Jan Volker Wirth
Theorien der Sozialen Arbeit
15.10.2021 58 min Staffel 1 Episode 18
Zusammenfassung & Show Notes
Jan Volker Wirth (*1967) nach seinem Diplom der Soziale Arbeit an der Alice Salomon Hochschule Berlin studierte Wirth Soziologie im Postgraduierten-Studium an der Freien Universität Berlin und an der Pädagogischen Hochschule Freiburg. Im Jahr 2013 wurde er dort zum Dr. phil. im Fach Soziologie mit dem Thema Lebensführung als Systemproblem. Entwurf einer Theorie der Lebensführung promoviert. Wirth hat zahlreiche Veröffentlichungen zur systemischen Sozialen Arbeit verfasst und u.a. zusammen mit Heiko Kleve ein Lexikon zur systemischen Praxis, Methodik und Theorie herausgegeben. Ebenso mit Kleve arbeitet er an einer professionstheoretischen Begründung einer transdisziplinären Sozialarbeitswissenschaft.
Transkript
Ja, Herr Wirth, wenn sie sich selbst
mit drei Worten beschreiben
sollten, welche drei
Worte wären das?
offen und sensitiv mit
einem sensiblen Blick für
Ungerechtigkeiten.
Und gibt es so etwas wie eine Lebensphilosophie
oder was wäre Ihre
Lebensphilosophie, wenn sie
diese Frage beantworten?
Es gibt nichts, was man nicht auch
von einer anderen Seite aus
betrachten kann.
Und vielleicht auch noch
dazu ergänzend:
In jeder Lebenssituation
stecken auch
Chancen. Es ist auch für
Sozialarbeiterinnen und
Sozialpädagogen sehr interessant: Man
kann aus jeder Lebenssituation
auch etwas Positives gewinnen, es
fällt uns allerdings in der
Regel schwer, wenn wir Probleme belastet
sind, das zu erkennen und
dann braucht man vielleicht psychosoziale
Unterstützung,
vielleicht sogar theoretische
Unterstützung.
Was ist der beste Ratschlag, den
Sie bisher bekommen haben?
Ja, das ist noch gar nicht so lange
her, dass ich diesen Ratschlag
erhalten habe. Er lautet:
"Zweifel an allem,
was als unbezweifelbar gehalten
wird", und befasst sich mit den
Selbstverständlichkeiten
der anderen,
die damit einhergehen "und
befrage sie auf ihre Selbstverständlichkeit
nochmal".
Und wenn wir zur Sozialen
Arbeit kommen:
Gibt es ein Vorbild für Sie
in der Sozialen Arbeit?
Als Person?
Ja.
Nein, das nicht. Also ich
habe bisher in meiner
beruflichen Laufbahn immer sehr
eigentlich auch von allen
Theorien und VertreterInnen
mich bereichert gefühlt,
angeregt gefühlt und es ist schwer,
hier jemanden herauszuheben,
weil sie sich ja wechselseitig
sozusagen bereichern.
In ihrer jeweiligen
Originalität und Kreativität,
aber auch in ihrer
empirischen Überprüfbarkeit, haben
sie alle ihre Stärken und Vorzüge
Wenn Sind
sie keine Person benennen müssten,
gibt es da Vorbilder?
Von den Theorien her?
Ja.
Okay. Warum interessiert Sie
sich für Soziale Arbeit?
Ja, das ist natürlich schon
eine persönliche
Frage. Ich bin zur Sozialen
Arbeit gekommen,
weil ich mich schon immer für soziale
Probleme und Probleme der
Lebensführung interessiert habe.
Ich habe mich gefragt:
Wie kann es beispielsweise sein,
dass es in einer bestimmten
Gesellschaft wie der DDR oder der
Bundesrepublik Deutschland,
zu bestimmten Phänomenen kommt.
Jetzt in der Bundesrepublik
Deutschland gibt es strukturelle,
aber auch massive Probleme
der Lebensführung.
Irgendwo hat das mit Neugier auf
die Gesellschaft zu tun,
aber auch mit einem Gefühl für Ungerechtigkeiten
sich zu fragen:
Wie kann das sein, dass eine auf
den ersten Blick wirtschaftlich
erfolgreiche oder auch sehr
produktive Gesellschaft,
wie man jedenfalls in den
Medien nachlesen kann...
Wie kommt es dazu, dass
hier Menschen keinen
Wohnraum haben, kein Obdach haben?
Dass sie mit ihrer Lebenslage scheinbar
nicht anders fertig
zu werden glauben,
als dass sie sich zudröhnen
mit psychoaktiven
Substanzen? Das sind Dinge,
die mich bewegt haben.
Man sieht die Menschen
ja leiden, man sieht,
man hört davon, dass sie sterben.
Das sind Dinge,
die mich bewegt haben von Anfang
an, auch in der Praxis.
Wenn ich an meine Zeit auf
dem Sozialamt Lichtenberg
im Bereich der Obdachlosen-,
Wohnungslosenhilfe denke,
da waren mit, muss ich sagen,
die unmittelbaren bewegendsten Momente,
an der Kleiderkammer zu
sein und jemandem eine Jacke
zu geben im Oktober.
Einfach nur eine Jacke. Braucht
man jetzt nicht
unbedingt sehr viel Theoriebildung
dazu, sondern Empathie ist,
glaube ich, da eine wichtige
Sache und ein
Perspektivenwechsel: Wie würde
es mir gehen ohne Jacke.
Aber ja. Das sind so die Dinge,
die mich in die Sozialarbeit gebracht
haben und das Hinterfragen von
diesem Phänomen.
Warum interessieren Sie
sich für die Theorie?
Ja, da würde ich ganz gerne
bei der Kleiderkammer
bleiben. Wenn man jetzt also in die
Lage kommt als Sozialarbeiter im
Bereich der Wohnungslosigkeit
oder Obdachlosigkeit zu
arbeiten, dann kommt man
in diese Situation,
dass man direkt akute unmittelbare
Bedürfnisse
und körperliche Bedürfnisse
decken kann,
will und auch muss aus ethischen
Beweggründen,
die uns ja allen zu eigen
sind. Und dann ist die
Frage: Wie kann es sein dass sich,
vielleicht auch aus einer
bestimmten Lebenslage heraus,
die sich immer wieder so
zeigt,
uns regelmäßig wiederkehrend die
gleichen Personen, sage ich mal,
oder Personen aus den gleichen
Lebensmilieus oder kulturellen Milieus
hier bei uns einfinden und
Nachschubprobleme haben,
ausgegrenzt werden, Probleme haben
bei der Befriedigung ihrer
Bedürfnisse, biopsychosoziale
Bedürfnisse.
Und dann kommt man zur Theorie,
wenn man wissen will:
Wie kann das sein? Wie erkläre ich
mir das? Wie beschreibe ich das?
Das geht noch voraus. Und
wie bewerten wir das
als Team, als Organisation aber
auch als Gesellschaft?
Ja, als einen nächsten Gast
in unserer Interviewreihe
begrüßen wir ganz herzlich
Jan Volker Wirth.
Schönen guten Tag, Herr Wirth.
Bevor wir zu unseren fachlichen
Fragen an Sie kommen,
eine kleine kurze
Vorstellung Ihrer bisherigen
akademischen Laufbahn, wenn
man das so sagen kann.
Sie sind freiberuflicher Dozent und
Sozialarbeitswissenschaftler,
Praxisberater in
Einrichtungen des Sozialwesens.
Sie haben an der
Alice Salomon Hochschule Berlin
ihren Abschluss gemacht als
Diplom-Sozialarbeiter. Im Anschluss
daran haben Sie
Soziologie studiert an der
Freien Universität Berlin
und an der Pädagogischen
Hochschule Freiburg.
Die Promotion erfolgte
im Jahr 2013 im Fach
Soziologie und da eben auch schon
mit dem Thema, zu dem wir heute
auch noch einmal ins
Gespräch kommen:
"Lebensführung als Systemproblem.
Entwurf einer Theorie der
Lebensführung." Das Buch
zeigen wir mal kurz
in die
Kamera. Sie
lehren als Gastprofessor
und Dozent an
zahlreichen Universitäten,
Hochschulen,
Fachhochschulen und Berufsakademien
in Deutschland,
Österreich und auch in Polen.
