Lothar Böhnisch
Theorien Sozialer Arbeit
15.10.2021 84 min Staffel 1 Episode 2
Zusammenfassung & Show Notes
Lothar Böhnisch (* 1944) studierte von 1963 bis 1965 Geschichte, Volkswirtschaft und Politologie an der Universität Würzburg und von 1965 bis 1969 Soziologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Böhnisch promovierte 1977 (Politische Dimensionen sozialpädagogischer Analyse) an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen bei Hans Thiersch.
Böhnisch geht von dem Ansatz der Alltagsbewältigung (Hans Thiersch) aus und führt ihn als Thema der Lebensbewältigung weiter aus. Böhnisch legte 1992 seine Sozialpädagogik des Kindes- und Jugendalters vor. 1997 erschien sie in einer erweiterten Fassung als Sozialpädagogik der Lebensalter und in 2017 in der 7., überarbeiteten und erweiterten Auflage.
Transkript
Ja, Herr Böhnisch! Welche drei Worte
beschreiben Sie am besten?
Optimistisch, kritisch,
verlässlich.
Was ist Ihre Lebensphilosophie?
Ja, ich meine, das
ist vielleicht...
Da ich Süddeutscher bin,
würde ich sagen:
"Schauen wir mal..." Und
ich fasse vielleicht die ersten
Worte von vorhin zusammen:
Kritischer Optimismus.
Das würde ich so als
meine Lebensphilosophie bezeichnen.
Gibt es so etwas wie einen besten
Ratschlag, den Sie mal bekommen
haben?
Ja. Einen besten Ratschlag...
Man kriegt viele Ratschläge im
Leben. Ich muss gerade mal
nachdenken an mein Leben,
wo mein bester Ratschlag
eigentlich ist. Der beste Ratschlag
stammt wahrscheinlich
für meine Biografie von
Walter Hauenstein, der ist an
sich auch noch bekannt,
der mich fragte vor Jahren,
ob ich nicht Lust hätte,
ins Deutsche Jugendinstitut
zu kommen.
(lacht) Da hat alles begonnen
so richtig mit der
Sozialpädagogik, Sozialarbeit.
Gibt es so etwas wie ein Vorbild
in der Sozialarbeit für Sie?
Ja, eigentlich einen, der in Deutschland
gar nicht so bekannt
ist: Wilfried Gottschalk. Wilfried
Gottschalk ist ja ein...
ist schon gestorben vor fünf -
zehn Jahren; ein
Sozialpädagoge und Soziologe,
der in Berlin und dann später
in Amsterdam gelehrt hat
und sehr stark mich auf
diese Fährte der
psychoanalytisch, sensiblen
Sozialpädagogik gebracht hat.
Vielleicht sollte man zwei
wichtige Bücher von ihm
erwähnen. Das eine ist
die "Soziologie des
Selbst" und das andere, was
ich eigentlich jedem
Sozialarbeiter und jeder
Sozialarbeiterin
empfehle, in den 1980er
Jahren erschienen,
das heißt "Wahrnehmen, Verstehen,
Helfen" und ist eigentlich eine
wunderbare Einführung
sozusagen in innere Strukturen des
sozialpädagogischen Handelns.
Warum interessieren sich eigentlich
für Soziale Arbeit?
Ich habe ja Soziologie studiert und
wollte eigentlich eine Karriere
in der Richtung machen hatte
auch eine Doktorarbeit üb
er Gramsci angefangen
und bin damals,
Anfang der 70er Jahre,
in einen Verein geraten,
der sich mit entlaufenen
Fürsorgezöglingen
beschäftigt hat. Also in 70er
Jahren sind ja in den großen
Städten, auch in Frankfurt, da
hat Mollenhauer viel gemacht,
sind ja viele Fürsorgezöglinge
ausgebrochen aus den Heimen. Man hat
sie in den Großstädten in meist
studentischen Wohngemeinschaften
untergebracht
und dann wurde versucht,
Vereine zu gründen, das zu
legalisieren und sie in
Wohngemeinschaften, was man heute
betreutes Wohnen nennt,
das hieß damals Wohnkollektiv
für Fürsorgezöglinge,
zu stecken. Und da bin
ich dann in diesen
Verein, von der Uni weg und
habe dort auch gearbeitet
und habe dadurch eigentlich
Geschmack an
dieser Praxis des
Umgangs eigentlich mit solchen
Jugendlichen gefunden und
bin
dann eigentlich fast zwangsläufig,
das Deutsche Jugendinstitut hat sich
ja in den siebziger Jahren sehr
stark entwickelt, in dieses
Institut geraten,
weil ich gedacht habe, das kann man
auch wissenschaftlich betreiben.
Aber warum interessieren Sie sich
gerade für die Theorie?
Naja ich bin ja von... Ich bin ja
von der Theorie gekommen und
für mich
ist ein bestimmtes Theorie-Praxis-Verhältnis
wichtig. Also ich kam von
der Theorie,
habe ganz unterschiedliche
Ansätze auch gemacht;
habe damals auch schon so Dinge wie
Etikettierungsansätze und
so weiter festgestellt,
die in der Sozialarbeit
eine Rolle spielen,
wo ich merkte: das kann
ich da anwenden.
Und für mich ist eigentlich
die Theorie immer der
Rahmen,
indem man sozusagen praktische
Prozesse
bewerten kann, indem man
sie gewichten kann,
indem man den Kontext findet,
in den sie zu stellen sind und
die Rückbindung, das sehen Sie
ja auch in meinen Arbeiten,
das ist dann für mich immer wichtig.
Was hat eine Theorie
für Handlungsaufforderungen, ohne
dass es eigentlich eine
Theorie gibt.
Für unsere Wissenschaft,
denke ich, relativ - nicht wertlos,
aber sie hängt in der Luft.
Also das ist auch immer
die Schwierigkeit, die reine
Soziologen mit der Sozialen
Arbeit haben, dass sie den Haken
nicht finden, wo sie
anhaken können.
Als nächsten Gast in unserer Interviewreihe
begrüßen wir ganz
herzlich Lothar Böhnisch.
Herzlich willkommen und ich
denke, bevor wir in unser
gemeinsames Gespräch
kommen, für unsere
Zuschauerinnen und Zuschauer,
mal der Versuch zumindest,
einige biografische, fachbiografische
Eckpunkte zu ihrer
Person zusammenzubringen. Ich
hoffe, es wird nicht zu
lang. Zunächst einmal:
Sie haben Geschichte,
Volkswirtschaft und Politologie
an der Universität
Würzburg studiert und von
1965 bis 1969 anschließend
Soziologie an der
Ludwig-Maximilians-Universität
in München.
Nach ihrem Studienabschluss waren
sie dann zunächst vier Jahre
am Deutschen Jugendinstitut als
wissenschaftlicher Referent
tätig und leiteten danach bis
1981 den Forschungsbereich
Jugendhilfe,
Schrägstrich,
Jugendpolitik. Ihre Promotion
erfolgte dann an der Karls-Universität
Tübingen,
an der Eberhard-Karls-Universität
Tübingen bei Hans Thiersch
zu dem Thema "politische
Dimensionen
sozialpädagogischer Analyse".
1982 erfolgte dann die
Habilitation. Thema: "der
Sozialstaat und seine
Pädagogik. Sozialpolitische
Anleitungen zur Sozialarbeit."
Ab dieser Zeit waren sie dann
in Tübingen zunächst als
Privatdozent und später als
Professor tätig und
wurden auf eine Außenstelle des
Deutschen Jugendinstituts
am Institut für
Erziehungswissenschaft an
der Uni Tübingen tätig
und bauten dort den Arbeitsschwerpunkt
der
Landjugend und Regionalforschung
auf. 1991 erhielten sie dann
einen Lehrstuhl als Gründungsprofessor
für
Sozialpädagogik und Sozialisation
der Lebensalter
an der Erziehungswissenschaftlichen
Fakultät
der
TU.
TU, genau in Dresden.
Dort gründeten sie 1992
das Institut für
regionale Innovation und
Sozialforschung IRIS
e.V..
IRIS e.V. wurde dann zu einem der zentralen
Forschungsinstitute zur
Regional-und Beschäftigungsforschung
in
Ostdeutschland.
Seit 1991 sind sie regelmäßig
in Graz und
Wien sowie als Gastprofessor an
der Universität Bologna und
an der Universität Bozen
tätig. In
Bozen sind sie bis heute dann ein
sogenannter Contract Professor
an der Fakultät für
Bildungswissenschaften
der Universität
Bozen. So.
Ihre reichhaltige Publikationstätigkeit
können und wollen wir hier
natürlich auch nicht vorstellen. Uns
interessieren natürlich jetzt
zunächst einmal diese Publikationen,
die auch in ihrer
Theoriebildung der Sozialpädagogik
eine
Theoriebildung der Sozialpädagogik
eine
zentrale Rolle gespielt
haben und auch,
wie ich finde, bis heute spielen.
Zunächst einmal fing es an mit
der "Sozialpädagog des Kindes
und Jugendalters. Eine
Einführung",
gefolgt von dem
Buch: "Gespaltene Normalität.
Lebensbewältigung und Sozialpädagogik
an den Grenzen
der Wohlfahrtsgesellschaft",
1994 publiziert.
Dann eine Publikation zu einem sehr
zentralen Begriff ihrer
Theoriebildung:
"Lebensbewältigung. Ein Konzept
für die Soziale Arbeit",
die Ausgabe von
2016.
Dann das Buch:
"Abweichendes Verhalten". Hier
speziell geht es darum,
eine pädagogisch-soziologische
Einführung zu geben;
in der fünften
Auflage
erschienen.
Wir haben dann,
ja,
wie ich finde, Ansätze für
die Theoriebildung -
speziell jetzt ihres Zugangs
zur Sozialpädagogik
- ein Werk mit dem Titel
"Sozialpädagogik der
Lebensalter. Eine Einführung",
mittlerweile in der achten
Auflage erschienen im
letzten Jahr 2018 und
vielleicht jetzt weniger
zur Theoriebildung,
aber doch eben auch als Hinweis,
dass sie sich
über die Entwicklung der Sozialen
Arbeit im Kontext unserer
gesellschaftlichen Entwicklung
noch einmal in
besonderer Weise Gedanken machen.
Ein Buch zusammen mit
Wolfgang Schröer:
"Blindflüge. Versuch
über die Zukunft
der sozialen
Arbeit." Wie gesagt, das
ist nur ein kleiner
Ausschnitt, aber er soll zeigen,
worum es jetzt in unserem
Gespräch dann zentral gehen sollte.
