Abenteuer Reportagefotografie – Podcast über visuelles Storytelling

Kai Behrmann: Visueller Storyteller und Fotograf

Albanien: Eine Reise in der Zeit – mit der Kamera

Albanien – für viele ein weißer Fleck auf der fotografischen Landkarte. Für Marcel Mayer wurde es zum Ausgangspunkt einer stillen, eindringlichen Reportage: eine Reise in die Berge, zu Menschen, deren Alltag zwischen Vergangenheit und Aufbruch pendelt – und zu Bildern, die Geschichten erzählen, ohne laut zu sein.

27.04.2025 99 min

Zusammenfassung & Show Notes

Albanien. Ein Land, das für viele noch wie ein weißer Fleck auf der (fotografischen) Landkarte wirkt. Für Marcel Mayer wurde es zur Entdeckung. Der Fotojournalist und Tourismusprofi reiste zunächst beruflich in das Land am Mittelmeer – und kam mit einer ganz anderen Geschichte zurück: der seiner Reportage aus den albanischen Alpen. In dieser Podcast-Folge spricht er über sein Projekt, seine Herangehensweise und die Geschichten, die ihm in Nordalbanien begegnet sind.

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Transkript

Marcel Mayer
00:00:00
Ich habe natürlich gefragt, wie lange gibt es diese Straße? In der Form gab es sie erst fünf Jahre, aber sie war schon jahrhundertelang eine Karawanenroute und ich wurde immer neugieriger. Und für mich war nach ungefähr ein Drittel der Strecke klar, das ist eine Reise durch Raum und Zeit, die ich hier mache. Und ich habe sofort schon beschlossen, das ist nicht nur eine persönliche Reise durch Raum und Zeit, sondern es ist eine Reise mit der Kamera durch Raum und Zeit.
Kai Behrmann
00:00:30
Ja, Marcel, dann herzlich willkommen zurück im Podcast jetzt mal.
Marcel Mayer
00:00:34
Ja, Kai, ganz lieben Dank. Freut mich sehr, wieder mal zu Gast zu sein. Ist ja jetzt schon das zweite Mal. Freue mich sehr auf das Interview mit dir.
Kai Behrmann
00:00:42
Ja, du sagst, es ist das zweite Mal. Beim ersten Mal haben wir über dein Projekt eine fotografische Langzeitbegleitung der Folgen der Flutkatastrophe im Ahrtal gesprochen. Und jetzt wollen wir über ein neues Projekt sprechen, das du damals schon erwähnt hast, aber was jetzt in den vergangenen Monaten, die ins Land gegangen sind, dann konkreter geworden ist und was jetzt in einer sehr schönen Publikation bei Geo Online gemündet hat. Also insofern ist es jetzt spruchreif. Die Bilder sind draußen und es dreht sich um deine fotografische Reise in die albanischen Alpen. Marcel, erst nochmal gefragt, das Projekt im Ahrtal war ja ein sehr, sehr persönliches Projekt, was du da gemacht hast. Du lebst in der Region, warst persönlich selbst betroffen davon. Wie war es jetzt mit dem Projekt in Nordalbanien? Gab es da eine ähnliche Verbindung?
Marcel Mayer
00:01:45
Ja, ich bin natürlich ein paar Themenfeldern sehr intensiv verhaftet. Das ist natürlich zum einen immer Energie, Klimawandel, alles, was mit Umwelt zu tun hat. Da passte natürlich neben der persönlichen Betroffenheit auch das Ahrtal sehr gut rein. Und ich bin in meinem Hauptjob ja auch in der Tourismusindustrie tätig. Und so verbindet sich das Ganze mit Albanien. Ich war vor einigen Jahren beruflich in Albanien, habe mir bestimmte Hotels angeschaut, habe mit Leistungsträgern verhandelt und hatte gesagt, ich möchte ein bisschen mehr sehen, auch wenn ich nur kurz Zeit habe. Und ein guter Partner von uns hatte eine tolle Idee und sagt, ich bringe dich zu einem Ort. Da kommen die meisten Leute auf den ersten Moment gar nicht hin und es wird auch keiner drauf kommen, dir das als erstes zeigen zu wollen. Aber ich kenne dich schon etwas länger. Ich weiß, du fotografierst gerne und ich zeige dir heute einen besonderen Ort. Aber es wird eine anstrengende Reise, weil alleine dorthin zu kommen, auch wenn es kilometermäßig gar nicht so weit ist, wird etliche Stunden in Anspruch nehmen. Magst du das riskieren? Und es war Frühjahr und er sagte, wir sind zwar hier schon ein bisschen in der Sonne, aber oben ist noch Schnee. Und ich habe gesagt, auf jeden Fall, ich lasse mich überraschen, ich möchte dahin. Und so bin ich im Norden Albaniens, in den albanischen Alpen gelandet und ehrlich gesagt fasziniert von den Menschen, von der Natur und von der Landschaft vom ersten Moment an.
Kai Behrmann
00:03:19
Beschreib das mal ein bisschen. Was war es genau, was dich fasziniert hat? Was waren deine ersten Eindrücke? Was hast du gespürt? Was hast du über den Sehsinn hinaus da erlebt?
Marcel Mayer
00:03:32
Ja, also zum einen fing es sicherlich damit an, wenn man Skodra, das ist eine kleinere Universitätsstadt, noch in der unteren Ebene, wenn man diese Straße hoch nach Lepusha und Vermosch betritt und in diese Bergwelt eintaucht, spürt man die Naturgewalt. Also man befindet sich in extremen Wetterlagen, es ist sonnig, fünf Minuten später fängt es an zu regnen oder zu stürmen. Also man spürt es alleine physisch und dann trafen wir auch auf die ersten Menschen und ich war auch völlig fasziniert, wie diese Straße sich durch diese Gebirge, durch diese Täler und dann wieder hinauf in die Berge, wie sich diese Straße befindet. Den Weg erzwingt. Und ich habe natürlich gefragt, wie lange gibt es diese Straße? In der Form gab es sie erst fünf Jahre, aber sie war schon jahrhundertelang eine Karawanenroute und ich wurde immer neugieriger. Und für mich war nach ungefähr ein Drittel der Strecke klar, das ist eine Reise durch Raum und Zeit, die ich hier mache. Und ich habe sofort schon beschlossen, das ist nicht nur eine persönliche Reise durch Raum und Zeit, sondern es ist eine Reise mit der Kamera durch Raum und Zeit.
Kai Behrmann
00:04:51
Das sind ja solche Momente, von denen wir als Fotografen träumen, irgendwo hinzukommen, dann Eindrücke zu sammeln und wie so ein kleiner Faden, der uns da hingelegt wird, wenn wir an dem ziehen, kommt immer mehr und mehr zum Vorschein und wir rutschen so in dieses Projekt automatisch rein und entdecken Schicht um Schicht, die damit zusammenhängt. Also du hast gesagt, diese Straße, die existiert schon jahrhundertelang und dann beginnt man mit der Recherche. Wie ist das bei dir weitergegangen? Wie hast du dich immer mehr in dieses Projekt reingearbeitet?
Marcel Mayer
00:05:33
Ja, nach den ersten Eindrücken, also ich war eine Nacht dann in den albanischen Alpen oben, in Lepuscha, habe mit einer Gastfamilie zu tun gehabt, die ein kleines Gasthaus betreibt. Sehr einfach, sehr schön, wunderbar gelegen und habe abends im Gastraum gesessen, die Menschen gesehen. Es waren überwiegend Menschen aus Albanien, die dort versucht haben, ein paar Tage zu verbringen. Und für mich war in dem Moment klar, hier muss ich wieder hin, aber hier muss ich hin aus fotografischer Sicht. Und als Visual Storyteller spürte ich, da ist deutlich mehr dahinter. Nach meiner Rückkehr in Deutschland habe ich genau das getan, von dem du sprachst. Ich habe erst mal angefangen zu recherchieren. Und bin in den geschichtlichen Kontext gekommen, habe gesehen, dass diese Karawanenroute seit dem Osmanischen Reich besteht, dass es sehr starke Einschnitte gab in der kommunistischen Ära und wollte mehr wissen. Habe dann ein Grundgerüst an Wissen mitgenommen und bin relativ spontan, ich glaube, es dauerte zwei, drei Monate später, habe ich allein im Vieger gesessen und bin wieder nach Albanien geflogen und habe die Reise wieder auf mich genommen. Das sind circa vier, fünf Stunden, wenn du nicht hältst, über eine Strecke, die gerade mal 90 Kilometer ist. Und mit einem Straßenzustand, der ist mittlerweile okay, weil er ist teilweise oder größtenteils asphaltiert. Aber du fährst unendlich viele Serpentinen durch Canyons, über Pässe, vorbei an wilden Flüssen, Kiefernwäldern und einsamen, hochalten Tälern. Bin dort angekommen und habe erst mal die Region und die Menschen auf mich wirken lassen. Ich bin dann zu Fuß los, habe meinen Fotorucksack geschnürt, habe meine Kamera genommen und bin erst mal im Lepusha in diesem Valley von Haus zu Haus gelaufen, habe geguckt, wer ist da, habe sehr schnell Kontakt gefunden zu den Menschen und brauchte ein bisschen Überzeugungsarbeit, dass man mich näher ran lässt. Man ist sehr, sehr gastfreundlich. Man hat diese Gastfreundschaft seit Jahrhunderten kultiviert in diesem Tal und man merkt sehr schnell, die Zeit steht einfach still. Also das ist gar nichts, wo man lange drüber nachdenken muss, wie diese Reportage oder diese Dokumentation heißen kann, sondern man spürt einfach, die Zeit steht still. Und man ist fasziniert, dass man nach 90 Kilometern und fünf Stunden Fahrt in einer Region ist, wo viele Dinge noch so sind wie vielleicht vor 100 Jahren.
Kai Behrmann
00:08:13
Ja, woran merkt man das konkret, dass die Zeit stillsteht?
Marcel Mayer
00:08:18
Naja, es wird im Baustil sehr schnell sichtbar. Es wird sichtbar, dass die Landwirtschaft ganz klar im Vordergrund steht, dass alles, was es zu essen, zu trinken gibt, aus direkter Umgebung kommt. Es wird mit Holz geheizt, es wird Wärme aufgefangen, man arbeitet mit Naturprodukten, man versucht die Umwelt so wenig wie es geht zu schädigen und alles in dem Kreislauf zu halten. Und wenn du die Menschen siehst, wie sie agieren, wie sie angezogen sind, wie sie leben, dann sind es wunderbare Menschen mit einer unheimlich herzlichen Art, die aber einfach dich schnell spüren lassen, dass die Welt dort noch still steht.
Kai Behrmann
00:09:07
Du hast gesagt, du hast einiges an Überzeugungsarbeit gebraucht, um den Zugang zu den Menschen zu bekommen. Die erste Frage, bist du dort alleine unterwegs gewesen oder hattest du einen Dolmetscher an der Seite, der dir auch dabei geholfen hat, sprachliche Hürden zu meistern und was hast du dann genau gemacht, um dieses Vertrauen zu gewinnen?
Marcel Mayer
00:09:32
Ja, also meine ersten Spaziergänge waren noch etwas naiv, weil wir konnten uns wirklich überhaupt nicht verständigen. Ich spreche kein Albanisch, die Menschen kein Englisch. Und wir haben uns mit Gesten, mit Händen und Füßen, würde ich sagen, eigentlich versucht zu verständigen. Was ich extrem berührend fand, ich wurde sofort per Geste eingeladen, ins Haus zu kommen. Und das nicht nur einmal, sondern wirklich bei vielen Menschen. Er bekam einen Kaffee angeboten, bekam Raki angeboten, bekam etwas These und Brot oder was man gerade sozusagen in der Jahreszeit hatte. Aber ihnen war klar, er will Kontakt und uns fotografieren, aber ich glaube. Sie haben natürlich des Ausmaßes nicht verstanden, was ich wollte. Ich wollte nicht nur einmal Guten Tag sagen und ein Foto machen, ein Porträt erstellen, sondern ich wollte diese Menschen kennenlernen. Und ich bin beim ersten Mal ja nicht weit gekommen. Also habe ich jemanden gebeten, aus dem Dorf, der Englisch spricht, mich am nächsten Tag wieder zu begleiten. Und wir haben erst mal gedolmetscht, dass ich gerne über einen längeren Zeitraum immer mal wieder vorbeischauen würde, dass ich gerne mehr von ihrem Leben erfahren möchte. Und so haben wir lange in ihren Wohnräumen oder vor dem Haus oder auf der Treppe gesessen und ich habe einfach zugehört und mir dolmetschen lassen und Fragen gestellt, was es diese Region so besonders macht, was ihr Leben ausmacht, was ihre Gedanken sind, weil es einfach erstmal extrem wichtig für mich war, zu verstehen, wie ist diese Geschichte dahinter. Also, dass es eine Reise durch die Zeit ist, war klar. Aber was macht es genau aus? Was macht diese Menschen aus? Was macht diese Region aus? Was ist die Kultur? Was passiert mit den älteren Menschen und den jüngeren Menschen? Und so haben wir uns genähert. und ich habe eigentlich, am Anfang gab es ein bisschen Skepsis, sie sind sehr herzlich, aber tief verwurzelt, auch religiös. Man spürt aufrichtig diese Gastfreundschaft, aber eben auch. Eine gewisse Distanz und es galt erstmal diese Distanz zu überwinden, um gute Fotos zu machen, um gut die Geschichte erzählen zu können, die eben das Leben dieser Menschen auch reflektiert, wie es ist und in einem, guten Licht darstellt und nicht einfach Bilder aneinanderreißt, sondern wirklich zu einer Geschichte werden lässt. Und das ist dann eben passiert durch drei, vier weitere Besuche. Ich war insgesamt über drei Jahre, glaube ich, sechs oder sieben Mal dann da. Immer relativ spontan, ohne große Ankündigung. Ich hatte immer Glück, sie waren meistens auch da und habe dann intensiver angefangen zu fotografieren.
