Theorien Sozialer Arbeit

Katholische Hochschule NRW
Since 10/2021 18 Episoden

Jan Volker Wirth

Theorien der Sozialen Arbeit

15.10.2021 58 min Staffel 1 Episode 18

Zusammenfassung & Show Notes

Jan Volker Wirth (*1967) nach seinem Diplom der Soziale Arbeit an der Alice Salomon Hochschule Berlin studierte Wirth Soziologie im Postgraduierten-Studium an der Freien Universität Berlin und an der Pädagogischen Hochschule Freiburg. Im Jahr 2013 wurde er dort zum Dr. phil. im Fach Soziologie mit dem Thema Lebensführung als Systemproblem. Entwurf einer Theorie der Lebensführung promoviert. Wirth hat zahlreiche Veröffentlichungen zur systemischen Sozialen Arbeit verfasst und u.a. zusammen mit Heiko Kleve ein Lexikon zur systemischen Praxis, Methodik und Theorie herausgegeben. Ebenso mit Kleve arbeitet er an einer professionstheoretischen Begründung einer transdisziplinären Sozialarbeitswissenschaft.

Transkript

Ja, Herr Wirth, wenn sie sich selbst mit drei Worten beschreiben sollten, welche drei Worte wären das? offen und sensitiv mit einem sensiblen Blick für Ungerechtigkeiten. Und gibt es so etwas wie eine Lebensphilosophie oder was wäre Ihre Lebensphilosophie, wenn sie diese Frage beantworten? Es gibt nichts, was man nicht auch von einer anderen Seite aus betrachten kann. Und vielleicht auch noch dazu ergänzend: In jeder Lebenssituation stecken auch Chancen. Es ist auch für Sozialarbeiterinnen und Sozialpädagogen sehr interessant: Man kann aus jeder Lebenssituation auch etwas Positives gewinnen, es fällt uns allerdings in der Regel schwer, wenn wir Probleme belastet sind, das zu erkennen und dann braucht man vielleicht psychosoziale Unterstützung, vielleicht sogar theoretische Unterstützung. Was ist der beste Ratschlag, den Sie bisher bekommen haben? Ja, das ist noch gar nicht so lange her, dass ich diesen Ratschlag erhalten habe. Er lautet: "Zweifel an allem, was als unbezweifelbar gehalten wird", und befasst sich mit den Selbstverständlichkeiten der anderen, die damit einhergehen "und befrage sie auf ihre Selbstverständlichkeit nochmal". Und wenn wir zur Sozialen Arbeit kommen: Gibt es ein Vorbild für Sie in der Sozialen Arbeit? Als Person? Ja. Nein, das nicht. Also ich habe bisher in meiner beruflichen Laufbahn immer sehr eigentlich auch von allen Theorien und VertreterInnen mich bereichert gefühlt, angeregt gefühlt und es ist schwer, hier jemanden herauszuheben, weil sie sich ja wechselseitig sozusagen bereichern. In ihrer jeweiligen Originalität und Kreativität, aber auch in ihrer empirischen Überprüfbarkeit, haben sie alle ihre Stärken und Vorzüge Wenn Sind sie keine Person benennen müssten, gibt es da Vorbilder? Von den Theorien her? Ja. Okay. Warum interessiert Sie sich für Soziale Arbeit? Ja, das ist natürlich schon eine persönliche Frage. Ich bin zur Sozialen Arbeit gekommen, weil ich mich schon immer für soziale Probleme und Probleme der Lebensführung interessiert habe. Ich habe mich gefragt: Wie kann es beispielsweise sein, dass es in einer bestimmten Gesellschaft wie der DDR oder der Bundesrepublik Deutschland, zu bestimmten Phänomenen kommt. Jetzt in der Bundesrepublik Deutschland gibt es strukturelle, aber auch massive Probleme der Lebensführung. Irgendwo hat das mit Neugier auf die Gesellschaft zu tun, aber auch mit einem Gefühl für Ungerechtigkeiten sich zu fragen: Wie kann das sein, dass eine auf den ersten Blick wirtschaftlich erfolgreiche oder auch sehr produktive Gesellschaft, wie man jedenfalls in den Medien nachlesen kann... Wie kommt es dazu, dass hier Menschen keinen Wohnraum haben, kein Obdach haben? Dass sie mit ihrer Lebenslage scheinbar nicht anders fertig zu werden glauben, als dass sie sich zudröhnen mit psychoaktiven Substanzen? Das sind Dinge, die mich bewegt haben. Man sieht die Menschen ja leiden, man sieht, man hört davon, dass sie sterben. Das sind Dinge, die mich bewegt haben von Anfang an, auch in der Praxis. Wenn ich an meine Zeit auf dem Sozialamt Lichtenberg im Bereich der Obdachlosen-, Wohnungslosenhilfe denke, da waren mit, muss ich sagen, die unmittelbaren bewegendsten Momente, an der Kleiderkammer zu sein und jemandem eine Jacke zu geben im Oktober. Einfach nur eine Jacke. Braucht man jetzt nicht unbedingt sehr viel Theoriebildung dazu, sondern Empathie ist, glaube ich, da eine wichtige Sache und ein Perspektivenwechsel: Wie würde es mir gehen ohne Jacke. Aber ja. Das sind so die Dinge, die mich in die Sozialarbeit gebracht haben und das Hinterfragen von diesem Phänomen. Warum interessieren Sie sich für die Theorie? Ja, da würde ich ganz gerne bei der Kleiderkammer bleiben. Wenn man jetzt also in die Lage kommt als Sozialarbeiter im Bereich der Wohnungslosigkeit oder Obdachlosigkeit zu arbeiten, dann kommt man in diese Situation, dass man direkt akute unmittelbare Bedürfnisse und körperliche Bedürfnisse decken kann, will und auch muss aus ethischen Beweggründen, die uns ja allen zu eigen sind. Und dann ist die Frage: Wie kann es sein dass sich, vielleicht auch aus einer bestimmten Lebenslage heraus, die sich immer wieder so zeigt, uns regelmäßig wiederkehrend die gleichen Personen, sage ich mal, oder Personen aus den gleichen Lebensmilieus oder kulturellen Milieus hier bei uns einfinden und Nachschubprobleme haben, ausgegrenzt werden, Probleme haben bei der Befriedigung ihrer Bedürfnisse, biopsychosoziale Bedürfnisse. Und dann kommt man zur Theorie, wenn man wissen will: Wie kann das sein? Wie erkläre ich mir das? Wie beschreibe ich das? Das geht noch voraus. Und wie bewerten wir das als Team, als Organisation aber auch als Gesellschaft? Ja, als einen nächsten Gast in unserer Interviewreihe begrüßen wir ganz herzlich Jan Volker Wirth. Schönen guten Tag, Herr Wirth. Bevor wir zu unseren fachlichen Fragen an Sie kommen, eine kleine kurze Vorstellung Ihrer bisherigen akademischen Laufbahn, wenn man das so sagen kann. Sie sind freiberuflicher Dozent und Sozialarbeitswissenschaftler, Praxisberater in Einrichtungen des Sozialwesens. Sie haben an der Alice Salomon Hochschule Berlin ihren Abschluss gemacht als Diplom-Sozialarbeiter. Im Anschluss daran haben Sie Soziologie studiert an der Freien Universität Berlin und an der Pädagogischen Hochschule Freiburg. Die Promotion erfolgte im Jahr 2013 im Fach Soziologie und da eben auch schon mit dem Thema, zu dem wir heute auch noch einmal ins Gespräch kommen: "Lebensführung als Systemproblem. Entwurf einer Theorie der Lebensführung." Das Buch zeigen wir mal kurz in die Kamera. Sie lehren als Gastprofessor und Dozent an zahlreichen Universitäten, Hochschulen, Fachhochschulen und Berufsakademien in Deutschland, Österreich und auch in Polen. Dort