Wolf Rainer Wendt
Theorien der Sozialen Arbeit
15.10.2021 78 min Staffel 1 Episode 16
Zusammenfassung & Show Notes
Wolf Rainer Wendt (* 1939) studierte Philosophie, Psychologie, Soziologie und Kunstgeschichte in Tübingen und Berlin mit dem Abschluss Dipl. Psychologe und promovierte 1969 in Tübingen. Nach Tätigkeiten in der Erziehungsberatung und Abteilungsleitung im Jugendamt Stuttgart übernahm Wendt 1978 die Leitung des Ausbildungsbereiches Sozialwesen an der Berufsakademie Stuttgart (jetzt Duale Hochschule Baden-Württemberg). Wendt steht für den ökosozialen Ansatz innerhalb der Theoriebildung der Sozialen Arbeit. Seine theoretischen Fundierungen hat Wendt besonders in seinem Buch Ökologie und Soziale Arbeit (1982) dargelegt und später in seinen Büchern Ökosozial denken und handeln (1990) und Das ökosoziale Prinzip (2010) näher konkretisiert. Mit dem Buch Wirtlich handeln in Sozialer Arbeit (2018) legte er eine Revision seiner ökosozialen Theorie vor.
Transkript
Herr Wendt, welche drei Worte
beschreiben Sie am besten?
Mich als Person?
Ja.
Das ist natürlich immer ein bisschen
schwierig für einen das so zu
sagen, aber ich würde
mal einfach sagen:
Disziplin, braucht man
ja als Haltung zumindestens,
Konzentration bei der Arbeit
und
Distanz. Distanz deshalb,
weil man ja, in der Wissenschaft
zumindest,
sich nicht von den Dingen überwältigen
lassen sollte,
sondern aus der Distanz
heraus sich mit denen
beschäftigen sollte. Also von daher...
Ich habe auch von meiner
persönlichen Haltung her dieses
eher etwas distanzierte.
Ich komme aus Norddeutschland
und da ist man ein bisschen
distanzierter als vielleicht
hier im Kölner Raum.
Insofern gehört das auch dazu.
Aber ich denke auch,
dass das wissenschaftlich von Bedeutung
ist, dass man eine Haltung
einnimmt, die sich
etwas auch entfernt hält von den
Verwicklungen dessen,
was man da alltäglich,
beziehungsweise auch beruflich zu
tun hat, um sozusagen aus dieser
Distanz heraus zu erfassen und
durchaus beurteilen zu können objektiv,
wie die Dinge liegen.
Okay. Haben Sie so etwas wie eine
Lebensphilosophie? Und wenn ja,
wie lautet die?
Naja, wenn Sie sagen Lebensphilosophie...
Ich habe ja auch Philosophie
studiert und von daher
muss ich sagen: Ich bin
an sich ein Stoiker.
Und stoisch heißt ja, also
philosophisch gesehen,
dass man ruhig aushält,
was geschieht
und zugleich den Blick
hält auf das Ganze des
Weltzusammenhangs,
beziehungsweise die Erfassung möglichst
ganzheitlich dessen,
was vorliegt.
Und von dieser,
an sich ja in der griechische
Philosophie
auch relativ spät entwickelten
philosophischen Richtung her,
verstehe ich mich selber auch. Wir
leben ja irgendwie immer in
einer... heutzutage der Spätzeit,
beziehungsweise einer, wo auch
in der späten Moderne
die Dinge neu gesehen werden müssen.
Da passt doch durchaus,
sich so stoisch mit
den Fragen, die einem im Beruf, beziehungsweise
in der Wissenschaft
begegnen, sich damit zu befassen.
Wobei ich noch dazu sagen darf:
Die stoische Philosophie
ist für mich
neuerdings natürlich auch
verbunden mit dem,
was ostasiatisch die konfuzianische
Richtung
ist. Da habe ich auch sehr
viel Sympathie dafür,
aus dieser Richtung her zu denken,
zumal, wenn man es dann
vergleicht, da doch sehr
viele Übereinstimmungen
findet. Das ist jetzt schon
eine sachliche Aussage,
aber was meine persönliche
Haltung betrifft,
muss ich schon sagen: Ich halte
mich da für einen Stoiker.
Was ist der beste Ratschlag, der
Ihnen je gegeben worden ist
oder den sie mal bekommen haben?
Das kann ich nun gar
nicht beantworten
eigentlich, weil ich nicht denke,
dass irgendein Ratschlag
mein Leben so
beeinflusst hat.
Sehr viele Dinge sind mir
begegnet und ich hab
da sehr oft Rat bekommen, aber ich
bin oft auch in Situationen
gewesen, wo mir ein guter
Rat gefehlt hat.
Insofern kann ich jetzt
nicht angeben,
dass irgendein Ratschlag mich in
besonderer Weise beeinflusst
hat. Da ist mehr die Vielzahl
dessen, was man so an
Rat im Laufe des Lebens braucht und
da ich ja nun schon ein bisschen
älter bin, ist es eben recht viel geworden
im Laufe der Zeit und da
möchte ich jetzt keinen einzelnen
herausheben und sagen:
Das hat mich so bestimmt.
Das kann ich so nicht
angeben. Okay.
Gibt es so etwas wie ein
Vorbild für Sie in der
Sozialen Arbeit?
Da muss ich unterscheiden
zwischen der Praxis der
Berufstätigkeit, wo
ich sicherlich mit
vielen Menschen Kontakt gehabt
habe und Menschen begegnet
bin, die ich auch für
vorbildlich in ihrer
Praxis gehalten habe. Das heißt,
wirklich Leute, die beruflich
so in der
Praxis stehen und dort richtig
und gut gehandelt haben.
Vorbildlich in dem Sinne aber,
was auch für meine
Theorie wichtig ist, da
würde ich mal nennen
etwa Dwayne, ein
Amerikaner, der ja in der Zeit
der Progressive Era,
also nach 1900, in der
Zeit, wo sich ja die
Profession Soziale Arbeit eigentlich
ausgebildet hat in den
USA, eine wichtige Rolle
gespielt hat,
übrigens auch im Zusammenhang
mit Adams.
Und der hat nun eine
Verbindung hergestellt, die mir
heute sehr wichtig ist,
vielleicht kommen wir da auch
noch drauf zu sprechen,
zwischen Social Economy
und Social Work
und hat
auch die Zeitschrift,
die erste Fachzeitschrift, damals
ja mit herausgegeben:
"Charities And The Commons",
wobei
man wissen muss,
dass Dwayne lange Zeit
Generalsekretär der
New Yorker Charity
Organisation Society war
und zusammengeführt
hat, was damals sehr wichtig war
für die Professionsentwicklung:
diesen Bereich der Einzelfallhilfe
im Bereich von
Charity Organisation Societies und den
Bereich des Settlement Movment
hatten auch ihre
eigene Fachzeitschriften,
"Charity" auf der einen
Seite, "The Commons",
nicht unwichtig für meine fachliche,
für diese theoretische Sicht der
Dinge... "The Commons" von
Seiten des Settlement
Movement und unter Dwayne
wurden diese beiden
Zeitschriften zu einer Fachzeitschrift
zusammengefügt unter dem
Titel "Charities And The Commons".
Und das halte ich bis heute für die
Soziale Arbeit für ungemein
wichtig, dass man eben
im Bereich dieser
beruflichen Tätigkeit nicht
nur die Einzelmenschen
sieht mit denen man zu tun bekommt,
sondern gleichzeitig
das Gemeinwesen,
in dem man mit den Menschen zu tun
bekommt und wo auch die Probleme
liegen, sodass man nicht
einseitig nur auf
einer Ebene,
nämlich der des einzelnen
Falles, des einzelnen Menschen,
der einzelnen Beziehung,
die ich als Fachkraft zu
einem Klienten eingehe,
nicht diese Individualität
nur sehen darf,
sondern man muss eben gleichzeitig
auch den größeren
Zusammenhang sehen im Gemeinwesen,
in dem die Probleme vorliegen und in
dem sie auch bearbeitet werden
müssen; also eine Mehrebenenbetrachtung.
Und das denke ich, ist auch für
eine theoretische Betrachtung
dessen, was Soziale Arbeit ist, beziehungsweise
sein kann oder sein
sollte,
ein wichtiger Punkt:
Mehrdimensional zu denken.
Deshalb nenne ich ihn mal
so als Vorbild jetzt.
Vielen Dank. Sie haben gerade gesagt,
dass Sie Philosophie studiert
haben. Sie haben auch noch
weitere Fächer studiert.
Warum interessieren sich vor allen
Dingen für die Soziale
Arbeit?
Ja, das hat mit meiner persönlichen
Entwicklung zu
tun. Ich habe mich nicht
etwa irgendwie
für die Soziale Arbeit entschieden,
sondern ich bin da
reingewachsen. Ich habe nämlich die
Praxis der Sozialen Arbeit
sozusagen von der
Klientenseite her kennengelernt.
Zunächst einmal habe ich
ja die verschiedenen Institutionen
der Sozialen Arbeit durchlaufen.
Ich war erst einmal im Gefängnis.
Da müssen Sie nachfragen,
wenn sie da was Näheres dazu wissen
wollen, auf jeden Fall war ich
anderthalb Jahre eingesperrt.
Warum?
Politisch, zur DDR-Zeit.
Und ich hatte dann Bewährungsfrist
und so weiter.
Ich bin dann geflohen, war
also auch Flüchtling.
Dann kam ich ins Heim, also ich
war ja noch Jugendlicher.
Also Heimerziehung,
auch ein Gebiet der
Sozialen Arbeit.
Dann kam ich noch in
eine Pflegefamilie,
bin dankbar, dass ich da
aufgenommen wurde.
Naja, also hab ich doch viele verschiedene
Bereiche der Sozialen
Arbeit zunächst einmal sozusagen
von unten her,
von der Praxis her, kennengelernt
und das hat mich dann bewogen,
im Rahmen meines Studiums
Psychologie,
mich dann näher
damit zu beschäftigen. Es war
so ein langsamer Übergang,
der auch damit zusammenhängt,
dass ich dann meinte, nicht
unbedingt in der
Wissenschaft, also den
akademischen Werdegang an der Universität
weiter zu machen,
sondern diese eben Neigung
in die Praxis zu gehen
hatte ich und meinte auch, das
hat sich auch bewährt,
aus dieser Praxiserfahrung heraus
nachher dann eben auch theoretisch weiterzumachen.
Und deshalb bin ich
da so reingekommen in die Soziale Arbeit,
also nicht etwa durch eine
Entscheidung, dass man mit 20 Jahren
sagt: "Jetzt studiere ich eben
Soziale Arbeit, weil das gut
und richtig ist." Sondern
es waren eher die Gegebenheiten
des realen Lebens,
die mich dahin gebracht haben.