Kai Behrmann
00:12:31
Sprich, bei deiner ersten Reise oder richtigen Reise im Rahmen dieses Projektes, da hast du noch gar nicht so viele Bilder gemacht. Da stand die Kamera noch nicht so im Fokus wie daran anschließend.
Marcel Mayer
00:12:44
Genau, also ich habe mich schon als Fotograf zu erkennen gegeben, auch trotz dieser Sprachbarrieren. Ich habe natürlich erste Bilder einfach mal gemacht, aber für mich ist eigentlich immer klar, ich muss mehr verstehen, ich will diese Menschen kennenlernen, ich will ihr Leben oder ihre Themen besser verstehen, um wirklich auch bessere Geschichten erzählen zu können und gute Bilder fotografieren zu können.
Kai Behrmann
00:13:08
Mhm. Das war ja auch so dein Ansatz bei der Reportage über die Flutkatastrophe im Ahrtal. Da bist du ähnlich vorgegangen. Du hast viel Zeit mit den betroffenen Protagonisten da verbracht, um zu verstehen, ja, vor welchen Aufgaben sie stehen, was diese Katastrophe mit ihnen gemacht hat. Und bist da auch sehr, sehr sensibel vorgegangen. Ich erinnere mich, dass du das ähnlich geschildert hast, deine Herangehensweise, erst mal das Vertrauen zu gewinnen. Ja, du bist ja dann ein bisschen in der zweiten Welle gekommen. Das ist ja meistens so bei diesen Ereignissen. Die erste Welle an Journalisten, die konzentrieren sich dann sehr, sehr stark auf diese plakativen Katastrophenbilder, wollen das Ausmaß der Zerstörung dann auch sichtbar machen. Aber du bist dann reingegangen, als die meisten schon wieder weg waren und hast dann langsam dir dieses Vertrauen da aufgebaut. Siehst du das ähnlich? Bist du da mit einem ähnlichen Ansatz rangegangen? Und inwieweit hast du von den Erfahrungen aus deinem ersten großen Projekt jetzt beim zweiten Mal profitiert?
Marcel Mayer
00:14:23
Ja, ich bin exakt genauso vorgegangen, weil ich einfach denke, wenn du ein gutes Bild oder eine gute Story erstellen möchtest als Fotograf, dann brauchst du Zugang zu den Menschen, Vertrauen und sie werden dich anders teilhaben lassen und du wirst andere Emotionen sehen. Du wirst keine gestellten Porträts haben, die den Ausdruck für ein Fotogesicht mit sich bringen, sondern du erlebst sie im Alltag, du erlebst sie mit ihrer Freude, mit ihrer Sorge. Du kommst näher ran, du wirst Dinge erfahren, die dich auch zu anderen Fotos verleitet. Also wenn ich verstehe, was ein Mensch umtreibt oder was er als Sorge oder als Wandel im Dorf erlebt, kann ich einen anderen Kontext herstellen und eine andere Geschichte erzählen und ich halte das in meiner Art der Fotografie für unabdingbar.
Kai Behrmann
00:15:25
Du hast dann auch bei den Menschen dort gelebt, hast ihren Alltag erlebt. Nimm uns mal mit in den Alltag einer Familie, bei der du gewohnt hast. Wie sieht das tägliche Leben da aus?
Marcel Mayer
00:15:45
Ja, das ist ein schönes Beispiel, um vielleicht auch diese stillstehende Zeit noch mal besser zu verstehen. Es gibt ein älteres Schäfer-Ehopaar, Paschko und Drande, die am Ende von dem kleinen Dorf Lepusha, ich weiß gar nicht, wie viele Einwohner genau, ich glaube, vielleicht 180, 200 Einwohner wird Lepusha haben, fast am Ende dieser Route nach Wermosch. Am Rande Europas kann man fast sagen. Also so habe ich mich gefühlt, als ich in Bermosch gestanden habe und in Lepusha bin. Und in diesem Tal stehen die Menschen oder leben die Menschen natürlich nach den Tageszeiten. Das heißt, sie stehen sehr, sehr früh auf, gehen abends spät ins Bett, aber die Dunkelheit und die Helligkeit bestimmen den Tagesrhythmus. Die meisten von ihnen oder nahezu alle sind in der Landwirtschaft tätig, sorgen für den eigenen Lebensunterhalt, versuchen aber auch, ein bisschen Geld zu verdienen damit und verkaufen Gemüse und Fleisch und Eier und alle Produkte, die damit einhergehen, auch an Menschen in der Region. Und die beiden Schäfer werden natürlich davon getrieben, was machen die Schafe. Sie müssen früh hoch auf die Weide, sie müssen einen anderen Weideplatz haben, Also meistens beginnt um fünf schon der Tagesrhythmus von den beiden. Einer von beiden bringt die Schafe nach oben und der andere fängt an, landwirtschaftliche Arbeiten zu machen, neue Zäune zu setzen, zu ernten, die Tiere zu versorgen. Das Ganze zieht sich meistens bis in die Mittagszeit. Dann gibt es eine schnelle, einfache Mahlzeit aus ein bisschen Brot oder Käse. Am Nachmittag geht die harte Arbeit auf dem Feld weiter. Es wird permanent auf den Feldern im Garten oder auf den Wiesen gearbeitet. Und das dann am späten Abend meistens dazu mündet, dass die Schafsherde wieder zurück ins Tal getrieben wird und dass sie einen Weideplatz bekommen, der entweder eingezäunt wird oder man lässt sie sogar auf einem Weideplatz, der nicht abgezäunt ist. Und erst mit Einbruch der Dunkelheit geht es ins Haus. Sie reinigen sich, sie setzen sich an den Wohnzimmertisch und trinken einen Kaffee, einen Raki, der wirklich eine zentrale Rolle im Leben der Nordalbaner spielt und verzehren ein recht einfaches Mal. Und ich glaube, das beschreibt eigentlich schon über 90 Prozent des Alltags. Zwischendrin gibt es immer wieder kleine Plausche mit Nachbarn oder Menschen, die am Wegesrand sind, die man kennt. Die Familien wohnen sehr eng beieinander, sodass oft sich dann auch noch mal vor dem Haus getroffen wird und man gemeinsam einen Raki trinkt am Abend. Fremde Besucher sind rarer. Man versucht in Lepusha und im Norden den Ökotourismus sehr sanft aufzubereiten und den jungen Leuten eine Perspektive zu geben. Aber geprägt ist eigentlich das Leben von Malen von Korn, von landwirtschaftlicher Arbeit und von allen möglichen Tätigkeiten, die die Ernährung sicherstellen.
Kai Behrmann
00:19:09
Das ist ein Aspekt, den würde ich gerne auch nochmal mit dir ansprechen. Du hast gesagt, es wird behutsam versucht, da Tourismus aufzubauen. Du selbst bist im Tourismus tätig, beim großen Tourismusunternehmen und weißt auch, dass Tourismus ein Motor auch für Wandel sein kann. Das würde mich noch mal interessieren. Lass uns die Frage aber noch mal hinten anstellen und bei diesem Alltag bleiben, den du da miterlebt hast. Wie hast du dich denn selber verhalten während so eines Tages? Bist du da still mitgelaufen und hast beobachtet, um dann eben entsprechend die Bilder auch zu machen, die du für deine Geschichte brauchtest? Oder wie hast du deine Rolle da interpretiert?
Marcel Mayer
00:19:54
Ja, am Anfang war es eher der ungewohnte Fremde, der jetzt einfach ans Gartentor klopft und mit der Kamera da steht und der Dolmetscher, der denn erklärt, hier kommt ein Fotograf aus Deutschland, der würde euch gerne näher kennenlernen, der würde gerne ein bisschen mehr über euch berichten. Und dann saß man im Wohnraum zusammen, hat einen Kaffee getrunken. Sie versorgen einen Fremden mit allem, was sie haben. Es ist einem vielleicht im ersten Moment sogar unangenehm, aber man muss einfach verstehen, dass diese Gastfreundschaft die Tradition ist, die sie bei allen machen. Also egal, ob es Freunde, Nachbarn sind oder jemand Fremdes, wenn sie jemanden ins Haus bitten, steht die Versorgung erstmal an. Sie unterbrechen ihre Arbeit und ich habe natürlich versucht. Dann genau das zu verhindern, weil ich möchte sie nicht stören. Ich habe gefragt, ob ich sie begleiten darf. Sie haben gelacht und haben gesagt, dann musst du früh aufstehen. Dann habe ich gesagt, als Fotograf bin ich das gewohnt. Die guten Bilder entstehen morgens und abends und nicht um die Mittagszeit. Also sehr, sehr gerne. Ich war dann, bin die paar hundert Meter über Stock und Stein und runter ein Stückchen talwärts und dann wieder auf zu ihrem Bauernhaus morgens gelaufen und habe mich einfach so unsichtbar wie möglich versucht zu machen. Das ging relativ schnell, dass ich gar nicht im Vordergrund mehr stand und dass das gar nicht mehr interessant war. Ich wollte aber Teil sein. Also es ging nicht darum, dass ich komplett nicht sichtbar bin, sondern dass wir auch diese Beziehung aufbauen. Aber ich wollte nicht störend in ihrer Arbeit sein. Und ich bin in der Tat, ich bin stundenlang mitgelaufen oder habe mich daneben gesetzt, habe mich dann manchmal ein bisschen entfernt, um eben die Umgebung nochmal anzuschauen, um Details einzufangen. Aber ja, ich bin mit auf die Berge gelaufen, um die Schafe zu holen. Ich war beim Füttern mit dabei. Ich habe neben der Arbeit auf den Feldern gestanden und war eigentlich wirklich mehrere Tage über diesen längeren Zeitraum eigentlich immer gemeinsam mit ihnen unterwegs.
Kai Behrmann
00:22:03
Und als Fotograf möchte man dann während so eines Tages noch nicht im Weg stehen. Du hast es gesagt, du hast versucht, da so ein bisschen auch die Distanz zu wahren, also diese Balance zu finden aus Nähe und dann auch zu wissen, wann ich mich wieder ein bisschen entfernen muss. Wie ist dir das gelungen oder wie bist du da rangegangen und wie hast du gespürt, was die Momente waren, wo du das Foto aktiv gesucht hast, dann auch in den Moment gegangen bist, auch nah rangegangen bist an die Menschen, die du da begleitet hast. Und wann hast du gemerkt, jetzt ziehe ich mich mal ein bisschen zurück? Weil das ist, glaube ich, so etwas, wenn man auf die Art und Weise arbeitet, wie du, was ganz essentiell ist, dass man dieses Gespür, dieses Bauchgefühl entwickelt, wie man sich da in solchen Situationen verhalten sollte.