mit den Schwerpunkten Wissenschaft, Theorien und Methoden Sozialer Arbeit. Zahlreiche Veröffentlichungen, insbesondere zur systemischen Sozialen Arbeit und auch zu Sozialarbeitswissenschaft. Zur systemischen vielleicht mal das "Lexikon des systemischen Arbeitens", das Sie zusammen mit Heiko Kleve veröffentlicht haben. Heiko Kleve, auch ein Gesprächspartner in unserer Interviewreihe. Ebenfalls mit Kleve: "Die Praxis der Sozialarbeitswissenschaft. Eine Einführung." Und sicherlich noch eine Vielzahl weiterer Publikationen. Sie sind seit dem Jahr 2015 Habilitand an der Universität Bielefeld und der PH Freiburg und dort wird Ihr Thema eben auch weiterhin die Theorie der Lebensführung Und wie schon erwähnt, eine Reihe von Publikationen, aber heute interessiert uns natürlich besonders Ihr Beitrag "Theorie der Lebensführung" beziehungsweise "Die Lebensführung der Gesellschaft". Sie haben dazu allgemein einen Grundriss einer allgemeinen Theorie vorgelegt und haben in diesem Zusammenhang zunächst einmal sich die Theoriebildungen, genauer genommen: die Wissenschaft zur Gegenstandsbeschreibung der Theoriebildung, genauer angeschaut und kommen da zu dem Ergebnis, dass die vorhandenen wissenschaftlichen Gegenstandsbestimmungen, ja, vielleicht nicht unbedingt untauglich, aber doch zumindestens hinterfragungswürdig vertreten die Position, dass statt der vorhandenen Gegenstandsbestimmungen die Lebensführung eine aussichtsreiche Gegenstandsestimmung der Theoriebildung sein kann. Daher zunächst die Frage: Weshalb haben Sie sich für Lebensführung entschieden? Ja, vielleicht noch ein Hinweis zur Biographie: Ich bin seit einiger Zeit an einer Diploma Hochschule als Studiendekan für den Masterstudiengang psychosoziale Beratung und Sozialarbeit tätig und bin in der Vorbereitung dieser Bildungsmaßnahmen sehr intensiv beschäftigt und auch auf Dauer dort angesiedelt. Wenn ich an das Studium denke: Diplomarbeit, Promotion, Auseinandersetzung mit Theorieentwicklungen, Theoriebildung seit Jane Adams, (unv.), Alice Salomon, Ilse Arlt in Österreich, Silvia Staub-Bernasconi, Hans Thiersch, Albert Scherr, Bernd Dewe, Heiko Kleve, Dieter Röh, Wolf (Ritter?), da kann man sehen, dass, wie ich finde, alle Theorien sich mit einem Vermittlungsproblem beschäftigen müssen in produktiver Weise und zwar mit der Vermittlung zwischen Gesellschaft und Individuum. Wenn ich manche Gegenstandsbezüge mir genauer anschaue und schaue, wie die auf meine pädagogische Handlungsplanung einwirken oder diese beeinflussen, dann komme ich zu der Ansicht, dass oft entweder zu sehr von der gesellschaftlichen Seite heraus auf diese Vermittlung oder auf Probleme geschaut wird. Da haben wir also konkret die Formel oder den Gegenstand der sozialen Probleme. Das sehe ich dann sehr stark auf der gesellschaftlichen Seite verortet. Und dann haben wir auch humanistische oder bedürfnistheoretische Ansätze wie beispielsweise bei Ilse Arlt, da ist es eher dann auf der Seite des Individuums angesiedelt. Da geht es um Zumutungen der Gesellschaft, sicherlich auch um Befriedigung von Bedürfnissen, von Erwartungen, auch um gedeihliches Wachsen und Leben in einer bestimmten pathetischen Form, wie es mir manchmal scheint. Wenn wir jetzt analytisch darauf schauen, auch ein bisschen mit einer adäquaten Sozialtheorie bestückt, dann wird man finden, dass Menschen ihr Leben zwar selbst führen wollen, aber es nicht allein können, sondern, das hat übrigens auch schon Pestalozzi festgestellt, dass sie die Umstände mitgestalten, unter denen sie leben. Mit Hilfe ihrer Handlungen reproduzieren sie sozusagen den Rahmen mit, co-produzieren den Rahmen mit, in dem sie leben und haben damit aktiv Einfluss. Wenn wir dieses Vermittlungsverhältnis, was eben nicht nur ein Problemverhältnis ist, sondern auch ein Ermöglichungsverhältnis ist, genauer betrachten, dann werden wir sehen, dass Leute sehr gerne an der Gesellschaft teilnehmen, auch teilnehmen müssen. Sie stehen teilweise unter Inklusionsdruck. Aber es ist auch so, dass dieses Verhältnis sehr oft als restriktiv, als einengend, ja, vielleicht sogar als ausgrenzend, in einer strukturellen, langzeitlichen Form erlebt wird und hier scheint mir doch ein zentraler Kontext für das Entstehen von Problemen der Lebensführung zu liegen. Die Differenz vielleicht zu der Lebensbewältigung. Also ich erinnere mich an eine Stelle in ihrer Argumentation. Sie sagen, Lebensbewältigung, ich sage es jetzt mal etwas salopp, geht schon in die richtige Richtung, aber im Grunde genommen springt es zu kurz. Es ist möglicherweise ein Konstrukt, was eben zu sehr auf der Seite von Bewältigungsaufgaben angesiedelt ist und wir müssen das, wenn man so will, perspektivisch erweitern, um die Möglichkeiten, aber auch die Restriktionen von Lebensführung. Nun sind Sie ja sehr stark an Luhmannscher Theoriebildung auch angelehnt. Nicht nur, aber auch, insbesondere, was die Analyse der Gesellschaft als eine funktional differenzierte Gesellschaft angeht, das heißt also eine Gesellschaft, in der wir eigentlich nur alle mehr oder weniger unter Systemzwängen stehen. Aber Sie wollen ja perspektivisch, glaube ich, gerade auch die Möglichkeiten der Lebensführung in den Blick nehmen. Ist das richtig? bei der Lebensbewältigung ist es so, dass ich immer wieder bemerke, dass ich mit Theorien und Bildern vorstelle. Ich habe selber als studierter Sozialarbeiter oder Sozialpädagoge Theorien immer verstanden als Aufgabe, etwas in der Praxis auf bestimmte Weise zu tun. Wenn ich jetzt mit der Lebensbewältigung und dieser Theorie (wie eine Theorie brülle?), in die Wirklichkeit schaue, wird in mir das Bild von Sisyphos aufgeworfen. Also Sisyphos, der unentwegt und auch am Rande der Erschöpfung den Stein immer wieder hinaufrollt und weiß, dass er, sobald er ein bisschen nachlässt, dann wieder runter muss, vielleicht sogar ganz runtergehen muss, um ihn erneut hinaufzurollen. Und das ist mir doch ein bisschen zu weit weg von der Wirklichkeit, wie ich sie erlebe. Die Wirklichkeit bietet Gelegenheiten und Chancen und es ist manchmal eine Freude am Leben teilzuhaben und manchmal eben nicht. Und diese Metapher des Sisyphos, der angelehnt an den immer wiederkehrenden, drögen, destruktiven Alltag - ja, Klammer auf: Hans Thiersch; Klammer zu - versucht hier Gestaltungsmöglichkeiten zu entdecken, das hat mich nicht richtig inspiriert, weil ich denke, Lebensbewältigung ist kategorial der Lebensführung untergeordnet. Wenn wir tatsächlich daran glauben, dass Leute aktiv ihr Leben leben und Entscheidungen treffen, die sie später vielleicht zurücknehmen möchten, aber sie sind gefallen und wir können dann mit dieser aktiven Komponente