Werte & Wandel Podcast

WERTE.IT

#03 - Gerhard Kühne von OTTO zu Accessibility, Usability & User Experience

Soziale Verantwortung übernehmen und wirtschaftliche Vorteile erzielen

17.12.2025 20 min

Zusammenfassung & Show Notes

Gerhard Kühne von OTTO und Detlef Girke von WERTE.IT erörtern die Bedeutung von Barrierefreiheit, Usability und User Experience in der digitalen Welt. Sie diskutieren, wie Unternehmen durch inklusive Ansätze nicht nur soziale Verantwortung übernehmen, sondern auch wirtschaftliche Vorteile erzielen können. Es wird betont, dass Accessibility und Usability eng miteinander verbunden sind und dass Feedback von Nutzern mit Behinderungen entscheidend für die Verbesserung von digitalen Produkten ist. 

Gerhard Kühne - User Experience Designer bei der E-Commerce Company OTTO

UND: Der Kanal von Gerhard Kühne. Schaut oder hört mal rein: Hoololio

Detlef Girke
Verantwortlich im Projekt WERTE.IT für Consulting Informatik
girke@werte.it

Transkript

Detlef Girke
00:00:00
Die IT bietet einfach für Menschen mit Behinderung unglaubliche Chancen.
Wolfgang Haase
00:00:03
Damit habe ich mich noch nie beschäftigt.
Detlef Girke
00:00:05
Ich bin einerseits selbstständiger Berater.
Wolfgang Haase
00:00:07
Ich bin Unternehmensberater für Mitarbeiter- und Kundenbindung.
Detlef Girke
00:00:10
Barrierefreie IT und ein inklusiver Ansatz im Unternehmen kann dazu führen, dass man wirklich gewinnbringend Menschen mit Behinderungen auch im eigenen Unternehmen beschäftigen kann.
Intro
00:00:23
WERTE & Wandel. Der Podcast zum Thema inklusives Management in Unternehmen.
Wolfgang Haase
00:00:31
Haase! Hallo!
Detlef Girke
00:00:33
Hallo Herr Haase, schön, dass ich Sie erreiche. Detlef Gierke hier. Ich wollte Ihnen was von einer spannenden Geschichte erzählen. Ich hatte letzte Woche gerade ein Interview mit Hardy Kühne heißt der gute Mann, der ist von der Firma OTTO und der hat mir eine spannende Geschichte erzählt zum Thema Usability und UX und so weiter. Ich habe so richtig die Erkenntnis gewonnen für mich: Ja, genau, es ist genauso. Es kann etwas perfekt entwickelt werden und es kann ganz toll aussehen und so weiter, aber trotzdem werden Barrieren übersehen, ganz, ganz häufig in der Entwicklung. Wenn man aber auf die Barrieren, auf die möglichen Barrieren achtet und es barrierefrei macht, und wenn blinde Menschen dann am Ende wirklich richtig gut damit klarkommen, also etwas mehr gemacht wurde als nur Barrierefreiheit, sondern es wurde sich auch noch darum gekümmert, dass die am Ende zufrieden sind, dann sind am Ende aber alle zufrieden. Das heißt also, ich kümmere mich erst die Blinden. Und nachher sind alle zufrieden. Das fand ich eine fantastische Erkenntnis.
Wolfgang Haase
00:01:36
Das trifft sich wirklich gut, weil ich habe auch angefangen, mich so bisschen reinzulesen in dieses Thema. Angefangen von Accessibility, also dieser technischen Zugänglichkeit. Und da gibt es ja wirklich sehr, sehr präzise Angaben, die man auch super gut als Leitlinien nehmen kann, um dann Anwendungen richtig zu erstellen. Aber letztlich ist ja dieses ganze Thema der Usability, also der tatsächlichen Gebrauchstauglichkeit, auch genauso wichtig. Ich meine, dass gehört eben auch dazu, wenn man das weiterspinnt, kommt man ja auch völlig barriere- freiheitsunabhängig auf dieses Thema User Experience oder UX. Das finde ich super interessant. Und Sie haben ein Interview geführt?
Detlef Girke
00:02:17
Ja, ja, ich hab das geführt, genau. Ich kann Ihnen eine Aufzeichnung also zu ... also ich kann Ihnen einen Link schicken.
Wolfgang Haase
00:02:21
Gerne, meine Mailadresse haben Sie ja noch.
Detlef Girke
00:02:24
Die habe ich noch, klar.
Wolfgang Haase
00:02:25
Wunderbar, prima. Das höre mir gerne an und dann können wir mal wieder sprechen.
Detlef Girke
00:02:29