Aber dann müsste man ja eigentlich erwarten,
dass sie vor allen Dingen
für die Praxis brennen und sagen:
"Ich möchte in der Praxis der
Sozialen Arbeit tätig
werden." Aber sie haben sich ja
wirklich auch für die Theorie
entschieden, zumindest umfangreich.
Warum insbesondere die Theorie?
Naja, ich war ja zunächst in der Praxis.
Das darf man nicht vergessen.
Also ich bin immerhin
neun Jahre lang,
von 1969 bis
1977, Ende 1977,
war ich ja beim Jugendamt und war ja
da Abteilungsleiter und hatte mit
der Heimerziehung zu tun,
et cetera, et cetera.
Pflegestellenwesen und so weiter.
Also es ist nicht so,
dass ich nicht hinreichend Praxis gehabt
habe und ich bin ja auch in
die Dozententätigkeit
dann reingewachsen
aufgrund meines
Praxishintergrunds.
Insofern ist die Theorie
dann wieder gekommen,
aber auch nicht so, dass ich da nun
einfach dies von vornherein
als die Richtung
gesehen habe. Es hat
sich auch ergeben.
Ansonsten ist natürlich
die Theorie wichtig,
dass muss man jedem Praktiker, beziehungsweise
auch Studierenden auch
sagen, dass man einen
Durchblick hat und
eine Anschauung von dem,
was man eigentlich tut. Diese Anschauung,
da braucht man nun doch
wieder eine ziemliche Reflexion,
um die Zusammenhänge zu begreifen,
in denen man nun mit seiner
besonderen Tätigkeit
steht. Und das ist ja an sich das
Wesentliche bei der Theorie,
dass sie nicht etwa abgehoben ist,
sondern, ich habe vorhin
gesagt: in der Distanz,
aber immerhin doch in einer
Beziehung zu der
Praxis reflektierend, um
Bearbeitetes verstehen
zu können und wie
tatsächlich die Zusammenhänge sind,
in denen Soziale Arbeit
stattfindet. Vielen Dank.
Das war der erste Themenblock
und wir würden jetzt zum
Thema Kurzvorstellung kommen.
Ja, als nächsten Gast in unserer
Interviewreihe begrüßen wir
ganz herzlich Wolf Rainer Wendt.
Schönen guten Tag,
Herr Wendt. Bevor wir zu unseren
fachlichen Fragen kommen,
zunächst einmal für unsere Zuschauerinnen
und Zuschauer
ein kurzer Überblick
über Ihr bisheriges Schaffen.
Sie sind in Schwerin, in Mecklenburg
geboren und in der
damaligen DDR aufgewachsen und
mit 17 Jahren praktisch
in die politische
Gefangenschaft geraten. Ich glaube,
18 Monate waren es,
danach gelang Ihnen
die Flucht in den
Westen und Sie haben
im Westen dann in Tübingen
und Berlin
studiert: Philosophie, Psychologie,
Soziologie und Kunstgeschichte und
einen Abschluss als Diplompsychologe
erworben.
Die Promotion erfolgte
dann ebenfalls in
Tübingen und danach sind
sie nicht unbedingt den
Wissenschaft bezogenen Weg gegangen,
sondern in die Praxis.
Das heißt Tätigkeiten in der
Erziehungsberatung und auch in der
Abteilungsleitung im Jugendamt
Stuttgart.
1978 kam dann,
wenn man so will,
die wissenschaftliche Laufbahn.
Sie waren Leiter des Ausbildungsbereiches
Sozialwesen an der
Berufsakademie in Stuttgart,
heute Duale Hochschule
Baden-Württemberg,
und sind seit 2004
emeritiert im Ruhestand,
was aber nicht heißt,
dass Sie Ruhe geben,
sondern seitdem auch
weiterhin sehr,
sehr aktiv, unter anderem auch
als Honorarprofessor seit
2003 an der Universität Tübingen im
Institut für Erziehungswissenschaften.
Ihre Funktion alle aufzuzählen
fällt schwierig,
aber ich nenne mal so die wichtigsten.
Sie waren ein Mitbegründer
der Deutschen Gesellschaft
für Soziale Arbeit
und dort für viele Jahre auch
Vorsitzender dieser neu
gegründeten Deutschen
Gesellschaft. Vielleicht
muss man das kurz
erklären. Die Deutsche Gesellschaft
für Soziale Arbeit
ist, wenn man so will,
das Gegenstück zur Sektion
Sozialpädagogik und Pädagogik
der frühen Kindheit der
Deutschen Gesellschaft für
Erziehungswissenschaft.
Die Deutsche Gesellschaft für Erziehungswissenschaft
hat ja
eine Vielzahl von Sektionen. Eine Sektion
ist die Sozialpädagogik und
das war, wenn man so will,
eigentlich bis dato oder lange
Zeit und auch bis heute
noch für die
Sozialpädagogik eigentlich
der wichtige Bezugspunkt.
1989 wurde
eine Deutsche Gesellschaft für
Soziale Arbeit gegründet
und dass das geschah,
ist sicherlich auch Ihnen zu
verdanken. Sie waren
weiterhin Vorsitzender der Deutschen
Gesellschaft Verkehr und Case
Management, elf Jahre
lang. Und
was man natürlich nicht
unerwähnt lassen darf,
ist Ihre ausgesprochen aktive
Publikationstätigkeit. Ich glaube,
es sind mittlerweile über 700,
aber die können wir nicht alle
benennen; müssen wir auch gar
nicht. Insbesondere
zum ökosozialen Handlungsmodell,
worüber wir heute sprechen wollen,
zur Sozialwirtschaft, zum
Case Management, aber auch
zur Geschichte der
Sozialen Arbeit,
liegen ja seit langem Publikationen
von Ihnen
vor.
Ihre theoretischen Fundierungen
zum ökosozialen
Ansatz, um den es heute gehen
soll, die sind, ja,
ich sage mal, mindestens in vier
Werken zugrunde gelegt.
Ich zeig sie nun mal
kurz in die Kamera.
Zunächst mal 1982 das
erste Werk:
"Ökologie und Soziale Arbeit."
Ein sehr spannendes Buch.
Dann 1990:
"Ökosozial denken und handeln."
Und des Weiteren haben
Sie publiziert:
"Das ökosoziale Prinzip.
Soziale Arbeit ökologisch
verstanden."
Und dann, ganz spannend,
haben Sie jetzt,
in diesem Jahr,
eine Revision ihrer
ökosozialen Theorie vorgelegt:
"Wirklich handeln in
Sozialer Arbeit."
Da kommen wir zum Schluss dann
vielleicht auch nochmal kurz
darauf zu
sprechen. Ja,
ökosoziale Theorie...
Zunächst einmal überrascht
es ja vielleicht,
dass man in der
Sozialen Arbeit eine Verbindung
zur Ökologie sehen kann
oder dass Sie die
sehen. Ihre Theoriebildung stützt
sich ja sehr deutlich auf den
Begriff des Oikos,
übersetzt
Haus, Hauswirtschaft.
Was
hat Soziale Arbeit denn
mit Hauswirtschaft zu
tun?
Zunächst muss man ja bemerken,
dass wenn
man ökologisch denkt,
beziehungsweise hier eine
Theorie entwickelt,
man nicht unbedingt an Umwelt,
Umweltschutz und ähnliche
wichtige Fragen denken
muss. Das wird oft missverstanden.
Es gibt da viele
Bindestriche. Fachgebiete mit
Öko-Psychologie, et
cetera, et cetera.
Das ist hier nicht gemeint. Ich
bin also ein bisschen dahinter
zurückgegangen auf diesen
Begriff des Oikos
in Betrachtung einer
ursprünglichen, in modernen
Zeiten nicht mehr so möglichen
Einheit des
Zusammenlebens, in dem sowohl
das Wirtschaften
wie die Behandlung sozialer
Probleme überhaupt die Gestaltung
des Lebens,
der relativen Einheit,
stattgefunden hat. Das
ist eben im Altertum
mit diesem Begriff auch
belegt worden,
wobei hier Oikos eigentlich
Haus und Hof heißt. Insofern
ist das nicht so
gemeint, dass das eben im
Sinne des einfachen
Zusammenwohnens,
aber immerhin eine Lebensgemeinschaft,
eine Hausgenossenschaft
und so weiter
des Zusammenseins, in dem alle Fragen,
die das Leben betreffen,
alle Probleme, die da sind,
auch behandelt werden.
Und das Auseinanderfallen setzt
dann unter anderem auch das
Soziale frei. Von daher habe
ich hier den Anfang
gehabt, der außerhalb dessen steht,
was wir heute mit sozial einfach
meinen. Das heißt,
ich habe gesucht nach
einer Grundlage,
von der
ich dann eben auch das
Soziale in seiner
Entfaltung darstellen kann und
auch die Beziehung behalten
kann zu den doch
wichtigen Fragen des Wirtschaftens,
des Zurechtkommens mit den Mitteln
und Möglichkeiten,
die man hat. Das Verhältnis
ist zum politischen
Bereich; alles das entfaltet
sich ja eigentlich aus
diesem ursprünglichen Verständnis
des Oikos.
Das hat ja Aristoteles nun,
in seiner Politik übrigens,
im ersten Band so schön
dargestellt, dass der Mensch
von Natur aus im
Oikos lebt und dass
da alles zusammengehört, was
man so im Leben braucht.
Und was er da nennt ist,
man braucht eine
Frau und man braucht
eine Flugschar,
er erwähnt die Sklaven nicht, aber
die sind auch noch wesentlich
natürlich. Also es ist
sicherlich eine etwas
patriarchalische Vorstellung,
die da nun vorhanden ist,
aber immerhin. Also zunächst einmal
ist der Mensch in diesem
Zusammenhang, gelebten Zusammenhang
und außerdem ist er
dann auch noch in der politischen
Sphäre. Aber das Soziale,
von dem ist zunächst nicht die Rede,
das muss man dann entfalten,
sodass auch immer hier ein Ansatz
da ist, von dem hier man
weiterdenken kann, gerade
auch wenn man neu fragt,
unter heutigen Verhältnissen, wie
sich denn nun das Soziale oder
die Soziale Arbeit zum
Lebensraum und zu den
Lebensverhältnissen der Menschen
einerseits und zu
den politischen Gegebenheiten
im Gemeinwesen andererseits
verhält. Da ist dies ein Ansatz,
von dem man herkommt.