Marcel Mayer
00:23:00
Ja, absolut. Ich glaube auch, Kai, das ist ja auch etwas, was bei euch in den Workshops immer wieder Thema ist. Du musst ein menschliches Bauchgefühl haben. Ich glaube, eigentlich sollte das jeder von uns bereits im Alltag haben, aber ich glaube, das auch nochmal zu entwickeln im Rahmen von Reportagen oder von Dokumentationen ist nochmal wichtiger. Ich glaube, es ist gar nicht so schwer. Man spürt, wie Menschen ja reagieren. Wenn viel gelacht wird und man im direkten Dialog ist, hat man eh das Gefühl, man ist willkommen. Aber das sind ja gar nicht die Bilder, die wir als Fotografen suchen, sondern wir wollen ja eigentlich auch den Alltag dokumentieren. Wir wollen besondere Stimmungen zeigen. Wir wollen die Emotionen, die Menschen haben oder was ihr Leben aufmacht. In einem Bild aufnehmen. Eine Geschichte zu erzählen, die dann als serielle Arbeit eine ganze Geschichte erzählt. Und dementsprechend ist es wichtig, dass man ja eben nicht nur im direkten Dialog ist. Ich glaube, man spürt, wenn man ein bisschen Empathie da auch zulässt und auch genau hinhört, sehr schnell, ob Menschen gestresst sind oder ob es okay ist. Und ich habe natürlich anhand der körperlichen Arbeit, anhand der Müdigkeit auch gemerkt, wenn der Stress bei ihnen etwas größer war und dann habe ich mich einfach zurückgezogen. Ich habe versucht, ihnen Ruhepausen zu lassen. Also wenn sie, was selten vorkam in der Mittagszeit, einfach auch nochmal einen Moment sitzen wollten und die Augen schon zugingen, dann bin ich einfach auch für ein, zwei Stunden mal durch das Dorf oder in der Natur gelaufen und habe gefragt, wann geht ihr heute Abend die Schafe holen, wann passt es euch? Und es war eigentlich immer die Antwort da, komm jederzeit, wann du willst, Aber heute Abend um fünf wäre es schön, wenn du kannst gerne mitgehen, wenn wir die Schafe wieder reinholen. Oder Freunde kommen heute Abend, kommen doch einfach dazu. Und ich habe sehr, sehr intensiv bei meiner Arbeit immer das Gefühl, ich achte darauf, dass Menschen sich wohlfühlen. Und das macht es eben auch natürlich ein Stück unkalkulierbarer. Zu sagen, wie man die Serie oder die Dokumentation oder die Reportage in einen zeitlichen Faktor kriegt. Ich glaube, du hast es eben angesprochen am Beispiel vom Ahrtal. Wenn man als Journalist News berichtet, dann bist du da, dann gibt es den Moment, da gibt es auch keine andere Variante. Bist du für eine Auftragsarbeit tätig, hast du einen bestimmten Zeitrahmen und du musst es absolvieren. Ich habe das große Glück, dass ich in erster Linie erst mal für mich eine Geschichte entwickle. Und wenn ich das Gefühl habe, es ist entweder der Punkt, dass ich sie jetzt zeigen will und dass ich sie einfach schon mal vorab zeigen will, dann tue ich das. Aber in der Regel warte ich, bis mein Projekt komplett abgeschlossen ist, bis ich das Gefühl habe, das ist die Geschichte, die ich erzählen möchte. Und dann gehe ich hin. Und das heißt im Umkehrschluss, dass ich mir auch die Zeit nehme. Und es kann sein, ich bin oft für ein verlängertes Wochenende geflogen, dass ich wiedergekommen bin und habe vielleicht ein gutes Bild gemacht. Und das war aber dann die Investition in die Beziehung zueinander, in dieses Gefühl, wir sind nicht nur der Fotograf und da ist das Fotomotiv, sondern da ist jemand, der wirklich interessiert ist. Und ich tue mich schwer mit dem Wort Freundschaft, weil eine gewisse Distanz muss man einfach immer wahren. Aber die Beziehung zu den Menschen wird automatisch enger. Und ich mag und möchte diese Beziehung. Und es ist, glaube ich, für viele schwierig, dann diese Beziehung auch irgendwann wieder auslaufen oder auf ein anderes Level zu kriegen, weil das kann ja sehr intensiv sein. Wenn man drei Tage im selben Haus oder draußen miteinander zu tun hat und das mehrmals hintereinander entsteht, schon sehr viel Nähe. Ich finde, man braucht diese Nähe. Auf der anderen Seite darf bei dem anderen nicht das Gefühl entstehen, man nutzt irgendetwas aus und auf der anderen Seite muss man sich auch als Fotograf schützen, eine gewisse Distanz zu haben.
Kai Behrmann
00:27:10
Ja, man kommt da schon in den Intimbereich von den Menschen, kommt da rein und als Fotograf, ja, wir sind auf der Suche nach unseren Bildern. Wir haben unsere Geschichte im Kopf, die wir erzählen möchten mit unseren Bildern und ich kenne das auch. Ich frage mich dann auch manchmal, ja, Gastfreundschaft habe ich auch überall kennengelernt, Aber manchmal fühlt man sich als Fotograf auch als jemand, der mehr nimmt, als das ergeben kann. Geht es dir da ähnlich in solchen Situationen, wenn du da im Wohnzimmer sitzt, die Menschen begleitest in ihrem Alltag, immer wieder auch sie besuchst? Ja, dieses Gefühl mit dir rumträgst, was kann ich den Menschen zurückgeben für das, was sie mir geben?
Marcel Mayer
00:28:04
Ja, also das bewegt mich in der Tat immer. Allerdings muss ich gestehen, dass ich das Gefühl habe, ich bekomme, und so ist die Fotografie ja auch bei mir in die Richtung Dokumentarfotografie, Reportagefotografie gewandert, ich habe schnell Zugang zu Menschen, weil ich mag Menschen, ich liebe Menschen, ich liebe diesen Kontakt. Ich bin jemand, der gerne mit Menschen zu tun hat, aber ich möchte auch nicht jedem nur gefallen, sondern ich möchte im normalen Leben auch. Also ich bin zu jedem nett und hilfsbereit, aber ich möchte natürlich auch eine gewisse Distanz und nicht alles zu sehr in mein Leben lassen. Aber was ich sehr, sehr wichtig finde, ich bekomme immer wieder das Feedback, dass sie es schön finden, dass ich mir Zeit nehme. Und ich habe für mich irgendwann beschlossen, neben ein paar Kleinigkeiten. Dass ich mal jemand einfach mitnehme, der, also hier, Lepuschah liegt oben auf 1300 Metern. Es gibt einen kleinen Ort, der heißt Tamaré und ist sozusagen das Handelszentrum, also ein sehr, sehr kleiner Ort mit einem Geschäft, die alles im Laden haben. Also man sieht überhaupt den Laden nicht, weil jede Stelle in diesem Laden, dort liegt irgendetwas, was man kaufen kann, weil die Menschen darauf angewiesen sind. Und ich nehme sie mit oder ich bringe etwas mit oder ich frage, ob ich irgendetwas besorgen kann, aber ich habe für mich irgendwann entschieden, ihnen wirklich zuzuhören, ihre Geschichte zu erzählen und ihnen eben einfach auch das Feedback zu geben, dass ich sie mag und dass ich sie schätze, das ist für mich der Punkt. Bedeutet aber auch im Umkehrschluss, es ist selten passiert, aber auch das gab es, dass Menschen offen waren, wo ich aber das Gefühl hatte, das passt nicht und ich mich dann nicht wohl gefühlt habe und dann versuche ich eben auch gar nicht so nahe zu kommen, weil ich das auch gar nicht wiedergeben kann.
Kai Behrmann
00:30:09
Mhm. Ja, das finde ich ist ein wichtiger Punkt, der dann eben auch entstehen kann, wenn man an so einer Geschichte arbeitet, dass man eben auch Menschen trifft. Und da sind wir auch wieder dann beim Bauchgefühl, was man mit der Zeit dann entwickelt, wo man eben auch weiß, ja, das sind Menschen, die lasse ich nicht so nah an mich rankommen.
Marcel Mayer
00:30:34
Und ich glaube, es ist auch fair den Menschen dann gegenüber, weil du ihnen natürlich, also es war wirklich auch mal jemand dabei, wo ich einen sehr spannenden Charakter vor mir hatte, der sehr so zu gehen war für das, was ich ausdrücken wollte, wo ich aber einfach nicht das Gefühl hatte, dass das ehrlich zwischen uns ist oder dass das passt. Und dann einfach nur das Bild zu nehmen und was vorzugaukeln, das mache ich da nicht.
Kai Behrmann
00:30:59
Ja. Wie hat sich die Geschichte mit der Zeit entwickelt? Also auf der einen Seite hast du sehr, sehr viel recherchiert und du hattest einen gewissen Rahmen dann auch im Kopf und dann ist natürlich das, was du unterwegs beobachtest, was du nicht planen kannst. Also diese Momente, die sich aus der Situation heraus ergeben, wie funktioniert dieses Zusammenspiel bei dir? Auf der einen Seite der Kopf, der die Struktur ein bisschen erarbeitet, sich immer wieder Gedanken macht, auch konzeptionell, wo soll die Geschichte hingehen und dann den Freiraum auf sein Bauchgefühl zu hören, um sich dann möglicherweise auch von dem zu entfernen, was du vorher im Kopf hattest.
Marcel Mayer
00:31:49
Ja, sehr spannender Aspekt, Kai. Und ich arbeite eigentlich sehr stark konzeptionell. Ich bin aktuell wieder an meinem Kernthema Energie und Umwelt. Fotografiere seit einem Jahr überwiegend in Deutschland an einem sehr größeren Langzeitprojekt. Was ich wirklich komplett konzeptioniert habe, in das ich aber auch immer wieder Dinge einfließen lassen, wie sie mir vor Ort begegnen und dann gerne auch nochmal anpasse. Hier in Albanien war es anders. Ich bin nach dem ersten überraschenden Besuch sehr, sehr offen und ohne wirkliche Konzeptidee zurückgekehrt und habe dann sehr schnell für mich gewusst, es geht darum, eine Region und deren Menschen insbesondere zu beschreiben, wo die Zeit stillgestanden hat. Der Engel, den du wählen kannst, ist ja sehr unterschiedlich. Also man könnte die Geschichte anhand der Straße erzählen, diese alten Handelsroute. Du kannst über den Ökotourismus berichten. Du könntest dir Menschen rausnehmen. Du könntest Traditionen rausnehmen. Also es gibt ja ganz viele, viele Themen. Der Norden Albaniens ist wild ursprünglich und, wie sage ich immer gerne, fotografisch ungezähmt. Also es gibt ja unheimlich viel Potenzial. Aber ich glaube, es ist für eine gute Geschichte irgendwann immer der Punkt, wenn man es nicht schon im Vorfeld getan hat, sich eine Konzeption zu machen und an dieser Konzeption entlang zu hangeln, ohne zu vergessen, dass das Schöne in unserem Leben oder auch in der Berufung oder in dem Berufsfotograf ist, dass ich das wahrnehme, was passiert und einzigartige Gelegenheiten nicht verpasse. Weil das werden besondere Momente sein, die sich vielleicht in besonderen Bildern auch widerspiegeln. Und ich glaube, die Offenheit, ich kann nur empfehlen, sich Gedanken zu machen und zu konzeptionieren. Und auf der anderen Seite aber die Offenheit zu bewahren, im Notfall auch nochmal komplett zu korrigieren oder anzupassen, weil es einfach die besseren Geschichten sein wird.
Kai Behrmann
00:34:09
Gab es in diesem speziellen Projekt solche Punkte, solche Stellen, an denen das eingetreten ist, was du gerade beschrieben hast?
Marcel Mayer
00:34:19
Ja, ich musste, also ich glaube, das ist eine Destination oder ein besonderer Ort, der mich nicht zum letzten Mal im Leben gesehen hat. Auch wenn dieses Projekt abgeschlossen ist, das ist meine Reportage und die ist natürlich noch viel umfangreicher, als die Reportage jetzt die Geo zeigt. Die Reportage ist bei mir auf der Website und besteht aus deutlich mehr Bildern und auch einem anderen Text nochmal. Ich glaube, ich werde dahin zurückkehren, weil es viele Geschichten gibt, die ich finde, die erzählt werden müssen. Das ist so Zeiten des Kommunismus, Spuren einer abgeschotteten Ära, den Ökotourismus vielleicht nochmal anders zu gucken, die Abwanderung, was passiert mit junger Generation, älterer Generation. Aber ich glaube, es ist trotzdem einfach extrem wichtig zu gucken. Und ich war relativ schnell bei mir, dass die Straße dorthin eine große Rolle spielt und dass dieses Dorf Lepusha, was das vorletzte Dorf vor dem Ende oder Rande Europas, so würde ich es mal nennen, betrifft, dass das der Kern meiner Arbeit sein wird. Und dann ging es aber darum, wird es die Geschichte einzelner Menschen? Wird es ein Bericht eher über diese Region und die Abgeschiedenheit? Und ich habe mich dann dafür entschieden. Und ich glaube, das ist schon unabdingbar, weil sonst hast du vielleicht wunderbare Bilder und du hast das Problem, was auch ihr ja immer wieder zitiert, Kill My Darlings. Aber wenn du die Bilder legst zu einer Geschichte, wie passen sie zusammen, was erzählen sie? Wird es essenziell sein, dass du dir vorher Gedanken gemacht hast, was willst du denn fotografieren?
Kai Behrmann
00:36:05
Ja, das ist der entscheidende Punkt. Also da gibt es kein richtig oder falsch, aber man muss sich diese Gedanken machen, um dann eben diesen Gedanken die nötigen Schritte folgen zu lassen und eine Faktion. Ja, stringente Geschichte erzählen zu können, das ist das Entscheidende. Also eine Geschichte kann ich auf so viele unterschiedliche Art und Weisen, auf so vielen Perspektiven erzählen. Das einzig Wichtige ist, dass ich mich für eine klare Position entscheide, um das eben dann auch beim Publikum deutlich zu machen, was möchte ich eigentlich kommunizieren mit meiner Arbeit.
Marcel Mayer
00:36:39
Absolut, weil sonst sind es einfach Bilder, die in der Ausstellung bestimmt sehr, sehr schön sind, die auf einer Webseite, in einem Fotobuch hervorragend ist. Aber wenn ich wirklich eine Geschichte erzählen will, hilft es mir nicht, wenn ich viel fotografiert habe und ich merke hinterher, oh, bei diesen Schäfern habe ich 20 wunderbare Bilder. Für die Geschichte fehlt mir aber hier ein Transition-Bild oder der Schwerpunkt ist einfach falsch gesetzt. Der berichtet über die Schäfer und ich will über den Kommunismus erzählen. Also von daher kann ich es wirklich nur empfehlen, sich Gedanken zu machen, immer nochmal anzupassen, flexibel zu bleiben. Aber für eine Story braucht man schon einen roten Faden und man braucht eben auch Bilder, die zusammen diese Geschichte erzählen. Ich glaube, es braucht bei Dokumentationen, bei Reportagen wahrscheinlich auch, das wirst du mir besser beantworten können, immer Text. Ich glaube, Bilder alleine haben es teilweise schwer, manche sind offensichtlich. Ich glaube, hier in Nordalbanien ist es einfacher, aber wenn ich gerade mein Energieprojekt sehe, Da würden einzelne Bilder, wenn ich Freunde mal schauen lassen, werfen die eher Fragen auf, dass sie was beantworten. Aber sie haben eine Menge zu erzählen und deshalb gehört eine gute Caption und vielleicht ein kleiner Text auch immer dazu. Und mir persönlich hilft ein kleiner Text generell auch die Einordnung in die Story, über die ich berichten möchte.