Dort mit den Schwerpunkten
Wissenschaft,
Theorien und Methoden Sozialer
Arbeit. Zahlreiche Veröffentlichungen,
insbesondere zur systemischen
Sozialen Arbeit und auch zu
Sozialarbeitswissenschaft.
Zur systemischen
vielleicht mal das "Lexikon des
systemischen Arbeitens",
das Sie zusammen mit Heiko Kleve
veröffentlicht
haben. Heiko Kleve,
auch ein Gesprächspartner in
unserer Interviewreihe.
Ebenfalls mit Kleve:
"Die Praxis der Sozialarbeitswissenschaft.
Eine Einführung." Und
sicherlich noch eine
Vielzahl weiterer Publikationen.
Sie sind seit dem Jahr 2015
Habilitand an der Universität
Bielefeld
und der PH Freiburg
und dort
wird Ihr Thema eben auch weiterhin
die Theorie der Lebensführung
Und wie schon erwähnt,
eine Reihe von Publikationen, aber
heute interessiert uns natürlich
besonders Ihr Beitrag "Theorie
der Lebensführung" beziehungsweise
"Die Lebensführung
der Gesellschaft".
Sie haben dazu allgemein einen
Grundriss einer allgemeinen
Theorie vorgelegt
und haben in diesem
Zusammenhang zunächst
einmal sich die
Theoriebildungen, genauer genommen:
die Wissenschaft zur Gegenstandsbeschreibung
der Theoriebildung,
genauer angeschaut und kommen
da zu dem Ergebnis,
dass die vorhandenen
wissenschaftlichen
Gegenstandsbestimmungen, ja,
vielleicht nicht unbedingt
untauglich,
aber doch zumindestens
hinterfragungswürdig
vertreten
die Position,
dass statt der vorhandenen
Gegenstandsbestimmungen die
Lebensführung eine
aussichtsreiche Gegenstandsestimmung
der Theoriebildung
sein kann. Daher
zunächst die Frage: Weshalb haben
Sie sich für Lebensführung
entschieden?
Ja, vielleicht noch ein Hinweis
zur Biographie:
Ich bin seit einiger Zeit an einer
Diploma Hochschule als
Studiendekan für den Masterstudiengang
psychosoziale
Beratung und Sozialarbeit
tätig und bin
in
der Vorbereitung dieser Bildungsmaßnahmen
sehr intensiv
beschäftigt und auch auf Dauer dort
angesiedelt.
Wenn ich an das Studium denke:
Diplomarbeit, Promotion,
Auseinandersetzung mit
Theorieentwicklungen,
Theoriebildung seit Jane Adams,
(unv.), Alice Salomon,
Ilse Arlt in Österreich,
Silvia Staub-Bernasconi,
Hans Thiersch,
Albert Scherr, Bernd
Dewe, Heiko Kleve,
Dieter Röh, Wolf (Ritter?),
da kann man sehen,
dass, wie ich finde, alle
Theorien sich mit einem
Vermittlungsproblem beschäftigen
müssen in
produktiver Weise und zwar mit der
Vermittlung zwischen Gesellschaft
und Individuum.
Wenn ich manche Gegenstandsbezüge
mir
genauer anschaue und schaue,
wie die auf meine pädagogische
Handlungsplanung
einwirken oder diese
beeinflussen,
dann komme ich zu der
Ansicht, dass oft entweder
zu sehr von der
gesellschaftlichen Seite heraus
auf diese Vermittlung oder
auf Probleme geschaut wird. Da
haben wir also konkret die
Formel oder den Gegenstand
der sozialen
Probleme. Das sehe ich dann
sehr stark auf der
gesellschaftlichen Seite verortet.
Und dann haben wir auch
humanistische oder
bedürfnistheoretische Ansätze
wie beispielsweise
bei Ilse Arlt, da ist es eher dann
auf der Seite des Individuums
angesiedelt. Da geht es
um Zumutungen der
Gesellschaft, sicherlich auch um
Befriedigung von Bedürfnissen,
von Erwartungen,
auch um gedeihliches Wachsen
und
Leben in einer bestimmten
pathetischen Form,
wie es mir manchmal scheint. Wenn wir
jetzt analytisch darauf schauen,
auch ein bisschen mit
einer adäquaten
Sozialtheorie bestückt,
dann wird man finden,
dass Menschen ihr Leben zwar selbst
führen wollen, aber es nicht
allein können, sondern,
das hat übrigens auch schon
Pestalozzi festgestellt,
dass sie die Umstände mitgestalten,
unter denen sie leben. Mit
Hilfe ihrer Handlungen
reproduzieren sie sozusagen
den Rahmen mit,
co-produzieren den Rahmen mit, in
dem sie leben und haben damit
aktiv Einfluss. Wenn wir dieses
Vermittlungsverhältnis,
was eben nicht nur ein Problemverhältnis
ist,
sondern auch ein Ermöglichungsverhältnis
ist, genauer betrachten,
dann werden wir sehen, dass Leute
sehr gerne an der Gesellschaft
teilnehmen, auch teilnehmen müssen.
Sie stehen teilweise unter
Inklusionsdruck. Aber
es ist auch so,
dass dieses Verhältnis sehr
oft als restriktiv,
als einengend, ja,
vielleicht sogar als ausgrenzend,
in einer strukturellen, langzeitlichen
Form erlebt wird und hier
scheint mir doch ein zentraler Kontext
für das Entstehen von Problemen
der Lebensführung zu liegen.
Die Differenz vielleicht zu der
Lebensbewältigung.
Also ich erinnere mich an
eine Stelle in ihrer
Argumentation.
Sie sagen, Lebensbewältigung,
ich sage es jetzt mal etwas salopp,
geht schon in die richtige Richtung,
aber im Grunde genommen springt
es zu kurz. Es ist möglicherweise
ein
Konstrukt, was eben zu sehr auf der
Seite von Bewältigungsaufgaben
angesiedelt ist
und wir müssen das,
wenn man so will,
perspektivisch erweitern,
um die Möglichkeiten,
aber auch die Restriktionen von
Lebensführung. Nun sind Sie ja
sehr
stark an Luhmannscher Theoriebildung
auch angelehnt.
Nicht nur, aber auch, insbesondere,
was die Analyse der Gesellschaft
als eine funktional
differenzierte Gesellschaft angeht,
das heißt also eine Gesellschaft, in
der wir eigentlich nur alle mehr
oder weniger unter Systemzwängen
stehen. Aber Sie
wollen ja perspektivisch, glaube ich,
gerade auch die Möglichkeiten
der Lebensführung in den Blick
nehmen. Ist das richtig?
bei der Lebensbewältigung ist
es so, dass ich immer wieder bemerke,
dass ich mit Theorien und
Bildern vorstelle. Ich habe
selber als studierter
Sozialarbeiter oder Sozialpädagoge
Theorien immer
verstanden als Aufgabe, etwas in
der Praxis auf bestimmte Weise
zu tun. Wenn ich jetzt mit
der Lebensbewältigung und
dieser Theorie
(wie eine Theorie brülle?), in
die Wirklichkeit schaue,
wird in mir das Bild von
Sisyphos aufgeworfen.
Also Sisyphos,
der unentwegt und
auch am Rande der Erschöpfung
den Stein immer wieder
hinaufrollt und weiß, dass er, sobald
er ein bisschen nachlässt,
dann wieder runter muss, vielleicht
sogar ganz runtergehen muss,
um ihn erneut hinaufzurollen.
Und das ist mir doch ein
bisschen zu weit weg von der
Wirklichkeit, wie ich sie erlebe.
Die Wirklichkeit bietet Gelegenheiten
und Chancen und es ist
manchmal eine Freude am Leben teilzuhaben
und manchmal eben nicht.
Und diese Metapher des
Sisyphos, der angelehnt
an den immer
wiederkehrenden, drögen,
destruktiven Alltag -
ja, Klammer auf: Hans Thiersch;
Klammer zu - versucht hier
Gestaltungsmöglichkeiten zu entdecken,
das hat mich nicht richtig
inspiriert, weil ich denke,
Lebensbewältigung ist kategorial
der Lebensführung untergeordnet.
