Theorien Sozialer Arbeit

Katholische Hochschule NRW
Since 10/2021 18 Episoden

Werner Schönig

Theorien der Sozialen Arbeit

15.10.2021 53 min Staffel 1 Episode 12

Zusammenfassung & Show Notes

Werner Schönig (*1966) studierte Volkswirtschaftslehre mit dem Schwerpunkt Sozialpolitik an der Universität zu Köln und an der Universität Stockholm. Nach der Promotion zum Dr. rer. pol. war er als freiberuflicher Berater und Dozent sowie als wissenschaftlicher Assistent tätig und habilitierte sich für Sozialpolitik an der Universität zu Köln. 

Seine Lehr- und Forschungsschwerpunkte sind Sozialökonomik und Konzepte der Sozialen Arbeit mit Arbeitsschwerpunkten in sozialen Diensten, Sozialraumorientierung, Armut und sozialökonomischen Fragestellungen. 

Transkript

Ja, Herr Schönig... Welche drei Worte beschreiben Sie am besten? Zweimal drei Worte. Also im Positiven würde ich sagen: fleißig, freundlich und anspruchsvoll. Im Negativen bin ich manchmal, glaube ich, irritierend, etwas unwirsch und skeptisch gegenüber Teamarbeit. Wenn es so etwas wie eine Lebensphilosophie gibt, welche wäre das? Oder haben Sie überhaupt eine? Doch, die habe ich. Ich fand die Frage ganz interessant. Vertrauen und Leidenschaft. Wenn es so ein Wappen von mir gäbe, dann würde das da als Wappenspruch draufstehen. Vertrauen und Leidenschaft? Gibt es so etwas wie einen besten Ratschlag, den Sie jemals bekommen haben? Ja, mehrere schon. Also für mich war ein sehr guter Ratschlag damals Wirtschafts-und Sozialwissenschaften zu studieren. Das hat genau gestimmt. Das war auch ein Studiengang mit dem ich immer einen Verwertungsbezug hatte. Ich hatte also wie so Angst einen Job zu kriegen. Thema Vertrauen... Das war für mich schon sehr wichtig und es hat sich auch durch mein Leben so durchgezogen. Dann so einen Ratschlag, den ich gut finde, sich vorzustellen: das Leben ist also quasi ein Gang. Man geht an Türen vorbei, manche öffnen sich und dann kann man überlegen, ob man reingeht oder nicht, also dass man das gewissermaßen so als einen Prozess auch sieht, die Entscheidungssituationen, die man hat; ja und zum Schluss, dass man mutig sein soll, weil das System immer später reagiert, als man denkt. Also viele Professoren agieren im vorauseilenden Gehorsam und man kann da auch ein bisschen widerständiger sein. Und man wird merken, dass das System meistens überhaupt nicht reagiert. Bei der sozialen Arbeit, wir sind ja bei der sozialen Arbeit, gibt es da Vorbilder für Sie? Ja, ganz konkret mein Vorgänger auf der Professur, Kollege Boskop, der sowohl Sozialarbeiter war als auch Hochschullehrer und der mich persönlich sehr, sehr beeindruckt hat, noch heute beeindruckt. Ja, auf jeden Fall ihn. In der Literatur am ehesten John Adams; die Kombination von Wissenschaft, Politik, Thema Sozialraum, was ich ja auch gerne bearbeite. Also das wären die beiden großen Namen. Warum interessieren sich überhaupt für die Soziale Arbeit? Ja, ich bin ja eigentlich von Haus aus, wie man so sagt, Sozialpolitiker. Das ist aber... Auf die Dauer war mir das recht einseitig und ich finde, dass dieser Aspekt sowohl die Sozialpolitik als auch quasi, da kommen wir vielleicht später noch drauf... Also diesen praktischen Aspekt der Sozialpolitik, den mit zu betrachten, das war für mich intellektuell sehr reizvoll. Und je mehr ich darüber gelernt habe, desto spannender finde ich es eigentlich. Warum interessieren Sie sich dann insbesondere für die Theorie? Das ist glaube ich eine persönliche Veranlagung. Also zum einen, glaube ich, ist es auch ein Kohorteneffekt. Also ich bin ja... In den achtziger Jahren habe ich Abitur gemacht, bin da auch wissenschaftlich sozialisiert worden und da waren Theorien viel mehr Thema als heute. Also in der Schule, es gab ja noch den Ost-West-Konflikt, und sogar zu Hause haben wir über Theorien gesprochen sogar unter Freunden; so Party mäßig. Also ich will es auch nicht übertreiben, aber das war so immer ein Thema. Und dann wahrscheinlich ist das auch meine persönliche Veranlagung, dass ich das einfach sehr interessant finde. Dann in der Habilitation habe ich auch theoretisch gearbeitet und dann hatte ich dann mit der sozialen Arbeit nähere Kontakt gehabt, dann hab ich eben auch in der Sozialen Arbeit theoretisch gearbeitet. Ich glaube, das ist so eine... Ja, ich will nicht sagen Talent, aber auf jeden Fall eine Neigung, die tief in einem drin ist. Das ist ein persönlicher... ein Teil der Persönlichkeit. Ja, heute begrüßen wir ganz herzlich Werner Schönig im Rahmen unserer Interviews zu den Theorien der Sozialen Arbeit. Herzlich willkommen. Bevor wir zu unseren Fragen, insbesondere zu ihrem Theorieangebot kommen, versuche ich mal einen kurzen biografischen Abriss, soweit das in aller Kürze denn überhaupt möglich ist. Sie haben Volkswirtschaftslehre studiert mit dem Schwerpunkt Sozialpolitik an der Universität Köln und an der Universität Stockholm. Nach der Promotion waren sie freiberuflicher Berater und Dozent sowie als wissenschaftlicher Assistent tätig und habilitierten dann für Sozialpolitik an der Universität zu Köln. Seit 2004 lehren sie hier als Professor im Fachbereich Sozialwesen der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen hier in Köln. Kurz zu den Lehr-und Forschungsschwerpunkten. Ich hoffe, ich nenne sie jetzt vollständig: Sozialökonomik und Konzepte der sozialen Arbeit und das mit den Arbeitsschwerpunkten in sozialen Diensten, Sozialraumorientierung, Armut und sozialökonomische Fragestellungen. Neben verschiedenen Forschungstätigkeiten am Forschungsinstitut für Sozialpolitik der Universität zu Köln waren oder sind Sie möglicherweise auch noch Gutachter und Beratungs- und Sachverständiger zum Beispiel im Max-Planck-Institut der Humboldtschen Universität Berlin sowie der Friedrich-Ebert-Stiftung, Konrad Adenauer und der Bertelsmann Stiftung in der Stadt Köln. Weiterhin waren sie Sachverständiger oder sachverständiges Mitglied