Ja. Wenn wir nun in der Theoriebildung
der Sozialen
Arbeit uns bewegen, stellen
wir fest, dass,
ja, ich sage mal allgemein, die
Systemtheorie eine gewisse
Rolle spielt, aber die Systemtheorie
als solche gibt
es ja nicht.
Sie zeigen ja auch deutliche
Querverbindungen zur Systemtheorie
auf. Wenn man sich die Landschaft
anschaut, haben wir vielleicht
einmal die
eher konstruktivistische
Theoriebildung zum
Systembegriff, dann, wenn man so
will, eine eher ontologische,
bei Staub-Bernasconi
zum Beispiel stark vertreten. Und,
wie ich finde, wir haben
auch eine ökologische.
Können Sie vielleicht
den Zusammenhang zum
Systembegriff für uns noch
einmal verdeutlichen?
Eher etwas ungern.
Gerade wegen der Vielfältigkeit
des Systemverständnisses
habe ich einerseits Ansätze
wie zum Beispiel
bei Staub-Bernasconi
und andererseits
soziologisch, Niklas Luhmann.
Dann ist das oft
sehr verschieden und deshalb
bringt es da nicht so
viel. Und da bin ich also vorsichtig.
Natürlich es gibt den
Ökosystembegriff, wo eben
Lebewesen
unterschiedlicher Art einen
Lebenszusammenhang bilden,
indem sie auf Gegenseitigkeit
zu etwas
kommen. Insofern gibt es diesen
Ökosystembegriff.
Weiter verwende ich den eigentlich
nicht so gerne,
aus den genannten Gründen, außer
in der Gegenüberstellung
der
Lebenssituation, der Lebensweise,
der Lebenslage und Lebensführung
von Menschen einerseits und dem
in
dem Menschen das bekommen,
was sie alleine für sich
so nicht schaffen.
In der Problembewältigung, in der
Ausstattung und so weiter;
also das
Sozialleistungssystem,
das Gesundheitssystem,
insgesamt das Versorgungssystem.
Also da verwende ich den Begriff
schon, aber mehr in der
Gegenüberstellung, dass der
Mensch zu tun bekommt
in der Bewältigung seiner Probleme
mit diesen Systemgegebenheiten
im
Sozialwesen, im Gesundheitswesen,
im Versorgungssystem insgesamt;
also in dem, was man Daseinsvorsorge
nennt insgesamt.
Da spielt das dann eine Rolle.
Also hat es mehr praktische
Gründe, dass ich das so verwende.
Theoretisch brauche ich den
Systembegriff nicht so sehr
in der schlichten Weise,
dass man einen
Gesamtzusammenhang hat,
der in seinen Teilen
zu betrachten ist,
eine Wechselwirkung zwischen Teil
und Ganzen, das ist klar,
da muss man nicht groß drüber reden,
aber ansonsten benutze ich
das nicht so gerne, überlasse
das lieber den Soziologen.
Das heißt also, der Begriff
der Selbstorganisation
wäre für sie auch eher
problematisch?
Nein, das will ich nicht sagen. Das
ist ja nun wieder eine praktische
Frage. Insofern
die Komplexität von Lebenssituationen
es
erfordert, dass ich meinen
Alltag organisieren muss,
dass ich eben auch sehen muss,
wie ich mit anderen
Menschen zusammen
das Leben führen kann und so
weiter, da habe ich diese
Selbst... bezogen auch
auf das eigene
innere psychische und somatische
Verhältnis,
da brauche ich natürlich
auch diese Frage:
Wie organisiere ich mich
gut und richtig,
um im Leben zurechtzukommen?
Da spielt das schon eine
Rolle. Aber ansonsten, wie gesagt,
nicht so sehr Systembegriff.
Darf ich da nochmal nachfragen:
Auch das Interaktionsverständnis
würden
Sie jetzt auch nicht
im Zusammenhang mit
sozialen Systembildungen
so sehr verorten?
Ja, weil ich dann immer sehr schnell
bei der Luhmannschen
Darstellung bin. Das, denke ich,
hilft mir hier nicht sehr viel
weiter, muss ich einfach
mal so sagen.
Das
Mensch-Umwelt-Verhältnis,
was ja auch im
Verständnis der Humanökologie
im eher soziologischen Sinne
behandelt wird, da geht
es ja mehr darum,
wie der einzelne Mensch
im Zusammenhang
oder Zusammenwirken auch im gegenseitigen
Austausch ist
mit anderen, mit der
sozialen Umwelt.
Da bin ich also schon wieder
beim Sozialen eigentlich,
bei den engeren Lebensgemeinschaften,
naturwüchsigen Lebensgemeinschaften
dann auch. Natürlich im Zusammenhang
von Stadt,
Dorf oder je nachdem, wo ich
lebe. Da habe ich diese
Zusammenhänge und das kann ich
erörtern. Das ist richtig.
Da brauche ich nicht unbedingt
den Systembegriff,
gerade wegen der Mißverständlichkeit
heutzutage.
Eine letzte Frage dazu noch:
Urie Bronfenbrenner als ein Vertreter
dieses ökologischen
Entwicklungsmodells hat ja
da ein Angebot gemacht,
dass er diese Systembezüge halt vom
Mikrosystem oder Nanosystem...
Da bin ich ganz dabei, das ist kein
Problem. Da geht es mehr um die
Frage der Ebenen, der Betrachtung,
dass ich meinen engeren
Lebenskreis habe,
dass ich dann außerhalb dieses engeren
Lebenskreises, da ich bin ich
schon wieder beim Versorgungssystem...
Da haben wir dann eben
Einrichtungen wie Kindergärten,
Tagesstätten, Schule,
et cetera und darüber hinaus
habe ich natürlich größere
Zusammenhänge im kommunalen
Leben und im
staatlichen Leben und außerdem
natürlich noch diese Ebene,
wo ich dann eben kulturell und auch
von den Werten
her bestimmt bin. Da kann
ich dem Bronfenbrenner
in seinem Ansatz durchaus folgen.
Und es ist mir auch wichtig
im Hinblick auf die
Mehrebenenbetrachtung
im Theoriezusammenhang.
Ja, schön. Sie hatten gerade
schon einen Begriff
genannt:
Bewältigung, Lebensbewältigung.
Wenn wir uns in der Theoriebildung
der Sozialen Arbeit umschauen,
dann finden wir ja die
sogenannten Bewältigungsansätze
- Hans Thiersch,
Lothar Böhnisch - und wir finden
neuerdings dann halt auch
Lebensführungsansätze: Dieter
Röh, Peter Sommerfeld,
Jan Volker Wirth, wobei
das ja nicht neu
ist. Sie haben ja eigentlich
recht frühzeitig schon auch im Zusammenhang
der Gegenstandsbestimmung
davon
gesprochen, dass
der Gegenstand der Sozialen Arbeit,
ich zitiere das mal,
gesellschaftliche und individuelle
Lebensführung
und -bewältigung in den empirischen
Details ihres Gelingens
oder Misslingens sein
kann. Frage jetzt:
Lebensführung und Lebensbewältigung,
was heute,
so wie ich persönlich finde,
auch ein bisschen künstlich
auseinandergehalten wird,
ist bei Ihnen eigentlich
zusammengedacht.
Ist das richtig richtig?
Das ist richtig. Eben hatten Sie nach
der Selbstorganisation gefragt.
Ja, da kann ich natürlich
anschließen.
Der Mensch muss ja betrachtet
werden als ein aktiv,
mehr oder minder aktiv,
sein Leben führendes Wesen.
Dabei hat er bei der
komplexen Welt,
in der wir leben,
eine ganze Menge Schwierigkeiten.
Der Mensch muss seine Zeit
einteilen. Der Mensch muss eine
Perspektive für sich entwickeln,
einen Entwurf seines Lebens.
Er muss planen, wie
er da vorankommt.
Der einzelne Mensch muss
mit den Umständen,
mit denen er zu tun hat, mit den Mitmenschen...
und das muss er alles
berücksichtigen und in seine
Lebensgestaltung mit einbeziehen
und insofern
betrachtet, zunächst einmal als
ein aktives Wesen in der
eigenständigen, selbstständigen
Lebensführung. Wenn man meinetwegen
die Menschen mit Behinderung
nehmen, dann sehen wir sofort, dass
das ein ganz wichtiger Punkt ist,
dass man sie eben nicht als passives
Objekt der Behandlung,
der Intervention,
wie man gerne im sozialen
Arbeitsbereich sagt,
betrachtet, sondern zunächst
einmal seine
Eigenständigkeit,
selbstbestimmt das Leben
gestalten zu wollen,
auch mit Schwierigkeiten, mit Behinderung
und anderen Problemen
und davon nun ausgehen. Insofern
ist natürlich von daher
die Rolle des
Klienten, wenn man das
überhaupt gebrauchen
sollte, anders zu sehen,
nämlich sehr viel mehr produktiven
Sicht zu sehen im Hinblick auf
das, was in der Sozialen
Arbeit getan werden kann. Ich kann
also die Soziale Arbeit gar nicht
in ihrer Leistung verstehen und
ihre Wirkung verstehen,
ohne die eigene Leistung und
die Selbstbestimmung,
die eigene Produktivität
der Menschen,
mit denen ich umgehe, zu betrachten.
Insofern ist es theoretisch
ein sehr wichtiger Punkt,
dass ich hier von der
eigenständigen
Lebensführung ausgehe
und natürlich dann
betrachten muss:
Wie steht diese eigenständige
Lebensführung in Beziehung zu dem,
was von außen her kommt
und was von außen ja
auch einengend ist. Da müsste
man dann noch auf
die Verwirklichungschancen
eingehen und
Amartya Sen zitieren und so weiter,
um eben die Freiheit des Einzelnen
in Beziehung zu den
Erfordernissen des Lebens
andererseits zu setzen.
Da können wir sehr viel theoretische
Bezüge dann knüpfen,
aber auf jeden Fall ist
ein wichtiger Punkt,
von dieser eigenständigen
Lebensführung auszugehen
in
Beziehung auf die Verhältnisse,
in denen der Mensch lebt.
Das heißt, man könnte doch sagen,
dass Lebensführung der Lebensbewältigung
vorausgeht,
wenn man so will,
aber, korrigieren Sie
mich, ich habe Ihre Texte
so gelesen,
dass Sie diesen Lebensführungsbegriff
eigentlich gar nicht so sehr ins
Zentrum stellen, sondern
eher bei dem
Bewältigungsaspekt sind. Weil da
die Dinge eher komplex sind.
Nehmen wir mal ein Beispiel
mit Jugendlichen.