Warum haben Sie
sich eigentlich für ihren
Theorieansatz entschieden? Der unterscheidet
sich ja in gewisser
Weise von anderen, die wir in der
Theorie-Landschaft finden.
Sie, ja,
sehen das Thema Lebensbewältigung
als ein
zentrales Thema an. Sie
haben mal gesagt:
"Soziale Arbeit ist eine
Reaktion auf die
Bewältigungstatsache." Also
diese Analogie zum
Lernfeld
"Erziehung als Reaktion auf
die Entwicklungstatsache".
Können Sie das vielleicht
unseren Zuhörenden
zunächst mal mit ein paar einführenden
Worten markieren.
Weshalb haben Sie sich
dafür entschieden?
Also bevor ich darauf antworte,
vielleicht noch die Anmerkung,
dass ich Sozialarbeit und
Sozialpädagogik immer
zusammenzähle. Also für mich
sind Hilfeprozesse
Lernprozesse und Lernprozesse
sind auch
Hilfeprozesse; also etwas
anders gesagt.
Unter
dem Begriff Lebensbewältigung
verstehe ich ja das Streben
nach Handlungsfähigkeit in kritischen
Lebenssituationen,
also in Lebenssituationen, wo
man auf sich zurückgeworfen
ist, wo eben soziale Beziehungen,
Kompetenzen, Ressourcen versagen.
Und das sind eigentlich die
meisten Fälle in der
Sozialen Arbeit.
Und viele der Klientinnen
und Klienten kommen
mit diesem Problem, dass
sich eben dann
diagnostizieren lässt als
Selbstwertstörung,
Anerkennungsstörung;
alles Störungen,
die zu diesem
Verhalten
führen, dass dann
wichtig ist, dass Hilfe
gebraucht wird,
dass Sozialarbeit gebraucht wird.
Das
ist das eine Interesse, das mich
zu diesem Ansatz bewegt hat:
Was geht eigentlich in diesem
Klienten und Klientinnen
vor, die zu uns kommen?
Es wird ja immer so einfach
von Ressourcen gesprochen,
Ressourcen orientierte Arbeit.
Aber was sind diese
Ressourcen? Was ist
das im Menschen,
was bewegt ihn oder sie dazu?
Und es sind oft ganz andere Dinge,
die hinter dem Verhalten,
das wir sehen, stecken
und wir brauchen
eigentlich, das war immer meine Idee
- von der subjektiven Seite her,
einen Ansatz, ein
Konzept,
dass dieses Innere,
diese Psychodynamik des
abweichenden Verhaltens,
des Verhaltens,
das die Sozialarbeit
auf den Plan rief,
erkennen und erklären kann.
Das war sozusagen...
Da haben mich auch
Leute, das sind für mich
Vorbilder, Leute,
wie eben der erwähnte Wilfred
Gottschalk oder der
Schweizer Psychoanalytiker Arno
Gruen oder Winnicott,
also alles Psychoanalytiker,
die sehr stark sozialisationsbezogen
gearbeitet haben und uns
erklären konnten
in verschiedenen Paradigmen
wie man eigentlich...
welche Botschaften hinter diesem
Verhalten stecken.
Das ist eigentlich das Wichtigste:
diese Suche. Erst nicht
das Verhalten
als solches erstmal, sondern
was steckt dahinter.
Oder wie ich immer sage:
"Warum braucht der Klient
oder die Klientin
dieses Verhalten? Oder
der Jugendliche,
die Jugendliche. Warum
braucht sie das?
Warum verhält sie sich nicht
anders?" Man kann ja
zurück auf den berühmten Satz:
"Probleme haben und nicht machen", aber
das würde das noch wesentlich
differenzieren. Das ist
die subjektive Seite
des Interesses. Die
gesellschaftliche Seite, weil
der Ansatz Bewältigung
hat ja den Anspruch,
verschiedene Ebenen, also von der
psychodynamischem bis zur
gesellschaftlichen, zu
thematisieren.
Und da ist, was sie schon
erwähnt haben:
nämlich diese Formel
"Sozialer Arbeit als gesellschaftliche
Reaktion
auf die Bewältigung der Tatsache".
Dass ist nicht nur der Versuch,
den berühmten Satz von Bernd (unverständlich)
auf uns zu beziehen,
sondern hat auch sehr viel
mit Carl Mennicke zu tun.
Carl Mennicke ist einer der großen
historischen Vorbilder
für mich. Carl Mennicke war der
erste Sozialpädagoge,
Professor an der Universität
Frankfurt vor dem
Faschismus. Er musste
ja dann emigrieren.
Und Carl Mennicke hat ja
diesen Satz von der sozialpädagogischen
Verlegenheit der industriellen
Moderne,
Industrie kapitalistischen
Moderne geprägt.
Er hat gesagt, die Industrie
kapitalistische Moderne
setzt den Menschen frei.
Die berühmte Individualisierung,
die später Beck weitergetrieben
hat viel später,
aber sagt ihm nicht:
frei wozu?
Du bist jetzt frei aus dem Milieu,
aus den Kontrollzusammenhängen.
Aber wozu bist du eigentlich frei?
Also er setzt sich in Orientierungsunsicherheit,
ein Thema, das bis heute
wichtig ist und er
setzt sich sozusagen in diese
Bewältigungssituation
durch Risiko und Chance, wie
wir das heute auch immer
diskutieren. Das
wäre sozusagen die gesellschaftliche
Rahmung für den
Bewältigungsansatz und
wenn wir jetzt
nur noch zwei drei Sätze dazu
sagen, wenn wir jetzt noch
weiter in die sozialpädagogisch
Substanz des Ansatzes gehen,
dann kann man erstmal wieder
zurückgehen und fragen:
Wie kommen eigentlich Menschen
zurecht mit solchen kritischen
Lebenssituationen?
Weil nicht alle werden
ja abweichend
oder werden Klienten,
sondern der zentrale Punkt ist
die Fähigkeit
in diesen kritischen
Lebenssituationen seine Befindlichkeit
thematisieren
zu können. Also die Thematisierung;
also dass
ich über mich sprechen kann,
dass ich sozusagen ausdrücken kann,
was mich bewegt, was problematisch
in mir ist.
Und Beratung ist ja
im Grunde nichts
anderes als jemandem zu helfen
und das, was in ihm ist,
zum Sprechen zu bringen. Sprache
ist eigentlich in der
Sozialpädagogik,
Sozialarbeit unser wichtigstes
Mittel.
Das ist immer wichtig.
Es gibt aber eben,
ich tue es jetzt nicht weiter ausbreiten,
sondern ich sage es in einem
Satz: Es gibt aber genug Leute,
die nicht in der Lage
sind, ihr Inneres, ihre Probleme
zu thematisieren;
die es nie gelernt haben und die
nie die Chance hatten und
die dann und das ist ja eine
Theorie die von Arno Gruen
kommt, in Abspaltungsdruck geraten,
also in abweichende...
Es muss raus.
Das Innere, das kann nicht
thematisiert werden
und es
wird...
steht dann unter Abspaltungsdruck
die verschiedenen Verhalten.
Von abweichendem Verhalten bis zur Gewalt,
das sind eigentlich solche
Formen. Und diese
Thematisierung ist eigentlich
wichtig.
Es ist eine Thematisierung
auch von Hilflosigkeit.
Wenn... Ich bin... Wenn ich solche kritischen
Lebenssituationen nicht
bewältigen kann, also nicht
aussprechen kann,
dann ist eine Hilflosigkeit da.
Und ich untersuche dann auf einer
mittleren Ebene in dem Ansatz
die verschiedenen
sozialen Organisationen
und Gebilde:
Familie, Gruppe, Medien,
Schule - als Institut,
als Bewältigungsskulpturen;
als Skulpturen,
die danach befragt
werden, ob sie in der Lage sind,
dass in ihnen solche
Hilflosigkeiten thematisiert
werden können.
Wenn Sie sagen, also dass es
um Bewältigung geht und
dann sprechen Sie ja
im Prinzip etwas an, das
alle Menschen angeht.
Also Bewältigungsprobleme oder biografische
Bewältigungsprobleme sind
ja in den entscheidenden Phasen,
in Lebensphasen des Menschen,
ja vorhanden.
Ist denn die Soziale Arbeit dann
für alle Menschen eigentlich?
Nein, der Vorteil des Konzepts ist,
dass es kein Sonderkonzept ist,
sondern dass es Dinge
berührt, die alle angehen.
Wo es sich teilt ist,
wo kann
thematisiert werden und wo nicht.
Wo thematisiert werden kann...
Viele Alltagsthematisierungen
zum Beispiel,
Alltagsberatungen. Ich
habe Probleme,
wende mich an Freunde, Eltern,
Gruppe und so weiter.
Oder ich suche mir jemand,
der mir hilft in der
Beratung. Das ist eigentlich
ein Großteil.
Mit denen haben wir eigentlich relativ
wenig zu tun oder nichts zu
tun. Wir haben es mit denen zu tun,
die nicht in der Lage sind und
nicht gelernt haben,
diese innere Hilflosigkeit zu
thematisieren, auszusprechen und
unter Abspaltungsdruck geraten,
unter Abspaltungsdruck und
eben dann auch unter den
Druck... Ja, sie müssen ja um
jeden Preis versuchen,
ins Gleichgewicht
wieder zu kommen. Und
nehmen wir mal
das Extrembeispiel eines Gewalttäters:
Für ihn ist die
Gewalthandlungen nach dem
Bewältigungsansatz
das letzte Mittel,
um wieder zur Anerkennung und
Selbstwirksamkeit zu kommen.
Nehmen Sie mal den
Schüler, den notorisch
auffälligen Schüler,
der sozusagen keine
Anerkennung in der Schule hat.
Der braucht aber Anerkennung. Ich
kann ohne Anerkennung und
Selbstwirksamkeit, Selbstwert
nicht leben,
und der sozusagen immer
wieder auffällig wird,
den Kasper spielt,
für drei Sekunden oder drei
Minuten der King ist.
Das heißt für ihn
ist Auffälligkeit die gesuchte
Form der Anerkennung
und wenn man nichts mit ihm macht,
vielleicht kommen wir da noch
drauf, dann wird sich das wiederholen;
dann wird es zur
Auffälligkeitssucht. Also
geht um die Menschen,
die diese Thematisierungsfähigkeit
verloren oder
nicht gelernt haben und
die sozusagen unter
Abspaltungsdruck stehen und
sozusagen dadurch in
den Sog abweichenden Verhaltens
von einfacher bis schwieriger
gelangen
- entweder nach außen,
was oft Männer sind,
also Gewalttaten oder andere
Tätlichkeiten,
die sind oft von Männern verübt
- oder nach innen,
stärker bei Frauen, also bis hin
zur Magersucht bei jungen
Frauen oder bei Medikamentenmissbrauch.
