in den Blick zu
bringen. Also verschiedenste
Facetten dessen,
was Menschen so im Alltag erleben,
wo sie Schwierigkeiten haben,
mit diesen Menschen zu
thematisieren, zu bearbeiten, die
Menschen da voranzubringen.
Egal, ob jetzt mit Obdachlosen,
mit Kindern, mit Jugendlichen,
mit Familien, mit kranken Menschen
gearbeitet wird,
immer ist es dieser ganzheitliche,
generalistische Blick.
So. Das heißt:
Die Eigenschaftslosigkeit oder die
Vielfalt von Eigenschaften zeigt
sich auch im unmittelbaren
Bezug auf das
jeweilige Klientel oder auf die jeweiligen
Nutzerinnen und Nutzer.
Das ist die eine Seite.
Die andere Seite,
habe ich dann gesagt,
kann man universell,
generalistisch sehen. Sozialarbeit
ist inzwischen überall in der
Gesellschaft tätig. Überall
in der Gesellschaft sind
Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter
gefragt.
Wir haben einen Boom von
Sozialarbeitsstellen
und ich würde auch meine jetzige
Tätigkeit in Witten-Herdecke
in der Fakultät für
Wirtschaftswissenschaften ein bisschen
so bewerten. Jetzt bin ich als
Sozialarbeiter,
Sozialpädagoge an der Wirtschaftsfakultät
in
einer zumindest inhaltlichen
Nachfolge von einem Arzt,
nämlich Fritz B. Simon,
einem Psychiater,
einem Juristen und Politikwissenschaftler
Rudolf
Wimmer, Rudi Wimmer und einem Psychologen
Arist von Schlippe.
Also ich führe da in Witten das
weiter auf einer inhaltlichen
Ebene,
systemisch-konstruktivistisch
in die Welt zu schauen,
was dort von denen aufgebaut
wurde als Sozialarbeiter.
So und Sozialarbeiter werden
überall gebraucht
in der
Gesellschaft. Und
das bezeichne ich eben als
universellen Generalismus
und diese beiden Aspekte
zusammengenommen zeigen,
aus meiner Sicht, etwas,
was man vielleicht provokativ bezeichnen
kann als die "Sozialarbeit
ohne Eigenschaften".
Überall sind Sozialarbeiter
notwendig.
Und das ist eine These, die
ich ein bisschen später so
den Studierenden auch immer erzählt
habe. Wir als Sozialarbeiter haben
gewisse
Fachqualifikationen, die inzwischen
überall in der
Gesellschaft Schlüsselqualifikationen
geworden
sind, ja. Deshalb werden
wir überall
gebraucht.
Gut, vielen Dank. Die "Sozialarbeit
ohne Eigenschaften"
verrät ja unter anderem auch,
dass sie, was sie ja im
Prinzip vorher auch schon
publiziert haben,
an einem Theorieverständnis
der Postmoderne
andocken.
Weshalb ist die Theorie der Postmoderne
eigentlich für sie so zentral
und weshalb offensichtlich,
könnte man jetzt sagen,
reicht sie nicht aus? Ergänzen
Sie das noch mit der Luhmanns
Theoriebildung?
Okay, also ich bin zunächst einmal,
wenn ich das jetzt so
historisch mal rekapituliere,
über systemtheoretische
Ideen in den 90er Jahren im Studium
damit in Berührung gekommen.
Gar nicht Luhmann erst einmal,
sondern Fritjof Capra
zum Beispiel, das ist
ja so ein Physiker,
der hat so die Idee gehabt,
ein neues Weltbild, ein neues
Paradigma kommt auf und
dazu gehört auch die Systemtheorie.
Und irgendwann bin ich dann
auf den Luhmann gekommen,
auf den Konstruktivismus
in den 90er Jahren
und das hat mich deshalb
auch so fasziniert,
weil es meine biografischen Erfahrungen
mit der DDR und denen
mit der Wende für mich erklärbar
gemacht hat,
einsortierbar gemacht hat.
Also dass Wirklichkeit als
Konstruktion in vielfältiger
Weise entsteht und
ja,
wir einerseits Wirklichkeiten
konstruieren
durch unser Denken, durch
unser Kommunizieren,
aber andererseits diese Wirklichkeitskonstruktionen
auch nicht
kontrollieren können, also es
konstruiert in gewisser
Weise. Die Postmoderne
kam dann dazu für
mich, weil es eine sozialphilosophische
Einsortierung war, die
für
mich auch etwas sehr sympathisches,
sehr ethisches hat.
Bei Luhmann ist die Ethik
nicht so präsent,
sondern eher so als Warnung.
Die Ethik soll vor Moral warnen. Luhmann
hat eine Reflektionstheorie
ja entwickelt,
also Ethik als Reflektionstheorie,
eben vor Moral zu wahren und die
Postmoderne hatte für mich
etwas sehr sympathisches.
Was ich inzwischen, das können wir
vielleicht auch noch diskutieren,
auch etwas kritischer sehe,
eine sehr diversitätsorientierte,
differenzorientierte Perspektive
auf die Welt,
Identitäten gänzlich in
Frage zu stellen.
Also soziale Arbeit als eine
Identitätskonstruktion zu sehen,
die überhaupt nicht möglich ist.
Also Identitäten sind immer nur konstruiert
und müssen sich ja nicht
permanent verändern.
Und die feste Identität,
das eine,
diesen einen Gegenstand oder so,
den die ganze Sozialarbeitswissenschaft
immer gesucht hat,
der ist eine Illusion,
den finden wir nicht.
Und Deleuze, Derrida,
Lothar, Wolfgang Welsch waren
für mich dann so Autoren,
die deutlich gemacht haben, ihre
Identität ist auch nur eine
Konstruktion,
eine Illusion und soziale Arbeit
hat immer versucht, eine eigene
Identität zu finden.
Aber diese Eigenschaftslosigkeit
oder diese Pluralität von
Eigenschaften, führt
immer wieder dazu,
dass diese Identität verkürzt ist,
die sie da scheinbar gefunden
hat in der Theorie oder
Professionstheorie. Und lassen
wir es doch mit der Suche.
Lassen wir es doch sein. Akzeptieren
wir die Vielfalt von
Identitäten, die
Chamäleonhaftigkeit von Identität.
Akzeptieren wir es doch und
stellen uns neu ein,
in jeder Situation,
in jedem Kontext,
immer wieder anders unsere Identität
zu konstruieren.
Das hat die Postmoderne,
aus meiner Sicht,
offeriert und das hat für mich
etwas sympathisches gehabt,
theoriekonstruktionsbautechnisch
aber auch ethisches,
weil es in einer Gesellschaft
immer diverser wird,
auch eine ganz andere Art und Weise
des Umgangs von Menschen
ermöglicht,
die ganz unterschiedlich sind.
Vielfalt, Diversität,
Multikulturalismus,
all das steckt da ja drin.
Selbst geschlechtliche Identitäten
werden aus der postmodernen
Perspektive ja gänzlich
in Frage gestellt.
Das hat für mich was sehr
brauchbares gehabt,
um eine Frage zu beantworten, die Sozialarbeit
eben bis dahin nicht
beantworten konnte. Was ist denn
mit der eigenen Identität?
Und ich habe gesagt: Lassen wir die
Frage und verstehen wir uns
postmodern, da müssen wir nicht permanent
nach einer Identität suchen,
sondern können unsere unvollkommene
Identität oder radikaler
formuliert, Identitätslosigkeit
aushalten und uns damit
versöhnen. Das ist die
Postmoderne für
mich.
Man könnte ja auch zumindest
sich den Vorwurf einhandeln,
dass die Dekonstruktion,
die zum Beispiel Derrida ja
in seinen Büchern ja auch
wirklich vor Augen führt, dass man
wirklich ihm zusehen kann,
wie er dekonstruiert, allein bei
dem Begriff der Differenz und
dergleichen das auch zu einer
Beliebigkeit führen könnte.