Der muss sich entscheiden, wie macht
er mit der Schule weiter,
beziehungsweise wie steigt er
in das Berufsleben ein,
will er woanders wohnen
selbstständig,
wie sind seine Beziehungen
zu anderen
Menschen und so weiter. Er muss ja
alles irgendwie in den Griff
bekommen und von daher
ist bei diesem
Führungsverständnis schon die
Notwendigkeit da,
wenn man von Führung spricht,
dass ich etwas Komplexes zu
bewältigen habe. Wenn es
etwas Einfaches wäre,
dann muss ich nicht von einer
Lebensführung reden,
dann geschieht das eben so, wie der
Alltag so läuft und immer so
hin. Da das aber nicht so
ist, muss ich dann doch
aktiv etwas machen. Wenn
ich das in Beziehung
setze zur Sozialen Arbeit,
dann brauche ich natürlich, weil ich
ja den aktiven Akteur auf der
anderen Seite habe... muss ich ja wissen,
wie führst du dein Leben,
denn darauf bezogen will ich
ja vielleicht helfen oder
unterstützen oder korrigieren,
wie auch immer, wirken.
Wie führst du dein Leben im Alter?
Frage Pflegebedürftigkeit et
cetera. Wie führst du dein
Leben als Jugendlicher und wie
willst du es weiterführen?
Wie führst du dein Leben
in der Familie
und wie kommst damit
zurecht? Insofern ist natürlich
die Bewältigungsaufgabe
als Tatsache gegeben,
um eben Führungsverhalten für
sich selber entsprechend zu
zeigen und natürlich bin ich dabei
auch bei dem Managementgedanken.
Das ist ja ein Zusammenhang, der hier
auch eine wesentliche Rolle
spielt.
Wenn Sie sich Ihren Therapieansatz
nehmen
und sich das konkret für die
Soziale Arbeit vorstellen:
Warum sollte die Soziale Arbeit mit
diesem Theorieansatz arbeiten?
Ja, da könnte man jetzt ein
Missverständnis haben.
Die Soziale Arbeit soll ja
nicht mit dem Ansatz
arbeiten. Es ist ja nicht instrumentell
zu verstehen,
im Sinne von: heute arbeiten
wir mal ökosozial.
Sonst arbeiten wir therapeutisch,
systemisch oder sonst wie und da
hätten wir jetzt eine neue Möglichkeit.
Machen wir es mal ökosozial.
Das wäre ja ein totales Missverständnis.
Das haben Sie ja auch nicht
so gemeint, aber...
Ja, aber warum sollte sie
zumindest auf diese
theoretischen Ansätze zurückkommen,
sie berücksichtigen?
Ja, weil hier Orientierung
gegeben wird.
Die Aufgabe der Theorie
ist hier, glaube ich,
zunächst mal eine orientierende.
In welchen Zusammenhängen wird
sozial gearbeitet?
Einmal,
hatten wir vorhin schon mal angesprochen:
Es wird auf mehreren Ebenen
gearbeitet und die muss
man erfassen.
Da bin ich aus der Unmittelbarkeit
meiner
Arbeit mit einem Menschen oder
mit einer Familie heraus und
sehe, ich bin im Dienst, bin beschäftigt.
Welche Aufgaben habe ich
da? Warum gibt es diesen
Dienst? Wie steht er im
Versorgungszusammenhang,
Versorgungssystem et cetera?
Wie finanziert er sich et
cetera, was dazu kommt? Und wie ist
die politische Absicht mit dem
Ganzen? Also sind wir bis zum
Start hoch, das heißt,
wir haben hier zum Beispiel von
der Vertikalen her schon einen
größeren Zusammenhang und
außerdem muss ich sehen:
der einzelne Mensch ist auch
nicht alleinstehend,
für sich allein zu sehen, sondern
er hat seinen Haushalt,
er hat seine Wohnumgebung,
er hat also einen
Horizont, in dem er lebt, seine
städtische Umgebung,
seine ländliche Umgebung,
je nachdem,
sodass ich sowohl horizontal
und vertikal mich ziemlich
viel orientieren muss,
um in meinem Arbeitsverständnis
zu sehen,
wie ich hier funktioniere
und welche Aufgabe ich
habe. Das muss ich nicht
jeden Tag tun,
aber für die Soziale Arbeit insgesamt
und für die Gestaltung der
Sozialen Arbeit, denke
ich, ist es wichtig,
diese größeren Zusammenhänge
wahrzunehmen.
Wir haben viel angefangen. Das fängt
eben bei diesem Grundverständnis
des Haushaltens an oder
des Haushalts an.
Aber es gibt nicht nur den
einzelnen Haushalt,
sondern den größeren Haushalt,
den kommunalen Haushalt,
den Staatshaushalt et cetera. Und
da drin geschieht Soziale
Arbeit. Diese orientierende Funktion
ist wichtig und zwar nicht
nur für den einzelnen Sozialarbeiter
und für den,
der es studiert, sondern
auch, um zu sehen,
welche Möglichkeiten hat die
Soziale Arbeit überhaupt.
Welche Funktion hat sie?
Dazu soll die Theorie
dienen. Darüber zu orientieren und
da auch Möglichkeiten zu haben
weiterzudenken im Hinblick
auf die Veränderungen,
mit denen wir heute in
der Gesellschaft und
überhaupt zu tun haben.
Aber es ist ja eine Tendenz
zu erkennen,
dass der ökosoziale Ansatz
auf der einen Seite
und der psychosoziale Ansatz
auf der anderen Seite
gesehen werden und von vielen Studierenden
und Sozialarbeitern,
die die Hinwendung zur psychosozialen
Ebene oder
zur psychosozialen ansetzen,
deutlich erkennbar ist. Wie
würden Sie das Miteinander
denken?
Also ich bin unter anderem
auf diesen ökosozialen
Ansatz auch gekommen in einer Zeit,
in der das soziale Denken
und Handeln
besonders ausgeprägt war.
Da gab es diesen
Therapieboom in den
80er Jahren, der 70er Jahre,
wo man eigentlich Sozialarbeiter
nur sein konnte,
wenn man diese und jene therapeutische
Zusatzausbildung genossen
hatte, um dann eben in dieser
Richtung psychosozial
arbeiten zu können. Da
wollte ich von weg,
weil das Ökosoziale steht dem
psychosozialen Ansatz, gegen
den ich sonst in der
Praxis ja nicht weiter was habe,
aber an sich gegenüber.
Das heißt, ich will mich nicht
konzentrieren auf das
Innenleben von Menschen und
über die Typdynamik
oder was immer ich dann
psychoanalytisch oder
anderswie noch therapeutisch
hierzu wissen kann und tun
kann. Da will ich von wegkommen,
um zu sagen:
Der Mensch muss sich wehren
und bewältigen.
Da sind wir wieder bei der Lebensführung.
Er hat also mehr zu
tun,
als nur auf seine innere Verfassung
zu sehen. Da ist Hilfe oft nötig,
wohlgemerkt, aber trotzdem.
Insgesamt muss ich da eigentlich
drüber hinauskommen.
Von daher sehe ich da eine gewisse
Gegenüberstellung von
Psychosozialem und Ökosozialem.
Das ist damit nicht voll begriffen,
wenn ich nur diese
Gegenüberstellung sehe, aber trotzdem
ist das in der Tat so,
dass ich meine, man sollte nicht
in der Sozialen Arbeit,
wenn man es studiert,
darauf aus sein,
ein kleiner Psychologe, kleine
Psychologin zu werden
und hier Menschen therapieren zu
wollen. Da hat man oft genug
Gelegenheit dazu. Nolens
volens. Aber zunächst einmal sollte
es nicht die Richtung sein,
sondern es geht um größere
Lebenszusammenhänge, Lebensgestaltung,
Problembewältigung,
Lebensbewältigung, wie wir es
schon angesprochen hatten.
Und da ist die Psycho-Seite
nur eine, nicht unwichtige
in vielen
Einzelfällen, zugegeben, aber
nicht unbedingt für das
Verständnis der Aufgabenstellung
Soziale Arbeit insgesamt
geeignet.
Könnten Sie das vielleicht an einem
praktischen Beispiel vielleicht
aus Ihrer Berufspraxis
oder auch danach
mal erläutern, also
wie das in Ihrer
Theorie für die Praxis sein könnte?
Ich bin ja... Da ich selbst nur diese
Heimerziehungserfahrung hatte,
war ja nun auch tätig im Bereich
der Heimerziehung und
habe eben sehr schnell gemerkt...
Übrigens: Bruno Bettelheim kann
ich da immer noch empfehlen.
"Der Weg aus dem Labyrinth."
Dieses Buch...
Also bei dieser Heimerziehung
habe ich gemerkt,
dass die ganzen Lebensumstände
im Heim
bedeutsam sind
für die Entwicklung der
Kinder im Heim.
Und nicht nur ihre innere
Befindlichkeit. Also die Feststellung,
dass zum Beispiel der
Hausmeister im
Kinderheim oft eine wesentlichere
Rolle spielt,
als die einzelne Fachkraft.
Weil der Hausmeister mal sagen
kann: "Das muss jetzt gemacht
werden, da geht es lang."
Deshalb sind die anderen Fachwirt trotzdem
nötig. Das ist schon klar,
aber auf jeden Fall muss man das in
einem größeren Zusammenhang sehen.
Oder ein anderes Beispiel,
weil wir gerade momentan noch
damit zu tun haben:
bei geflüchteten Menschen.
Die bringen oft natürlich
viele Probleme, auch innerliche
Belastungen und so weiter
mit. Das ist schon klar. Aber es
geht hier auch wieder um eine
Bewältigungsaufgabe, was die
Integration betrifft.
Und da muss man dann viele Dinge
im Alltag machen,
die so mit praktischen
Lebensumständen
zu tun haben. Wie ist das hier in
Deutschland? Wann muss man
aufstehen morgens?
Wie geht man mit den Behörden um?
Wie kauft man ein? Also
praktische Fragen.
Meine Frau beschäftigt sich gerade
im Moment mit Flüchtlingen,
bei der Integration hilft sie,
ganz informell und da geht
es um solche Fragen
und diese nicht natürlich
mit der Frage,
der Geflüchtete als Opfer.
Welche Traumata hat er
mitgebracht? Natürlich
hat er das häufig,
oft auch nicht. Aber das ist nicht
entscheidend im Hinblick auf das
größere Ganze des Integrationsweges,
wo man es mit dem Versorgungssystem
zu tun bekommt, wo man also viele
Schwierigkeiten hier hat,
die zu bewältigen sind,
wo man magaen muss diese
Eingliederung.
Und da ist doch dieser größere
Zusammenhang wichtig.