in der Enquete-Kommission "Zukunft der Städte" in Nordrhein-Westfalen des Landtags. Zu guter Letzt sollte man auch noch erwähnen, dass sie Gründungsmitglied und aktives Mitglied der Sektion Politik in der Deutschen Gesellschaft Soziale Arbeit sind. Ihre theoretischen Fundierungen ihres Angebotes sind zu finden im 2012 vorgelegten Buch "Duale Rahmentheorie Sozialer Arbeit", ich halte das mal in die Kamera, zu der wir uns dann gleich nochmal sehr viel intensiver mit einigen Fragen an Sie richten, beschäftigen. Und ganz aktuell haben sie einen Beitrag verfasst, der mit dem Titel "Der Prozess als Kern der Theorie Sozialer Arbeit" und mit einem sehr interessanten Untertitel "Alternativen zur banalen Bürokratisierung guten Handelns". Auch darauf werden wir dann zum Schluss, denke ich, noch einmal zurückkommen. Ja. Sie wollen ja, wenn man so will, nicht mit einer weiteren Disziplin begründenden oder auch professionstheoretisch ausgerichteten Theorie der Sozialen Arbeit aufwarten, sondern sie haben eine, wie der Titel des Buches schon sagt, eine Rahmentheorie vorgelegt. Diese Rahmentheorie provoziert natürlich die Frage, weshalb sie denn überhaupt nötig ist. Sie sprechen ja davon, dass Sie mit Blick auf die Theorievielfalt der sozialen Arbeit Theorie verbindende Eckpfeiler geben möchten. Weshalb sind diese Eckpfeiler notwendig? Ja, also gute Frage, Herr Lambers. Also theoretische Arbeit beginnt ja mit einem Unbehagen. Man guckt auf die Theorielandschaft und denkt: "Irgendwas fehlt oder irgendwas stört." Vielleicht ist man auch von der eigenen Eitelkeit getrieben, aber man hat einen Vaterkomplex und irgendwie fängt man dann an theoretisch zu denken und dieses Unbehagen ist im Prinzip darin für mich zu sehen, dass wir halt viele nebeneinanderstehende Theorieangebote haben. Die werden auch gruppiert, aber sie stehen dann auch... dann stehen diese Gruppen nebeneinander. Und es ist... Der typische Modus ist, dass man Solisten macht, dass man das gruppiert und Listen und das ist, glaube ich, auch das, was Studierende da irgendwie manchmal frustriert, dass man diese Listen abarbeitet und dann kann man auch die Beiträge zuordnen. Die Frage ist: Gibt es da noch was drüber auf einer höheren Abstraktionsebene? Und da, wie gesagt, das war dann die Idee, das ist gar kein großer Wurf, sondern mehr, glaube ich, ein Beitrag zur Diskussion, dass ich überlegt habe, was könnte man da drüber an theoretischen Beiträgen nehmen, die diese nebeneinanderstehenden Gruppen quasi überdachen. So. Und das könnte identitätsstiftend sein oder auch nicht. Ich meine, Theorie ist für mich auch sehr stark kontroverser Diskurs. Was mir in der Sozialarbeitstheorie gelegentlich fehlt ist, dass also wirklich heftig miteinander gestritten wird, sondern es steht alles so nebeneinander und insofern ist das, glaube ich, mehr so ein Theoriebeitrag mit der Idee also nach einem Dach zu suchen über die Vielfalt der gruppierten Theorien. Nun versuchen Sie ja in ihrer Rahmentheorie die soziologische Systemtheorie Niklas Luhmanns und den Pragmatismus John Deweys zu verbinden. Sie begründen das damit, dass sich beide Theorien in gewisser Weise in ihrem konstruktivistischen Grundverständnis treffen. Gehen Sie davon aus, dass der Konstruktivismus denn, zumal Sie ja von Rahmen sprechen, in der Sozialen Arbeit, in der Theoriebildung der Sozialen Arbeit, eine breite Akzeptanz findet? Er wird ja nicht selten in der Theoriebildung eher abgelehnt. Ja, das ist quasi das Kontroverse. Ich glaube, er wird auch deswegen abgelehnt, weil er heute eine Interpretation erfährt und auch eine politische Aufladung, die dann tatsächlich sehr ideologisch ist und glaube ich, auch in die Irre führt. Deswegen habe ich ja auch keine heutigen Konstruktivisten genommen, sondern wie meine Tochter immer sagt: "Du liest nur Bücher von Toten." Das sind jetzt zwei Leute, Dewey ist, glaube ich, in den 50ern gestorben und Luhmann in den 80ern. 90ern, ja gut. Also jedenfalls aus Sicht meiner Tochter ist das ein morbides Vergnügen. Ich habe also die beiden genommen, die also vor dieser heutigen konstruktivistischen Kritik liegen. Warum Konstruktivismus? Zum einen glaube ich, dass der Grundgedanke, dass eine moderne Gesellschaft keine richtige Mitte mehr hat, sondern nebeneinander agierende Systeme, die im Prinzip ihrer eigenen Logik folgen in konstruierten Welten, dass das richtig ist und dass das auch zum Beispiel soziale Systeme, also auch der sozialen Arbeit, gut beschreibt. Sonst bräuchten wir ja kein Case Management als Gegenbewegung. Wir brauchen ein Case Management, weil die Systeme, wenn man sie frei laufen lässt, ebenso spezialisiert sind. Also unter dem Aspekt würde ich sagen, dieser Grundgedanke ist gut. Was mich auch beeindruckt hat bei beiden Autoren ist, dass sie fortschrittsoptimistisch sind. Dewey sowieso, aber auch Luhmann sieht das also als evolutorischen Prozess. Das kommt meinem Denken sehr entgegen. Das finde ich, ist auch so. Das ist auch nicht per se (dirty?). Das ist auch ein Teil des aktuellen Diskurses, dass man das nicht sagen darf, dass Dinge besser werden. Ich glaube, im Sozialen, dass wir wesentliche Fortschritte gemacht haben und dass es Sinn macht, da auch mit einer fortschrittsfreundlichen Theorie zu agieren. Dritter Punkt: Konstruktivismus ist auf jeden Fall theoretisch sehr gut philosophisch diskutiert und auch ausbuchstabiert. Es ist also nicht irgendetwas windiges, was aus der Ecke kommt, sondern eine sehr gute Theorie, wo man dann viel Anknüpfungspunkte hat, mit der man breit weiterarbeiten kann, auch international. Sie gehen davon aus, dass eine scharf umrissene und zugespitzte Gegenstandsformulierung nicht so ohne weiteres im Bereich der Sozialen Arbeit als Wissenschaft möglich ist. Warum sehen Sie das so? Ja, wir haben natürlich unterschiedliche Denktraditionen und ich glaube, dass diese Denktraditionen nach wie vor bestehen, dass aber durch die allgemein