Bei Anruf Wein – der Weinpodcast

Weinfreunde.de

Klone im Weinberg: bei Nik Weis in der Rebschule

20.08.2024 83 min

Zusammenfassung & Show Notes

Nik Weis steht dem gleichnamigen VDP-Weingut in Leiwen vor und ist zudem ein ausgewiesener Experte für alte Riesling-Klone von der Mosel. Bei einem Besuch vor Ort fragen Michael und Tobias nach, warum welche Reben für die Vermehrung taugen und wie das überhaupt geht und nehmen eine Lehrstunde in Niks Rebschule. Was er den beiden zu erzählen hat, und warum es statt Hausaufgaben sogar noch einen Riesling GG ins Glas gibt, verrät Folge 89 von „Bei Anruf Wein“.

>> WEINE VON NIK WEIS
>> WEINFREUNDE PODCAST HOMEPAGE

+++ UMFRAGE +++
Bitte nehmt hier an unserer kurzen Umfrage zum Bei Anruf Wein Podcast teil:
https://de.surveymonkey.com/r/LHPTYVC

+++ Bitte abonniert den Podcast und gebt eine Bewertung ab. Danke! +++



Produktion und Schnitt: Andreas Hagelüken

Transkript

Michael
00:00:02
Michael: Bei Anruf Wein. Der Weinfreunde-Podcast.
Tobias
00:00:10
Tobias: Ich grüße euch, liebe Weinfreunde. Mein Name ist Tobias. Willkommen Bei Anruf Wein. Für die heutige Folge sind Michael und ich an die Mosel gereist, um bei traumhaft schönem Wetter Nik Weis zu besuchen. Er ist mit seinem Weingut nicht nur erfolgreicher VDP-Winzer, sondern auch ein Spezialist für Rebvermehrung, Klone und alte Riesling Genetiken. Wer jetzt denkt, dass es heute sehr wissenschaftlich zugeht, liegt völlig falsch. Nik Weis erklärt uns alles en Detail, aber auf besonders anschauliche Art und Weise. Kommt also unbedingt mit in die Rebschule und lernt mit uns das ABC der Rebsorten und Rebstöcke. Vielleicht schafft ihr es anschließend ja sogar noch, den Bei Anruf Wein-Podcast zu bewerten und ihm auch zu folgen. Klasse! Also bleibt mal dran. Wir fangen direkt an! Ja, hier ist er, Nik Weis. Schön, dass wir hier sein dürfen an so einem sonnigen Tag an der Mosel.
Nik
00:01:06
Nik: Sehr gerne. Herzlich willkommen. Ist mir eine Freude.
Tobias
00:01:09
Tobias: Das Thema der Folge ist heute nicht das Porträt eines Anbaugebiets. Wir sind auch nicht wegen des Sommers im Weinberg hier, sondern wir sprechen heute über das Thema Rebschule und viele Themen, die damit verknüpft sind. Trotzdem sind wir hier bei Nik Weis bzw. Urbans-Hof, einem Weingut. Und zwar schon einem mit langer Tradition. Deswegen natürlich an dich erst mal die Frage oder die Bitte, uns etwas zu dem Weingut zu erzählen und wie du überhaupt dazu gekommen bist.
Nik
00:01:42
Nik: Ja, gerne. Das Weingut ist ein Familienweingut und wurde von meinem Großvater gegründet. Ich habe das Weingut von meinen Eltern übernommen und das Weingut wurde Ende der 40er-Jahre des 20. Jahrhunderts gegründet. Meine Familie betreibt schon sehr lange Weinbau in Leiwen, einem Weinort an der Mosel. Es geht schon viele Generationen. Bis zum Zweiten Weltkrieg war das so, dass wir ein kleines Weingut hatten, mit anderthalb, zwei Hektar vielleicht. Und die Leute damals waren ja nebenbei auch noch Landwirt und hatten sogar noch ein Handwerk dabei. Und dann hat sich doch so ein Spezialisierungsprozess dann nach dem Zweiten Weltkrieg, mit der Wirtschaftswunderzeit, mit dem Aufblühen der der Bundesrepublik Deutschland, hat sich dann breit gemacht. Erfreulicherweise kann man ja sagen. Und mein Großvater hat damals natürlich den Wunsch gehegt, das Weingut zu vergrößern. Er hat sein Handwerk ruhen gelassen, hat auch die Landwirtschaft aufgegeben zugunsten des Weinbaus, hat aber auch die enorme Nachfrage nach Rebpflanzen gesehen. Denn in der Zeit wurden viele Weinberge neu angelegt, das Weinbaugebiet wurde ausgedehnt. Und dann hat er eine Rebschule gegründet. Rebschule wie Baumschule, also eine Schule für kleine Reben, kleine Bäume. Und in einer Rebschule werden eben junge Reben produziert, mit denen dann Weinberge angepflanzt werden. Oder wenn irgendwo eine Rebe gestorben ist, die dann ersetzt werden muss, mit der dann nachgepflanzt wird. Und damit sind wir sehr erfolgreich geworden, aber auch mit dem Weingut. Die Rebschule hat uns auch erlaubt, dann die finanziellen Mittel zu erwirtschaften, um mehr Weinberge zu kaufen und das Weingut ist dadurch immer weiter gewachsen. Heute sind wir allerdings hauptsächlich ein Weingut, ein sehr qualitätsorientiertes Weingut mit Weinbergsbesitz in ganz hervorragenden Lagen, Spitzenlagen, VDP Großen Lagen, wir sind auch VDP Mitglied, sowohl an der Mosel als auch an der Saar. Da kann ich vielleicht nachher noch was dazu sagen. Und wir haben heute eine Größe von 50 Hektar. Das ist für ein privates ordentlich, für ein privates Familienweingut schon recht groß. Die Rebschule macht heute einen sehr kleinen Teil aus und man kann sagen, dass diese Rebschule, die es aber immer noch gibt, diese Rebpflanzenproduktion in erster Linie uns dazu dient, um eben die Weinqualität zu erzielen, die wir anstreben im Weingut. Aber wir produzieren diese Reben, die wir produzieren, nicht alleine nur für uns, sondern wir verkaufen die auch mittlerweile an, das hört sich jetzt sehr hochtrabend an, wenn ich sagen würde an ausgewählte Kunden, aber man kann durchaus sagen an sehr qualitätsorientierte Kollegen. So könnte man das sagen. Das Weingut spielt die Hauptrolle. Wir sind ein Weingut, aber wir haben eben die Rebschule dabei als besonderen Qualitätsfaktor noch dazu.
Michael
00:04:44
Michael: Und man muss vielleicht dazu sagen, ihr seid ein nahezu 100 % Riesling-Weingut. Gilt das auch für die Rebschule?
Nik
00:04:54
Nik: Ja, die Struktur in der Rebschule ist ähnlich. Die allergrößte Mehrzahl der Pflanzen, die wir produzieren, sind Rieslingreben. Wir haben ein ganz kleines bisschen auch Spätburgunder Ja, aber das allermeiste ist Riesling, wie es sich, man könnte sagen, für die Mosel gehört.
Tobias
00:05:09
Tobias: Ja, ja, das ist auf jeden Fall zu erwarten. Ich muss jetzt aber direkt mal nachfragen, weil ich die ganze Zeit schon irritiert bin, dass du sagst, Riesling oder Reben werden produziert. Also das ist ja jetzt nicht irgendwie so ein Handwerksstück, was jetzt irgendwie abgeschliffen und gefeilt und gemacht wird und danach noch eine Lackierung bekommt. Was meinst du denn damit, ihr produziert Reben?
Nik
00:05:33
Nik: Es ist im Grunde genommen schon eine Manufaktur, wo es aber auch um Wachsen und Gedeihen geht. Beides zusammen, könnte man sagen. Vor über 150 oder vor 200 Jahren hat man Reben nachgepflanzt, indem man einfach einen Steckling geschnitten hat, also einen Trieb von einer bereits bestehenden Rebe abgeschnitten hat oder mehrere Triebe, hat die in den Boden gesteckt und dann...
Tobias
00:05:58
Tobias: War Falsch herum dann, oder?
Nik
00:06:00
Nik: Ja, falsch rum will heißen, man hat sie so reingesteckt, dass ein Auge, also wo ein Trieb rauskommen kann, eine Knospe könnte man auch sagen, oben rausschaut und unten im Boden hat die Rebe Wurzeln geschlagen und oben aus dieser Knospe kam ein Trieb raus und so hat sich dann eine Rebe entwickelt. Und das war allerdings ab den 60er-, 70er-Jahren des 19. Jahrhunderts nicht mehr möglich. Ich will auch gerne erklären, warum. Denn zu dieser Zeit wurde der Nordamerikahandel, ja, der Schiffsverkehr zwischen Nordamerika und Europa, immer weiter ausgedehnt und es haben sich Krankheiten...
Michael
00:06:42
Michael: Blinde Passagiere.
Nik
00:06:43
Nik: ...übertragen. Blinde Passagiere. Sowohl europäische Krankheiten, die leider zum Beispiel auch in Amerika von Mensch zu Mensch übertragen worden sind, aber es haben sich auch tierische Krankheiten eingeschleppt, hin und her, aber auch pflanzliche. Also Schädlinge, die bisher in Europa unbekannt waren, bzw. umgekehrt dann europäische Schädlinge, die in Amerika unbekannt waren. Man hatte damals noch nicht, es gab noch kein Quarantäneprinzip oder dergleichen, Das heißt, man hat einfach wild hin und her transportiert auf den Segelschiffen, und die sind dann angelandet. Und so kam auch ein Insekt aus Amerika rüber nach Europa, die sogenannte Reblaus. Für viele hört sich das immer so putzig an die Reblaus. Ein kleines Insekt, was immer betrunken ist vom Wein.
