Abenteuer Reportagefotografie – Podcast über visuelles Storytelling

Kai Behrmann: Visueller Storyteller und Fotograf

72 Bilder, 10 Jahre, 1 Mission: Street Photography mit Seele und Tiefe

Jens Krauer und Kai Behrmann diskutieren Krauers Buch "In Plain Sight", das urbane Begegnungen und Street Photography behandelt. Krauer betont die Wichtigkeit von Qualität und menschlicher Interaktion für emotionale Verbindungen in seiner Arbeit.

30.03.2025 64 min

Zusammenfassung & Show Notes

Streetfotograf Jens Krauer spricht über zehn Jahre Fotografie im urbanen Raum – und verrät, warum er seine besten Bilder erst jetzt zeigt. Es geht um Geduld statt Klickzahlen in Social Media, um die Kunst des genauen Hinsehens und um Fotografie als meditativen Prozess.

Jens teilt nicht nur seine Erfahrungen mit dem eigenen Bildband „In Plain Sight“*, sondern auch praktische Tipps zur Bildgestaltung, zum „Street Zen“ und zur Frage, wie man fotografisch wirklich etwas erzählen kann.

Hier geht es zu den Shownotes mit weiteren Informationen: https://www.abenteuer-reportagefotografie.de/podcast/jens-krauer-in-plain-sight


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Transkript

Jens Krauer
00:00:01
Diesen Turnus, das was der Algorithmus von mir will, das kann ich so nicht erfüllen in einer gewissen Qualität. Also muss ich mich zu einem gewissen Grad davon distanzieren. Wenn man da mal da ist, wo man sagt, man muss alle zwei Tage ein Bild posten, das hat einfach mit der Realität des Genres geclashed. Also ich kann nicht alle zwei Tage ein gutes Bild machen. Und nur um den Algorithmus happy zu machen, will ich keine qualitativ mir nicht gefallenen Bilder publizieren.
Kai Behrmann
00:00:30
Technik ist sonst auch nicht so meins. Ich bin immer noch bei der X-Pro3 und warte, ob da irgendwie mal was Neues kommt. Aber es drängt auch noch nicht so, würde ich sagen, bei mir.
Jens Krauer
00:00:44
Ich bin sowieso überhaupt kein Techniker. Ich finde es auch ein gutes Zeichen, wenn Fotografen das nicht so sind. Das heißt, man ist mit kreativen Dingen beschäftigt. Das ist gar nicht so falsch. Ich hatte noch nie Gas, also Gear Acquiring Syndrome, das war noch nie meines so.
Kai Behrmann
00:01:02
Ja, geht mir ähnlich so und ich bin da auch ganz froh, dass ich dafür nicht so anfällig bin. Das schont das Konto und man kann das Geld für andere Dinge ausgeben, die für mich noch wichtiger sind oder entscheidender dabei, gute Fotografie zu machen.
Jens Krauer
00:01:19
Fotografieren.
Kai Behrmann
00:01:20
Genau, fotografieren oder an spannende Orte zu kommen, wo man fotografieren kann.
Jens Krauer
00:01:25
Korrekt. Ich kann dir sagen, vor über zwölf Jahren, wo ich zum ersten Mal mit meiner Editorin geredet habe, die hat auch ein Nachwort im Buch, die Stella, habe ich sie gefragt, was soll ich denn machen? Also ich habe nie viel Geld, aber dann habe ich sie mal gefragt, was soll ich denn machen? Ich habe ihr so einen kleinen Betrag auf der Seite sagt, sie kauf dir eine Kamera und geh reisen. Also voll in dem Sinne, was du gerade gesagt hast. Ich glaube, das bringt dir viel mehr.
Kai Behrmann
00:01:47
Das ist ein guter Tipp. Ja, Jens, dein Buch ist jetzt draußen. Ich habe es auch schon mehrfach durchgeblättert, drin gestöbert. Es ist wirklich ganz toll geworden. Jetzt eben auch mit dem Hintergrund, dass ich dich ja schon eine Weile verfolge und da immer halt mitschwangen, dass da etwas kommt in Buchform. War es dann eben auch eine schöne Überraschung, jetzt mal so in der Ausführlichkeit auch die Bilder zu sehen, die du über die Jahre gemacht hast und der Social-Media-Welt vorenthalten hast, größtenteils jedenfalls.
Jens Krauer
00:02:21
Das ist tatsächlich so. Du hast 72 Bilder im Buch, wir hatten 120 zur Auswahl. Von den 72 sind, glaube ich, bis jetzt um die 30 oder 40, habe ich mal publiziert. Also da gibt es noch vieles, was man nicht gesehen hat. Ja.
Kai Behrmann
00:02:37
Ja, Jens, dann lass uns eigentlich direkt vom Vorgespräch in das Interview rüberrutschen, bevor wir jetzt schon auch viel vorwegnehmen, was ich dich zu deinem neuen Buch fragen werde. In Plain Side heißt das gute Stück, das im Kehrer Verlag erschienen ist. Und ja, ich finde es schön, jetzt nochmal darauf speziell mit dir eingehen zu können, Jens. Du warst ja schon einmal zu Gast hier im Podcast gemeinsam mit Pia Paulin, haben wir da über die Street Photography eher im Allgemeinen gesprochen und sind da auch schon so ein bisschen in das Thema reingeglitten, was auch jetzt Ausdruck dieses Buches ist, nämlich die Tiefe in der Street Photography. Wie können wir die erreichen? Und damals ging es, glaube ich, auch so ein bisschen um die Frage, ob Street Photography oft heutzutage etwas zu beliebig wird. Du hast dir sehr, sehr viel Zeit genommen für dieses Buch. Wie viel Zeit genau ist in dieses Buch eingeflossen?
Jens Krauer
00:03:40
Ja, eigentlich alle Zeit seit dem ersten Tag, wo ich angefangen habe zu fotografieren. Ich würde mal so ein bisschen nur die Übungszeit ausschließen, aber das sind schon jetzt zehn Jahre. Die Arbeit in dem Buch ist meine Arbeit von den letzten zehn Jahren und das wurde dann jetzt komprimiert in dieses Buch und da sind halt tausende von Kilometern drin, das sind viele verschiedene Städte und halt jahrelanges Fotografieren, aber das war immer mein Ziel, wie wir das auch schon im letzten Podcast ein bisschen diskutiert haben, eine gewisse Dichte herzustellen, wenn man dann so ein Endprodukt quasi anstrebt. Ein Endprodukt ist es nicht, vielleicht gibt es irgendwann noch ein zweites, aber ich denke mir halt, man versucht in der Fotografie so ein bisschen zu pushen, damit die Arbeit durchgehend ein gewisses Level erreicht.
Kai Behrmann
00:04:29
Hm. Du bist 2012 so ernsthaft mit der Fotografie angefangen und, ja, hast gesagt, es war eine lange Reise bis zu diesem Buch. Wie ist das losgegangen zu Beginn? War auch schon damals klar, dass du eher diesen Weg verfolgen wirst, wenig von deinen Fotos auf Social Media zu zeigen, viel zurückzubehalten, um dann eben, wenn der Zeitpunkt gekommen ist, mit so einem Buch herauszugehen? Oder hat sich das so langsam erst entwickelt?
Jens Krauer
00:05:03
Ja, also einerseits ist grundsätzlich schon so ein bisschen mein Approach, zu sagen, man versucht da Dinge zu akkumulieren, weil ich mir denke, dann leben die auch länger. Und der andere Teil ist auch eine echte Erfahrung mit Social Media, wo ich mir gedacht habe, gut, also diesen Turnus, das, was der Algorithmus von mir will, das kann ich so nicht erfüllen in einer gewissen Qualität. Also muss ich mich zu einem gewissen Grad davon distanzieren. Wenn man da mal da ist, wo man sagt, man muss alle zwei Tage ein Bild posten, das hat einfach mit der Realität des Genres geklashed. Also ich kann nicht alle zwei Tage ein gutes Bild machen und nur um den Algorithmus happy zu machen, will ich keine qualitativ mir nicht gefallenen Bilder publizieren. Und ich sammle selber auch Fotobücher und ich sehe halt auch für mich, wie viele Fotografen und Fotografinnen über diese Bücher länger existieren können. Zumindest länger als auf Social Media. Ja, und somit war es das Ziel, halt ein Buch zu machen, das hoffentlich die Jahre ein bisschen überdauert.
Kai Behrmann
00:06:13
Es gibt auch einen Text in diesem Buch am Ende von Shamal Shabazz. Der schreibt dort, Jens is a man on a serious mission. Also ein Mann, ein Fotograf mit einer ernsthaften Mission, die er verfolgt. Wie kann er diesen Satz gemeint haben? Wie würdest du deine Mission beschreiben?