unterstützte Fusion von Sozialarbeit und Sozialpädagogik dort was zugeschüttet wurde, was aber im Hintergrund weiter besteht. Zum Beispiel das ist ein Punkt, warum es sehr schwierig ist für beide Lager, sozusagen sich auf eine gemeinsame Definition zu einigen. Und wir haben also, Robert Merton hat das mal so schön gesagt, in der Soziologie fehle ein Keppler, von einem Einstein ganz zu schweigen. In so einer ähnlichen Situation sind wir, glaube ich, auch. Wir haben also ganz für die Theoriebeiträge, es fehlt aber noch der Lucky Punch, also das Ding, wo wir wirklich sagen würden: "Ja, das ist jetzt eine Theorie, unter der wir uns wirklich versammeln können." Und weil das so ist, hackeln wir da im Moment zurzeit noch rum, ja. Ja, Sie sagen ja einerseits, es ist unmöglich, das so zu beschreiben und andererseits ist es Ihnen nicht kernig genug; der Lucky Punch fehlt. Wie kann man das miteinander vereinbaren? Kann man das überhaupt vereinen? Ja, möglicherweise nicht. Also ich habe ja für mich sozusagen meinen Frieden gefunden und habe so eine Definition entwickelt, die ich plausibel und richtig finde. Aber ich nehme auch wahr, dass das außerhalb von mir nicht so gesehen wird und insofern ist das wahrscheinlich im Moment die Situation, dass wir von verschiedenen Autoren mit verschiedenen Definitionen leben müssen. Noch eine letzte Bemerkung: Wenn wir die Definition, die weit akzeptierte des Internationalen Bundes für Soziale Arbeit nehmen und die mal ernsthaft mit klarem Kopf durchlesen, werden wir merken, dass das eine in Gremien entstandene Konsensdefinition ist, die man natürlich nach außen in keiner Weise kommunizieren kann. Engelke hat mal gesagt, eine Definition muss nach innen und nach außen identitätsstiftend sein. Ja, ich glaube, sie ist weder noch... Also nach innen ist es ein Nebeneinanderstehen vieler unterschiedlicher Kategorien und nach außen ist es schlichtweg nicht zu kommunizieren, dass Sozialarbeit also 10 Zeilen Definitionen braucht, um zu sagen, das versteht draußen kein Mensch. Also wir haben da eine weithin akzeptierte Definition, die ganz offensichtlich dieser Lucky Punch noch nicht ist. Jetzt gibt es aber zum Beispiel Gegenstandsbestimmungen wie das Soziale zum Beispiel. Scheu und Autrata haben das hier in unserer vorgestellt. Wieso ist Ihnen denn sowas wie das Soziale dann auch nicht kernig genug oder was wäre denn das Spezifische? Also ich finde das Soziale insofern gut, weil es dann Grund zur Erläuterung gibt. Ja? Also als Diskursstart gewissermaßen. Wir haben also eine... Doch das wäre schon kernig genug und dann eben Ausgangspunkt für Kontroversen, finde ich nicht so... Also in meinem Denken ist es halt eher der Begriff der Intervention. Dass ich Soziale Arbeit gerne einordne im Prinzip in die Sozialpolitik hinein, das mag man jetzt meine fachliche Verengung nennen, aber ich glaube, es ist so: Wir haben einen sehr elaborierten Sozialstaat und im Wesentlichen spielt die soziale Arbeit damit und ist eingebettet. Und in dieser Einbettung hat sie aber eine Rolle, einen spezifischen Modus. Sie verteilt nicht umbedingt Geld, sondern sie befasst sich mit problematischen Einzelfällen, indem sie interveniert. Das kann eine Person sein, das kann ein Stadtteil sein, können verschiedene Dinge sein und das hat mir eigentlich viel Klärung gebracht, zu sagen, soziale Arbeit ist eine Intervention, ein Modus der Sozialpolitik. Aber das ist natürlich kontrovers. Kann man ja auch anders sehen. Das ist zum Beispiel dann kontrovers, weil wir eine sehr starke sozialpädagogische Tradition haben, die es außerhalb Deutschlands in der Form so kaum gibt. Also überall sonst ist ganz klar Soziale Arbeit im Prinzip Sozialarbeit. Da leiden die auch darunter, theoretisch, aber es ist so. Das heißt, international wäre wahrscheinlich meine Definition viel Konsens fähiger als sie in Deutschland ist, weil es in Deutschland diese starke sozialpädagogische Tradition gibt. Ja, das Soziale zu bestimmen, das liegt ja möglicherweise nahe, wenn wir auf unsere Professionsbezeichnungen schauen, um Sozialpädagogik, Sozialarbeit zu definieren, aber was denn nun das Soziale in der Pädagogik ist und das Soziale in der Sozialen Arbeit, das ist sicherlich auf der einen Seite ein Aspekt, den ja auch, Sie haben es schon gesagt, zum Beispiel Scheu und Autrata schon versucht haben, in den Blick zu nehmen, aber sie gehen ja aus ihrer erkenntnistheoretischen Positionierung heraus schon daher und sagen, im Prinzip ist das Soziale ja im ontologischen Sinne nicht bestimmbar, was auch insofern schlüssig ist, wenn man sich im Rahmen dieser Theoriebildung bewegt und Sie haben es gerade schon gesagt: Für Sie ist der Begriff der Intervention und der Integration vor allem interessant. Sie sprechen ja von der integrierenden Intervention als eine Funktionsbestimmung der Sozialen Arbeit und drücken das unter anderem so aus, dass Sie sagen, soziale Arbeit ist im Grunde genommen der Handlungsmodus der Sozialpolitik und führt Soziale Arbeit... Oder anders gesagt: Wenn man das so ausdrückt, steht Soziale Arbeit dann nicht eher im Windschatten von Politik? Vielleicht auch recht? Oder wirkt sich Soziale Arbeit nicht auch auf Sozialpolitik aus, beziehungsweise muss sie von ihrem Selbstverständnis heraus nicht auch auf soziale Politik einwirken statt immer, ich sage mal, auf den Status quo zu reagieren? Sicher. Also zu beiden Punkten: Ja, das Wort Windschatten sollte jetzt eine Provokation sein. Ich fühle mich auch provoziert. Also Windschatten ist insofern ein schwieriger Begriff, weil wir zum Beispiel in der Politikwissenschaft auch wissen, dass die Kommunen, ja, die können ja nicht viel Politik machen. Was sie aber machen können: Sie können die Umsetzung von Politik gestalten. Das macht den großen Unterschied, ob Sie als Flüchtling nach Köln zugewiesen werden oder sagen wir mal nach Münster. Oder kann einen großen Unterschied machen, je nachdem wie die Kommune