Das sind alles Abspaltungsvorgänge
nach
innen. Also ich kann es
nicht thematisieren,
also fresse ich es in mich hinein.
Sie können es alltagssprachlich
auch sagen:
Beim äußeren Abspaltungsverhalten
seinen Frust,
seine Hilflosigkeit an
anderen auslassen,
das andere an sich selbst auslassen.
Das sind einfach die einfachen
Formeln dieser
Bewältigungsdiagnostik.
Es geht ja um die subjektive
Handlungsfähigkeit und
auch die Idee dieses psychosoziale
Gleichgewicht,
wie Sie gesagt haben, aufzunehmen.
Aber wie kann das Gleichgewicht
denn dann wieder entstehen? Also wie
kann das gelingen jetzt anhand
des Beispiels?
Das ist in dem Moment da. Wenn
sie den Schüler nehmen in
diesen drei Minuten, ist
er im Gleichgewicht.
Es ist ja auch ein somatisches Problem,
was ganz wichtig ist;
was immer oft übersehen wird bei
unseren Klienten, dass sie...
Also dieser
Wechsel von Spannung und Entspannung.
Also wenn ich...
Wenn ich sozusagen meine
Hilflosigkeit nicht
thematisieren kann, wenn ich nicht
darüber sprechen kann,
dann stehe ich unter Druck unter
einem somatischen Druck.
Das hat dann nichts mehr
mit dem Kopf zu tun.
Das muss raus und der Akt der
Abspaltung, zum Beispiel
der Gewaltakt,
ist entspannend.
Wir haben ja oft in der
Sozialarbeit...
Da fragen wir: Wie geht es eigentlich?
Die machen was scheußlich ist
und sind entspannt dabei.
Das kennen ja viele.
Das ist auch eben immer ganz wichtig.
Das ist dann dieses
Gleichgewicht, das immer
wieder gesucht wird.
Wenn ich... Nehmen wir mir
mal das Beispiel jetzt,
wenn wir schon dabei sind:
Ich kann es dem
Jugendlichen, dem Schüler,
dem notorischen nicht
einfach ausreden,
weil es ja für ihn etwas Positives
ist. Dadurch, dass er
den Kasper macht,
dadurch, dass er stört und auffällig
ist, die Klasse johlt,
die Lehrerin ist hilflos, ist er
der King. Jetzt hat er das
Gleichgewicht, jetzt ist er wer,
hat Anerkennung subjektiv für sich,
Selbstwert, Wirksamkeit.
Die kann ich ihm nicht ausreden.
Ich kann ja nicht als
Schulsozialarbeiter sagen:
"Komm", und so weiter,
sondern, ich nenne das ja "funktionale
Äquivalente":
Ich muss ihm eine Möglichkeit
geben,
ein Setting, ein kleines Projekt,
wo er die Chance hat,
mit der Zeit zu spüren
- da braucht man auch
Zeit - dass er nicht angewiesen
ist auf das
abweichende Verhalten, dass er
auch anderswo Anerkennung
kriegt. Das ist immer für die
Schule sehr schwierig.
Aber wichtig ist, dass man...
Und in der Sozialarbeit
gibt's ja auch inzwischen
genug Projekte,
die so arbeiten, ohne das
jetzt genauso zu nennen,
dass sie sagen, ich muss
den in ein Setting,
in ein Milieu bringen, wo
er eine Rolle kriegt,
wo er anerkannt wird,
wo er mit der Zeit
merkt: "Ich brauche das
nicht mehr dieses
Verhalten." Und dann kann ich
mit ihm über das Verhalten sprechen
Also vielleicht direkt noch dazu: Sie
haben das Milieu angesprochen.
Also in Anlehnung an Ernst Hirsch
haben Sie ja also seine Lebensweltorientierung
oder sein
Konzept dazu der Lebenswelt orientierten
Sozialen Arbeit
dann die offene
Milieubildung herangezogen.
Könnten Sie das... Wie sieht das
aus? Was muss ich mir darunter
Also wichtig ist...
Ich denke jetzt mal
nicht an die verschiedenen Milieus,
die erforscht werden,
also bürgerliches und so weiter,
sondern ich denke jetzt
an Milieu als einen sozialen
Zusammenhang,
der
sozusagen sehr stark sozusagen
soziale Gebundenheit hat,
Verbundenheit hat. Das
kann ein kleineres,
bis hin zum regionalen
Milieu sein und
das für die
Milieuangehörigen
Verständigung, Rückhalt und
Geborgenheit bedeutet.
Was meine ich jetzt damit?
Wenn ich in der Sozialpädagogik
aus einem Projekt heraus ein
Milieu aufbauen will,
dann sage ich:
Ich brauche jetzt diesen
engeren Kreis,
diesen inneren Zusammenhang,
wo a) die einzelnen merken
dass auch andere
so sind wie sie oder
sich so verhalten wie sie oder
sich verändern können wie
sie. Also das Milieu ist
so eine Art Spiegel; ein sozialer
Spiegel oder ein psychosozialer
Spiegel, den ich eigentlich
brauche über das
Verhältnis Sozialarbeiter - Klient,
Klientin hinaus,
dass für die Betroffenen deutlich
wird: "Das was sich an mir
verändert und was schwer
genug ist,
das trägt sich sozial.
Das spiegelt sich sozial.
Das fängt bei der
kleineren Gruppe an, ist
aber auch der Versuch
sozusagen das zu verbreitern
und andere Leute,
die jetzt nicht Klienten sind,
mit in dieses Milieu zu
ziehen. Das ist, wenn ich
in der Jugendarbeit zum
Beispiel um ein Jugendhaus herum,
versuche einen Kreis
von ehemaligen und
befreundeten Anwohnern,
die das verstehen,
zu bilden, dass die Jugendlichen
auch merken,
dass das, was jetzt
läuft bei Ihnen,
Anerkennung bekommt zum Beispiel; dass
sie Teil dieses Milieus sind
und dass sie sozusagen von da auch
Vorbilder haben,
von da auch Bilder und
Möglichkeiten haben,
wie sich ihr Verhalten spiegelt
und wie sich ihre
Wandlungen auch spiegeln.
Also das ist eigentlich
für mich der Milieu-Ansatz
als ein praktischer
Ansatz. Theoretisch kann
man natürliche dieses
Moment der sozialen Spiegelung...
Man könnte von
Oskar Negt das exemplarische
Lernen,
das ja auch leider vergessen
worden ist,
heranziehen, wo ja auch
eine Gruppe oder eine
größere Gruppe ein Milieu bildet,
indem die Einzelerfahrungen,
dadurch,
dass sie gegenseitig erzählt
und verständigt
werden, eher zu einer sozialen
Erfahrung werden
und sozial sich sozial spiegeln.
Das ist ja das,
was Negt ja immer gemacht hat und
es ist eigentlich sehr schade,
dass unsere...
in unserer Profession sich...
Gruppe und Milieu
eigentlich gar nicht mehr so
aktuell sind.
Also wenn sie das "Handbuch
Sozialer Arbeit"
von Otto Thiersch anschauen,
da finden Sie nichts über Gruppe;
Gruppenarbeit vielleicht. Aber
über die soziale Gruppe,
die eigentlich sozusagen der Kern
von Gemeinschaft und Milieu
ist, was ja Mennicke sehr
stark betont hat damals,
da finden Sie kaum was.
Sie finden sehr elaborierte
Interaktion, interaktive,
beziehungsorientierte und
Manager-Geschichten, aber wie
wichtig eigentlich ein
Milieu heute ist und wie
Milieus kaputtgehen
durch eine... zum Beispiel durch
die Art und Weise wie
eine sehr stark quantitative
Methodik oder
Manager-Sozialpädagogik
auf
einzelne immer schaut. Wenn
ich etwas quantifiziere,
ist es mit dem Milieu vorbei,
weil Milieus und Gruppenprozesse
sind nicht so einfach
quantifizierbar. Da gibt
es Nebenfolgen,
da gibt es Überraschungen,
da gibt es Umwege.
Das ist für mich eigentlich heute
eine wichtige Geschichte,
dass, das meiner Ansicht
nach und meiner
Erfahrung nach, die Gruppen-
und Milieu-Arbeit
wieder viel stärker als
Gegengewicht zu dieser
Manager reellen und quantifizierenden
Sozialarbeit wieder
entwickelt
werden müsste oder wieder
gewonnen werden
müsste.
Ja, Milieu-Bildung ist
so, wenn man so will,
einer ihrer zentralen
Leitbegriffe für eine praktisch
orientierte Sozialarbeit,
Sozialpädagogik,
zum zweiten aber auch der
Begriff Empowerment,
der ja auch
in gewisser Weise dazugehört.
Ich möchte noch mal eine
Stufe zurück. Sie hatten
eingangs gesagt,
dass sie... Ja,
das Lebensbewältigung
im Prinzip dann auch
beginnt, wenn derjenige,
um den es hier geht,
in der Lage ist, über seine
Hilflosigkeit zu reden,
zu sprechen und sich darüber
bewusst zu werden.
Ich habe verstanden, dass sie das nicht
individual-pädagogisch lösen
wollen, sondern dass es
letztlich auch darum
geht, Gruppe und Milieu wieder neu
zu erkennen und zu entwickeln.
Frage aber dann
an dem Punkt: wenn es denn junge
Menschen gibt und mir
scheint, die gibt es
immer häufiger,
deren Hilflosigkeit darin besteht,
dass sie fest davon überzeugt
sind, dass sie in dieser
Gesellschaft keinen Platz haben oder
weil sie von ihr nicht gebraucht
werden.
Wie können wir damit mit
den Begriffen Gruppe
und Milieu Bildung
ansetzen? Denn dieses
Äquivalent, also einen Platz in
der Gesellschaft zu finden,
das lässt sich naturgemäß durch
die Soziale Arbeit ja so
nicht herstellen. Aber
es bilden sich ja, wenn
man so will, Milieus,
aber möglicherweise auch Milieus,
die genau dieses Bild
verfestigen, eben nicht mehr gebraucht
zu werden. Wie kommen wir da
in die Tür hinein?
Bevor ich darauf eingehe... Was
Sie vorhin gefragt haben:
Da kommen noch die Begriffe
offene Milieubildung
und geschlossene.
Ich weiß gar nicht, wie ich es nenne.