Wenn wir tatsächlich daran glauben,
dass Leute aktiv ihr
Leben leben und
Entscheidungen treffen, die sie
später vielleicht zurücknehmen
möchten, aber sie sind
gefallen und wir
können dann mit dieser aktiven
Komponente der
Selbstorganisation und auch
der Selbstführung,
die ist in der Luhmannschen Systemtheorie
auch verankert
als Autopoiesis oder Autonomie
von Systemen,
können wir hier hingehen
und schauen:
Was gibt es für aktive, schöpferische
Elemente in der jetzigen
Lebensführung und was gibt
es für Möglichkeiten,
die gewünscht sind oder ausgelassen
worden sind im
Sinne von rekonstruktiver Arbeit,
aber vor allen Dingen auch
hinsichtlich Veränderungsanliegen?
Worum kann es gehen,
wenn man die jetzige Wirklichkeit verändern
will? Und dann spannt sich
uns eine Ambivalenz auf.
Leute leiden an der
jetzigen Wirklichkeit
oder sie haben,
schöpfen Hoffnung mit
Blick auf Zukünfte,
die noch nicht eingetreten sind
und diese Dauerspannung
können wir nutzen, um
mit den Menschen,
für die Menschen, psychosozial oder
auch auf der Handlungsebene,
sehr gut
zusammenzuarbeiten.
Aber dann wäre ja die Frage zumindest,
weil das könnte man ja auch
Subjekt orientiert denken,
weshalb der Bezug zur Luhmannschen
Sozial-und
Gesellschaftstheorie so zentral
für Ihre Theorie
ist?
Ja. Wenn man sich umschaut
bei den Theorien,
die zur Zeit zur Verfügung stehen
im gesellschaftlichen Bereich,
dann kommt man doch zu
der Ansicht, dass die Luhmannsche Systemtheorie
einen differenzierten
Erkenntnisapparat bietet,
der doch relativ alleine steht.
Das ist so für mich jedenfalls
wahrnehmbar geworden. Wenn ich das
Verhältnis von Individuum und
Gesellschaft thematisieren will, dann
brauche ich auf der einen Seite
ein hinreichend differenziertes
Bild von Gesellschaft.
Mit
dem Verweis auf Systeme,
mit dem Kontrapunkt der
Lebenswelt, ist mir da nicht
hinreichend geholfen. Und dann
brauchen wir auf der
Seite des Individuums, gerade
auch mit Blick auf
biopsychosoziale Menschenbilder,
eine hinreichend auch psychisch
und biologisch differenzierte
Systemtheorie. Und
das bietet in der
Weiterentwicklung der systemkonstruktivistischen
Systemtheorie, also an Luhmann
angelehnt und dann
über Peter Fuchs und andere
und Alber Scherr,
bietet das meiner Meinung nach, ein
sehr reichhaltiges Material,
mit dem man arbeiten kann
und letztendlich zentral
ist, selbstverständlich das Stellglied
zwischen Inklusion und
Exklusion angesiedelt,
denn diese Elemente,
diese Pole, Individuen
mit Bedürfnissen,
Gesellschaft mit Erwartung
und Zumutung,
die werden verschränkt in
einem Stellwerk der
Lebensführung verstanden
als Sinn basiertes
Inklusions und Exklusionsarrangement.
Wir stellen uns das vor,
wie ein Stellwerk, in dem Entscheidungen
getroffen werden,
von denen wir auch nicht immer,
wie bei einem Schweizer Uhrwerk...
Wir wissen nicht ganz genau,
wie alles dort funktioniert,
aber die Uhr tickt
weiter. Und hier kann man
vielleicht mithilfe
Inklusion zu stützen,
Exklusion zu verhindern oder
auch manchmal nur zu verwalten,
ein Bild für die Soziale
Arbeit entwickeln; ein Theoriebild
und ein Geländer, um auch in der
Praxis damit tätig zu werden.
Gerade mit Blick auf diese
Funktion, die ich für sehr wichtig halte,
dass die Theorien die Praxis
nicht nur reflektieren, sondern
auch anmelden sollen.
Ja, es drängt sich die Frage auf,
weshalb sollte eigentlich
bei der Fülle von
Theorieangeboten der
Sozialen Arbeit
die Soziale Arbeit mit
ihrem Theorieansatz
arbeiten? Haben Sie da einen Tipp?
Ja. Im Gegensatz zu anderen
Theorieansätzen steht ja die Theorie
der Lebensführung aufbauend auf
der Sinn-und Kommunikationstheorie
von Niklas
Luhmann und anderen das
Angebot bereit,
Lebensführung als ein Sinnarrangement
zu verstehen
und damit können wir möglicherweise
ergänzend zur doch auch bewährten
Handlungstheorie anderer
Theorien, hier ein
Angebot machen, was darauf abtippt,
dass Leute mit ihren
Handlungen einen Sinn verbinden
und dass dieser Sinn
kommunikativ und psychisch
verfügbar ist und dass
wir hier in einer gewissen Perfektion
der Fragestellung:
Wo holen wir unsere Adressaten
und die damit verbundenen
Systeme ab in der Auftragsklärung
und so weiter?
Die Perfektion der Fragestellung
bietet:
Ja, wie kann ich am besten
dort ankoppeln?
Ja, was macht das für einen Sinn
auf diese Art und Weise so
ihr Leben zu gestalten? Da
steckt immer Sinn drin,
aber was ist das für
eine Hoffnung, die für die Zukunft,
also vielleicht einen Studienplatz
oder andere
Wohnräume, größere Wohnräume
für eine größer wachsende
Familie, solche Dinge, die dann
in die Zukunft hineinragen...
Das sind Dinge,
die wir hermeneutisch oder
systemphänomenologisch,
bewusstseinsphänomenologisch
bearbeiten können oder hier
unterstützen können. Das
erscheint mir doch ein
Fortschritt.
Oft sind abzuheben: Sinn
als Differenz von
Wirklichkeit und Möglichkeit.
Dann werden wir entdecken,
dass auch wir hier heute zu dritt
nicht alle Möglichkeiten
nutzen, die uns von außen
betrachtet gegeben
scheinen. Ja, und dann
entwickelt sich was,
ausgehend vom Sinn.
Könnten Sie vielleicht mal anhand
eines praktischen Beispiels
deutlich machen, worin eigentlich
der besondere Reiz Ihres
Lebensführungsansatzes liegt?
Vielleicht im Gegensatz zum Thema
soziale Probleme oder zu rein
bedürfnistheoretischen Ansätzen
oder auch rein
bewältigungstheoretischen Ansätzen?
Also zunächst geht es
ja vielleicht erst einmal darum,
dass man in der Sozialen Arbeit
daran interessiert ist,
tatsächlich irgendwelche
sozialen Probleme,
die auf individueller Ebene erlebt
werden, in irgendeiner Weise zu
bewältigen oder auch vielleicht zu
lösen oder vielleicht auch daran
mitzuarbeiten, dass
sie gar nicht erst
entstehen. Jetzt kommen
Sie und sagen:
"Ja, aber das springt immer noch
zu kurz." Es geht also
um die individuelle
Sinnkonstruktion und um
Möglichkeitskonstruktionen,
wie ich mein Leben
führe. Können Sie das mal anhand eines
praktischen Beispiels deutlich
machen?
Ja. Also wenn man sich mit dem
Gegenstand sozialer Probleme
auseinandersetzt, stößt man zuerst
im multidisziplinären
Rahmen auf die
Soziologie sozialer Probleme. Da kann
es um ökologische Katastrophen
gehen, Verkehrsstaus,
die die Gesellschaft tatsächlich
behindern,
es geht auch um soziale
Phänomene wie Langzeitarbeitslosigkeit
und Massenarbeitslosigkeit,
aber auch um Krieg und
Revolution teilweise.
Und dort in dieser Theoriebildung
ist eigentlich nicht vorgesehen,
die subjektive Perspektive
einzuspielen. Sie haben allerdings,
wie ich finde zu Recht, gesagt, dass
soziale Probleme bei Individuen
etwas auslösen, das ist aber bei der
Soziologie sozialer Probleme
meiner Ansicht nach so
nicht vorgesehen.