Verwaltungsverfahren interpretiert und umsetzt. Das heißt also, alleine in der Umsetzung des Rechtes liegt ein enormer Gestaltungsspielraum zu. Da haben wir schöne Studien dazu. Das ist das eine und das andere: Ja, Sie hatten ja eingangs erwähnt, in der Deutschen Gesellschaft für Soziale Arbeit haben wir eine Sektion Politik mit dem großen Thema soziale Arbeitspolitik wo es genau darum geht, unsere Studierenden, die das eigentlich nicht wollen zum aktiven Politik machen zu bewegen. Das geht übrigens meistens auf kommunaler Ebene, aber natürlich auch über die Verbände und sonst wo. Also in beiden Fällen... Ja, aber statt Windschatten würde ich, wie gesagt, diesen Begriff der Einbettung wählen. Sie müssen sich vorstellen, in Deutschland 30 Prozent des Sozialprodukts sind Unglaubliche 30 Prozent. Zwei Millionen Leute sind in den Wohlfahrtsverbänden beschäftigt. Das sind ja große... So. Das heißt, es ist eine große Einbettung in die Politik und deswegen auch ein großer Einfluss, den wir so nicht hätten, wenn wir alles nur frei floatende NGOs wären, die von Spenden leben müssten. Dann sind sie in einer marginalisierten Position. Das sind wir überhaupt nicht. Wir sind ja ein Teil des Systems und da können wir viel mitgestalten. Also Handlungsmodus nicht im Sinne einer ausführenden Funktion dessen, was Sozialpolitik bestimmt, sondern auch mitgestalten. Ja, natürlich. Auf jeden Fall. Ja, ja. Sicher. Aber das eher dann im Kontext kommunaler Politik oder auch im Kontext der großen Politik? Zum einen gibt es ja unsere Wohlfahrtsverbände, die durchaus in Brüssel Lobbyarbeit machen, so ist das ja nicht. Also die sind ja auf dem großen... Und zum anderen: in der Tat geht es um die Arbeit im Einzelfall, wie dort Politik umgesetzt wird und das ist letztlich auch politisch. Ja, also ich kann jetzt... Ein kleines Beispiel. Das ist jetzt nicht besonders theoretisch. Es gibt Studien darüber, wie es denn zu einer Leistungskürzung im Hartz IV-Kontext kommt. Es kommt ganz selten dazu. Es wird im Prinzip nur damit gedroht, es wird damit gespielt. Es ist etwas dialogisches. Es ist nicht so, dass die Sozialarbeiter da sitzen und sagen, hier Hartz IV-Leistungskürzung raus. So läuft das überhaupt nicht. Das ist ein langer Dialogprozess und eine ganz anspruchsvolle Aufgabe. Und da wird vor Ort Politik gemacht, ganz klar. Da würde ich zumindest mal reingrätschen bei den Sanktionen. Wir haben im Jahr, seit 2005 gibt es das SGB II, im Schnitt hunderttausende Sanktionen und vor allen Dingen Sanktionen für die jungen Leute. Für junge Menschen, junge Erwachsene unter 25. Die greifen schon, wenn sie die Termine nicht wahrnehmen. Oft ist dieser Dialog dann gar nicht da. Da wäre es aber dann doch schon kritisch zu sehen, dass es nicht ganz so einfach läuft. Sicher. Ja, ja, aber es gibt eben... Normalerweise ist es so, dass die Sanktion in der Tat die ultima ratio ist. Da ist man bei jungen Leuten vielleicht doch anders als bei älteren. Da muss man dann gucken. Vor allen Dingen guckt man auf den Einzelfall. Und das ist natürlich nicht der erste Schritt, sondern das ist eine Abfolge von Friktionen, die dann am Ende zu Sanktionen führt. Klar. Es gibt Studien dazu, wie das dialogisch ist. Es ist übrigens sehr schwer zu erforschen, weil das natürlich auch die Praxis nicht unbedingt will, dass da ein Bandgerät läuft. Das ist auch Datenschutz mäßig sehr schwierig. Aber klar, gerade in der Umsetzung. Sie schreiben ja, dass der Situationsbegriff für Sie der Schlüsselbegriff Ihrer dualen Rahmentheorie ist und wenn man schaut, von Dewey und Luhmann zusammenkommt, dann auf den Situationsbegriff dann zu kommen... Das würde mich interessieren: Was für sie der Situationsbegriff ist. Vielleicht können Sie das erläutern und wie sie auf diesen Begriff kamen. Ja. Also zum einen ist es so: Es gibt ja so ein kleines Schaubild da in dem Buch. Ich glaube, dass Luhmann eine sehr gute Theorie der sozialen Differenzierung gemacht hat. Ich glaube, das ist im Prinzip richtig, nur er hört dann auf, wo es um das Konkrete geht. Das wollte er mal machen und Integration hat er sich so gut wie nicht geäußert. Nach 40 Jahren war er mit der einen Hälfte fertig und hat dann eben aufgehört und beginnt eigentlich im Prinzip genau an dem Punkt der Irritation und baut darauf seine konstruktivistische Theorie auf. Also die Idee ist, dass in diesem Begriff er Situation sich beide gewissermaßen berühren, es eine Art von Übergabe gibt. Und deswegen ist der Begriff auch theoretisch so interessant. Es ist zum einen die Wahrnehmung der Situation, also der Appell an die Sozialarbeiter immer noch zu staunen, wie Kleve das sagt, und sich von der Wirklichkeit überraschen zu lassen. Das ist natürlich schwierig, wenn man Jahrzehnte im Job ist; werden wir auch kaum noch richtig und manchmal schon, aber häufiger auch nicht und das ist unser Problem: dass wir relativ wenig überrascht werden, zu wenig staunen. Die Standardphrase: "Solchen Leuten sage ich immer, dass..." Wenn sie das schon hören, merken Sie: Konstruktivistisch schwierig, also irgendwie im Käfig. Und deswegen ist dieser Situationsbegriff auch in dem Ringen darum, wie strukturiert man diese Situation... Herr Röh hat mir mal gesagt: "Kann man so gar nicht machen", weil für ihn natürlich die Strukturierung der Situation der Kern der Profession ist. Dass man das irgendwie aufgreift. Also gerade diese Ambivalenz, also dieses Einfordern in der Situation, der Appell offen zu sein für Neues und auf der anderen Seite natürlich: die Strukturierung von Situationen ist das, was eine Profession ausmacht. Sie beschreiben ja diese Verblüffungsresistenz, wenn man so sagen will, dass sie sich im Laufe der Zeit dann irgendwann breit macht und man gar nicht mehr zum Staunen kommt. Gleichzeitig ist man, wenn man über mehrere Jahre die Entwicklung zum Beispiel der Mandatierungsthematik sich anschaut, dann irgendwann auch immer wieder doch neu verblüfft, was