Offene Milieubildung bedeutet ja
immer, dass dieses Milieu sich
nicht sich nicht abschließen
soll. Das wären ja Milieus,
die dann nach nach innen
regressiv wären und die
nach außen sich
dann erst recht abspalten
und sozusagen... Aber auch
wieder unter dem Aspekt:
Man muss diese regressiven und dann
meist antidemokratischen Milieus
verstehen bei Jugendlichen,
weil das sind die Milieus,
die sie suchen als letztes Mittel,
um Wirksamkeit und Anerkennung
zu kriegen. Und das sind ja
eigentlich auch die Schlüsselworte,
die man die man
einführen muss: Wirksamkeit
und soziale Anerkennung.
Die Leute, die sich
abgehängt fühlen,
fühlen sich nicht anerkannt
und wirkungslos
und deswegen ist
Milieu-Bildung von der Sozialpädagogik
her so wichtig.
Ich habe ja sehr viel über
Jugendarbeit gemacht
und auch in der Jugendarbeit
bin ich zu Hause gewesen
und da kam es mir oder kommt
es mir auch immer darauf
an zu sagen: "Ihr müsst schauen,
wenn ihr diese Einrichtung
habt oder diese Gruppe,
dass ihr Orte schafft, also und
dann auch Milieu-Orte schafft,
wo
Anerkennung und Wirksamkeit
möglich sind."
Und das was ich vorhin gesagt habe:
Und sie sollen erfahren, dass
sie nicht angewiesen sind
auf abweichendes Verhalten,
auf Gewalt und so weiter.
Und da gibt es eigentlich sehr viele
produktive Möglichkeiten auch,
die heute... Ich
tu auch in dem Zusammenhang
immer sagen: "Mensch,
schaut nicht so abwertend auf die
Erlebnispädagogik; die Erlebnispädagogik
ist so ein
wichtiges Mittel, um
Milieus zu bilden,
um Gruppen zu bilden,
um Anerkennungszusammenhänge zu bilden
und Wirksamkeitszusammenhänge.
Und da kann man eine Menge
machen.
Ja, also Bildung ist,
so wie sie es gerade
entworfen haben,
möglicherweise auch wirklich
ein Begriff und
auch eine Möglichkeit,
die die soziale Arbeit
wieder entdecken
muss. Aber aus
der Analyse der kapitalistischen
Gesellschaft,
die sie betrieben haben, stellen
Sie ja auch fest,
dass es eben genau zu solchen
Phänomenen kommt, dass
sich Jugendliche in
geschlossene Milieus zurückziehen
und
Ein Phänomen ist ja auch, dass sich
immer mehr junge Menschen in
die virtuelle Welt zurückziehen.
Stichwort: Digitalisierung oder
die Schattenseite der
Digitalisierung. Das heißt,
da stehen wir in
der sozialen Arbeit
ja vor der Aufgabe
nicht
nur solche geschlossenen Milieus, die
kann man ja noch aufsuchen als
Sozialarbeiter, aber haben
Sie da vielleicht eine Idee,
wie wir in die virtuelle
Welt oder in das virtuelle
Rückzugserhalten
der... Ja, vielleicht muss
man etwas differenzieren.
Also auf der einen Seite
ist natürlich
das Leben sozusagen
in der virtuellen Welt für die
meisten Jugendlichen eigentlich
alltäglich,
aber gleichzeitig finden wir in
allen Jugendstudien der
letzten 20 Jahre
dieses Moment: Freunde
sind wichtig;
Gruppe ist wichtig. Und das
wird immer oft sehr
vernachlässigt oder es
wird immer wieder
gegeneinander ausgespielt.
Wie kann man eigentlich
beides verbinden?
Also wir haben in Brixen jetzt ein
Projekt, wo wir versuchen,
dass wir sagen,
was immer so
als Medienkompetenz - das ist
ein bisschen zu wenig -
ausgedrückt wird: Wie können
Jugendliche in beiden
Welten produktiv
leben?
Also zum Beispiel: Wir
haben ein Projekt,
das heißt "investigative
Kompetenz". Wie kann
ich Medien nutzen,
um hinter die Dinge zu kommen?
Erst einmal hinter die
Medien selbst.
Wer steckt denn dahinter?
Was ist eigentlich Facebook?
Was ist Google und so weiter?
Und es ist wahnsinnig,
also zumindest bei uns dort, was die
Jugendlichen für ein Interesse
daran haben. Sie wollen
es auch wissen.
Und das Zweite ist ja die alte
medienpädagogischen Einsicht:
Dinge selbst machen. Wie kann
ich das selbst kreieren und
wo finde ich auch
Grenzen? Das Problem ist ja,
denke ich, in der Jugendpädagogik
und
in Bezug auf Medien:
Medien sind ziemlich grenzenlos.
Jugendliche wollen Grenzen ausprobieren.
Das ist ja im Jugendalter
eigentlich genau der
tiefere Antrieb,
mit Grenzen zu experimentieren.
Und die digitale Welt
ist grenzenlos.
Also wie kriege ich das
eigentlich hin,
an Grenzen zu stoßen?
Ein wichtiges... Nehmen wir mal ein
Beispiel. In
Schule und Medien wird jetzt
viel darüber diskutiert.
Aber die Schule entwickelt
jetzt ihre
digitalen Zugänge für eine
Jugend, die eigentlich viel,
viel weiter ist;
die eigentlich alles sieht und alles
mitmacht. Nehmen wir mal das
Beispiel Pornografie.
Viele Jugendliche,
sehr viele sogar,
gerade im Alter zwischen 12 und 14,
vor allem männliche Jugendliche,
schauen Pornografie. Die
Schule wird nie Pornografie
reinlassen,
weil sie bestimmte Wertungen hat.
Aber wichtig ist eigentlich
für Jugendliche
hinter dieses Medium zu schauen
und dann Fragen zu diskutieren
wie die Abwertung der Frau
oder Verantwortlichkeit. Wo
habe ich Verantwortung?
Wo ist die im Medium?
Die ist nicht mehr
da. Und das in der
Gruppe diskutieren
und das dann auch
diskutieren:
Wie erfahren Jugendliche das?
Also wenn ich...
An dem Beispiel wäre es:
Ich arbeite mit einer
Gruppe männlicher Jugendlicher
über Pornografie
und versuche
nach dem Negtschen Prinzip des
exemplarischen Lernens:
Wie erleben Sie es?
Welche Unsicherheiten haben sie? Welche
Abscheulichkeiten kommen da
vor und was steckt dann dahinter?
Also Abwertung, Verantwortungslosigkeit
und solche Dinge,
aber auch gleichzeitig was
kann man Schöneres
machen mit Medien. Also
das sind schon
Dinge, denke ich,
wo die Sozialarbeit,
Sozialpädagogik, vor allem
die Jugendarbeit,
eine Riesenchance hat.
Also in der Jugend, in der offenen
Jugendarbeit oder auch in der
Schule,
nicht?
Ja, weil die Schule eben das Problem
hat, dass sie sich sehr schnell
zumacht; bestimmte Inhalte
dürfen nicht rein.
Die Schule hat ja, man
kann es so sagen:
eine
sexualpädagogische Verlegenheit,
weil die Eltern dann den Druck
machen.
Naja gut, vielleicht wäre die Schulsozialarbeit
eben dort auch
möglich mit einem offeneren Verständnis
von Schulsozialarbeit,
wenn es nicht nur darum
gehen sollte in der
Schulsozialarbeit, nur all diese
Kinder und Jugendlichen
zu erreichen, die offensichtlich
für den Schulbetrieb auffällig
geworden sind, sondern ein
eigenes Verständnis,
auch ein eigenes Bildungsverständnis
über Schulsozialarbeit in die
Schule einzubringen.
Ja, nicht nur das.
Ich denke, in Deutschland ist es
tatsächlich im Durchschnitt
immer noch so,
dass die Schulsozialarbeit
sozusagen so
eine Art Aufwand ist.
Wenn man nach Skandinavien
kommt, wo die Schulsozialarbeit
ganz anders integriert ist
in den Schulen,
da hat die Schulsozialarbeit
zum Beispiel auch eine Funktion, die
unwahrscheinlich interessant ist.
Nämlich die Schulsozialarbeit
ist dort auch der Ort,
wo übergangene Fähigkeiten,
von der Schule übergangene Fähigkeiten
von Kindern und Jugendlichen,
aufgeschlossen
werden können. Die Schule hat
ja nur einen Leisten,
über das alles geschlagen wird:
das ist die Leistung natürlich
und das Verhalten. Nehmen
wir mal das Beispiel von
dem Jugendlichen vorhin,
der den Kasper spielt,
der dauernd auffällig ist.
Wenn ich das jetzt umrahmte
unter diesem Aspekt:
Was hat er für übergangene
Fähigkeiten?
Könnte man sagen: "Mein Gott, der
kann ganz schön gut Theater
spielen." Also nehme ich
das doch mal raus und
versuche es mit ihm und so
weiter. Dieses
Herausfinden der übergangenen
Fähigkeiten ist für
mich eigentlich so eine
Kernkompetenz von
Schulsozialarbeit, die bei uns viel
zu wenig... Wie sagt man dazu?
Gefördert
oder erkannt wird.
Dieser Prozess,
den Sie beschreiben,
wenn er denn gelingt:
Würden Sie das schon als
Empowerment bezeichnen?
Ich komme nur mal auf den Begriff zurück,
weil das durchaus auch ein
Begriff ist, der bei Ihnen
häufiger auftritt.
Er kritisiert ja auch,
weil er eben oft zu
(unverständlich) gebraucht wird.
Würden Sie sagen, es ist eher
eine professionelle
Grundhaltung oder ist
es nur eine Methode?
Wahrscheinlich dann eher nicht.
Wie stehen Sie zu dem Begriff?
Naja, wenn ich jemanden
ermächtigen will,
muss ich ja viel wissen. Da kommen
wir wieder zu der Frage,
was in ihm vorgeht. Das ist,
denke ich, erst einmal wichtig,
dass ich,
wenn ich wieder das
Beispiel nehme...
Ich brauche ein Setting
und ein Milieu,
in dem er mit der Zeit sozusagen
erstmal merkt,
dass er das nicht braucht,
dass er Gewaltverhalten nicht
braucht und so weiter.
Das sind eigentlich erst die
ganzen Vorprozesse von
Empowerment.
Ja genau, das meine ich damit. Wenn
dieser Prozess gelungen ist,
könnte man dann von Empowerment
sprechen?
Ja, ich meine, man kann auch
von aktivierender Arbeit
sprechen.