Kai Behrmann
00:38:11
Ja, bin ich absolut deiner Meinung. Also einmal für sich das Konzept mal runterzuschreiben hilft enorm, dass man einen Leitfaden hat für sich selber, aber dann eben entsprechend auch, wenn es um die Veröffentlichung geht, zu überlegen, welche Informationen braucht der Betrachter der Bilder, um eben das zusammenzubringen und die Geschichte dahinter auch zu erfahren. Also es war so, sobald die Bilder draußen sind und wir als Autor der Bilder nicht mehr daneben stehen, liegt es nicht mehr in unserer Hand, was andere da in diesen Bildern sehen. Das kommt dann ja auch immer auf den Wissensstand des Einzelnen an, der die Bilder sieht und damit in Kontakt kommt. Aber wir können natürlich über zusätzliche Informationen in Form von längeren Bildunterschriften oder eines längeren Textes dazu beitragen, dass eben möglichst viel verstanden wird. Also wenn man sich so die einzelnen Bilder jetzt auch in dieser Strecke anschaut, zum Beispiel das Schäfer-Ehepaar, was du erwähnt hast, hast du ein Bild von den beiden gemacht, wie sie vor ihrem Haus stehen. Man sieht da die Fassade, der abgeblätterte Putz, also ein in die Jahre gekommenes Haus, zwei Fenster und dann die beiden, die da vorstehen. Dieses Umgebungsporträt, was du da gemacht hast. Das aus dem Kontext gegriffen, ja, würde man eben das sehen, was ich gerade beschrieben habe, aber alles, was drumherum passiert, wo das Ganze spielt, was die beruflich machen, all diese Informationen, die muss ich dann natürlich über entsprechende, über entsprechenden Text noch hinzufügen.
Marcel Mayer
00:39:55
Genau und ich glaube die Einordnung und wenn man sich das Bild anschaut, man könnte glauben, es ist ja ein klassisches Umgebungsporträt, das ist es. Ich habe das bestimmt fünf oder sechs Mal an verschiedenen Jahreszeiten gemacht und am Anfang hatten wir das Problem, es gab dann ein Lächeln oder nur ein ernstes Gesicht. Hier ist es wirklich um die Nachmittagszeit nach vieler harter Arbeit und ich finde die Emotionen und für mich sind Emotionen in Bildern ja genau das, was gute Bilder und gute Geschichten ausmachen, dass sie eben neugierig machen, dass sie etwas zu erzählen haben, dass sie eine Emotion transportieren. Das ist, glaube ich, der entscheidende Punkt und das kann man durch Text definitiv auch nochmal verstärken.
Kai Behrmann
00:40:39
Ja. Wann hattest du bei diesem Projekt das Gefühl, dass du an dem Punkt bist, wo du zumindest jetzt an diesem Zwischenstand einen Punkt dran setzen kannst? Du hast gesagt, da sind noch viele Fäden, an denen du ziehen kannst, also komplett abgeschlossen ist das noch nicht. Da stecken noch Facetten drin, die du auserzählen kannst, aber jetzt hast du ja dich dazu entschieden, mit dieser Veröffentlichung erstmal so einen kleinen Schlussstrich unter diese Etappe zu ziehen.
Marcel Mayer
00:41:15
Ja, genau. Also ich habe mir einen Anker rausgenommen und habe mir angeguckt vor dem letzten Shoot, den ich gemacht habe im Oktober letzten Jahres. Wie würde der Anker sein, den ich jetzt gerade erzählen möchte? Wem möchte ich ihn erzählen? Wem möchte ich ihn anbieten, dass er eben den Lesern oder den Schauern dieser Fotos ein Thema erzählen möchte? Da habe ich mich dann für einen klaren Anker entschieden, habe geschaut, was fehlt, wenn ich die Bilder lege, was fehlt noch und habe mir nochmal eine Shootinglist gemacht und bin mit der Shootinglist los. Ich hatte großes Glück, es war wunderbares Wetter, es war eine gute Stimmung, es gab gerade ganz viel in diesem Dorf an positiver Bewegung. Die Menschen waren sehr, sehr offen und mir ist es Tatsache gelungen, in vier Tagen dann noch die fehlenden zwei Bilder zu machen. Es hätte auch sein können, dass das nicht gereicht hätte, dann wäre es eben nicht an dem Punkt gewesen. Aber ich habe den Anker gelegt, ich hatte zwei Varianten und habe gesagt, gut, ich möchte eigentlich diesen linken Anker hier jetzt machen, den möchte ich umsetzen. Was habe ich, was fehlt mir, was kann ich noch besser machen? Und dann war für mich klar, und das halte ich eigentlich, ich weiß nicht, wie du das siehst, Kai, für einen wichtigen Tipp, man muss irgendwann ein Ende finden. Es sei denn, du machst es wirklich rein aus Freude für dich selber, was ich eben auch immer dabei habe. Aber das Ziel war ja wirklich, die Geschichte dieser Menschen zu erzählen und auch zu publizieren. Und dann ist es, glaube ich, extrem wichtig, du wirst immer noch mal ein besseres Bild machen, du wirst immer noch mal einen Moment haben. Und deshalb liebe ich Zeitprojekte so. Aber ich glaube, es ist ganz wichtig, auch irgendwann den Punkt zu setzen.
Kai Behrmann
00:43:04
Absolut und das sind Worte, die ich auch häufig selbst sage, aber nicht immer so strikt befolge in meinen eigenen Projekten. Das fällt mir auch häufig schwer, da den Moment zu finden und ich glaube, das ist auch etwas, was man selber als Fotograf, der sehr, sehr tief emotional auch in solchen Projekten drinsteckt, diesen Punkt dann zu finden. Und da ist es eben so wichtig, auch eine Meinung von außen sich immer mal wieder reinzuholen. Das machst du ja auch. Du bist in Austausch mit Kollegen. Du lässt andere Fotografen auf deine Bilder schauen, holst dir Hilfe beim Editing. Und ich glaube, ohne das geraten wir leicht in die Gefahr, uns zu lange mit dem Thema zu beschäftigen und dann diesen Moment zu verpassen, wann zeige ich mal den Stand oder den aktuellen Stand und gehe nach außen damit. Also aktuell arbeite ich ja auch an einem Langzeitprojekt über die Fankultur im argentinischen Fußball, Habe da jetzt auf zwei, drei Reisen sind es mittlerweile fotografiert, habe schon eine ganze Menge Material gesammelt und da steht jetzt als nächste Etappe eben an, wirklich mal in mich zu gehen und dieses Material zu sortieren. Ich bin jemand, der mehr Spaß daran hat, zu fotografieren. Das macht mir unheimlichen Spaß, aber ich lasse das manchmal etwas schleifen, Was Dinge wie das Editing angeht und da mich auszutauschen mit anderen. Aber ohne das geht es einfach nicht.
Marcel Mayer
00:44:49
Ja, das ist einfach ein wunderbares Gefühl, sich auszutauschen. Und nochmal aber auf dein Projekt, also ich kann es kaum abwarten, wirklich mal tiefer Bilder zu sehen. Ich bin sehr, sehr neugierig, ich finde das ein sehr, sehr spannendes Projekt. Und ich glaube, wir beide haben eine ähnliche Einstellung. Wir lieben das Fotografieren und alleine das gibt uns dieses Gefühl, warum wir vielleicht auch so viel Zeit, Geld und Energie da reinstecken. Und von daher will man sich ja von dem Gefühl auch gar nicht trennen. Weil der Gedanke auch für mich, für dich wird es dann Argentinien sein, für mich war es dann da Albanien in dem Fall, dort wieder hinzufliegen und einen Grund zu haben, nochmal vier, fünf Tage dort hinzugehen. Und ich habe es genossen in dieser klaren Luft, mit klarem Bergwasser eben aus dem Hahn und Abendessen über dem Feuer, der auch gleichzeitig mein Zimmer noch warm gemacht hat. Aber genau, ich glaube, da kommt der Punkt, sucht euch Hilfe, sucht euch Unterstützung von anderen Fotografen, auch von Menschen, wo ihr glaubt, die haben ein gutes Gefühl, weil eure Bilder oder unsere aller Bilder schauen viele Menschen an, die nicht fotografisch denken, die einfach sich für das Thema interessieren, die die Bilder spannend finden. Und ich glaube, deshalb ist es wichtig, sich unterschiedlich Rad zu holen, ohne es zu breit zu machen. Aber man braucht diese Unterstützung. Ich persönlich kann immer nur wieder sagen, Ausdrucken ist für mich eines der wichtigsten Themen beim Editing. Ein ausgedrucktes Bild und die Bilder mal nebeneinander für sich legen und zu gucken, wie passen sie denn und was erzählen sie denn miteinander. Und ich hänge sie dann an die Wand und dann braucht es vielleicht manchmal auch Wochen und ich hänge es wieder um und irgendwann ist dieser Faden da. Ich glaube, es ist ein wunderbarer Teil in der Fotografie, der ganz viel neben dem Einsatz im Feld nochmal auch zu Hause liefern kann, der einen auch glücklich machen kann, aber genau auch hilft, diesen Punkt zu finden und zu sagen, jetzt setze ich hier diesen Punkt. Es hilft auch immer mal, an unterschiedlichen Projekten zu haben, ohne den Fokus zu verlieren. Also ich habe Albanien nebenher gemacht, weil ich konnte nicht monatelang oder wochenlang mir freinehmen, um hinzugehen. Ich wusste, ich werde dann fünf, sechs, sieben, achtmal da hingehen müssen, obwohl es deutlich preiswerter wäre und auch effizienter vielleicht eine gewisse Zeit zu verbringen. Aber auch als Break bei meinem anderen Projekt, wo ich hier in Deutschland viel fotografiere und jederzeit arbeiten kann, war es einfach etwas, was meinen Kopf noch mal freigemacht hat, mein Gefühl noch mal freigemacht hat und mir viel geholfen hat, auch andere Dinge zu entwickeln, die ich in anderen Projekten brauche.
Kai Behrmann
00:47:34
Ja, ein guter Tipp, da nicht zu stark im Tunnel zu stecken, sondern immer mal wieder auch rauszukommen, um den Blick mal wieder in andere Richtungen schweifen zu lassen. Und ich denke mal auch, du bist ja mehrmals dann zurückgekehrt über diese drei Jahre und hast gesagt, ich mache das jetzt nicht in einem Rutsch. Ich finde, das ist auch ja so ein Zeichen, was du signalisierst an die Menschen in den Orten, dass du immer wieder zurückkommst, dass es dir wirklich auch ernst ist. Das kann ich mir vorstellen, war auch eben ein entscheidender Faktor, dann das Vertrauen immer weiter zu stärken in deine Arbeit.
Marcel Mayer
00:48:14
Absolut. Und es führt auch zu anderen Bildern und damit auch zu einer intensiveren Geschichte.
Kai Behrmann
00:48:21
Ja, genau. Faszinierend. Also ich finde deinen Ansatz bei solchen Projekten immer wieder, ja, es ist toll zu sehen, wie du da rangehst. Man kann da eine ganze Menge sich davon abschauen. Das kann man ja auch in der eigenen Umgebung umsetzen, also man muss dafür nicht zwingend reisen, aber kann diese Methodik, die du da anwendest, eben sehr, sehr gut transportieren. Also es ist etwas, was ich immer wieder sehr, sehr schön finde und genieße mich, da mit dir drüber auszutauschen. Marcel, während so einer Reportage oder so einer Langzeitdokumentation ergeben sich ja immer wieder so kleine Momente, die vielleicht dann nicht Ausdruck in Form von Bildern in der Geschichte selber finden, aber die doch bei dir auf der mentalen Festplatte bleiben und abgespeichert sind. Und erinnerst du dich da so an so kleine Anekdoten, skurrile Situationen, vielleicht auch im Zusammenhang mit Verständigungsproblemen, die es da gegeben hat?