Jens Krauer
00:06:39
Ich glaube, das geht gerade so ein bisschen rein auch in die vorhergehende Frage. Wenn man halt Ziele verfolgt, ich glaube, dann ist man on a serious mission. Und Jamel ist ein unglaublich toller, auch legendärer Fotograf. Und ich hatte das Privileg, ihn kennenzulernen und jetzt auch regelmäßig mit ihm in Kontakt zu sein. Und ich glaube, man erkennt das in sich gegenseitig, wenn man so ein bisschen dedicated ist und merkt, dass Leute tatsächlich Ziele verfolgen mit ihrer Fotografie. Ich glaube, das meint er schlussendlich mit der Serious Mission.
Kai Behrmann
00:07:11
Die Ziele verfolgen. Ich finde gerade das ist auch eine extrem wichtige Frage, mit der wir uns häufig ein bisschen zu wenig beschäftigen. Wir haben eben im Vorgespräch auch schon etwas über Technik gesprochen. Du bist Fuji X-Photographer, warst jetzt gerade auf dem Fuji X Summit in Prag mit dabei, wo es um neue Kameras ging und diese Dinge, die auch schön sind, die auch wichtig sind. Wir brauchen eine Kamera, um Bilder zu machen, aber eben diese Beschäftigung, wofür ich die Kamera einsetzen möchte, das ist auch, finde ich, eine zentrale Frage, mit der wir gar nicht genug Zeit verbringen können. Das ist etwas, was sich über die Jahre auch immer wieder ändern kann. Das ist eine Entwicklung, die auch nie abgeschlossen ist. Nimm uns mal ein bisschen mit in deine Reise mit der Kamera und in deiner Reise hin zu diesem Warum, zu diesem Kern der Mission, zum Inhaltlichen, mit dem du unterwegs bist.
Jens Krauer
00:08:16
Die Kamera an und für sich für mich ist ein reines Werkzeug. Und ich meine das wirklich auch sehr, sehr respektvoll. Für mich ist die größte Qualität, die eine Kamera haben kann, dass sie mir nicht im Weg steht. Also das Zwischensehen und Fotografieren mich nichts daran hindert, das so schnell wie möglich umzusetzen und dass ich mir sicher sein kann, dass die Resultate gut sind. Ich bin insofern überhaupt kein Tech-Head. Also ich bin auch nicht jemand, der jetzt nachschaut, wann kommt was Neues. Ich bin meistens zufrieden mit dem, was ich habe, weil ich da so meine Methoden habe und bin dann meistens nur wirklich excited oder erfreut, wenn etwas dazukommt, was mir etwas ermöglicht. Also nur für die technische Fähigkeit begeistert mich ein Gerät nicht. Für mich muss es in der Umsetzung einen Mehrwert bieten. und dann kann man dann auch sagen, das ist ein bisschen schizophren, aber dann liebe ich dieses Gerät auch, weil es ist mein Hauptwerkzeug und dafür schätze ich es enorm. Und das muss im Kern halt funktionieren, weil wenn das Gerät nicht funktioniert, dann gibt es am Schluss auch keine Bilder.
Kai Behrmann
00:09:23
Ja, da bin ich ganz bei dir. Ich sehe das ähnlich, oder meine Beziehung zur Technik und zu meiner Kamera ist da ähnlich. Ich fotografiere jetzt auch schon seit Jahren mit der X-Pro-Serie von der 1 dann direkt zur 3 gewechselt und bin da sehr, sehr happy mit. Und genau das passiert, was du eben auch beschrieben hast. Das ist ein Werkzeug, über das ich mittlerweile nicht mehr nachdenke. Es steht mir nicht im Weg und ich kann mich ganz auf meine Fotografie und auf die Motive konzentrieren. Wie ist das bei dir gewesen? Also dieses Buch in Plain Sight, Das ist eine Sammlung von Momenten, die du im urbanen Raum in mehreren Großstädten weltweit fotografiert hast. Der Mensch steht ganz klar im Fokus. Wie bist du da hingekommen, für dich dieses Sujet zu finden?
Jens Krauer
00:10:18
Also generell glaube ich, dass halt in der Street-Photography, wo wir uns ja in der direkten Nachbarschaft oder in der gleichen Familie bewegen, wie auch in der Reportage oder in der Social Documentary, das geht für mich ganz klar immer um den Menschen. Also das muss für mich etwas darüber aussagen, wer wir heute sind, wie wir sind und ich erhoffe mir dann, wenn man in 20, 30 Jahren irgendwo dieses Buch vielleicht findet, dass man dann einen Eindruck gewinnt vom Jetzt. Und das dreht sich für mich ganz klar an den Menschen. Also wir sind da auch so ein bisschen bei Cartier-Bresson, diese humanistisch inspirierte Fotografie. Für mich sind da die aktuellen Geschichten um uns herum sehe ich in Menschen und darum suche ich diese. Es gibt auch viel Street-Fotografie, die sich mehr mit ästhetischen Aspekten auseinandersetzt. Für mich muss unbedingt ein Mensch im Zentrum stehen, weil ich von diesem dann die Geschichte ableite. Und wie ich vorhin gesagt habe, ich sammle selber Fotobücher, wenn ich ein Buch nehme, das sich mit dem urbanen Umfeld von vor 30, 40 Jahren beschäftigt, dann finde ich das hoch faszinierend, weil wir uns wiedersehen, wir können uns selber in Kontext setzen, der Geschichte, der Entwicklung und auch die Emotion kommt meistens für mich vom Menschen, daran ist ganz klar der Mensch im Zentrum.
Kai Behrmann
00:11:38
An welchen Orten hast du die Bilder für dieses Buch gemacht?
Jens Krauer
00:11:43
Das sind viele, Da ist drin New York, da sind wir in Amsterdam, da sind wir in Nizza, in Istanbul, in Kiew, in der Ukraine. Ich habe sicher jetzt noch was vergessen, aber da sind ganz, ganz viele Städte dabei.
Kai Behrmann
00:12:00
In dem ersten Interview haben wir ja auch über deine Karriere gesprochen, über deine Biografie. Wer da noch ein bisschen tiefer eintauchen möchte, der kann in dieses Interview oder in diese Podcast-Folge gerne nochmal reinhören. Vielleicht für alle, die das bisher noch nicht getan haben, Jens, skizzier uns nochmal deinen Weg, der dich in die Fotografie reingeführt hat.
Jens Krauer
00:12:26
Ja, also ich habe, also meine Anfangs-Schlusszeichen-Künstlerischen-Tätigkeiten hatten in meiner Jugend voranzutun mit der unaufgeforderten Verschönerung des städtischen Innenraumes, also mit dem Anbringen von Farbe auf Wänden und habe dann zehn Jahre lang im Event-Business gearbeitet, dann nochmal zehn Jahre beim Europäischen Fussballverband, habe dann gemerkt, dass das gar nichts für mich ist, also dass das einfach dem Wohlsein nicht gut tut und dass auch dieser Lohn, dieses Salär mich nicht glücklich macht. Und habe dann in meiner Zeit als Expat beim Europäischen Fussballverband mal einfach angefangen zu knipsen. Das war so um 2012 herum. Und mir wurde dann gesagt, ja gut, die Bilder sind gar nicht so schlecht. Und als ich dann sowieso genug hatte von dieser Institution und meine Kündigung eingereicht habe, habe ich dann die Möglichkeit gesehen, mich tatsächlich auf das zu konzentrieren. Was auch nicht ganz weit weg ist von meinen Wurzeln, weil was früher Farbe im Rucksack war, war jetzt halt einfach eine Kamera und dann ist man zurück auf die Strasse gegangen, wo man sich eigentlich schon relativ gut ausgekannt hat. Das war für mich wie eine Art ein Back to the Roots mit der Kamera.
Kai Behrmann
00:13:36
Ja, dann bist du durch die erwähnten Großstädte gezogen, hast dort auch immer wieder viel Zeit verbracht. Also du bist jetzt niemand, der nur mal für zwei, drei Tage dort ist, Bilder macht und dann weiterzieht, sondern du bist auch regelmäßig an diese Orte zurückgekehrt. Und das ist, glaube ich, auch ein Grund dafür, dass deine Bilder und das gesamte Werk diese Tiefe erreicht haben. Wie sieht das aus, wenn du morgens zu so einem Streetwalk rausgehst? Wie bereitest du dich vor? Und wenn wir dir dabei zuschauen könnten, was würden wir sehen?