Das wäre eigentlich schon fast
der Ansatz, der in der Silvia
Staub-Bernasconischen Handlungstheorie
so vorgesehen
ist, dass also Individuen an sozialen
Systemen teilnehmen
und hier auch Probleme
bekommen mit der
Bedürfnisbefriedigung. Es würde
also für mich dann so aussehen,
dass man auf diesen Ausdruck
soziale Probleme und individuelles
Erleben nur kommen kann,
wenn man bereits eine gewisse Handlungstheorie
eingesetzt hat.
Und wenn wir jetzt über
Obdachlose in
der Fußgängerzone von Köln mit der
Theoriebrille sozialer Probleme
schauen, dann ist es für mich
so, dass der Fokus auf die
sozialen Probleme dazu
führt, dass wir das als Störung
der gesellschaftlichen
Ordnung thematisieren. Häufig,
das ist der Normalfall.
Mit der Brille der
Lebensführung fragen wir uns
berechtigterweise und
passenderweise für Soziale Arbeit:
Wie erleben Menschen
in der Gesellschaft ihre
Probleme? Wie werden also
Obdachlose in der
Fußgängerzone einerseits wahrgenommen?
Also störend,
okay. Aber was für ein Leben
ist das eigentlich,
was dort gelebt wird? Darüber wissen
wir manchmal viel zu wenig.
Wir setzen etwa voraus,
dass das Leben in der
Obdachlosigkeit oder in der
Fußgängerzone etwas wäre,
was nicht wertgeschätzt
wird. Das habe ich anders
erlebt. Das kann uns auf den ersten
Blick mit unserer normal
bürgerlichen Lebensumgebung
vielleicht so vorkommen,
dass das immer Menschen sind,
die in Not und Elend vielleicht
groß geworden sind und sich entschieden
haben in völliger
Freiheit von dem System
ihr Leben zu
gestalten. Aber auch das
sind individuelle
Entscheidungsspielräume, die
wir respektieren müssen.
Wenn wir also hingehen und sagen:
"Guck mal,
ich mach dir das Angebot,
du kannst heute in eine
Obdachlosenunterkunft gehen
und dich dort duschen und
auch die
Versorgung mit allen möglichen
wahrnehmen,
vielleicht dich auch beraten lassen."
Dann könnte das sein,
dass das ein wertvolles Angebot ist.
Aber es könnte auch abgeschlagen
werden. Es könnte so sein,
dass jemand das vorübergehende
Wohnen in einer Notunterkunft als
Problem ansieht, sodass er
lieber seine vorherige
Lösung wieder zurückhaben
möchte und
das für ihn keine
Option ist.
Gut, jetzt sind Sie aber, wenn ich
Sie richtig verstanden habe,
eher bei der, ja,
wenn man will,
individuellen Lebensführung oder
den Möglichkeitsräumen
individueller Lebensführung. Aber
das leuchtet in gewisser Weise ein,
dass wir eben bei den
Sinnkonstitutionen,
bei den Sinnerzeugungen des jeweiligen
Individuums ansetzen,
was dann aber diesen Ansatz
auch erst mal nicht
weit unterscheidet von
einem Ansatz der
Lebensweltorientierung. Wenn
wir die andere Seite beleuchten,
nämlich die Frage:
Inwieweit kann Soziale
Arbeit denn an den,
ich sage mal, mehr oder
weniger objektiven,
gesellschaftlichen Möglichkeitsräumen
etwas
verändern oder ansetzen?
Also zum Beispiel:
Wie organisieren wir
die Versorgung von
obdachlosen Menschen? Wie muss
das strukturiert und
vernünftig aufgestellt sein?
Kann dann dieser Lebensführungsansatz
auch Auskunft geben
oder bleibt er bei der individuellen
Betrachtung?
Da möchte ich energisch
widersprechen,
wenn ich darf.
Der Sinn ist psychisch, aber vor
allen Dingen auch kommunikativ
konstituiert und wir können uns
schlecht vorstellen, dass
Sinn etwas sehr Individuelles
sein kann. Wir wissen,
dass die Sinnbearbeitung auf der
Unterscheidung, Bezeichnungen
von psychischen Phänomenen
beruht. Diese Bezeichnungen werden
uns aus der Gesellschaft
angeliefert und
wir richten auch unsere Sinnverarbeitungen
eigentlich darauf ein,
dass wir sozial co-produzierte
Bezeichnungen
verwenden, also uns an den Diskursen
der Gesellschaft auf
unsere Weise beteiligen.
Das bedeutet,
dass wir also nicht vom
individuellen Sinn
eigentlich so sprechen können,
so wie das beispielsweise
Subjekttheorien vielleicht versuchen.
Das leuchtet mir nicht ein,
denn die Kopplung zwischen Individuum
und Gesellschaft ist praktisch
immer da. Auch wenn beispielsweise
jemand
allein auf einer Insel
lebt so wie Robinson,
dann ist er dann trotzdem
auch in der
Gesellschaft der anderen, weil
er einerseits aus der
Gesellschaft stammt und diese Vorfahren
und diese Erfahrungen mit
anderen Menschen auch sein jetziges
Leben auf der Insel beeinflussen.
Ich würde also sagen, dass die
Theorie der Lebensführung
an der Stelle genau ansetzt,
dass sie zwar natürlich
weiß, dass es psychische und
soziale Systeme gibt,
aber hier gerade in der Kommunikation
und in der
Interaktion als Kopplungsmedium
zwischen diesen zwei
Systemenarten genau
darauf ihren Fokus
hat.
Lebensführung bezeichnet in Ihrer
Theorie ja in der Tat keinen
individuellen Sachverhalt, sondern
einen sozialen Sachverhalt.
Man
stößt auf einen Begriff der
Hyperinklusion.
Sagen Sie uns kurz: Weshalb
spielt der Begriff der
Hyperinklusion in Ihrer Theorie
eine besondere Rolle?
Beziehungsweise zunächst einmal:
Was ist Hyperinklusion und welche
Bedeutung kommt diesem Begriff
zu? Ich (unv.) ganz gerne
den Verdiener,
mit denen ich zu tun habe, in der
Erledigung ihrer Hausarbeiten,
geht oder gehen sie ergebnisoffen
ran und das
Theorem der Hyperinklusion ist mir
eigentlich begegnet in der Auseinandersetzung
zwischen
Inklusions-und Explosionformen
und im Zuge dieser
Recherchen und dieser
Analysen ist mir
aufgefallen, dass vier verschiedene
Subsysteme der Gesellschaft
bestimmte
zeitlich und sachlich sehr anspruchsvolle
Inklusionsverhältnisse
realisieren
oder auch den Menschen das zumutet,
hier dauerhaft dabei zu
sein. Das ist beispielsweise
die Familie,
das Bildungs-und Erziehungssystem,
das Wirtschaftssystem,
dass man als Arbeitnehmerinnen oder
Arbeitnehmer inkludiert wird,
nolens volens, soll heißen
freiwillig unfreiwillig
und dann am Lebensende in
späteren Lebensphasen,
deswegen auch die Lebensführung der
Gesellschaft, haben wir eine immer
mehr zunehmende Inklusion in das
Gesundheits-und in
das Pflegewesen.
Wenn wir also Hyperinklusion als
eine zeitlich und sachlich in
gewisser Weise überbordende
Inklusionszumutung
bezeichnen wollen, dann können wir
hier an der Stelle auch den
Kontext für das Entstehen von
Problemen der Lebensführung
identifizieren. Denn wenn
beispielsweise diese
jeweilige Inklusionsform
von Individuen nicht
als bereichernd, als wertvoll
für die zukünftige
Lebensführung erlebt wird, dann
gibt es hier ein Drop out
oder es gibt auch den Versuch
drin zu bleiben,
obwohl man eigentlich draußen ist;
man ist innerlich emigriert,
wenn man diese Formel verwenden
will und mir ist
Inklusion erst einmal
naheliegender,
weil ich sage, Inklusion geht der
Explosion logisch voraus.