der Selbstorganisation und auch der Selbstführung, die ist in der Luhmannschen Systemtheorie auch verankert als Autopoiesis oder Autonomie von Systemen, können wir hier hingehen und schauen: Was gibt es für aktive, schöpferische Elemente in der jetzigen Lebensführung und was gibt es für Möglichkeiten, die gewünscht sind oder ausgelassen worden sind im Sinne von rekonstruktiver Arbeit, aber vor allen Dingen auch hinsichtlich Veränderungsanliegen? Worum kann es gehen, wenn man die jetzige Wirklichkeit verändern will? Und dann spannt sich uns eine Ambivalenz auf. Leute leiden an der jetzigen Wirklichkeit oder sie haben, schöpfen Hoffnung mit Blick auf Zukünfte, die noch nicht eingetreten sind und diese Dauerspannung können wir nutzen, um mit den Menschen, für die Menschen, psychosozial oder auch auf der Handlungsebene, sehr gut zusammenzuarbeiten. Aber dann wäre ja die Frage zumindest, weil das könnte man ja auch Subjekt orientiert denken, weshalb der Bezug zur Luhmannschen Sozial-und Gesellschaftstheorie so zentral für Ihre Theorie ist? Ja. Wenn man sich umschaut bei den Theorien, die zur Zeit zur Verfügung stehen im gesellschaftlichen Bereich, dann kommt man doch zu der Ansicht, dass die Luhmannsche Systemtheorie einen differenzierten Erkenntnisapparat bietet, der doch relativ alleine steht. Das ist so für mich jedenfalls wahrnehmbar geworden. Wenn ich das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft thematisieren will, dann brauche ich auf der einen Seite ein hinreichend differenziertes Bild von Gesellschaft. Mit dem Verweis auf Systeme, mit dem Kontrapunkt der Lebenswelt, ist mir da nicht hinreichend geholfen. Und dann brauchen wir auf der Seite des Individuums, gerade auch mit Blick auf biopsychosoziale Menschenbilder, eine hinreichend auch psychisch und biologisch differenzierte Systemtheorie. Und das bietet in der Weiterentwicklung der systemkonstruktivistischen Systemtheorie, also an Luhmann angelehnt und dann über Peter Fuchs und andere und Alber Scherr, bietet das meiner Meinung nach, ein sehr reichhaltiges Material, mit dem man arbeiten kann und letztendlich zentral ist, selbstverständlich das Stellglied zwischen Inklusion und Exklusion angesiedelt, denn diese Elemente, diese Pole, Individuen mit Bedürfnissen, Gesellschaft mit Erwartung und Zumutung, die werden verschränkt in einem Stellwerk der Lebensführung verstanden als Sinn basiertes Inklusions und Exklusionsarrangement. Wir stellen uns das vor, wie ein Stellwerk, in dem Entscheidungen getroffen werden, von denen wir auch nicht immer, wie bei einem Schweizer Uhrwerk... Wir wissen nicht ganz genau, wie alles dort funktioniert, aber die Uhr tickt weiter. Und hier kann man vielleicht mithilfe Inklusion zu stützen, Exklusion zu verhindern oder auch manchmal nur zu verwalten, ein Bild für die Soziale Arbeit entwickeln; ein Theoriebild und ein Geländer, um auch in der Praxis damit tätig zu werden. Gerade mit Blick auf diese Funktion, die ich für sehr wichtig halte, dass die Theorien die Praxis nicht nur reflektieren, sondern auch anmelden sollen. Ja, es drängt sich die Frage auf, weshalb sollte eigentlich bei der Fülle von Theorieangeboten der Sozialen Arbeit die Soziale Arbeit mit ihrem Theorieansatz arbeiten? Haben Sie da einen Tipp? Ja. Im Gegensatz zu anderen Theorieansätzen steht ja die Theorie der Lebensführung aufbauend auf der Sinn-und Kommunikationstheorie von Niklas Luhmann und anderen das Angebot bereit, Lebensführung als ein Sinnarrangement zu verstehen und damit können wir möglicherweise ergänzend zur doch auch bewährten Handlungstheorie anderer Theorien, hier ein Angebot machen, was darauf abtippt, dass Leute mit ihren Handlungen einen Sinn verbinden und dass dieser Sinn kommunikativ und psychisch verfügbar ist und dass wir hier in einer gewissen Perfektion der Fragestellung: Wo holen wir unsere Adressaten und die damit verbundenen Systeme ab in der Auftragsklärung und so weiter? Die Perfektion der Fragestellung bietet: Ja, wie kann ich am besten dort ankoppeln? Ja, was macht das für einen Sinn auf diese Art und Weise so ihr Leben zu gestalten? Da steckt immer Sinn drin, aber was ist das für eine Hoffnung, die für die Zukunft, also vielleicht einen Studienplatz oder andere Wohnräume, größere Wohnräume für eine größer wachsende Familie, solche Dinge, die dann in die Zukunft hineinragen... Das sind Dinge, die wir hermeneutisch oder systemphänomenologisch, bewusstseinsphänomenologisch bearbeiten können oder hier unterstützen können. Das erscheint mir doch ein Fortschritt. Oft sind abzuheben: Sinn als Differenz von Wirklichkeit und Möglichkeit. Dann werden wir entdecken, dass auch wir hier heute zu dritt nicht alle Möglichkeiten nutzen, die uns von außen betrachtet gegeben scheinen. Ja, und dann entwickelt sich was, ausgehend vom Sinn. Könnten Sie vielleicht mal anhand eines praktischen Beispiels deutlich machen, worin eigentlich der besondere Reiz Ihres Lebensführungsansatzes liegt? Vielleicht im Gegensatz zum Thema soziale Probleme oder zu rein bedürfnistheoretischen Ansätzen oder auch rein bewältigungstheoretischen Ansätzen? Also zunächst geht es ja vielleicht erst einmal darum, dass man in der Sozialen Arbeit daran interessiert ist, tatsächlich irgendwelche sozialen Probleme, die auf individueller Ebene erlebt werden, in irgendeiner Weise zu bewältigen oder auch vielleicht zu lösen oder vielleicht auch daran mitzuarbeiten, dass sie gar nicht erst entstehen. Jetzt kommen Sie und sagen: "Ja, aber das springt immer noch zu kurz." Es geht also um die individuelle Sinnkonstruktion und um Möglichkeitskonstruktionen, wie ich mein Leben führe. Können Sie das mal anhand eines praktischen Beispiels deutlich machen? Ja. Also wenn man sich mit dem Gegenstand sozialer Probleme auseinandersetzt, stößt man zuerst im multidisziplinären Rahmen auf die Soziologie sozialer Probleme. Da kann es um ökologische Katastrophen gehen, Verkehrsstaus, die die Gesellschaft tatsächlich behindern, es geht auch um soziale Phänomene wie Langzeitarbeitslosigkeit und Massenarbeitslosigkeit, aber auch um Krieg und Revolution teilweise. Und dort in dieser Theoriebildung ist eigentlich nicht vorgesehen, die subjektive Perspektive einzuspielen. Sie haben allerdings, wie ich finde zu Recht, gesagt, dass soziale Probleme bei Individuen etwas auslösen, das ist aber bei der Soziologie sozialer Probleme meiner Ansicht nach so nicht vorgesehen. Das wäre eigentlich schon fast der Ansatz, der in der Silvia Staub-Bernasconischen Handlungstheorie so vorgesehen ist, dass also Individuen an sozialen Systemen teilnehmen und hier auch Probleme bekommen mit der Bedürfnisbefriedigung. Es würde