art talk - The true size of Africa - Teil 2
Im Gespräch mit Prof. Dr. Christiane Solte-Gresser über den Beitrag des Käte-Hamburger-Kollegs für kulturelle Praktiken der Reparation an der Universität Saarbrücken zur Ausstellung im Weltkulturerbe Völklinger Hütte
30.12.2024 27 min Verena Feldbausch
Zusammenfassung & Show Notes
Im zweiten Teil unseres Kunstpodcasts spreche ich mit Prof. Dr. Christiane Solte-Gresser über den Beitrag des Käte-Hamburger-Kollegs für kulturelle Praktiken der Reparation an der Universität Saarbrücken zur Ausstellung im Weltkulturerbe Völklinger Hütte. Im Mittelpunkt stehen die Künstlerinnen Zineb Sedira, Géraldine Tobe und Memory Biwa, die als Artist-in-Residence und als Fellows eingeladen waren, an der Ausstellung vor Ort mitzuarbeiten. Ausserdem erfahrt ihr, wer Käte Hamburger war und über welche Themen das Kolleg hier in Saarbrücken forscht und. Wir laden euch ein, mit Hilfe unserer Kunstpodcasts - Teil 1 und 2 - mehr über diese faszinierende Ausstellung zu erfahren - vor oder nach eurem Besuch in Völklingen -, um dann die wahre Größe Afrikas tatsächlich besser ermessen zu können.
Die Forschungsgebiete des Käte-Hamburger-Kollegs in Saarbrücken erfährst Du hier: https://cure.uni-saarland.de/
Mehr über die Künstler*innen der Ausstellung THE TRUE SIZE OF AFRICA findest Du hier: https://voelklinger-huette.org/en/exhibitions/the-true-size-of-africa/
Mehr Kunstpodcasts von art talk und Fotos der Exponate gibt's in meinem Blog: https://feldbausch.com/blog/
Mehr über art trailer findet ihr hier:
https://feldbausch.com/
Mehr über die Künstler*innen der Ausstellung THE TRUE SIZE OF AFRICA findest Du hier: https://voelklinger-huette.org/en/exhibitions/the-true-size-of-africa/
Mehr Kunstpodcasts von art talk und Fotos der Exponate gibt's in meinem Blog: https://feldbausch.com/blog/
Mehr über art trailer findet ihr hier:
https://feldbausch.com/
Transkript
Wir reden über Kunst bei art talk, dem Kunstpodcast aus SaarLorLux.
Wir treffen Kurator*innen und Künstler*innen dort, wo sie gerade ausstellen.
Mit uns entdeckt ihr zeitgenössische Kunst und außergewöhnliche Kunsträume in unserer
Region.
Werdet Teil von Galeriegesprächen, Ausstellungseröffnungen und Finissagen.
art talk hört ihr überall dort, wo es Podcasts gibt.
Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Folge von art talk.
Bevor wir loslegen, noch ein Hinweis in eigener Sache.
Alle Werke, über die wir gleich sprechen, findet ihr als Abbildungen in meinem Blog.
Und der Link dazu steht in den Show Notes.
Heute spreche ich im zweiten Teil unseres Podcasts mit Frau Prof.
Dr. Solte-Gresser.
Sie leitet zusammen mit Prof.
Dr. Markus Messling das Käte-Hamburger-Kolleg in Saarbrücken und berichtet uns über den
Beitrag des Kollegs zur Ausstellung "The True Size of Africa".
Ich bin Verena Feldbausch und freue mich, dass ihr zuhört.
Verena Feldbausch: Hallo Frau Dr. Solte-Gresser
und vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben, mit mir zu sprechen.
Unser Thema ist die Zusammenarbeit zwischen dem Weltkulturerbe Völklinger Hütte und
dem Käte-Hamburger-Kolleg für kulturelle Praktiken der Reparation an der Universität des
Saarlandes für die Ausstellung "The True Size of Africa".
Was ist der Beitrag des Kollegs zur Ausstellung "The True Size of Africa"?
Prof. Dr. Solte-Gresser: Ja, es ist schon eine ganze Weile her, dass der Generaldirektor der Völklinger Hütte,
Ralf Beil, uns gefragt hat, ob wir bei diesem Riesenprojekt mitmachen möchten, die Ausstellung
vorzubereiten.
Das wollten wir sehr gerne.
Das war eine tolle Gelegenheit, unsere Forschungsüberlegungen in die breite Öffentlichkeit zu tragen.
Wir haben also dieses ganze Projekt wissenschaftlich ein Stück weit mit begleitet.