Jens Krauer
00:14:18
Ich stehe dann meistens relativ zeitig auf. Ich kann zum Beispiel New York nehmen, da habe ich über Jahre hinweg Monate pro Jahr verbracht. Wie du gesagt hast, gehe ich dann nicht ein paar Tage fotografieren, sondern ich gehe dann zwei Monate. Dann versuche ich diesen Flow-State oder diesen Flow in der Fotografie, über den man ja auch viel redet, auch über diese gesamte Zeit aufrecht zu erhalten. Und das geht durch eine bestimmte Routine, durch Wiederholungen. Wenn ich morgens aufstehe, gibt es ganz klar erst mal Kaffee, weil ohne Kaffee funktioniert gar nichts. Und dann wird sehr pragmatisch die Tasche gepackt. Das ist meistens eine Kamera, ein Objektiv, Wasser, ein Telefon, also very basic stuff, den man halt einfach so braucht, um über den Tag zu kommen. Und dann geht man auf die U-Bahn, fährt rüber nach Manhattan und fängt tatsächlich einfach an zu fotografieren. Der Prozess ist gar nicht so komplex, da geht es eher um Repetition. Und man geht immer wieder an die gleichen Orte, man fängt am gleichen Ort an am Morgen, man lernt die Stadt kennen, man weiss um welche Tageszeit wo welches Licht herrscht, wo interessante Dinge passieren und läuft dann von 9 Uhr morgens bis 10 Uhr abends einfach die Routen ab und die Orte, wo man das meiste Potenzial sieht. Und das mache ich dann über Wochen hinweg und das hat dann auch so eine leichte meditative Konnotation. Ich habe den Begriff von Rinsi Ruiz damals gelernt, das Street Zen, also das hat wirklich was Meditatives und je länger man das macht, desto mehr kommt man da rein. Es ist eigentlich ganz simpel, also Schuhe anziehen, Tasche umhängen und einfach sich dem aussetzen, was die Stadt zu bieten hat.
Kai Behrmann
00:16:04
Ja. Ja, so in diesen Flow-State reinzukommen über die Routine, das ist dein Weg dahin und auch was das Equipment angeht, hast du gesagt, da bist du sehr minimalistisch unterwegs, also auch da eine gewisse Beschränkung, die du dir auferlegst und was vielleicht dann erstmal auch paradox klingt, sich da auch selbstbewusst Möglichkeiten zu nehmen, Auch indem du immer wieder an die gleichen Orte zurückkehrst, an den gleichen Ecken vorbeikommst. Das hilft dir dann wiederum kreativ zu werden und dich kreativ zu entfalten. Mir geht das da ähnlich und ich kann den Ansatz sehr, sehr gut nachvollziehen. Ich mache das gleiche ja in Havanna und Buenos Aires und ja, statt da jetzt immer wieder neue Viertel, neue Ecken zu gehen, was ich natürlich manchmal auch mache, habe ich schon auch da meine Routen, auf denen ich immer wieder unterwegs bin. Das hilft mir auch. Ich kann das sehr gut verstehen, wie du da vorgehst. Manchmal ertappe ich mich aber auch schon dabei, dass ich aufgrund dieser Routine so ein bisschen in einen Zustand gerate, wo ich gar nicht mehr so viel fotografiere und etwas auch dahin gleite und an Dingen vorbeigehe, wo ich sage, da habe ich schon mein Bild gefunden oder mein Motiv und ja, wo der Fokus dann manchmal ein bisschen verrutscht. Geht dir das ähnlich so oder bist du immer scharf in deiner Wahrnehmung, in deinen Sinnen?
Jens Krauer
00:17:45
Nee, natürlich nicht, weil man ist ja am Ende des Tages Mensch und manchmal tut was weh oder man hat Hunger oder das Wetter ist schlecht und so. Und da pusht man sich dann einfach durch. Da gibt es immer wieder Phasen, wo man vielleicht ein bisschen weniger aufmerksam ist. Ich muss aber auch sagen, dass diese Verdichtung auf bestimmte Routen natürlich eine Vorgeschichte hat. Also wenn man zum ersten Mal in eine Stadt kommt, läuft man schon relativ viel ab, einfach mal um rauszufinden, wo findet das denn überhaupt statt. Und wenn man so einen groben Raum hat, in dem das stattfindet, dann laufe ich halt auch nicht immer genau die gleichen Straßen oder die gleichen Ecken, sondern man hält sich das immer offen und folgt dann seiner Intuition und dreht dann vielleicht einfach mal links durch, nach links anstatt nach rechts oder geht man da ein Stück weit. Also das kann schon variieren. Also Streetfoot-Tagefee ist halt zu einem grossen Teil auch ein Konzentrationssport und da gibt es natürlich Fluktuationen. Also man kann nicht stundenweise auf 150 Prozent laufen. Wichtig ist immer, dass, glaube ich, wenn man was sieht, was wirklich außergewöhnlich ist, wo man denkt, jetzt könnte hier was wirklich Gutes passieren, dass man dann wirklich so die Performance abrufen kann. Der Rest ist halt viel beobachten, schauen und versuchen, das Konzentrationslevel so hoch wie möglich zu halten.
Kai Behrmann
00:19:04
Bist du denn auch jemand, der, wenn er das Gefühl hat, das ist ein Ort, an dem etwas passieren könnte, wo diese Dinge aber sich aktuell da noch nicht abspielen, in dem Moment, wo du da vorstehst, dass du da auch dann eine Weile verweilst und dir Gedanken machst, antizipierst, vorstellst, welche Bühne für was für eine Aufführung könnte dieser Ort gerade sein?
Jens Krauer
00:19:30
Absolut. Also es gibt ja immer, ich finde es so ein Mythos in der Street-Fotografie, dass man sich so einmal umdreht, ein Bild macht und dann ist das so dieses tolle Foto. In meiner Erfahrung kann vorkommen, aber relativ selten. Und dann arbeitet man mit Einstiegspunkten und mit Potenzial. Also wenn ich irgendwo stehe und sage, okay, hier das Licht ist toll, der Hintergrund ist gut, die Menschen sind interessant, dann ist das die Area, in der man jetzt halt so lange diese Situation existiert, quasi arbeitet. Nicht, dass man sich dann da fix hinstellt, also ich jetzt persönlich mich fix hinstelle und einfach nur in eine Blickrichtung gehe, aber ich weiß dann, das ist so ein bisschen das Territorium, in dem es für die nächsten 30 Minuten funktionieren könnte. Man bleibt dann agil, man bewegt sich, aber man hat halt, wie ich vorher gesagt habe, diese Einstiegspunkte, also wenn das Licht stimmt, wenn die Geometrie stimmt, wenn die Geschichte passieren könnte und dann ist tatsächlich mein Prozess antizipieren, interpretieren, positionieren, dokumentieren. Sprich sehen aus der Distanz, das Bild schon visualisieren, bevor man überhaupt da ist und dann an die richtige Position gehen, um das Einfachste an der Geschichte zu machen, nämlich das Bild effektiv technisch in den Apparat zu bekommen. Ich empfinde dann auch diese Limitierung auf eine Kamera und eine Linse ist für mich dann auch keine Limitierung, sondern eigentlich eine Effizienzgeschichte, weil wenn ich dann beim Positionieren weiß ich genau, welche Linse habe ich drauf, was ist meine Distanz, ich habe das Bild im Vorfeld quasi für mich visualisiert und weiß dann auch schon, ist das ein Full-Body-Shot, ist das Oberkörper, ist das Portrait und kann dann sehr gezielt mit der Brennweite, die ich kenne, an diesen Punkt hingehen.
Kai Behrmann
00:21:14
Ja. Ja, das sieht man sehr gut in deinen Bildern, dass du eben diese Gedanken davor auch schon reinlegst und nicht alles aus dem Moment, aus dem Impuls heraus entscheidest. Ich glaube, es gibt diese Art von Street Photography, wo der Fokus eher auf diesem Moment liegt, der sich im Bruchteil einer Sekunde ereignet. Der ist dann auch ganz schön, aber häufig stimmt oder passt der Hintergrund dann nicht so gut zu dem Motiv. Und du bringst halt beides zusammen, auch wenn man sich deine Bilder anschaut, ist sowohl das zentrale Motiv da drin, also der Mensch, so wie du uns zeigst, aber auch die Umgebung passt dazu und das ist, glaube ich, das, was du erreichst darüber, dass du da so viele Gedanken eben auch schon reinsteckst und dir den Ort genau anschaust. Wie passt die Umgebung zu dem, was möglicherweise oder in der Hoffnung dort dann passieren könnte?
Jens Krauer
00:22:16
Es sind dann immer mehrere Elemente. Aber ich finde, ich merke es auch immer, wenn wir Workshops machen, es ist natürlich ein absolutes Erfolgserlebnis, gerade am Anfang in der Street-Fotografierung zu sagen, gut, ich habe es erwischt, ich habe diesen Menschen auf diesem Bild drauf. Und für mich sind es dann mehrere Elemente. Das ist nicht nur der Mensch, es ist dann auch die Relation zu der urbanen Umgebung, also rein geometrisch und inhaltlich. Und dann muss noch ein Level von Emotionen oder von Geschichte dazu kommen. Also müssen sich für mich immer mehrere Elemente zusammenfallen, damit ich wirklich denke, für mich, ja, das ist ein Bild, mit dem bin ich zufrieden.