Tobias
00:07:27
Tobias: Haben wir schon eine Podcastfolge übrigens drüber gemacht. Ein Thema, was uns auch immer mal wieder begleitet hier im Podcast.
Nik
00:07:34
Nik: Ja. Dann führe ich das nicht allzu weit aus. Aber die Reblaus hat eben sehr großen Schaden angerichtet in den 60er-, 70er- und 80er-Jahren des 19. Jahrhunderts. Und das war eine eine ganz schlimme Epidemie, das muss man einfach so sagen. Und viele Teile des europäischen Weinbaus sind zum Erliegen gekommen, weil eben die europäische Weinrebe Vitis vinifera, weil diese Rebe einfach sich nicht vor diesem Schädling schützen konnte. Und dann kam man irgendwann darauf, dass in Nordamerika auch Reben wachsen, wilde Reben. Und die werden ja nicht befallen von der Reblaus, die ja daherkommt. Und dann hat man aber auch aus dem Obstbau schon die Methode gekannt, ein Teil von einem Baum auf einen anderen zu pfropfen, der dann weiter wächst. Und so kann man ja beispielsweise einen Zweig von einem Pflaumenbaum abschneiden und pfropft den auf einen Mirabellenbaum. Und dann hat man einen Mirabellenbaum mit einem Ast, wo Pflaumen dran wachsen. Ja, und dann hat man sich überlegt, vielleicht kann man das ja auch bei Reben machen und dann hat man tatsächlich diese amerikanischen Reben genommen, die praktisch das Bodenstück darstellt und hat dann darauf das europäische Weinreben, Edelreis, so nennt man das, also ein Stück mit einer Knospe, mit einem Auge, dann da draufgepfropft. Und das hat tatsächlich funktioniert.
Michael
00:08:58
Michael: Weil die Reblaus vorwiegend die Wurzeln anfällt, sozusagen. Das ist das große Problem.
Nik
00:09:03
Nik: So ist es. Die Reblaus, es gibt zwar zwei Kreisläufe, den sogenannten oberirdischen als auch den unterirdischen Kreislauf. Aber der relevante ist der unterirdische, bei dem die Reblaus eben mit einem Stachel die Wurzeln ansticht. Und dann entstehen Geschwüre. Dann wird die Wurzel sozusagen abgequetscht oder der Saftfluss abgebunden und dann stirbt die Rebe ab. Es ist ein mannigfaltiger Prozess, der der Rebe da Schaden zufügt. Aber nur, um das mal ganz simpel zu erklären. Und das hat eben funktioniert und man hat das dann vorangetrieben. Man war, diese Epidemie war so schrecklich, dass die Regierungen der europäischen Nationen sich entschieden haben, das zur Chefsache zu erklären, und haben das in staatliche Hand genommen. Und so wurden dann die bisher schon existierenden Institute, wie zum Beispiel Obstbaumzuchtanstalten wie seinerzeit Geisenheim, die Königlich Preußische Pomologie an der Pomologen-Anstalt für den Apfelanbau vorgesehen. Die wurde dann erweitert und man hat dann dort auch die Rebenzüchtung, aber auch Rebenproduktion vorgenommen. Aber auch in vielen anderen solchen Institutionen, in anderen Ländern und in verschiedenen Weinbaugebieten. Und das hat sich dann sehr stark entwickelt, auch durch das 20. Jahrhundert hindurch. Und so sind im Grunde genommen auch einige nicht nur Institutionen im Sinne der Forschung, sondern auch im Sinne der Bildung entstanden, also Lehranstalten, Universitäten wie beispielsweise Geisenheim oder Neustadt hier bei uns in Deutschland. Und bis Mitte des 20. Jahrhunderts war es so, dass das alles rein in staatlicher Hand war und ein Winzer, der Reben brauchte, musste praktisch zu solch einer staatlichen Rebzuchtanstalt gehen und da die Reben kaufen.
Tobias
00:10:52
Tobias: Was schlecht für die schon existierenden Rebschulen dann war.
Michael
00:10:55
Michael: Die gab es nicht.
Tobias
00:10:56
Tobias: Es gab keine?
Nik
00:10:57
Nik: Es gab keine privaten Rebschule. Es war alles in staatlicher Hand. Und dann war dann ja, man könnte sagen, nach dem Zweiten Weltkrieg wurde es dann auch in Deutschland für private Unternehmer erlaubt, Reben zu produzieren. Und mein Großvater war einer der Ersten oder der Erste in Rheinland Pfalz, der da die Gelegenheit am Schopf gepackt hat und eine Rebschule gegründet hat. Das ist ein sehr komplexes Thema, denn man kann ja da sehr viele Dinge so oder so machen. Einmal hat man ja diese amerikanische Rebe, da wurde Züchtungsarbeit betrieben, diese Unterlagsrebe, wie man dazu sagt, die Reblaus-resistent oder zumindest tolerant ist, die die Wurzeln trägt. Genau, also wo die Wurzeln rauskommen. Da hat man Züchtungsarbeit betrieben. Dennoch ist im Grunde genommen die Anzahl der heutigen gängigen Unterlagsrebsorten relativ gering. Da sprechen wir jetzt von 15, 20 verschiedenen, die es da gibt oder die gängig sind. Gibt natürlich noch mehr. Und man hat allerdings auch bei der Gelegenheit auch die Züchtung der wein- oder traubentragenden Reben weiter fortgeführt. Zum einen die sogenannte Erhaltungszüchtung, wo einfach eine Rebsorte weiter gezüchtet wird, aber auch die Kreuzungszüchtung, bei der neue Rebsorten entstehen.
Michael
00:12:16
Michael: Müller-Thurgau, Rivaner quasi, wäre ja so ein Beispiel dafür, ne?
Nik
00:12:19
Nik: Richtig, so ist es. So ist es.
Tobias
00:12:21
Tobias: Aber was heißt das jetzt konkret? Also dass ich jetzt irgendwie unterschiedliche Rebsorten habe, ist klar, dass ich die auch wiederum untereinander kreuzen kann und es entstehen neue Rebsorten, das kann ich mir auch noch vorstellen. Aber was bedeutet jetzt, sage ich mal, an einer Rieslingrebe noch Verbesserungen durchzuführen oder sie irgendwie weiterzuentwickeln? Also zum einen, was ist dann beispielsweise das Ziel? Sprechen wir da über Ertrag oder warum macht man sich überhaupt den Kopf und wie funktioniert dann die Umsetzung?
Nik
00:12:52
Nik: Also es ist so, dass es zwei Arten gibt, Reben zu vermehren oder generell bei den meisten Pflanzen es zwei Arten gibt, sie zu vermehren. Es gibt einmal die Möglichkeit, einen Ableger zu schneiden, also nehmen wir beispielsweise eine Zimmerpflanze, wie so ein Christ, so ein Christstern oder wie man die nennt. Christrosen, Christstern. Da geht das recht einfach. Man bricht einen Ast ab, steckt ihn in einen Topf mit Erde, bewässert den regelmäßig und dann wächst da weiter, wächst und gedeiht ein weiterer Christstern. Und da wird dann irgendwann so groß wie die Mutterpflanze und ist auch...
Tobias
00:13:25
Tobias: Das würde ich auch noch hinkriegen, glaube ich.
Nik
00:13:26
Nik: Ja, das ist nicht so schwer. Und da hat man dann tatsächlich dann eine zweite Pflanze, die genetisch identisch ist mit dieser Mutterpflanze, wo der Zweig abgebrochen wurde. Das ist ein sogenannter Klon. Ja, bei Klon kommt den meisten Leuten immer was Negatives in den Sinn. Die denken dann an Klonschaf Dolly, an ein sehr kontroverses Thema, verständlicherweise. So sehe ich das auch. Bei Pflanzen ist das was völlig anderes.
Tobias
00:13:51
Tobias: Ich denke an Star Wars und die Klonkriege. Aber gut, ja.
Michael
00:13:55
Michael: Ja, die sind ja auch alle gleich. Deshalb heißen sie ja so.
Nik
00:13:59
Nik: Ja, ja. Und trotzdem sind sie alle noch mal in ihrem Charakter individuell. Ich finde, das hat dann der Erzähler schon sehr gut auch zum Nachdenken mit reingebracht. Sie sehen alle gleich aus, haben aber unterschiedliche Namen und haben auch unterschiedliche Charaktere. Das finde ich ganz interessant. Das ist also die Art und Weise, wie man eine Pflanze in der Regel vermehrt, sagen wir mal im landwirtschaftlichen Bereich. Eine Rebpflanze oder auch meinetwegen ein Baum. Diese Art der Vermehrung nennt man vegetative Vermehrung, weil man einfach aus der Vegetation von einer bestehenden Pflanze einen Teil nimmt und zieht daraus eine neue Pflanze auf, die, wie gesagt, dann genetisch identisch sind, weil da hat sich ja nichts dran verändert. Da sind ja nicht die Genetik von Vater und Mutter, also von der Vorgängergeneration zusammengekommen und es ist was Gemischtes entstanden, sondern es ist immer noch identisch. Die zweite Art und Weise wäre, man nimmt den Kern von einer Traube, einen der Kerne oder nimmt eine Frucht, einen Pfirsichkern. Wenn man den in die Erde setzt, dann hat man, wenn da eine Pflanze draus wächst, eine neue Pflanze. Die ist genetisch nicht identisch mit der Mutterpflanze und kann sogar ganz, ganz anders sein. Also man kann nicht sagen, ich nehme eine Riesling-Traube, nehme mir da einen Kern raus, setzt den in die Erde und das ist dann auch wieder ein Riesling. Auch, wenn Vater und Mutter, also die Vorgängergeneration, auch Riesling waren. Da greift dann das Gesetz von Gregor Mendel, das Gesetz der Neukombination der Gene, wo dann einfach zwei verschiedene Erbanlagen zusammenkommen und daraus etwas Neues entsteht.