Wir haben unsere Netzwerke eingebracht und ganz konkret heißt das, dass wir zum Beispiel
den Ausstellungskatalog mit herausgeben, dass wir gearbeitet haben an Texten für die Ausstellung
zusammen mit unserem Team.
Wir haben über das Konzept viel diskutiert.
Für uns das Wichtigste und das Spannendste aber auch, und das, was man jetzt sieht in
dieser Ausstellung ganz konkret, das ist, dass wir ja in unserem Kolleg immer Künstler*innen,
Wissenschaftler*innen zu Gast haben, die sich in diese Ausstellung mit eingebracht haben.
Unter anderem Elara Bertho, das ist eine Afrikanistin, die ihre Expertise, von der
die Ausstellung profitiert hat, aber auch drei Artists in Residence, also Zineb Sedira,
Memory Biwa und Geraldine Tobe waren bei uns viele Monate zu Gast.
Wir haben sehr viel über diese Ausstellung gesprochen und sie haben aber eben vor allem
Kunstwerke vorbereitet, die man jetzt in dieser Ausstellung sehen kann und das war ein langer,
sehr spannender Prozess.
Verena Feldbausch: Wie war die Zusammenarbeit mit den Künstler*innen?
Also jetzt kommen wir zuerst zu Zineb Sedira.
Sie ist Französin mit algerischen Wurzeln.
Sie war Artist in Residence und hat das Werk mit dem Titel "Standing Here, Wondering
Which Way to Go" für die Ausstellung erschaffen.
Ich beschreibe das ganz kurz.
Wir sehen einen lebensgroßen Nachbau des Wohnzimmers der Künstlerin.
Das enthält zahlreiche persönliche Gegenstände und Möbelstücke, die sie über mehrere Jahrzehnte
angesammelt hat.
Wie gestaltete sich die Zusammenarbeit mit dieser Künstlerin?
Prof. Dr. Solte-Gresser: Das hat im Grunde auch eine gewisse Vorgeschichte.
Zineb Sedira hat im Jahr 2022 den französischen Pavillon der Venedig Biennale übernommen
und gestaltet.
Da ist auch schon was von ihrem Wohnzimmer zu sehen.
Markus Messling kennt sie gut, hat auch zu ihrem Werk geforscht und gearbeitet.
Insofern konnten wir anknüpfen an diesen Kontakt.
Das war natürlich sehr bereichernd.
Unter anderem haben wir so zusammengearbeitet, dass wir zusammen in die Hütte gefahren sind,
dass wir die Räumlichkeiten erstmal besichtigt haben, von denen sie dann begeistert war,
verständlicherweise, wie alle Künstler, die da reinkommen und sagen "Wow", da auszustellen.
Das ist schon was ganz Besonderes.
Sie hat bei uns auch intellektuell sehr viel zu dieser Reparationsproblematik beigetragen,
weil sie mit uns zum Beispiel einen Workshop gemacht hat, über mehrere Tage.
Da hat sie ihr Werk vorgestellt.
Wir haben darüber mit all unseren Fellows, sozusagen zwölf Wissenschaftlern aus der
ganzen Welt diskutiert.
Es ging damals auch um die Frage, was ein Archiv eigentlich ist und wie ein Archiv arbeitet
und was ihr Werk mit Archiven zu tun hat.
Da konnten wir uns aus ganz verschiedenen Disziplinen und auch aus verschiedenen Kulturräumen darüber austauschen.
Verena Feldbausch: Worum geht es in Ihrem Werk?
Was ist die Aussage?
Warum hat sie das Wohnzimmer da aufgebaut?
Prof. Dr. Solte-Gresser: Im Grunde ist es das Wohnzimmer, in dem sie lebt, ihren Alltag verbringt in London.
Es ist aber ein Zimmer, bei dem wir uns in die 60er Jahre in Algerien zurückversetzt fühlen.
Das Spannende an diesem Kunstwerk ist natürlich, dass man mitten durchgehen kann.
Das heißt, man kann sich da auf das Sofa setzen, man kann an den Bücherregalen vorbeigehen.
Es ist ein Zimmer, in dem alles diese Atmosphäre, die besondere Atmosphäre Algerien der 60er Jahre atmet.
Wir sehen da Filmplakate, wir sehen Bücher, also intellektuelle, philosophische, afrikanische,
Kulturtheorie, Politik aus dieser Zeit.
Wir haben da Schallplatten.