Und da sind wir wieder sozusagen
bei der Ökologie des sich
Einlebens von Menschen hier
in diese andere Umgebung
und eine andere Kultur, diese
andere Lebensweise und diese
Ökologie zu begreifen im
Zusammenhang, im Unterschied auch,
zwischen der Kultur,
aus der die Menschen jeweils
herkommen und die
Gegebenheiten hier und
das ist eben mehr als
die Behandlung einzelner Probleme.
Was Sie gerade noch
einmal ausführen,
passt ja auch sehr gut
zu ihrer Forderung,
dass die soziale Kategoriegemeinschaft
eigentlich für die
Entwicklung eines
disziplinären Selbstverständnis
der Sozialen Arbeit
stärker berücksichtigt werden soll.
Also Gemeinschaft ist ja
eigentlich, wenn man so will, auch
ein relativ alter Begriff,
auch in der soziologischen
Diskussion.
Aber vorab: Wenn man so
an moderne Zeiten
denkt... Ich zumindest
assoziiere da den durchindividualisierten,
vielleicht auch isolierten
Menschen und frage mich:
An welche Gemeinschaft denken Sie?
Also ist das... Es ist ja auch in
der Soziologie nicht so ganz unumstritten,
ob man mit dem
Gemeinschaftsbegriff überhaupt
noch soziale Ordnung
beschreiben kann. Wenn,
dann kommen Gemeinschaftsbegrifflichkeiten
vor
in Gemeinschaft der Versicherten,
Gemeinschaft der Gläubigen,
also relativ abstrakten
Konnotationen,
Verbindungen. Von daher die Frage:
An was denken Sie, wenn Sie
von Gemeinschaft sprechen?
Lassen wir die Soziologie
mal beiseite.
Ja, genau. Es geht um ganz konkrete
Dinge,
zum Beispiel Genossenschaftsbildung.
Wir sollten auch
in der Sozialen Arbeit, bei all
dem was man zu tun hat, sehen,
es gibt eine ganze Menge Lösungen,
wo man auf genossenschaftlicher
Weise,
zum Beispiel der Wohnungsgenossenschaft,
eine Assistenzgenossenschaften
für behinderte Menschen
und so weiter,
auch über das,
was fachlich geleistet wird hinaus,
durch diese Gemeinschaftsbildung
zur Bewältigung kommen kann.
Also zum Beispiel, dass man
da nun gemeinschaftlich
etwas arbeiten kann,
gemeinschaftlich sich aufgehoben fühlt
und sofort. Das ist nicht von
ungefähr so, dass in Italien
bekanntlich seit 1990
Soziale Arbeit im Wesentlichen
in Sozialgenossenschaften
stattfindet. Man hat gesehen,
dass diese Möglichkeiten der Genossenschaftsbildung,
wobei ja auch bei
den Genossenschaften die
einzelnen Beteiligten,
ob behindert oder nicht behindert,
gleichberechtigt aktiv
beteiligt werden. Teilhabe
als Begriff ist ja hier
nicht unwichtig. Und insofern
ist hier diese
Genossenschaftslösung
eine wichtige Möglichkeit der Weiterentwicklung
von Sozialer Arbeit
auch. Anderes Beispiel:
Caring Communities. Zunächst
mal ein englischsprachiger Begriff,
aber es geht ja darum:
Wie kann man die Pflegeproblematik
im Alter künftig lösen?
Denn es gibt ja immer mehr Pflegebedürftige
und es geht gar
nicht auf Dauer so, dass man meint,
mit Fachkräften das hinzubekommen.
Man muss also nach Lösungen suchen,
wie man informelle Netze bildet,
wie man Nachbarschaft
mit einbezieht,
bürgerschaftliches
Engagement und so
weiter und dazu eine
Vorstellung haben,
wie das geht. Und das ist sicherlich
nicht einfach,
gerade wegen unserer
individualisierten
Verhältnisse.
Man findet aber Formen, wie
man das hinkriegen kann.
Auch in der Palliativversorgung
ist es ja
möglich mit bürgerschaftlichem
Engagement viel zu leisten,
was einzelne Ärzte gar nicht
alleine leisten könnten.
Insofern ist das viel versprechend
hier diese
Gemeinschaftsseite zu betonen.
Im Übrigen muss man das
Soziale ja auch vom
Grundsatz her wieder verstehen,
nämlich im Sinne von
Solidarität und Solidarität
kann ich nicht ohne den
Gemeinschaftsgedanken denken. Da kann
ich nicht vom Einzelnen alleine
her denken, sondern muss
ich eben sehen,
dass der Einzelne in einem Gemeinschaftszusammenhalt
ist
oder hineingeführt werden
kann, wie immer man das
konkretisiert: in Netzwerkbildungen,
in Genossenschaftsbildungen
et cetera.
Da muss man genauer hinsehen,
da muss man auch viel tun.
Das ist nicht einfach. Aber zunächst
mal brauche ich vom Theoretischen
her eben doch ein Gemeinschaftsverständnis,
um hier auch diese Möglichkeiten
für mich,
für die Soziale Arbeit auch
zu sehen im Hinblick
auf die Gestaltung dieser Arbeit.
Vielleicht da nochmal eine
Ergänzungsfrage: Also
Gemeinschaftsverständnis
als Voraussetzung.
Aber wenn ich Sie richtig verstanden
habe, jetzt nicht in der irrigen
Annahme, dass, wenn ich mich jetzt,
ja, weg vom Fall, weg
von der Fallarbeit,
stärker in das Feld,
also in die Gemeinwesenarbeit
hinein bewege,
ich eben nicht damit rechnen kann,
dass ich dort funktionierende,
tragfähige, wie auch immer,
Gemeinschaften oder ein Gemeinwesen
vorfinde,
sondern es ist möglich, dass
hier und da noch Restbezüge
von Gemeinschaften vorzufinden
seien.
Aber das ist ja, was auch viele beklagen
in der Gemeinwesenarbeit,
dass sie sagen: "Ja, wo soll ich
denn eigentlich hier anknüpfen?
Ich habe hier eigentlich nur Einzelfälle."
Und wenn ich Sie richtig
verstanden habe, wäre die Funktion
der Sozialen Arbeit dann auch
stärker in der gemeinschaftsbildenden
Aufgabe und
Funktion zu sehen. Das heißt
also, auch so etwas wie
Gemeinschaft zu fördern
und um das zu können,
ist ein Verständnis von Gemeinschaft
Voraussetzung.
Ja. Hier sind wir wieder
bei einem Punkt,
der, glaube ich, insgesamt
für diese Theorie von
Bedeutung ist. An was
denke ich bei der
Sozialen Arbeit? Meist
wird gedacht an
einzelne SozialarbeiterInnen,
was die tun
oder tun sollten.
In der Realität ist es aber
so, dass wir ja...
Vorhin haben wir gesagt, es
gibt verschiedene Ebenen.
Also wir haben es zu tun mit
sehr vielen Vereinigungen
in der Wohlfahrtspflege,
im kleineren und größeren
Zusammenhang von Vereinen und
größeren Trägerschaften et
cetera, die alle auf diesem Gebiet
wirken. Es ist ja nicht so,
dass die einzelne Sozialarbeiterin,
auch wenn es zwei,
drei oder vier sind, sich
überlegen müssen,
wie machen wir Gemeinschaftsbildung?
Sondern man muss ja die
verschiedene Ansätze, auch diese
verschiedenen Ebenen sehen,
was ja schon vorhanden ist.
Die ganze Diskussion über
die Zivilgesellschaft
und ihre Organisationen et cetera
muss hier ja mitgesehen werden. Da
gibt es sehr viel Engagement und
das ist eben immer schon organisiert.
Es geht auch gar nicht um diese
Organisation, das heißt,
es wäre irrig in der
Gestaltung der Sozialen Arbeit von
den einzelnen handelnden
Fachkräften
allein auszugehen. Nein,
im Gegenteil.
Ich muss, sollte dieses
einzelne Handeln von
Fachkräften immer im dienstlichen,
organisatorischen, ministerialen,
politischen Zusammenhang sehen und da
gibt es natürlich dann auch die
entsprechenden Handlungsformen,
in denen man nun
tatsächlich tätig wird,
siehe Organisationsbildung zivilgesellschaftlich
und so
fort, wo tatsächlich auch etwas
geschieht entsprechend.
Wir hatten 2015 die
vielen Flüchtlinge, die gekommen
sind. Das hätte man gar nicht
schaffen können, wenn nicht diese
breite Bewegung da gewesen wäre.
Da kann man nicht mit Sozialer Arbeit
im Sinne der Einzelhilfe und so
weiter kommen beispielsweise.
Gut, das würde aber wahrscheinlich
auch bedeuten,
dass Soziale Arbeit eben nicht,
wenn man so will,
in sich diesem
Grundgedanken folgt, sondern immer
unter dem Aspekt einer Idee
von Vernetzung, Kooperation
mit unterschiedlichen Akteuren,
dem Gemeinwesen und dies
nicht quasi aus
eigener Kraftanstrengung
heraus.
Ja, wobei, da sind wir wieder
bei dem Problem:
Was heißt eigene Kraftanstrengung?
Was ist Soziale Arbeit?
Das haben wir hier noch nicht groß
erörtert im Moment eigentlich.
Da finde ich es wichtig,
zu unterscheiden zwischen den
professionell handelnden
Einzelnen und der
Sozialen Arbeit,
die in organisierter
Weise auf mehreren
Ebenen stattfindet, wo sich
die Verbandsvertreter
zum Beispiel natürlich
auch verstehen als
Sozialarbeitende, obwohl sie
nicht unbedingt sagen:
"Ich bin ein Sozialarbeiter, eine
Sozialarbeiterin auf der
unmittelbaren Ebene der
Einzelfallhilfe,
sondern ich gestalte und arbeite
in meinem Verband,
in meinem Verein,
im Sinne der Sozialen Arbeit."
Insofern muss ich quasi einen
doppelten Begriff von Sozialer
Arbeit haben.
Als Berufstätigkeit einzelner
Menschen,
die dafür ausgebildet sind
und als eine in der
Gesellschaft stattfindende Arbeit
zur Bewältigung von
Problemen, die diese
Gesellschaft hat.
Wobei die Organisationsbereitschaft
und die Bereitschaft,
sich zu engagieren in
Gesellschaft und dergleichen
bei der Sozialen Arbeit ja
ausgesprochen niedrig ist, wenn man
das zum Beispiel vergleicht zur
Medizin oder zu den Juristen.