Danach machen wir das am besten. Ein schönen guten Tag, Detlef Girke mein Name. Ich habe heute Gerhard Kühne, kurz Hardy, von der Firma OTTO aus Hamburg im Interview.
Hardy Kühne
00:02:44
Hardy Kühne>Hallo Detlef! Danke für die Einladung!
Detlef Girke
00:02:47
Ja, sehr, sehr gerne. Wir haben heute ein aus meiner Sicht sehr spannendes Thema, weil es auch in der Vergangenheit schon viel Konfliktpotenzial geborgen hat, nämlich das Thema des Zusammenhangs zwischen Accessibility, Usability und User Experience. Wir haben daraus im Projekt eine Art Narrative gemacht, weil wir glauben, das hängt sehr eng zusammen und das ist nicht trennbar voneinander. Aber vielleicht magst du zunächst mal was zu deiner Person erzählen.
Hardy Kühne
00:03:14
Gerne Detlef! Also mein Name ist Gerhard Kühne, das haben wir schon gesagt. Ich bin User Experience Designer bei der E-Commerce Company OTTO und kümmere mich darum, dass, was User Experience eigentlich sagt, unsere Kund*innen eigentlich eine sehr reibungslose Experience, also Erfahrung mit unserem Otto Shop haben und das Team, in dem ich arbeite, kümmert sich darum, dass das immer besser wird und natürlich auch sich dem Wandel anpasst, den wir alle gerade so ein bisschen natürlich immer mit uns rumtragen. Technologie entwickelt sich unglaublich schnell weiter und somit muss man auch immer darauf gucken, dass sich die Experience natürlich auch weiterhin verbessert und auch mit anpasst.
Detlef Girke
00:03:58
Wunderbar, damit hast du dann schon alles gesagt. Aber in welchen Bereichen macht sich das eigentlich besonders bemerkbar, dass die Experience sich so verändert oder auch die Ansprüche sich verändern?
Hardy Kühne
00:04:08
Ja, also ich glaube einer, den jeder oder jede sehr gut nachvollziehen kann, ist die Nutzung des Internets und des Devices, mit dem ich es nutze. Also früher haben wir alles sehr stark an unseren Desktop-Computern gemacht oder an unseren Laptops. Und in den letzten Jahren gab es ja so den sogenannten Mobile Shift, nennt man das immer. Mehr und mehr Leute nutzen natürlich ihr Handy für Aufgaben des Tages. Ja, also ob das jetzt die Fahrkarte für die U-Bahn ist oder ob das das schnelle Bezahlen von Einkäufen im Einkaufsladen ist. Also das Handy ist ja nicht mehr wegzudenken in diesen ganzen digitalen Aufgaben, die wir haben und ich glaube das ist so eine der größten Herausforderungen, dass man da auch guckt. Wie trauen sich Menschen eigentlich ihr Device in solchen Umgebungen zu nutzen? Und wo auch nicht? Und wo gibt es dann auch Handlungsbedarf in der Verbesserung der Experience von den Geräten, die man vielleicht früher genutzt hat oder aber auch von haptischen Aufgaben, die man vorher hatte? Also wenn man vorher einen Kassenautomat genutzt hat, um die Bus- oder Bahnkarte zu kaufen, jetzt dann das Handy nutzt, das ist ja ein komplett anderer Prozess. Dabei muss man natürlich immer auch die Nutzer*innen dabei begleiten, sie erstmal auf den neuen Prozess vorzubereiten, aber auch zu gucken, wie nutzen sie denn diesen neuen Prozess und was kann man dabei verbessern. Das ist bei der Busfahrkarte genauso wie beim Einkaufen im Internet, also im E-Commerce- Bereich, wo ich arbeite.
Detlef Girke
00:05:42
Und wie bereitet ihr euch darauf vor? Jetzt sagen wir mal in Richtung Accessibility und Usability. Da macht ihr vorher wahrscheinlich Recherchen, Umfragen, User Tests und so weiter. Wie läuft das?
Hardy Kühne
00:05:54