Hat der Begriff "Empowerment" für Sie
eigentlich noch eine Relevanz in
der sozialen Arbeit? Das wird
ja häufig gebraucht.
Leider muss man sagen, das ist
schon ein Container-Begriff
geworden. Er ist ein Container-Begriff
geworden. Das ist immer das
Problem, ne? Der Berufsverband
der Sozialarbeiter und
Sozialpädagogen, der DBSH, bekennt
sich ja auch zu diesem Begriff.
Also "Ermächtigung" scheint
also irgendwo
sehr leicht über die
Lippen zu gehen.
Aber was bedeutet das substanziell?
Deswegen: Welche Prozesse müssen erst
ablaufen, dass jemand in der
Lage ist?
Ja genau. Da erscheint
mir das wichtig,
also dass Sie das so beschreiben,
dass die Grundvoraussetzungen erstmal
geschaffen werden müssen;
das Erkennen auch der eigenen
Sprachlosigkeit
und Hilflosigkeit bis hin also auch
zu dem Schritt der Neurahmung
und der Entwicklung...
und auch die...
Empowerment in der Beziehung
Sozialarbeiter,
Sozialarbeiter und Klienten:
schwierig. Das ist
sozusagen... Es ist so:
Es gibt so viel Gestrüpp
in Beziehungen
und Hilfe ist auch ein
Konflikt. Das ist ja, wie
ich vorhin gesagt habe:
ein Sozialarbeiter nimmt dem
Jugendlichen ja erstmal was
weg. Das Letzte, was er hat,
soll ihm genommen werden.
Dann ist der Sozialarbeiter
erstmal mein Feind.
Und bis ich ihn dazu bringe,
dass er merkt,
dass er das nicht braucht und so
weiter und dann braucht er auch
eine... Er braucht eine Gruppe, er
braucht Milieu. Er kann nicht von
sich... Er kann nicht so einfach
empowered werden.
Er muss das spüren können
mit anderen zusammen.
Das ist wieder dieses exemplarische
Erfahren.
Sie gehen diesen Weg ja auch
über das Milieu hinaus,
dass sie ja vom räumlichen
Denken sprechen,
was man erwartet oder
von Social Agency.
Das ist ja ein Begriff und Sie beschreiben
Soziale Arbeit als
Makler im Gemeinwesen also
um diese Möglichkeit zu
schaffen, auch diese Netzwerkarbeit
zu schaffen. Also ich denke da
immer wieder auch daran,
dass man die Gemeinwesenarbeit als
Methode neu formieren muss
von diesen neuen...
von diesen Erkenntnissen jetzt her,
weil ich denke schon,
dass sozusagen dieses
Hineinreichen in der
Gemeinde bis hin,
dass man... Was eigentlich so
ein Lieblingsthema bei mir
ist, sind Sozialverträge
in der Gemeinde.
Dass Eltern mit Kindergärten,
mit Schulen,
mit Jugendhilfe und so weiter Verträge
abschließen wie auch
Kinder untereinander.
Diese Idee der neuen
Sozialverträge, die ja
nicht direkt von
mir stammt, sondern Von dem Freiburger
Jugendamtsleiter Marschall.
Markwardt. Entschuldigung. Nicht Marschall;
Markwardt. Ich glaube,
der ist jetzt auch
schon pensioniert. Aber die Idee sozusagen
über... Das sind ja auch
Milieus, wenn
solche vertraglichen
Netzwerke da sind,
solche Beziehungen da
sind und wenn man
jetzt, was für mich
heute wichtig ist,
ein neues Thema; nicht neu,
aber ein Thema einführt in die
soziale Arbeit - nämlich
soziale Nachhaltigkeit...
Darf
ich dazu was sagen? Ja, gerne.
Bitte. Wir unterscheiden...
Also dieser Nachhaltigkeitsdiskurs,
der ist noch nicht so richtig in
der Sozialarbeit angekommen.
Und wir unterscheiden ja
zwischen dem klassischen,
der ökologischen Nachhaltigkeit,
der ökonomischen Nachhaltigkeit
und eben auch der sozialen
Nachhaltigkeit, also dass wir
den nächsten Generationen
soziale Errungenschaften bewahren
und weitergeben
und dass wir auch in der
Sozialarbeit soziale,
sozialarbeiterische
Errungenschaften
bewahren und weitergeben, dass
wir sie nicht sozusagen
dem Manager-Realismus opfern, der
nur auf die Organisation geht,
auf die Effizienz und das, was
zur Vereinzelung führt
und eigentlich solche gewachsenen
Dinge, die wir haben.
Zum Beispiel wenn wir
Sozialarbeit mal als Infrastruktur
betrachten:
Wenn man empirisch hinschauen
sehen wir,
wir haben in Deutschland
über eine Million
in der Sozialarbeit tätige,
aber alle sind irgendwie
vereinzelt. Da spielen
auch die Träger eine
Rolle und so weiter. Wenn man
das als Infrastruktur denkt,
wenn das vernetzt wäre,
dann würde das Ganze
anders aussehen. Dann würde man
sagen eigentlich das wäre auch
ein Gegengift, eine Gegenwehr
gegen Vereinzelung,
Strategien, wo eben
nur quantitativ...
Also da haben wir, glaube ich,
genau den Punkt, wo wir sagen,
es hat die Sozialarbeit
mal an einem
Beispiel eine quantitative Zukunft
der Wirkungsmessung
oder eine qualitative,
eine kommunikative. Das
ist, glaube ich,
eine ganz entscheidende
Frage unter dem Aspekt
sozialer Nachhaltigkeit.
Weil für mich ist eigentlich
die rein
quantitative Wirkungsmessung,
also mit Kontrollketten
und Kausalketten,
also was unter Evidenzbasierung
lange Zeit gelaufen
ist, eigentlich eine Enteignung der
Sozialarbeiter,
weil dem Sozialarbeiter
werden die Taten
abgefordert. Wie oft
habe ich das...
und Interaktion, aber er verfügt
nicht mehr über sie.
Er kann sie nicht kommunizieren.
Mit wem?
Weil sozusagen ganz woanders,
im sozialen Management,
läuft die Bewertung.
Qualitative Verfahren müssen
kommuniziert werden und
diese Kommunikation schafft eben
auch wieder sozialarbeiterische
Milieus.
Es ist der Milieubegriff also nicht
nur auf Klienten bezogen.
Und die sozusagen zu erhalten
und das Wissen zu
erhalten, das man braucht,
auch subversives
Wissen...
Luhmann hat gesagt, eine Organisation
kann nie ohne ein
gewisses Maß an Subversivität
funktionieren.
Und das produktiv wenden eben auch,
da haben wir heute viele
Angst davor. Also das war
dieser Ausflug in die...
Ja, ja. Wobei die Frage sich schon
stellt, wenn Sie sagen: Wir haben
eine Million Sozialarbeiter und
die sind vereinzelt, dann
stellt sich die Frage:
Wenn wir über das Thema
sozial räumliches
Denken nachdenken, über
auch diese Kompetenz,
die wir erwarten... Warum
haben wir sie im eigenen
Umgang nicht? Warum
gelingt das nicht?
Ich meine, das hat sehr viel
auch mit der Entwicklung,
der Förderungspolitik zu
tun.
Wir hatten... so in den achtziger
Jahren gab es ja
viele sozialstaatliche Modellprojekte.
Gibt es heute auch
noch, aber nicht in dem Maß
und in dieser Vernetzung.
Das letzte große war
vielleicht Soziale
Stadt. Und
dann waren da... Und diese Förderungspolitik
hat auch
immer versucht, Vernetzungen
zu schaffen;
regionale damals. Da bin
ich ja sozusagen,
in Anführungszeichen, großgeworden
in der Sozialen Arbeit.
Und heute haben wir eine
Förderungspolitik,
die sehr stark Projekte gegeneinander
ausspielt,
also Projektkonkurrenzen.
Wir haben ja, was oft
übersehen wird,
sehr sehr viele sogenannte
freie Projekte in
Deutschland. Wenn man sieht,
was alles im Paritätischen
Wohlfahrtsverband ist, das ist ganz
schön viel. Es sind nicht nur die
staatlichen und
die großverbandlichen.
Und die klagen immer wieder,
dass sie erst mal
nach drei Jahren aufhören,
dass schon allein die
Bewerbung um die Projekte ein
Riesenkonkurrenzkampf ist;
dass man sich dann abschottet
und sagt:
"Wir schreiben gerade neuen Antrag.
Mehr braucht ihr nicht zu wissen",
und die sagen: "Wir schreiben
auch einen." Ich will es
ein bisschen übertreiben,
aber diese Art,
wie sich die Konkurrenzgesellschaft
in die Sozialarbeit
hineingespült hat
und so im
Versteckten, Offenen zum Teil auch,
arbeitet und auch in das
Mentale von vielen Kollegen und
Kolleginnen hineingeht,
wo auch dann...
Also es ist irgendwie
keine Zeit des
Innehaltens da, wo man...
"Ich muss fertig werden,
ich muss das jetzt machen." Dieser
Wachstumszwang, den wir in
der Gesellschaft haben,
der ist auch Sozialarbeit
da in dem Sinne,
dass man eigentlich immer,
immer wieder was Neues machen muss,
neue Techniken, neue Methoden, wo dann
wieder welche kommen und sagen,
vor
20 Jahren haben wir das
auch so gemacht,
aber anders.
Als dieses nicht innehalten
können, dieses nicht
Bilanz ziehen können in der
Richtung, dass man sagt:
"Was haben wir in der Sozialarbeit
inzwischen für ein
Wohlfahrtsniveau erreicht;
für eine Wohlfahrtsbilanz?"
Sondern immer wieder
fragen: "Was machen
wir für Projekte?
Wen erreichen wir und
so weiter?" Das ist
so etwas, was man der Gesellschaft
sowieso wünscht.
Harald Welzer hat ein wunderbares
Buch jetzt
geschrieben. Das heißt:
"Es geht auch anders."
Und es ist irgendwie
so interessant,
wenn man das liest,
wie er das meint,
dass man einfach mal
drüber nachdenkt.
Wir haben ja auch keine Zeit
mehr, darüber nachzudenken,
wie was anders geht. Wenn
ich Fortbildungen mit
Sozialarbeitern mache, dann
stelle ich immer eine
große Büchse auf den Tisch und wenn
jemand sagt "aber",
muss er einen Euro reinwerfen.
(lacht) Die meistens sagen: "Ja, das
geht bei uns natürlich nicht."
Aber wenn ich mein (unv.)...
Nach zehn Minuten sagt niemand mehr
"aber". (lacht) Das ist jetzt...