es dann immer für Entwicklungen gibt. Es hat ja schon fast was von einem Abzählreim, wenn wir von einem einfachen Mandat spricht, Doppelmandat: Böhmisch, Trippel, Staub-Bernasconi; und Herr Röh hat das Vierfachmandat jetzt in den Ring geworfen. Sie sagen: Ich löse das, indem wir von einer multiperspektivischen Datierung der sozialen Arbeit sprechen. Was meinen Sie damit? Welche weiteren Mandate stellen Sie sich vor? Ja, man kann natürlich ganz viel. Gerade, wenn man politisch denkt, ist halt eben die Frage oder einen anderen Begriff, welche Stakeholder man eigentlich berücksichtigt. Man kann natürlich auch sagen, wenn ich meinetwegen in der Arbeitsagentur arbeite, da hat auch der steuerzahlende Professor auch ein legitimes Interesse an einer Forderung (unv.). Es ist ja nicht nur der Staat. Vielleicht sind es auch Menschen außerhalb des Staates, Flüchtlinge die herkommen wollen oder so. Ja? Also das, was man normalerweise in einer Stakeholderanalyse macht, ist ja im Prinzip die Frage: Wer hat welches Interesse in diesem Fall? Und ich finde einfach, dass bei diesem Abzählreim, wie Sie es gesagt haben... Das hat sich nach und nach entwickelt. Meine Idee war so ein bisschen, so einen kleinen Befreiungsschlag zu machen, dass man im Einzelfall eben gucken muss. Man kann das alles durchprüfen, aber möglicherweise sind da Akteure in einem Fall involviert, die man überhaupt nicht auf dem Zettel hat. Also denken Sie an eine systemische Familienanalyse oder so ähnlich. Da ist jetzt auch die Frage: Wer ist der Fall? Welche Akteure haben da eigentlich ein Interesse? Das ist nicht nur der Klient, der Sozialarbeiter, die Institutionen und der Staat, sondern es könnten ja auch die Kinder des Klienten sein. Da sind Sie ja sehr schnell eigentlich in der Wahrnehmung unterschiedlicher Perspektiven, die abgewogen werden müssen. Ja, aber es ist ja so, dass Professionen in der Regel einem einfachen Mandat folgen. Die soziale Arbeit aber nicht und die Sorge, die man ja haben könnte, ist, dass durch eine vielfache Mandatierung oder eine multiperspektivische Mandatierung es zu einer Entprofessionalisierung kommen könnte. Ja, das ist richtig. Da habe ich auch keine besondere Lösung. Ich muss ja auch nicht für alles jetzt eine Lösung haben. Es gibt natürlich, wenn wir an so sowas denken wie Mediation oder so, ja auch Methoden, die versuchen, diese verschiedenen Mandate aufzugreifen. Das ist ja auch sehr sozialarbeitisch, wird ja in vielen anderen Also vielleicht würde ich irgendwie in diese Richtung denken. Aber Sie haben im Grundsatz natürlich recht, dass die klassischen großen Professionen diese Mandatierungsproblematik für sich sehr schlicht gelöst haben. Das stimmt. Würden Sie denn sagen, dass sich aus dieser Gemengelage einer Vielfalt von sogenannten Stakeholdern, also Anspruchsgruppen, Anspruchspersonen tatsächlich so etwas wie ein Auftrag für die soziale Arbeit ergibt oder sind das nicht eher Folgerungen, die sich eben aus dem organisationalen Kontext der Professionellsgestaltung oder wenn man so will, der Erbringung der Professionalität ergeben? Sozusagen könnte ja jeder Arzt oder auch jeder Jurist, der in einer Organisation angestellt ist, einem Mehrfachmandat ausgeliefert sein, nur weil es eben unterschiedliche Anspruchsgruppen gibt. Also auf der einen Seite gibt es Anspruchsgruppen, klar. Aber ist damit zwingend eigentlich die Schlussfolgerung verbunden, dass wir diese Interaktionsthemen, diese Interessen, die Anspruchsgruppen, die sich an soziale Arbeit richten, dann auch tatsächlich aufnehmen müssen oder müssen wir uns nicht vielleicht doch eher nur einfach damit auseinandersetzen und im Sinne von Interessenausgleich vielleicht etwas moderieren? Aber doch diesen eigentlichen Widerspruch von Organisationshandeln und Professionshandeln doch so gar nicht auflösen können, es sei denn, wir wären tatsächlich als autonome Profis, sage ich mal, unterwegs - analog zum Arzt mit eigener Praxis, analog zum Rechtsanwalt mit eigener Kanzlei. Aber das beschreibt ja überwiegend gar nicht mehr die Wirklichkeit von Professionshandeln, die wird ja doch überwiegend im organisationalen Kontext erbracht. Also die Frage nochmal: Muss man daraus wirklich zwingend schließen, dass wir immer mehr Mandate auf uns nehmen oder möglicherweise auch reflektieren, dass es Ansprüche sind, die an soziale Arbeit gerichtet werden, die dann aber im Grunde genommen gar nicht mehr zu unserem Mandat gehören? Also, ich glaube einfach... Vielleicht zwei Punkte nur. Es ist jetzt, glaube ich, auch schwer zu lösen. Der eine Punkt ist: Wenn sie in andere Länder gucken, wo die soziale Arbeit nicht so eingebunden ist in den Staat, da haben Sie im Prinzip diese Mandatierungsproblematik gar nicht, sondern da ist das nur der Klient. Sie haben nur das einfache Mandat und Schluss. Mehr machen die gar nicht. Das ist dann im Code of Ethics festgelegt und das heißt, das war's. Die Tatsache, dass wir uns solche Gedanken machen müssen, ist eben eine Folge der Einbettung der sozialen Arbeit und theoretisches Arbeiten ist Arbeit mit einem Unbehagen und mein Unbehagen war, ich muss mir das warum eigentlich eins, zwei, drei, vier. Wo endet das? Das hat ja auch eine gewisse Willkür und dieser ursprüngliche Beitrag - ich glaube, das war sogar von Böhnig mit dem doppelten Mandat aus den 70er Jahren - der war ja auch gerichtet... Also das war aber auch eine Polemik sozusagen, sehr linke Kritik an der sozialen Arbeit, so also auch mit einem Unbehagen. So hat sich das dann eben immer ausgeweitet und die Frage ist halt, ob man da einen abschließenden Katalog... oder wo da die legitime Grenze ist. Ich meine, man kann ja auch sagen, es ist absolut illegitim das Interesse der auftraggebenden Institution, des Arbeitgebers des Sozialen, überhaupt da mit zu berücksichtigen. Was macht der Röh denn da? Ist das denn legitim? Warum hat der Caritasverband denn da irgendein legitimes Interesse