Michael
00:15:40
Michael: Das kann ja aber auch gut sein, ne? Also gerade, wenn wir ein Leben denken, gibt es ja viele gute Rebsorten, die wir dieser Art erstmal verdanken.
Nik
00:15:47
Nik: Richtig, das ist das Grundprinzip der sogenannten Kreuzungszüchtung, mit deren Hilfe man neue Reben, neue Rebsorten züchtet. Was in der Vergangenheit sehr erfolgreich getan wurde, nehmen wir beispielsweise den Müller-Thurgau, der eben angesprochen wurde. Der Müller-Thurgau ist benannt nach einem Professor, der in Geisenheim gelehrt hat und geforscht hat. Professor Dr. Hermann Müller aus dem Schweizer Kanton Thurgau. Und da hieß es über lange Jahre, die Rebsorte ist schon über 150 Jahre alt, also das ist eine der ersten Neuzüchtungen, die es gibt. Aber da hieß es am Anfang immer, dass wäre eine Kreuzung aus Riesling und Silvaner zzwei urdeutsche Rebsorten. Man hat dann später, als man in der Lage war, den Gencode dieser Kreuzung zu identifizieren, festgestellt, dass es eine Kreuzung aus Riesling und Chasselas, oder auf Deutsch Gutedel, ist, was ja auch viel näher liegt, denn er kam ja aus der Schweiz. Pflanzenzüchter aus der Schweiz und die Rebsorte Chasselas ist dort weitverbreitet und liegt ja nahe, dass er dann wahrscheinlich eher aus seiner Heimat oder aus seinem Heimatland Reben mit in den Rheingau gebracht hat, nach Geisenheim und die dann mit der dort ansässigen Hauptrebsorte Riesling dann gekreuzt hat. Und dennoch hat sich dann aber aufgrund der Annahme, es war die anfänglichen Annahme, es Riesling und mit Müller Thurgau, ah, Riesling mit Silvaner gekreuzt wurde, hat sich dann der Name Rivaner auch durchgesetzt. Aber tatsächlich mit Silvaner.
Tobias
00:17:23
Tobias: Einfach falsch.
Nik
00:17:24
Nik: Ja, der hat das gemacht. Der hat dann, man muss sich wirklich vorstellen, man tupft einfach zwei Rebblüten von zwei verschiedenen Rebsorten zusammen und dann entstehen Trauben. Also die Blüten werden befruchtet, daraus entsteht eine Frucht, entstehen Trauben. Man entnimmt die Kerne der Traube und setzt die ein in ein, sagen wir mal, Substrat oder meinetwegen in Pflanzenerde, wo immer das am besten wächst, und dann wächst da eine neue Rebe draus. Und das ist eben eine ganz, ganz neue Rebsorte.
Michael
00:17:55
Michael: Und die wachsen ja auch nicht alle gleich gut, obwohl die auf die selbe Art und Weise erstellt worden sind. Ich denke da an die Scheurebe und den berühmten Sämling, ich habe die Nummer leider vergessen, der es dann geschafft hat zu überleben und zur neuen Rebsorte wurde.
Tobias
00:18:08
Tobias: Aber jetzt noch mal zu diesem Thema Befruchten. Also jede Rebe muss ja, damit sie überhaupt Früchte dann ausbilden kann, befruchtet, bestäubt werden. Und wie ist jetzt noch mal, das muss ich jetzt noch mal genauer nachfragen, wie ist jetzt dieser Prozess, wenn es sich da um zwei Blüten von unterschiedlichen Rebsorten handelt? Du hast da gerade einen Fachbegriff, betupft?
Nik
00:18:35
Nik: Das ist eigentlich kein Fachbegriff, sondern man muss sich vorstellen, es ist so, dass in der Natur läuft das so ab, dass das Bestäuben oder das Befruchten von einer Blüte, das wird einmal durch Bienen vorgenommen, durch Insekten, die eben dann von Blüte zu Blüte fliegen und dann diese Pollen übertragen von der einen Blüte zur anderen. Aber teilweise können auch beispielsweise durch den Wind Pollen dahingeweht werden. Also da gibt es verschiedene Möglichkeiten. Und bei dieser Kreuzungszüchtung muss man dann natürlich, wenn man zwei spezifische Rebsorten miteinander kreuzen will, erst mal darauf achten, dass vorher nicht die Blüten von einer anderen Rebe, die vielleicht auch in der Nähe ist, bestäubt werden. Das heißt, man muss dann irgendwas drüber machen. Und dann kann man tatsächlich hingehen und kann die gegeneinander tupfen, einfach so, wie wenn man tupfen, also zwei Wattebäuschchen zusammen. So macht man das und dann befruchten die sich gegenseitig. Und das Ganze ist natürlich sehr aufwendig und eine Menge Arbeit, wenn man eine neue Rebsorte züchten will, also Kreuzungszüchtung betreiben will. Denn man hat dann so viele verschiedene Kombinationen, so viele Kerne, die man aussäen kann und daraus entstehen neue Pflanzen. Und dann muss man erst mal sehen, was könnte da was von sein? Schmecken die Trauben? Wie schmeckt dann nachher der Wein, der daraus gemacht wird? Das heißt, es wird auch sehr viel Versuchsaufbau betrieben. Das wurde in verschiedenen Instituten in Deutschland, Europa und in der Welt in großem Umfang betrieben und sind auch daraus sehr viele, auch sehr gute, neue Rebsorten entstanden. Heute steht beispielsweise auch eine ganz andere Richtung im Fokus, zum Beispiel die Kreuzung von Rebsorten, die pilzresistent sind, die sogenannten PIWI Sorten, Pilz-widerstandsfähige Rebsorten, wo man kaum oder gar keinen Pflanzenschutz betreiben muss, weil sie von zum Beispiel Pilzkrankheiten nicht befallen werden.
Tobias
00:20:24
Tobias: Hat Bei Anruf Wein auch schon eine Folge drüber gemacht, muss ich an der Stelle mal wieder loswerden, aber das spare ich mir jetzt, sonst wird das immer zu viel. Ja, ja, genau. Das ist auf jeden Fall sehr, sehr interessant. Ich muss nur kurz noch mal auf dieses Tupfen zurückkommen. Also das heißt, da geht es dann um die Bestäubung. Dann muss man aber darauf warten, dass Frucht ausgebildet wird, und dann kann man eigentlich erst mit den Kernen weitermachen. Also das ist ja dann wirklich auch ein langwieriger Prozess.
Nik
00:20:50
Nik: Im Weinbau ist alles langwierig, im Weinbau dauert alles lange und auch in der weinbaulichen Forschung, das sind generationenübergreifende Projekte.
Tobias
00:20:58
Tobias: Wahnsinn!
Michael
00:20:58
Michael: Du musst ja auch warten, bis dann diese Pflanze so alt ist, dass sie selber dann wieder Trauben ausbildet. Und wir wissen, dass die jüngsten Reben, bringen nicht die besten Trauben hervor. Das heißt, da ist eine große Zeitvorlauf notwendig, bis das dann ernst wird.
Tobias
00:21:14
Tobias: Ja. Und jetzt haben wir ja schon über über den Begriff Klone gesprochen. Das will ich auch gleich ganz gerne noch mal vertiefen. Ich würde das nur ganz gerne noch vorher von einem anderen Begriff, den man auch häufig hört, abgrenzen. Man spricht ja häufig auch von Mutation. Also wir wissen ja beispielsweise, dass der Pinot Noir, der Spätburgunder eine Mutation des Grauburgunders, des Pinot Gris ist, obwohl das eine eine weiße Rebsorte ist, das andere eine rote. Erkläre uns doch vielleicht mal kurz, was ist das denn dann wiederum? Weil dann entstehen ja irgendwie ganz zufällig neue Rebsorten als Mutation. Was heißt das?