Ja! Alles, was wir uns als Produktteams neu ausdenken, also jedes neue Feature, was wir für unsere Kund*innen dann im Shop bereitstellen, wird erstmal in einem sogenannten Prototypen vertestet. Das nennt man qualitativ vertestet. Das heißt, mit einer kleinen Gruppe von Nutzer*innen wird erstmal geschaut, verstehen die das, was wir da gemacht haben und können sie es bedienen? Und wenn es da drin halt schon Probleme gibt, dann weiß man, ich muss noch mal zurück an meinen Schreibtisch und nochmal über das Konzept und auch über den Prototypen vielleicht nachdenken. Und das hat man vielleicht früher eher für Nutzergruppen gemacht, die keine Behinderung hatten. Aber heutzutage, und das ist ja total wichtig, sollte man diese ganzen Tests natürlich für alle Menschen und alle Gruppen machen. Und so probieren wir es auch, diesen sehr einfachen Prozess nicht nur mit Menschen ohne Behinderung zu machen, sondern auch mit Behinderung. Das heißt, die sind immer Teil unserer Testgruppe und können da auch gleich ihren Input mitgeben, ob dann in der Bedienung ... ich weiß, das ist jetzt schon sehr speziell reingegangen, aber sehr viele Menschen nutzen ja dann diese Services auch mit Hilfs-Software, sowas wie VoiceOver oder TalkBack. Mit denen kann man auch Prototypen vertesten und sich Feedback von Menschen mit Behinderungen holen, wie gut sie dann das jeweilige Feature bedienen können und wie sie es verstehen.
Detlef Girke
00:07:19
Mh. Super! Und sag mal, ich kenne ja immer so bisschen diese auch aus der Usability oder hier aus der German-UPA, die Usability-Organisation und so weiter.
Hardy Kühne
00:07:27
Ja.
Detlef Girke
00:07:27
... kenne ich immer so diese Konflikte, dass einige sagen, Usability ist wichtiger, andere sagen Accessibility ist wichtiger, andere sagen wiederum das ergänzt einander doch. Gab es bei diesen User-Tests auch Punkte, wo es wirklich knirschte, wo in Richtung Accessibility Anforderungen gestellt wurden, die die Usability oder die Erkenntnisse in Richtung Usability gestört haben?
Hardy Kühne
00:07:50
Zum einen muss man sagen, dass die WCAG-Standards, wenn man sich die mal genau anguckt, da stehen ja viele Sachen drin, die für alle Menschen gleichermaßen gut sind. Was einem immer sofort auffällt und wo auch alle drüber reden, sind natürlich so Kontrastwerte. Also, wenn ich eine Schrift in Gelb auf einen grünen Hintergrund setze, egal ob das digital oder haptisch ist, dann ist das erstmal schwer zu lesen. Für alle! Und es ist eigentlich erstmal so ein No-Brainer, wenn man sich das vorstellt. Und da steht einfach drin, so welche Kontrastverhältnisse sollte ich eigentlich einhalten, jeder auf jedem Device, weil das kommt ja auch noch mit dazu, ne? Also ihr kennt alle unterschiedliche Handys: wie gut die Displays sind, wie schlecht sie sind. Allein dafür zu gucken, wenn ich einen bestimmten Kontrastwert oder eine Spanne einhalte, bin ich auf all diesen Geräten erstmal gut lesbar? Das heißt cool für alle, also ein super Standard eigentlich. Des Weiteren gibt es natürlich auch so Sachen wie Skalierbarkeit. Kann ich Inhalte ohne Probleme größer oder kleiner machen? Weil, ich meine, wahrscheinlich sehen es die Zuhörer*innen nicht, wir beide tragen eine Brille. Das heißt, auch wir haben eine Sehbeeinträchtigung, für die es manchmal hilfreich ist, Sachen entweder näher ranzubringen oder sie einfach zu vergrößern. Also auch das ist ein total super sinnvoller Standard. Und wenn man jetzt nochmal zurückkommt auf diese ganze Thematik, User Experience also diese Erfahrung etwas gut nutzen zu können und die Accessibility Standards - das geht einher. Das lässt sich eigentlich nicht voneinander trennen. Das heißt, eigentlich sind die ein gutes Geschwisterpaar, wenn ich das mal so sagen kann, die eigentlich zusammen total Sinn machen. Da muss man natürlich auch ein bisschen abwägen - so also gerade wenn man auch keine Ahnung im E-Commerce ... wir haben auch Videos bei uns im Shop, wenn man sich Produkte angucken will, wie fange ich an, das zu interpretieren und wenn ich es interpretieren kann und mich für eine Lösung entschlossen habe, wie gehe ich dann, und das ist für mich das wichtigste, das sind ja nur Standards, sind ja nur Vorgaben, die ich mir angucken soll und gegebenenfalls einhalten soll, mir dann auch ein Feedback von