Den Vorwurf müsste man ja
dann auch akzeptieren.
Ja, genau.
Dieser Vorwurf... Mit
dem sollte man sich
auseinandersetzen.
Zum Ende hin komme ich vielleicht
noch einmal zu einem Buch,
was ich empfehlen möchte,
das sich
auch an der Postmoderne abarbeitet
und dann noch mal eine andere
Perspektive aufzeigt. Aber es gibt
schon eine Antwort aus der
Postmoderne heraus und zwar
von Wolfgang Welsch.
Wolfgang Welsch trifft die
Unterscheidung zwischen
einer unpräzisen und einer
präzisen Postmoderne.
Also die unpräzise Postmoderne ist
möglicherweise die, die sie jetzt
auch so angedeutet haben,
die in der Beliebigkeit mündet.
Anything goes... Alles
geht irgendwie, ja.
Es gibt keine Stoppregeln.
Irgendwie wird es schon funktionieren.
Wir können alles permanent
umkonstruieren, unsere Identitäten,
andere Identitäten, die
Welt.
Diese Beliebigkeitsidee,
die mit einer Machbarkeitswahneuphorie
vielleicht auch einhergeht.
Alles geht.
Und diese Machbarkeitsidee, die
können wir ja sehr schön
systemtheoretisch auch,
sage ich mal, dekonstruieren.
Es geht eben nicht
alles. Es geht nur ganz wenig
vielleicht sogar.
Wolfgang selbst spricht von einer
präzisen Postmoderne,
mit der er versucht,
genauer zu beschreiben,
was geht und was nicht
geht, wo Grenzen sind,
auch postmoderne Ansätze,
postmoderne Entwicklungen.
Ich kann jetzt nicht das Fenster
aufmachen und sagen:
"Ich bin jetzt ein Vogel und ich
konstruiere die Identität einer
Vogelhaftigkeit und
geh raus." Es geht
nicht. Die Naturgesetze
werden dazu führen,
dass ich runterfalle
und mich verletze.
Ich kann nicht sagen, ich gehöre morgen
zu einer ganz anderen Familie.
Ich will jetzt zur Familie Schmidt
gehören, nicht mehr zur Familie
Kleve. Ich konstruiere mal einfach
meine Familienidentität.
Das funktioniert nicht. Es gibt eine
biologische Determination meine
Herkunft, die kann
ich nicht einfach
verändern.
Es gibt sozusagen, und
das sage ich jetzt...
Es gibt - das ist ja auch aus der Postmoderne
sowas zu sagen schon ein
Unding - gewisse Grenzen
von Konstruierbarkeit,
die Paul Watzlawick
sehr schön eigentlich schon deutlich
gemacht hat, wenn er von der
Unterscheidung spricht: Wirklichkeit
erster Ordnung,
Wirklichkeit zweiter Ordnung. Also
Wirklichkeit erster Ordnung sind
für mich bestimmte naturgesetzliche
Aspekte,
Newtonsche Physik beispielsweise,
biologische Abstammung,
Herkunft. Die gilt es zu
akzeptieren. Wirklichkeit zweiter
Ordnung ist die Art und
Weise, wie wir dem Sinn zuschreiben,
wie wir dem Bedeutung
zuschreiben. Da können wir
natürlich ganz viel tun.
Also den präzisen Postmodernismus
mit Wolfgang Welsch,
das wäre so meine Perspektive,
der durchaus Beliebigkeit
auch dekonstruiert.
Warum sollte die Sozialarbeit
mit diesem und ihrem
Theorieansatz arbeiten?
Was hilft ihr?
Also eine Möglichkeit oder
eine Perspektive habe ich
ja schon angedeutet:
Also endlich rauszukommen
aus dieser
destruktiven
Nabelschau. Ja,
wir sind doch so...
Uns geht es doch so schlecht, für mich
und meine eigene Identität in
Auseinandersetzung mit Psychologen,
mit Ärzten und so weiter,
können wir immer nie genau sagen,
was wir sind.
Also selbstbewusst zu sagen: Ja,
wir haben eine besondere Art
unsere Identität zu
konstruieren, eine sehr
offene, eine sehr...
vielleicht auch fragmentierte,
aber genau das ist unsere
Stärke. Eigentlich ist das
ja auch eine These,
die hat schon Theo Bartmann entwickelt.
Er hat ja auch mal einen
Aufsatz geschrieben "Eigenschaftslosigkeit
als Eigenschaft".
Da kommt das ja her. Diese
Idee, die ich dann weiter
ausgearbeitet habe, das
ist ein Aspekt.
Der andere Aspekt ist:
Wir können das
wissenschaftstheoretisch,
praxistheoretisch begründen,
was die Sozialarbeiterinnen und
Sozialarbeiter immer schon
gemacht haben, nämlich den
Eklektizismus oder
positiver gesagt:
die Pluralität, mit Methoden,
mit Theorien umzugehen,
sie einzubauen in das
eigene Setting des Denkens,
des Handelns,
des Fühlens. Das haben
Sozialarbeiterinnen,
Sozialarbeiter immer schon gemacht.
Das wurde ihnen immer vorgeworfen:
semiprofessionell, Eklektizismus.
Und wir sagen aus
postmoderner Sicht: Ja, genau das
ist unsere Besonderheit und es
lässt sich jetzt sozusagen
mit der postmodernen
Rahmung legitimieren.
Transdisziplinarität ist ja ein Begriff,
den Wolfgang Welsch auch sehr
schön einmal mit Bezug auf Jürgen
Mittelstraß auch ausgearbeitet hat,
weitergeführt hat. Transversalität,
ja,
also eine Vernunft,
eine Rationalität, die sich damit auseinandersetzt,
dass sie nur im
Plural auftritt. Es gibt nicht
die eine Vernunft,
sondern die vielfältige Vernünftigkeit
vielleicht;
also das, was wir als SozialarbeiterInnen
in der
Praxis permanent erleben jetzt auch
theoretisch rahmen zu können
mit einem Modell,
dass das akzeptiert und dass
das als Erfolgsprogramm bewertet,
was eigentlich alles Salamon
schon in den 20er Jahren teilweise
beschrieben hat, jetzt mit einer
passenden Wissenschaftstheorie
richtig zu begründen und zu
legitimieren.
Ja, Stichwort: Ambivalenz.
Nach ihrem Verständnis
ist soziale Arbeit ja
durchgängig Ambivalenzen
ausgesetzt,
die im Kern
darin besteht, dass es um
ein Aushalten auch von
Widersprüchlichkeiten geht,
die wiederum an den Verhältnissen
und aber auch
dem Verhalten
festzumachen sind. Also
soziale Arbeit ist
Wanderin und Mittlerin
zwischen Personen und
wenn man so will,
auch allen gesellschaftlichen
Teilsystem. Sie haben das
gerade schon noch einmal
deutlich betont, dass
soziale Arbeit ja
in jedem gesellschaftlichen
Kontext mittlerweile
anzutreffen ist.
Ja, aber gleichzeitig,
ihren Überlegungen folgend,
kann Soziale Arbeit eben keine
Eindeutigkeiten im
erkenntnistheoretischem
Sinne herstellen.
Sie verfügt eigentlich nicht über
Eindeutigkeiten auch im
ontologischen Sinne, wie
vielleicht ein Arzt,
der sagen kann, die Krankheit
X ist eindeutig
diese Krankheit und hat
die und die Ursachen.