also für mich dann so aussehen, dass man auf diesen Ausdruck soziale Probleme und individuelles Erleben nur kommen kann, wenn man bereits eine gewisse Handlungstheorie eingesetzt hat. Und wenn wir jetzt über Obdachlose in der Fußgängerzone von Köln mit der Theoriebrille sozialer Probleme schauen, dann ist es für mich so, dass der Fokus auf die sozialen Probleme dazu führt, dass wir das als Störung der gesellschaftlichen Ordnung thematisieren. Häufig, das ist der Normalfall. Mit der Brille der Lebensführung fragen wir uns berechtigterweise und passenderweise für Soziale Arbeit: Wie erleben Menschen in der Gesellschaft ihre Probleme? Wie werden also Obdachlose in der Fußgängerzone einerseits wahrgenommen? Also störend, okay. Aber was für ein Leben ist das eigentlich, was dort gelebt wird? Darüber wissen wir manchmal viel zu wenig. Wir setzen etwa voraus, dass das Leben in der Obdachlosigkeit oder in der Fußgängerzone etwas wäre, was nicht wertgeschätzt wird. Das habe ich anders erlebt. Das kann uns auf den ersten Blick mit unserer normal bürgerlichen Lebensumgebung vielleicht so vorkommen, dass das immer Menschen sind, die in Not und Elend vielleicht groß geworden sind und sich entschieden haben in völliger Freiheit von dem System ihr Leben zu gestalten. Aber auch das sind individuelle Entscheidungsspielräume, die wir respektieren müssen. Wenn wir also hingehen und sagen: "Guck mal, ich mach dir das Angebot, du kannst heute in eine Obdachlosenunterkunft gehen und dich dort duschen und auch die Versorgung mit allen möglichen wahrnehmen, vielleicht dich auch beraten lassen." Dann könnte das sein, dass das ein wertvolles Angebot ist. Aber es könnte auch abgeschlagen werden. Es könnte so sein, dass jemand das vorübergehende Wohnen in einer Notunterkunft als Problem ansieht, sodass er lieber seine vorherige Lösung wieder zurückhaben möchte und das für ihn keine Option ist. Gut, jetzt sind Sie aber, wenn ich Sie richtig verstanden habe, eher bei der, ja, wenn man will, individuellen Lebensführung oder den Möglichkeitsräumen individueller Lebensführung. Aber das leuchtet in gewisser Weise ein, dass wir eben bei den Sinnkonstitutionen, bei den Sinnerzeugungen des jeweiligen Individuums ansetzen, was dann aber diesen Ansatz auch erst mal nicht weit unterscheidet von einem Ansatz der Lebensweltorientierung. Wenn wir die andere Seite beleuchten, nämlich die Frage: Inwieweit kann Soziale Arbeit denn an den, ich sage mal, mehr oder weniger objektiven, gesellschaftlichen Möglichkeitsräumen etwas verändern oder ansetzen? Also zum Beispiel: Wie organisieren wir die Versorgung von obdachlosen Menschen? Wie muss das strukturiert und vernünftig aufgestellt sein? Kann dann dieser Lebensführungsansatz auch Auskunft geben oder bleibt er bei der individuellen Betrachtung? Da möchte ich energisch widersprechen, wenn ich darf. Der Sinn ist psychisch, aber vor allen Dingen auch kommunikativ konstituiert und wir können uns schlecht vorstellen, dass Sinn etwas sehr Individuelles sein kann. Wir wissen, dass die Sinnbearbeitung auf der Unterscheidung, Bezeichnungen von psychischen Phänomenen beruht. Diese Bezeichnungen werden uns aus der Gesellschaft angeliefert und wir richten auch unsere Sinnverarbeitungen eigentlich darauf ein, dass wir sozial co-produzierte Bezeichnungen verwenden, also uns an den Diskursen der Gesellschaft auf unsere Weise beteiligen. Das bedeutet, dass wir also nicht vom individuellen Sinn eigentlich so sprechen können, so wie das beispielsweise Subjekttheorien vielleicht versuchen. Das leuchtet mir nicht ein, denn die Kopplung zwischen Individuum und Gesellschaft ist praktisch immer da. Auch wenn beispielsweise jemand allein auf einer Insel lebt so wie Robinson, dann ist er dann trotzdem auch in der Gesellschaft der anderen, weil er einerseits aus der Gesellschaft stammt und diese Vorfahren und diese Erfahrungen mit anderen Menschen auch sein jetziges Leben auf der Insel beeinflussen. Ich würde also sagen, dass die Theorie der Lebensführung an der Stelle genau ansetzt, dass sie zwar natürlich weiß, dass es psychische und soziale Systeme gibt, aber hier gerade in der Kommunikation und in der Interaktion als Kopplungsmedium zwischen diesen zwei Systemenarten genau darauf ihren Fokus hat. Lebensführung bezeichnet in Ihrer Theorie ja in der Tat keinen individuellen Sachverhalt, sondern einen sozialen Sachverhalt. Man stößt auf einen Begriff der Hyperinklusion. Sagen Sie uns kurz: Weshalb spielt der Begriff der Hyperinklusion in Ihrer Theorie eine besondere Rolle? Beziehungsweise zunächst einmal: Was ist Hyperinklusion und welche Bedeutung kommt diesem Begriff zu? Ich (unv.) ganz gerne den Verdiener, mit denen ich zu tun habe, in der Erledigung ihrer Hausarbeiten, geht oder gehen sie ergebnisoffen ran und das Theorem der Hyperinklusion ist mir eigentlich begegnet in der Auseinandersetzung zwischen Inklusions-und Explosionformen und im Zuge dieser Recherchen und dieser Analysen ist mir aufgefallen, dass vier verschiedene Subsysteme der Gesellschaft bestimmte zeitlich und sachlich sehr anspruchsvolle Inklusionsverhältnisse realisieren oder auch den Menschen das zumutet, hier dauerhaft dabei zu sein. Das ist beispielsweise die Familie, das Bildungs-und Erziehungssystem, das Wirtschaftssystem, dass man als Arbeitnehmerinnen oder Arbeitnehmer inkludiert wird, nolens volens, soll heißen freiwillig unfreiwillig und dann am Lebensende in späteren Lebensphasen, deswegen auch die Lebensführung der Gesellschaft, haben wir eine immer mehr zunehmende Inklusion in das Gesundheits-und in das Pflegewesen. Wenn wir also Hyperinklusion als eine zeitlich und sachlich in gewisser Weise überbordende Inklusionszumutung bezeichnen wollen, dann können wir hier an der Stelle auch den Kontext für das Entstehen von Problemen der Lebensführung identifizieren. Denn wenn beispielsweise diese jeweilige Inklusionsform von Individuen nicht als bereichernd, als wertvoll für die zukünftige Lebensführung erlebt wird, dann gibt es hier ein Drop out oder es gibt auch den Versuch drin zu bleiben, obwohl man eigentlich draußen ist; man ist innerlich emigriert, wenn man diese Formel verwenden will und mir ist Inklusion erst einmal naheliegender, weil ich sage, Inklusion geht der Explosion logisch voraus. Man wird beispielsweise in einem Mutterleib geboren und wird zuerst einmal in ein Mutter-Kind-System inkludiert und jetzt ist die Frage: Wie gehen diese verschiedenen Sozialsysteme, Familie, Bildungs-und Erziehungssystem, Schulen, Wirtschaft und Gesundheitswesen mit dem Wunsch der Leute um, Inklusionsverhältnisse zu ändern, mehr humaner vielleicht mit Blick auf die