Marcel Mayer
00:49:33
Ja, absolut. Also lustige Geschichten gibt es jede Menge, denn alleine durch die Misskommunikation stand ich oft zu einer einigermaßen vereinbarten Zeit an einem Ort und hatte eine große Erwartung und das fand überhaupt nicht statt, weil sie es entweder über den Tag verworfen hatten oder mich missverstanden hatten. Also das sind schon lustige Dinge. Und dann muss man auch mal wegstecken können. Man hatte die Hoffnung so, das Licht heute ist so fantastisch. Und heute sind sie oben genau auf der Hofweide mit den Schafen. Und wenn sie runterkommen, willst du genau da. Du hast einen wunderbaren Ort gefunden. Du weißt, das Licht ist gut. Du hast schon fünfmal da gestanden. Und du willst das unbedingt kriegen. Und dann kommst du an und bist schwer bepackt. Und man hatte das alles verabredet. Und du kommst da an und die Leute sitzen im Sessel. Und es ist überhaupt keine Rede mehr davon, weil es überhaupt nicht geplant war. Das sind lustige Dinge, auch beim ersten Mal in meinem Zimmer. Es war saukalt und ich hatte gefragt, ob wir irgendwie noch ein bisschen heizen können. Und dann stellte sich raus, der Kamin konnte das an dem Abend gar nicht mehr liefern. Und ich habe das auch missverstanden. Also viele Dinge. Aber ich glaube auch eben Momente, die näher gehen. Also diese Gastfamilie, die das kleine Gasthauf in Lepuscha betreibt, Tom und Lucia, mit ihrem Sohn und mit ihrer Schwiegertochter. In dem ich nun, keine Ahnung, ich glaube, ich habe 15, 20 Mal da jetzt gewohnt. Und das sind schon in gewisser Weise Freunde, das sind Menschen, die sind mir sehr nah, also das sind Menschen mit denen ich mich leider, wenn ich alleine mit ihnen bin immer nur mit Händen und Füßen unterhalten kann aber mit der Schwiegertochter und dem Sohn natürlich schon anders und dann kam irgendwann der Moment dass man mir sagte, ja wir wollten uns von dir verabschieden die Schwiegertochter sagte mir ich gehe mit meinem Mann in die USA und dann habe ich gesagt, oh macht ihr Urlaub nein wir wandern aus. Und zum einen waren sie wirklich Teil meiner Geschichte und zum anderen immer eine große Hilfe in der Kommunikation. Also wenn ich irgendwann mal nicht mehr weiterkam, dann ist einer von beiden immer noch mal irgendwie eingesprungen. Und es waren schöne Gespräche, das war menschlich schön. Man hat abends da zusammen gegessen im Gasthaus, man hat Fußball auch mal geguckt, jetzt hier während der Weltmeisterschaft der Letzten. Wobei dann alle drei Minuten das Signal ausgefallen ist, was einen auch zusammenschweißt. Und ich war wirklich berührt. Ich war wirklich traurig in dem Moment. Auch solche Momente passieren.
Kai Behrmann
00:52:12
Ja, und ist dann auch Ausdruck dafür, dass obwohl an so vielen Stellen die Zeit da noch stillsteht, auch trotzdem der Wunsch da ist, aus dieser traditionellen Welt herauszukommen und sich da auch örtlich zu verändern, eben jetzt in dem Fall mit dem Wunsch in die USA auszuwandern. Wie hast du das generell wahrgenommen, also in dieser Region? Heutzutage gibt es ja wenig Bereiche noch, die so entlegen sind, wo der Fortschritt oder das, was wir unter Fortschritt verstehen, Modernität noch nicht komplett Einzug gehalten hat. Also solche Inseln, die sich da noch ein bisschen widersetzen, einmal aufgrund der Geografie, aber auch, und es kann natürlich ein Grund sein, dass die Bewohner sagen, wir wollen das noch gar nicht so an uns heranlassen, wir möchten an unseren Traditionen festhalten. Was von alledem, würdest du sagen, trifft auf diese Region zu? Warum ist es da eben dazu gekommen, dass die Zeit anscheinend noch stillsteht?
Marcel Mayer
00:53:25
Ja, das ist ein sehr spannender Komplex. Also vielen Dank für diese sehr, sehr gute Frage, weil es genau auch diese Region so berührt. Es ist eine Situation spürbar zwischen Aufbruch und Bewahrung, jung versus alt kann man auch sagen. Es gibt Hoffnungsschimmer mit Potenzial wie den Ökotourismus, aber du siehst eben auch die Abwanderung. Und zwar hast du für die ältere Generation, und ich würde jetzt mal sagen 60 aufwärts, für die ist es ganz klar, sie wollen ihr Leben dort verbringen, sie wollen das auch so lassen, wie es ist, sie sind nicht zugeschlossen, dass sie es ablehnen oder irgendwelche Einstellungen haben, die nicht passen. Man ist auch interessiert und will alles hören, aber es gibt die junge Generation, die von einem Leben in den USA oder in Deutschland träumt. Und das sind die beiden Länder, in denen die meisten Albanier auswandern. Während des Kommunismus sind viele nach Montenegro und nach Italien geflohen. Aber die Hauptwunschziele für Auswanderung von jungen Menschen aus dem Tal da oben sind definitiv die USA und Deutschland. Und auf der anderen Seite, also es kostet viel Geld. Man muss Geld hinterlegen für die Visas. Viele der Albaner haben inzwischen auch Verwandte in den USA, was es etwas leichter macht, auch in Deutschland. Aber es ist ja alles nicht einfach. Und es ist ein totales Hinter-sich-Lassen und auch ein Verlassen der Familie. Flüge sind teuer, sie kommen alle mal zurück, aber ich komme nicht einfach zwei-, dreimal im Jahr von den USA oder von Deutschland geflogen, das den älteren Menschen Kummer bereitet, sie aber die Kinder unterstützen wollen, und die Jungen eben aber diesen Wunsch nach Aufbruch haben. Auf der anderen Seite hast du mindestens genauso viele junge Menschen. Die gerne in dem Tal leben, die gerne bewahren sollen und trotzdem modernisieren und den Ökotourismus als Hilfe sehen. Sie bauen neue kleine Hütten, wie wir sie im Norden Europas, vielleicht aus Schweden oder so können, ganz einfache Holzhütten mit einem Holzboden, lokale Materialien. Ich finde sie wunderschön, sie sind schlicht und so schön. Und man nutzt nur lokale Materialien. Man heizt dann immer noch mit teilweise Solarpanels überwiegend, aber mit dem zentralen Kamin, der im Gasthaus ist. Und trotzdem bauen sie eben neue Dinge, die sich an Touristen auch mehr orientieren, ohne dass sie in den Massentourismus gehen. Also man zielt ganz gezielt auf Wanderer, auf Menschen, die die Natur erkunden wollen, auf Menschen, die verbunden sein wollen mit der Natur. Man schafft kleine Plätze im Garten, wo Zelte aufgeschlagen werden können. Man will die Menschen begleiten, wenn sie auf Wanderung gehen. Man bietet diese Wandertouren an, weil viele sich auch wirklich ernsthaft verlaufen und den Weg dann auch nicht zurückfinden. Aber es gibt beides und ich habe beides intensiv gespürt. Ich habe zum einen eben gespürt, dass es den klaren Wunsch gibt, ich will hier weg, ich will nach Deutschland, ich will in die USA und auf der anderen Seite aber wirklich Menschen, die Geld in die Hand nehmen, die bauen, die wunderschöne kleine Lodges oder Anbauten machen mit einzelnen Räumen, was dann quasi wie so eine kleine Hütte separat ist. Und ich finde, es ist absolut unterstützenswert, diesen wirklichen Ökotourismus und geredet wird viel davon, aber teilweise ist es ja, und ich kann mir, glaube ich, das Urteil erlauben, als Touristiker ist es schwierig, aber hier ist es wirklich Ökotourismus und er gibt ihnen Gelegenheit, Geld zu verdienen, eine Existenz zu haben, ein bisschen die Bewahrung zu haben, aber auch den Aufbruch mitzunehmen und trotzdem der Region möglichst wenig Schaden zuzuführen.
Kai Behrmann
00:57:32
Bringt uns da zurück zu der Frage, die ich am Anfang ja auch schon mal angedeutet habe, eben auch diese Verbindung, die du hast, dieser ursprüngliche Grund, da als Touristiker nach Albanien gefahren zu sein, um eben zu schauen, wie sich da der Ökotourismus entwickelt, welche Möglichkeiten es da gibt und so bist du ja dann auf diese Geschichte gekommen. Und ja, es ist spannend. Also Albanien ist ja, was Tourismus angeht, hört man immer wieder noch so einen Geheimtipp, aber hat natürlich sehr, sehr viel zu bieten. Aber da jetzt eben dann mit der entsprechenden Sorgfalt ranzugehen, damit dieser Ökotourismus da nicht in den Massentourismus abgleitet, also das ist denke ich mal auch ein sehr, sehr schmaler Grat, der da manchmal gegangen wird, oder?
Marcel Mayer
00:58:24
Ja, es ist ein schmaler Grat und was mich persönlich fasziniert, Albanien. Mich faszinieren einfach in erster Linie die Menschen, die Natur, die Kultur und das Essen. Und ich muss wirklich sagen, also es wird überall in der New York Times, in Geo oder überall, wo man schaut, Lonely Planet, Albanien ist ein Trendziel. Massentourismus ist vorhanden, insbesondere auch im Süden oder in der Nähe von Durres, gut anderthalb Stunden von Tirana, mit großen Stränden, langen Betten, Bogen, hätte ich fast gesagt, gefühlt Mallorca wie in den 70er, 80ern, auf einem schöneren Level, aber du hast die Playa de Palma in Durres so ungefähr. Was ich gut finde ist, die Touristen sind, Ganz viele Albaner, die in den Sommermonaten mit ihrer Familie dorthin kommen, die ihre Familie aus dem Ausland für vier Wochen nach Albanien holen und dort dann baden gehen. Also es sind gar nicht die Massen an ausländischen Touristen, sondern es sind die Menschen aus dem Balkan selber oder sogar aus Albanien selber, die dort Urlaub machen. Natürlich hat man bestimmte Landstriche, wo eben ein Massentourismus heute schon da ist. Ich finde ihn aber extrem gut organisiert. Also in einer, so gut ist, wenn das überhaupt bei Massentourismus geht, nicht schädlichen Form. Und ich merke natürlich hier aus der Sicht des Touristikers in Deutschland, der Wunsch, nach Albanien zu reisen, ist groß. Und jetzt kommt aber das wunderschöne Aber, was Albanien schafft und viele Gebiete vielleicht nicht ganz so gut oder weniger geschafft haben. Und es bleibt abzuwarten, wie Albanien in der Zukunft damit umgeht. Aber es gibt viele Gebiete, die eben absolute Naturparadiese sind, und die auch, ich will nicht sagen unentdeckt, Aber die einfach sehr gezielt nur mit Tourismus angegangen werden. Und so geht auch das albanische Tourismusministerium vor. Ich hoffe sehr persönlich, dass sie diesen Rhythmus beibehalten, weil sie könnten neben einer sehr interessanten und immer noch preiswerteren touristischen Destination als viele andere Länder um das Mittelmeer. Und wir haben nun mal viele Menschen, die auch gerne reisen, aber sich das vielleicht auch gar nicht mehr erlauben können. Also neben diesem Thema auch den Spagat zu schaffen, genau diese Region zu bewahren vor einem Massentourismus, aber mit intelligenten Methoden die richtigen Leute an die richtigen Flecken zu bringen. Und gerade habe ich das Gefühl, das gelingt sehr gut und es ist auch ein strategisches Ziel.
Kai Behrmann
01:01:08
Ja, also dass Albanien so ein Trendziel ist, das nehme ich auch wahr. Ich sehe es immer wieder, wenn ich in die Podcast-Statistiken reinschaue. Ich habe einmal ein Interview mit Franziska Cinderle, einer jungen Journalistin, geführt, die ein Buch über Albanien geschrieben hat. Beschäftigt sich jetzt nicht mit Fotografie, aber es ist die Folge, die mit Abstand am meisten gehört wird. Also die Podcast-Plattformen funktionieren ja auch als Suchmaschinen und da scheinen anscheinend dann auch viele nach dem Stichwort Albanien zu suchen und finden diese Folge dann auf diese Art und Weise. Also ein Land, was ja lange komplett isoliert war in Europa, Ganz abgeschottet während der Diktatur von Enver Honcha. Also ganz, ganz spannende politische Geschichte auch in den jüngsten Jahren, Jahrzehnten. Ja, kann ich nachvollziehen, dass du da Feuer gefangen hast für dieses Thema und für dieses Land.
Marcel Mayer
01:02:12
Ja, es ist einfach, also man hat ja Bilder, glaube ich, im Kopf. Der eine mehr, der andere weniger. Und Albanien verbindet sich sicherlich für viele erstmal mit ganz anderen Attributen oder mit ganz anderen Adjektiven als das, was es wirklich ist. Diese Menschen haben eine Gastfreundschaft und eine Herzlichkeit. Die wirklich schon sehr besonders ist. Und die Größe des Landes und die unterschiedlichen Dinge, also du hast den Norden mit den albanischen Alpen, ein absolutes Naturparadies mit eben guten ökologischen Ansätzen, sodass der Footprint da auch wirklich so, wie sie es gerade steuern, gar nicht zu groß werden kann. Dann auf der anderen Seite hast du in der Nähe der Hauptstadt, die auch faszinierend ist. Tirana, klar, ist ja eine Hauptstadt und ein Regierungssitz wie vieles. Aber es ist schon auch eine spannende Stadt. Ich habe viele Tage auch in Tirana verbracht. Aber dann hast du am Meer nicht weiter von Durres mit einer wunderschönen alten Hafenstadt und einer ganz langen Beachzone, ähnlich wie die Playa de Palma das ist. Gehst du in den Süden, hast du ganz andere Buchten. Du hast Sandstrände, du hast Kieselstrände, du hast kleine, viel kleinere Hotels, alles ist viel mehr in die Richtung rein. Man kann es wunderbar kombinieren. Es gibt so viele schöne Länder im Balkan, ob es Nordmazedonien ist, ob es mit Griechenland, ob es mit Bosnien ist. Und die Menschen und ich spreche jetzt da in erster Linie als Touristiker, die bei uns Reisen dort hin buchen, bevorzugen oft in kleinen Gruppen eine Rundreise, die die Länder kombiniert.