Das heißt also,
Ambivalenz einerseits. Aber
führt das nicht auch
dazu, dass das, was also auch
gerade vielen in der Praxis
Probleme bereitet, dass
Sozialarbeiterinnen, Sozialarbeiter
eben keine eindeutige
Selbstbeschreibung mehr verfügbar
haben? Und vielleicht
auch ein Hinweis:
also das begegnet einem häufig,
dass Absolventinnen und Absolventen
der sozialen Arbeit
sich gar nicht als Sozialarbeiter
bezeichnen,
sondern Case-Manager oder
wie auch immer.
Ist das
die zwangsläufige Folge auch dieser
Ambivalenz oder kann man das vielleicht
auch ambivalenztheoretisch
entfalten um dem Ganzen noch mehr,
ja, ich sage mal,
Grundlage zu geben, dass
das eben offensichtlich
dazugehört,
über keine eindeutige
professionelle
Selbstbeschreibungsmöglichkeit
verfügen zu können?
Gut, die Selbstbeschreibung,
die professionelle, kann
ja genau die sein,
das zu beschreiben, was
Sie jetzt auch gerade
deutlich gemacht haben, sich
in dieser Vielfalt von
Ambivalenzen in einer Weise
einzurichten, dass es hilfreich
ist für die
Menschen für, die wir arbeiten.
Wir arbeiten für Menschen,
die vor bestimmten Herausforderungen
stehen, werden dafür von der
Gesellschaft beauftragt,
werden dafür bezahlt,
haben dafür ein Mandat.
Und das sind oft
Menschen, die haben mit klassischen
Professionen zu tun gehabt
und da ging es nicht weiter und die
landen dann in der Sozialen Arbeit.
Und offenbar gibt es bestimmte
klassische
Perspektiven vielleicht in der
Medizin, in der Juristerei,
in der Psychologie, in der
Pflege, wo auch immer,
die nicht in der Weise
weiterführen können,
dass die Menschen ihre
Probleme lösen
oder so damit umgehen können,
dass es befriedigend ist und dann kommen
wir. Also ich habe ja auch
die These,
Sozialarbeit tritt dann ein
wenn andere Profession nicht,
noch nicht oder nicht mehr
tätig werden können. Sozialarbeit
ist damit auch
eine Art Lückenprofession,
die ja eine Antwort ist,
aus meiner Sicht,
auf die Spezialisierungsstrategie
klassischer
Profession.
Also die klassische Spezialisierungsprofession
ist eine,
die einen bestimmter Bereich des
Menschlichen herausgreift
und über diesen Bereich natürlich
dann auch ganz
viel wissen sich aneignet, aber
eben über diesen kleinen
Bereich. Und so stehen
die Professionen,
auch Disziplinen in der Wissenschaft
nebeneinander und
haben eine bestimmte Sphäre,
eine bestimmte Komplexitätsreduktion,
aber diese Komplexität dann
aneignen. Aber was dabei verloren geht,
ist sozusagen das Dazwischen:
die Brücken,
die Verbindungen zwischen
diesen Teilbereichen der
Gesellschaft, auch zwischen den Funktionssystemen,
wenn man das Wort
Brückenbauer,
sozusagen Vermittler und
das sind dann die
Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter,
die sich ja so beschreiben
können. Aber das Brückenbauen,
das Vermitteln,
verunmöglicht dieses
Festlegen auf eine kleine
ausschnitthafte Kernidentität
oder so,
sondern setzt immer wieder voraus,
dazwischen zu liegen.
Es gibt... Diese These ist ja
auch schon 20 Jahre alt,
von 1998 und das habe ich
in der Doktorarbeit
"die Postmoderne Sozialarbeit"
so ausgearbeitet.
Und vorher gab es schon
Ideen sozusagen von
Richard Münch, einem Soziologen
in Bamberg
damals. Der hat ein kleines
Heftchen herausgebracht,
das hat er genannt:
"Vom Fachspezialisten,
vom Fachexperten zum Kommunikationsvirtuosen."
Er
beschreibt die Herausforderung
unserer modernen Gesellschaft,
in der es so viele
Fachspezialisten gibt,
aber noch viel zu
wenig Kommunikationsvirtuosen,
die also diese Brücken bauen,
die sich in diese Zwischenräume
einbringen und das
sind eigentlich Sozialarbeiterinnen
und Sozialarbeiter und nicht
umsonst, aus meiner Sicht,
ist dieser Boom,
diese Anzahl,
dieser Anstieg von Studienplätzen,
von Arbeitsplätzen im
Bereich zu sehen,
weil diese Kommunikationsvirtuosen
gebraucht werden.
Das können wir doch nutzen
als eine Art
Selbstbeschreibung, die
unsere Profession zum
Ausdruck bringt.
Wobei dann möglicherweise der
Bezug auf Niklas Luhmann nicht mehr
gelingt, denn
man sagt ja, dass letztlich
nicht die Person
oder schon erst recht nicht der
Mensch kommunizieren kann,
sondern nur die Kommunikation
kommuniziert.
Also da wäre im Prinzip, das,
was Sie einfordern,
Kommunikationsvirtuose zu sein,
dem Sozialarbeiter gar nicht
mehr zurechenbar.
Aber das nur als Nebensatz,
dass wir da irgendwo auch die Grenzen
der Luhmannschen Theoriebildung
nochmal sehen.
Wobei... Also Sie haben ja sehr schön
auch mal den Joker-Begriff
verwendet, der Joker...
Die Sozialarbeiterinnen der
Sozialarbeit als Joker
in der Gesellschaft, der dann
aus der Tasche gezogen wird,
wenn es anders nicht weitergeht.
Und als Sie so beschrieben
haben,
dass viele Sozialarbeiter sich
selber gar nicht mehr mit dieser
Berufsbezeichnung betiteln,
sondern dann Case-Manager sind oder
Care-Manager oder was auch immer,
Familientherapeuten oder Berater,
dann kann man aus der Luhmannschen
Perspektive zumindest sich fragen:
Warum
auch nicht? Warum ist
denn das wichtig,
wie sich ein einzelner betitelt?
Wenn wir sozusagen auf einer Ebene
des Funktionssystems schauen,
reproduziert sich da eine
soziale Arbeit,
in der bestimmte Dinge laufen
- unabhängig davon,
wer als Person da etwas macht,
was von diesem System kommunikativ
aufgegriffen
wird, Anschluss findet. Also wir
können sozusagen ja gänzlich
entkoppeln die Ebene des Funktionssystems
und die Ebene der Personen.
die Berufspolitiker und wir
als Dozenten, Professoren, die mit
Studierenden zu tun haben,
wollen natürlich auch den Studierenden
etwas Attraktives
bieten, was sie für sich selbst nutzen
können als Selbstbeschreibung
und können nicht sagen: Es
ist eigentlich egal,
wie du dich bezeichnest, wenn du
in bestimmten Arbeitsfeldern in
einer bestimmten Weise tätig bist,
dann machst du Sozialarbeit.
Wie du das selber nennst, das kannst
du sowieso nicht determinieren,
weil es zeigt sich ein Funktionssystem
in seiner Dynamik,
das letztlich selektiert,
was ist Teil davon,
was ist kein Teil davon.
Okay. Vielleicht, weil
es gerade dazu passt:
Jenseits der Versuche von
Selbstbeschreibungen
der Sozialen Arbeit als Profession,
ist aber doch die Frage nach der
Profession doch noch einmal zu
stellen.
Die Analysen von Bommes und Sherr
legen ja eher nahe,
soziale Arbeit eben nicht als eine
autonome Profession zu
rekonstruieren.
Der Begriff der Semiprofession
spielt da eine Rolle,
ohne das jetzt abwerten zu wollen, sondern
einfach nur beschreiben zu
wollen. Ganz im Gegensatz dazu
kann man bei Ihnen aber doch lesen,
dass Sie die soziale Arbeit
durchaus für eine autonome
Profession halten.