meinen Kund*innen hole, ob das für sie relevant ist, ob es wichtig ist, dass ich da so ein Video anhalten kann oder abspielen sollte? Oder wie auch die Inhalte sind, dass sie halt, ich sag mal, gibt ja auch in den WCAG-Vorgaben, dass Videos nicht zu flackernd sein sollen, weil sie epileptische Anfälle auslösen. Also, was ich damit sagen will ist so, das ist ja kein "so oder so", sondern darauf solltest du achten und dann solltest du es mit deinen Nutzer*innen vertesten und gucken, ob es für sie nicht nur eine Barriere aufbaut, sondern natürlich auch für sie eine bessere Experience darstellt. Weil das ist ja das, was wir herausfinden wollen. Ist das ein cooles Feature, dieses Video-Ding, wenn ich das Beispiel nochmal nehmen kann, und wie ist es am besten entwickelt für alle Nutzer*innen, die mein Service hat? Und dafür kann ich diese WCAG-Standards, also die Accessibility Standards, super nehmen, um mir Feedback einzuholen und zu gucken, wie ist denn die Spannung genau?
Detlef Girke
00:10:47
Es geht ja sogar so weit, dass im Bereich AAA vom User erzeugte Bewegungen, z. B. Parallax oder solche Geschichten beim Scrollen, wenn sich dann was bewegt, dass das auch nicht zulässig ist. Zu dem Zweck habe ich mal in Abstimmung mit einer Agentur vereinbart, dass wir dann so einen Button ganz oben rechts haben, also einen Button, an dem steht "Sämtliche Bewegungen stoppen". Das ist ein kurzes JavaScript und dann ist der Fall erledigt. Dazu gab es z. B. von vielen Usern ein richtig positives Feedback. Das fand ich sehr interessant.
Hardy Kühne
00:11:17
Da sprichst du ja was an, also dieses Auszuprobieren, Lösungen zu entwickeln, sich Feedback einzuholen. Das ist eigentlich in der Softwareentwicklung Daily Business und deswegen sind diese Standards eigentlich ein super Dictionary, um sich Inspiration zu holen, wie ich für alle Kund*innen einen Service besser machen kann. Weil viele auch immer sagen so, ... Sorry, dass ich jetzt so bisschen abschweife, aber so "Oh, diese WCAG Standards, wie soll ich die denn alle verstehen? Wie soll ich da überhaupt anfangen und wenn ich die alle einhalten soll und so?" Ja, natürlich sollte man daran arbeiten alles einzuhalten und auch zu verstehen, aber man kann ja auch erstmal anfangen. Also es gibt ja nicht so "Oh jetzt hab ich es falsch gemacht.", sondern "Ne, guckt euch die an, probiert die aus, ihr werdet damit echt für viele Menschen oder viele Nutzer*innen eurer Services viele Sachen besser machen.
Detlef Girke
00:12:13
Wenn aber bei euch Rückmeldungen kommen, ihr habt ja so richtige Rückmeldungsbutton auch bei euch mit dem Shop drin. Das ist ja wirklich eine super Lösung. Weil jeder fühlt sich da wirklich herzlich eingeladen, auch Rückmeldungen zu geben. Und gibt es da Unterschiede in den Rückmeldungen zwischen Menschen mit Behinderung und ohne Behinderung? Um es mal so plakativ zu sagen, ob man das ja gar nicht so genau trennen kann.
Hardy Kühne
00:12:33
Ja, also man muss zum einen natürlich auch erstmal sagen, dass viele Menschen dieses Wort Barrieren, die keine Behinderung haben, überhaupt nicht verstehen. Also als wir diesen "Barriere melden"-Button das erste Mal nur in der Website im Footer eingebaut haben, um erstmal den Prozess für uns zu vertesten, kamen einfach ganz viele Standardanfragen so "Ich habe meine Bestellung nicht bekommen" oder "ich möchte meinen Login, mein Passwort ändern" und sowas. Und es ist auch eine Barriere, also vielleicht haben sie es auch doch irgendwie verstanden, aber wir verweisen die natürlich dann immer auf die Kolleg*innen, die ihnen dann direkt helfen können, wenn es solche Prozesse geht. Aber was man schon sagen kann ist, und da bin ich sehr sehr dankbar für, dass wir viele Kund*innen haben und Nutzer*innen, die einfach sehr nett uns Sachen melden, wo sie Barrieren in der Bedienung mit ihrer