Kai Behrmann
00:22:53
Ja, wir können ja mal in das Buch reinschauen und uns mal so ein Beispiel herauspicken, so ein Bild, das auf diese Art und Weise entstanden ist, wo du eine Umgebung entdeckt hast, dort länger verweilt bist, dir die Gedanken gemacht hast und wo du dann das Glück auf deiner Seite gehabt hast, dass eben dieses spezielle Element Mensch noch hinzugekommen ist. Fällt dir da ein Bild ein?
Jens Krauer
00:23:24
Es gibt zum Beispiel eine Bildung aus New York mit dieser Frau, die diese Blättchen von dieser Blume abzupft und dann dieses Blatt so fallen lässt in der Luft. Das ist mitten in New York, das ist so ein selbstkonzentrierter Moment. Und das ist dann wirklich nur Potenzial, dass man sieht, du hast keine Ahnung, dass das passieren wird. Und du hast dann auch keine Ahnung, ob du dieses Blättchen, das dann da fällt, auch noch erwischt und ob das dann wirklich funktioniert in dem Bild. Das sind so Bilder, die mir sehr gefallen, weil ich da auch was reininterpretieren kann und auch ein potenzieller Betrachter für sich was reininterpretieren kann. Es gibt ein anderes Bild aus Paris, das ist der Antrokadero, wo ein Herr ein Plakat aufklebt, schwarz auf weiss, er und das Plakat daneben, sie weiss auf schwarz, beide machen den gleichen Überschulterblick zurück zu mir. Da fallen so viele Dinge zusammen und dann ist man wirklich happy, dass das funktioniert hat. Und vielleicht kann man auch sagen, das Bild aus Istanbul, aus dem Barbershop, Wo es wirklich aussieht, als würde gerade eine Straftat passieren, wo halt wirklich so eine Doppeldeutigkeit in dieses Bild reinkommt. Also er hat das Rasiermesser an der Stelle, wo man sich denkt, okay, das könnte jetzt auch etwas anderes sein. Und wenn so ein bisschen Mythos und Doppeldeutigkeit, mehrere Elemente dazu kommen, dann hat es für mich funktioniert.
Kai Behrmann
00:24:55
Ja. Ja, das stimmt. Ja, auch dieses Bild von das, was du eingangs beschrieben hast, von dem Mädchen, was da so Gedanken verloren, die Blätter einer Blume abzupft, eine Cola-Dose in der Hand hält. Und ja, dieses Storytelling, was da eben angeht im Kopf des Betrachters bei diesem Bild. Dieses Element, was dann eben diesen Moment noch zu etwas ganz Besonderem macht, dass man da auch eine Geschichte für sich reinlegen kann.
Jens Krauer
00:25:30
Und der Grad ist sehr schmal. Also wäre das Blättchen nicht da, würde das Bild nicht funktionieren. Das andere Bild, worüber wir gesprochen haben, Wenn dieses Rasiermesser nicht diese Position hätte, würde das Bild nicht funktionieren. Das sind oftmals einfach nur Millimeter, die dann aber komplett außerhalb der persönlichen Kontrolle sind.
Kai Behrmann
00:25:50
Ja, das fällt oft. Also deine Bilder, die sind wirklich auf den Punkt genau komponiert. Sie sind so ökonomisch gestaltet, dass da wirklich nichts drauf ist, was da nicht hingehört. Und du arbeitest auch gerne mit einer sehr offenen Blende, das heißt, die Hintergründe sind häufig so weit unkenntlich, dass da auch nichts ablenkt und der Fokus dann eben auf die Elemente geht, die hier die Story jeweils vorantreiben. Wie hast du diesen Stil entwickelt und beschreib ihn mal so ein bisschen, das was ich versucht habe von außen in deine Bilder zu lesen, wie würdest du es selber beschreiben?
Jens Krauer
00:26:34
Für mich ist wichtig, dass ich beim Betrachter eine Assoziation auslösen kann. Was die genau ist, das ist außerhalb meiner Kontrolle. Aber es ist wichtig, jemandem einen Einstiegspunkt für eine Geschichte zu bieten, die dann vielleicht basieren darf, der persönliche Geschichte des Betrachters oder der Betrachterin, was ganz anderes sein kann, als ich sehe. Aber wichtig ist, dass dieser Effekt passiert. Und wo wir das Buch konzipiert haben, war eigentlich einer meiner ersten Gedanken, das Buch mit dem Titel Steals from a Movie that I never made zu nennen. Und habe herausgefunden, das Buch gibt es schon. Aber ich sehe, also den Titel für ein Fotobuch gibt es schon. Aber ich sehe viele der Bilder halt als wie kleine Filmszenen, die man sich im Kopf quasi persönlich weiterspinnen kann. Und mir ist halt diese, wie sagt man, diese ansprechende Geometrie wichtig. Ich meine, Cartier-Bresson hat gesagt, ein Bild muss zuerst mal geometrisch ansprechend sein, damit wir überhaupt den Willen haben, das genauer zu betrachten. Und das ist ein Aspekt, den ich wichtig finde, und dann hast du das komplette Gegenteil von Robert Capa mit den Magnificent Eleven, den D-Day-Bildern, so elf der wichtigsten Bilder aus dem letzten Jahrhundert, aber die sind alle schlecht überbelichtet, unterbelichtet, verwischt etc., wo halt dann die Geschichte und die Relevanz dazukommen. Ich glaube, irgendwo in diesem Spannungsfeld spielt sich das ab und dann kommt einfach dazu, dass ich über meine frühere Graffiti-Tätigkeit einfach so Wände und urbane Umfelder gerne geometrisch schön im Frame drin habe. Aber ich mag keine fallenden Linien, wo sie keinen Existenzgrund haben für die Geschichte. Ich möchte gerne parallel zu Dingen stehen. Der Rahmen des Bildes selber ist für mich ein integraler Bestandteil. Insofern, wie die Geometrie ins Bild fällt, muss mit dem Rahmen des Bildes selber funktionieren.
Kai Behrmann
00:28:30
Diese Filmszenen oder diese Assoziationen mit Film, Oder wenn man sich vorstellt, man guckt sich einen Film an, drückt auf die Pause-Taste. Das hat man wirklich bei deinen Bildern. Sie können wirklich da so rausgeschnitten sein aus einem Film. Das Plakativste ist so die Assoziation mit dem Film Joker, finde ich. Da hast du ein Bild hier von einem Mann in einer U-Bahn, der da an der Wand lehnt. Der könnte wirklich aus dem Joker-Film sein. So die Assoziation, die ich damit gleich gehabt habe, so auf die Stirn, zwei Narben. In welchem Kontext ist dieses Bild entstanden? Wie ist da die Geschichte dahinter?
Jens Krauer
00:29:19
Das ist ein Halloween-Parade in New York. Und es ist wie immer, also diese Haupt-Events sind massiv fotografisch uninteressant, weil da laufen halt Leute in der Strasse runter und der Blickwinkel ist sehr limitiert auf diese Dinge. Also das interessiert mich dann überhaupt nicht. Aber was vorher und nachher passiert, ist super interessant. Also und da waren die Leute halt auf dem Heimweg. Da hast du dann ein anderes Bild, das auch im Buch ist, diesen Panda auf dem Bahnsteig, du hast den Joker, der da in der U-Bahn steht und nach Hause fährt. Also da ballt sich das dann wieder in normale Alltagssituationen integriert wird und das ist plötzlich super spannend. Und so ist dieses Bild entstanden, das war in der Subway nach der Halloween Parade auf dem Rückweg von Manhattan nach Brooklyn.
Kai Behrmann
00:30:08
Ja, genau, durch diese Abstraktion, ich weiß nicht genau, in welchem Kontext dieses Bild entstanden ist Und in dem Moment, wo du es hier fotografiert hast, entstehen so viele Fragezeichen. Ich bin als Betrachter da auf mich und meine Assoziation zurückgeworfen und du nimmst uns da den Kontext. Das kann ich sehr gut nachvollziehen, wie du das eben beschrieben hast. Und gerade auch mal mit so einer Idee heranzugehen, also solche Umzüge sind ja beliebte Ereignisse für Street-Fotografen, dass ich sage, okay, heute findet im Sommer die CSDs statt oder Halloween-Umzüge, wo sich Leute verkleiden. Kleiden, das ist auf den ersten Blick ja sehr, sehr attraktiv, aber dann sich da mal so ein bisschen vom Offensichtlichen zurückzunehmen und zu schauen, wie kann ich das noch interessanter machen, finde ich ein sehr, sehr guter Tipp.