Worin sehen Sie denn die Autonomie
begründet?
Gut, die Autonomie... Das müsste
man wahrscheinlich nochmal ganz
genau anschauen, was
damit gemeint ist.
Ich würde mich da dem Andreas
Knoll anschließen.
Der hat mal sehr schön gezeigt,
wie das, was die soziale
Arbeit immer schon
erlebt,
also diese Abhängigkeit
von unterschiedlichen
Stakeholdern; die, sage ich mal,
in Infragestellung der Autonomie durch
bestimmte Determination aus
der Politik, aus der Juristerei,
ja, aus der Ökonomie inzwischen
sehr stark,
wo immer wieder die Eigenlogik
des Sozialarbeiterischen ausgehebelt
wird oder zumindest
in der Gefahr ist, ausgehebelt
zu werden,
dass das inzwischen alle
möglichen anderen Profession
auch erleben.
Sozialarbeit ist eine Vorreiterin
von bestimmen
Professionsentwicklungen,
so Andreas Knoll,
die jetzt auch beobachtet werden
kann in der Medizin,
in der Psychologie, vielleicht
auch in der Juristerei.
Wenn man jetzt das Krankenhaus
anschaut:
der Mediziner dort... Von welchen ökonomischen
Determinanten ist er
inzwischen abhängig? Von welchen ethischen
Fragen ist er inzwischen
abhängig und so weiter,
juristischen Fragen ist er abhängig
und die Eigenlogik der
Medizin, die Autonomie der
Medizin so gar nicht mehr
klassischerweise wie sie
klassischerweise in
Sicht geraten ist,
sichtbar ist. Also das Erleben
andere Professionen auch.
Wir müssen uns mehr auseinandersetzen
mit den
Stakeholdern, mit denen
wir vernetzt sind,
aber dennoch immer wieder
darauf rekurrieren,
dass der sozialpädagogische Blick,
ein besonderer Blick ist,
der auch dazu führen
muss, dass eine bestimmte
Hilfe durchgeführt wird,
auch wenn sie gerade nicht
bezahlbar ist.
Das wäre sozusagen dann die Frage
um die Autonomie. Also schafft soziale
Arbeit es die Eigenlogik
der Fachlichkeit durchzusetzen
gegen juristische,
ökonomische, politische Fremdzuschreibungen?
Und da bin ich ja
dabei. Also es gibt von mir
einen aktuellen Aufsatz,
der ist erschienen bei
Wolfgang Rieger:
"Soziale Arbeit systemisch
kritisch" Ich weiß nicht,
ob Sie den kennen. Da habe ich
versucht noch einmal neu
drauf zu schauen: Wie ist eigentlich
das Verhältnis von Sozialarbeit
und Politik? Und ich habe
davon gesprochen:
von einer
Entpolitisierung sozialer Arbeit.
Wir müssen Sozialarbeit
entpolitisieren,
nicht mehr politisieren, weil das
bedeutet, wenn wir sie mehr
politisieren, wir machen uns abhängig
von politischen Zuschreibungen.
Wir wollen ja gerade unabhängig
sein in unserer Fachlichkeit.
Sozialarbeit, wenn es sie in der
DDR gab, dann war sie extrem
politisch eingefärbt, im
Nationalsozialismus, Faschismus war
sie natürlich politisch eingefärbt
Wir wollen uns ja gerade befreien
von diesen Einfärbung,
in unserer Eigenlogik uns entwickeln.
Genauso müssen wir das
Verhältnis Ökonomie neu überdenken.
Wir haben das Gefühl,
wir werden ökonomisiert, aber
wenn man genauer hinschaut,
ist das vielleicht eine verstärkte
Politisierung der
Sozialarbeit über Budgets. Das sind
ja keine ökonomischen Budgets,
es sind ja politisch gesteuerte Budgets.
Das Gleiche ist mit der
Juristerei. Es gibt
ein super Konzept,
was die Selbsthilfekräfte, das Empowerment
von Menschen voranbringen
konnte: die Sozialraumorientierung.
Diese wird blockiert
durch juristische
Determinationen, die zumindest
aus fachlicher sozialarbeiterischer
Sicht grundsätzlich in Frage
gestellt werden können.
Ich würde eher dafür plädieren,
genau hinzuschauen und natürlich
weiterhin dafür zu kämpfen,
dass wir autonomer werden und
uns entkoppeln können zum
Beispiel von Politik, Juristerei,
Ökonomie.
Aber diese Probleme haben nicht
nur wir Sozialarbeiter,
sondern inzwischen alle anderen
Professoren auch.
Und darin steckt ja durchaus
eine Gefahr.
Also die Aufforderung einer
Entpolitisierung, das
Wort zu reden,
könnte ja dazu führen, dass man
sagt wir ziehen uns zurück
als Profession, auch als Disziplin
aus den politischen
Debatten und schauen
dann was passiert
oder entkoppeln uns sogar
von diesem System.
Das kann ja nicht damit
gemeint sein.
Also, ich glaube,
eine geheime Intention
von Niklas Luhmann... Es
klingt manchmal an.
In Interviews war auch...
Funktionssysteme in ihrer
Bedeutung und in ihrer Eigenlogik
so radikal zu
beschreiben und zu hoffen,
dass sie so radikal,
auch selbstreferenziell sind,
damit nicht nochmal so etwas passieren
kann wie Faschismus und
Stalinismus. Denn in diesen
Systemen war die
gesamte Gesellschaft, alle Systeme,
extrem politisch determiniert.
Was ich an der DDR erlebt
habe, war der Versuch, dass das
politische System alles
determiniert hat und alles fremd
beschrieben hat, fremdgesteuert
hat und das meine ich damit:
die Entpolitisierung der Sozialarbeit
im Sinne von einer
Entkopplung von der Politik, um
kein Spielball politischer
Machtinteressen zu sein, sondern
in einer Eigenlogik,
dazu gehört auch eine Ethik,
meinetwegen auch eine
Menschenrechtsethik,
mit Bezug auf Staub-Bernasconi,
sich zu vollziehen, sich zu reaktualisieren
als soziale
Arbeit jenseits von politischen
Machtstrukturen. Das meine
ich eigentlich damit.
Und das habe ich bei Luhmann auch
immer so herausgelesen:
Wir müssen verhindern, dass noch einmal
eine Gesellschaft entstehen
kann, in der eine Politik
sozusagen alles
andere determiniert und in
eine Totalität bringt,
die menschenfeindlich ist,
die dann zum Faschismus,
zum Zweiten Weltkrieg oder
zum Stalinismus führt.
So meine ich es eher.
Ja, Luhmann... Also wenn er seiner
Theoriebildung überhaupt irgendeinen
praktischen Nutzen
zurechnen wollte, da hat er sich
ja immer dagegen gewehrt,
aber dann genau wohl den,
was Sie auch andeuten
wollten, dass alle gesellschaftlichen
Teilbereiche,
Teilsysteme, wenn man so will,
die Politik, die Wirtschaft,
die Bildung und so weiter
einen reflexiven
Bezug zu sich selber bekommen, wobei
da müsste man noch einmal
gesondert, glaube ich, drüber nachdenken
über Ihren Vorschlag auch
begrifflich der Entpolitisierung.
Denn
ich glaube nicht,
dass Sie tatsächlich
die soziale Arbeit
für politikfreie Zone
erklären wollen,
aber eben genau diesen reflektiven
Bezug zu sich selber zu bekommen,
wenn sie eben in den Kopplungen
zum Beispiel
zu Ökonomie und zum Rechtssystem
und natürlich auch zum Politiksystem
steht und
da tatsächlich zu überlegen,
was sie da eigentlich
tut und auch das, was sie tun kann.