Befriedigung von bestimmten Bedürfnissen zu gestalten oder sogar auch die jeweilige Form der Einbindung in die Gesellschaft radikal zu verändern im Sinne von Drop out? Derjenige, der beispielsweise in der Fußgängerzone sein Leben fristet, so wie wir es sehen würden, der hat sich dafür entschieden, dass diese Inklusionserwartungen und Zumutungen... dass er sich diesen nicht stellen möchte und hat vorübergehend oder auch langzeitlich für sich entschieden. "Solange mir nichts Besseres geboten wird, solange ich von nichts Besserem höre oder ich kein besseres Angebot bekomme..." Und da entsteht auch so ein Handlungsdruck für Soziale Arbeit, dass Sie hingehen, den Kontakt aufrechterhalten. Solange kommt Inklusion für mich nicht mehr in Frage, beispielsweise für sechs Euro fünfzig sich als Arbeitnehmer jemandem zu überlassen und dann noch die Krankenversicherungs-, Sozialversicherungsbeiträge abziehen zu lassen, sodass man letztendlich real gesehen, aus der Sicht des Individuums, auf einen Stundenlohn von zwei, drei Euro kommt. Würden Sie dann Exklusion als bewusste Entscheidung sehen? Sie sprechen die Menschen, die Obdachlosen in Köln zum Beispiel an, dass es eine bewusste Entscheidung ist, so zu leben, das Leben so zu führen? Auf keinen Fall. Auf keinen Fall. Das ist ja die Schwierigkeit bei diesen Phänomenen, mit denen wir es zu tun haben. Wir dürfen sie nicht verwechseln mit der Wirklichkeit, sondern es geht um den Umgang mit Exklusion und Inklusion und Exklusion kann selbstbestimmt erfolgen, im Sinne von: "Es reicht mir jetzt. Ihre Fragen, die verstehe ich nicht." Oder Sie sagen: "Mit dem Herrn Wirth kann man kein Interview führen", dann wäre das sozusagen aus meiner Sicht eine Fremdexklusion und wir finden in der Inklusions-und Exklusionsform verschiedene Bezüge und verschiedene Perspektiven und darauf kommt es an. Wenn wir beispielsweise mit Exklusion zu tun haben, müssen wir tatsächlich gucken, aus welchem Blickwinkel gucken wir auf dieses Phänomen. Handelt es sich um Ausgrenzung oder handelt es sich um absichtsvolle Nichtteilnahme? Und dann wird es spannend, weil hier entsteht ja ein Möglichkeitsraum. Hier gibt es auch Deutungsspielräume und jetzt können wir mit den Leuten ins Gespräch kommen, während wir vorher dachten: "Es ist ja klar. Es liegt ja auf der Hand. Es muss wohl so gewesen sein", haben wir hier auf einmal einen Deutungsspielraum, den wir dann nutzen können für die psychosoziale Beratung und Unterstützung. Birgt das nicht die Gefahr, dass man eine Idee entwickeln könnte, dass Lebensführung irgendwie im Sinne eines guten Lebens dann vielleicht sogar paternalistisch... ja, dass paternalistisch eingegriffen werden kann? Definitiv. Wenn wir Soziale Arbeit betreiben, unterliegen wir immer dieser Gefahr des Paternalismus. Also den guten Ratschlag zu geben, in weiser Voraussicht und aus Lebenserfahrung heraus, davor muss man sich hüten. Das kann man allerdings nicht ganz abstellen, denn ich finde, es ist gerade genau die Paradoxie unseres Berufes oder aller pädagogischer Professionen, dass sie die Autonomie der Menschen und der Systeme vorübergehend beschneiden. Insofern: "Bitte lassen Sie sich auf unsere Angebote ein, wenn das für Sie okay ist. Später werden Sie dann mehr Autonomie oder Handlungsspielräume gewinnen." Also eine vorübergehende Einschränkung der Autonomie, um später eine höhere Autonomie zu gewinnen. Das kann man sich sehr gut vorstellen beispielsweise bei der Freiwilligenadaptation, bei den suchtkranken Menschen oder Personen, die von Suchtkrankheit betroffen sind. Die werden manchmal entgiftet und dann gehen sie freiwillig auch in stationäre Therapieeinrichtungen und Kliniken und werden dort für einen vorübergehenden Zeitraum von psychoaktiven Substanzen abgeschnitten, aber auch von Kontakten nach draußen. Und das ist eine freiwillige Selbstbescheidung der Möglichkeiten, die man eigentlich hätte, um dann später, nach Bewältigung der Krankheit und den neuen Anschlussmöglichkeiten in die Gesellschaft, davon zu profitieren. Vielleicht nochmal direkt daran angeschlossen: Ihre Theorie bietet ja zunächst einmal keinen normativen Bezugsrahmen und muss es auch nicht, aber Sie schlagen ja selber vor, dass dieser, wenn man so will, auch unerlässlich ist, für die konkrete Soziale Arbeit, die einer normativen Orientierung bedarf. Und sie schlagen da den Ansatz von Martha Nussbaum vor, den Capability Approach. Ist, ich sage mal, eine Theorie über das gute Leben oder das, was ein gutes Leben sein kann oder sollte, nicht immer in der Gefahr, dass durch diesen Bezugsrahmen auch so etwas wie eine Messlatte für individuelle Lebensführung an die Hand gegeben wird und damit eben auch eine normative Gefahr besteht, dass tatsächlich Lebensführung eher auf der individuellen Seite des Misslingens zum Beispiel oder Nichtwollens verortet wird und weniger an den gesellschaftlichen Bedingungen und Verhältnissen von Lebensführung, um die es Ihnen ja insbesondere auch, wenn ich Sie richtig verstanden habe, geht, hier aufzuzeigen, unter welchen gesellschaftlichen Bedingungen überhaupt Lebensführung gedacht werden kann? Also konkret die Frage: Ist das heruntergebrochen auf die Praxis nicht in der Tat noch einmal, durch diese Verbindung, eine Philosophie des guten Lebens, eine besondere Gefahr hier ein Handwerkszeug zu geben, was Sozialarbeitende in die missliche Lage, wie ich finde, versetzt, beurteilen zu müssen, das ist jetzt eine gute Lebensführung und das ist eine schlechte Lebensführung? Da haben Sie recht. Wenn wir uns mit dem Capibility Approach von Nussbaum und von (Senn?) beschäftigen, werden wir feststellen, dass sie sich in einem wesentlichen Merkmalen unterscheiden. (Senn?) hat selber mehrfach darauf hingewiesen, dass er, das wäre auch ein Ausscheidungskriterium, diese zehn Grundfähigkeiten des menschlichen Lebens von Martha Nussbaum so nicht vorgeben würde, die ja auch an der Anthropologie orientiert sind. Das würde ich auch so sehen und würde sagen, mit einer gehörigen Portion von Optimismus, dass wir das in demokratisch organisierten Diskursen, die interdisziplinär sind, die bunt sind, weil sie die Lebenserfahrung der Leute mit hinein nehmen, dass wir das den Mitgliedern der Gesellschaft überlassen, in offenen Diskursen die Maßgaben des Guten oder gelungenen Lebens selbst zu definieren, wobei definieren ja schon fast wieder eine Wissenschaftlichkeit mit hinein bringt, die nicht per se von allen vorgesehen ist. Vielleicht lässt sich das auch gut ergänzen mit dem Hinweis auf die Wahlverwandtschaft von Capibility Approach und Systemtheorie. Wir haben hier ja die Möglichkeit der Unterscheidung zwischen Functionings und