Man wird beispielsweise in einem
Mutterleib geboren und wird
zuerst einmal in ein Mutter-Kind-System
inkludiert
und jetzt ist die Frage: Wie
gehen diese verschiedenen
Sozialsysteme, Familie,
Bildungs-und Erziehungssystem,
Schulen, Wirtschaft und
Gesundheitswesen mit dem
Wunsch der Leute um,
Inklusionsverhältnisse zu ändern,
mehr humaner vielleicht mit
Blick auf die Befriedigung von
bestimmten Bedürfnissen
zu gestalten
oder sogar auch die jeweilige
Form der Einbindung in die
Gesellschaft radikal zu
verändern im Sinne von
Drop out? Derjenige,
der beispielsweise in
der Fußgängerzone
sein
Leben fristet, so wie
wir es sehen würden,
der hat sich dafür entschieden,
dass diese Inklusionserwartungen
und Zumutungen...
dass er sich diesen nicht stellen möchte
und hat vorübergehend oder
auch langzeitlich für
sich entschieden.
"Solange mir nichts Besseres geboten
wird, solange ich von nichts
Besserem höre oder ich kein besseres
Angebot bekomme..." Und da
entsteht auch so ein Handlungsdruck
für Soziale Arbeit,
dass Sie hingehen, den Kontakt
aufrechterhalten.
Solange kommt Inklusion
für mich nicht mehr in
Frage, beispielsweise
für sechs Euro
fünfzig sich als Arbeitnehmer
jemandem zu überlassen und
dann noch die Krankenversicherungs-,
Sozialversicherungsbeiträge
abziehen zu lassen,
sodass man letztendlich real gesehen,
aus der Sicht des Individuums,
auf einen Stundenlohn von
zwei, drei Euro kommt.
Würden Sie dann Exklusion
als bewusste
Entscheidung sehen?
Sie sprechen die Menschen,
die Obdachlosen in Köln
zum Beispiel an,
dass es eine bewusste Entscheidung
ist, so zu leben, das Leben so zu
führen?
Auf keinen Fall. Auf keinen Fall.
Das ist ja die Schwierigkeit bei
diesen Phänomenen, mit denen wir es
zu tun haben. Wir dürfen sie nicht
verwechseln mit der Wirklichkeit,
sondern es geht um den Umgang
mit Exklusion und Inklusion und
Exklusion kann selbstbestimmt
erfolgen, im Sinne von:
"Es reicht mir jetzt.
Ihre Fragen, die verstehe
ich nicht."
Oder Sie sagen: "Mit dem Herrn
Wirth kann man kein Interview
führen", dann wäre
das sozusagen aus
meiner Sicht eine Fremdexklusion
und wir finden in der
Inklusions-und Exklusionsform verschiedene
Bezüge und verschiedene
Perspektiven und darauf kommt es
an. Wenn wir beispielsweise mit
Exklusion zu tun haben, müssen
wir tatsächlich gucken,
aus welchem Blickwinkel
gucken wir auf dieses
Phänomen. Handelt es sich um Ausgrenzung
oder handelt es sich um
absichtsvolle Nichtteilnahme?
Und dann wird es spannend, weil hier
entsteht ja ein Möglichkeitsraum.
Hier gibt es auch Deutungsspielräume
und jetzt können wir mit den
Leuten ins Gespräch kommen, während
wir vorher dachten:
"Es ist ja klar. Es liegt ja auf der
Hand. Es muss wohl so gewesen
sein", haben wir hier
auf einmal einen
Deutungsspielraum, den wir dann nutzen
können für die psychosoziale
Beratung und
Unterstützung.
Birgt das nicht die Gefahr, dass man
eine Idee entwickeln könnte,
dass Lebensführung irgendwie
im Sinne eines guten
Lebens dann vielleicht sogar
paternalistisch...
ja, dass paternalistisch
eingegriffen werden
kann?
Definitiv. Wenn wir Soziale Arbeit
betreiben, unterliegen wir
immer dieser Gefahr des
Paternalismus. Also den
guten Ratschlag zu geben,
in weiser Voraussicht und aus
Lebenserfahrung heraus,
davor muss man sich hüten.
Das kann man allerdings nicht ganz
abstellen, denn ich finde,
es ist gerade genau die Paradoxie
unseres Berufes oder aller
pädagogischer Professionen, dass sie
die Autonomie der Menschen und
der Systeme vorübergehend
beschneiden.
Insofern: "Bitte lassen
Sie sich auf unsere
Angebote ein, wenn das
für Sie okay ist.
Später werden Sie dann mehr Autonomie
oder Handlungsspielräume
gewinnen." Also eine vorübergehende
Einschränkung der
Autonomie, um später eine höhere
Autonomie zu gewinnen.
Das kann man sich sehr gut vorstellen
beispielsweise bei
der
Freiwilligenadaptation,
bei den suchtkranken Menschen
oder Personen,
die von Suchtkrankheit betroffen sind.
Die werden manchmal entgiftet
und dann gehen sie freiwillig
auch in
stationäre Therapieeinrichtungen
und Kliniken und
werden dort für einen vorübergehenden
Zeitraum von
psychoaktiven Substanzen abgeschnitten,
aber auch von Kontakten nach
draußen. Und das ist eine
freiwillige Selbstbescheidung
der Möglichkeiten,
die man eigentlich hätte,
um dann später,
nach Bewältigung der Krankheit
und den neuen
Anschlussmöglichkeiten in die Gesellschaft,
davon zu profitieren.
Vielleicht nochmal direkt daran angeschlossen:
Ihre Theorie bietet ja
zunächst einmal keinen normativen Bezugsrahmen
und muss es auch nicht,
aber Sie schlagen ja selber
vor, dass dieser,
wenn man so will, auch
unerlässlich ist,
für die konkrete Soziale
Arbeit,
die einer normativen Orientierung
bedarf. Und sie schlagen da
den Ansatz von Martha Nussbaum
vor,
den Capability Approach.
Ist, ich sage mal, eine
Theorie über das
gute Leben oder das, was ein
gutes Leben sein kann oder
sollte, nicht immer in der Gefahr,
dass durch diesen Bezugsrahmen auch
so etwas wie eine Messlatte
für individuelle
Lebensführung an die
Hand gegeben wird
und damit eben auch eine normative
Gefahr besteht,
dass tatsächlich Lebensführung
eher auf der individuellen
Seite des Misslingens
zum Beispiel oder
Nichtwollens verortet wird
und weniger an den
gesellschaftlichen Bedingungen
und Verhältnissen
von Lebensführung, um die es
Ihnen ja insbesondere auch,
wenn ich Sie richtig verstanden
habe, geht, hier aufzuzeigen,
unter welchen gesellschaftlichen Bedingungen
überhaupt Lebensführung
gedacht werden kann? Also
konkret die Frage:
Ist das heruntergebrochen auf die Praxis
nicht in der Tat noch einmal,
durch diese Verbindung,
eine Philosophie des guten
Lebens, eine besondere
Gefahr hier ein
Handwerkszeug zu geben,
was Sozialarbeitende in die
missliche Lage, wie ich
finde, versetzt,
beurteilen zu müssen, das ist jetzt
eine gute Lebensführung und
das ist eine schlechte
Lebensführung?
Da haben Sie recht. Wenn wir uns
mit dem Capibility Approach von
Nussbaum und von (Senn?) beschäftigen,
werden wir feststellen,
dass sie sich in einem wesentlichen
Merkmalen
unterscheiden. (Senn?) hat selber
mehrfach darauf hingewiesen,
dass er, das wäre auch ein
Ausscheidungskriterium,
diese zehn
Grundfähigkeiten des menschlichen Lebens
von Martha Nussbaum so nicht
vorgeben würde, die ja auch
an der Anthropologie
orientiert sind. Das würde ich
auch so sehen und würde
sagen, mit einer gehörigen
Portion von Optimismus,
dass wir das in demokratisch
organisierten Diskursen,
die interdisziplinär sind,
die bunt sind,
weil sie die Lebenserfahrung der
Leute mit hinein nehmen,
dass wir das den Mitgliedern der
Gesellschaft überlassen,
in offenen Diskursen die Maßgaben
des Guten oder gelungenen
Lebens selbst zu
definieren, wobei definieren
ja schon fast wieder eine
Wissenschaftlichkeit mit hinein
bringt, die nicht per se
von allen vorgesehen
ist. Vielleicht lässt
sich das auch gut
ergänzen mit dem Hinweis
auf die Wahlverwandtschaft von Capibility
Approach und Systemtheorie.