Wir sehen uns auf ganz vielen verschiedenen kulturellen Ebenen in eine Atmosphäre zurückversetzt,
die im Grunde so etwas macht, wie die Geschichte zurückdrehen.
Markus Messling hat geschrieben, es ist eine Art Archiv eines kritischen Bewusstseins dieser Zeit.
Das sieht man an allen Stellen.
Die Idee, ohne dass man das auf eine Aussage reduzieren kann, das ist bei Kunst selbstverständlich nie möglich.
Deswegen ist es so toll, dass alle sich das erschließen, indem sie da durchgehen,
indem sie Dinge anfassen können, mit ihren Körpern präsent sind und in Auseinandersetzung gehen.
Aber das ist eine besondere Zeit gewesen in Algerien nach der Unabhängigkeit.
Wir wissen aus dem 21. Jahrhundert zurückblickend, wie die Geschichte verlaufen ist,
wie blutig die Geschichte ist zwischen Algerien und Frankreich.
Es gab einen Moment, so etwas wie Offenheit, wie Hoffnung.
Es könnte sich so etwas wie Panafrikanismus durchsetzen.
Dass afrikanische Staaten in der Unabhängigkeit ihre Nationalität überwinden,
dass es so etwas gibt wie eine Vorstellung von internationaler Solidarität,
von Gemeinschaftlichkeit, eine gemeinsame Zukunft entwickeln.
Wir sehen schon, dass es anders gelaufen ist, aber in der Kunst darf man die Zeit zurückdrehen,
London mit Algerien zusammenzubringen und sich durch einen Raum bewegen,
in dem man das noch einmal eintauchen kann.
Verena Feldbausch: Sehr spannend und auch schön, dass man da wirklich mitmachen kann als Besucher und Besucherin.
Dann gab es die Fellows, Géraldine Tobe und Memory Biwa.
Erstmal eine Frage, was bedeutet Fellow?
Prof. Dr. Solte-Gresser: Fellows, das ist sozusagen der Kern unseres gesamten Forschungsprojekts.
Fellow-Programm heißt, dass unser ganzes Forschungsprojekt davon lebt,
dass renommierte Wissenschaftler*innen aus der ganzen Welt zu uns kommen
und bei uns bis zu einem Jahr Zeit verbringen,
mit einer eigenen Idee, mit einem eigenen Forschungsprojekt mit uns zusammen forschen
und wir an dieser großen Reparationsproblematik gemeinsam arbeiten, gemeinsam nachdenken.
Wir haben immer bis zu zehn vom Ministerium bezahlt.
Es kommen noch andere dazu und das Besondere vielleicht an unserem Kolleg ist,
dass wir dazu auch immer Artists in Residence haben.
Also es gibt die Wissenschaftler, die bei uns sind,
es gibt aber auch Künstlerinnen und Künstler aus den unterschiedlichsten Sparten.
Das ist jetzt im Zusammenhang mit der Ausstellung so geschehen,
dass es immer bildende Künstlerinnen waren.
Im Moment ist Literatur und Theater gerade bei uns besonders stark vertreten mit Kossi Efoui.
Aber das heißt, wir gehen davon aus, dass Forschung nicht immer unbedingt nur
reine Wissenschaft im ganz akademischen Sinne sein muss,
sondern dass Forschung auch Artistic Research sein kann.
Das heißt, dass auch dort Erkenntnisse produziert werden,
die für unsere Reparationsproblematik wichtig und interessant sind.
Und da haben Memory Biwa und Géraldine Tobe sehr, sehr viel zu sagen
und auch sehr viel natürlich künstlerisch beizutragen.
*Bei Memory Biwa ist der besondere Fall, dass sie eine Künstlerin ist,
aus Namibia stammend, aber dass sie auch Historikerin ist, Promovierte.
Und das ist für ihre Kunst extrem wichtig.
Verena Feldbausch: Genau, dann kommen wir direkt zu Memory Biwa.
Sie kommt aus Namibia und die Farbe Rot spielt in ihrer Installation eine große Rolle.
Was ist zu sehen und was ist zu hören bei dieser Installation?
Prof. Dr. Solte-Gresser: Ja, dieses Werk hat sie "Ozerandu" genannt.
Das kann sie natürlich alles selber sehr viel besser erklären.
Wir haben viel mit ihr gesprochen, diskutiert, zugehört, was sie zu erzählen hatte.
Sie hat bei uns auch einen ganzen Nachmittag ihre Projekte vorgestellt in einer großen Runde.