Nik
00:21:51
Nik: Ja, Mutation ist etwas, was in der Natur, in der Evolution dazu geführt hat, dass überhaupt neue oder andere Arten, Rassen etc. entstanden sind. Mutation ist auch notwendig, damit in der Entwicklung von Lebewesen sich an äußere Veränderungen angepasst werden kann. Klimatische Veränderungen beispielsweise oder Standortveränderungen, je nachdem. Und Mutation bedeutet, dass sich die Erbanlage, der Gencode eines Organismus, eines Lebewesens verändert. Dieser genetische Code, dieses Programm, was man braucht, um eben das Leben zu schreiben, zu steuern, die Entwicklung davon vorzugeben, zu planen und auszuführen und zu steuern. Dieser Gencode, der befindet sich in den Chromosomen, die sich wiederum in den Zellkernen befinden, in unseren Zellen, aus denen Lebewesen bestehen, aus denen organische Materie besteht. Letzten Endes sind wir Menschen, sind Tiere, sind Pflanzen ja auch organische Materie. Und dieser Gencode besteht im Grunde genommen aus sehr, sehr langen Molekülen, die zusammengefügt sind. Moleküle bestehen aus Atomen und sehr komplexe Moleküle. Und diese Moleküle können verändert werden, ausgetauscht werden zum Beispiel. Das ist in der Natur oft dadurch entstanden, dass entweder beim Kopieren und Reproduzieren dieses Programmes mal ein Kopiefehler entstanden ist und dadurch ist das dann entstanden. Kann allerdings auch passieren, dass durch äußere Einflüsse, beispielsweise durch UV-Licht ein Molekül rausfliegt und dafür ein anderes reinkommt. Ich schreibe das mal so ein bisschen salopp. Und dadurch verändert sich dann dieses Programm, welches dann natürlich auch wieder zu einer veränderten Entwicklung des Organismus oder des Lebewesens führt, oder Teile davon. Und es gibt bei den Reben Rebsorten, die neigen recht stark zu dieser Mutation, zu dieser Veränderung. Es gibt welche, deren, man könnte sagen, deren Genplan ist etwas stabiler, das Schreibprogramm, das Molekülgefüge hält besser zusammen, könnte man sagen. Und da gibt es einfach weniger Mutationen. Die Burgunder-Sorten, die Pinot-Sorten gehören zu denen, die sehr schnell und sehr gerne. ..
Tobias
00:24:35
Tobias: Die sind wackelig, ja.
Nik
00:24:36
Nik: Deswegen gibt es auch so viele davon. Also es geht nicht nur alleine beim Pinot den Pinot Blanc, Weißburgunder, Pinot Gris, den Grauburgunder, Pinot Noir, den Spätburgunder. Es gibt dann darüber hinaus den Chardonnay, der damit verwandt ist. Auxerrois ist so eine Rebsorte. Und dann gibt es auch noch mal Spin-offs, auf Neudeutsch gesagt, Spielarten, die dann davon abzuleiten sind. Diese Veränderungen, die entstehen im Weinberg bei bestehenden Pflanzen. Und ich habe eben erklärt, bei der Reproduktion von Pflanzen im Agrarbereich, im landwirtschaftlichen Bereich, das ist, da betreibt man ja dann, um sagen wir mal, ausreichend Pflanzen zu produzieren, um einen neuen Weinberg zu pflanzen, nicht diese Kreuzungszüchtung, wo man also Samen nimmt, Kerne, Traubenkerne, die man einpflanzt, sondern hier werden ja Stecklinge geschnitten, das ist die vegetative Vermehrung. Bei dieser Kreuzungszüchtung, wo man Kerne einpflanzt, das nennt man die generative Vermehrung, weil da entsteht eine neue Generation. Hier ist es so, vegetativ heißt aus dem Leben, aus dem Wachstum heraus schneidet man die und wenn man diesen Vorgang der Rebenerzeugung durch Schneiden von Stecklingen sich anschaut, da stellt sich ja direkt die Frage, von welchem Weinberg, von welcher Rebe nehme ich das denn überhaupt? Mache ich das so wahllos, oder? Und nein, das macht man nicht wahllos, denn man hat ja auch einen gewissen Wunsch, ein gewisses Ziel. Oder der Winzer, der das pflanzt, hat ein gewisses Ziel. Der eine sagt, ich möchte viel Ertrag. Der andere sag, ich möchte wenig Ertrag. Jemand sagt, ich möchte gerne, dass mein Wein etwas mehr Säure hat. Der andere sagt, ich hätte aber gerne mehr Zuckergehalt in der Traube. Noch einer sagt, ich hätte gerne besonders aromatische Trauben usw. Und dann gibt es ja viele Wünsche, die dann zu Zielen werden, die man verfolgt bei dieser sogenannten Erhaltungszüchtung. Erhaltungszüchtung, man erhält eine Rebsorte und produziert von dieser Rebsorte Pflanzen zum Neupflanzen einer Anlage oder Nachpflanzen von Reben. Da geht man dann eben hin und sucht sich, auch hier sage ich es ganz salopp, die schönste Rebe raus. Und dann fängt man an, dann schneidet man davon Stecklinge, die man auspflanzt. Dann hat man, nehmen wir mal an, man hat zehn Stecklinge, dann hat man dann zehn Reben, die alle untereinander genetisch identisch sind und genetisch mit der Mutterpflanze identisch sind. Und wenn die dann auch wieder Triebe hervorbringen, kann man davon wieder Stecklinge schneiden. Da hat man dann schon zum Beispiel dann noch mal zehn pro Rebe, da hat man schon mal 100. Und so weiter und so fort. Und das kann man dann im Grunde genommen unendlich weit betreiben. Man kann dann Tausende und Millionen von Reben, die alle genetisch identisch sind, produzieren, die alle diesem Ziel folgen. Es geht aber dann noch weiter. In der Rebenzüchtung pflanzt man dann diese Reben aus und man geht dann durch diese Anlage durch und sucht dann noch mal mit diesem Ziel, was man hat, zum Beispiel Ertragsstabilität oder auch, natürlich ganz wichtig, Gesundheit. Das ist eine ganz große, also der Pflanzengesundheitsstatus, der phytosanitäre Status spielt eine ganz große Rolle. Und dann sucht man sich die raus, die besten und pflanzt die dann wiederum weiter. Das, so wird dann immer wieder von dieser Rebsorte das Ganze weiter nach vorne getrieben.
Michael
00:27:53
Michael: Aber ist ja, eigentlich müsste es doch immer noch derselbe genetische Satz an Information sein, der vorliegt. Und trotzdem zeigen sich äußerlich andere, wie heißt das an Phänotypen, oder?
Nik
00:28:04
Nik: Phänotypen, genau.
Michael
00:28:05
Michael: Wie passiert das?
Nik
00:28:07
Nik: Das ist die Mutation. Das ist das, was man damit erklären kann, dass eben bei solch einer bestehenden Rebe, die in einem Weinberg steht, von der auch Ableger, sogenannte Edelreiser geschnitten werden, zur Reben Pflanzgutproduktion, dass da einfach während der Vegetationszeit etwas passiert, also dass da zum Beispiel auch eine kleine Veränderung hervortritt. Das kann ganz minimal sein, aber über die Zeit merkt man das, verändert sich das. Wir haben ja bei uns Menschen auch bei der Nacherzeugung von den Zellen immer wieder einen kleinen Kopierfehler. Dadurch werden wir ja alt. Der Grund, warum wir mit 80 Jahren anders aussehen als mit 18 Jahren, liegt darin, dass wir uns ja immer wieder erneuern. Unser Körper erneuert die Zellen. Ich glaube, man sagt, alle sieben Jahre hat man nichts mehr an sich oder ist man ein ganz neuer Mensch, rein von der Masse her, von der Materie her. Und die Zellen werden immer regeneriert. Und bei dieser Regeneration, wie gesagt, das ist, wie wenn man ein Blatt mal kopiert hat und kopiert es dann noch mal, ein Blatt Papier oder ein Foto oder ein Bild, und kopiert es 10, 20 mal, dann wird das immer verschwommener und es passieren immer mehr, kommen immer mehr kleine Unebenheiten rein. Das ist das Altern. Und so ist das im Grunde genommen auch bei Rebpflanzen. Und daraus können aber dann wiederum Veränderungen entstehen, die positiv sind, die man sagt, die hätte ich gerne, die Veränderung und das werde ich dann bewahren. Und da in die Richtung geht dann die Erhaltungszüchtung, wo man dann sagt, da züchte ich darauf hin, das kann so krass sein, das dauert allerdings viele Jahre oder Jahrzehnte oder Jahrhunderte, dass dann auch eine neue Rebsorte daraus entsteht. So wie zum Beispiel bei den Pinot verschiedenen Pinot-Sorten.
Tobias
00:29:58
Tobias: Das ist dann sozusagen so eine natürliche Mutation und bei der Rebzucht wird das sozusagen dann aktiv, sozusagen gefördert nach den Anforderungen oder den Wünschen der Winzer, die sagen, ich will irgendwie mehr Säure, mehr Aromatik. Das, was du gerade auch schon sagtest.
Nik
00:30:16
Nik: Der Mensch unterstützt das. Das ist ja letzten Endes auch das Wesen der Kultur. Ich meine, der Weinbau ist eine Kultur, die Viti-Kultur, und Kultur besteht auf starker Weise daraus, dass der Mensch und die Natur irgendwo auch zusammenarbeiten und Dinge hervorbringen, die die Natur selber nicht alleine in der Lage wäre, aber auch der Mensch alleine nicht in der Lage wäre. Also nehmen wir beispielsweise die Musik. Man kann durch den Wald gehen und da pfeift der Wind durch ein Astloch, da entsteht ein Ton. Der kann sehr schön sein, der Ton, aber es ist noch keine Musik. Erst wenn der Mensch in den Wald geht und schneidet den perfekten Baum, lässt das Holz reifen, schneidet daraus Bretter und baut daraus eine tolle Violine, dann kann er darauf Musik machen, ein tolles Lied spielen und die Natur hätte die Violine nicht alleine bauen können und kann sie auch nicht alleine spielen. Aber der Mensch kann ohne das Holz und ohne die Natur diese Violine auch nicht bauen. Aber in Kombination macht man was tolles, was Großes. Das passiert auch bei der Weinerzeugung oder generell in der Landwirtschaft. Und das sollte man sich auch als Winzer, finde ich, immer wieder vor Augen führen, dass man mit der Natur arbeitet und nicht gegen sie und dass man gemeinsam mit der Natur das möglichst Beste schaffen sollte. Und wenn man diese Formel verinnerlicht hat, dann ergeben sich auch viele Dinge von ganz alleine. Also auch Arbeitsweisen, wie man arbeiten soll. Die Weinerzeugung besteht aus hunderten von kleinen Schritten, von Weichen, die man so oder so stellen kann, von Gabelung, die man links oder rechts gehen kann, Dinge, die man anders machen kann. Und man muss ein Ziel vor Augen haben und wissen, wie man dieses Ziel erreicht. Und da ist das, glaube ich, eine gute Grundlage für.