Capabilities. Und wenn wir jetzt auf die Fähigkeiten achten, für die die Gesellschaft, also für deren Erzeugung die Gesellschaft mitverantwortlich ist, damit man ein gutes Leben führen kann, dann haben wir doch Instrumente in der Hand, zu überlegen, wie lassen sich symbolisch diskursiv diese Voraussetzungen für ein gutes Leben, diese Grundfähigkeiten, da unterscheiden sich Metakompetenzen und Kompetenzen, hier zu gewährleisten, beispielsweise in der Schule? Man kann zum Beispiel den Unterschied pflegen zwischen Kompetenzen und Metakompetenzen. Wenn jemand nähen kann, Klavier spielen kann, wenn jemand Sport treiben kann, also zum Beispiel Handball oder Basketball, dann sind das Fähigkeiten, die manchmal herausragend sind, manchmal zu besonderen Karriereverläufen oder Lebensführung führen, aber die Metakompetenz kommt dann ins Spiel, wenn wir uns in bestimmten Situationen des Lebens fragen: Über welche Bandbreite an verschiedenen Fähigkeiten verfügen wir? Und das ist für mich eine konstruktive, diskursive Geschichte, dass wir also zum Beispiel unsere Adressaten fragen können: Über welche Fähigkeiten verfügen die einzelnen Familienmitglieder? Wenn wir über Fähigkeiten sprechen, erzeugen wir Fähigkeiten. Das ist ein bisschen angelehnt an eine bekannte Psychotherapie, die sagt, wenn wir über Lösungen sprechen, dann erzeugen wir Lösungen; wenn wir über Probleme sprechen, dann erzeugen wir Probleme; wenn wir über Fähigkeiten sprechen, erzeugen wir Fähigkeiten. Und es gibt wahrscheinlich, aus meiner Sicht, keine leichtere Form von Erzeugung von Fähigkeiten, die natürlich in der einen oder anderen Form empirisch gedeckt sind. Man kann sich selber für ein Genie halten im Schach spielen, aber wenn man ständig verliert, dann passt das irgendwie nicht zusammen. Aber ich finde es wichtig, dass wir über Ressourcen sprechen, wir sprechen über Fähigkeiten, wir sprechen auch über Functionings, also das Funktionieren der aktuellen Lebensführung und wir sprechen, letztendlich auch mit der postmodernen sozialen Arbeit von Heiko Kleve, über die Achtung und den Respekt vor Diversität und Vielfalt. Denn mir scheint es so: Um so weniger Theorien wir zur Verfügung haben, umso weniger Möglichkeiten haben wir, verschiedene Lebensformen zu beobachten und auf eine bestimmte Zielsetzungen hin zu beschreiben. Und das dürfen wir, wie ich finde, eigentlich gar nicht erst zulassen. Deswegen ist die Vielfalt der Theorien der Sozialen Arbeit kein Ausdruck von Unwissenschaftlichkeit, sondern von einer Reife, die ihrem Gegenstand gerecht wird. Sie haben ja die Postmoderne jetzt angesprochen und auch nochmal Heiko Kleve mit der postmodernen Sozialen Arbeit und wenn Sie die Theoriebildung in den nächsten Jahren sich anschauen: Welche besonderen Herausforderungen sehen Sie für die Theoriebildung Sozialer Arbeit in den nächsten Jahren? Für mich wäre erst einmal wichtig, den Unterschied zwischen empirischer und theoretischer Forschung weiter zu pflegen, denn oft haben wir aus verschiedenen Gründen die Einengung von Forschung auf empirische Forschung. Das leuchtet mir nicht ein. In jedem empirischen Forschungshandbuch steht in den ersten Zeilen, auf den ersten Seiten, dass dieses Handbuch nicht geeignet ist ohne theoretische Vorkenntnisse, beziehungsweise, dass einer Sozialforschung immer auch theoretische Forschung vorausgehen sollte. Das liegt ja auch an den Kategorien, die in der empirischen Sozialforschung verwendet werden und da braucht man auch ein theoretisches Wissen. Im Übrigen braucht man auch überhaupt ein Wissen über die Zielsetzung der Forschung, die man da betreiben will, und die Rahmenbedingungen, auch die Ethik der Forschung. Andererseits ist es so, dass die theoretischen Herausforderungen darin liegen, die Binnendifferenzierung weiter zu erhöhen. Das heißt, mit einem durchaus auch komplexen Geflecht von Beschreibungen, Erklärungen und Bewertungen zu versuchen, die sich uns bieten, aber auch in uns erzeugte Komplexität der von uns wahrgenommenen Wirklichkeit, annähernd, das wäre eine Sache, die vielleicht gar nicht alle teilen, aber doch auf eine bestimmte brauchbare instruktive Weise zu beschreiben, sodass wir hier dann auch tatsächlich auf der Handlungsebene die Wirklichkeit so gestalten können, wie es die jeweils Beteiligten und Betroffenen für richtig halten. Dann haben wir in dem Bereich der Handlungsfelder die Herausforderung, dass neue, auch zahlenmäßig anwachsende Handlungsfelder dazugekommen sind und die Arbeit mit ImmigrantInnen und ihren Familien ist etwas, was theoretisch und methodisch ausgerüstet, ausgestattet werden sollte. Da gibt es noch, wie ich finde, zu wenig Instrumente. Da wird sehr oft auf interkulturelle Kompetenz abgehoben. Dann schauen wir da rein und dann finde ich persönlich, dass es dort zu wenig Verfahren gibt für die unmittelbare Anwendung im Träger, in der ambulanten psychosozialen Hilfe oder in der Begleitung; dass wir hier zum Beispiel die Möglichkeit haben, anhand der unterschiedlichen kulturellen Deutungsrahmen fruchtbarer Unterschiede zu erzeugen, die dann auch einen Perspektivenwechsel zur Folge haben, sodass man sich hier wechselseitig bereichert. Dann haben wir im Bereich der Kindertagesstättenbetreuung auch einen Bedarf an sozialpädagogischen Theorien. Da können wir, wenn wir an der gewissen Einigkeit der verschiedenen Professionen interessiert sind, auch darauf schauen, dass wir frühkind-oder elementarpädagogische Theorien mit sozialarbeiterischen Theorien und sozialpädagogischen Theorien in eine gewisse Kongruenz und ein Ergänzungsverhältnis bringen und in der Schule bezogene Soziale Arbeit und in dem gesamten Bereich der Inklusionsassistenzen, wie man so gerne sagt, um eine Vielfalt von Unterstützungsformen im Schulbereich zu erfassen. Aus dem unmittelbaren Kontakt mit der Praxis und aus Praxisberatung und Supervision scheint es mir so, dass hier einerseits natürlich konkrete Arbeitspfadbeschreibungen fehlen, das ist eine minimalistische Theoriearbeit für die Träger selber und dass hier auch ein größerer Rahmen fehlt, wie sich beispielsweise das Trippelmandat in der Schule zwischen Elternschaft, eigenen KlientInnen oder anvertrauten Personen, den Klassenkameraden, den Lehrern, auf produktive Weise entfalten lässt und was da für Risiken und Gefahren bestehen. Das ist eine theoretische Herausforderung, die erst einmal auch im Sinne der klassischen Reflektionstheorie so erfolgen kann, ohne dass man hier gleich Forschungsaufgaben formuliert. Denn wie gesagt: Erst sollten wir versuchen, die Phänomene tatsächlich differenziert zu beschreiben, zu erklären und zu bewerten und dann können wir überlegen, was genau