Das Rot, das ist also der Titel in einer Herero-Sprache offensichtlich,
bedeutet für sie, dass Kunst Erkenntnis produziert, die dadurch entsteht,
dass man Dinge über Assoziationen zusammenbringt.
Und in diesem Fall ist es eben der ganz spezielle Ort der Völklinger Hütte,
der sie in vielerlei Hinsicht an Namibia erinnert hat und unter anderem über die Farbe,
nämlich das Rot des Staubs, das Rot des Sandes in der Wüste,
aber das Rot, das durch die Glut entsteht bei der Produktion von Stahl in der Völklinger Hütte.
Das ist das eine gewesen.
Es geht aber auch um das Überwinden oder Überschreiten oder Zusammenbringen
von verschiedenen Räumen und von verschiedenen Orten und Zeiten, auch über Klänge.
Das heißt also, was wir sehen, ist tatsächlich die Farbe Rot durch bestimmte Scheinwerfer.
Wir sehen in einem Untergeschoss der Gebläsehalle, sozusagen vergraben.
Was da zusammengebracht wird, ist einmal Stahlproduktion der Völklinger Hütte,
aber eben auch Eisenerzproduktion, Rohstoffgewinnung in Namibia.
Und was sie damit in eine Verbindung bringt, ist natürlich auch eine verdrängte Seite in Deutschland,
dass Industrieproduktion sehr viel mit Rohstoffen zu tun hat, die irgendwo herkommen müssen.
Und in diesem Fall weiß sie als Namibierin sehr genau, dass das aus dem südlichen Afrika stammt,
also Südafrika und Namibia, und dass das natürlich mit bestimmten Bedingungen verbunden war,
dass das im sehr engen Kontext mit dem Kolonialismus steht,
dass es natürlich auch mit Landraub in Verbindung zu bringen ist,
mit sehr großer Erzeugung von Umweltschäden, mit einer großen Gewaltgeschichte im Grunde.
Das ist das, was man hier sieht und man hört es.
Das ist eigentlich noch das Besondere.
Es läuft über die Farbe, aber es läuft eben auch über Klänge.
Und diese Sound-Installation, die wir da sehen, also einmal aus dem Sand gebackene Kuchen,
aber was wir hören, ist auch die Verbindung von Orten aus Dillingen beispielsweise,
Stahlproduktion, das Plätschern von Wasser, weil eben bestimmte Materialien, Rohstoff,
notwendig ist für die Industrieproduktion, Menschen,
also auch Rituale aus bestimmten kulturellen Kontexten, die da alle zusammengebracht werden
und auch sich überlagern.
Wir hören das alles gleichzeitig.
Wir können es eigentlich gar nicht richtig trennen.
Aber die Idee ist eben, verschiedene Orte, verschiedene Materialien,
verschiedene Menschen zusammenzubringen.
Verena Feldbausch: Doch sehr eindrucksvoll und wirklich auch eine tolle Installation, finde ich.
Und schließlich kommen wir zu Géraldine Tobe.
Sie lebt und arbeitet im Kongo und ihr Werk trägt den Titel "Empty Song".
Es sind sieben Bilder entstanden durch Rauch auf Leinwand.
Was stellen Sie dar und warum hat Sie diese Technik gewählt?
Prof. Dr. Solte-Gresser: Ja, das ist eine sehr spezielle, sehr besondere, von ihr ganz individuell entwickelte Technik.
Also man muss vielleicht dazu sagen, es sind zwei Werke, die man sieht in der Hütte.
Das eine ist dieses "vide cantique" (empty song).
Das gab es schon vorher.
Es ist eine Leihgabe.
Und dann hat sie ein spezielles Werk vor Ort in der Hütte für die Hütte angefertigt.
Und beides aber in dieser Technik, auf die sie gerade hinweisen.
Also sie arbeitet mit kongolesischen Öllampen und dem Feuer und dem Rauch vor allem.
Also dem Rauch und dem Ruß letztendlich, der daraus entsteht.
Und der wird ihr zum Material, aus dem sie Gestalten formt.
Also was wir bei "vide cantique" sehen, das ist ein Zyklus von mehreren Bildern,
der sehr viel zu tun hat mit der Geschichte der Demokratischen Republik Kongo.
Und der gleichzeitig, und das ist bei Géraldine Tobe, glaube ich, immer der Fall,
sehr viel zu tun hat mit ihrer persönlichen Geschichte.