Michael
00:32:03
Michael: Ich habe jetzt mal so eine ganz pragmatische Frage. Als dein Großvater angefangen hat, 1947, glaube ich, damit: Wie viele unterschiedliche Klone hat er denn gehabt? Also mit welchem Basissatz hat er denn angefangen? Weil du hast gesagt, es gab großen Bedarf, da reichen die 10 aus deinem Beispiel ja sicherlich nicht aus, die ich geschnitten habe irgendwo.
Nik
00:32:23
Nik: Also es ist so, es gab großen Bedarf erst mal nach Nachreben zum Nachpflanzen. Das heißt, es mussten viele Reben produziert werden. Zu der Zeit war das so, ich will nicht sagen, es war völlig egal, was für ein Klon das war, aber die Leute haben verzweifelt nach Reben gesucht. Die Leute brauchten Reben, um die Weinberge nachzupflanzen oder neue Weinberge anzulegen. Aber man wollte natürlich auch gutes Pflanzenmaterial haben. Und der Staat macht natürlich auch Vorgaben. Wir haben in Deutschland eine hervorragende Gesetzgebung, was Pflanzenzucht, Pflanzenproduktion angeht. Wir haben ein sogenanntes Saatgutverkehrsgesetz, welches befolgt werden muss. Und zu dieser Zeit gab es schon einige Klone, muss man sagen. Wenn ich sage einige, ich weiß es selber nicht, wie viel es damals gab, das müsste ich mal nachschauen. Aber es wurden auch ständig neue gezüchtet. Und ein Rebenveredler, ein Erhaltungszüchter, wie man sagt, der was auf sich hält, der hat dann natürlich auch seinen eigenen Klon gezüchtet. Und mein Großvater hat das getan, mein Vater auch, der die Rebschule sehr erfolgreich weitergeführt hat. Und im Grunde genommen zur Höchstgröße gebracht hat, seinerzeit in den 80er-Jahren. Und die haben drei Klone gezüchtet, mein Großvater und mein Vater, die tragen den Namen, den simplen Namen, Technische Namen, Weis 1, Weis 17 und Weis 21.
Michael
00:33:46
Michael: Das ist immer so schön bei dieser Arbeit, ja.
Nik
00:33:49
Nik: Es gibt alleine vom Riesling eine große Bandbreite an Klonen. Viele sind natürlich von den berühmten Rebzuchtanstalten Geisenheim, Neustadt, Geilweilerhof in Siebeldingen gezüchtet worden, aber auch in anderen Ländern. Im Elsass beispielsweise, dort wird ja auch Riesling angebaut, oder in Österreich.
Michael
00:34:15
Michael: Der passt dann auch hier an die Mosel. Da gibt es keine Unterschiede? Also ich kann jetzt ins Rheingau fahren, schneide was ab und bringe es an die Mosel. Und das wird hier auch?
Nik
00:34:23
Nik: Also das wächst hier natürlich auch. Und da kann man natürlich auch einen prima Wein draus machen. Aber das ist eine Philosophiesache, da kann man sich auch drüber streiten. Also es kann sein, dass...
Michael
00:34:29
Michael: Da müssen wir gleich noch mal drüber reden.
Nik
00:34:30
Nik: Es kann sein, dass ein Moselwinzer sagt, ich würde hier keinen Elsässer Klon pflanzen, das wäre nachvollziehbar. Oder dass ein Elsässer sagt, was will ich bei uns mit einem Mosel Klon? Andere sagen vielleicht, och, ich finde das eigentlich nicht schlecht, auch das mal zu haben. Und was ich sage, ich als Nik Weis vom Weingut Nik Weis, der irgendwann mal die Rebschule übernommen hat, aber noch wichtiger, das Weingut übernommen hat, ich sage, dass generell ein einziger Klon zur Erzeugung von sehr guter Qualität gar nicht ausreicht. Warum? Warum ist das so? Es ist so, gehen wir noch mal zurück in der Zeit vor der Reblaus. Sagen wir mal vor 200 Jahren. Da hat dann ein Winzer, wenn irgendwo eine Rebe gefehlt hat, dann hat er da ein paar Stecklinge geschnitten von einer Rebe, die ihm besonders gut gefallen hat, wo er wusste, da schmecken die Trauben besonders gut, besonders süß, die ist immer gesund, der Ertrag ist ordentlich. Von der hat er sogenannte Edelreiser geschnitten, hat die in den Boden gesteckt und dann sind die gewachsen und so ist eine neue Rebe dann entstanden. Das war natürlich der erste Schritt zu einem Klon und das ist natürlich ein Klon. Aber er hat dann nicht nur von dieser einen Rebe geschnitten, sondern er hat auch verschiedene Reben, wo er hingegangen ist, die ihm gut gefallen hat in dieser Parzelle oder auch vielleicht in anderen Parzellen, die ein paar 100 Meter weg lagen ,und hat da das Holz geschnitten, hat es dann in einer anderen Parzelle reingesetzt. Und dadurch ist eine Variation entstanden. Diese Reben sind alle.
Michael
00:35:58
Michael: Ein Gemischter-Klon-Satz, sozusagen.
Nik
00:36:00
Nik: Ein Gemischter-Klon-Satz. Das sind diese Reben, die dann in der Parzelle wuchsen, sind zum einen natürlich dann alle auch von derselben Rebsorte gewesen, wenn der Winzer darauf Wert gelegt hat, reinsortig zu arbeiten. Aber es gab trotzdem kleine Unterschiede. Einmal natürlich wegen des Alters. Da wachsen dann sehr alte Reben, es wachsen aber auch ganz junge Reben und alles Mögliche dazwischen von der Altersstufe her. Aber es ist auch so, dass es ja kleine Unterschiede gibt, zum Beispiel durch Mutationen. Also nur leichte Unterschiede, ganz wenige Mutationen entstanden sind, weil einfach Reben sich, alle Organismen sich über die Zeit verändern, über die Generation, über, die Jahre und dann hat man eine Anlage, wo alles Riesling ist, aber mit leichten Unterschieden. Da schmecken bei der einen Traube oder einen Rebe die Trauben etwas süßer, bei der anderen etwas weniger süß, dafür hat die mehr Säure oder hat ein anderes Aroma, hat vielleicht ein bisschen mehr Gelbfrucht-Aroma, die Trauben von der anderen Rebe hat ein bisschen mehr grüne Noten. Grüner Apfel oder grüner Kiwi Charakteristik. Irgendwas, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Aber wenn man dann am Ende von diesen vielen verschiedenen Rieslingreben die Trauben alle in die Kelter bringt und dann dieses Potpourri kreiert, dann kommen diese vielen, vielen Unterschiede dieser Aromen zusammen und dadurch entsteht ein sozusagen mehr als die Summe seiner Teile, ein großes Ganzes, ein größeres Ganzes, etwas Komplexes mit sehr vielen Nuancen, sowohl in der Struktur, also im Mundgefühl, in der Haptik, auf der Zunge als auch in der Aromatik, also was man schmecken und riechen kann. Es entstehen viel, viel feinere, komplexere, detailliertere, hochauflösende würde man bei einem Computerbildschirm sagen, hochauflösende Aromastrukturen. Anders ist das bei Klonen. Wenn ich jetzt ein neues Feld hier vor mir habe, was ich pflanzen will, sagen wir mal, man pflanzt einen Hektar Weinbergsfläche neu, und man pflanzt dann da 5.000 Reben beispielsweise drauf und ich kaufe mir in einer Rebschule Klonenmaterial, dann bekomme ich mit Sicherheit Reben, die alle identisch sind und die alle auch Trauben hervorbringen, die meinen Wünschen und dem Zuchtziel entsprechen. Das ist ja grundsätzlich auch was Gutes, Gesundes.
Michael
00:38:14
Michael: Und alle gleich alt sind.
Nik
00:38:15
Nik: Genau, gleich alt sind, das sowieso, und die auch gesund sind. Der Züchter hat darauf geachtet, dass die Reben frei sind von Viren, von Bakterien, von Krankheiten und man hat dann die Möglichkeit, einen Weinberg anzulegen, der sozusagen state of the art ist. Wo die Reben alle wachsen, alle die Trauben bringen, die man haben möchte. Aber man hat auch eine gewisse Uniformität, weil diese Reben sind wie Zinnsoldaten, die sind alle gleich. Und wenn man aus diesen Trauben dann einen Wein macht, dann entspricht vielleicht der Wein auch genau dem, was der Winzer haben will, denn er möchte beispielsweise einen Wein machen, der eine ganz besonders betonte Säure hat, könnte man sagen. Und dafür hat er sich für diesen Klon entschieden. Ich glaube aber, das ist auch ein bisschen mein persönlicher Geschmack und das ist auch meine Philosophie, meine Arbeitsweise hier im Weingut, ich glaube, dass eine Uniformierung bei der Weinproduktion vielleicht für die Wahrung einer gewissen Kontinuierlichkeit im Geschmacksprofil des Weines gut ist. Das wäre dann sozusagen bei Weinen, die in ganz großer Flaschenzahl produziert werden und auch immer einen gewissen Publikumsgeschmack stetig in jedem Jahr auf gleiche Art und Weise entsprechen müssen, dafür ist das gut. Deswegen sage ich auch nicht, Klone sind nicht gut.