Jens Krauer
00:31:13
Es geht ja vor allem um Candid, also um umgestellte Dinge. Und ich glaube, solange Menschen eine Rolle spielen, sei das jetzt auf der Bühne, in der Parade oder wie auch immer, ist das nur halb so interessant, wie wenn alles einfach wieder zum normalen Leben zurückkehrt. Das ist das Gleiche mit Menschen. Es gibt Selbstdarsteller, die sind eigentlich für die Fotografie für mich persönlich mittelmäßig interessant, weil die suchen die Aufmerksamkeit, die inszenieren sich und damit verliert das so ein bisschen Echtheit. Und dann gibt es echte Charaktere, die sind so, wie sie sind und sind trotzdem sehr faszinierend. Und das ist schon eine Differenzierung, die ich wichtig finde, wenn jemand jetzt so im Kontext von so einer Parade einfach ein Theater veranstaltet, dann ist das für mich zu wenig authentisch.
Kai Behrmann
00:31:57
Du hast eben gesagt, den Titel, den du dir ursprünglich für das Buch überlegt hattest oder gewünscht hattest, den gab es schon. Dann musstest du umdenken und bist jetzt bei, ja, in plain sight, Candid Urban Encounters gelandet. Wie bist du dahin gelangt?
Jens Krauer
00:32:15
Ja, durch langes Reden mit vielen Freunden und Hinterfragen wie man denn so ein Buch nennen könnte und verschiedenen Ansätzen, die man dann wieder verworfen hat und inzwischen bin ich sehr zufrieden mit In Plain Sight, weil das man einfach sagt, das ist nichts Verstecktes nichts Verborgenes, nichts was man nicht selber sehen kann, das ist einfach eine Frage vom Hinschauen und etwas was ich halt auch jetzt immer mehr bemerkt habe über die letzten 10. Jahre ist, die Menschen schauen manchmal gar nicht so gerne hin oder ignorieren Dinge bewusst, darum auch Sachen, die vielleicht jetzt, sage ich, ein bisschen unangenehmer sind in dem Buch oder vielleicht jetzt sozial ein bisschen schwieriger sind, auch Dinge, die wir halt bewusst ignorieren im Alltag und in plain sight sagt einfach, das liegt alles vor dir, du musst nur hinschauen.
Kai Behrmann
00:33:07
Ja Jens, das war gar nicht so abgesprochen, aber du hast freundlicherweise angeboten, dass wir auch ein kleines Gewinnspiel mit dem heutigen Gespräch hier verbinden können. Du stellst ein Exemplar deines Buches zur Verfügung und ja, das nehme ich natürlich gerne an. Und dann ist nur noch die Frage, wie bringen wir das an den Gewinner oder die Gewinnerin?
Jens Krauer
00:33:34
Ja, also wir haben uns jetzt überlegt, dass die Fotografen, Fotografinnen, die sich melden, unabhängig von ihrem Genre, das kann auch Landscape sein, das kann Portrait sein, schreibt uns doch euer Warum. Kurz, knapp, in wenigen Sätzen, in eine E-Mail gehe ich von aus und der Kai wird dann das entsprechend verlosen und ich würde dann gerne dieser Person ein unterschriebenes Buch zustellen.
Kai Behrmann
00:34:00
Ein tolles Angebot und ich freue mich jetzt schon auf die Antworten. Was ist euer Warum in der Fotografie? Wir sind gespannt. Die Antworten an mail at abenteuer-reportagefotografie.de. So, ja, dann müssen wir noch ein Enddatum definieren, bis wann das Ganze hier gehen kann. Die Folge dieses Interviews erscheint Ende März. Insofern würde ich sagen, wir lassen euch ein bisschen Zeit, auch über euer Warum nachzudenken und sagen dann, der 30. April 2025 ist das Enddatum. Bis dahin muss hier die Mail eingetroffen sein und dann verlosen wir unter allen Einsendungen ein Exemplar von Jens Buch in Plain Sight. Viel, viel Erfolg und viel Glück. Ja, bis man die Essenz auch aus den Bildern so rausdestilliert hat in einen Titel, das ist ein Weg, der manchmal sehr, sehr weit ist. Da führen viele Gespräche, auch der Austausch mit Kolleginnen und Kollegen dann letztendlich dazu. Aber es ist so ein Mosaikstein, der extrem wichtig ist, wenn man das Ganze auch in einem Buch zusammenfassen möchte. Wir beschäftigen uns bei Abenteuer Reportage Fotografie ja auch gerade mit dem Thema Präsentation von Bildern eben auch in Buchform. Wir haben gerade einen Buchworkshop gemeinsam mit Sebastian Schröder gemacht, wo das auch wieder Thema war und da würde ich gerne mit dir und deiner Erfahrung jetzt auch mal drauf blicken, so ein Buch zu machen. Vielleicht zu Beginn mal, ab welchem Zeitpunkt war für dich klar, dass deine Street-Arbeit irgendwann auch in einem Buch münden soll?
Jens Krauer
00:36:01
Ja, ich denke mal so vor, wahrscheinlich schon immer ein bisschen, aber sehr klar wurde mir das so vor fünf, sechs Jahren, so auf der Hälfte des Weges, habe ich auch gemerkt, wie überlebt Fotografie vielleicht länger als jetzt, wie gesagt, Social Media oder teilweise halt auch sogar die eigene Existenz und das sind dann meistens Bücher und das ist für mich ein Format, das lebt, also du, Du schickst das raus in die Welt und das geht dann seinen Weg, wo das endet und auf welchem Flohmarkt das vielleicht in zehn Jahren stehen wird oder in welcher Bücherkiste, hast du keine Ahnung. Insofern ist es eine wunderbare Erfahrung, das einfach so auf seinen Weg zu schicken und das finde ich super. Das ist etwas, was du fertig machst und dann lässt du es leben und du kannst weitergehen oder ein neues Buch machen oder ein anderes Projekt angehen und das finde ich persönlich wunderbar. Und der Weg zum Buch für mich war, dass man sich halt dann auch, und das ist ein Thema in der Fotografie, das interessant ist, man sich halt dann wirklich auch dem Judgment, der Kritik aussetzt von Menschen, die halt entscheiden, ob du ein Buch machst oder ob das das Potenzial hat, etc. Für mich war das nach Jahren in Amerika, wo ich nach Arl ging, an das Fotofestival in Arl und im zweiten Jahr glücklicherweise dann mit dem Team vom Kehrer Verlag zusammengekommen bin. Und dann hat diese Reise angefangen und auch da war eine wunderbare Erfahrung. Es ist ein sehr professionelles Team. Ich habe auch den Prozess vom Designen des Buchs sehr genossen. Auch da wieder, ich konnte, also irgendwann hat man eine Sicherheit, dass die Bilder, die man da weggibt, dass die okay sind. Und dann habe ich es wirklich genossen, 120 Bilder wegzugeben und mit der Laura, die das Buch designt hat, die auch für mich meiner Meinung nach sehr, sehr tolle Arbeit gemacht hat, zu sehen, was sie daraus macht. Und das war für mich überraschend, dass ein Dinge passiert, die hätte ich komplett anders gemacht. Aber ich bin super zufrieden mit den Entscheidungen, die wir da im Team getroffen haben. Ja, und dann lässt man dieses Buch leben.
Kai Behrmann
00:38:10
Ja, jetzt ist es da und lebt. Diese Begegnung mit dem Team vom Kera Verlag in Aal, wann war das? Wie lange liegt das zurück?
Jens Krauer
00:38:22
Das war, lass mal überlegen, 23 war das. Ja, 23, im Sommer 23.
Kai Behrmann
00:38:30
Also liegt schon eine gewisse Zeit zwischen diesem Treffen, diesem Kennenlernen und der Veröffentlichung des Buches, gut zwei Jahre. Was ist in diesen zwei Jahren passiert? Hast du in dieser Zwischenzeit noch weiter fotografiert oder ging es in diesem Zeitraum wirklich dann die Entscheidung zu treffen über das Layout, wie präsentieren wir diese Bilder?
Jens Krauer
00:38:55
Nein, ich habe konstant weiter fotografiert. Also ich kann auch nicht aufhören zu fotografieren. Das ist so, ich mache auch jetzt weiter. Also es ist gar nicht so, dass das Buch jetzt ein Abschluss wäre von meiner fotografischen Reise, sondern ich mache das gerne. Man könnte jetzt hier zum Beispiel Klaus Kinski hervorheben, der sagt ich spiele das nicht, ich bin das und mich macht das wirklich glücklich rauszugehen und diese Art von Fotografie zu betreiben, insofern das tat der Geschichte keinen Abbruch und das geht auch so eins zu eins weiter und die Reise zum Buch, das geht halt einen Moment weil irgendwann heisst dann, okay, wir finden das cool wir würden das gerne machen und dann muss man erstmal ein Release-Datum definieren, das muss ein bisschen zurückliegen, weil da ja vorher noch ein Prozess passiert und dann setzt man sich mal auseinander. Ich habe viel mit dem Klaus Kehrer gesprochen, auch darüber, wie er das Buch sieht und man tritt dann in diesen Prozess ein, dann wird es designt, da werden Texte geliefert, dann wird es abgenommen, dann gibt es einen Produktionsprozess etc. Daher kommt so dieser Zeitraum, der da entstanden ist.