Aber ich wollte damit...
Aber hier: Jetzt haben Sie zahlen
müssen. (lacht)
Aber ich wollte damit nur sagen,
dass wir eigentlich
in... Dieses Zeitdilemma ist ja
auch sozusagen dieser
Wachstumszwang, Beschleunigungszwang,
Neuerungszwang,
sozialtechnologischer
Fortschritt. Dieses Denken
verhindert eigentlich,
dass wir nach Alternativen
fragen,
dass wir sagen:
Sind Umwege nicht auch produktiv?
Muss das eine eine
Kette sein?
Und so weiter. Das ist
ein ganz wichtiger
Punkt.
Sehen Sie bestimmte Herausforderungen
für die Soziale Arbeit zunächst
einmal in ihrer Theoriebildung?
Wenn Sie sagen, da ist etwas,
da gibt es offene Stellen, da müssen
wir noch drüber nachdenken -
oder lest einfach meinen Ansatz oder
handelt nach meinem Ansatz und
dann wird alles gut.
Und zum zweiten: Ja, welche Herausforderungen
sehen Sie für die
Soziale Arbeit als
Profession?
Also zu meinem Ansatz
muss man sagen,
dass es ja ein konzeptionelles
Gebilde ist, in denen sich an vielen
Stellen andere wiederfinden mit
ihren Konzepten. Das ist
mir immer ganz wichtig,
dass es auch ein offenes
Konzept ist.
Das ist sicher... Und das
wird ja auch anerkannt,
das verbreitet sich auch
ziemlich stark.
Dass es sicher an der Stelle der
inneren Befindlichkeit und der
Psychodynamik von Klienten
sehr vieles hergibt, was andere,
die stärker auf Handlungswissenschaft
gehen,
notwendigerweise oder zwangsläufig
vernachlässigen;
dass es
Verbindungen zwischen Subjekt
und Gesellschaft
aus dem
Konzept heraus und dass es auch
Handlungsaufforderungen aus
dem Konzept entwickelt
und nicht Handeln,
Diagnose und Gesellschaft
nebeneinanderstehen.
Also das ist der Versuch. Der
ist nicht ausgereift,
aber ermuntert eigentlich dazu,
das weiterzudenken. Also mit
der Resonanz bin ich
eigentlich ganz zufrieden, aber
als Herausforderung würde ich,
was ich vorhin schon
angesprochen habe,
würde ich... wäre für mich
eigentlich in den
nächsten Jahren, wie man
Soziale Arbeit auf
dieses
Gleis soziale Nachhaltigkeit
bringen kann.
Also wir haben auf der einen
Seite Entwicklungen wie der
Manageralismus,
der ja genug kritisiert
ist. Da wir haben ja
genug Material, vor allem auch von
den Bielefelder Anhängern.
Aber für mich ist eher die Frage:
Wie kann ich... Für mich ist
eigentlich in der jetzigen
Situation, dass es...
Dieser neue Konkurrenzkapitalismus,
der ja ungeheuer durchschlägt
bis in die
Ökonomisierung des Sozialen,
ist nichts anderes,
das Marktgesetze eben in das
Soziale über..., in die Projekte und
so weiter. Das haben wir jetzt
besprochen. Sondern dass
man sich fragt:
Was muss ich bewahren?
Also erstmal,
denke ich,
Wiedergewinnung vieler, mancher
sozialpolitischer Errungenschaften,
die wir in die
Sozialarbeit übernehmen konnten
und
dass wir da auch wieder stärker werden
in der Gemeinwesenarbeit,
in den
Sozialverträgen und so weiter;
also in der sozial räumlichen
Arbeit.
Aber dass wir dieses
soziale Gut, das wir über die Sozialarbeit
entwickelt haben
und das in der Sozialarbeit steckt,
dass das für die nächste
Zeit, für die nächsten Generationen
bewahrt wird.
Das ist eine ziemlich immense Aufgabe.
Das ist jetzt nicht einfach
was Tolles in der Zukunft machen,
sondern dieses Wiedergewinnen
und Bewahren.
Wenn das gelänge und es
gibt eben auch jetzt
genug Initiativen und
Projekte und da
wünsche ich mir auch,
dass die Sozialarbeit
ein entkrampfteres
Verhältnis zu sozialen
Bewegungen bekommt. Das
ist ja immer noch sehr
verkrampft. Die Sozialarbeit
ist keine
soziale Bewegung; ist sie
auch nie gewesen.
Aber natürlich, wenn man
jetzt Nohl hernimmt,
der sagt, die Energien sozusagen,
die geistigen Energien der
Wohlfahrtspflege kommen
aus den sozialen
Bewegungen. Vielleicht
sollte man den Nohl
wieder ernst nehmen und sagen:
"Wir sollten mal gucken,
was hat die Frauenbewegung
geschafft? Was hat die
Jugendbewegung,
neue Jugendbewegungen geschafft? Schülerbewegungen
- was schaffen
die?" Und nicht so denken:
"Mein Gott das können wir
nicht so machen."
Wie kann man solche Ideen übernehmen?
Es gibt ja relativ
viele Arbeitskreise, kritische
Sozialarbeiter inzwischen,
die versuchen das ja zu
sagen. Ich würde sozusagen
den nohlschen
Ansatz... Was schöpfe ich
da für Energien daraus,
auch wenn ich es nicht so kann.
Das ist ja immer...
Man ist ja immer da neidisch,
was die alles machen
bei Attac oder
Greenpeace oder bei den lokalen Bewegungen
und man sitzt im Amt und
ist...
Und da ist auch die Frage, wie
man sich... Da ist die Frage:
Wie verständigt man sich mit anderen?
Also das ist für mich
eigentlich eine Zukunftsaufgabe.
Wie kommen eigentlich Sozialarbeiter
untereinander wieder zusammen?
Wie können Sie selbst sozialpädagogische
Milieus
bilden und sich verständigen,
auch widerständig verständigen?
Das müsste eigentlich heute gehen,
weil die Verbände und
Ämter werden das
nicht lange Zeit so durchhalten,
dass sie nicht
kommunikativ arbeiten.
Wir müssen wieder,
wie jeder moderne Betrieb...
Während in der Wirtschaft
trotz Konkurrenz,
Kapitalismus, Gruppen arbeiten,
ist es bei uns
schwierig,
solche Gruppen zu schaffen.
Es sind schon auch große Herausforderungen,
die man ja für
die Sozialarbeit sehen kann. Ich
finde, wenn man sich die
politischen Entwicklungen anschaut,
eben auch zum Teil die
Milieus, in denen viele
Adressaten unterwegs
sind, haben - jetzt
auch in Sachsen,
wo wir durchaus auch schwierige
Situationen haben,
ist ja schon die Frage: Also
Sie sagen ja immer,
eine soziale, emotionale Kompetenz,
die ein Sozialarbeiter
ausbilden muss,
ist ja auch im pädagogischen
Bezug das
Thema Aushalten. Und
da finde ich, wenn man sich die
Gemengelage derzeit anschaut,
auch immer die Frage. Also
Aushalten ist das eine,
aber gilt das vorbehaltlos, wenn
man sich die politischen
oder ethisch ja vielleicht
nicht vertretbare
Verhalten von Adressaten
von Menschen ansieht?
Aushalten bedeutet nicht,
dass es allein ausgehalten
wird. Das ist, denke ich,
das Allerwichtigste. Allein kann
ich es nicht aushalten.
Ich brauche Kollegen,
sozusagen eine Gruppe,
mit denen ich mich verständige.
Das wäre das exemplarische
Lernen jetzt auf die
Sozialarbeiter bezogen.
Dass man sagt: "Mir geht es dabei
so, wie geht es dir?"
Und so kommt man, denke ich,
zum sozialen oder zum psychischen
Algorithmus,
indem man irgendwann doch an den
Punkt kommt und sagt unter
den und den Bedingungen können
wir es noch und da sind die
Grenzen. Ich sage immer bei Fortbildungen:
"Ihr müsst euch in der
Gruppe verständigen, wo eure Grenzen
sind. Ihr müsst auch sagen
können: Diese Arbeit kann
ich nicht machen.
Das geht einfach nicht. Oder
diese Arbeit kann ich nur
machen, wenn ich da ein Team
habe. Diese Arbeit kann ich
nur machen, wenn man mir um das Projekt
herum einen Unterstützerkreis
schafft. Das sind, denke
ich, alles...,
weil sonst ist dieses,
dieses aus...
Also Sozialarbeit ist sowieso,
wenn man auf sich allein
gestellt ist,
eine Zunft,
eine Arbei,
die Schuldgefühle sehr
schnell erzeugt.
Man denkt,
die Hälfte der Projekte scheitert
ja irgendwie.
Sozialarbeit ist auch ein
Feld des Scheiterns.
Und man kann auch sagen aus dem Scheitern
kann man aber nur lernen,
wenn man in einem Milieu ist,
das einen stützt und dieses
Scheitern nicht wie in unserer
Gesellschaft negativ als
Problem definiert,
sondern als Scheideweg oder
als eine Gelegenheit sozusagen
Erfahrungen zusammen
wieder zu sammeln.
Also das Aushalten ist wichtig,
aber nicht allein.
Und das ist schon wieder schwierig.
Es ist ungeheuer schwierig
in einem Amt oder auch in
einem Verband sozusagen
sich dieser
Zuweisung zu entziehen. Du
hast das nicht gebracht
oder... Ich denke,
die internen Herausforderungen für
die Sozialarbeit sind oft fast
noch größer als jetzt die
gesellschaftliche
Herausforderung.
Weil Sozialarbeit wird
gebraucht und
auch in Zukunft mehr denn je.
Das Problem oder das
Paradox ist ja nur,
dass die
Indikationen oder die
Fälle, die entstehen,
für Sozialarbeiter bis
in die Mitte der
Gesellschaft hineinreichen.
Wenn man die ganze
Prekariatsdebatte anschaut,
sind das eigentlich alles
weil das
inzwischen doch ein Normalitätzustand
ist in
prekären Verhältnissen zu leben.
Die großen Unternehmen haben
soziale Arbeit,
betriebliche Sozialarbeiter
in großen
Dax-Konzernen. Das rückt schon
nicht nur in die Mitte,
sondern eigentlich in die gesamte
Gesellschaft.
Um bei dieser Analogie zu bleiben
- da müssen wir dann ja nicht
nur über die Grenzen der Erziehung reden,
sondern auch dann in diesem
Fall über die Grenzen
der sozialen Arbeit.
Ich denke der einfachste Schlüssel
ist ja der, den ich am Anfang
nannte.