Woran machen Sie das fest,
wenn wir sagen,
eigentlich ist Gemeinschaft ein
sehr zentraler Begriff,
auch eine sehr zentrale
Idee und gleichzeitig
wird genau dort, wo es notwendig wäre,
die Interessen gemeinsam zu
vertreten, das nicht praktiziert?
Ich habe jetzt natürlich nicht unbedingt
in erster Linie gemeint,
die berufliche Interessenvertretung,
also die Berufspolitik.
Da ist zu bedauern,
dass die Organisationsfähigkeit
da relativ gering ist. Also wenn
ich die Mitgliederzahl der
Berufsvereinigung bedenke,
ist das sehr gering. Das ist zu
bedauern. Das ist richtig.
Das hängt aber auch damit zusammen,
dass sich Sozialarbeitende oft
etwas isoliert vorkommen und meinen,
sie könnten da nicht viel
erreichen. Deshalb ist es,
denke ich, wichtig,
dass man alle die mit einbezieht,
die sich auch in der
Sozialarbeit handelnd verstehen,
ohne dass sie nun unbedingt hier
als
Berufstätige im Sinne der
Profession zählen.
Das ist eine schwierige Frage.
Das gebe ich zu.
Das kann ich auch nicht so
einfach hier beantworten.
Ich meine nur, dass es wichtig ist,
nicht nur diese Einzeltätigkeiten
zu sehen
und die Fähigkeiten, die ich
hier einsetze in diesen
Einzeltätigkeiten, sondern diesen
größeren Zusammenhang der
zu leistenden Arbeit sehe,
immer unter Einbeziehung
derjenigen,
die davon auch betroffen sind
und die in Selbsthilfe und
Selbstorganisation auch mitwirken
sollten.
Sie hatten gerade darauf
hingewiesen:
Was ist Soziale Arbeit?
Wahrscheinlich wird
dieser Rahmen hier nicht
reichen, das zu klären.
Aber vielleicht noch einmal
auf eine Aussage bezogen,
die sie mit Blick auf die
Möglichkeiten einer
Wissenschaft der Sozialen Arbeit
mal gemacht haben.
Und zwar haben Sie geschrieben, dass
die Wissenschaft oder niemand von
der Wissenschaft der Sozialen
Arbeit erwarten kann,
dass sie für das berufliche
Handeln ein
einheitliches, objektives
Sachprogramm
entwirft und begründen kann. Woran
scheitert das aus Ihrer Sicht,
ein objektives Programm
zu begründen?
Weil die
programmatischen Anforderungen
so vielfältig sind.
Weil es kommen ja immer wieder
neue Anforderungen dazu.
Die Vielfalt dessen, was
in der Sozialen Arbeit
gemacht wird,
lässt sich nicht einfach unter
einen Hut bringen.
Im Hinblick darauf
auf ein Programm.
Man kann drüber reden, wie der Zusammenhang
ist, aber nicht in einem
Programm. Es ist ja nicht
von ungefähr so,
dass international oft gar nicht
von Sozialer Arbeit die Rede
ist. Die einen sagen. "Wir
machen Jugendhilfe",
die anderen machen Gemeinwesenarbeit,
die nächsten machen Jugendarbeit,
Youth Work in England, was
nicht zur Sozialarbeit
zählt. Es gibt sehr viel
unterschiedliche
Betrachtungsweisen. Die einzelnen
Bereiche haben dann ihren
eigenen Entwurf, wie sie ihre
Arbeit verstehen wollen
und insofern kann man das
in der Tat nicht einfach
vereinheitlichen und sagen: "Wir
haben das und das Programm."
Ja, das hängt eben auch mit dem zusammen,
was ich vorhin schon sagte,
dass der Begriff Soziale Arbeit
eigentlich ein Oberbegriff
ist, der sehr viel Verschiedenes
einbezieht. Trotzdem
kann ich natürlich sozialarbeitswissenschaftlich
mich dran machen, diese Zusammenhänge
zwischen diesen
verschiedenen Bereichen auch zu
erörtern. Das kann ich schon.
Ich kann sagen, die soziale Frage
muss beantwortet werden
und da ist sehr viel zu tun und sehr
viel zu bearbeiten und da haben
wir diese Vielfalt. Andererseits
besteht die Gefahr,
dass die Soziale Arbeit
dabei eben amorph
wird und an einer Identität,
Selbstverständnis im
Zusammenhang fehlt.
Das ist die Schwierigkeit
dabei, ja.
Gut.
Wenn das nicht gelingt,
Mich hat das zumindest
nochmal sehr neugierig gemacht.
Wenn wir auf Ihre
Theoriebildung der Sozialen
Arbeit schauen,
dann nimmt der Begriff des
Managements dort eine
sehr deutliche Gestalt an.
Ich will jetzt gar nicht die
vielen Kontexte benennen.
Sie sprechen von Lebensmanagement, Sie
sprechen von Selbstmanagement,
Unterstützungsmanagement
und so weiter.
Vielleicht ganz kurz: Weshalb
hat dieser Begriff
für Sie solch eine
Bedeutung?
Ja, da bin ich und sind auch andere
oft kritisiert worden
im deutschsprachigen
Raum. Da liegt zunächst
ja das Problem,
denke ich, dass der Begriff des
Managements und des managens
an sich ein sehr schlichter ist
im Englischen und man im
Englischen alles Mögliche managen
kann. Und eigentlich immer dann,
wenn etwas komplex ist, und man was
geschickt handhaben sollte,
dann muss man eben managen.
Meinen Alltag muss ich managen, meine
Familie muss ich managen,
et cetera. Ich kann das überall so
sagen. Es ist zunächst mal ein
Sprachproblem, dass wir im deutschsprachigen
nun mal oder
zumindestens in sozialen
Zusammenhängen immer
gerne assoziieren:
Betriebsführung,
also den unternehmerischen
Bereich meinen und
nichts anderes und dann eben sagen,
Soziale Arbeit sollte sich
davon fernhalten. Und deshalb wird
das eben negativ gesehen.
Das ist ein bisschen die Vergangenheit,
inzwischen ist das weitgehend
überholt und ich sehe
wenigstens auch,
dass Studierende, wenn sie
da herangeführt werden,
kein Problem mehr mit haben,
auch von Management zu
reden. Also man sollte das zunächst
einmal so ein bisschen einfach
auch verstehen, andererseits, da sind
wir doch bei einem wichtigen
Punkt: Es geht hier
um Bewältigung von
Komplexität. Und
es ist so,
dass Lebensgegebenheiten heute
eben meist komplex sind,
Probleme die man hat,
sind komplex und man kann sie
nicht einfach durch eine
direkte Hilfe: "Ich sage dir mal,
was du machen musst und wenn du das
machst, dann ist dein Problem
gelöst", lösen. Das kann
pädagogisch unterlegt
werden, das kann therapeutisch unterlegt
werden, wie auch immer.
Und dann findet jemand
mit meinem Rat
zur Lösung seiner Probleme
oder durch meine
therapeutische Hilfe.
Das ist eben häufig nicht
so. Und von daher ist
es schon wichtig,
dieses ministeriale
Verständnis hier
einzubringen, um eben in
der Sozialen Arbeit bei
der Komplexität der Aufgabenstellung
das auch
richtig wahrnehmen zu können. Deshalb
hat sich auch das Case
Management so verbreitet,
weil hier in vielen Bereichen
der Sozialen Arbeit
die Bewältigung komplexer Probleme
in einem längeren
Zeitraum, nicht bloß
hier und jetzt,
als Aufgabe gestellt ist.
Deshalb muss ich sagen, ist das
mit dem Management schon
wichtig. Aber zunächst einmal
sind oft Missverständnisse
und die sollte man erst mal ausräumen,
dass Sie hier nicht irgendwie
etwas Ökonomistisches
oder
Betriebswirtschaftliches oder sonst
wie allein mit dem Begriff
Management schon hineinbringen. Zunächst
mal geht es nur um die
geschickte Handhabung komplexer
Gegebenheiten.
Diese Begriffe in der Nähe der
Ökonomie liegen Ihnen aber.
Ja, das ist richtig.
Wir haben das ja mit dem Begriff des
wirklich Handelnden der Sozialen
Arbeit ja auch neu und das
ist in Ihrer Theorie
nicht nur eine Metapher,
sondern die wissenschaftliche
Disziplin
gestaltende Denkfigur.
Und Sie sagen,
der Einzelne handelt als
Wirt seines Vermögens,
seines Lebenskreis und
seiner Chance.
Es gibt ja diesen... Als erstes:
Wie kommen Sie auf
diesen Begriff der Wirtlichkeit?
Man kann offenbar ganz einfach davon
ausgehen, so wie wir angefangen
haben hier über die Sache zu reden,
da war ja die Rede vom Oikos,
und derjenige der im
Oikos Bescheid weiß, was
zu tun ist und alles
dabei berücksichtigt,
was zu tun ist,
ist der Oikonomikos.
Und wie übersetze ich Oikonomikos?
Man kann natürlich sagen,
der Haushaltsvorstand
und so weiter.
Das ist aber etwas künstlich. Also
ich brauche einen Begriff dafür
und der Begriff ist natürlich
gegeben mit dem Begriff des
Wirtes,
der einer Wirtschaft vorsteht
und Wirtschaft
ist ein uralter Begriff
für ein Hauswesen,
Haus und Hof.
Der Landwirt ist derjenige,
der eben Haus und
Hof hat und das bewirtschaftet.
Insofern ist das so,
dass wir ja auch
viele in der Sprache öfter haben:
der Verwaltungswirt, der Zollwirt,
der Pferdewirt und so weiter. Es gibt
also die Bezeichnung Wirt in
sehr vielen Zusammenhängen. Das ist
mal ganz schlicht und einfach so
und hängt eben mit diesem
Herkommen von dieser
alten Vorstellung des Wirtschaftens
in einem
Raum der Alltagsbewältigung und der
Aufgabenbewältigung zusammen;
ist dann eben durch die
Marktwirtschaft hinaus getreten
und eben außer Haus
getreten. Da ist das ausgegangen.
Von daher ist es erst einmal naheliegend,
das zu verwenden.
Natürlich muss ich hier
etwas näher dann
sagen: Im Bereich der Sozialen
Arbeit geht es doch darum,
dass man sich kümmert
um die Belange
von Menschen, die in
ihrem eigenen Leben
leben, die aber jetzt
meine Unterstützung,
meine Versorgung oder unsere Versorgung
in Anspruch nehmen.
Und wie gestalte ich jetzt für sie,
ohne ihre Eigenständigkeit
und Eigenmächtigkeit
zu überwinden,
eine Umgebung,
zum Beispiel im Heim,
in der sie ihr Auskommen haben,
in dem sie zurechtkommen,
in dem sie sich gut befinden.