Hilfssoftware haben oder generell auch ohne in der Bedienung haben und sagen, könntet ihr für mich bitte das und das lösen. "Ich weiß, ich bin vielleicht eine Minderheit, aber es würde mich total freuen. Ich habe dieses Problem XY. Danke." So, also die bedanken sich. Die sind total nett. Sie sind sehr hilfsbereit. Sie stehen auch jederzeit für Rückfragen zur Verfügung und so. Das macht ja auch Spaß. Also wie du schon sagst, so Mitnahmeeffekte. Wenn du dann solche Barrieren nimmst und auf die Teams zu gehst und sagst, guck mal, wir haben da und da und dann sagen die "Ah, krass. Das haben wir gar nicht gesehen. Ist ein easy fix, lass mal eben machen so, ne?" Und dann merkt man vielleicht manchmal auch, dass dann auf der einen Seite vielleicht sogar eine Verbesserung für alle rauskam.
Detlef Girke
00:14:07
Was jetzt gut wäre, wäre ein Beispiel. Wo hat mal ein Mensch mit Behinderung eine negative oder schlechte UX zu einer richtig guten Erfahrung geführt?
Hardy Kühne
00:14:17
Ja, kann ich euch sagen. Es ist ein relativ kleines Beispiel. Wir haben ja vorhin über den Barriere-Melden-Button gesprochen. Die meisten Beispiele, und so haben wir es auch gemacht, sagt, packt den Barriere-Melden-Button unten in den Footer eurer Website. Da kommt jeder hin. Bis man den erreicht als Mensch mit Behinderung und Nutzung von Talkback und VoiceOver, braucht man eine Zeit, bis man den gefunden hat. Und da haben wir gesagt, das kann doch nicht sein. Wenn jemand Hilfe braucht, dann muss er doch bei uns relativ schnell darum bitten können. Und zwar nicht nur Menschen mit Behinderung, sondern eigentlich jeder. Und dafür haben wir ein Feature entwickelt, das heißt bei uns intern "Shake for Help". Das heißt, kennt man vielleicht auch aus anderen Apps, wo man vielleicht Bugs melden kann. Bei uns shakest du einfach dein Telefon und kriegst an jeder Stelle automatisch einen Dialog, wo du sofort um Hilfe bitten oder eine Barriere melden kannst. Das war so ein typischer Aha-Effekt, wo wir gemerkt haben, na klar, also das muss doch überall schnell verfügbar sein. Und diese Idee zu der Geste kam eigentlich, weil wir uns Gedanken gemacht haben, na wie kriegen wir das denn hin? Also welche native Geste können wir eigentlich nutzen bei Menschen die VoiceOver und TalkBack nutzen, weil da sind ja schon sehr viele Gesten noch anders belegt. Und da war diese Shake-Geste noch relativ unbelegt und deswegen sind wir eigentlich auf diese Idee gekommen.
Detlef Girke
00:15:26
Das ist super, ja. Ich muss immer an Tim Cook denken, der seinen Aktionären gegenüber gesagt hat, dass ihnen einfach der finanzielle Output bei der Accessibility einfach überhaupt nicht interessiert. Und wenn ich dich so reden höre und wenn ich mitbekomme, wie aufwendig ihr dann auch auf Anfragen von Menschen mit Behinderung eingeht, scheint da eine ganz ähnliche Haltung dahinter zu sein.
Hardy Kühne
00:15:48
Man muss das natürlich immer ein bisschen differenzierter betrachten. Ich meine, wir sind ja auch eine Plattform, die Geld verdienen muss. Und ich muss auch ganz klar sagen, wir gucken uns genau an, wenn solche Barrieren gemeldet werden, ist das ein Invest, der sich lohnt einzugehen, um für eine größere Gruppe von Kund*innen einen Mehrwert zu liefern. Also ich will nicht sagen, wir machen jetzt alles umsonst für Barrierefreiheit, weil das wäre auch ein falsches Signal, weil man muss auch verstehen, dass sowas halt auch ein "Best" ist und dass wir auch als Plattform natürlich von unserem Service leben müssen. Aber wir gucken uns das sehr genau an und bei uns steht die Kundenexperience sehr weit oben. Und das hilft uns natürlich auch, solche Issues für Barrierefreiheit und Accessibility anzugehen. Eine gute Experience zu vertesten, zu verbessern, zu bewerten für Menschen mit Behinderung und Nutzung von VoiceOver und TalkBack, die gibt es da eigentlich noch gar nicht, weil das vorher noch keiner richtig gemacht hat. Und da stehen wir mehr oder weniger am Anfang. Ich glaube, da ist so viel drin, dass man da wirklich was herstellen kann und vielleicht auch auf ganz neue Lösungen kommt. Also ich könnte noch Stunden drüber reden, aber du weißt, wo es hingeht.