Kai Behrmann
01:03:57
Ja. Ja, du selbst hast ja auch diese spannende Kombination aus Fotografie und dem Tourismus. Wie siehst du dieses Verhältnis zwischen den beiden? Ist der Tourismus bei dir ganz klar die Nummer eins oder stielst du auch mit einem Auge darauf, vielleicht irgendwann dich mal komplett der Fotografie und dem Fotojournalismus zu widmen?
Marcel Mayer
01:04:24
Das ist eine ganz gemeine Frage, weil das ein innerer Kampf in mir ist. Ich bin Touristiker mit Herz und Seele mein Leben lang, aber die Fotografie hatte auch einen immensen Raum. Ich glaube, es gibt viele Tage, da wünsche ich mir, ich dürfte als Fotograf an Langzeitprojekten unterwegs sein und einfach viel mehr Zeit investieren, weil die Zeit ist ja bei mir leider auch knapp und du hast vollkommen recht, da sind wir eben gerade gar nicht mehr drauf eingegangen. Vor Ort gibt es auch ganz viele interessante Themen. Vielleicht können wir gleich noch mal kurz darauf kommen, wie das ist, Menschen in Deutschland oder im Ausland anzusprechen. Das ist ja für viele auch immer ein Thema. Aber ja, mein Herz schlägt für beides. Ich würde mir deutlich mehr Zeit für die Fotografie wünschen. Das gibt es aktuell nicht her. Aber ich bin gerne im Tourismus und liebe meinen Job und die Kreativität, die da rein kann. Aber ohne die Fotografie wäre ich nicht voll dieser Energie, die ich in meinem Hauptjob auch brauche.
Kai Behrmann
01:05:29
Ja, vielleicht dann aktuell der beste Weg, beides weiter zu verfolgen. Es sind ja beides Dinge, an denen du Spaß hast. Also wir können ja eingespannt sein in die Aufgaben. Stress kann ja auch positiv sein, wenn man die Dinge mit Freude und aus Leidenschaft macht und auch das Gefühl hat, man kann sie bewältigen. Solange das das Gefühl vorhanden ist, glaube ich, ist das dann auch eine gesunde Balance.
Marcel Mayer
01:05:58
Meine Frau und Freunde fragen oft, wie kannst du neben deinem stressigen Job dich freitagsabends ins Auto setzen und nach Albanien fliegen oder in den Süden Deutschlands und am Energieprojekt durcharbeiten und am Montagmorgen nachts loszufahren, um um neun hier wieder am Schreibtisch zu sitzen. Und ich sage, es gibt mehr Energie und es macht mir Freude und das ist genau das, was du meinst mit positiven Stress.
Kai Behrmann
01:06:21
Und der Erfolg ist dann ja auch etwas, was zusätzlich motiviert, also mit dem Pitch dieser Geschichte. Du hast es an die New York Times geschickt, da ist es leider etwas verloren gegangen, im falschen E-Mail-Postfach gelandet, aber du hast diese Geschichte bei Geo Online veröffentlichen können. Dann magst du da mal so ein paar Tipps vielleicht auch teilen, wenn man so eine Geschichte hat, wenn man das Material gesammelt hat, wenn die Geschichte rund ist. Wie geht man dann daran, diese anzubieten bei eben entsprechenden Medienhäusern?
Marcel Mayer
01:06:59
Ja, es ist auch ein sehr spannender Punkt. Ich musste ja auch über Jahre mich da erstmal reinfinden, wie man sowas überhaupt macht. Ich habe versucht, meinen Weg zu finden. Also was ich niemals tue, ich verschicke niemals nur Bilder. Weil ich habe gelernt, die meisten Fotografen und viele können sich das natürlich auch wunderbar erlauben, weil sie bekannt sind und man will rein die Bilder sehen, dass ich nur die Bilder verschicke, sondern ich baue immer eine Story, ich baue immer ein Dokument. Also ich betätige mich dann eben noch, indem ich eine PDF baue, indem ich Texte schreibe, indem ich auch mit Textern teilweise zusammenarbeite, indem ich selber viel vorbereite, indem ich Karten erstelle und meine Bilder auch so setze, dass man diese Geschichte schon mal fühlen kann. Das kommt sehr, sehr gut an, wie ich merke. Der weitere Punkt ist, da muss man einfach ganz ehrlich sein. Also ich glaube, die ganze Welt wartet auf niemanden von uns. Und man braucht einfach Kontakte, die man sich mühsam aufbauen muss. Aber das geht. Also man muss einfach beharrlich bleiben und nicht nerven, aber auch kontinuierlich sich über vielleicht gute Arbeit in Erinnerung bringen. Und das mache ich jetzt schon wirklich etliche Jahre und ich muss gestehen, inzwischen ist es wirklich so, dass das langsam mal auch Früchte trägt, ich bekomme Antworten und ich habe mir von vielen sehr spannenden Fotografen, die wirklich groß im Geschäft sind, im Bereich Dokumentar oder Reportage sagen lassen, dass das nicht normal ist, dass einem New York Times vielleicht antwortet, aber ich habe es über die Zeit geschafft, immer wieder präsent zu bleiben, immer mal wieder ein Thema vorzuschlagen und bekomme von den meisten heute auch Antwort. Und ein wunderbarer Freund von mir, der belgische Dokumentarfotograf Dominik Verhulst, sagt immer Marcel, eins plus eins plus eins plus eins. Und ich glaube, das ist auch hier, es gibt keine Abkürzung, es gibt den Weg eigentlich kontinuierlich dran zu bleiben. Es ist, glaube ich, wichtig, ein Thema zu haben, was wirklich für diejenigen, wo man es publizieren will, auch von Interesse ist. Sich mal in Recherchen zu bemühen, was gibt es denn da? War das vielleicht vor einem halben Jahr schon mal Thema und schicke ich jetzt irgendwas, was gar nicht relevant ist? Ist das Thema global interessant? Kann ich es so lokal wie möglich erzählen? Das ist natürlich auch ein Riesenpunkt. Also man glaubt ja immer, das gibt es alles schon und das braucht kein Mensch mehr. Bei dem Energiethema könnte man glauben, warum willst du, Marcel, diese Geschichte erzählen? Relativ einfach, weil ich sie aus einem anderen Blickwinkel erzähle, aus Sicht von Menschen. Und sie einen ganz anderen lokalen Aspekt hat, als man das Thema global wahrnimmt. Das wäre so ein bisschen mein Tipp, sich zu nähern. Man muss voller Überzeugung etwas tun und man muss das in den Bildern spüren und in der Arbeit spüren.
Kai Behrmann
01:10:05
Ja, stecken unheimlich viele Tipps drin, wie man sowas angeht und dieses Schritt für Schritt, eins nach dem anderen, das ist schon das A und O dabei und auch die Recherche investieren, also mal zu schauen, was ist das für ein Medium, dem ich diese Geschichte vorschlage zu recherchieren. Dann gab es das schon mal. Ich glaube, nichts ist schlimmer, als wenn dieses Thema in ähnlicher Form vor zwei, drei Monaten schon mal publiziert wurde. Da ist man dann eben auch ganz schnell weg mit solchen Nachlässigkeiten, weil die Redakteure das dann natürlich auch registrieren. Da ist jemand, der hat sich gar nicht informiert und dann bekommst du auch gar keine Antworten mehr.
Marcel Mayer
01:10:53
Ja, und man darf auch nicht enttäuscht sein, weil ich meine, man muss sich vorstellen, die Fotoeditoren, das sind ja unsere Handsprechpartner sozusagen, man muss immer mal überlegen, wie viele Mails die wahrscheinlich am Tag bekommen.
Kai Behrmann
01:11:04
Ja, ja.
Marcel Mayer
01:11:05
Und dann sind es alles Sachen, die ungefragt sind und irgendwo sind sie auch Menschen, die ihren Arbeitsalltag bewältigen müssen. Also das heißt überhaupt nicht, wenn ich beim ersten Mal keine Antwort bekommen habe, dass ich nicht dranbleibe. Die Frage ist, gehe ich da fünfmal hinterher und nerve oder sage ich, ich mache das noch einmal und vielleicht ein bisschen, ich denke mir was aus, warum ich es nochmal mache und nochmal was anderes darstelle und ansonsten muss ich es dann beim nächsten Projekt versuchen und gehe dann lieber nochmal an jemand anderen. Aber Learning ist da wichtig und ich glaube, sich selber treu zu bleiben mit seiner eigenen Art, seiner eigenen Emotionalität und eben auch genau das nur zu schicken, wo man selber auch wirklich das Gefühl hat, das habe ich so mit Herzblut erstellt und es hat eine Relevanz. Ich glaube, um das Thema kommt man nicht umher. Dann gibt es schon für jeden von uns Möglichkeiten.
Kai Behrmann
01:11:58
Ja, dann öffnen sich Türen und wie du richtig sagst, also selbst wenn dann eine Absage kommt, das nicht persönlich nehmen, das kann ganz viele Faktoren haben, aber wenn man eben diese Antwort bekommt, vielleicht kann man dann entweder zwischen den Zeilen oder vielleicht mit einer gezielten Nachfrage dann auch weitere Informationen bekommen, was man vielleicht anders hätte machen können, um dann eine Publikation zu bekommen. Also jede Hilfestellung auch zu nutzen, um da weiterzulernen, wie dieses Business funktioniert.
Marcel Mayer
01:12:33
Absolut. Und das auch im Kleinen und Lokalen mal anzufangen, um vielleicht dann irgendwann ein großes Ziel zu erreichen. Ich persönlich halte viel von großem Ziel, bin aber auch mir vollkommen im Klaren darüber, dass es keine Selbstverständlichkeit ist, einmal im Leben vielleicht in der New York Times abgedruckt zu sein.
Kai Behrmann
01:12:52
Ja. Ja, wir haben ja bei uns bei Abenteuer Reportage Fotografie im Online-Kurs auch viele, die schon im lokalen Bereich publiziert haben und dann eben so Stück für Stück vorangekommen sind und dann sich weitere Ziele gesetzt haben. Also ich finde, das ist schon mal wirklich ein guter Hinweis, einfach da mal zu gucken, was gibt es für Publikationen direkt vor Ort. Und wenn man das erste Bild dann, egal wie klein die Auflage ist, gedruckt sieht, ist das eine unheimliche, schöne Bestätigung für die Arbeit und dann eben auch der Antrieb, da weiterzumachen, sich Möglichkeiten zu erarbeiten, zu schauen, wie kann ich weiterkommen. Und ja, also da setzt sich jeder dann seine eigenen Ziele und ob es dann eben die New York Times ist, das ist dann immer sehr, sehr individuell. Aber ich glaube, das ist eben das Schöne, auch gerade wenn wir nicht darauf angewiesen sind, davon zu leben, sondern einen Hauptjob zu haben, der die Rechnung bezahlt und dann einfach ohne Druck zu schauen, wo kann die Reise hinführen mit der eigenen Fotografie. Das ist ja ein ständiger Entwicklungsprozess, den wir durchmachen.
Marcel Mayer
01:14:02
Absolut. Und es ist die Liebe zur Fotografie und die Liebe zur dokumentaren Reportagefotografie. Und bei mir steht sie immer im Vordergrund. Und ich bin mir bewusst, es gibt wunderbare Fotografen auf der Welt, die viel viel bessere Bilder machen. Aber ich möchte jeden Tag besser werden und ich möchte dieses Gefühl, was mir die Fotografie gibt, überhaupt nicht mehr missen. Sie ist für mich ein Ausdruck der Kreativität und die Möglichkeit, die Geschichten zu erzählen, die ich auch wirklich erleben darf und da ist die Kamera ja oft auch ein Schlüssel, tiefer einzutauchen also wäre ich als normaler Wanderer bei Paschko und Grande zu Hause gelandet und 20 Mal zu Besuch gewesen? Wahrscheinlich nein ja.
Kai Behrmann
01:14:54
Ja, das ist eben genau diese Reihenfolge, die wichtig ist, nicht zu denken, ich möchte in Zeitungen oder Magazinen XY publiziert werden, was muss ich machen, um da hinzukommen, sondern sich zu überlegen, was ist die Geschichte, die mich interessiert, was treibt mich an und dann investiere ich eben die Energie, wie du es getan hast und dann kommen die Bilder dabei heraus, die dann eben so stark sind, dass das Interesse von Publikationen eben vorhanden ist. Also ich glaube, in diese Richtung oder auf die Art und Weise sollte man dann da rangehen und ja, einfach den Prozess genießen.