Kai Behrmann
00:40:00
Ja, viele Komponenten, viele Schritte, die da mit reinspielen und jeder dieser Schritte wird ja bewusst gemacht und zahlt darauf ein, was man mit dem Buch auch kommunizieren möchte. Also da wird wirklich nichts dem Zufall überlassen, auch was das Layout natürlich betrifft. Ich kann ein Fotobuch ja auf so viele unterschiedliche Art und Weise gestalten. Jetzt in Bezug auf dein Buch, inwieweit hat das Layout und das Design des Buches die Aussage, die damit verbunden ist, unterfüttert?
Jens Krauer
00:40:36
Also ich fand es wunderbar. Also ich bin in diesen Prozess reingegangen und dachte mir so, ja, klassisches Fotobuch, also weißer Rand, Bild drin, auf jeder Seite ein Bild und dann irgendein Leineneinband und Gutes, so wie man das sich halt vorstellt. Und schon relativ früh hat der Klaus dann gesagt, er sieht das so alles als full bleed und gross und so und dann habe ich gesagt, gut, das ist very bold, also sehr mutig, habe mich aber dann mit der Idee angefreundet und dann haben wir im Prozess mit der Laura zusammen entschieden, dass wir ziemlich schwarz machen, dass wir auch die Ränder schneiden und die dann schwarz anmalen und irgendwann fand ich es dann wunderbar, weil ich glaube, dieses Buch führt dich idealerweise einfach nur zu den Bildern, da ist ja am Anfang auch kein Text drin, Da ist kein Text auf dem Cover. Du steigst da einfach rein und blätterst dich durch diese Bilder durch. Und am Schluss kommt da noch so ein bisschen Kontext und Text. Und das entspricht schon auch meiner Philosophie von zu sagen, hier ist das Bild, geh auf deine eigene Reise mit dem Bild. Ich möchte dir das nicht erklären. Ich möchte dir nicht vorschreiben, was da passiert. Und dieses Minimalistische von dem Buch unterstreicht so ein bisschen diesen Approach.
Kai Behrmann
00:41:48
Mhm. Ja, ich werde als Betrachter richtig reingesogen in dieses Buch. Das ist diese tiefen Schwarztöne, auch wie es gehalten ist. Und bin dann mittendrin in diesen urbanen Szenen, die du uns hier zeigst. Und in gewisser Weise ja auch sehr demokratisch, wie die Bilder präsentiert werden. Alle auf einer Doppelseite. Also keins ist durch die Größe oder die Anordnung irgendwo in seiner Bedeutung oder wie es dargestellt wird weniger wichtig, sondern wir sehen hier ist so ein Streetwalk und du nimmst uns hier mit in die Dinge, die du da beobachtet hast. Also ich finde, da unterstützt wirklich das Design auch die Aussage, die hinter diesem Buch steht.
Jens Krauer
00:42:43
Das war übrigens im Produktionsprozess für mich noch ganz komisch zwischendurch, weil dadurch, dass wir halt diese Full-Blead-Pages haben, sah dann auch das PDF eigentlich einfach aus wie mein Lightroom-Ordner. Weil du hast ja keine, also natürlich ist es eine Seitengestaltung involviert, aber du hast jetzt nicht, dass Bilder kombiniert oder verschoben werden etc. Und das sah dann wirklich einfach aus in meinem Lightroom-Ordner und ich war dann entzückt, wo ich dann bekommen habe, dass es tatsächlich auch gut funktioniert. Ja.
Kai Behrmann
00:43:17
Dadurch, dass du diese Bilder oder den Großteil der Bilder vorher noch nicht einer größeren Öffentlichkeit gezeigt hast, welche Bedeutung hat das jetzt mit Blick auf das Buch? Einmal für dich persönlich auch und auch mit Blick auf die Außenwirkung des Buches?
Jens Krauer
00:43:39
Ich finde es ein schönes Element, dass nicht alle Bilder schon verfügbar waren vor dem Buch. Es ist sicher ein Grund, mal das Buch anzuschauen. Es ist aber gar nicht so berechnend, wie man vielleicht denken könnte. Ich glaube, viel von dem, dass ich gar nicht so viele Bilder gezeigt habe, ist einfach so ein bisschen eine Zurückhaltung auf Social Media, was auch extrem viel Frustpotenzial immer hat, wenn man Bilder postet auf der heutigen Social Media. Instagram vor sechs, sieben, acht Jahren war eine andere Geschichte, aber heute ganz, ganz schwierig. Ich glaube, es ist irgendwie einfach so passiert. Und ich bin jetzt auch happy, dass wenn jemand dieses Buch nach Hause nimmt, dass man halt dann auch noch Dinge entdecken kann, die man so noch nicht gesehen hat.
Kai Behrmann
00:44:21
Ja. Wie war der Auswahlprozess für dich, jetzt zu den Bildern zu gelangen, die wir letztendlich jetzt in dem Buch sehen?
Jens Krauer
00:44:32
Es gab zwei Ebenen. Das eine ist meine Eigenverantwortung. Ich habe seit Jahren schon immer diese Bilder geordnet und versucht zu destillieren. Meine Methode war immer, ich habe einen Ordner in meinem Lightroom, da sind immer 100 Bilder drin. Seit Anfang an, wo ich fotografiert habe. Und wenn eins reinkommt, dann fällt eins raus. Das war über Jahre mein Prozess. Also jedes Mal, wenn ich gedacht habe, jetzt habe ich ein Bild, das integriert sich gut in diesen 100-Bilder-Ordner rein und das steigert die allgemeine Qualität der Sammlung dieser 100 Bilder, dann ging das Bild da rein, ein anderes ist rausgefallen. Und wo wir dann zum Buch kamen, habe ich dann 120 Bilder ausgesucht. Ich war mir zu dem Zeitpunkt schon relativ sicher, dass diese 120 Bilder okay sind, weil viele davon wurden ausgestellt oder haben schon quasi Edits und Selektionsprozesse überlebt. Und habe dann wirklich auch diese 120 Bilder an Kehrer gegeben und da hat dann die Buchdesignerin die Sequenz gemacht und entschieden, was behalten wir, was behalten wir nicht. Ich habe da natürlich noch ein Mitspracherecht, aber abgesehen von vielleicht vier, fünf Bildern, die wir dann am Schluss noch ausgetauscht oder verschoben haben, ist da eigentlich gar nicht mehr so viel passiert und die Zahl von 72 hat sich dann einfach dem Format vom Buch angepasst.
Kai Behrmann
00:45:58
Hat sich deine eigene Sichtweise auf die Bilder nochmal verändert jetzt, wo du die Bilder in Buchform vor dir siehst? Das macht ja auch was mit uns selber. Also wir können uns unsere Bilder am Rechner anschauen, in unseren Lightroom-Katalogen, aber je nachdem, wo sie dann noch präsentiert werden, sei es jetzt im Rahmen einer Ausstellung, wenn ich vor meinen eigenen Bildern stehe oder wenn ich sie gedruckt in einem Buch sehe, das macht ja auch was mit uns als Autoren dieser Bilder. Was ist es bei dir, was du jetzt empfindest, wenn du das Buch aufschlägst?
Jens Krauer
00:46:36
Das ist sehr, sehr, sehr durchmischt. Also ich glaube am Anfang habe ich jetzt persönlich mal so ein bisschen, so sehr man das ja will und auch geehrt ist und das Freude macht, auch vielleicht ein bisschen Mühe gehabt zu sagen, gut, das ist es jetzt. Also das kann ich jetzt nicht mehr verbessern, das kann ich nicht mehr ändern, das steht jetzt so in der Welt, wie es ist. Ich glaube, das war ein bisschen, nicht schwierig, aber so ein Challenging-Prozess. Und ansonsten bin ich meinen eigenen Bildern gegenüber, wenn sie dann mal so im Status sind von sie sind in diesem 100-Bilder-Ordner drin, habe ich schon eine gewisse Distanz. Also ich bin super glücklich, das Buch in die Hand zu nehmen. Ich bin dankbar dafür, was es so als Ganzes darstellen kann. Aber wenn ich jetzt in eine Ausstellung reingehe, wo meine Bilder sind oder das Buch anschaue, ja, ich bin stolz, zufrieden, aber es ist nicht so, dass mich das massiv berührt. Wir haben jetzt gerade Ausstellungen in der VHS-Galerie in Stuttgart von der Volkshochschule, die läuft noch einen Monat. Und ich bin happy. Also ich bin auch da happy, ich gehe rein, ich schaue mir mal so an, das sieht toll aus, ich bin wirklich, wirklich happy. Aber ich habe immer schon eine gewisse Distanz zu den Bildern und freue mich dann mehr darüber, was andere Menschen darin sehen oder darüber denken. Das gibt mir dann wieder mehr außerhalb meiner persönlichen Wahrnehmung.