in dieser Mandatierungsfrage? Also das sind schwierige Fragen. Gut, Sie haben das schon angedeutet: Wir können das ist in der Tat nicht abschließend besprechen. Allerdings ist nochmal sicherlich interessant, wenn Sie eben von multiperspektivischer Mandatierung sprechen, in welchem Kontext man sich dann tatsächlich bei dieser Mandatsfrage dann auch weiter bewegt. Also wir lassen das Denkmal so stehen. Sicherlich, Sie haben da auch nachvollziehbar darauf hingewiesen, dass es im Prinzip eine zunehmende Anzahl von Anspruchsgruppen gibt, aber eben der Rückschluss, dass man tatsächlich das, was einem in die Hand gegeben werden soll, auch annimmt, ist ja nicht zwingend. Das wäre dann in der Tat nochmal eine Frage, mit der sich dann die soziale Arbeit vielleicht auch nochmal weiter befassen kann, was ihre Mandatierungsproblematik angeht. Wir sollten dann vielleicht auf die Herausforderung der Theoriebildung kommen. Ja, Sie haben sicherlich auch zur Kenntnis genommen, dass wir bei der Theoriebildung es mit einer Vielzahl von Theorien zu tun haben. Sie beklagen das ja in gewisser Weise eigentlich auch. Wir hatten gerade eingangs schon darauf hingewiesen: Die Theoriebildung ist ihnen nicht kernig genug, wenn man so will. Könnten Sie das vielleicht verbinden mit den Herausforderungen der Sozialen Arbeit? Welchen Herausforderungen muss sich denn soziale Arbeit als Disziplin, aber auch als Profession, in den nächsten Jahren stellen? Sehen Sie da etwas, worauf sich Theoriebildung einstellen muss? Wie gesagt: Thema Unbehagen. Sie hatten schon darauf hingewiesen. Ich hatte ein gewisses Unbehagen. Also auch einleitend zu diesem Interview haben Sie ja in Ihrem Text formuliert, dass viele Studierenden sich schwer tun mit dem theoretischen Arbeiten. Viele Kolleginnen und Kollegen im übrigen auch, die Praxis eh. Also das ist alles ein bisschen schwierig und es könnte ja daran liegen, dass irgendwas mit den Theorien nicht stimmt. Es muss ja nicht daran liegen, dass die Studenten... Ich glaube, wie gesagt, es hat auch einen gewissen Generationeneffekt, dass heute weniger theoretisiert wird, so dass also so ein bisschen unmodern ist, diese ganze Art zu denken. Aber es ist, glaube ich, auch ein Teil hausgemacht sozusagen von der Theorie selbst. Da habe ich im Moment den Eindruck, man käme weiter, wenn man sich mit sowas wie... Ne? Wir hatten eben so Ich denke sehr stark in einzelnen Begriffen, der nächste Begriff ist im Moment offenbar Prozess. So und die Frage wäre jetzt, wo Prozessaspekte in der Lage sind, sozusagen das Drama der sozialen Arbeit zu beschreiben. Wir haben also Prozesse, die sich verfestigen, im Sinne also, dass alles immer schlimmer wird. Wir haben auch Prozesse, bei denen Dinge besser werden. Wir haben Prozesse mit einem Wendepunkt, mit einem positiven, mit einem negativen; wir haben sinusartige Schwingungen. Das haben wir ja alles. Und ich habe im Moment die Idee, vielleicht wäre es gut, die Theorien der Sozialen Arbeit oder die Bausteine, die wir so haben, verschiedenen Prozessschemata zuzuordnen und das könnte dann auch eine Art sein, wie man Theorien ordnet - nämlich nach der Art, welche Prozesse sie eigentlich modellieren oder ob sie gar keine modellieren. Okay. Aber viele machen das ja schon in der Bindungstheorie, in der Deprivation, im Sozialraum, da gibt es ganz viele Theorien und die haben mich auch immer sehr fasziniert. Wenn Sie überlegen: Wo, was ist eigentlich der Punkt, an dem eine konjunkturelle Entwicklung umkippt? Was passiert da in dem Punkt? Oder Resilienz, was passiert da? Wir haben also eine an sich negative Entwicklung und die nimmt auf einmal eine positive Wende. Es ist offensichtlich faszinierend. So und was ich nur sagen will: Vielleicht wäre das didaktisch und auch sonst wie ein guter Anknüpfungspunkt die Studierenden bei diesen Dramen zu kriegen. Das wäre also eine Ringvorlesung machen: Probleme negativer Wendepunkte. Das sind politische Phänomene, das sind individuelle Phänomene. Das ist zurzeit die Idee, die mich etwas umtreibt. Wie gesagt: Das ist nicht die absolute Lösung. Nein, nein, aber sie haben da ja einen ganz interessanten Vorschlag gemacht. Sie haben das Stichwort schon genannt: Prozesstheorie. Da sollten wir gleich auch noch einmal zu kommen. Aber ich denke, auch für die Studierenden das noch einmal deutlich zu machen, was im Prinzip, wenn ich sie richtig verstanden habe, auch in gewisser Weise zu überwinden ist oder zu überwinden gilt, um überhaupt zu dieser Einsicht zu kommen, die sie gerade angedeutet haben. Da finde ich sehr interessant Ihre Feststellung, die besonders in diesem Beitrag der Zeitschrift Soziale Arbeit im letzten Monat erschienen ist. Da finden Sie ja doch deutliche Worte und das, finde ich, sollte man auch mal, finde ich, so deutlich sagen, damit die Studierenden auch erkennen, worum es Ihnen geht. Man kann jetzt sagen, Sie gehen hart ins Gericht mit der Theoriebildung, wie auch immer. Aber jetzt mal völlig unbesehen von solchen moralischen Wertungen. Sie sprechen von der Verwaltung der Langeweile, wenn sie von der Theoriebildung oder der Kenntnisnahme der Theoriebildung ausgehen. Sie verwenden Begriffe wie langweilig, kleingeistig, bürokratisch. Das ist keine Polemik. Könnte man vielleicht erstmal so sehen, aber Sie begründen das dann ja auch sehr gut und Sie haben da auch Käthe Kollwitz bemühend festgestellt: "Es bleibt ein öliges Gefühl der Zufriedenheit mit sich selber." Das heißt also, im Prinzip referieren Sie ja, ich sage mal 120 Jahre Theoriebildung der Sozialen Arbeit als Prinzip in der Bilanz als eine Leistung die im Grunde genommen eigentlich der weiteren Auseinandersetzung nicht mehr bedarf und kommen ja auch zu dem Schluss, dass im Prinzip diese Theoriebildung eher, ich sage mal, zu Sollensaussagen kommen und weniger zu empirisch begründbaren Aussagen, was ja ein Anforderungsmerkmal von Theorie auch ist, Aussagen darüber treffen