Man muss es ausdefinieren
und das bedeutet,
dass es um
die Bewältigung von kritischen
Lebenssituationen geht,
die diese Gesellschaft permanent
hervorbringt. Dahinter steckt
die industriekapitalistische
Gesellschaftsanalyse,
wie sie bei Mennicke angefangen hat
und dann haben wir wieder diesen
Schlüsselbegriff der
Thematisierung.
Es geht darum,
in dieses
Bewältigungsdilemma kommen.
So würde ich das nennen.
Die eben nicht ihre Hilflosigkeit,
in die sie gebracht wurden,
thematisieren können und
Abspalten müssen,
unter dem Druck stehen
und dann eben
in Befindlichkeiten und Verhaltenssituationen
kommen,
wo sie Hilfe
brauchen.
Also man muss es umschreiben. Das
heißt, Sie würden jetzt nicht
hergehen und sagen: Naja soziale
Arbeit braucht auch nach ihrem
Verständnis jetzt im Sinne einer
sozialen Arbeit zur
Unterstützung einer
daseinsmächtigen
Lebensführung oder Lebensbewältigung,
nicht
dann auch eine bestimmte Gesellschaft?
Sowie Bahrenfeld ja im
Prinzip auch die Vorstellung einer
bestimmten Gesellschaft hat
und nicht davon ausging, dass
Erziehung an sich zum
Ziel führt, sondern dass
eben, wenn man so will,
der gesellschaftliche Rahmen
auch stimmen muss,
damit Erziehung erst ihren Sinn
bekommt. Muss man das analog
jetzt auch für die soziale
Arbeit so denken? Bei der Sozialen
Arbeit würde ich sagen:
Wenn wir vorhin gesagt haben,
dass es um innere
Hilflosigkeit geht, die sozusagen
freigesetzt wird
in dieser Gesellschaft
durch die Art
dieser
Prozesse und so weiter...
Sozialarbeit kann vor
allem gedeihen,
wenn
in der Gesellschaft eine Kultur der
Anerkennung von Hilflosigkeit
da ist. Und wir leben leider
in einer Gesellschaft,
in der diese Kultur der Anerkennung
von Hilflosigkeit
als Gesellschaft, als
Gesamtgesellschaft nicht da ist.
In der ist es sehr schnell ein
Problem.
Also dieses nicht mithalten können,
was sozusagen wir in der
Sozialen Arbeit als Hilflosigkeit,
als innere, diagnostizieren.
Die Botschaft, die dahinter
steckt, ist ja,
in der Gesellschaft sozusagen das
nicht mithalten können und
das mithalten müssen. Und da komme
ich wieder zum Milieubegriff,
dass Gott sei Dank sich
immer wieder Milieus
bilden, wo diese Kultur
der Hilflosigkeit,
der Anerkennung von Hilflosigkeit,
sich entwickelt.
Es ist ganz wichtig. Ob
das jetzt sozusagen
gemeinwirtschaftliche Initiativen
lokal sind,
ob das Initiativen für
Behinderte sind,
Initiativen für Jugendliche
im betreuten
Wohnen. Die gibt es genug.
Da setze ich dann immer wieder
darauf und sage,
was gesellschaftlich
nicht erreichbar ist, kann sich aber
so vielleicht heranbilden.
Als letzten Schritt wollen
wir einmal versuchen die
Perspektive (unv.) Angebotes,
bezogen auch auf die
Herausforderungen, die wir jetzt gerade
mal im Blick genommen haben,
einzuholen.
Und ich will da mal vielleicht
etwas verstörend
anfangen. Ich
habe den Eindruck, dass in
der Theoriebildung der
sozialen Arbeit die sogenannte
Mandatierungsfrage immer
noch nicht gelöst ist. Wir haben
da eine seltsame Entwicklung.
Sie waren ja zusammen mit Loesch,
mit Hans Loesch, einer der Ersten,
der also das Thema
der Mandatierung systematisch
aufgearbeitet hat.
Stichwort: doppeltes Mandat.
Wir haben mit Bernasconi
dann das dreifache Mandat, das Triple
Mandat und mittlerweile sind
wir auch bei Vertretern,
die behaupten,
wir hätten ein multi-perspektivisches
Mandat oder
möglicherweise sogar noch
ein viertes Mandat,
ein sogenanntes ökonomisches,
was relativ verstörend
daherkommt. Die
Frage, die ich habe ist:
Würden Sie sagen,
dass Ihre Analyse des
doppelten Mandates,
dass die
im Grunde genommen
angekommen ist in
der Profession? Ich will
es vielleicht mal
ein bisschen erläutern: Sie
haben ja sehr deutlich
gemacht,
dass ein Entrinnen aus dem
organisationalen Mandat letztlich
nicht möglich
ist, aber sie haben auch immer
sehr deutlich geschrieben und
gesagt, dass soziale
Arbeit durchaus
sich von diesem doppelten
Mandat so weit es geht
emanzipieren muss und eben
nicht ein doppeltes Mandat im Sinne
von Ausbalancieren von
Hilfe und Kontrolle
praktizieren soll und das ist
nach meinem Dafürhalten
etwas unter die Räder geraten
und mich würde Ihre
Einschätzung interessieren, ob
Ihre Diskussion
um das doppelte Mandat, die sie
damals in Gang gebracht
haben, ob die,
wenn man so will, als fachliche
Botschaft angekommen
ist.
Naja, ich meine, das ist
schon lange her.
Wir hatten ja damals für
den Jugendbericht
die Untersuchung über die deutschen
Jugendämter gemacht und
da fiel das natürlich sehr
stark... Ich denke,
es ist immer noch eine Schlüsselstelle
und die Frage ist
natürlich, wie diese...
Also wenn man
da rauskommt, gibt es so
eine Art Dialektik
daraus. Die Balance geht ja nicht.
Da haben Sie recht. Da gibt
es so eine Art Dialektik
herauszukommen. Das ist das eine,
das zweite. Ich will es auch gar
nicht in Trippel und so
weiter ausdrücken,
weil wenn ich Hilfe und
Kontrolle... dann muss ich ja sagen:
Wie kann ich meine Hilfe
sozusagen begründen,
legitimieren und rahmen und wo
bin ich dieser Kontrolle unterworfen?
Das ist, denke ich,
ganz wichtig. Und dann denke ich,
man muss es auf verschiedenen
Ebenen durchdeklinieren.
Auf der gesellschaftlichen Ebene ist
es nämlich ziemlich eindeutig,
dass die soziale Arbeit
beides ist:
Hilfe und Kontrollmechanismus.
Wenn man den Kontrollbegriff
weit fasst,
also sozialer Kontrolle.
Und wenn ich...
Das hat... Und da muss
ich jetzt fragen:
Wie hat sich diese Kontrollbegriff
verändert? Das ist heute
für mich wichtig.
Also ist es noch diese feste
Normalität oder gibt
es schon plurale
Optionen? Oder wo
wirkt diese Kontrolle noch und wo
wirkt sie nicht und so weiter. Und
bei der Hilfe ist es eigentlich
ähnlich: Wie kann ich
Hilfe heute modern
legitimieren? Also modern
sozusagen unter dem Aspekt
sozialer Gerechtigkeit
oder auch
Empowerment wäre auch... Das sind
ja alles andere Facetten jetzt
von Hilfe, als wie Sie vielleicht
vor fünfzig Jahren waren,
wo sie ja wesentlich
enger waren. Ich denke,
in dem Ausmaß, in dem sich
die Gesellschaft
globalisiert hat,
ist auch diese
Enge dieses Widerspruchs
"Hilfe und Kontrolle
des Scheinbaren"
aufgeweicht.
Und eigentlich ist es auch
gar nicht so einfach. Man darf
es sich verdinglichen.
Hilfe und Kontrolle.
Auch Hilfe kann Kontrolle sein und
Kontrolle
kann auch etwas Produktives sein,
Grenzen aufzeigen.
Also ich würde in diese Richtung einfach
diesen Diskurs neu anfangen
und nicht noch so Bausteine dazu
setzen,
weil das ethische Mandat,
das ist in der Hilfe genauso
drin, wenn ich so soziale
Gerechtigkeit beziehe.
Ja, ein anderes Thema wäre natürlich,
ob eine Rückkehr zum
einfachen Mandat nicht auch
eine Diskussion wert
wäre.
Was wäre...?
Eine Rückkehr zu einem
einfachen Mandat.
Naja, das ist, wenn man so will,
das Mandat aus dem klassischen
Professionsverständnis, dass eine
Profession eben immer nur einem
dienen kann und nicht mehreren.
Das haben wir ja,
wenn man so will, bei den klassischen
Professionen bei
den Medizinern, sprich
bei den Ärzten
oder auch im Bereich der
Rechtswissenschaften,
Rechtsanwalt. Also die Idee,
dass im Prinzip das
Vertrauen in die Hände eines
Expertise besitzenden Professionellen
gelegt wird,
aber auch nur in
seine Hände und in dem Wissen, dass
nur er auch dieses Vertrauen
würdig ist und dann
in seinem Sinne handelt. Das wäre
ja im Prinzip eine einfache
Vorstellung von einer Profession,
die einem Auftraggeber folgt, nämlich
in diesem Fall also dem
Menschen, der Hilfe braucht
und nicht...
Das ist eben schwierig bei
der sozialen Arbeit.
Richtig, deswegen war das
ja auch, wie ich finde,
fachlich sehr erhellend
und auch sehr,
sehr ehrlich, dass sie damals
auf das Doppelmandat
hingewiesen haben bzw. das auch entwickelt
haben, aber ich fand da
nochmal besonders interessant,
Ihren Hinweis,
der geradezu für mich
mahnend nochmal an den Schluss
Ihres Beitrags gesetzt wurde,
dass es darum gehen muss,
sich vom doppelten Mandat auch zu
emanzipieren soweit es geht
und das ist genau der Punkt.
Deswegen frage ich: Ist das aus Ihrer
Sicht aufgegangen diese Rede
vom Doppelmandat oder hat sie möglicherweise
vielleicht auch
in eine Diskussion geführt,
in eine Mandatierungsdiskussion,
die bis heute nicht richtig
beendet ist. Nein, nein.
Ich würde schon sagen, das
ist diffiziler geworden,
weil die Erkenntnis dass Hilfe
auch Kontrolle sein kann,
die ganze Etikettierungsdiskussion
und Labeling alles das,
das war ja alles später
und das hat es noch komplizierter
gemacht, dass ich während ich
helfe kontrolliere. Ja,
Hilfe und Kontrolle möglicherweise
als zwei Seiten
einer Form... Gut. Ich
frage es deswegen,
weil diese Mandatierungssystematik
offensichtlich immer noch in der
Theoriebildung sehr viel
Aufmerksamkeit auf sich versucht
zu ziehen. Das ist immer noch
Ich meine, das ist ähnlich
wie mit diesem
Begriff Menschenrechtsprofession.