Tobias
00:39:33
Tobias: Wie bei so einer Haus-Stilistik eines Non-Vintage Champagners oder so.
Nik
00:39:37
Nik: Genau. Da muss etwas Kontinuität reinkommen, Persistenz. Das soll so sein, dass der Kunde immer das Gleiche bekommt, was er haben will. Und das ist ja auch okay. Und auf der anderen Seite gibt es aber das Individuelle, das Besondere, was vielleicht nicht jedes Jahr gleich ist, was auch, ja, sagen wir mal, etwas für den anspruchsvolleren Geschmack ist, wo Leute was Besonderes suchen, das gibt es ja überall. Ich meine, man kann sich eine simple Industrieuhr kaufen. Sie können sich aber auch eine von einem großartigen Uhrmacher oder einer großartigen Uhrenmarke eine ganz hochwertige Uhr kaufen. Ist alles eine Preisfrage. Es ist eine Frage des Aufwands, der Produktion. So ist das im Wein auch. Und bei dem Qualitätsqualitätsziel, was wir hier verfolgen. Und auch bei der Stilistik, die wir mit einer gewissen Philosophie versuchen bei unseren Wein zu erreichen, da setzen wir eben auf Individualität und auf Komplexität bei der Weinbereitung, um auch ein entsprechendes individuelles und komplexes, sehr anspruchsvolles, qualitativ sehr hochwertiges Produkt, einen sehr hochwertigen Wein zu erreichen. Und da spielt unter anderem das Pflanzmaterial im Weinberg eine große Rolle. Natürlich fängt der Wein damit an, dass man erstmal ein großartiges Weinbergsgelände braucht. Man braucht eine großartige Lage, man braucht ein großartiges Weinbaugebiet. Die Mosel ist ein großartiges Weinbaugebiet, eines der besten der Welt. Man braucht großartige Lagen. Davon haben wir an der Mosel sehr, sehr viele Große Lagen vom VDP, vom Verband Deutscher Prädikatsweingüter, als Grand Cru, als Große Lage klassifizierte Lagen, die sehr steil sind, die mit einem fantastischen Boden, dem Schieferboden ausgestattet sind, in einem ganz tollen Mikroklima, das sehr besonders ist hier an der Mosel. Aber da, das reicht nicht. Man muss dann, man kann darüber hinaus auch noch noch mehr Dinge draufsatteln, um die Qualität entsprechend so gut wie möglich zu machen und die hohe Qualität zu erzielen. Und da gehört auch dazu, dass man eben bei dem, was man pflanzt, Wert darauf legt, dass das eben auch mit in diese Philosophie reinpasst. Und jetzt ist es so, dass der Riesling sich an der Mosel als beste Rebsorte für dieses Weinbaugebiet etabliert hat. Aber wie gesagt, wenn man dann einen neuen Weinberg pflanzt, dann sollte das dann Riesling sein, wenn man sich für Riesling entschieden hat. Aber was das dann für ein Pflanzmaterial ist, da gibt es eben diese großen Unterschiede. Und heute geht man hin und nimmt dann, um eine gewisse Individualität reinzubringen, kann man, anstatt einen einzigen Klon zu pflanzen, kann man verschiedene Klone pflanzen. Das heißt, sie kaufen Klone von verschiedenen Rebschulen beispielsweise oder in einer Rebschule, die verschiedene Klone anbietet, und nehmen dann dieses Pflanzenmaterial. Sie können das dann, wenn sie wollen, im Weinberg wild durcheinander mischen, dass sie gar nicht selber wissen, was wo steht. Sie können aber auch reihenweise das auspflanzen und dann das Markieren oder sich aufschreiben, damit Sie wissen, wo was steht. Aber wichtig ist, dass diese Variation da ist. Und das ist etwas, das ist in manchen Weinbaugebieten schon immer gang und gäbe gewesen. Ich glaube, in Deutschland ist das so durch das 20. Jahrhundert hindurch, auch aufgrund der Rebenzüchtung, aber als Resultat auch aus der Reblausepidemie ein bisschen abhandengekommen, ein bisschen verlorengegangen. Und bei uns war das so, mein Vater hatte 1989 einen Weinberg gekauft an der Saar in Wiltingen, der im Jahr 1900 gepflanzt wurde und nicht seitdem komplett neu gepflanzt wurde. Also viele Winzer im Ertragsweinbau gehen hin und pflanzen alle 30 bis 40 Jahre die Parzelle komplett neu. Das heißt, das Feld wird komplett gerodet, alle Reben werden rausgerissen, es werden neue Reben gepflanzt, eine neue Unterstützungsvorrichtung errichtet. Auch das ist einer der Gründe, warum man dann neue pflanzt. Irgendwann ist halt so ein Weinberg dann vielleicht auch alt und kaputt.
Tobias
00:43:42
Tobias: Und die Reben bringen ja dann auch nicht mehr so viel Ertrag. Wenn es den Winzern um Ertrag geht, dann werden die alle rausgerissen, neue rein.
Nik
00:43:50
Nik: Das ist sicherlich einer der Hauptgründe, warum man dann in der Vergangenheit immer wieder alle 30, 40 Jahre komplett neu gepflanzt hat und zum Teil auch weiter tun wird, natürlich. Aber ein anderer Grund kann auch ein Rebsortenwechsel sein. Zum Beispiel, dass jemand sagt, ich entscheide mich jetzt für eine andere Rebsorte. Bei der Anlage war das so, sie wurde 1900 gepflanzt und man hat dann über die Jahre, über diese 89 Jahre bis 1989 immer nur, wenn eine einzelne Rebe gestorben ist, hat man diese Rebe dann durch das Nachpflanzen einer neuen Rebe ersetzt. Also da stand 100 % Riesling drin und es wurde auch immer nur Riesling nachgepflanzt. Das war nach wie vor 100 % Riesling. Und als wir den Weinberg übernommen haben, man muss sich vorstellen, das ist eine Parzelle, die ist 10 Hektar groß und davon sind circa 3 Hektar immer erhalten geblieben. Also wie gesagt, diese 3 Hektar sind alt und die ältesten Reben sind noch, ich würde niemals sagen, die sind alle von 1900, weil es sind ja nun mal immer wieder Reben ersetzt worden, aber die ältesten Reben sind tatsächlich aus dem Jahr 1900, die waren 89 Jahre alt und diese Anlage gibt es so in der Form heute immer noch heute. Heute sind diese Reben 124 Jahre alt.
Michael
00:45:00
Michael: Das muss man auch erst mal suchen.
Nik
00:45:01
Nik: Muss man erst mal suchen, ja. Also die Ältesten sind so alt und dann gibt es alles, jede Altersstufe seitdem bis heute.
Tobias
00:45:08
Tobias: Sind die dann teilweise auch wurzelecht? Das findet man noch an der Mosel auch noch, oder?
Nik
00:45:12
Nik: Damals wurde schon mit gepfropften Reben gepflanzt. Also das war eine State of the Art-Pflanzung von einer Familie, die darauf Wert gelegt hat auch, dass da was sehr Ordentliches gepflanzt wird. Und diese Anlage war auch nach allen Regeln der Kunst angelegt. Also das war mit Sicherheit, sind das schon gepfropfte Reben. Es gibt noch wurzelechte Reben, auch wir haben noch wurzelechte Reben von früher, also sehr alte Reben in unseren Anlagen, in Piesporter, Goldtröpfchen beispielsweise, im Mehringer Layet. Also das es gibt schon. Aber hier, wie gesagt, das war nach der Reblaus, da hat man schon gepfropft gepflanzt.
Tobias
00:45:51
Tobias: Aber merkt man da denn Unterschiede? Um noch mal kurz bei den wurzelechten Reben zu bleiben, zu denen, die amerikanische Rebunterlagen haben? Also mir hat irgendein Winzer mal erzählt, wurzelechte Rieslingreben insbesondere bilden lockerbeerigere Trauben aus, die dadurch auch ein bisschen besser durchlüftet werden und dadurch auch nicht so krankheitsanfällig sind. Also ist es immer so ein gewisser Nachteil, dann doch mit einer amerikanischen Rebunterlage arbeiten zu müssen?
Nik
00:46:24
Nik: Also ich glaube, es gibt nichts Besseres als die wurzelechte Rebe, das heißt, die nichtgepfropfte Rebe, die in einem Stück aus rein der europäischen Weinrebe besteht.
Michael
00:46:37
Michael: Aber?