sollte, welche Aussicht sie auf reale Veränderbarkeit dann auch einerseits stellt und zum zweiten dann auch in Anwendung ihrer Theorie beweisbar vorführen kann. Also, die Rezeption der Theorie der Sozialen Arbeit lohnt sich nicht, sagen Sie und Sie machen aber auch ein interessantes Angebot. Sie sagen, diese selbstverschuldete Kraftlosigkeit, theoretische Kraftlosigkeit, die könnte eigentlich überwunden werden, wenn Theorie etwas Kontraintuitives bietet, also etwas, womit man so nicht gerechnet hat. Da versuchen Sie in Ihrer Analyse der vorliegenden Theorien, auch der großen Theorien, ja verschiedene Einordnungen und bringen da den Begriff der Prozesstheorie. Ich glaube, das ist etwas, was wir den Studierenden erklären müssen. Was meinen Sie mit Prozesstheorie? Darin sehen sie ja die große Möglichkeit, etwas voranzukommen. Ich hatte ja eben schon ein bisschen was zu gesagt. Kurz also zu dem Punkt der Langeweile. Ich will mich jetzt auch nicht bei meinen Studierenden zu sehr beliebt machen oder so. Denen ist das ja eh egal. doch. Jedenfalls... Nein. Warum ist Ihnen das egal? Ich hatte damals also so eine kleine Umfrage gemacht und das war auch wieder das Unbehagen, ganz kurz. Ich glaube, dass viele unserer Theorien zum Beispiel sich ergehen dann eben in diesen Listen. Es wird im Prinzip bürokratisch abgehakt, was gutes Handeln ist und viele unserer Studierenden lernen das auch und sind auch ganz fleißig und können das auch. Aber sie gehen nicht aus der Veranstaltung und sagen: "Boah!" Das sagen sie nicht. Und in anderen Studiengängen haben sie das aber. Also meine Tochter studiert im Moment Jura. Das ist also alles ganz furchtbar, aber sie geht raus und fühlt sich von Theorien auch provoziert. Und das sind Aha-Erlebnisse, die sie imtheoretischen Bereich hat. Die, weiß ich nicht, ob wir die so vermitteln. Also wirklich prägende Erlebnisse haben sie in vielen Studiengängen, aber, ich glaube, in der sozialen Arbeit relativ wenig. Und dann hab ich ja ein paar Kriterien aufgestellt, woran man eben eine brilliante Theorie möglicherweise sehen kann. Eines dieser Kriterien ist kontraintuitiv. Man hat nachher eine Erkenntnis, die man früher nicht hatte. Und ich will jetzt keine Namen nennen, aber es gibt einige Theorien in der sozialen Arbeit, wenn man die hört, da fragt man sich schon, ob man das nicht vorher schon gedacht hat. Vielleicht nicht unter dem Label, vielleicht nicht in der Form, aber im Wesentlichen doch eigentlich schon so oder. Oder sie schießen übers Ziel hinaus. Thema Menschenrechte. Eben das war eher Thema Lebenswelt. Eine riesige Theorie, wenn man denn bei der Lebenswelt sagen würde, wo ist jetzt eigentlich der Punkt? Der Punkt ist, aus meiner Sicht, die Betonung des Alltags. Das ist ja die Provokation in der Philosophie, dass sich Thiersch mit Schutz abwendet sozusagen von der akademischen Philosophie und in eine kleine Nische geht. Und so das ist ja der Punkt, aber dieser Begriff der Lebenswelt als solches, wenn man ihn nicht näher erklärt und nur diese Axiome dann zum Gegenstand einer Lehrveranstaltung macht, der ist dann doch ein bisschen kraftlos. Das Kräftige wäre eigentlich die dahinterstehende Kontroverse zu verdeutlichen, wo Thiersch provoziert. Und das, glaube ich, passiert ganz selten, sondern hinten werden die Axiome dann abgearbeitet und das, wie gesagt, halte ich für ein bisschen kraftlos, ja. Wie gesagt, ein Prozessbegriff ist meiner Erfahrung nach, das, was Menschen einfach interessiert. Also das Drama, die Entwicklung, der Wendepunkt, also das irgendwie. Und darüber haben wir eben tatsächlich theoretische Beiträge, die erklären, wie es zu Wendepunkten kommt, wie es zur Verfestigung kommt, wie es zu Schwankungen kommt. Und das finde ich eigentlich sehr interessant, diese soziale Theorie danach zu durchleuchten und da kann man eine Menge finden. Ich habe da mal ein paar Stichworte zusammengetragen. Da haben jetzt auch Kolleginnen und Kollegen schon gesagt, da fehlen ganz viele; vielleicht machen wir auch nochmal mehr daraus, wenn es ein bisschen mehr Rückmeldungen gibt. Aber natürlich war das jetzt nur ein erster Aufschlag. Aber ich glaube, dieses Drama... Oder wir haben das in der sozialen Netzwerkteorie, diesen berühmten Satz: Networks a drama. Also die haben eine Story, die haben eine Geschichte, die haben eine dramatische Entwicklung und das macht Netzwerken interessant. Ja? Nicht unbedingt die Struktur, aber die Binnendynamiken da drinnen und ich glaube, dass gerade unsere Studierende, die ja auch sehr psychologisch interessiert sind, pädagogisch interessiert sind, dass die viel Zugang zu diesen Prozessaspekten haben, dass ihnen das ein leichterer Zugang wäre zur Vielfalt der Theorien sozialer Arbeit. Wie schätzen Sie eigentlich die Perspektive ihrer Theorie bezogen auf diese Herausforderung, die Sie eben geschildert haben, ein? Ja. Zum einen würde ich sagen: Die duale Rahmentheorie ist eine Theorie der sozialen Arbeit, also keine Handlungsfeldtheorie. Das muss man ganz klar sagen. Dieser Praxisaspekt tritt ein bisschen in den Hintergrund. Aber sie ist ein Beispiel für was kontraintuitives. Also ich nehme ja zwei Autoren, die nicht übliche Autoren der Sozialen Arbeit sind, die, glaube ich auch... Luhmann hat nur am Rande mal von Sozialarbeit gesprochen und Dewey übrigens auch nur in einem Bezug mal, meines Wissens. Also die haben sich mit Sozialarbeit überhaupt nicht befasst. Warum jetzt also zwei Autoren, die dann überhaupt nichts damit zu tun haben, auf einmal die beiden Säulenheiligen sein sollen, die also das Dach über den Theorien der Sozialen Arbeit tragen, ist nicht intuitiv. So und das, finde ich, arbeite ich sehr ausführlich aus und kann das auch ganz gut begründen, dass gerade darin die integrative Stärke liegen kann, dass sie eben keinen Stallgeruch haben, dass sie keine besondere Prägung haben und deswegen sind sie in der Lage, einen Rahmen zu bringen, den andere, die zu