Gut, aber das ist ein Streit über
Begrifflichkeiten. Entpolitisierung
ist möglicherweise so
als Formel etwas missverständlich.
Es ist es sehr provozierend gesagt.
Was ich damit sagen
will, ist nicht,
dass ein Sozialarbeiter meint, wenn
eine Sozialarbeiterin sich nicht
irgendwie politisch engagiert
in einer Kommune oder auch
parteipolitisch wie auch immer,
sondern dass das System der
sozialen Arbeit eine solche
autonome Stärke bekommt,
dass es sich nicht
abhängig macht von aktuell
politischen
Genau, von Steuerungsinteressen,
die ja politisch oder ideologisch
oder auch
ökonomisch oder politisch ökonomisch,
wie auch immer sein könnte.
Es geht also eigentlich
um eine Frage:
Wie kann Soziale Arbeit sich von
externen
Steuerungsinteressen
schützen?
Gut, aber Sie sagten ja, das ist
vielleicht auch eine provokante
These. Daran anknüpfend:
Sie haben einen Beitrag
geschrieben zum Thema Ökonomisierung
der Sozialen Arbeit
und das Verhältnis von Wirtschaft
und sozialer Arbeit beleuchtet
und haben da auch gesagt,
dass es gar nicht so
schlecht sei oder fast gar nicht anders
möglich sei, als eben auch mit
knappen Ressourcen zu haushalten und
haben eine ziemliche Resonanz
erfahren. Da
würde ich auch fragen: Wie meinen
Sie das, wenn das gar nicht so
schlecht ist mit knappen
Mitteln zu haushalten?
Gut, ich bin da ja ein bisschen naiv
in einen Diskurs gesprungen,
der ja eigentlich, sage ich mal so,
schon seit Jahren läuft und der
Herr Lambers ist da ja auch als
Sozialmanagement-Kenner Teil
dieses Diskurses gewesen.
Sie haben da ja
auch aus der Sozialmanagment...
Sie, ja auch, Herr Klein...
dazu publiziert und ich bin einfach
da reingesprungen in den Diskurs,
habe überhaupt keine Rezeption
betrieben von,
sage ich mal, den Texten,
die da entstanden sind seit Jahren
im Feld der sozialen
Arbeit. Das ist natürlich
auch ein bisschen
frech. Es wurde ja auch
sehr stark dann
darauf reagiert.
Bei mir ist es entstanden
aus einer Beschäftigung
mit dem Thema
Neoliberalismus. Ich habe
irgendwann mal wissen wollen, was
ist das denn jetzt überhaupt,
der Neoliberalismus, der von allen
möglichen Leuten immer
als das Schlimmste überhaupt
bezeichnet wird,
in den Diskurs eingebracht wird.
Wenn man etwas nicht sein
sollte, dann ist es neoliberal,
fast schon wie faschistisch.
Neoliberal kommt gleich danach
oder kam gleich danach oder
wie es immer noch so ist.
Aber ich habe dann intensiver
mir das angeschaut
und tatsächlich auch
Originalliteratur von Friedrich
August von Hayek gelesen,
ein Begründer des
Neoliberalismus, des
Liberalismus;
Ludwig von Mises,
ein österreichischer Ökonom;
Hayek auch österreichischer Ökonom
und habe die Geschichte des
Liberalismus ein bisschen studiert,
neuere Formen, anarcho-kapitalistische
Varianten, also (unv.),
eine amerikanische Perspektive
von (unv.) auf die Welt und fand
das total spannend und
habe ganz viele Verwandtschaften
zur Systemtheorie entdeckt.
Selbstorganisation ist ein
ganz großes Thema,
verteiltes Wissen,
die Dekonstruktion der Idee
einer planenden Vernunft.
Da habe ich überhaupt erst
verstanden wie bestimmte
Mechanismen einer Marktwirtschaft
laufen.
Dann habe ich schon ein Seminar geben
dürfen in Witten und dann hatte
ich da eine Studentin drin,
die hat mich dann gefragt,
ob sie bei mir eine Masterarbeit
schreiben darf und
dann habe ich gesagt: "Ja, mich
interessiert ein Thema.
Haben Sie auch Lust, sich damit zu befassen?
Vergleichen Sie doch mal
Hayek und Luhmann miteinander." Und
dann hat sie darüber eine Arbeit
geschrieben in Bezug auf Geld.
Ja, was ist Geld aus
systemtheoretischer Sicht
und aus Sicht von Hayek?
Und so bin ich überhaupt darauf
gekommen und habe
gesagt: "Gut, jetzt versuche
ich mal das ein
bisschen herunterzubrechen
auf die soziale
Arbeit. Und diese Angst
vor der Ökonomie,
diese Angst vor dem Kapitalismus,
versuche ich mal anzugehen. Vielleicht
auch ein bisschen provokativ,
provozieren." Und der
Redakteur der Zeitschrift "Soziale Arbeit"
schaute sich den Text dann
an und besprach sich dann
mit Kollegen und hat gesagt: "Den
bringen wir jetzt mal." So,
also natürlich auch mit
der Ahnung schon,
naja, mal gucken. Das
hat bestimmt eine
gewisse Resonanz, auch
eine gewisse Kritik,
die da erzeugt wird.
Aber was man so im Text
reinbringen kann, hab ich dann versucht
reinzubringen. Na klar,
müssen wir uns mit der Ökonomie
in der Sozialen Arbeit
auseinandersetzen und
der Kapitalismus,
eine bestimmte Art des
Umgangs mit knappen
Gütern, ist ein System,
was sich in bestimmten
Grenzen bewährt hat,
ansonsten würde es nicht mehr
existieren. Es hat
sich evolutionär als ein brauchbares
System entwickelt
und wir können jetzt nicht in
der sozialen Arbeit sagen:
Wir wollen damit gar nichts
zu tun haben.
Die Ökonomisierung ist
was ganz Schlimmes,
sondern wir haben knappe Ressourcen,
mit denen wir umgehen müssen.
Die Frage ist: Wie werden diese
knappen Ressourcen eingesetzt?
Und in der Sozialen Arbeit, diese
Kritik steckt auch drin,
werden diese knappen Ressourcen
oft so eingesetzt,
dass das intendierte
Ziel der sozialen
Arbeit die Hilfe zur Selbsthilfe,
an die ich immer noch glaube,
seine liberale Idee auch die
Autonomie des Menschen des
Individuums zu stützen,
dass wir das oft nicht erreichen,
sondern dass Menschen abhängig
werden von unserem System.
Und das hat möglicherweise damit zu
tun, dass das ökonomische Prinzip,
nachdem Sozialarbeit funktioniert,
sehr politisch determiniert ist
und eher Hilfe belohnt,
anstatt die erfolgreiche
Beendigung der
Hilfe. Das steckt auch da drin.
Das ist auch von Hint
in der sozialen Orientierung
beschrieben worden,
dass die Sozialarbeit davon
lebt und dass sie auch ökonomisch so
strukturiert und konstruiert ist
oft, dass sich die Ausweitung der
Hilfebedürftigkeit lohnt und
die Beendigung der Hilfe
eher das Problem ist;
dass wir sofort den Nachschub
nach neuen Klienten versuchen
müssen und
das hab ich da als Kritik auch mit
drinnen. Und wir müssen uns
auf die Suche machen nach anderen
Formen der Finanzierung
und
wir durchaus auch die
Ökonomie, auch die kapitalistische
Ökonomie zu Rate ziehen
sollten. Und
Fragen von Verantwortung,
wer trägt die Verantwortung?
Wie ist das Verhältnis
von familiärer Selbsthilfe,
von professioneller Hilfe?
All das steckt da drin.
Ich habe jetzt keine Antworten darauf,
sondern habe eher Fragen
gestellt und die These gebracht:
Vielleicht ist der Kapitalismus
nicht nur das Problem,
sondern auch eine Lösung.