Kai Behrmann
00:48:02
Du hast gesagt, die Bilder, die gibt es jetzt auch im Rahmen einer Ausstellung zu sehen. Ich nehme an, du warst bei der Öffnung dann auch dabei, hattest die Gelegenheit, mit Menschen zu sprechen, die sich diese Bilder auch dort vor Ort angeschaut haben. Was war es denn, was so in den Gesprächen herausgekommen ist? Was sehen andere in deinen Bildern und welche Aspekte haben dich berührt, haben dich überrascht? Erzähl mal so ein bisschen, was du von den Reaktionen mitgenommen hast.
Jens Krauer
00:48:35
Was für mich immer wirklich sehr bereichernd ist und wofür ich auch dankbar bin, ist, wenn Menschen sagen, dieses oder jenes Bild, das hat mich emotional berührt. Und die dann erzählen, warum das so ist. Und das ist dann etwas, was mich wirklich happy macht, weil es dann nicht darum geht, dass man jetzt Komplimente oder Lob abholen will, sondern dass ich wirklich merke, dass das bei jemandem auf der emotionalen Ebene etwas ausgelöst hat. Das ist für mich eigentlich das Schönste, was an dieser Geschichte passieren kann. Es war in der VHS-Galerie in Stuttgart kam eine Dame zu mir und da war es genau dieses Bild, wo diese Frau dieses Blättchen abzupft von dieser Blume und hat mir dann erzählt, aufgrund von was und wie sie das emotional berührt. Und das sind sehr schöne Begegnungen, weil dann merke ich, okay, ich habe was fotografiert, ich habe ein Bild gemacht und jetzt geht diese Reise so ein bisschen weiter und das transportiert sich tatsächlich auch zu Menschen. Und das ist für mich eigentlich das Schönste. Und da gab es zwei, drei solche Begegnungen und dann ist es wirklich einfach immer spannend, was die Leute in den Bildern sehen. Das sagt auch immer viel über, oder man lernt dann über die Lebensgeschichte der Menschen, weil sie auf eine bestimmte Emotion anspringen oder diese verstehen. Und das ist für mich eigentlich der schönste Teil an der Geschichte.
Kai Behrmann
00:49:56
Damit schließt sich ja jetzt so ein bisschen auch der Kreis. Also als Fotografen, wenn wir dabei sind, unsere Bilder zu machen, dann ist es ja eher so eine Geschichte nach innen. Wir schauen auf uns und wie das Außen auf uns wirkt und machen dann davon Bilder und dann in dem Prozess oder in dem Maße, wo wir mit unseren Bildern nach außen gehen, sie anderen zugänglich machen. Sei es jetzt über Social Media, über Ausstellungen oder über Bücher, eröffnen wir dann ja auch den Raum, um Feedback zu bekommen. Das hast du ja eben beschrieben. Und dieses Feedback bekommen, das gab es bei dir ja lange nicht, dadurch, dass du so wenig von deinen Bildern gezeigt hast. Ist das jetzt so ein Gefühl, dass sich da diese beiden Prozesse zusammenfügen und du jetzt beide Seiten spüren kannst?
Jens Krauer
00:50:48
Ja, absolut. Ich hatte natürlich immer Feedback, weil ich persönlich in meinem Umfeld auch mit zum Beispiel Stella, die ein Nachwort im Buch geschrieben hat, habe ich diesen Feedback-Prozess immer gesucht. Ich habe ihn halt einfach nicht im öffentlichen Diskurs gesucht, sondern mit quasi Profis, die mich dann auch weiter vorwärts gepusht haben. Und jetzt das komplementäre Element zu haben von Menschen, die das Buch gekauft haben und mir jetzt auch Feedback geben, ist wunderbar, vor allem weil zu dem Zeitpunkt halt auch die Unsicherheit schon weg ist. Also ich bin sehr selbstbewusst mit dem Buch, ich bin sonst eher introvertiert und zurückhaltend, aber ja, jetzt, wo das Buch so steht und da freue ich mich oft auf dieses Feedback und auf dieses Gespräch mit Menschen darüber. Es ist tatsächlich, dass sich da der Kreis so ein bisschen schließt und im Moment genieße ich das sehr.
Kai Behrmann
00:51:41
Ja, dieses Feedback, was du bisher bekommen hast, was dann auch die Sicherheit gibt, wenn du mit Menschen darüber sprichst, die viel von Fotografie verstehen, mit Kollegen und so. Klar, also ganz im luftleeren Raum warst du da natürlich nicht über diese Jahre, aber es ist ja nochmal eine andere Art des Publikums, den du deine Bilder jetzt eben präsentieren kannst.
Jens Krauer
00:52:05
Ja, und ich freue mich über jeden einzelnen Menschen, der auf mich zukommt und vielleicht ein Feedback hat zum Buch oder über ein Bild reden will. Das sind wunderbare Konversationen und die schätze ich alle sehr. Also es ist wirklich ein schöner Prozess.
Kai Behrmann
00:52:20
Ja. Welche Seite genießt du mehr? Du hast gesagt, du bist eher auch ein introvertierter Mensch. Hast du mehr Freude daran, die Bilder zu machen und zu schauen, dich im urbanen Raum zu bewegen und auch deine Umgebung zu studieren, wahrzunehmen, zu interpretieren? Ist es das eher der Teil an der Fotografie, der dir am meisten Spaß macht? Oder kannst du jetzt auch sagen, nee, das andere, das macht mir auch Spaß, dann mit meinen Bildern nach außen zu gehen?
Jens Krauer
00:52:55
Also mein Sein, mein Herz, meinen persönlichen Frieden ist der Prozess des Fotografierens absolut das Beste an der Geschichte. Es gibt für mich nie mehr Ruhe und Frieden, als wenn ich einfach weiss, ich habe jetzt einen Monat Zeit, zum Beispiel auf den Strassen von Istanbul unterwegs zu sein. Ich kann mir dann wirklich so kleine Zeiträume freimachen, wo das der Hauptfokus ist, wo man dann wirklich auch sehr balanciert und im Frieden mit der Welt und sich selber unterwegs ist. Das ist für mich Gold wert. Für mich ist der Prozess selber eigentlich das Wertvollste. Natürlich hat man auch Ambitionen und man will diese Bilder nachher verarbeiten. Wenn ich jetzt die Wahl treffen müsste zwischen Ausstellungen machen und einfach nur fotografieren, dann würde ich einfach nur fotografieren. Weil die Tätigkeit an und für sich macht mich unglaublich zufrieden.
Kai Behrmann
00:53:51
Ja, der Prozess, den du genießt. Bei all diesen Fotowalks, die du gemacht hast, wenn du rausgehst in die Stadt mit deiner Kamera, neben dieser Freude, diese Momente auch festzuhalten oder festgehalten zu haben, an denen viele Menschen einfach vorbeigehen, Was ist es noch, vielleicht eine Ebene darüber, was du eventuell auch über die Gesellschaft gelernt hast? Du schaust ja sehr, sehr genau hin, was machen Menschen im öffentlichen Raum und gibt es da etwas, was du für dich über die Menschen, über unsere Gesellschaften, über die Formen, wie wir miteinander agieren oder auch alleine agieren im öffentlichen Raum, was dir da so als Erkenntnisse im Kopf geblieben sind?
Jens Krauer
00:54:43
Ja, also es ist schwierig, weil es steht mir natürlich dann auch nicht zu fest zu urteilen über das, was ich so gesehen habe, aber nach 10, 12, 13 Jahren Beobachten von Menschen überall auf der Welt, schleicht sich die eine oder andere Grunderkenntnis ein, die auch nie absolut richtig ist. Aber die erste Erkenntnis ist, vielleicht sind wir alle gleich. Also ob ich jetzt hier bin, in Amerika, in der Türkei, in Holland, wo auch immer, Menschen sind grundsätzlich alle gleich. Also sowohl wenn es um positive als auch um negative Aspekte geht. Du findest überall Leute, mit denen kannst du reden, mit denen kannst du dich hinsetzen, mit denen kannst du connecten. Du findest ganz viele positive menschliche Eigenschaften, Eindrücke. Und genauso findest du halt viele unfreundliche, brutale, ignorante und eher fragwürdige Aspekte der Gesellschaft. Und am Schluss, für mich ist es einfach eine Frage des Individuums. Entweder du triffst auf herzliche, gute Menschen oder du triffst halt auf Menschen, die eher wegschauen und mit sich selber beschäftigt sind. Aber ich glaube, ich möchte niemanden verurteilen. Aber wir sind halt, also das Fazit ist durchmischt. einerseits sehr gute Erfahrungen und andererseits auch ganz viel Tragisches und Trauriges gesehen.