Wir haben hier ja die Möglichkeit
der Unterscheidung zwischen
Functionings und Capabilities.
Und wenn wir jetzt
auf die Fähigkeiten achten,
für die die Gesellschaft, also für
deren Erzeugung die Gesellschaft
mitverantwortlich ist, damit man
ein gutes Leben führen kann,
dann haben wir doch Instrumente
in der Hand,
zu überlegen, wie lassen sich
symbolisch diskursiv
diese
Voraussetzungen für ein gutes Leben,
diese Grundfähigkeiten,
da unterscheiden sich Metakompetenzen
und Kompetenzen,
hier zu gewährleisten,
beispielsweise in der Schule?
Man kann zum Beispiel den
Unterschied pflegen zwischen Kompetenzen
und Metakompetenzen.
Wenn jemand nähen kann,
Klavier spielen kann,
wenn jemand Sport treiben kann, also
zum Beispiel Handball oder
Basketball, dann sind
das Fähigkeiten,
die manchmal herausragend sind,
manchmal zu besonderen Karriereverläufen
oder
Lebensführung führen, aber
die
Metakompetenz kommt dann ins Spiel,
wenn wir uns in bestimmten
Situationen des Lebens fragen: Über
welche Bandbreite an verschiedenen
Fähigkeiten verfügen wir? Und
das ist für mich eine
konstruktive, diskursive
Geschichte,
dass wir also zum Beispiel unsere
Adressaten fragen können:
Über welche Fähigkeiten
verfügen die
einzelnen Familienmitglieder? Wenn
wir über Fähigkeiten sprechen,
erzeugen wir Fähigkeiten. Das ist
ein bisschen angelehnt an
eine bekannte Psychotherapie, die
sagt, wenn wir über Lösungen
sprechen, dann erzeugen wir Lösungen;
wenn wir über Probleme sprechen,
dann erzeugen wir Probleme; wenn
wir über Fähigkeiten sprechen,
erzeugen wir Fähigkeiten. Und
es gibt wahrscheinlich,
aus meiner Sicht, keine leichtere
Form von Erzeugung von
Fähigkeiten, die natürlich in der einen
oder anderen Form empirisch
gedeckt sind. Man kann sich selber
für ein Genie halten im Schach
spielen, aber wenn man ständig verliert,
dann passt das irgendwie
nicht zusammen. Aber ich
finde es wichtig,
dass wir über Ressourcen sprechen,
wir sprechen über Fähigkeiten,
wir sprechen auch über
Functionings, also das Funktionieren
der aktuellen Lebensführung und
wir sprechen, letztendlich auch
mit der postmodernen sozialen
Arbeit von Heiko Kleve,
über die Achtung und den
Respekt vor Diversität und Vielfalt.
Denn mir scheint es so:
Um so weniger Theorien wir
zur Verfügung haben,
umso weniger Möglichkeiten
haben wir,
verschiedene Lebensformen
zu beobachten und auf
eine bestimmte Zielsetzungen
hin zu beschreiben.
Und das dürfen wir, wie ich finde, eigentlich
gar nicht erst zulassen.
Deswegen ist die Vielfalt der Theorien
der Sozialen Arbeit kein
Ausdruck von Unwissenschaftlichkeit,
sondern von einer Reife,
die ihrem Gegenstand gerecht wird.
Sie haben ja die Postmoderne
jetzt angesprochen und
auch nochmal Heiko Kleve mit
der postmodernen Sozialen
Arbeit und wenn Sie die Theoriebildung
in den nächsten Jahren
sich anschauen:
Welche besonderen Herausforderungen
sehen
Sie für die Theoriebildung
Sozialer Arbeit in den
nächsten Jahren?
Für mich wäre erst einmal wichtig,
den Unterschied zwischen empirischer
und theoretischer
Forschung weiter zu pflegen,
denn oft haben wir
aus verschiedenen Gründen die
Einengung von Forschung auf
empirische Forschung. Das
leuchtet mir nicht ein.
In jedem empirischen Forschungshandbuch
steht in den
ersten Zeilen, auf den
ersten Seiten,
dass dieses Handbuch nicht geeignet
ist ohne theoretische
Vorkenntnisse, beziehungsweise, dass
einer Sozialforschung immer auch
theoretische Forschung
vorausgehen sollte.
Das liegt ja auch an den Kategorien,
die in der empirischen
Sozialforschung verwendet werden
und da braucht man auch ein
theoretisches Wissen. Im Übrigen braucht
man auch überhaupt ein Wissen
über die Zielsetzung der Forschung,
die man da betreiben will,
und die Rahmenbedingungen,
auch die Ethik der
Forschung. Andererseits ist es so,
dass die theoretischen Herausforderungen
darin liegen,
die Binnendifferenzierung weiter zu
erhöhen. Das heißt, mit einem durchaus
auch komplexen Geflecht von
Beschreibungen, Erklärungen und
Bewertungen zu versuchen,
die sich uns bieten, aber
auch in uns erzeugte
Komplexität der von uns wahrgenommenen
Wirklichkeit,
annähernd, das wäre eine Sache,
die vielleicht gar nicht alle teilen,
aber doch auf eine bestimmte
brauchbare instruktive
Weise zu beschreiben,
sodass wir hier dann
auch tatsächlich
auf der Handlungsebene die
Wirklichkeit so gestalten
können, wie es die jeweils Beteiligten
und Betroffenen für
richtig halten. Dann haben
wir in dem Bereich
der Handlungsfelder die
Herausforderung,
dass neue,
auch zahlenmäßig anwachsende
Handlungsfelder
dazugekommen sind und die Arbeit mit
ImmigrantInnen und ihren Familien
ist etwas, was theoretisch und
methodisch ausgerüstet,
ausgestattet werden sollte. Da
gibt es noch, wie ich finde,
zu wenig Instrumente. Da wird sehr
oft auf interkulturelle Kompetenz
abgehoben. Dann schauen wir da rein
und dann finde ich persönlich,
dass es dort zu wenig Verfahren
gibt für die
unmittelbare Anwendung im Träger,
in der ambulanten psychosozialen
Hilfe oder in der Begleitung;
dass wir hier zum Beispiel
die Möglichkeit haben,
anhand der unterschiedlichen
kulturellen Deutungsrahmen
fruchtbarer Unterschiede
zu erzeugen,
die dann auch einen Perspektivenwechsel
zur Folge haben,
sodass man sich hier wechselseitig
bereichert.
Dann haben wir im Bereich der Kindertagesstättenbetreuung
auch einen
Bedarf an sozialpädagogischen
Theorien.
Da können wir, wenn wir an
der gewissen Einigkeit
der
verschiedenen Professionen
interessiert sind,
auch darauf schauen,
dass wir frühkind-oder
elementarpädagogische Theorien mit
sozialarbeiterischen Theorien und sozialpädagogischen
Theorien in eine
gewisse Kongruenz und ein Ergänzungsverhältnis
bringen und
in der Schule bezogene Soziale Arbeit
und in dem gesamten Bereich der
Inklusionsassistenzen, wie
man so gerne sagt,
um eine Vielfalt von Unterstützungsformen
im Schulbereich zu
erfassen.
Aus dem unmittelbaren Kontakt
mit der Praxis und aus
Praxisberatung und Supervision
scheint es mir so,
dass hier einerseits
natürlich konkrete
Arbeitspfadbeschreibungen fehlen,
das ist eine minimalistische
Theoriearbeit für die Träger selber
und dass hier auch ein
größerer Rahmen fehlt,
wie sich beispielsweise das Trippelmandat
in der Schule zwischen
Elternschaft,
eigenen KlientInnen
oder anvertrauten
Personen, den Klassenkameraden,
den Lehrern,
auf produktive Weise
entfalten lässt
und was da für Risiken und
Gefahren bestehen.
Das ist eine theoretische Herausforderung,
die erst einmal auch im
Sinne der klassischen Reflektionstheorie
so erfolgen kann,
ohne dass man hier gleich
Forschungsaufgaben
formuliert. Denn wie gesagt:
Erst sollten wir versuchen,
die Phänomene tatsächlich
differenziert zu
beschreiben, zu erklären und zu
bewerten und dann können wir
überlegen, was genau wollen
wir empirisch erforschen.