sehr verstrickt sind in der Theorie der Sozialen Arbeit, nicht liefern können. Das finde ich, wenn ich das so sagen darf, ganz interessant und kontraintuitiv an der Theorie. Und für den eher praktischen Aspekt stelle ich mir jetzt vor, eher mit dem Prozessbegriff das weiter auszuarbeiten, aber das ist work in progress. Da müssen wir jetzt mal sehen. Anknüpfend an dem zum Beispiel Situationsbegriff, an zum Beispiel auch der Dualität der Ambivalenz. Wir haben also nicht nur eine Theorie, sondern wir haben verschiedene Einflüsse. Das ist, glaube ich, etwas, womit man weiterarbeiten kann und was dann auch Praxis relevant ausformuliert werden kann. Nicht so sehr die Rahmentheorie, der Prozessaspekt, aber die Rahmentheorie als solche ist als theoretischer Beitrag, finde ich, auch ganz wertvoll. Zum Abschluss haben wir Fragen für unsere Studierenden noch uns überlegt und die erste Frage, die wir haben ist: Warum ist es überhaupt eine gute Idee soziale Arbeit zu studieren? Ja, ich finde, dass man in kaum einen Studiengang so viel über so viele Aspekte lernt und auch über sich selbst. Mir fällt wirklich keiner ein, der also so breit... Der die Studierenden wirklich als andere Menschen auch nach drei Jahren die Hochschule verlassen lässt. Also es passiert eine Menge mit einem. Man lernt eine Menge über soziale Probleme, man lernt eine Menge über auch Staat, über Psychologie, bei uns dann auch Theologie; was auch immer und auch über sich selbst, bis hin zum eigenen Körper, den kreativen Schauspielfähigkeiten. Man kann also ganz viel machen. Es ist ein sehr bereichernder Studiengang. Zum anderen hat man eine Jobgarantie, also so wie der Arbeitsmarkt auf absehbare Zeit aussieht... Ist ja auch ganz nett. Völkerkunde ist auch interessant, aber hier haben sie halt einen Studiengang, der viel mit einem macht, der, glaube ich, an sich ein Erlebnis ist und der dann auch noch zu einem sicheren Job führt. Das finde ich einen pädagogischen und ökonomischen Aspekt. Ich finde, da kommt viel Gutes zusammen. Wenn Sie sich Studierende im ersten Semester vorstellen: Was für einen Tipp würden Sie denen geben oder welchen Tipp geben Sie ihnen? Ja, Sie fragen mich ja ein bisschen als theoretisch Interessierten. Ich würde sagen: Lesen Sie Originaltexte. Lesen Sie die Bücher, Sie können auch Lehrbücher lesen, auf jeden Fall. Aber es ist dann doch überraschend in Originaltexte rein zu gucken. Das hat was mit Ikonoklasmus zu tun, dass man Autoritäten nur dann infrage stellen kann, wenn man die Originaltexte gelesen hat und sie sind gut verständlich in der Regel. Also wenn sie unsere Theoretiker lesen, das können Sie verstehen. Das ist ganz selten, dass sie es nicht verstehen. Zumindest bei diesen großen Theoretikern: das ist meistens gut zu verstehen und zum Teil erlebt man Überraschungen. Wenn Sie hier Texte von Alice Salomon sehen, das kommt schon relativ reaktionär rüber. Ja, das war eine andere Zeit. Heute würde ich, ich weiß nicht, rechtsradikal ist ein bisschen hart gesagt, aber... Die Art, wie sie über Fürsorge spricht und die Prägung von Familien, die nun mal kriminell sind und so, das ist in einer anderen Zeit und so ist es wichtig, so einen Text im Original zu lesen. Kollegin Pohl hat mal das gouvernantenhafte genannt bei Alice Salomon, dass man da auch in der Lage ist, Autoritäten in Frage zu stellen und zu sagen, dass ist ein toller klassischer Text. Aber Gott bewahre. Wenn Sie damit heute promovieren würde, würde es wahrscheinlich nicht durchkommen. Und das ist wichtig, dass man in der Theorie Originale liest und sich nicht zu sehr von Autoritäten einschüchtern lässt. Für die Erstsemester die Originaltexte. Was würden Sie den Studierenden empfehlen, die kurz vor dem Ende des Studiums im sechsten und siebten, achten oder zwanzigsten Semester stehen? Ja. Klingt ein bisschen blöd, aber versuchen Sie Kontakt zur Wissenschaft zu halten, also zur Hochschule. Da passiert doch immer mal was. Für Sie ist es interessant, für die Hochschule ist es interessant, Kontakt zu den Praktikern zu halten und man hat natürlich in der Praxis eine gewisse Versumpfungstendenz und auch manchmal eine Engführung und Frustration und da ist es, glaube ich, ganz gut, wenn man trotz allem Stress mal an der Tagung teilnimmt, sich ein bisschen befruchten lässt von anderen Perspektiven. Ist vielleicht auch mein Rat aus Hochschulensicht, aber im Sinne eines Jop Enrichments: halten Sie den Kontakt zur Hochschule. Was ist für sie das wichtigste Buch, das alle SozialarbeiterInnen gelesen haben sollten? Für mich war ein großes Aha-Erlebnis der Text von Horkheimer und Adorno: "Dialektik der Aufklärung". Grundaussage ist, dass wir in modernen liberalen Gesellschaften gute Dinge tun wollen, im Sinne der Freiheit bauen wir Institutionen, die aber dann am Ende unter der Hand eben dialektisch sich in ihr Gegenteil verkehren können. Und da müssen wir halt aufpassen. Horkheimer und Adorno beschreiben das sehr schön, wie das so passiert, dass man das Gute will und dann immer auch - auch, nicht nur - aber auch das Negative das Gegenteil von dem bekommt, was man eigentlich wollte. Wir wollen also eine schöne Arbeitsverwaltung machen und die Arbeitsverwaltung bekommt dann etwas sehr restriktives, totalitäres in der Art wie Prozesse organisiert werden, gerade weil sie gerecht sein will, gerade weil sie Personen unabhängig, neutral sein will, kommt etwas frei heraus, was am Ende unmenschlich sein kann. Was keiner will, aber ein verbreiteter Nebeneffekt ist. Das war für mich ein großes Aha-Erlebnis und bringt auch einen immer wieder in eine Position der eigenen Bescheidenheit, weil der große Entwurf, die geniale Idee, auch die geniale Theorie wahrscheinlich für uns nicht erreichbar ist. Vielen Dank, Herr Schönig, dass Sie sich die Zeit genommen haben für das Interview... Sehr gerne, wunderbar. Es war uns eine große Freude. Ja, herzlichen Dank auch von meiner Seite. Dankeschön.