Nik
00:46:38
Nik: Weil sie eben aus einem Stück besteht. Das ist klar. Man hat keine Schnittstelle. Man hat keine zwei Pflanzenteile. Die Unterlage kann ja etwas starkwüchsiger sein. Also die Amerikanerrebe, die im Boden steckt, kann etwas starkwüchsiger sein oder etwas schwachwüchsiger. Das heißt, die Wuchsstärke ist nicht 100 % kongruent mit dem aufgepfropften, europäischen, der europäischen Rebe. Dann ist natürlich durch diese Schnittstelle immer auch der Saftfluss irgendwo ein bisschen nicht blockiert, aber da muss er mal um die Kurve oder muss mal um die Ecke, wird immer ein bisschen, ist immer ein bisschen verschoben. Also wenn man eine Pflanze hat, die aus zwei verschiedenen Pflanzenteilen besteht, das kann man sich ja vorstellen, rein vom Gefühl her ist das nie so, wie wenn man 100 % eine durchgängige Pflanze hat. Das ist so wie bei uns, wenn man jetzt einen ganzen Arm transplantieren könnte. Also wenn jetzt jemand Bankdrücken macht und der hat jetzt von jemandem, der etwas schwächlicher ist, einen rechten Arm bekommen. Und dann drückt er die Hantel immer ziemlich schräg hoch, weil sein linker Arm ist stärker als der schwächere rechte. So der Vergleich hinkt ein bisschen, aber das wäre, um es mal zu beschreiben. Aber, jetzt kommt das große Aber, man kann auch aus der Not eine Tugend machen. Und es ist doch dem internationalen Weinbau gelungen, mithilfe der Züchtung von Unterlagen, aber auch natürlich Züchtung der aufgepfropften Edelreiser, der Weinreben, der europäischen Weinreben, Pflanzenmaterial zu produzieren, mit dem man sich an den Standort besser anpassen kann. Man kann nämlich durch die richtige Wahl der Pfropfkombination von Amerikanerrebe und europäischer Rebe, kann man Standortnachteile ausgleichen und Standortvorteile verstärken. Das kann man machen. Das heißt, wenn man beispielsweise einen trockenen Weinbergsboden hat, kann man diesen, man könnte sagen, diesen limitierenden Faktor Wasser ein bisschen ausgleichen, indem man eine Unterlage nimmt, die damit klarkommt. Oder sie haben einen stark, du hast einen stark kalkhaltigen Boden. Da gibt es europäische Rebsorten. Wenn man da eine wurzelechte Rebe pflanzt, die rein aus europäischem Material besteht, die kommt dann vielleicht mit dem Kalk nicht so klar, weil das ein anderer pH-wert ist, der da im Boden ist. Aber wenn man dann diese Unterlage, die extra für kalkige Böden gezüchtet wurde, pfropft, dann kommt die auf einmal damit klar. Das heißt, man hat da sehr viele Möglichkeiten, Dinge zu verbessern. Man kann den Ertrag rauf oder runter fahren. Und das ist beispielsweise die Sache mit der Kleinbeerigkeit oder Lockerbeerigkeit. Lockere Trauben, wo die Beeren wie an so einer Johannisbeere so locker runterhängen. Die sind natürlich weniger Pilze, anfällig für Pilzkrankheiten weniger anfällig. Aber das ist keine Sache, die rein bei wurzelechten Reben der Fall ist. Es ist, man kann das auch durch eine entsprechende schwachwüchsige Unterlage hervorrufen. Man kann mit der Unterlage den Ertrag steigern oder senken. Man kann diese Lockerbeerigkeit hervorrufen. Dieser Gedanke, dass das wurzelechte Reben lockerbeeriger sind, kommt daher, dass man früher oft, weil die Winzer gerne einen etwas höheren Ertrag gesehen haben, hat man starkwüchsige Unterlagen genommen. Dementsprechend prall und dicht und kompakt waren dann die Trauben, die Beeren und die Trauben. Und im Vergleich dazu waren dann nicht gepfropfte Reben natürlich lockerbeeriger. Und da hat man dann immer gesagt, das liegt daran, aber man kann auch Lockerbeerigkeit...
Michael
00:50:13
Michael: Aber man muss auch dazu sagen, die Reblaus ist ja nicht aus der Welt. Sind dann diese Wurzelechten nicht noch bedroht?
Nik
00:50:19
Nik: Ja, die Reblaus ist immer da. Es ist eine permanente Koexistenz mit der Reblaus heute, die immer so letal da ist. Es gibt, muss man sagen, Enklaven, wo sie noch nicht hin migriert ist, weil sie vielleicht dieses Terroir, diese...
Michael
00:50:40
Michael: Böden nicht so mag.
Nik
00:50:41
Nik: ...Böden nicht mag, das Klima, Mikroklima nicht mag. Es gibt Gegenden, beispielsweise in Chile, wo sie kaum auftaucht, weil man dort mit Anden-Wasser auch die Reben, Rebflächen bewässert. Da ersäuft die Reblaus, könnte man sagen, die ersäuft. Und an der Mosel, wir haben hier sehr skelettreiche Böden, diese Schieferböden, die einmal sehr mechanisch, sehr stark alles belasten, was da drin ist. Also man merkt das auch an seinen Arbeitsschuhen, Die werden von diesen scharfen Schiefersteinen schneller verschlissen, als wenn man im Sand rumlaufen würde oder auf Lehm. Vielleicht mag die Reblaus das nicht so oder vielleicht wird es auch in der oberen, vielleicht ist es auch zu warm, im oberen Teil zu warm im Sommer. Keine Ahnung, das kann ich nicht beurteilen. Aber es gibt Stellen, wo immer noch alte Wurzelechte Reben stehen, die nicht befallen werden von der Reblaus. Das ist aber kein Grund zu sagen, wir an der Mosel, wir können dann ja einfach doch alles mit wurzelechten Reben bepflanzen, wir bekommen schon keine Reblaus. Das ist ein Trugschluss. Das Ding ist so gefährlich. Ich kann nur davon abraten.
Tobias
00:51:49
Tobias: Ich glaube. Es ist auch verboten auch.
Nik
00:51:51
Nik: Ich wollte grad sagen, es ist verboten. Aber wenn jemand sagen würde, ich mache das einfach, ich will es gern wissen, will es ausprobiert. Ich kann davor nur abraten.
Tobias
00:51:59
Tobias: Aber ich muss jetzt gerade noch mal zurück zu unseren Klonen. Weil, was ich jetzt ja schon gelernt habe, ist, finde ich, extrem interessant. Also die meisten Leute wissen, es gibt unterschiedliche Rebsorten. Aber jetzt sind wir ja die ganze Zeit eigentlich immer nur bei einer Rebsorte, als Beispiel Riesling, und jetzt haben wir schon gelernt, Rebunterlagen können enormen Effekt haben auf die Rebpflanze an sich. Wurden ja gerade sehr schöne Beispiele genannt. Aber jetzt wissen wir halt eben auch, es gibt diese unterschiedlichen Klonvarianten, die können mehr Säure produzieren, andere Klone vielleicht eine andere Aromatik, was auch immer. Das heißt, letzten Endes, gerade mit diesen gemischten Klonen in dem Weinberg haben wir ja dann auch so eine Art Klon Cuvée. Also sonst kennt man ja Cuvée als Vermählen unterschiedlicher Rebsorten. Dann hat man irgendwann mal gelernt, wenn jetzt Riesling aus unterschiedlichen Lagen kommt, dann ist das ja auch so eine Art Riesling Cuvée. Aber jetzt gibt es ja sogar dann die Cuvée innerhalb eines Weinberges, der dann auch ja für Vielschichtigkeit, für Komplexität sorgt. Also ich finde, da haben wir jetzt schon ordentlich dazugelernt.
Michael
00:53:11
Michael: Und bei euren Großen Lagen, 5 Stück habt ihr, glaube ich, ne?
Nik
00:53:16
Nik: Ja, mittlerweile 6 sogar, ja.
Michael
00:53:18
Michael: 6, okay. Wieder was dazugelernt jetzt. Da ist das immer so? Ihr habt so einen gemischten Klonensatz da und auch unterschiedliche Altersstufen der Reben?
Nik
00:53:29
Nik: Ja. Da, wo es geht. Also ich kann das mal kurz erklären, auch am Beispiel dieser Parzelle in Wiltingen, die da 1900 gepflanzt wurde.
Michael
00:53:38
Michael: Schlangengraben, ne?
Nik
00:53:39
Nik: Wiltinger Schlangengraben, genau so heißt diese Parzelle. Ich habe 1997 meinen Abschluss gemacht auf der Weinbauschule in Geisenheim und kam dann hier ins Weingut rein. Und da hatten wir diesen Weinberg schon 8 Jahre lang. Und in den 8 Jahren hat sich immer wieder herauskristallisiert, dass die Weine aus dieser Parzelle, aus diesem Teil, dieser 10-Hektar-Parzelle, die immer noch auf einer Originalpflanzung her stammt und nie komplett neu gepflanzt wurde, dass der, die Weine waren immer viel besser als die Nachbarparzelle, die gleich 1990 neu gepflanzt wurde, oder eine andere Parzelle, die vom Vorbesitzer neu gepflanzt wurde noch ein paar Jahre vorher. Und dann habe ich mich immer gefragt, woran liegt das? Mein Vater hat natürlich gesagt, das, was eben auch die Winzererfahrung eben zu der Zeit war. Er hat gesagt, die Reben sind alle sehr alt und die Wurzeln sehr tief. Die erreichen Wasser und Nährstoffe viel besser. Also der Wurzelbaum, also das, was unter der Erde ist, ist viel größer als das, was oben rausschaut, das, was man nutzt, das Erdreich, den Boden besser, das Terroir wird besser sozusagen entnommen. Oder auch alte Reben sind schwächer im Wuchs. Das heißt, es ist weniger Druck im System. Die Beeren sind kleiner, sie werden weniger schnell faul. Sie haben mehr Aroma, weil kleine Beeren sind aromatischer. Die meisten Aromen befinden sich in der Beerenschale. Und je kleiner die Beere ist, umso mehr Verhältnis ist eben an innerer Oberfläche von der Beerenschale zum Saft in der Beere. Das heißt, aromatischer Wein. Das hat mir aber damals nicht gereicht, diese Erklärung.