Wenn Sie das aber auf die
Profession beziehen,
die Profession Sozialer Arbeit und
die Theorie jetzt beschrieben und
bezogen auf die Profession:
Was würde sich denn da an
Anforderungen, Herausforderungen
anschließen?
In Bezug auf die Profession?
Ich fand, dass die Ausführungen doch
recht auf die Profession bezogen
waren. Deswegen hätte ich jetzt gesagt,
Sie fragen nach der Disziplin?
Nee, ich frage nach der Profession.
Mir geht es um die
Praxis auch.
Sie haben die theoretische
Argumentation ja gebracht und sagten
ja, dass das dann in den
Handlungsfeldern durchaus
Auswirkungen haben wird.
Wenn ich mir die nächsten Jahre anschaue,
auch Ihre Beiträge zum
Beispiel auf Twitter,
wenn Sie das Thema
Wirkungsorientierung zumindest auch
anreißen: Sie haben ja diesen
Artikel, diesen sehr interessanten,
aus dem Guardian zitiert,
wo es darum geht, dass die Soziale
Arbeit derzeit boomt und
gleichzeitig, weil sie
eben es bewiesen hat,
dass sie funktioniert,
dass es wirkt,
dann stellen sich schon die Fragen:
Was bedeutet das für die
Profession, wenn Sie das mit aufnehmen
in die Wirkungsorientierung und
dergleichen?
Ja, das ist ein interessanter
Ansatzpunkt,
um verschiedene Wissensformen zu
thematisieren. Ich glaube nicht,
dass wir auf empirische
Ergebnisse zur
Wirkung und zu den Ergebnissen des
sozialpädagogischen Handelns verzichten
können. Ich bin allerdings der
Meinung, dass das kein trojanisches
Pferd sein kann für einen
allzu strategisch mechanistisch
gedachten
Umbau des aktuellen
Sozial-oder Wohlfahrtsstaates. Ich
möchte mich da nicht streiten,
aber es darf nicht dazu führen,
dass Grundrechte oder Zugangsmöglichkeiten
zu der
Wahrnehmung von Grundrechten unter
der Hand beschnitten werden.
Deswegen sage ich: Ja, im
Sinne von Vielfalt,
wir brauchen empirisches,
auch kritisch rationalistisch
gewonnenes Wissen,
beispielsweise wenn es um größere
Regionen oder auch
Bereiche geht, die Einzelfall
unabhängig zu
untersuchen sind, aber
wir sollten unbedingt
aufpassen, dass wir auch das
Lebenswissen der Leute
in unserer Übersicht über
Wirkungsorientierung auch mit dabei
haben.
Das heißt letztendlich auch, dass
wir überhaupt diese Forschung,
die dort stattfinden soll,
sozialpädagogisch gar nicht
anders denken können,
als unter aktiver Partizipation
und Beteiligung der davon
Betroffenen oder auch davon
Profitierenden oder wo halt die
Verbesserung der Lebensumstände
abgezielt wird.
Da sollten die Betroffenen auch
mit ins Boot geholt werden.
Das erscheint mir sehr wichtig.
Wenn also bestimmte Kriterien
an Wirkungsforschung
gelegt werden, wie zum Beispiel
transparente,
dialogische, partizipative
Forschung,
dann könnten sich vielleicht
auch viele
Sozialarbeiter und Sozialpädagogen,
die ähnlich denken,
dafür noch mehr öffnen.
Okay. Vielleicht daran anschließend
auch noch einmal das Thema
Herausforderungen. Auch Sie
setzen sich bezüglich der
Ausstattung und Bezahlung der
Sozialen Arbeit intensiv
ein und äußern sich da auch immer
wieder. Wie würden Sie aktuell
die Situation bewerten,
wie Sozialarbeiter,
Sozialarbeiterinnen in
Deutschland bezahlt
werden? Vor allen Dingen vielleicht,
weil Sie die Situation in Berlin
ganz gut kennen. Sie können es auch
auf Deutschland beziehen,
wie Sie dort die Situation beurteilen
und vielleicht auch die
Perspektive.
Das ist von außen schwierig
zu sagen, wie es in Berlin
konkret zugeht. Da haben wir auch
oft Informationen aus zweiter,
dritter Hand und da gibt es auch
manchmal Frustration in
der beruflichen Laufbahn. Ich kann
aus meiner Erfahrung mit
verschiedenen Jugendämtern in der
Bundesrepublik Deutschland,
also nicht nur auf Berlin bezogen;
wir können ja auch nach Bremen
schauen, wir können ja nach
Niedersachsen schauen oder
Nordrhein-Westfalen...
Was ich so höre und
sehe und von den Kollegen mitbekomme
und Kolleginnen mitbekomme
ist, dass der Erledigungsdruck
immer höher
wird, dass der Anteil von Verwaltungshandeln
immer größer
wird und dass für die eigentlichen
sozialpädagogischen Arbeiten
immer weniger Zeit bleibt,
sodass sich hier an
der Stelle natürlich Fehler
breitmachen können,
die letztendlich auch den Status,
den bisher gewonnenen Status
der Sozialen Arbeit, auch wenn
er manchen niedrig erscheint,
wieder in Frage stellen können.
Beispielsweise ist der Kinderschutzfall
Kevin in Bremen für
mich kein Ausweis der mangelnden
Ausübung seines Berufes der
Case Managerin oder des
jeweiligen Case Managers, sondern
mir scheint es so,
dass der Erledigungsdruck so hoch ist,
dass einfach Fehler passieren
und es ist nicht mehr so,
dass der Erledigungsdruck hoch ist.
Ich habe auch den Eindruck,
dass die Jugendämter,
verschiedene Jugendämter, von
oben nach unten durchregiert
werden, ohne zu sehr ihre
Mitglieder mitzunehmen. Ich
habe da manchmal auf
den Fluren im Jugendamt,
in denen ich tätig bin,
den Eindruck: Ja,
die Menschen machen oft
ihre Arbeit mit sehr
großen Anstrengungen, auch
mit einem gewissen allein
gelassen werden,
mit Entwicklungen auch
mit Einschüben von
oben, im Sinne einer lernenden
Organisation.
Da scheinen mir persönlich
private Unternehmen dann
oft ein bisschen besser, flexibler,
marktfähiger angepasst.
Ich habe dann ganz gerne
das Bild von privaten
Trägern als Sportboote
in der sozialen
Wirklichkeit, während dann die
staatlichen Träger wie das
Jugendamt wie so ein
Containerschiff mir
vorkommt, das mehrere Kilometer braucht
um seinen Kurs zu ändern,
wenn überhaupt. Und ich glaube,
dass hier gerade auch
mit der Theorie der
lernenden Organisation, die ist ja
eigentlich sehr gut bekannt...
Wenn das tatsächlich in den Jugendämtern
angewendet werden würde,
mit Feedbacksystemen, mit
Dokumentationssystemen,
mit Möglichkeiten der Mitglieder,
sich an der methodischen,
theoretischen Weiterentwicklung
tatsächlich zu
beteiligen und auch in ihrer Arbeitszeit
geeignete Settings dafür
zu bekommen, dann würde mich
das optimistischer stimmen.
Vielleicht gestatten
Sie noch eine Frage
unter dem Stichwort Herausforderungen
speziell Ihrers
In
der Theorielandschaft befassen sich
ja nicht nur Sie sondern,
auch manch andere Vertreter
mit dem Thema
Lebensführung.
Ich habe jetzt mal im Blick
Dieter Röh und auch Peter
Sommerfeld, die jeweils für
sich nochmal eigene
Angebote gemacht haben.
Genau genommen haben wir es jetzt
mit drei Angeboten in der
Theoriebildung zu tun. Sehen
Sie da auch eine
Herausforderung? Gibt
es da einen Diskurs
untereinander? Dass diese Theorieansätze
möglicherweise auch
ins Gespräch kommen oder läuft das
aus Ihrer Wahrnehmung eher
separat und mit wenig
Interesse an dem,
was der andere tut?
Ja, ich denke, dass ist den Rahmenbedingungen
geschuldet.
Bei mir persönlich besteht ein großes
Interesse sich auszutauschen.