wollen wir empirisch erforschen. Wenn Sie das aber auf die Profession beziehen, die Profession Sozialer Arbeit und die Theorie jetzt beschrieben und bezogen auf die Profession: Was würde sich denn da an Anforderungen, Herausforderungen anschließen? In Bezug auf die Profession? Ich fand, dass die Ausführungen doch recht auf die Profession bezogen waren. Deswegen hätte ich jetzt gesagt, Sie fragen nach der Disziplin? Nee, ich frage nach der Profession. Mir geht es um die Praxis auch. Sie haben die theoretische Argumentation ja gebracht und sagten ja, dass das dann in den Handlungsfeldern durchaus Auswirkungen haben wird. Wenn ich mir die nächsten Jahre anschaue, auch Ihre Beiträge zum Beispiel auf Twitter, wenn Sie das Thema Wirkungsorientierung zumindest auch anreißen: Sie haben ja diesen Artikel, diesen sehr interessanten, aus dem Guardian zitiert, wo es darum geht, dass die Soziale Arbeit derzeit boomt und gleichzeitig, weil sie eben es bewiesen hat, dass sie funktioniert, dass es wirkt, dann stellen sich schon die Fragen: Was bedeutet das für die Profession, wenn Sie das mit aufnehmen in die Wirkungsorientierung und dergleichen? Ja, das ist ein interessanter Ansatzpunkt, um verschiedene Wissensformen zu thematisieren. Ich glaube nicht, dass wir auf empirische Ergebnisse zur Wirkung und zu den Ergebnissen des sozialpädagogischen Handelns verzichten können. Ich bin allerdings der Meinung, dass das kein trojanisches Pferd sein kann für einen allzu strategisch mechanistisch gedachten Umbau des aktuellen Sozial-oder Wohlfahrtsstaates. Ich möchte mich da nicht streiten, aber es darf nicht dazu führen, dass Grundrechte oder Zugangsmöglichkeiten zu der Wahrnehmung von Grundrechten unter der Hand beschnitten werden. Deswegen sage ich: Ja, im Sinne von Vielfalt, wir brauchen empirisches, auch kritisch rationalistisch gewonnenes Wissen, beispielsweise wenn es um größere Regionen oder auch Bereiche geht, die Einzelfall unabhängig zu untersuchen sind, aber wir sollten unbedingt aufpassen, dass wir auch das Lebenswissen der Leute in unserer Übersicht über Wirkungsorientierung auch mit dabei haben. Das heißt letztendlich auch, dass wir überhaupt diese Forschung, die dort stattfinden soll, sozialpädagogisch gar nicht anders denken können, als unter aktiver Partizipation und Beteiligung der davon Betroffenen oder auch davon Profitierenden oder wo halt die Verbesserung der Lebensumstände abgezielt wird. Da sollten die Betroffenen auch mit ins Boot geholt werden. Das erscheint mir sehr wichtig. Wenn also bestimmte Kriterien an Wirkungsforschung gelegt werden, wie zum Beispiel transparente, dialogische, partizipative Forschung, dann könnten sich vielleicht auch viele Sozialarbeiter und Sozialpädagogen, die ähnlich denken, dafür noch mehr öffnen. Okay. Vielleicht daran anschließend auch noch einmal das Thema Herausforderungen. Auch Sie setzen sich bezüglich der Ausstattung und Bezahlung der Sozialen Arbeit intensiv ein und äußern sich da auch immer wieder. Wie würden Sie aktuell die Situation bewerten, wie Sozialarbeiter, Sozialarbeiterinnen in Deutschland bezahlt werden? Vor allen Dingen vielleicht, weil Sie die Situation in Berlin ganz gut kennen. Sie können es auch auf Deutschland beziehen, wie Sie dort die Situation beurteilen und vielleicht auch die Perspektive. Das ist von außen schwierig zu sagen, wie es in Berlin konkret zugeht. Da haben wir auch oft Informationen aus zweiter, dritter Hand und da gibt es auch manchmal Frustration in der beruflichen Laufbahn. Ich kann aus meiner Erfahrung mit verschiedenen Jugendämtern in der Bundesrepublik Deutschland, also nicht nur auf Berlin bezogen; wir können ja auch nach Bremen schauen, wir können ja nach Niedersachsen schauen oder Nordrhein-Westfalen... Was ich so höre und sehe und von den Kollegen mitbekomme und Kolleginnen mitbekomme ist, dass der Erledigungsdruck immer höher wird, dass der Anteil von Verwaltungshandeln immer größer wird und dass für die eigentlichen sozialpädagogischen Arbeiten immer weniger Zeit bleibt, sodass sich hier an der Stelle natürlich Fehler breitmachen können, die letztendlich auch den Status, den bisher gewonnenen Status der Sozialen Arbeit, auch wenn er manchen niedrig erscheint, wieder in Frage stellen können. Beispielsweise ist der Kinderschutzfall Kevin in Bremen für mich kein Ausweis der mangelnden Ausübung seines Berufes der Case Managerin oder des jeweiligen Case Managers, sondern mir scheint es so, dass der Erledigungsdruck so hoch ist, dass einfach Fehler passieren und es ist nicht mehr so, dass der Erledigungsdruck hoch ist. Ich habe auch den Eindruck, dass die Jugendämter, verschiedene Jugendämter, von oben nach unten durchregiert werden, ohne zu sehr ihre Mitglieder mitzunehmen. Ich habe da manchmal auf den Fluren im Jugendamt, in denen ich tätig bin, den Eindruck: Ja, die Menschen machen oft ihre Arbeit mit sehr großen Anstrengungen, auch mit einem gewissen allein gelassen werden, mit Entwicklungen auch mit Einschüben von oben, im Sinne einer lernenden Organisation. Da scheinen mir persönlich private Unternehmen dann oft ein bisschen besser, flexibler, marktfähiger angepasst. Ich habe dann ganz gerne das Bild von privaten Trägern als Sportboote in der sozialen Wirklichkeit, während dann die staatlichen Träger wie das Jugendamt wie so ein Containerschiff mir vorkommt, das mehrere Kilometer braucht um seinen Kurs zu ändern, wenn überhaupt. Und ich glaube, dass hier gerade auch mit der Theorie der lernenden Organisation, die ist ja eigentlich sehr gut bekannt... Wenn das tatsächlich in den Jugendämtern angewendet werden würde, mit Feedbacksystemen, mit Dokumentationssystemen, mit Möglichkeiten der Mitglieder, sich an der methodischen, theoretischen Weiterentwicklung tatsächlich zu beteiligen und auch in ihrer Arbeitszeit geeignete Settings dafür zu bekommen, dann würde mich das optimistischer stimmen. Vielleicht gestatten Sie noch eine Frage unter dem Stichwort Herausforderungen speziell Ihrers In der Theorielandschaft befassen sich ja nicht nur Sie sondern, auch manch andere Vertreter mit dem Thema Lebensführung. Ich habe jetzt mal im Blick Dieter Röh und auch Peter Sommerfeld, die jeweils für sich nochmal eigene Angebote gemacht haben. Genau genommen haben wir es jetzt mit drei Angeboten in der Theoriebildung zu tun. Sehen Sie da auch eine Herausforderung? Gibt es da einen Diskurs untereinander? Dass diese Theorieansätze möglicherweise auch ins Gespräch kommen oder läuft das aus Ihrer Wahrnehmung eher separat und mit wenig Interesse an dem, was der andere tut? Ja, ich denke, dass ist den Rahmenbedingungen geschuldet. Bei mir persönlich besteht ein