Und auch das ist natürlich was, was Kunst macht und worin wir ein großes reparatives Potenzial sehen,
dass man individuelle und kollektive Geschichten zusammen denken kann
und daraus ein Kunstwerk macht, das wiederum andere Menschen ganz direkt anspricht,
auf einer zum Teil intellektuellen, aber eben auch auf einer sinnlichen Ebene.
Und das funktioniert dort vor allem eben visuell,
während wir bei Memory Biwa vor allem auch gehört haben.
Das sind Gestalten bei "vide cantique", die mit kongolesischer Geschichte zu tun haben,
die man nicht ohne die Kolonialisierungsgeschichte denken kann,
die eine extrem blutige Gewaltgeschichte gewesen ist.
Wir sehen da zum Beispiel einen Mann, der auf einem Berg aus Totenschädeln sitzt.
Wir sehen miteinander kämpfende Gestalten, Frauenfiguren, die da einigermaßen hilflos
oder jedenfalls auch ohnmächtig daneben stehen.
Wir sehen eine Figur, eine weiße Figur, die so etwas ist vielleicht wie ein Söldner,
hat sie, glaube ich, mal in einem Gespräch gesagt, jedenfalls von außen kommt und kämpft.
Wir sehen eine Figur mit Maske, mit einer Adlermaske,
also das Anknüpfen an eine kongolesische oder afrikanische Tradition,
die eine Tradition ist, die eben unterbrochen wurde, die durch den Kolonialismus
mit großer Gewalt unterdrückt wurde.
Und das ist etwas, das sie selber mit ihrer eigenen Lebensgeschichte verbindet,
weil sie als ein Hexenkind galt in der katholischen Kirche
und Exorzismus an ihr betrieben wurde.
Und da stellt sich diese Verbindung her zu dem Material der Öllampe und dem Feuer.
Also das Feuer, das etwas Kathartisches hat,
aber das eben gleichzeitig extrem brutal und gewalttätig sein kann,
Tod verursachen kann.
Und das hat sie am eigenen Leib erfahren, übrigens mehrfach auch.
Und sie wandelt sozusagen diese Kraft, die da drin steckt,
diese Macht des Feuers um, also von der Zerstörung im Grunde in etwas Produktives,
in etwas, mit dem jetzt was Neues entsteht.
Und natürlich ist sie jetzt nicht so naiv, sie ist alles andere als naiv,
dass sie sagen würde, mit Kunst wird jetzt einfach geheilt,
obwohl sie sehr kunsttherapeutisch auch arbeitet am Universitätsklinikum von Kinshasa.
Sie würde sagen, man muss vielleicht den Verlust oder das Gewaltsame in der Kunst ausstellen,
indem man auch Figuren sozusagen um das Nichts, um eine weiße Fläche oder so herum kreiert.
Und ihre Idee ist, dass man das Verlorene, das Verdrängte, das Zerstörte
auch in einer gewissen Form künstlerisch wieder anwesend machen kann.
Also ihre Idee ist immer, denen eine Stimme zu verleihen, die keine Stimme haben.
Und da kommen wir dann zu dem anderen Kunstwerk in der Hütte,
das nämlich bestimmte Menschen zeigt, die mal in der Völklinger Hütte gearbeitet haben
und damit dieses Wahnsinnswerk auch am Leben gehalten haben,
an die man sich aber womöglich nicht erinnert,
weil es ja so unendlich viele Arbeiter sind und Arbeiterinnen.
Sie hat richtig Archivmaterial benutzt, also Porträts ehemaliger Hüttenarbeiter genommen
und mit dieser speziellen Rauchtechnik, ich habe das sehen dürfen,
sie hat uns das mal gezeigt vor Ort in ihrem Atelier, das ist ziemlich spektakulär,
wie mit bestimmten Schablonen und Wattestäbchen und so weiter dann versucht wird,
also daraus wirklich menschliche Gesichter zu machen, die täuschend echt aussehen.
Das hat was sehr Fotografisches auch.
Naja und das vermischt sie trotzdem, also da sind wir plötzlich in Völklingen,
das vermischt sie aber mit ihren eigenen Ideen und Traditionen, die sie mitbringt.
Da gibt es dann plötzlich auch so was wie eine afrikanische Maske
oder ein Tier oder auch so fabelhafte, legendenhafte Gestalten,
die da sich mitten reinmischen, auch das ist also eine Möglichkeit,
sozusagen Völklingen, Deutschland, Europa,
mit Afrika, mit dem Kongo, mit ihrem eigenen Zuhause in Verbindung zu bringen.
Verena Feldbausch: Ja, schöne Verbindung, ja.