Und weil er möglicherweise
auch oder weil
die Kritik an der Ökonomisierung
vielleicht auch den falschen
Adressaten trifft. Es sollte
eher eine Kritik an der
Politik sein, weil
wir erleben eher,
das ist eine These von
einem anderen Autor,
der eine verstärkte
Verstaatlichung der Sozialarbeit
beobachtet,
die in der Maske der Ökonomie
daherkommt. Also ich hätte
eher die Idee,
die Idee die Sozialarbeit
löst
sich auch mehr von staatlichen
Regelungen und Kontrollen
ab und sorgt selber
dafür, dass sie finanzierbar wird
und guckt nicht immer nur auf
Staatsknete. Also eigentlich
ist das,
könnte man sagen, eine alte Kritik,
die auch schon in den 70er
Jahren auch aus der Linken ganz stark
kam, ja Staatsknete ist ein
Problem, aber auch eine Kritik
bei Ivan Illich,
Entmündigung durch Experten schon deutlich
wird. Also ich habe immer
noch die Idee,
Sozialarbeit führt zu mehr
mündig werdenden Menschen,
zum Empowerment und das können wir
vielleicht nur dann hinkriegen,
wenn wir wirklich auch gucken,
wo wir unser Geld herbekommen
und nicht immer nur sagen:
Der Staat muss es für uns tun.
Da gibt es ja auch historische Vorbilder,
Wiechern oder auch August
Franke, die
ja damals im
Grunde genommen schon
mehr oder weniger
darlegen konnten, dass soziale
Arbeit auch ohne
Abhängigkeit vom Staat besser
agieren könnte,
auch genossenschaftliche, ja
staatliche Förderungen also
bewusst abgelehnt haben
mit dem schlauen Satz: Wir
wollen dem Staat nie
lästig fallen. Gut,
ich glaube wir kommen auch
mit Blick auf unsere
Zeit vielleicht noch einmal
auf den Teil zu sprechen,
welche Herausforderungen Sie eigentlich
sehen - vielleicht
generell für die soziale Arbeit,
aber vielleicht auch für die
Theoriebildung in der
sozialen Arbeit.
Und vielleicht auch
nochmal die Frage:
Wie schätzen Sie das eigentlich
bezogen auf ihre
Theoriearbeit ein? Also
ist die diesen
Herausforderung gewachsen oder
gibt es da Entwicklungsbedarf
aus Ihrer
Sicht, den wir in den
Blick nehmen müssen?
Also ich denke,
dass wir eine ganz spannende Zeit
erleben innerhalb dieser
Gesellschaft,
innerhalb der Weltgesellschaft, wenn
man diesen Begriff von "human"
verwenden möchte. Die
Welt rückt zusammen
durch
mindestens zwei Bewegungen:
einmal durch die Digitalisierung.
Der Dirk Becker, ein Kollege in
Witten, der spricht ja davon,
dass wir das Aufbrechen
der nächsten
Gesellschaftsform erleben.
Und er bezieht sich
auf Luhmanns Idee,
dass wir eine gewisse historische
Entwicklung beobachten können,
in der Gesellschaft über die
Kommunikationsmedien,
die prägend sind... Also es
gab eine Gesellschaft,
da wurde vor allem sprachlich
kommuniziert.
Die Sprache war das
dominante Medium.
Dann entwickelte sich die Schrift
als ein weiteres Medium.
Die Schrift veränderte die Sprache.
Die Art wie Menschen miteinander
in Kontakt kamen,
wie Kommunikation sich vollzog,
änderte sich radikal. Dann
entstand der Buchdruck,
ein Medium,
was die Sprache und die Schrift
veränderte. Und jetzt,
seit einiger Zeit,
erleben wir das Internet,
die digitale Weltkommunikation,
die die Sprache, die Schrift,
das Drucken verändert und
völlig neue Formen
des menschlichen Miteinanders
etabliert.
Also das ist eine These von Ken
Wilber. Noch nie war alles
Wissen der Welt verfügbar.
Jetzt ist es fast verfügbar,
also alles,
was an Wissen da ist
weltweit, ist teilweise
digitalisiert, ist über diese
ganzen Formen von
Internetkommunikation verfügbar.
Wir können auf etwas
zugreifen, was mit so einem
kleinen Ding sozusagen
realisierbar ist,
was noch nie möglich war.
Das ist, glaube ich,
eine ganz besondere Situation und
was daraus folgt auch für Formen
von Netzwerktechnologie.
Also Dirk Becker vertritt ja die
These, dass wir die funktionale
Differenzierung in einer
Veränderung erleben,
eine Netzwerkhaftigkeit
der Welt entsteht,
die Beschleunigung der Welt.
Die Beschleunigung der Kommunikation
ist ein großes
Thema. Der
Hartmut Rosa hat dazu ja viel gemacht
- Beschleunigung - und
gleichzeitig hat Hartmut Rosa gesagt:
"Ja, jetzt müssen wir gucken:
Wie kommen wir wieder in Resonanz?
Wie können wir uns auch wieder
entschleunigen?" Das sind Fragen,
aber diese technologische Herausforderung
ist, glaube ich,
eine, die die soziale Arbeit
betrifft und mit der wir uns
intensiv auseinandersetzen
sollten, auseinandersetzen müssen
und damit konfrontiert
werden. Wir werden uns damit auseinandersetzen,
weil wir kommen können
dem nicht entfliehen. Wie genau
das werden wir noch
sehen. Das kann ich nicht sagen. Auch
die Theorie braucht natürlich
eine Antwort darauf.
Das
ist sozusagen ein Aspekt.
Die Welt kommt zusammen,
habe ich gesagt. Der andere
Aspekt ist natürlich die
Migration, die
weltweite Migrationsbewegung,
die wir erleben;
natürlich auch mit angetriggert
durch digitale Kommunikation.
Wir können uns weltweit beobachten,
wie wir leben. Natürlich kommen
die Menschen dahin,
wo es ihnen besser geht, wo sie
hoffen, dass es ihnen besser
geht. Ich hätte auch... Ich
habe auch nichts gegen
Wirtschaftsflüchtlinge wie es immer
so schlecht oder schön heißt.
Natürlich gehen die Menschen
dahin, wo sie das Gefühl
haben, ihnen geht es besser.
Das ist die menschliche
Entwicklung. Das ist auch
die Dynamik der Welt.
Wir wollen, dass es uns besser geht,
für uns selbst und für andere
und das ist eine Herausforderung.
Und auf diese beiden
Herausforderungen,
viele andere noch, muss die Sozialarbeit
natürlich eine Antwort haben
oder Antworten suchen,
Fragen stellen,
Antworten suchen - praktisch
und theoretisch.
Und ich glaube,
dass dieser Bedarf an
Sozialarbeitern und
Sozialarbeitern,
der ja sichtbar ist,
durch die Nachfrage nach dem
Personal,
auch daraus resultiert,
dass wir alle überfordert sind und
Menschen brauchen, die uns in unserer
Überforderung unterstützen,
ohne schon die Antwort zu wissen,
wo es hingeht. Ich hoffe,
es geht in eine Richtung,
die positiv ist für die
Menschheit. Aber das
deutet ja auch nochmal darauf hin, dass
wir uns in dem Theoriediskurs
nicht
zurücklehnen oder vielleicht
auch der
scheinbaren Möglichkeit eines
in sich zusammenhängenden
Theoriegebäude
hingeben sollten, sondern dass
wir auch mit Blick eben
auf die Diversität,
der Bezugsetzung
und auch der theoretischen
Perspektiven
vielleicht stärker auch noch
miteinander beschäftigen sollten,
statt sich abzugrenzen.