großes Interesse sich auszutauschen. Deswegen bin ich auch solchen Szenarien wie hier sehr dankbar und halte das für einen Schritt in die brauchbare Richtung. Ich glaube, dass der Austausch zwischen den Theoriebildungen zu kurz kommt. Wir sollten uns wechselseitig bereichern und nicht nur, was durchaus auch wichtig ist, uns kritisch beäugen oder die Theorien in Frage stellen. Ich würde ganz gerne an solchen Diskursen noch mehr teilnehmen wollen und gehe aber auch davon aus, dass die VertreterInnen der anderen Modelle oder Theorien daran interessiert sind und aus verschiedenen Gründen jetzt noch daran gehindert werden. Ich gehe davon aus, sie hätten vielleicht ja sonst die Möglichkeiten, das umzusetzen, so wie Sie auch Möglichkeiten für sich gewonnen haben, solche Video-Interviews zu machen. Eingeladen haben wir sie alle, die genannten Namen. Sie werden noch kommen. So gesehen entsteht da vielleicht eine Möglichkeit, auch gemeinsam diesen Diskurs zum Thema Lebensführung wachzuhalten, zumindest in unseren bescheidenen Möglichkeitensräumen. Wir haben uns gedacht, dass es doch mal eine interessante Frage wäre, zu schauen, warum es eine gute Idee ist, Soziale Arbeit zu studieren aus Ihrer Sicht. Für mich war es immer die beste Idee, seit ich Sozialarbeit studiere, einfach aus dem Grund heraus, dass es kaum einen anderen Beruf gibt, in dem man so unmittelbar mit Menschen zusammenarbeiten kann, insofern, dass man mit ihnen Erfolge feiern kann, aber auch Dinge hinnehmen muss, die aus verschiedenen Gründen einfach derzeit nicht veränderbar sind. Das schafft Situationen der Mitmenschlichkeit, der Solidarisierung, auch manchmal der Distanzierung und für mich als Erstberuf ausgebildeter Kfz-Mechaniker habe ich einen schönen Vergleich zu handwerklichen Berufen. Das sind sicherlich verschiedene Welten und diese Buntheit der Lebensformen und der menschlichen Daseinsweisen, das hat mich immer fasziniert. Wenn Sie einen Tipp für Studierende im ersten Semester abgeben dürften, welcher Tipp wäre das? Ja, ich kann mir vorstellen aus meiner Erfahrung, dass etwa Herausforderungen entstehen in der Auseinandersetzung mit der Theoriebildung und kann das auch verstehen, wenn ich manchmal auch eigene Texte lese. Insofern geht es tatsächlich für die TheoretikerInnen oder für die theoretisch vorstehenden Kolleginnen und Kollegen darum, vielleicht auf zweifacher Weise zu publizieren: einerseits im wissenschaftlichen Stil und andererseits auch in einem leichteren alltagsgebräuchlichen Stil, weil ich denke wir brauchen mindestens sowieso zwei Sprachspiele; also einerseits ein wissenschaftliches Sprachspiel und dann brauchen wir auch das Sprachspiel, mit dem wir uns in den Kontakt mit den Klienten und mit den Adressatengruppen bewegen. Und dann wäre meine Empfehlung zu sagen: Wer aufgibt hat schon verloren. Also kämpft Euch da durch. Ich kann das auch ein bisschen metaphorisch darstellen mit einer Reise nach China. Wenn man jetzt vorher noch kein Mandarin oder Chinesisch in den verschiedenen Dialekten gesprochen hat, dann wird man wahrscheinlich nach zwei Wochen sagen: "Das lerne ich nie." Aber es gibt Leute, die das schaffen. Und wenn Sie dazugehören möchten, dann lernen Sie weiter. Es ist tatsächlich das Erlernen einer neuen Sprache mit neuen Vokabeln, mit neuen Zusammenhängen. Und dann gibt es neue Straßen, die man dort besichtigen kann, neue Gassen und Häuser. Und das könnte durchaus auch spannend sein. Ich habe es für mich als Persönlichkeit als sehr, sehr bereichernd erlebt, mich mit bestimmten Theorien auseinanderzusetzen. Also wenn man jetzt beispielsweise die Bedürfnistheorie sieht, da kann man sehr viel über die Bedürfnisse von Menschen, die sind ja sehr vielgestaltig, im Prinzip lernen oder wenn man sich mit der Soziologie beschäftigt oder mit der Lebensbewältigung von Lother Böhnisch. Wenn man offen und neugierig dahin geht, kann man für sich sehr viel mitnehmen. Also nicht gleich aufgeben. Kämpfen Sie weiter. Es lohnt sich. Und was empfehlen Sie Studenten und Studentinnen, die am Ende des Studiums stehen, also kurz vor dem Praxiseintritt? Es gibt zwei Empfehlungen. Als männlicher Student, sage ich mal: Schauen Sie sich rechtzeitig um, so eine gute Gelegenheit, um eine Familie zu gründen, gibt es nicht. Bei mir war es jedenfalls so. Und für die allgemeine Laufbahn, denke ich: Es ist vielleicht ganz hilfreich, nicht so sehr auf die Handlungsfelder zu schauen, sondern eher auf die damit verbundenen Kompetenzen, sodass man hier die Kompetenzansprüche aus den Handlungsfeldern in einem Spannungsverhältnis mit den eigenen bisher gewonnenen persönlichen Kompetenzen bringen kann. Wenn man hier eine hohe Passung zu haben glaubt, dann könnte man sich, wie ich finde, recht erfolgreich auf bestimmte Sachen, bestimmte Handlungsfelder, Arbeitsplätze, Aufgaben im privaten oder im staatlichen Bereich, in der Kinder-und Jugendhilfe oder als Streetworker, konzentrieren. Da gibt es so interessante Arbeitsplätze. Ich will jetzt keine Werbung machen, aber es ist so. Wenn Sie ein Buch empfehlen dürften, nur ein Buch, das alle Sozialarbeiterinnen gelesen haben sollten, welches wäre das? Das ist sehr schwer. Ich habe erst vor einigen Monaten mit großem Genuss gelesen: Jane Addams. Jane Addams ist eine Vertreterin der Community Bewegung oder des Settlements und da sind ja auch autobiografische Aspekte mit dabei. Da ist sie mit ihrem Vater übers Land gefahren, das ist noch in altdeutscher Schrift, und dann schildert sie relativ klein, wie sie mit anderen sich solidarisiert hat und dort in Chicago etwas verändert hat oder auch in anderen Städten natürlich und auch schwerwiegende Probleme hatte bei der Durchführung ihrer Zielsetzung, andererseits immer stark beseelt war, dann auch Gönner gefunden hat oder auch Akteure aus der Gesellschaft, die sie unterstützt haben. Diesen Optimismus mitzunehmen... Es gibt sehr, sehr viele... Sozialarbeit ist ja eigentlich Bottom up, also eine Graswurzelbewegung, wenn wir so wollen, jedenfalls im Ausgang des 19. Jahrhunderts. Da können wir uns eigentlich ein Beispiel nehmen und sagen: "Ich schaue da mal rein." Es ist nicht so leicht zu bekommen, das Buch, aber schaut mal rein. Das war auch schon vor hundertzwanzig Jahren knifflig und aber auch persönlich sehr zufriedenstellend für die Leute. Dann bleibt es an mir, mich zu bedanken. Vielen Dank, dass Sie sich Zeit genommen haben, dass Sie hergekommen sind und unseren Fragen Rede und Antwort gestanden haben und wir freuen uns auf die weitere Diskussion und dass wir das in absehbarer Zeit vielleicht auch mit den anderen KollegInnen zusammendenken können und wiederholen können. Vielen Dank.