Und in der Nähe des einen Werks von ihr sind ja fünf afrikanische Skulpturen platziert.
Welche Bedeutung haben sie in dem Zusammenspiel mit den Bildern von Geraldine Tobe?
Prof. Dr. Solte-Gresser: Da könnte sie wahrscheinlich selber sehr viel mehr dazu sagen.
Das sind Figuren eines Sabrücker Sammlers aus einer sehr bedeutenden Sammlung afrikanischer Kunst,
die sie quasi entführt hat.
Also die Geschichte dieser einzelnen speziellen Statuetten, die da stehen, die kenne ich nicht,
aber zumindest sind es Figuren, die mal in Afrika waren,
die aus Afrika ihren Weg hierher gefunden haben
und die jetzt plötzlich in Verbindung gebracht werden.
Ja, einerseits die Hüttenarbeiter anschauen,
aber andererseits finden sie ja auch Spuren vielleicht ihrer eigenen Tradition in diesen Bildern.
Die blicken zurück und wir als Zuschauer stehen da irgendwo dazwischen und gucken hin und her.
Das heißt, wir müssen eigentlich in so eine Konstellation eintreten,
aus der dann auch was Neues entsteht.
Und darum geht es ja auch in dieser Ausstellung, eben unsere Vorstellung von Afrika zu verändern.
So was natürlich vielleicht wie die eigentliche Größe anzuerkennen,
aber eben auch vor allem, würde ich sagen, an einer Relation zu arbeiten,
an unserer Idee von Afrika, die ja eine der Beziehungsverhältnisse ist,
aber eine eben der Gewalt und einer, die aber im Grunde sozusagen in eine lebendige Dimension zurückgeführt wird,
wenn da jetzt plötzlich Figuren sich gegenseitig anschauen.
Verena Feldbausch: Ja, das stimmt, ja.
Jetzt komme ich schließlich zu dem Kolleg.
Wer war Käte Hamburger?
Welche Projekte kommen nach diesem Kunst- und Kulturprojekt?
Würden Sie uns Ihr Kolleg bitte kurz vorstellen?
Prof. Dr. Solte-Gresser: Ja, das mache ich sehr gerne.
Käte Hamburger ist die Frau, die den Namen gegeben hat einer bestimmten Programmlinie
des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, das uns finanziert.
Es gibt sechs solcher Kollegs im Moment und alle heißen Käte-Hamburger-Kolleg,
aber alle haben eine spezielle thematische Ausrichtung und betreiben Forschung in einem bestimmten Fokus.
Für uns sind es kulturelle Praktiken der Reparation
und für uns passt dieser Name von Käte Hamburger eigentlich sehr gut.
Es ist eine jüdische Intellektuelle, eine Literaturwissenschaftlerin gewesen,
die vor allem Literaturtheorie betrieben hat, die ins Exil gezwungen wurde in den 30er Jahren,
die lange Zeit in Schweden verbracht hat und bei der man eben sehen kann,
dass anhand ihres Denkens, ja kann man sowas wie auch die Problematik
einer zerrütteten oder unterbrochenen Kulturgeschichte nachvollziehen,
die eben dann durch den Nationalsozialismus abgewürgt wurde.
Und was es auch bedeutet, dann "rehabilitiert" zu werden,
also nach langer Zeit zurückzukommen, nicht unbedingt da anzuknüpfen zu können,
keine Professur bekommen zu haben, sich mühsam über Wasser zu halten.
Also da steckt sehr viel deutsche Geschichte und Reparationsproblematik auch drin in diesem Namen.
Insofern passt es für uns sehr gut.
Wir betreiben aber nicht nur Literaturforschung,
sondern wir sind in einer sehr weiten Art und Weise mit kulturellen Phänomenen beschäftigt.
Damit meinen wir auf der einen Seite das Klassische, was wir uns unter Kultur vorstellen,
Theatergeschichten erzählen, Gedichte schreiben, malen, Musik machen.
Wir verstehen Kultur aber auch in einem breiteren Sinne überall da, wo Menschen zusammenkommen
und reparative Praktiken entwickeln, um ihre Vergangenheit zu reparieren oder zu bearbeiten.
Das kann sowas wie religiöse, spirituelle Praktiken sein.
Es können therapeutische Ansätze sein. Es können alle möglichen Formen der Erinnerungspolitik sein.
Das ist das, wofür wir uns interessieren.
Wir sehen ja, dass in unserer Welt Reparationen überall nötig sind.