Vielleicht dazu ein Gedanke. Sie haben
ja sehr schön auch in Ihrem
Buch die Pluralität beschrieben
und damit ist
Sozialarbeit ja eigentlich
als Wissenschaft in einem
wissenschaftlichen Normalzustand.
Die wissenschaftliche Disziplin
ist Plural. Es entsteht viel
Neues und die eine Theorie
der sozialen Arbeit kann
es nicht geben.
Wir brauchen diese Pluralität
der Theorien.
Was wir aber auch brauchen, das
findet noch zu wenig statt,
ist eine Auseinandersetzung
der Theorien miteinander.
Hier sehe ich eine Grenze der
Postmoderne. Die Postmoderne hat ja
jedwede,
sage ich mal,
Progression in der Geschichte
im Sinne
von Hegel oder auch Marx abgetan,
ja dekonstruiert. Die dialektische
Höherentwicklung -
damit wollen wir nichts zu tun haben.
Adorno hat das ja auch schon
kritisiert. Wir bleiben
in der Differenz,
in dem Widerspruch
von These, Antithese,
die Synthese als Hörbewegung.
Das ist eine Illusion.
Aber ich glaube,
wir sollten
schon daran festhalten, dass es
eine Bewegung gibt auch zum
Besseren. Wenn es einen Sinn macht,
dass Theorien sich auseinandersetzen
miteinander, dann ja doch nur
dann, wenn es danach etwas gibt,
was besser ist als das vorher. Es
muss ein Unterschied sichtbar
sein, eine Entwicklung zu
einem neuen Zustand,
der passender ist - für uns,
für das theoretische Auseinandersetzen;
der besser passt zu den
empirischen Bedingungen in
der Welt. Und da lerne ich jetzt
in Witten gerade auch
einiges von den Wirtschaftswissenschaftlern,
die natürlich teilweise
sehr positivistisch
orientiert sind, aber
was sie tun ist,
dass sie zum Beispiel keine
Doktorarbeit zulassen,
die da irgendetwas will, irgendwas
entwickeln will,
wenn nicht sich mit all dem,
was schon da ist an theoretischer
und empirischer
Beschäftigung auseinandergesetzt wurde.
Du musst erst einmal zeigen,
dass du all das zur Kenntnis genommen
hast und musst zeigen,
wo dein Entwicklungsschritt
ist bezogen auf das,
was schon da ist. So.
Also diese Progression muss sichtbar
sein. Es muss sichtbar sein,
was ist jetzt die Forschungslücke,
der Research Gab,
der sozusagen gefüllt
wird mit der eigenen Arbeit. Und
das vermisse ich bei der
Theoriebildung der Sozialen Arbeit
ganz oft,
ja. Also Sie haben da jetzt einen
Beitrag mit dem Theoriebuch,
dass das besser gelingen kann, aber
die Auseinandersetzung der
Theorien, damit eine
Höherentwicklung stattfinden kann.
Das ist ja das große Problem
der Ökonomie zurzeit,
dass sie eigentlich völlig aus
der Betriebswirtschaftslehre,
dass sie feststellt, dass viele ihrer
Annahmen gar nicht mehr haltbar
sind, dass sie die letzten
Jahre in ihren
Ideen und Modellen zum Teil auch
unterkomplex gedacht haben,
also durchaus auch aus der
Sozialwissenschaft,
der Sozialen Arbeit etwas lernen
können. Das ist sicherlich sehr interessant.
Gleichzeitig gibt es aber
eben auch Grenzen dessen.
Vielleicht, das ist
aber jetzt nur eine Vermutung oder
vielleicht eine Hoffnung:
der Theorie Diskurs, das
hat mich zumindest
sehr gefreut, hat sich ja in
den letzten fünf bis zehn
Jahren auch nochmal
weiterentwickelt.
Selbst wenn man jetzt gefühlt den Eindruck
hat, jetzt ist mal langsam
gut, um es mal salopp zu sagen,
stellen wir fest,
dass der Diskurs weitergeht.
Und Stichwort: Lebensführung...
Das ist möglicherweise auch ein
Anker, an dem sich die weitere
Theoriebildung auch
weiterentwickeln kann und wo sich
dann eben auch Verbindungen
zu den Bewältigungsansätzen
ergeben. Wir dürfen
vielleicht hoffen,
dass es eben nicht zu einem
Nebeneinander von unterschiedlichen
Theorieentwicklungen kommt,
sondern dass man sich
auch perspektivisch auf
präzisere
Gegenstandsbestimmungen
verständigen kann.
Das ist zumindest nicht
unwahrscheinlich.
Und dass sich sozusagen
die empirische
Perspektive in der Sozialen Arbeit
und die theoretische nicht ganz
entkoppeln. Also wir haben
ja eine ganz starke
empirische Bewegung,
qualitative Sozialforschung, die...
Fast alle Doktorarbeiten, die so
aus der sozialen Arbeit heraus
geschrieben werden ja so die Basis
und die Kopplung zur
Theorie. Die, glaube ich,
darf dabei nicht verloren gehen.
Eine gegenseitige Anregung,
Befruchtung beider Stränge ist,
glaube ich, ganz wichtig.
Und vielleicht auch die Suche
nach einer neuen Utopie.
Und auch das. Und auch das.
Vielleicht ist es ja sogar auch
Retropie: dass man eher Angst
hat, Sachen zu verlieren,
als sich Entwicklungen
vorzustellen,
die eine Gesellschaft voranbringen.
Zunächst einmal die Frage: Warum ist
es eine gute Idee soziale Arbeit
zu studieren? Ist es nach wie vor
eine gute Idee? Ja, ich denke,
das ist nach wie vor eine sehr gute
Idee, weil es nach wie vor
eine Zukunftsprofession
ist, die sich mit den
spannenden Fragen, die sich
in der Gesellschaft
stellen, mit den Menschen sich
auseinandersetzen;
die darauf zu reagieren hat.
Also mit dem Leben von
Menschen zu tun
zu haben und größere Zusammenhänge
auch in den Blick zu nehmen,
finde ich das Spannendste,
was man machen kann.
Und sich selber als Person
dabei auch entwickeln zu
müssen in der Praxis der
sozialen Arbeit,
kommt noch dazu. Also es ist für
mich nach wie vor eine ganz
faszinierende Perspektive in
die Sozialarbeit zu gehen.
Wenn Sie sich Studierende im
ersten Semester vorstellen,
die das hier sehen: Was für
einen Tipp würden Sie
denen zu Beginn ihres
Studiums mitgeben?
Sich erst einmal sehr stark
auch auf die eigenen
Motivationen zu besinnen, warum
jetzt in die soziale
Arbeit hineingegangen wird.
Ich habe oft erlebt, dass im
ersten Semester Menschen in
die Sozialarbeit gehen,
die das Gefühl haben,
okay, sie wollen anderen
Menschen helfen und
wenn wir dann sehr früh - in Potsdam
ist das sehr früh gelaufen -
Rollenspiele gemacht haben,
Beratungsgespräche simuliert haben,
dann entstand so die Idee:
"Jetzt kann ich dem anderen
sagen, was er tun soll,
damit er seine Problem löst",
also Ratschläge geben.
Sich damit auseinanderzusetzen
und erstmal
bestimmte Basiskompetenzen
sich anzueignen.
In Potsdam ist das immer
noch, hoffe ich,
erst einmal zuzuhören.
Also "Rogern" haben wir das immer
genannt; also Carl Rogers sich
anzueignen - nämlich Menschen
zuzuhören, wie Momo das kann.