Detlef Girke
00:17:03
Die Bedürfnisse sind einfach wirklich sehr unterschiedlich. Ich könnte da auch stundenlang drüber reden. Noch eine abschließende Frage. Bezogen auf den Titel. Wir haben ja diese These von der Untrennbarkeit von Accessibility, Usability und User Experience. Was ist deine Meinung dazu? Was sagst du zu der These?
Hardy Kühne
00:17:25
Also, das sind ja eigentlich drei Themen, die sich gegenseitig anstoßen. Wenn ich eine gute Usability habe, dann werde ich eine gute User Experience haben. Und wenn ich dann auch noch auf Accessibility gucke, dann ist das wie so ein Schwungrad, was sich wieder gegenseitig antreibt. Also die Accessibility und auch die Standards dahinter achten ja darauf, dass ich eigentlich für alle Nutzer*innen eine super gute Usability habe - haben wir vorhin ja schon gesagt, was da alles drin ist - und dann habe ich auch eine gute User Experience und das bedingt sich gegenseitig. Also es ist etwas, was man immer miteinander betrachten sollte und wahrscheinlich jetzt auch noch viel stärker, weil das ist ja ein Thema, es ist auch nochmal wichtig, dass du es auch so ansprichst. Also dieser EAA, der Mitte des Jahres in Kraft tritt, da tritt er erst in Kraft und klar, wenn ich bis dahin mal einen Service Barriere frei habe, dann habe ich schon mal vieles richtig gemacht, aber das bleibt ja nicht da. Ich muss ja alles, was ich entwickle, immer wieder darauf anschauen: ist die Usability gut? Ist die Accessibility eingehalten? Und stelle ich damit dann auch weiterhin eine gute User Experience dar? Weil Software entwickelt sich ja kontinuierlich weiter und auch diese Standards, also die WCAG-Standards, ich meine, sorry, dass ich jetzt ein bisschen aushole, aber ich finde, das ist ja wichtig, das sich anzugucken. Wir sind jetzt bei 2.1. 2.2 ist glaube ich schon released und 3.0 ist in der Mache. Also da merkt man ja schon, das ist ja etwas, was sich immer weiter entwickelt. Und da kommen wir wieder zurück, was du auch am Anfang gesagt hat. Also die beschäftigen sich ja auch mit der Device-Landschaft, die sich immer weiter entwickelt. Also die ganzen neuen Geräte, die zu uns in den Haushalt kommen, die werden da drin ja nach und nach betrachtet. Und deswegen ist es so wichtig, sich das immer wieder anzugucken. Also auch Accessibility, Usability und User Experience gelten für diese Weiterentwicklung von allen digitalen Lösungen.
Detlef Girke
00:19:23
Genau, da haben wir den Bereich der situativen Einschränkungen noch nicht mal mit dabei. Da könnte man auch noch einiges zu ausfüllen. Aber wir sind hier am Punkt im Grunde. Du hast uns wirklich ganz, ganz super Informationen geliefert. Ich sage einfach mal, Hardy, ganz, ganz vielen Dank für das Gespräch.
Hardy Kühne
00:19:40
Vielen Dank, Detlef, für die Einladung. Es macht mir unglaublich Spaß, auch mit dir immer wieder darauf auszutauschen.
Detlef Girke
00:19:45
Vielen Dank.
Outro
00:19:47
Werte und Wandel. Der Podcast, der Inklusion in der Informationstechnologie in den Mittelpunkt stellt. Gemeinsam beleuchten wir, wie Unternehmen durch Inklusion nicht nur soziale Verantwortung übernehmen, sondern auch zukunftssicher und erfolgreich agieren können. Lassen Sie sich inspirieren von spannenden Gesprächen, Expert*innen-Interviews und praxisnahen Einblicken. Ein Podcast des Projekts WERTE.IT. Gefördert vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales, unter der Federführung des Blinden- und Sehbehindertenvereins Hamburg e.V., wissenschaftlich begleitet von der Universität Siegen.