Marcel Mayer
01:15:37
Absolut. Also das ist es für mich. Für mich ist es eine Passion, eine Leidenschaft, die ich nicht missen möchte. Und ich finde eben, genau wie du, ich bin am liebsten im Feld und habe meine Kamera und fotografiere und bin zwischen diesen Menschen und an schönen, spannenden Orten, die eben genauso gut in der Eifel oder in Bayern oder sonst wo sein können. Weil sie geben einem die Möglichkeit einzutauchen, aber ich genieße auch die Arbeit. Des Editings des Schreibens der Geschichte den Austausch mit Kollegen ganz unterschiedlicher Art und Weise, also es ist einfach wir haben auch mal einen. Raum in der Schule geliehen bekommen für ein paar Stunden haben 200 meiner Bilder ausgedruckt und haben mal versucht ein Editing zu machen. Und das sind ganz unterschiedliche Sichtweise und Kenntnisstände und es bringt einen immer ein Stück weiter, eine Meinung zu hören. Wichtig ist, dass man seinen eigenen Stil und seine eigene Meinung entwickelt, aber das wird nur im Laufe der Zeit passieren. Und wenn du viel fotografierst und auch viel einfach gar nicht umsetzen kannst, aber es bringt dich immer ein Stück weiter und ich glaube, das ist genau wie du es sagst. Die richtige Herangehensweise ist nicht, was muss ich tun, um da hinzukommen, sondern was muss ich tun, um eine schöne Geschichte zu erzählen, was begeistert mich, wo kann ich so viel, Herzblut, so viel Energie, so viel Leidenschaft reinstecken, dass ich tolle Bilder mache und dann zu sagen, wow, die sind so gut und das sagen auch andere und jetzt probiere ich es mal. Das kann auch genauso gut, also ich träume von einer Ausstellung in einem, lokalen Bereich und das kann ein Geschäft sein, das kann ein Café sein, das ist ja bei euch auch öfter mal der Fall, dass ich mitbekomme, da hat jemand in einem Café oder irgendwo ausgestellt oder in einer Bank. Also das ist ja ein wunderschönes Kompliment für einen Fotografen, wenn da nachher, keine Ahnung, 10, 20 Leute stehen, die sich deine Bilder anschauen, die groß ausgedruckt an Wänden hängen und wo dir jemand Feedback gibt. Also für mich ist es dieser gesamte Prozess der Fotografie, den ich genieße und den ich nicht missen möchte.
Kai Behrmann
01:17:51
Ja, genau. Viele Stufen, die da zusammenkommen, also Fotografie beinhaltet so viel mehr als das alleinige Drücken auf den Auslöser. Das ist der kleinste Teil des Ganzen. Viel Recherche, viel Zeit vor Ort, gerade wenn man im Dokumentar- und Reportagebereich unterwegs ist, was dann mit einfließt. Und natürlich der ganz, ganz wichtige Teil hinten raus mit dem Editing und dann die Entscheidung, auf welchen Plattformen möchte ich meine Bilder präsentieren und aus einem Projekt können ja auch mehrere, ich kann es ja auch auf mehreren Plattformen veröffentlichen, also die Kanäle, da gibt es ja eine große Auswahl, Ausstellungen, Publikationen in Magazinen, online in Galerien, auf der eigenen Webseite, also man kann ja so viel aus einem Projekt machen.
Marcel Mayer
01:18:41
Ja, oder das Feedback auch bei euch bei Abenteuer Reportage Fotografie. Ich war ja am Anfang auch Teil und ich habe das sehr genossen, das Feedback von den Kolleginnen und Kollegen dazu bekommen.
Kai Behrmann
01:18:53
Ja, gerade so spezielle kleine Nischen-Communities, wo man weiß, da treffen Gleichgesinnte zusammen, die auch im Blick ein Verständnis für die Art der Fotografie haben. Das sind natürlich Räume, die sich dafür anbieten, dann eben auch qualifiziertes Feedback sich einzuholen.
Marcel Mayer
01:19:11
Absolut. Und den Prozess genießen, für etwas brennen, eine klare Vorstellung zu haben und genau das, was du sagst, leider oder ich sehe es gar nicht als leider, ist die reine Fotografie der kleinere Teil, weil der Rest, wenn man es professioneller betreiben will, wenn man wirklich Geschichten erzählen will, Es ist ja vollkommen legitim, auch nur schöne Einzelbilder zu machen oder Miniserien zu machen. Das ist ja überhaupt nichts Verwerfliches. Aber wenn man sich der Reportagefotografie oder Dokumentarfotografie widmen will, dann gehört Recherche, Lesen, Anschauen von Dokumentationen oder Bildern... Ja, ein kleines Konzept für sich zu machen, ob es eine Zeichnung ist, ob es ein Word-Dokument ist, ob man anfängt, Dinge zu recherchieren. Und da gibt es ja auch viele Möglichkeiten. Dafür finde ich zum Beispiel auch die KI interessant, gar nicht um Bilder zu erstellen, aber um vorzurecherchieren und schneller mal Quellen zu finden oder Dinge zu machen. Also von daher glaube ich, kann das ein ganz spannender Bereich werden, der viel tiefer ins Leben geht, ohne dass man viel Geld ausgeben muss zum Reisen oder dass man sich nur Zeit fürs Fotografieren nehmen muss, sondern man kann auch mal eine Stunde am Abend zu Hause oder am Wochenende, wenn es Familie, Freunde oder so zulassen, immer wieder etwas daran tun und besser werden, was im Endeffekt sicher auf die Fotografie auch auszahlt.
Kai Behrmann
01:20:36
Marcel, da stecken jetzt schon so viele praktische Tipps auch in diesem Gespräch mit drin, also nicht nur Einblicke in eine Region, die viele gar nicht auf dem Schirm haben in Albanien, aber dann eben auch aus fotografischer Sicht, wie man so vorgeht. Du hast noch einen Aspekt so ein bisschen angeteasert, auf den ich nochmal zurückkomme jetzt am Ende des Gespräches. Das Ansprechen von Menschen im Ausland und in Deutschland, die Unterschiede. Das war, glaube ich, ein Aspekt, wo du noch ein paar Worte zu sagen wolltest.
Marcel Mayer
01:21:14
Ja, ich kann mich gut erinnern, Kai, wir haben vor einer etwas längeren Zeit, lass es zwei, drei Jahre hier sein, haben wir in Abenteuer Reportage und Fotografie im Rahmen eines Miniprojektes, was wir in der Nähe unserer Heimatadresse, also sprich unseres Hauses, unserer Wohnung umsetzen sollte, kam immer wieder die Diskussion auf, wie spreche ich den Menschen an? Und ich persönlich muss auch sagen, ich bin, glaube ich, ein sehr kommunikativer Mensch. Ich habe gerne mit Menschen Kontakt, habe ich eben schon erzählt und habe auch immer das Gefühl, ich bekomme... Natürlich auch mal absuchen, aber eigentlich ist es sehr positiv. Im Ausland, also ich habe eine Zeit lang in Bangkok gelebt und viel Südostasienbereich, da finde ich es sehr, sehr einfach, selbst mit Händen und Füßen, die Menschen, die es nicht wollen, geben es zur Kenntnis und dann muss man das auch ohne Wenn und Aber akzeptieren. Aber da ist es relativ einfach. Man ist auch schnell mal in einem Wohnzimmer oder in einem Schlafzimmer. Und da fängt es ja wirklich an, sensibel zu werden. Also ein Porträt im Wohnzimmer oder im Schlafzimmer zu machen, ist halt schon eine andere Art und transportiert auch noch mal was anderes. Aber ich kann ja nicht einfach da rein stürmen. Das ist in vielen Teilen auf dieser Welt, und da wirst du ja auch noch mal ganz besondere Erfahrungen in Südamerika oder in Mittelamerika haben, ist ja nicht immer so einfach. Aber es gibt Regionen, da ist es ganz einfach. In Deutschland hatte ich ehrlich gesagt großen Respekt, weil wir haben hier natürlich ja auch Regeln, also wenn ich ein Foto für eine Publikation verwenden will oder behaupte öffentlich verwenden will, brauche ich in Deutschland einen Model Release. So, und jetzt treff mal jemand in Köln in der Fußgängerzone, frag ihn, ob er ein Porträt machen will. Das ist schon nicht so einfach, aber diejenige oder denjenigen wird man finden. Spätestens, wenn du mit der Frage kommst, kannst du mir hier gerade noch eine Unterschrift geben, dass ich dieses Bild benutzen kann, wirst du wahrscheinlich sofort das Bild wieder löschen dürfen. Und ich hatte sehr viel Respekt mit den positiven Erfahrungen im Ausland, gerade hier in Albanien. Also ich habe vor dem Gartenzaun gestanden, habe gewunken und durfte reinkommen. Kann ich das jetzt hier in Deutschland auch? Kann ich am Niederrhein bei einem Bauern einfach klingeln und sagen, kann ich mal ein Porträt von Ihnen machen? Das war für mich schon schwierig. Ich muss gestehen, ich habe es mir schwieriger vorgestellt, als es in Wirklichkeit ist. Im Rahmen des Energieprojektes bin ich an einen Ort gefahren, habe mich in einem lokalen Gasthaus eingemietet, hatte das Ziel, auch Fotos von den Gastleuten zu machen. Und als ich dann übernachtet habe, gab es dann Abendessen und dann habe ich gefragt, können Sie sich das vorstellen? Die Antwort war, nee, haben wir schon mal gemacht, will ich auf keinen Fall und dann war das Gespräch beendet. Ich bin nicht abgereist, ich hätte damit leben müssen, ich hatte zwei Nächte gebucht, ich bin geblieben, habe mich umgeguckt, habe am nächsten Tag beim Frühstück gesessen und die Gastwirtin kommt zu mir und sagt. Du bist schon ein netter Kerl und wir sollten es zumindest bei deinem nächsten Besuch mal probieren, aber dann entscheide ich immer noch, ob ich das will oder nicht. Heute sind wir deutlich näher miteinander, es sind Bilder entstanden, die waren am Anfang wieder denkbar, noch sehen sie so aus wie die ersten Bilder, die ich gemacht habe. Und ich habe viele Neins bekommen, aber es hat mich nie dazu gebracht, das Projekt dran geben zu wollen. Ich habe Verabredungen gehabt, dann habe ich drei Stunden im Regen gestanden, da ist niemand gekommen. Die Zahl ist deutlich höher als in anderen Teilen, wo ich bisher fotografiert habe. Was ich nur sagen will ist, habt den Mut.
Kai Behrmann
01:24:57
Ja, den Mut zu haben. Da würde mich jetzt interessieren, in Albanien, hast du den Menschen schon so ein bisschen Ausblick darauf gegeben, für was du die Bilder verwenden möchtest, was dein Ziel ist? Oder war das in den Gesprächen erstmal noch kein Thema?
Marcel Mayer
01:25:17
Also in dem Moment, wo ich ernsthaft angefangen habe zu fotografieren und quasi mit jemandem da war, der auch dolmetschen könnte, war es ganz klar, ich bin ein Dokumentarfotograf aus Deutschland. Ich bin freier Fotograf. Das heißt, ich arbeite eigenständig und ohne Auftrag an meinem Projekt und ich möchte hinterher publizieren. Ich halte Offenheit und Klarheit für ganz wichtig.
Kai Behrmann
01:25:40
Ja, sehe ich ähnlich. So gehe ich auch vor. Also ich gebe mich immer klar zu erkennen als Dokumentar- und Reportagefotograf und dass eben auch die Absicht dahinter steht, die Bilder in der einen oder anderen Form, sei es in Magazinen oder im Rahmen von Ausstellungen, Büchern zu präsentieren, zu veröffentlichen. Das ist immer klar, da spiele ich auch mit offenen Karten. Was das Thema Model Release Verträge angeht, das ist ja auch eine Frage, die immer wieder hochkommt, auch bei uns im Kurs. Das beschäftigt die Menschen also einmal, um uns selber abzusichern, falls es irgendwann dann zu Streitigkeiten kommt, die rechtliche Seite. Aber dann hat es eben ja auch eine ethische Komponente, die meiner Meinung nach aber eben schon damit auch weitestgehend abzudecken ist, indem man eben verbal auch in der Kommunikation da mit offenen Karten spielt. Da bedarf es nicht immer des offiziellen Dokuments und der Unterschrift, weil in dem Moment weiß ich ja auch selber meistens noch gar nicht genau, in welchem Kontext ich diese Bilder veröffentlichen werde. Insofern ist es da schon auch schwierig, überhaupt die entsprechenden Formulierungen zu finden, die dann wahrscheinlich in dem Moment, wo es zu einer Veröffentlichung kommt, ohnehin obsolet wären.
Marcel Mayer
01:27:03
Absolut. Und ich glaube, deshalb ist es also wichtig, ich habe ein ganz simples, einseitiges Model Release mir aufgesetzt. Zum einen sage ich ganz klar, was passieren wird, ist folgendes. Wenn ich publiziere, publiziere ich im Rahmen mit dem Thema, was ich Ihnen gerade genannt habe. Also bei Albanien ist es klar, wenn ich über Albanien berichte, kann das Bild kommen. Wenn ich ein Thema habe, was nicht mit einem Ort zu tun hat, Beispiel Energie, und ich kann da jetzt noch nicht tiefer gehen, aber da sage ich ganz klar, diese Bilder werden verwendet im Zusammenhang mit diesem Projekt. Weil die Menschen haben oft auch Angst, dass ihr Bild aus dem Kontext gezogen, plötzlich mit irgendeiner ganz anderen Headline oder Bildunterschrift irgendwo erscheint. Und das ist, wie ich für mich persönlich festgestellt habe, eine große Hemmschwelle und die versuche ich vorne von mir aus proaktiv zu nehmen.