Momo von Michael Ende
hat eine besondere Fähigkeit wie
Michael Ende in einem Kapitel
beschreibt. Sie kann
nämlich so zuhören,
dass Menschen, die denken,
sie können nichts Schlaues denken,
keinen vernünftigen Gedanken
zuwege bringen,
plötzlich leuchtende Augen kriegen,
weil sie tolle Erkenntnisse
gewinnen;
die Menschen, die das Gefühl haben,
sie sind völlig unwichtig auf der
Welt, plötzlich merken,
wie einmalig sie sind;
also so zuzuhören, dass
der andere sich
erkennt. Also
Resonanz, wenn man mit Hartmut Rosa
mal sprechen will.
Resonanzerfahrungen sind,
glaube ich, ganz wichtig für Soziale
Arbeit und das muss man im ersten
Semester eigentlich schon sich aneignen
und sich damit befassen,
weil das ist die Begegnung,
die Beziehung.
Das ist ganz entscheidend
in der Sozialen Arbeit.
Was empfehlen Sie Studierenden,
die kurz vor dem
Ende des Studiums stehen
und die Berufspraxis
in sichtbarer Nähe haben?
Also erst einmal nicht
davon auszugehen,
dass das was Sie jetzt
machen werden,
das Lebensprojekt sein wird,
sondern dass es ein
Projekt sein wird,
dass es eine bestimmte Tätigkeit sein
wird erstmal nach dem Studium,
die bestenfalls dazu führt,
dass die Leute wachsen,
dass sie sich Kompetenzen aneignen;
dass es aber weitergehen wird.
Also es ist eine never ending story,
eine unendliche Geschichte -
nochmal Michael Ende - die soziale
Arbeit.
Also damit muss man eigentlich
sich schon
arrangiert haben, dass
es etwas Unfertiges bleibt, ja.
Die soziale Arbeit, das ist ja inzwischen
in allen Berufsgruppen so,
bleibt was Unfertiges. Wir
müssen ein Leben lang
uns mit den Lernanforderungen
sozusagen auseinandersetzen;
sich...
Ja, also das tatsächlich...
Sich damit arrangiert zu
haben. Ich glaube, daran vielleicht
auch zu arbeiten,
dass das geht. Das andere ist vielleicht
auch mal den Blick zu
öffnen und zu gucken, ob man neben
der Praxis vielleicht auch
die Wissenschaftsperspektive
aktiv einschlagen will.
Wir brauchen in der Sozialen Arbeit
natürlich mehr Leute,
die in die Wissenschaft gehen,
die sich wissenschaftlich
beschäftigen,
forschen und dabei
aber dann auch
wiederum die
Praxis und das, was die Leute
in der Praxis umtreibt,
nicht aus dem Blick verlieren.
Die letzte Frage: Was ist für
Sie das wichtigste Buch,
das alle Sozialarbeiterinnen
und Sozialarbeiter gelesen
haben sollten?
Natürlich mein eigenes, die "Sozialarbeit
ohne Eigenschaften".
Nein, Scherz beiseite. Natürlich
glaube ich schon,
dass auch das, was ich da geschrieben
habe, wichtig ist.
Sonst hätte ich das nicht geschrieben.
Das wäre eine Empfehlung:
"Sozialarbeit ohne Eigenschaften".
Ich glaube, für den Anfang des
Studiums wäre C. W. Müller: "Wie
Helfen zum Beruf wurde",
ein wichtiges Buch, was zeigt
woher Sozialarbeit kommt,
was Wurzeln sind.
Auch für so eine historische Identifikation
mit der Profession
habe ich immer den Studierenden
empfohlen, C. W.
Müller zu lesen, "Wie Helfen
zum Beruf wurde."
Jetzt habe ich noch ein anderes
Buch im Kopf. Ich weiß jetzt nicht,
ob das alle Sozialarbeiter
lesen sollten, aber ich habe
es jetzt gerade gelesen
im Urlaub.
Das ist ein Roman
von Ken Wilber. Ich weiß nicht,
ob Ken Wilber bekannt ist.
Das ist ja ein amerikanischer
Philosoph;
ein bisschen umstritten vielleicht,
weil er so eine integrale
Perspektive
versucht zu entwickeln. Er hat
einen Roman geschrieben,
der heißt "Boomeritis. Ein Roman,
der dich befreit." Das ist der
Untertitel von 2007 und
"Boomeritis" handelt von der
Generation der Babyboomer
in den USA zwischen 1940 und 1960,
die unsere Gesellschaft
sehr stark geprägt
haben; also die 68er Generation.
Und 2007 hat Wilmer
mit diesem Roman
ein Buch geschrieben, wo er beschreibt,
wie ein Student in
Berkley sich die integrale Theorie
aneignet. Es eine bestimmte
Theorie von der
Menschheitsentwicklung, auch
mit Spiral Dynamics,
spiralige Dynamik
bezeichnet. Und 2007,
als Obama gerade an die Macht kam,
hat eigentlich Ken Wilmer schon vorausgesehen,
dass so einer wie
Trump kommen wird. Also in diesem
Buch wird beschrieben,
wie bestimmte Entwicklungen in der
Gesellschaft sich vollziehen und
dass wir eigentlich in einer Zeit leben,
in der wir eine neue Art von
Integration brauchen,
eine neue Art von
Weltperspektive,
in der wir das
Pluralistische, was auch in der
Postmoderne sehr stark ist,
noch einmal neu denken.
Der Multikulturalismus, der
manchmal mit diesem
Gutmenschentum so in Zusammenhang
gebracht wird,
bringt
vielleicht viele Probleme,
die wir nochmal anders
anschauen sollten.
Also in dem in
dem Buch "Boomeritis" geht
es um eine bestimmte
Perspektive auf die Welt,
in der gezeigt wird, dass
wir bestimmte Stadien
durchwandern. Es gab
das blaue Stadium; es wird so als
blaues Stadium beschrieben.
Das ist eine Zeit,
wo die Gesellschaft sehr stark
disziplinarisch organisiert
wurde. Da ist die Schule zum
Beispiel entstanden,
Heinz von Foerster hat mal gesagt
eine Trivialisierungsagentur.
Das Militär,
Ämter wurden sehr hierarchisch
strukturiert. Das erleben wir
immer noch sehr stark.
Sehr viel Blau ist in unseren
Institutionen drin.
Dann kam das Orangene.
Das ist sozusagen die
Zeit von Aufklärung,
Rationalität und Vernunft;
alles über Vernunft geregelt, ja,
sehr stark mit Rationalität. Und
jetzt sind wir gerade in einer
grünen Phase. Die grüne Phase ist:
Wir haben das Gefühl,
mit Dialog können wir alles klären.
Wir müssen nur miteinander
reden.
Organisationen sollen auch
so aufgebaut sein,
sehr Hierarchie kritisch und
jedes dieser
einzelnen Phasen
blendet das andere aus,
grenzt sich von dem
anderen ab. Die Idee ist:
Wir brauchen eine neue
integrale Perspektive, die sozusagen
noch einmal eine
andere Form von Ganzheit
ermöglicht,
wo wir
uns dann nicht abgrenzen vom Kapitalismus
und der Ökonomie,
um das mal als Beispiel zu bringen,
weil wir das schon mehrfach
hatten, sondern wo wir versuchen,
das in einer bestimmten Art und
Weise zu integrieren,
es aufzunehmen;
wo wir bestimmte Probleme, die auch
mit der Migration einhergehen,
Frauenfeindlichkeit
im Islam beispielsweise, wo wir das
ernsthaft uns anschauen und damit
umgehen. Also eine neue Art.
Und nicht Pluralität im Sinne:
"Alles ist gleichwertig und
jetzt lasst mal alles
zu." Und davon
handelt dieser Roman "Boomeritis".
Er hat mich gerade sehr angeregt,
also empfehle ich den auch, weil
er viele Fragen stellt,
auf die wir Antworten
finden müssen.
Herzlichen Dank.
Dankeschön. Dankeschön für das gute
Gespräch, spannende Gespräch.