Ja, da taucht das genau wieder auf,
wobei die eigentliche Intention,
dass eben ein Korrektiv nötig wäre,
um aus dem Hilfemandat kein
Kontrollmandat einseitig
werden zu lassen.
Das ist ja durchaus
eine Überlegung.
Aber zunächst einmal
ist es die Frage,
ob wir das mit dem Begriff
Doppelmandat auch in
Zukunft, bezogen auf die Herausforderungen
gut halten
können, denn das ist zumindestens,
glaube ich, eine riskante Seite an
diesem Begriff, dass zum
Beispiel Studierende
fragen: "Ja, wie geht das
denn das Kontrollieren?
Das möchte ich genauso lernen
wie das Helfen."
Dieses Ausbalancieren meinen
sie ja gerade eben nicht.
Nein, nein. Ich würde ja auch die
Diskussion nicht weiterführen.
Das war damals interessant,
dass die Leute gemerkt haben,
es ist nicht nur Hilfe.
Man muss auch, denke ich,
die Paradigmen zu ihrer Zeit sehen.
Damals war es so,
wie damals die Lebensweltorientierung
ihre
Schlagkraft hatte, also
man gesagt hat,
die Institutionen reichen nicht
an die Lebenswelt heran.
Und so war auch damals
eigentlich... Das war ja
fast das erste Mal,
dass man sagt, ihr redet
dauernd von Hilfe aber
es ist ein doppeltes Mandat.
Wenn man sich überlegt, was
Sie vor viereinhalb
Jahrzehnten, also 73 angestoßen haben,
dass wir jetzt immer noch
darüber reden, wie die Mandatierung
aussieht, dann sieht man,
dass es eben ein
Dauerthema ist.
Ja, wir sehen, dass im Theoriediskurs
leider immer noch als
unerledigtes Thema, deswegen
kommt diese Frage.
Sie haben
einen weiteren interessanten
Begriff geprägt und zwar
den Begriff des sogenannten
Interventionsparadox. Das würde
ich gerne Sie abschließend auch
nochmal fragen wollen.
Das meint ja im Prinzip,
dass trotz Zunahme von
Wissen wir nicht
unbedingt davon ausgehen können, dass
wir dann auch mehr Möglichkeiten
des Handelns haben,
sondern möglicherweise
sogar eine diametrale
Entwicklung absehbar ist.
Sie haben zur Überwindung
dieses Paradoxes mal
den Satz geprägt:
"Wir müssen theoretische Pessimisten
und praktische
Optimisten sein. Wir sollten
das Schlimmste
befürchten und das
Beste versuchen."
Das wäre meine
Antwort.
(lacht)
Ja, schön. Herzlichen Dank
für dieses Gespräch.
Ja, vielen Dank, dass sich
die Zeit genommen haben.
Warum ist es eigentlich eine
gute Idee Soziale Arbeit zu
studieren?
Also ich sage immer meinen Studenten:
"Wenn ihr helfen wollt,
geht an die Kreuzung,
wartet auf jemanden,
der es braucht."
Weil es ist ja oft bei den Studierenden
in den ersten Semestern so,
dieses Helfen,
den Menschen nahe sein und so
weiter. Ich finde,
die Sozialpädagogik, Sozialarbeit
eine sehr komplexe
Wissenschaft. Erstmal,
zum einen, dass
sie immer eine Verbindung von
Theorie und Praxis braucht,
was die Soziologie zum
Beispiel nicht muss
und dass sie
diese Verbindung auch
diskutieren muss;
zum zweiten,
finde ich,
es eine sehr stark
interdisziplinäre Wissenschaft,
also ich muss doch viele Dinge
aus der Psychologie,
der Soziologie, der
Wissenschaften der Pädagogik
beherrschen,
um ein
Gesamtbild eigentlich des
Zugangs zu bekommen.
Es ist eine anspruchsvolle
Wissenschaft, weil die
meisten Leute,
die das Studieren,
kommen aus Milieus.
Da meine ich jetzt
soziale Milieus, die
nichts zu tun haben
mit den Milieus, aus denen
die Klienten kommen
und wo
eigentlich die Idee,
man könne mit seinen
Werten und seinem
Verstand an die Arbeit
herangehen, nur zu Katastrophen
kommt.
Deswegen braucht man zum Beispiel
die "Theorie der
Sozialen Arbeit", um zu verstehen,
wie die Lebenswelten und Milieus dieser
Klienten aussehen und welches
Verhalten und welcher Habitus
und so weiter da ist.
Es wird eigentlich oft übersehen.
Die Leute kommen und sagen:
"Ja, ich kann das." Nein,
sie können es nicht,
weil sie aus einer anderen Welt
kommen und diese beiden Welten
miteinander zu verbinden, das heißt
auch selbstreflexiv und kritisch
sich selbst gegenüber sein. Das macht
auch für mich den Anspruch
dieser sozialen Arbeit aus.
Das versuchen ja auch
Sie sich immer wieder im
Studium klarzumachen.
Und so kommt man doch eigentlich
zu einer Disziplin oder
einer Wissenschaft,
die eigentlich sehr viel
Spannendes bietet;
nicht nur einen relativ
sicheren Beruf.
Auf der anderen Seite ist
es eine Disziplin,
die trotz ihrer
Bedeutung und ihrer Größe wenig
anerkannt ist in unserer
Gesellschaft.
Das hat viele Gründe. Das hängt
sicher einmal damit
zusammen, dass die Sozialreformen
und die
sozialen Bewegungen sich vor allem
auf die erwerbstätige Bevölkerung
und nicht auf die
randständige Bevölkerung
bezogen haben.
Fast alle sozialreformerischen Theorien
haben es eigentlich mit
arbeitenden Menschen zu
tun und nicht mit
Menschen, mit denen
wir es oft zu tun
haben. Und das ist eben sehr
stark... Und da ist die
alte Geschichte,
dass es eine Arbeit
ist, die zum großen
Teil der Familie
zugeordnet wird. Die Sozialarbeit
ist in ihrer
Geschichte ja vor allem
Familienfürsorge.
Und da sagen auch viele:
Das kann ich doch auch,
was die machen. Zum Beispiel
die ungeheuer schwierige,
das kann man auch mit Studenten
mal ganz gut machen,
Aufgabe, jemanden,
der sozusagen über Sucht oder
Arbeitslosigkeit aus dem Alltag
herausgefallen ist, dem
wieder beizubringen,
den Alltag zu organisieren. Das
ist eine ungeheuer schwierige
Aufgabe. Da sagen die Leute:
"Das mache ich doch
jeden Tag." Also dieses Problem
haben wir und da würde
ich eben auch
stärker immer mehr sagen: Wir müssen
noch deutlich machen so
im wissenschaftlichen,
im sozialwissenschaftlichen
Diskurs, was das für eine
komplexe Disziplin ist und
das wird viel zu wenig
gemacht.
Wenn Sie Studierenden,
die jetzt im ersten
Semester sind und
sich vorstellen, welchen Tipp für
Studierende im ersten Semester
hätten sie zu Beginn des Studiums?
Es kommt darauf an, in welche
Hochschule sie kommen;
was sie tun dürfen.
Wir haben das auch
in Dresden immer so gemacht, dass
wir in den ersten zwei Semestern
sehr großen Wert darauf
gelegt haben,
dass die Leute in Gruppen
erzählen können
zu verschiedenen Themen,
was sie erfahren haben, auch
biografisch zum Teil
und dass man sozusagen
dann versucht,
diese Gruppen so wieder
neu zu formen
und versucht dann so bestimmte
Cluster zu
haben. Das sind so Erlebnisse,
Erfahrenscluster und das ist für
mich so der erste Zugang
mit sich und
anderen umzugehen und das sozusagen
aussprechen zu können.
Also nicht gleich irgendwelche Ansätze
pauken oder irgendwas.
Und dann, von dieser Erfahrung
he, schon erste zum Beispiel
Etikettierungstheorien:
"Was ist mir passiert? Seit
der Kindheit bin ich
verspottet worden", oder
sowas. Das ist auch wieder das
exemplarische Lernen, an dem
ich immer hänge von Oskar
Negt. Also das versuchen
wir so weit es geht.
Was würden Sie Studierenden kurz vor
Abschluss des Studiums empfehlen
der Sozialen Arbeit, also kurz bevor
sie in die Praxis gehen?
Sie sollen nicht zu viel pauken.
Nein. Wie
haben Sie es jetzt gemeint? Also,
wenn Sie sich vorstellen,
Studierende sind jetzt
im letzten Semester.
Sie geben ihre (unv.) ab
und gehen in die Praxis
und Sie können hier noch einen Tipp
mit auf den Weg geben. Naja,
Sie waren ja auch schon in der
Praxis zum großen Teil.
Also wenn sie ihre Bachelorarbeit
machen,
ist es ja meist so, das wird
hier ähnlich sein,
da fließt ja meist Erfahrungen
aus dem Praktikum
ein. Das ist, denke ich,
eine wichtige Geschichte.
Ich sage immer: "Es
kommt darauf an,
wo ihr hingeht. Schaut,
dass ihr euch jemanden
vornehmt; also sucht einen Mentor.
Das ist für mich immer...
oder eine Mentorin.
Das ergibt sich. Man kann nicht einfach
sagen: "Willst du mein Mentor
sein?" Sondern man merkt
mit der Zeit,
der interessiert sich an
mich und möchte mir
was vermitteln und so weiter.
Das ist so ein Punkt, was ich
auch immer wieder sage
und
ich weiß nicht, wie das
hier bei Ihnen ist,
ob sie diese Alumni-Geschichten
haben,
dass man sich da wieder trifft
und das ein bisschen auf die
Erfahrungen hin macht.
Ja, sonst habe ich kein
Patentrezept.
Dann die Abschlussfrage:
Wenn sie Studierende der Sozialen
Arbeit ein Buch empfehlen
sollten und müssten:
Welches Buch wäre das?
Ich würde Ihnen das Buch
von Gottschalch,
was es jetzt nur noch
antiquarisch wahrscheinlich gibt, aber
es in jeder Bibliothek gibt:
"Wahrnehmen, Verstehen,
Helfen", empfehlen. Sonst müsste ich ihnen ja meine Lebensbewältigung empfehlen