Kai Behrmann
01:28:02
Also sprich, du hast dann auch in Albanien mit diesem einseitigen Dokument gearbeitet und dir das von jedem hast du unterschreiben lassen?
Marcel Mayer
01:28:11
Ja, ich habe mir die Mühe gemacht, das dann auch in der Bahn nicht zu übersetzen mit jemandem, der mir da geholfen hat. Und ganz am Schluss, ich hatte ja immer klar und offen kommuniziert, ganz am Schluss habe ich sie gebeten zu unterschreiben. Hier in Deutschland mache ich das bei dem Energieprojekt teilweise anders, weil das ist viel Zeit, die ich investiere, um irgendwo hinzufahren. Und wenn mir dann jemand Ja sagt und ich habe viel Arbeit gemacht, viel Zeit reingesteckt, war vielleicht dreimal da und der sagt hinterher dann doch Nein, weil er es falsch verstanden hat, wird es blöd. Deshalb mache ich es hier eigentlich sehr schnell im Vorfeld.
Kai Behrmann
01:28:44
Ja, okay.
Marcel Mayer
01:28:46
Was ich manchmal verspreche, ist, dass ich sage, wir können die Bilder gerne, die ich dann hinterher auswähle, gemeinsam anschauen. Ich hatte auch jemanden, der mir so wichtig war, dass ich gesagt habe, wir gucken die Bilder gemeinsam an und wenn es ein Veto gibt, ist das Bild nicht dabei. Das hätte wahrscheinlich dann dazu geführt, weil ich finde schon, dass es die Kreativität von uns ist. ich habe immer den ethischen Ansatz, einen Menschen nicht schlecht oder blöd darzustellen. Also das darf einfach nicht sein. Aber es gibt ja manchmal unterschiedliche Auffassungen, ob das jetzt ein gutes Bild bei einem Porträt ist oder nicht. Und ich glaube, da hat ein Dokumentarfotograf und ein Reportagefotograf unter Umständen eine andere Vorstellung als ein Mensch, der denkt, man macht ein lächelndes Porträt von ihm. Deshalb ist es schon wichtig, da klar auch zu kommunizieren. Aber das mache ich in Ausnahmefällen, dass ich dann wirklich sage, wenn mir das so wichtig ist, ja, die Bilder zeigen tue ich immer, ich gebe sie nicht raus. Also es gibt weder ein elektronisches noch ein ausgedrucktes Bild. Es gibt andere Bilder, die nicht Teil der Serie sind, die drücke ich super gerne auf schönem Papier aus oder lass sie ausdrucken und bringe sie mit. Aber ich finde Klarheit und lieber Nein ist gut und ich glaube, es braucht nicht sein, dass ich in Albanien stehe oder auch in Deutschland stehe und jedem direkt ein Model-Release unter die Nase halte. Aber wenn ich ein Porträt eines Menschen in einem Laden oder einer Fußgängerzone mache und ich weiß, ich will eine Reportage Veröffentlichung in der Lokalzeitung, ich will mir ein Buch machen, was ich vielleicht sogar, in Umlauf bringe, dann geht es einfach, glaube ich, nicht anders, ja, als dass man mit offenen Karten spielt.
Kai Behrmann
01:30:22
Mhm. Ja, ein sensibles Thema und da kommt es eben auch darauf an, das entsprechende Feingefühl zu haben, weil sobald wir mit so einem Dokument auf Menschen zugehen und um eine Unterschrift bitten, ist es ja etwas, wo möglicherweise auch so ein bisschen, ja, Argwohn aufkommen könnte, wofür das alles verwendet werden kann, was unterschreibe ich da? Man gibt dem Ganzen ja einen etwas offizielleren Touch mit diesem Akt, eines Dokuments.
Marcel Mayer
01:30:58
Ja, deshalb wäre mein Tipp, schränkt es einfach ein. Also ich habe zum Beispiel werbliche Nutzung komplett ausgeschlossen, davor haben die meisten Angst. Und das andere ist, dass ich in der Regel ganz klar sage, die Bilder werden nur im Zusammenhang mit dem Thema veröffentlicht. Weil es kann ja sein, dass ich ein Porträt eines Menschen habe und der wird plötzlich mit einer Aussage zu einem Protest, mit einer politischen Partei oder zu einer anderen Aussage konfrontiert. Und das möchte keiner. Und das kann ich ja von vornherein, weil ich weiß ja, wenn ich über den Norden Albanien spreche, dann wird dieses Bild im Zusammenhang mit Albanien veröffentlicht. Aber es wird nicht mit Armut oder schwierigen Bedingungen auf dieser Welt in einen anderen Kontext gestellt. Und das schließe ich zum Beispiel aus.
Kai Behrmann
01:31:49
Wie sieht es seitens der Redaktion aus? Verlangen die von dir dann wenn es oder als Bedingung für eine Veröffentlichung auch entsprechende Model Release Verträge?
Marcel Mayer
01:32:01
Also sie machen sich es meistens relativ einfach weil die ganze Verantwortung liegt bei uns als Fotografen, und wir müssen sicherstellen, dass wir diese Bilder die wir ja im Endeffekt dann verkaufen auch wenn du die Geschichte verkaufst. Das ist ja ein Kauf, der stattfindet, dass wir die Rechte auch sicherstellen. In der Regel ist es so, dass die Metadaten ja bei den Bildern sowohl mit Bildunterschriften, Titel, konkreten Altersangaben und Namen hinterlegt werden müssen. Das war auch jetzt hier in dem Fall bei der Reportage so. Da muss schon genau stehen, wer ist das? Wie heißt der? Wo ist das genau? Wie alt ist der? Und das kann man ja eigentlich auch nur sicherstellen, indem ich die Angaben habe.
Kai Behrmann
01:32:46
Ja, sehr spannender Aspekt jetzt zum Abschluss noch. Also wie gesagt, ein Thema, zu dem immer wieder viele Fragen kommen, viele Unklarheiten, die da herrschen, Unsicherheit. Und ich finde, so wie du das handhabst, das ist schon eine sehr, sehr gute Art und Weise. Vielen Dank.
Marcel Mayer
01:33:07
Ja, sehr, sehr gerne. Kai, ich danke dir.
Kai Behrmann
01:33:09
Ja, Marcel, vielleicht jetzt nochmal abschließend. Wir haben sehr viele oder in dem Interview stecken sehr, sehr viele Tipps schon drin. Abschließend vielleicht an alle, die ähnlich unterwegs sind oder die die Lust haben, auf die Art und Weise zu arbeiten, wie du das tust. Und davon gibt es, denke ich mal, eine ganze Menge, auch die, die hier diesen Podcast hören, die bei Abenteuer Reportage Fotografie im Kurs mit dabei sind. Vielleicht nochmal so einen abschließenden Tipp, eine Zusammenfassung. Was würdest du diesen Fotografeninnen und Fotografen mit auf den Weg geben, wie eben diese Art der Geschichten oder diese Art des Geschichtenerzählens, so wie du es machst, wie man das am besten angeht?
Marcel Mayer
01:33:58
Ja, also ich würde auf jeden Fall, um es in zwei Worten zu sagen und dann würde ich noch ein bisschen detaillierter sagen, seid mutig und respektvoll. Das sind, glaube ich, die wichtigsten Dinge. Also wenn ihr an ein Thema glaubt, dann könnt ihr der Beste sein, der das umsetzt. Ihr macht vielleicht nicht die besten Bilder, genau wie ich behaupte. Es gibt tausende Fotografen, die werden viel bessere Bilder machen. Aber die Leidenschaft, die ich reinstecke, scheint ja auch zu funktionieren. Und es ist euer Blickwinkel, den ihr darstellt und versucht, eure Bilder zu machen. Ja, sie müssen Normen entsprechen, ihr Redeziel über Composing, Licht und allem. Klar, das muss irgendwo alles stimmen, aber es muss eben auch ein Decisive Moment, ein besonderer Moment sein. Und das kann man durch Nähe herstellen, aber auch wenn man mit Menschen Berührungsängste hat, kann man ja eher auch mit Landschaften und so gucken. Meine Erfahrung sagt, Menschen sind immer wertvoll in Bildern und habt keine Angst davor, Menschen zu fragen, respektiert das Nein, aber guckt euch an, was könnte für, ja, als Beispiel die lokale größere Zeitung relevant sein und habt keine Angst davor, was zu schicken und vielleicht in einem halben Jahr wieder und in den nächsten drei Monaten nochmal. Wenn eine klare Aussage kommt die Art von Bilder wollen wir nicht, ja dann ist das so dann kann man aber auch wieder besser werden und machen und ich würde einfach diesen Mut haben, gepaart mit dem Respekt und keine Angst vor negativen Absagen oder also sowohl Protagonisten die Nein sagen, als auch jemand der es nicht veröffentlicht will, das gehört dazu Fotografie ist ein Weg, Und ich glaube, das fasst es vielleicht ganz gut zusammen.
Kai Behrmann
01:35:49
Ja, definitiv. Also ein ganz toller Mutmacher, die eigenen Geschichten mit der Kamera zu erzählen, rauszugehen und einfach dieses wunderbare Werkzeugfotografie zu nutzen, Geschichten zu erzählen, auch an Orte zu kommen, mit Menschen in Kontakt zu treten, die wir sonst nicht kennengelernt hätten. Also abseits des Bildes, was letztendlich dabei entsteht, aber all diese menschlichen Erfahrungen, diese Momente, die wir mit der Kamera erleben dürfen oder durch die Kamera erleben dürfen, macht die Fotografie eine enorme Bereicherung. Also so empfinde ich das auch in meiner eigenen Fotografie. Das ist ein ganz großer Antrieb für mich, rauszugehen. Natürlich möchte ich ansprechende Bilder machen, die bewegen und Geschichten erzählen, aber was ich als Person lerne in diesen Situationen und wie ich als Mensch wachsen kann, das ist eigentlich der Hauptantrieb hinter allem.
Marcel Mayer
01:36:46
Das macht reich und ganz ehrlich, Kai, man sieht es deinen Bildern an. Und ich bin ein absoluter Fan von deinen Bildern und auch von deinen Ansätzen. Als du geschrieben hast in irgendeinem Blog-Eintrag, du hättest lange geglaubt, es ist die Schwarz-Weiß-Fotografie und es ist nicht die Farbfotografie oder andersrum. Es ist die Farbfotografie und es ist nicht die Schwarz-Weiß-Fotografie. Das sind alles Entwicklungsstufen, die über die Zeit kommen. Man sieht es in den Momenten, die du einfängst. Diese Nähe sieht man einfach. Und das ist das Schöne und das entwickelt sich über Zeit. Man könnte sagen, leider braucht es Zeit. Ich würde sagen, Gott sei Dank braucht es Zeit, weil es ist alles Leben, es ist alles Freude, die einem die Fotografie ins Leben bringt.
Kai Behrmann
01:37:34
Wunderbar. Vielen, vielen Dank, Marcel, auf deine Worte. Das freut mich sehr, von dir das zu hören. Ich verfolge deinen Weg auch mit großem Respekt und mit viel Interesse. Es ist fantastisch, wie tief du gehst mit deinen Geschichten, mit deinen Themen und ja, genau so ist es. Also es gibt keine Abkürzungen und ich glaube, das wäre der falsche Weg, nach irgendwelchen Abkürzungen zu suchen, sondern dieser Weg ist lang, er kann steinig sein, aber er lohnt es sich, auf jeden Fall gegangen zu werden oder zu gehen.
Marcel Mayer
01:38:07
Auf jeden Fall, genau. Es lohnt sich, ihn zu gehen, genau.
Kai Behrmann
01:38:12
Ja, ich bin gespannt, wo dich dein weiterer Weg hinführt. Marcel, ich bin mir sicher, es wird nicht bei diesem zweiten Interview bleiben. Du hast jetzt auch wieder den nächsten Teaser gelegt mit deinem Energieprojekt. Wenn es soweit ist, lass es mich auf jeden Fall wissen. Dann sprechen wir auch da drüber und ich bin mir sicher, dass wir dann auch wieder eine ganze Menge von dir lernen können.
Marcel Mayer
01:38:33
Ganz lieben Dank, Kai. Es ist mir wirklich eine Freude, mit dir diesen Podcast zu machen und die Hörer auch erreichen zu können. Ich bin großer Fan von dem Podcast und habe auch viel Zeit gerne investiert, um diese wunderbaren Menschen und ihre Erlebnisse zu hören. Also ganz herzlichen Dank da auch für deine und für eure Arbeit.
Kai Behrmann
01:38:55
Sehr gerne. Vielen, vielen Dank, Marcel. Mach's gut.
Marcel Mayer
01:38:58
Vielen Dank, Kai. Danke.
Kai Behrmann
01:39:00
Tschüss. Tschüss.
Music
01:39:02