Alle Krisen, die im Moment auftauchen und die natürlich sehr eng miteinander zusammenhängen,
sind solche, wo repariert werden muss, weil sie aus Schäden der Vergangenheit im Grunde entstanden sind,
bei denen erst mal keine Zukunftsmöglichkeit besteht,
sondern nur durch eine Bearbeitung und Auseinandersetzung mit dieser Vergangenheit
eigentlich sowas wie ein Weiterleben für unsere Welt möglich sein kann.
Das bedeutet, dass wir uns mit Themen der Geschichte beschäftigen, mit Erfahrungen,
also nicht nur Weltkriege, Genozide, Kolonialismus, sondern auch individuelle Erfahrungen von Traumatisierung,
von Beschädigung, von Versehrung.
Und es geht immer auch um diesen ganzen Bereich Natur, Kultur.
Das heißt, überall da in der Umwelt sehen wir natürlich am allerdeutlichsten, wie groß die Schäden sind.
Und auch, und damit komme ich zum eigentlichen Thema, auch nicht reparabel sind.
Bestimmte Dinge lassen sich einfach nicht wiederherstellen.
Sie lassen sich nicht technologisch wiederherstellen, obwohl Technikreparation natürlich das ist,
woran wir als erstes denken. Und das ist ja sicher auch unbestritten, dass das ein ganz wichtiger Punkt ist.
Wir haben Reparationen in ökonomischer Hinsicht, in dem Geldzahlungen getätigt werden,
in juristischer Hinsicht, in dem man zu Reparationszahlungen beispielsweise verurteilt werden kann.
Das alles ist eminent wichtig. Und wir sehen aber, dass es Schäden gibt, in denen das nicht ausreicht.
In denen die Irreparabilität so groß ist, dass wir davon ausgehen müssen, dass wir andere Formen finden müssen,
um mit diesen Schäden umzugehen. Und das ist immer der Moment, wo wir sagen, bei all diesen Ereignissen
haben Menschen versucht, überall auf der Welt im Grunde kulturelle Praktiken zu erfinden, zu gestalten,
um mit diesen Schäden umzugehen. Das ist das, mit dem wir uns beschäftigen.
Und wir sehen das ja in der Völklinger Hütte, dass es so etwas gibt.
Die sind unglaublich divers, diese ganzen Positionen, die da zu sehen sind.
In allen verschiedenen Medien, aus den unterschiedlichsten Kulturräumen innerhalb Afrikas,
verschiedene Intentionen, verschiedene Thematiken. Aber es eint sie doch so etwas wie eine Erfahrung
des Kolonialismus, eine Verlustgeschichte, eine Geschichte der Traumatisierung,
aus der etwas Neues gewonnen werden muss. Und das ist eigentlich der Punkt, wo diese Werke auch ansetzen.
Und das ist das, was wir in unserem Kolleg über Monate weg diskutiert haben.
Verena Feldbausch: Und welche Projekte haben Sie jetzt in Zukunft noch vor?
Prof. Dr. Solte-Gresser: Also Kulturprojekte in so einer konkreten Hinsicht, wie das jetzt in der Zusammenarbeit mit der Hütte geschehen ist,
das ist eher die Ausnahme. Ich glaube, so etwas Großes werden wir auch nicht noch mal machen können.
Wir sind aber sehr, sehr dankbar für diese Plattform, dass es uns wirklich gelungen ist,
da etwas mitzugestalten und mitzubegleiten. Wir sind ja im Zentrum ein Forschungsinstitut.
Das heißt, was wir machen, ist diskutieren, lesen, Projekte einzelner Fellows verstehen.
Also die kommen alle mit eigenen Forschungsprojekten. Und darüber hinaus gibt es so etwas Gemeinsames,
wie Tagungen, Workshops. Wir machen gemeinsame Publikationen. Wir geben eine Zeitschrift gemeinsam heraus.
Wir haben einen Blog. Wir haben ein Glossar, das wir anlegen über Begriffe der Reparation,
weil es uns wichtig ist, da auf Differenzierungen zu setzen, auf Widersprüchliches, auf Uneindeutiges,
das wirklich mit viel Zeit und viel intellektuellem Aufwand bearbeitet werden muss.
Aber wir haben eben auch weitere Künstler*innen zu Gast. Eine Idee ist, mit dem Staatstheater,
mit dem saarländischen Staatstheater zusammenzuarbeiten. Wir haben noch sehr viel mehr Ideen,
die noch nicht so spruchreif sind. Aber das ist vielleicht das, was als nächstes ansteht,
weil Kossi Efoui, ein aus dem Togo stammender und in Frankreich lebender Schriftsteller,
der auch ein eigener Theaterregisseur ist, gerade bei uns zu Gast ist.