Und dafür sind wir da,
für dieses gute Befinden
von Menschen,
mit denen ich zu tun
bekomme. Dies möchte ich erreichen
und da muss ich
eben gucken wie ich das manage,
gestalte und so weiter
und da ist diese
Funktion des Wirtes zunächst
mal mit gemeint.
Natürlich ist immer die Gefahr da,
dass es dann wieder etwas patriarchalisch
und so weiter aufgefasst
wird, das ist klar, aber im
Grunde geht es auch darum,
dass man das Soziale mit dem Wirtschaftlichen
in einem Zusammenhang
sieht. Und der Begriff des Wirtes
hat eben sowohl die
soziale Funktion wie natürlich
auch die Bewirtschaftung der
Ressourcen, die zur Verfügung
stehen, um dies auch zu
erreichen, was man sozial
sich vornimmt.
Und diese Verbindung von Sozialem und
Wirtschaftlichem wird mit dem
Begriff des Wirtes auch in einem
ethischen Sinne übrigens
ausgedrückt.
Es gibt ja den Spruch:
Wer nichts wird, wird Wirt,
wer gar nichts wird,
wird Betriebswirt."
Da bieten Sie ja
zumindest Angriffsfläche,
aber wenn jeder ein Wirt ist,
dann stellt sich ja auch die
Frage: Wer ist denn dann noch Gast?
Wer kann denn auch noch
bewirtet werden?
Sie grenzen ja Wirtlichkeit und Unwirtlichkeit
auch voneinander
ab. Vielleicht kann man
das darüber fassen?
Ja, wir leben in Verhältnissen,
die in verschiedener
Weise unwirtlich
sind. Also ich muss nur
auf die Straße gehen.
Das ist ziemlich unwirtlich
heutzutage:
die Verkehrsverhältnisse, die
Konsumverhältnisse und so weiter.
Da ist vieles unwirtlich und
die Aufgabenstellung,
die wir insgesamt sozial
eben haben,
ist, dafür zu sorgen,
dass Menschen gut zurechtkommen,
dass es ihnen einigermaßen gut
ergeht, dass sie ihr
Auskommen haben
et cetera. Also damit ist
diese Wirtlichkeit
bezeichnet. Die Gegenüberstellung
von Wirt und
Gast? Nun ja, das ist
natürlich in einem
konkreten konsumistischen Zusammenhang,
von dem rede ich
ja hier nicht. In meinem
Haushalt ist der Wirt
nicht derjenige, der in seinem
Haushalt Gäste hat,
sondern zunächst mal,
die dem Hauswesen zugehörigen.
Für die ist er Wirt. Die
sind nicht Gäste.
Kann ja sein, dass einer kommt.
Dann ist er erst mal Gast,
das ist schon richtig.
Dann wird man sehen.
Beim weiteren Zusammenleben verliert
er seine Gastfunktion.
Insofern kann man das durchaus
nochmal verwenden:
Wenn jemand aus der Fremde kommt,
dann ist der Gast natürlich. Aber da
kann ich dann auch in der Weise
Wirt sein, dass ich ihn gut aufnehme.
Insofern ist da kein großer
Widerspruch da, denke ich.
Wenn wir mal in die Zukunft
schauen wollen:
Sehen
Sie bestimmte Herausforderungen
für die
Theoriebildung der Sozialen Arbeit
in den nächsten Jahren?
Gibt es da vielleicht besondere
Herausforderungen, die
Sie benennen können?
Vielleicht auch noch einmal
die Frage damit
verbunden: Es war ja mal
eine Herausforderung,
die Sozialarbeiteswissenschaft
auf die Beine zu stellen.
Neben der klassischen,
universitären Sozialpädagogik
ist das auch noch
eine Herausforderung.
Also was sehen Sie mit Blick
auf die nächsten Jahre an
Herausforderungen?
Das würde ich jetzt gerne unterteilen,
weil Sie einen Begriff der
Sozialpädagogik hier mit
reingebracht haben.
Das würde ich erst mal gerne behandeln.
Dann können wir über die
weitere Zukunft nachsehen. Ich habe
ja mal eine Geschichte der
Sozialen Arbeit geschrieben
und das hat
inzwischen ja 20 Kapitel und
nur ein Kapitel von den
20 bisher beschäftigt sich
mit der Sozialpädagogik.
Warum? Soziale Arbeit
ist international
gewachsen und die Sozialpädagogik
ist etwas spezifisch
deutsches Akademisches, was
sich nun mal nach 1890
ausgebildet hat in Deutschland
und es ist leider so,
dass an einigen Universitäten
im Rahmen der
Erziehungswissenschaft
Sozialpädagogik nur
ihren akademischen Ort hat.
Und von daher die
Theoriebildung und so weiter durchaus
sehr beeinflusst worden ist im
deutschsprachigen Raum,
aber Sozialarbeitswissenschaft
bedarf der
Sozialpädagogik eigentlich nicht,
beziehungsweise nur als einen
Teilbereich. Dort,
wo eben nun auch pädagogisch in
Handlungsfeldern und so weiter
entsprechend gewirkt wird,
aber die Vorstellung,
dass die Sozialpädagogik sozusagen
das theoretische Fundament der
Sozialen Arbeit und damit
auch der Sozialarbeitswissenschaft ist,
dem möchte ich widersprechen.
Ich bin da auch nun mal selber
in meiner Entwicklung
betroffen. Ich habe ja nun zunächst
auch in der Pädagogik
da studiert. Und als ich
da um 1970 herum
erstmals mit einer Sozialarbeitsdozentin
zu tun
bekam, ich will den Namen jetzt
nicht nennen, habe ich dann zu
ihr gesagt in meinem
jungen Unverstand:
"Wir Sozialpädagogen haben
ja die Theorie und ihr?
Was habt ihr anzubieten da in
der Sozialen Arbeit?" Also
da muss ich mich eigentlich entschuldigen.
Da habe ich noch nicht
gewusst, wovon ich da
eigentlich rede.
Nachdem ich diese internationale
Entwicklung der Sozialen Arbeit
gesehen habe, insbesondere von
der Frauenbewegung her,
da muss ich sagen, da
ist zunächst mal von
Sozialpädagogik nicht die Rede.
Und dass dann eben einige Männer,
im Gegensatz zur Frauenbewegung,
sich eben der Sozialpädagogik im Rahmen
der Pädagogik verschrieben
haben, ist ja schön und gut.
Aber damit ist noch nicht
eine Basis für die Sozialarbeitswissenschaft
gegeben.
Ich bin da jetzt etwas polemisch,
gebe ich zu.
Aber wie gesagt, das ist eine jahrzehntelange
Auseinandersetzung
mit diesem Thema. Das sind besondere
Gegebenheiten, die wir hier im
deutschsprachigen Raum
haben und ich
verstehe ja auch,
dass natürlich ein Lehrstuhlinhaber
der Sozialpädagogik, der sich
den Gegebenheiten in der
Erziehungswissenschaft anpassen
muss, um seinen Bereich auch
zu behaupten, dass der natürlich auch
die Sozialpädagogik hochhalten
muss. Das verstehe ich wohl, aber
insgesamt sollte man doch
hier die Sozialarbeitswissenschaft
breiter sehen und
ein eigenständiges Fundament.
Ich habe am Anfang
Edward Dwayne erwähnt, der genau
dies eben auch schon
1910, 1905 - 1910 vorgemacht hat.
Da muss ich dann nicht näher
auf diese... Naja gut,
das war ein bisschen polemisch
jetzt, gebe ich zu.
Aber gut, jetzt können wir vielleicht
auf die Zukunft schauen.
Da haben wir nämlich
andere Probleme.
Die haben wir zum Teil auch
schon angesprochen.
Die Soziale Arbeit ist
relativ diffus,
amorph muss man fast sagen.
Oft versteht man nicht,
was gehört dazu;
was gehört nicht dazu. Wenn ich nach
Frankreich gucke, da gibt es ein
ganz anderes Verständnis von
dem, was dazugehört,
im englischsprachigen Raum, als
bei uns in Deutschland.
Also da hat man ja zum Beispiel
in Großbritannien
nun Social Work oder Social Care
und Care Work
eingemeindet.
Dann zeigt sich,
dass das Problem eigentlich
ist in Zukunft:
Wie gestalten wir Care im
doppelten Sinne von
Versorgung und eigenes
Sorgen der Menschen?
Was können die Menschen selber leisten
im Hinblick auf die Bewältigung
der Probleme? Was muss
Versorgung leisten?
Wie kommt das zusammen? Care
Work in einem sehr
großem Sinne; Folge ist: die
Herausforderung ist die,
wie definiert sich Soziale
Arbeit im Rahmen der
allgemeinen Aufgabenstellung
von Care
in der ganzen Breite dessen,
was unter Daseinsvorsorge,
Versorgungssystem insgesamt
zu verstehen ist,
unter Einbeziehung der eigenen
Leistungen von Menschen, die zum Beispiel
im Bereich der Pflege ja
bekanntlich zwei Drittel aller
Pflegebedürftigen versorgen?
Und das wird in Zukunft auch
nicht anders sein können.
Deshalb muss man das
mit einbeziehen.
Insofern ist diese Herausforderung
durch
Care - nochmal Doppelsinn:
Versorgungsbereiche, Sorgen
der Menschen selber,
Beziehungen aufeinander
- eine Herausforderung
für die Soziale Arbeit
sich zu definieren
ohne darin unterzugehen,
also im
Selbstverständnis unterzugehen,
indem man das auflöst und sagt:
"Naja, ja es ist auch eine Art von Care
und da und dort nehmen wir die
Sozialarbeiterin und ansonsten entscheiden
wir uns zum Beispiel,
Berufsherausforderung, nehmen wir
eine Pflegefachkraft oder
nehmen wir eine Sozialarbeiterin?"
Da
fällt dann manchmal die Entscheidung
eben für die Pflegefachkraft.
Und das hängt eben mit diesen Fragen
des Selbstverständnisses
zusammen.
Ja, wir kommen langsam zum Schluss
unseres
Gespräches. Wenn man wie Sie
ganz
frisch ein Buch
publiziert,
in dem die eigene Theoriebildung
noch
einmal in Revision gebracht wird,
dann macht das natürlich
neugierig für unsere
Zuschauerinnen und Zuschauer
vielleicht in
einigen Eckpunkten zu erfahren,
was diese Revision ausmacht.
Können Sie das in kurzen
Sätzen...
Ja, es ist einerseits so,
dass natürlich viele Missverständnisse
aufgetreten sind oder
wenigstens sind sie mir begegnet
im Laufe der Jahre.