Kai Behrmann
00:56:06
Ja. Ja, und das ist ja das, was die Fotografie auch macht. Also Fotografie zeigt ja die Dinge, aber sie ist schlecht darin, Dinge zu erklären und das ist genau dieser Raum, der, glaube ich, dann auch gut tut. Jeder bringt seine eigenen Erfahrungen, seine eigene Sichtweise mit hinein in diese Bilder und das streicht dann auch so ein bisschen das, was du gesagt hast. Es ist da sicherlich schwer, so Generalisierung über unsere Gesellschaft und diese Dinge zu finden und einfach diesen bunten Strauß aufzumachen, dass wir zwar doch in unseren Grundzügen uns ähnlicher sind, als wir es vielleicht denken, aber es dann auch wieder sehr, sehr viel Raum für Unterschiedlichkeit und Vielfalt gibt.
Jens Krauer
00:56:55
Ja, absolut. Und ich möchte einfach auch glauben, dass wir im Kern alle eigentlich gut sind. Also das möchte ich wirklich glauben, auch wenn man viele Dinge sieht, die manchmal nicht so erhebend oder positiv sind. Aber ich würde schon sagen, im Schnitt sind Menschen eigentlich keine bösen Wesen, wenn man das so sagen will.
Kai Behrmann
00:57:17
Jens, du hast am Ende des Buches auch eine lange Liste an Personen, an Namen von Menschen, denen du dankst. So ein Buch entsteht ja nicht alleine. Da sind viele Menschen daran beteiligt. Jetzt können wir nicht auf jeden einzelnen Namen eingehen, aber vielleicht kannst du uns mal so einen gewissen Eindruck vermitteln, wer einen besonders großen Beitrag dazu geleistet hat, dass dieses Buch so entstanden ist, wie es jetzt veröffentlicht worden ist.
Jens Krauer
00:57:50
Ja, das war auch ein langer Prozess. Ich meine, man kann auch einfach drei, vier Namen hinschreiben, die tatsächlich jetzt rein technisch mit der Erstellung des Buches zu tun haben. Ich habe dann nach längerer Überlegung mich dazu entschieden, eigentlich über diesen Weg zu reflektieren und zu sagen, wo sind dann Dinge passiert, wo mich jemand unterstützt hat Oder auch jetzt rein freundschaftlich mental hochgehoben hat. Wo bin ich auf Menschen getroffen, die ich noch nie gesehen habe vorher und die aber dann tatsächlich zu Unterstützern oder Unterstützerinnen wurden. Und dachte mir, so karmatechnisch möchte ich da einfach alle Leute erwähnen, die mir in den letzten zehn Jahren auf dieser Reise Gutes getan haben. Also gar nicht unselektiv, aber da kam dann diese Liste zusammen. Ich weiss nicht, ob es richtig ist, jetzt jemanden da besonders hervorzuheben, aber all diese Menschen haben irgendwo eine wichtige Rolle gespielt auf dem Weg zu diesem Buch. und dann fand ich es auch, okay, das werde ich erwähnen. Da hat es Leute drin, ein Mensch, der ist verantwortlich dafür, dass ich Fuji Ambassador bin und das war ganz, ganz lange, bevor ich überhaupt irgendwas, das war im ersten Jahr, wo ich angefangen habe zu fotografieren, ist für mich wichtig, dass so jemand erwähnt ist. Dann gibt es Leute, die ich getroffen habe, die einfach gesagt haben, hey, wir finden das gut und wenn du was brauchst, wir unterstützen dich gerne. Und dann Freunde, auch persönliche Freunde, da gibt es alle Farben und Varianten, aber jeder einzelne Mensch, der da aufgeführt ist, ist von mir wohl überlegt und war für mich ein wichtiger Einfluss in dieser Reise.
Kai Behrmann
00:59:26
Ich habe erwähnt, dass wir uns ja auch intensiv aktuell bei uns in unseren Projekten mit dem Thema Präsentation und Druck beschäftigen. Jens, vielleicht abschließend aus deinen Erfahrungen jetzt dieses Buch gemacht zu haben. Was würdest du jemandem raten, der ein ähnliches Ziel verfolgt, aus seinen Bildern ein Buch zu machen oder vielleicht auch schon ein bisschen früher anzusetzen? Also in dem Moment, wo ich, vielleicht ist es manchmal auch gar nicht so hilfreich, vom Ende her zu denken, sondern erstmal so eine Idee überhaupt für ein Konzept, für eine Idee zu entwickeln, was ich überhaupt fotografiere, um dann mich im nächsten Schritt damit zu befassen, wie ich es vielleicht am besten präsentieren könnte.
Jens Krauer
01:00:10
Ja, ich denke, es ist immer, es macht immer Sinn, wenn man vom Anfang an eine Verdichtung anstrebt. Also, dass man versucht, unter die Oberfläche zu kommen. Jetzt nicht zu sagen, ich will hübsche Bilder haben und ich will ganz viele davon haben, sondern vielleicht zu sagen, was will ich denn erzählen? Was ist denn mein Warum? Was ist meine Geschichte? Wie bringe ich da möglichst viel persönliche Perspektive rein, jetzt auf der erzählerischen Ebene? Und dann sicher auch auf der visuellen Ebene versuchen anzustreben, das aus einem Guss zu machen, einen visuellen Stil zu entwickeln, den man halt dann auch akkumulieren kann zu 100 Bildern und die dann so für sich ersichtlich sind als ein Body of Work. Ich glaube, mehr Gewicht in die eigene Arbeit zu bringen, mehr Persönlichkeit oder mehr Persönliches reinzubringen, ist immer ein guter Weg, weil einfach dann die Arbeit interessant ist, ob es ein Buch wird, eine Ausstellung, wie auch immer das Endformat für eine Fotografin oder einen Fotografen aussieht, aber dieses tiefer gehen in der eigenen Arbeit oder noch ein Stück weiter zu pushen, einfach dass das für sich alleine stehen kann, ich glaube, das ist so ein Schlüsselelement.
Kai Behrmann
01:01:19
Ja, sehr guter Tipp. Wir sind eingestiegen mit einem Satz aus dem Nachwort von Jamel Shabazz zu deinem Buch, Jens is a man on a serious mission. Jetzt hast du eine Etappe auf dieser Mission abgeschlossen oder jetzt ein Buch zu einem Buch zusammengefasst. Wie geht diese Mission jetzt weiter? Manchmal ist es ja schwer, wenn man so einen Meilenstein erreicht hat, dann etwas zu finden, mit dem man weitermacht. Einige fallen dann in ein kreatives Loch oder die anderen sind froh, dass sie ein Projekt oder eine Etappe abschließen können und sich dann auf die nächste machen. Wie gehst du das an für dich persönlich? Hast du parallel schon an etwas gearbeitet, was jetzt deine Zeit und Aufmerksamkeit bekommt?
Jens Krauer
01:02:14
Ja, also einerseits ist die Reise natürlich auf der Strasse nicht vorbei. Vielleicht gibt es seit zehn Jahren ein zweites Buch, Who Knows, mit dem Fokus der Street-Fotografie. Also ich werde sicher nicht aufhören, das zu machen. Andererseits verbringe ich jetzt auch relativ viel Zeit mit Dokumentarprojekten. Ich mache ein Projekt momentan in der Ukraine, über das ich jetzt gar nicht so viel erzählen möchte, bis es nicht fertig ist. Nein, also ich bin auf meiner Reise. Also für mich ist das jetzt ein Stepping Stone in meiner fotografischen Reise und ich freue mich jetzt auf die nächsten Projekte. Also ich fühle mich jetzt eher ermutigt, da noch weiter reinzutauchen.
Kai Behrmann
01:02:57
Ja, dann an dieser Stelle schon mal die Einladung für ein drittes Gespräch hier im Podcast, wenn du sagst, du bist da gerade.
Jens Krauer
01:03:03
Vielen herzlichen Dank.
Kai Behrmann
01:03:05
Wenn es soweit ist und du über das Projekt in der Ukraine sprechen kannst, dann gerne hier wieder, Jens. Hat mich gefreut, mit dir über dieses Buch hier zu sprechen. Es ist wirklich fantastisch geworden. Ganz, ganz tolle Street Photography, dokumentarische Street Photography und kann jedem nur empfehlen, sich dieses Buch zu besorgen. Erschienen im Kera Verlag und für deine nächsten Etappen wünsche ich dir alles Gute und freue mich schon auf das nächste Gespräch.
Jens Krauer
01:03:34
Vielen herzlichen Dank, dass ich wieder bei dir zu Gast sein durfte und es ist mir jedes Mal eine Freude, mit dir über die Fotografie zu sprechen.
Kai Behrmann
01:03:42
Okay, dann auf bald, Jens. Mach's gut. Tschüss.
Music
01:03:45