Und der schreibt im Moment viel Spannendes. Und da könnte man sich viele Formen der Zusammenarbeit vorstellen.
Verena Feldbausch: Und der ist auch hier für ein Jahr?
Prof. Dr. Solte-Gresser: Nein, der ist nicht für ein Jahr hier. Die Artists sind meistens kürzer da.
Also je nachdem, wie... Zineb Sedira ist ein echter Weltstar.
Das heißt, wir waren froh, sie überhaupt über einen längeren Zeitraum hier zu haben,
aber nicht ein ganzes Jahr. Die können einfach nicht raus aus ihren Kontexten.
Kossi Efoui war jetzt zwei Monate hier, kommt noch mal weitere zwei Monate
und kommt dann im Laufe des Jahres noch mal zurück. Die Fellows sind die, die ein ganzes Jahr hierher kommen,
die wirklich hierherziehen, die hier wohnen und jeden Tag bei uns sind.
Verena Feldbausch: Super. Also vielen, vielen Dank. Das war wirklich sehr interessant.
Möchten Sie noch irgendwas sagen, was im Zusammenhang auch mit der Ausstellung vielleicht wichtig ist?
Prof. Dr. Solte-Gresser: Also worüber wir jetzt nicht gesprochen haben, aber ist eben diese,
also die Bedeutung von Kultur und Kunst, sich unsere Welt zu erschließen,
mit einer ganz speziellen Perspektive eben auf die Welt und einem ganz speziellen Funktionieren.
Wie funktioniert eigentlich Kunst und was hat das mit Reparation zu tun?
Das ist das, was wir rausfinden wollen. Und das ist was, was man sehr gut erfahren kann in der Hütte.
Also die wahre Größe Afrikas ist ja eben nichts, was dargestellt wird, als auf einer intellektuellen Ebene,
indem uns was erklärt wird. Überhaupt wird es nicht dargestellt, sondern es wird inszeniert.
Und das heißt, das ist das, was wir faszinierend finden und was man sehr konkret und sehr sinnlich erfahren kann,
wenn man diese Ausstellung besucht. Und wir müssen alle noch öfter hingehen,
um noch mehr zu gucken und noch besser das Ganze zu verstehen.
Also wir werden noch mehrfach als ganze Gruppen da auch noch mal wieder eintauchen.
Aber dass man eben Dinge sinnlich erfährt, dass man sie hört, dass man sie sieht,
dass man sie sogar riechen kann, wenn es darum geht, dass es ein Werk gibt,
das aus Schokolade gestaltet ist, was natürlich sehr viel mit Rohstoffgewinnung,
Palmöl, einer Riesenproblematik im Kongo zu tun hat, das fanden wir schon ziemlich spektakulär.
Oder dass man reinkommt in die Ausstellung und man hört als allererstes mal was.
Bevor man etwas sieht, hört man ein afrikanisches Steigerlied,
was, finde ich, wirklich unter die Haut geht und ein sehr, sehr gelungenes Kunstwerk ist.
Verena Feldbausch: Absolut. Ja, herzlichen Dank, Frau Dr. Solte-Gresser, für Ihre Zeit und alles Gute für Sie.
Viel Erfolg für Ihre weiteren Vorhaben.
Prof. Dr. Solte-Gresser: Herzlichen Dank.
Verena Feldbausch: Nachdem ihr jetzt so viel darüber gehört habt, was es alles zu sehen gibt in "The True Size of Africa",
macht euch auf ins Weltkulturerbe Völklinger Hütte und erlebt die großartige Kunst dort. Es lohnt sich.
Unsere Podcasts in diesem Jahr wären so nicht möglich gewesen,
wären wir nicht gefördert worden vom Saarländischen Ministerium für Bildung und Kultur und von Saartoto.
An dieser Stelle ganz herzlichen Dank für Ihre wertvolle Unterstützung.
Das war es von uns für dieses Jahr. Ich freue mich jetzt schon auf die Podcasts im neuen Jahr.
Bis dahin, alles Gute, eure Verena Feldbausch.
Dir hat art talk gefallen? Dann hinterlasse 5 Sterne und empfehle uns deinen FreundInnen.
Mehr Infos zu dem Podcast findest du in den Show Notes und in unserem Blog.
Sei wieder dabei, wenn es heißt "Wir reden über Kunst" bei art talk, dem Kunstpodcast aus SaarLorLux.