Da wollte ich jetzt mal eben
etwas korrigierend zu
sagen. Das hat einmal damit zu tun,
dass dieses Ökologieverständnis oft
nicht richtig rezipiert wird.
Also es ist nicht eine
Übernahme biologischer Konzepte in
den Bereich der Sozialwissenschaft,
sondern eher umgekehrt.
Die Ökologie hat ihren
Ursprung in der
Sozialwissenschaft, in
Anführungsstrichen:
Verständnis. Das wollte ich
noch einmal darstellen,
indem ich auch auf Ernst Haeckel
zurückgegangen bin und
formuliert habe, dass er selber ja
eigentlich ein soziales Konzept
hatte. Es ging also um
eine Präzision oder
Präzisierung des
Haushaltsverständnisses, des
Wirtschaftsverständnisses
bezogen auf
Soziales Verstehen.
Das war ein Hauptpunkt für mich,
das noch einmal deutlich zu machen
und auch die Figur des
Wirtes habe ich hier noch mal betont
eben im Hinblick darauf,
dass die Menschen ihre
Eigenständigkeit
und ihre Notwendigkeit,
sich selbst zu kümmern und dazu
aufgefordert zu werden,
dass das bedeutsamer geworden ist
im Laufe der Zeit. Das heißt,
also die Auffassung,
Sozialarbeit hilft, unterstützt,
greift ein, muss sozusagen
ein bisschen
korrigiert werden im
Hinblick darauf,
was ist im eigenen Lebenskreis
von Menschen zu
tun notwendig von ihnen selber
und wie kommt da
nun die Mitwirkung der Sozialen
Arbeit als fachliche Arbeit hinzu?
Wie sind auch die Bezüge
zum Gesundheitsbereich
verstellt? Wie kann man da
stärker das integrieren,
was ja nur eine praktische
Herausforderung ist,
da die Übergänge zwischen diesen
verschiedenen Bereichen des
Sozial-und Gesundheitswesens verschwimmen.
Das musste noch mal
theoretisch etwas deutlicher
gemacht
werden.
Aber es gibt hier einen Unterschied
bezüglich der
europäischen Sichtweise
von Staat und Bürger
im Verhältnis zu den asiatischen
Perspektiven.
Und da haben Sie ja auch
zumindest im Vorgespräch schon
einen Hinweis gegeben,
dass das Soziale oder die Gesellschaft
unter Umständen ganz anders
gefasst wird. Würden Sie dazu
noch etwas erläutern?
Ich finde es sehr spannend
festzustellen,
dass das Soziale, so
wir wie wir es im
Westen, in der Moderne,
verstehen, für
ostasiatische Verhältnisse zunächst
etwas Merkwürdiges
ist. Weil die
Menschen in ihrem
häuslich-familiären
Zusammenhang sich zugleich in einem
gemeinschaftlichen und staatlichen
Zusammenhang sehen
und dazwischen eigentlich weiter
Soziales keinen Platz hat.
Das heißt die Entfaltung der
sozialen Sphäre ist etwas
Besonderes, was wir im
Westen so haben.
Und man kann das auch anders sehen
und dann muss man eben
ganz neu dieses Verhältnis
von Individuum,
Sozialem und Staatlichem
oder Gesellschaftlichem
neu fassen. Da
hängt natürlich sehr viel mit dran,
weil auch der Staatsbegriff
natürlich dann mit neu
gesehen werden muss
und
insofern auch die
öffentliche Ordnung eine
andere Funktion hat,
als wenn man den Staat nur als eine
Funktion sieht zur Erfüllung
von Aufgaben für
Individuen.
Also was gerade bei uns
auch definiert wird,
der Staat hat eben
die Funktion, Bedarfe
von Bürgern zu
erfüllen. Man kann auch
umgekehrt natürlich
formulieren: Die Bürger haben
eine Verantwortung im
Hinblick auf das Gemeinwesen,
dem sie angehören. Und
wie man das so
gestaltet, darüber muss man näher reden.
Das kann man nicht so schnell
jetzt festlegen. Okay.
Dann würden wir zum
Abschluss kommen?
Genau. Ja, zum Abschluss
vielleicht auch ganz
kurz einige Fragen für unsere
Studierenden der Sozialen Arbeit:
Was würden Sie sagen? Warum ist es
gut, Soziale Arbeit zu studieren?
Warum
ist das eine gute Idee?
Ja, das ist eine gute Idee, weil soziale
Arbeit so vielfältig ist erst
mal. Man hat es immer mit
Menschen zu tun und
mit dem Verhältnis von Menschen untereinander
und miteinander und
da man selber ja auch einer ist,
der auch irgendwie im Leben
zurechtkommen muss, hat man hier
eigentlich Gelegenheit in der
beruflichen Praxis sozusagen
all das zu behandeln,
was einem auch selbst betrifft.
Und das hat man bei
wenigen Berufen. Denn
die meisten Berufe,
auch im humanen Bereich, sind ja natürlich
spezialisiert und haben
natürlich eine bestimmte Aufgabenstellung.
Das Schwierige bei der
Sozialen Arbeit ist, dass diese Aufgabenstellung
so unspezifisch ist,
gerade bei der Sozialen Arbeit.
Aber das Positive dabei ist,
dass man eben doch in einer
sehr vielfältigen Weise
mit den
Problemen zu tun bekommt, die
einem im Leben insgesamt
ohnehin betreffen.
Wenn Sie einem Studierenden im ersten
Semester einen Tipp mit auf
den Weg geben könnten: Welchen
Tipp würden Sie geben?
Engführung vermeiden. Die
Bachelor-Studiengangsstruktur
mit ihren Modulen ist
ja gefährlich,
weil man dort natürlich sich
dann als Student, als
Studentin festlegt:
"Aha, ich habe das Modul abzuarbeiten
und das Modul und das
Modul und wenn ich das gemacht
habe, dann habe ich das",
während das eigentlich darauf ankäme,
über diese Module hinaus
sich über das, worüber
wir uns hier auch
unterhalten haben, Gedanken zu
machen. Was ist das Soziale?
Wie geht es? Wie wollen wir leben?
Wie kann man Leben gestalten? Wie
sind da die Bezüge auf diesen
Ebenen und so weiter? Damit sollte
ich mich schon im ersten Semester
beschäftigen und ich hoffe auch,
dass die Dozentinnen und Dozenten
das auch zulassen
und mitwirken,
dass diese Engführung vermieden
wird. Das sehe ich als
eine Gefahr, die gerade
bei dem kurzen,
intensiven Bachelorstudium gegeben
ist.
Hätten Sie denn vielleicht auch noch
einen Tipp für diejenigen,
die kurz vor dem Start ins
Berufsleben stehen und ihr
Studium beendet haben?
Also einen Tipp für das
letzte Semester?
Unsere Divise "Live long Learning",
denke ich.
Es ist wichtig dass man den
Abschluss des Studiums
nicht als Abschluss des Lernens,
Zurechtkommen im Leben betrachtet,
sondern daran weitermacht und
von vornherein sieht, dass Weiterbildung
sozusagen für das weitere
Leben notwendig ist - in
verschiedener Hinsicht
- und natürlich auch sieht,
dass das Arbeitsleben als ein
Teil der Lebensgestaltung
zu betrachten ist und
die Verbindung von Arbeit und Leben
eine Aufgabenstellung ist,
die man sich gleich
vornehmen sollte. An sich schon von
Anfang an, aber auch gerade nun,
wenn man aus dem Studium rausgeht,
dann nicht sozusagen
die Absonderung dessen, was ich jetzt
beruflich tun will und was mein
Leben ansonsten ist, sondern
dies verfolge,
weil auch als etwas ist,
was man zusammen tun
muss und zusammen bewältigen
muss, Leben und Arbeit.
Zum Abschluss die Frage: Wenn
Sie ein Buch empfehlen
dürften und könnten,
das Studierende oder SozialarbeiterInnen
gelesen haben
sollten: Welches Buch wäre das?
Jetzt bringen Sie mich aber
in Schwierigkeiten und
zwar aus verschiedenen Gründen.
Also das erste Buch,
das mir empfohlen wurde, was
ich unbedingt lesen müsste,
war Josef Stalins "Über
dialektischen und
historischen Materialismus." Das
war mit zwölf Jahren bei
mir. Das hat eben bestimmte Zusammenhänge,
warum das so war.
Das musste ich lesen, weil ich meine
Cousine begleiten musste,
die nämlich für die Arbeiter-und
Bauernfakultät da ausbilden
musste und die musste das lesen, also
musste ich das dann eben auch
lesen. Als Zwölfjähriger. Würde ich
niemandem empfehlen heutzutage.
Gut.
Dann in meinem Studium war klar,
Dahrendorf, Ralf Dahrendorf hat es
empfohlen: Talcott
Parsons "General Theory
of Action." Musste man
lesen. Wie sollte man ohne diese
Soziologie durchs Leben kommen?
Dann
1968 musste man natürlich gelesen
haben: "Der eindimensionale
Mensch", Herbert Marcuse.
Wenig später in den 70er Jahren
musste man natürlich Rodgers
gelesen haben: "Die Entwicklung
der Persönlichkeit."
Und in den 90er Jahren
sollte man schon
Niklas Luhmanns Systemtheorie
entsprechend gelesen
haben.
Und nach 2000,
also bei Luhmann konnte man ja ohne
den Menschen auskommen, sofern
man das System verstand,
aber danach sollte man sich vielleicht
wieder stärker dem Menschen
zuwenden und sollte Bourdieu lesen:
"Das Elend der Welt."
Naja, insofern: je nachdem,
in welchen Kontexten
man jeweils ist,
muss man etwas anderes empfehlen. Da
wäre es natürlich unklug jetzt zu
sagen, jetzt sei dieses nun unbedingt
dann... Und natürlich würde ich
jetzt nicht irgendwelche Bücher, mit
denen wir es heutzutage in der
Tat sehr viel zu tun haben,
meine eigenen
eingeschlossen, nicht jetzt hier zu
empfehlen haben. Ich denke,
heutzutage ist es wichtig, überhaupt
zu lesen und auch ganze Bücher zu
lesen. Das wäre schon mal ein
Ratschlag. Das ist genug,
wenn man das tut. Ob es nun
das eine oder andere ist,
Hauptsache man tut es.
Das dürfte man in
dieser
Generation der
Smartphone-Benutzer
doch mal betonen.
Lieber Herr Wendt, vielen
Dank für das Interview.
Vielen Dank für die Zeit, die
Sie uns geschenkt haben
und für die sehr interessanten
Aussagen und
Antworten.