Deswegen bin ich auch solchen Szenarien
wie hier sehr dankbar
und halte das für einen
Schritt in die
brauchbare Richtung. Ich glaube,
dass der Austausch zwischen den
Theoriebildungen zu kurz kommt.
Wir sollten uns wechselseitig
bereichern und nicht nur, was
durchaus auch wichtig ist,
uns kritisch beäugen oder
die Theorien in Frage
stellen. Ich würde ganz gerne an
solchen Diskursen noch mehr
teilnehmen wollen und gehe
aber auch davon aus, dass die
VertreterInnen der anderen
Modelle oder Theorien daran
interessiert sind
und aus verschiedenen
Gründen jetzt noch
daran gehindert werden.
Ich gehe davon aus, sie hätten vielleicht
ja sonst die Möglichkeiten,
das
umzusetzen, so wie Sie auch
Möglichkeiten für sich
gewonnen haben, solche Video-Interviews
zu machen.
Eingeladen haben wir sie alle,
die genannten Namen.
Sie werden noch kommen. So gesehen
entsteht da vielleicht eine
Möglichkeit, auch gemeinsam
diesen Diskurs zum Thema
Lebensführung wachzuhalten, zumindest
in unseren bescheidenen
Möglichkeitensräumen.
Wir haben uns gedacht, dass es doch
mal eine interessante Frage
wäre, zu schauen,
warum es eine gute Idee ist,
Soziale Arbeit zu studieren
aus Ihrer Sicht.
Für mich war es immer
die beste Idee,
seit ich Sozialarbeit studiere,
einfach aus dem Grund heraus,
dass es kaum einen anderen Beruf
gibt, in dem man so unmittelbar
mit Menschen zusammenarbeiten kann,
insofern, dass man mit ihnen
Erfolge feiern kann, aber auch
Dinge hinnehmen muss,
die aus verschiedenen Gründen einfach
derzeit nicht veränderbar
sind. Das schafft Situationen
der Mitmenschlichkeit,
der Solidarisierung, auch manchmal
der Distanzierung und
für mich als Erstberuf
ausgebildeter Kfz-Mechaniker habe
ich einen schönen Vergleich zu
handwerklichen Berufen.
Das sind sicherlich verschiedene
Welten und diese Buntheit
der Lebensformen und der menschlichen
Daseinsweisen,
das hat mich immer fasziniert.
Wenn Sie einen Tipp für Studierende
im ersten Semester
abgeben dürften, welcher
Tipp wäre das?
Ja, ich kann mir vorstellen
aus meiner Erfahrung,
dass etwa
Herausforderungen entstehen in der
Auseinandersetzung mit der
Theoriebildung und kann das auch
verstehen, wenn ich manchmal
auch eigene Texte
lese. Insofern geht
es tatsächlich für
die TheoretikerInnen oder für die
theoretisch vorstehenden Kolleginnen
und Kollegen
darum, vielleicht auf zweifacher
Weise zu publizieren:
einerseits im wissenschaftlichen Stil
und andererseits auch in einem
leichteren alltagsgebräuchlichen
Stil,
weil ich denke wir brauchen
mindestens sowieso
zwei Sprachspiele; also einerseits ein
wissenschaftliches Sprachspiel
und dann brauchen wir auch das Sprachspiel,
mit dem wir uns in den
Kontakt mit den Klienten und mit
den Adressatengruppen bewegen.
Und dann wäre meine Empfehlung
zu sagen:
Wer aufgibt hat schon verloren.
Also kämpft Euch da durch.
Ich kann das auch ein
bisschen metaphorisch darstellen
mit einer Reise nach China.
Wenn man jetzt vorher noch kein Mandarin
oder Chinesisch in den
verschiedenen Dialekten gesprochen
hat, dann wird man wahrscheinlich
nach zwei Wochen sagen:
"Das lerne ich nie."
Aber es gibt Leute,
die das schaffen.
Und wenn Sie dazugehören möchten,
dann lernen Sie weiter.
Es ist tatsächlich das Erlernen
einer neuen Sprache
mit neuen Vokabeln,
mit neuen Zusammenhängen.
Und dann gibt es neue
Straßen, die man dort
besichtigen kann,
neue Gassen und Häuser.
Und das könnte durchaus
auch spannend sein.
Ich habe es für mich
als Persönlichkeit
als sehr,
sehr bereichernd erlebt,
mich mit bestimmten Theorien auseinanderzusetzen.
Also wenn man jetzt
beispielsweise die Bedürfnistheorie
sieht, da kann man sehr viel über
die Bedürfnisse von Menschen, die
sind ja sehr vielgestaltig,
im Prinzip lernen oder
wenn man sich mit der
Soziologie beschäftigt oder mit
der Lebensbewältigung von
Lother Böhnisch.
Wenn man offen und neugierig dahin
geht, kann man für sich
sehr viel mitnehmen. Also
nicht gleich aufgeben.
Kämpfen Sie weiter.
Es lohnt sich.
Und was empfehlen Sie Studenten und
Studentinnen, die am Ende des
Studiums stehen, also kurz
vor dem Praxiseintritt?
Es gibt zwei Empfehlungen.
Als männlicher Student,
sage ich mal: Schauen Sie
sich rechtzeitig um,
so eine gute Gelegenheit, um
eine Familie zu gründen,
gibt es nicht.
Bei mir war es jedenfalls so.
Und für die allgemeine Laufbahn,
denke ich: Es ist vielleicht ganz
hilfreich, nicht so sehr auf die
Handlungsfelder zu schauen, sondern
eher auf die damit verbundenen
Kompetenzen, sodass man hier die
Kompetenzansprüche aus den
Handlungsfeldern in einem
Spannungsverhältnis mit den eigenen
bisher gewonnenen persönlichen
Kompetenzen bringen kann. Wenn
man hier eine hohe Passung
zu haben glaubt, dann könnte
man sich, wie ich finde,
recht erfolgreich auf
bestimmte Sachen,
bestimmte Handlungsfelder,
Arbeitsplätze,
Aufgaben im privaten oder
im staatlichen Bereich,
in der Kinder-und Jugendhilfe oder
als Streetworker, konzentrieren.
Da gibt es so interessante
Arbeitsplätze. Ich will jetzt
keine Werbung machen,
aber es ist so.
Wenn Sie ein Buch empfehlen
dürften, nur ein Buch,
das alle Sozialarbeiterinnen
gelesen haben sollten,
welches wäre das?
Das ist sehr schwer. Ich habe
erst vor einigen Monaten mit
großem Genuss gelesen:
Jane
Addams. Jane Addams ist eine
Vertreterin der Community Bewegung
oder des Settlements und
da sind ja auch autobiografische
Aspekte
mit dabei. Da ist sie mit ihrem
Vater übers Land gefahren,
das ist noch in altdeutscher Schrift,
und dann schildert sie relativ
klein, wie sie mit anderen
sich solidarisiert hat und dort in
Chicago etwas verändert hat oder
auch in anderen Städten
natürlich und auch
schwerwiegende Probleme hatte bei der
Durchführung ihrer Zielsetzung,
andererseits immer stark
beseelt war,
dann auch Gönner gefunden
hat oder auch
Akteure aus der Gesellschaft,
die sie unterstützt haben.
Diesen Optimismus mitzunehmen...
Es gibt sehr,
sehr viele... Sozialarbeit ist
ja eigentlich Bottom up,
also eine Graswurzelbewegung,
wenn wir so wollen,
jedenfalls im Ausgang des 19.
Jahrhunderts. Da können wir uns eigentlich
ein Beispiel nehmen und
sagen: "Ich schaue da mal rein."
Es ist nicht so leicht zu
bekommen, das Buch,
aber schaut mal rein. Das
war auch schon vor
hundertzwanzig Jahren
knifflig und aber auch persönlich
sehr zufriedenstellend
für die Leute.
Dann bleibt es an mir,
mich zu bedanken. Vielen Dank, dass
Sie sich Zeit genommen haben,
dass Sie hergekommen sind und unseren
Fragen Rede und Antwort
gestanden haben und wir
freuen uns auf die
weitere Diskussion und dass
wir das in absehbarer
Zeit vielleicht auch mit den anderen
KollegInnen zusammendenken
können und wiederholen
können. Vielen Dank.