Tobias
00:55:22
Tobias: Ich habe ja schon geahnt, dass da jetzt noch was kommt.
Nik
00:55:25
Nik: Und ich habe dann gesagt, lass uns doch mal einfach schauen, ob es nicht vielleicht daran liegt, dass einfach die Reben da sehr gut sind. Dann schneiden wir da mal Holz und nicht von einer Rebe, sondern wir nehmen uns mal ein paar Reben vor. Dann haben wir im Rahmen eines Versuchsprojektes, sind dann mein Vater und unser langjähriger Mitarbeiter, der Hermann Jostock, der Leiter unseres Außenbetriebs, des Weinbaus in der Rebschule viele, viele Jahre war. Wir sind dann hingegangen, direkt vor der Leser, ein, zwei Tage vor der Traubenlese, und haben Trauben probiert von den einzelnen Stöcken und haben dann gesagt, ach, das ist gut, das ist gut. Und haben dann viele, viele Stöcke markiert, haben so ein Bändchen dran gemacht . Und im Winter, beim Rebschnitt haben wir dann die Edelreiser, also die Triebe, die verholzten Triebe genommen und haben daraus Reben produziert. Das nennt der Franzose eine Selection massale, auf Deutsch eine positive Massenauslese. Man nimmt also, was man da gut findet, und macht daraus neue Reben. Diese Reben wurden dann ein Jahr oder zwei Jahre später, nachdem sie fertig waren, ausgepflanzt. Und zwar hatten wir hier in der Nähe eine Parzelle, die neu gepflanzt wurde, die war ausgeschaut zum Neupflanzen. Daneben war ein Weinberg, den hatte mein Großvater schon Ende der 40er-Jahre gepflanzt, damals schon rein mit einem einzigen Klon, Klonmaterial. Und wir haben, und die war ja dann zu der Zeit, Ende der 90er-Jahre auch schon ein bisschen alt. Da kann man sagen, war die ja auch schon 50 Jahre alt, Da kann man auch schon von alten Reben sprechen. Und daneben, die neue Parzelle wurde dann mit diesem bunt gemischten Satz aus diesen alten Reben, die, also er wurde mit Reben bepflanzt, die jung sind, aber von alten Reben geschnitten waren. Wie gesagt, aus bunter Selektion. Und nach 3 Jahren hat man dann den ersten Ertrag, 3, 4 Jahre. Und dann haben wir den Wein aus dem alten Weinberg gleich ausgebaut wie den Wein im Edelstahl, möglichst neutral gehalten, im Edelstahl ausgebaut und genauso wie den Wein aus der jungen Anlage. Und normalerweise müsste es ja so sein, dass die alten Reben viel besseren Wein bringen, denn die Winzer schreiben ja nicht umsonst immer stolz alte Reben oder Vieilles Vignes oder Old Vines aufs Etikett, weil die alten Reben, ja weil sie so alt sind, den besten Wein bringen. Und die jungen Reben hätten ja deutlich schlechteren Wein dann bringen müssen oder einen anderen Wein bringen müssen, der nicht so gut ist. Und das Gegenteil war der Fall. Der Wein von den jungen Reben, die aber von altem Holz und alten Reben in einer Selection massale in bunter Auswahl gepflanzt worden sind, der Wein war so viel besser, er hatte so viel mehr Druck, so viel mehr Struktur, war so viel charmanter, war so viel aromatischer, komplexer in der Aromatik, so viel feiner, finessenreicher als der aus alten Reben. Das war schon frappierend.4.
Michael
00:58:19
Michael: Erweckungserlebnis, wahrscheinlich.
Nik
00:58:21
Nik: Das ist es. Ja, und dann hat mein Vater dann gesagt, das da ist wirklich, das war eine gute Idee. Er hat gesagt, du kannst stolz drauf sein. Das da ist jetzt der Beweis, dass es eben tatsächlich nicht alleine an dem Rebalter liegt oder wie tief die Wurzeln oder wie schwachwüchsig sie sind, sondern es ist einfach diese Vielfalt, diese Komplexität im Pflanzenmaterial, die sich später in der Komplexität, im Wein widerspiegelt, also diese vielen verschiedenen Aromen, diese vielen verschiedenen Texturen, die dadurch entstehen. Und daraus hat sich dann auch unsere Rebenproduktion dann praktisch für die Zukunft abgeleitet. Wir haben das dann komplett geändert. Wir haben dann auch angefangen, weniger Reben zu produzieren. Das muss man allerdings dazu sagen, der Rebenmarkt ist natürlich auch kleiner geworden, weil irgendwann waren alle Flurbereinigungen beendet und es war irgendwann die Nachfrage nach eben nicht mehr so groß. Es waren viele Weinberge angepflanzt. Der also der Nachholbedarf auch nach dem Zweiten Weltkrieg war irgendwann ja gedeckt. Wir haben dann klein, aber fein gemacht. Und wir haben dann deutlich weniger Reben produziert, aber besondere Reben. Und dann sind wir in die ältesten Anlagen gegangen, die wir finden konnten. Also mein Mitarbeiter, der der Hermann Jostock, der auch sehr viele Kontakte natürlich auch durch die Rebschule zu anderen Winzer teilweise zu Winzern mit sehr viel Erfahrung hat, älteren Kollegen, die dann auch sehr qualitätsorientiert arbeiten und auch sehr bewusst auch alte Reben noch gerettet haben. Die Reben, da stehen, die 150, 160 Jahre alt waren, die haben wir aufgesucht, war eine richtige investigative Arbeit. Und dann haben wir von den ältesten Reben, die es an der Mosel gibt, haben wir Edelreiser geschnitten, haben daraus Reben gemacht und haben sie hier bei uns beim Weingut, um das Weingut Nik Weis ausgepflanzt.
Tobias
01:00:19
Tobias: Da hatte auch keiner von den Kollegen was dagegen? Ist ja auch so ein bisschen stibitzt.
Nik
01:00:24
Nik: Natürlich.
Michael
01:00:25
Michael: Man ist dann nachts hingefahren.
Nik
01:00:27
Nik: War natürlich manchmal auch so tatsächlich, wenn man den, wo jemand gesagt hat, ich habe keine so alten Reben, aber ich kenne jemand, der hat noch ältere, die sind sogar 170 Jahre alt, der wohnt da und da, frag ihn doch mal, dann haben wir da geklingelt und haben gesagt, guten Tag, können wir von Ihren Reben Holz schneiden? Und die sagen natürlich dann, viele Leute, die finden das toll, weil man muss sich vorstellen, so eine alte Rebe, wenn eine Rebe mal, also oft werden die Reben ja, wie gesagt, nach 30, 40 Jahren einfach rausgerissen. Aber wenn eine Rebe es mal geschafft hat 150 Jahre alt zu werden, überhaupt in der Natur das zu überstehen. Ja, man liebt die und man weiß natürlich auch, die wächst jetzt nicht noch mal 150 Jahre weiter, sondern es kann sein, dass es die 3, 4 Jahre gar nicht mehr gibt. Dann ist sie gestorben. Und dann ist diese, sagen wir mal, dieser genetische Schatz ist weg, für immer verloren. Es sei denn, man schneidet davon Edelreiser und macht eine neue Rebe daraus. Die ist ja, wie gesagt, genetisch identisch, das heißt, die lebt ewig weiter, wenn man das ewig weiter machen würde. Das heißt, man kann dadurch diese Genetik erhalten. Und das ist natürlich bei vielen Winzerkollegen auf sehr positive Resonanz gestoßen. Und die haben gesagt, ja, mach das. Und das haben wir tatsächlich gemacht und haben von all diesen ältesten Reben, von Mosel, Saar und der Ruwer eben Holz geschnitten, haben dadurch diese Genetik erhalten und haben sie hier um das Weingut ausgepflanzt. Wir haben es damit geschafft, man könnte sagen, die Arche Noah der alten Moselreben, der alten Mosel-Rebgenetik zu schaffen.
Michael
01:01:51
Michael: Du sprichst auch vom ewigen Weinbau, weil sich das dann immer fortsetzt aus dem Alter her.
Nik
01:01:55
Nik: Der ewige Weinbau bedeutet eben, dass überhaupt so ein Weinberg wie der in Wiltingen erst entstehen kann, wo 120 Jahre, 124 Jahre, heute 124 Jahre alte Reben drin stehen. Das bedeutet, dass man eben nicht sagt nach 30, 40 Jahren, oh, jetzt werden die Reben schon ein bisschen wuchsschwächer und man hat weniger Ertrag. Oder man hat vergessen, vielleicht hier und da nachzupflanzen und es fehlen ein paar Reben. Die Drahtanlage, also diese Unterstützungsvorrichtung, ist schon, die Pfähle sind morsch oder Drähte verrostet. Ich pflanze das jetzt komplett neu. Ne, es ist so gerade an der Mosel, wo man ja in den Terrassenlagen diese Einzelpfahlerziehung hat, wo man bei jeder Rebe einen Pfahl hat, wo es keine Drähte gibt, damit man um die Rebe herumgehen kann und man besser quer auch gehen kann, was das Ganze erleichtert, in diesen Anlagen ist der ewige Weinbau oft gang und gäbe, weil da wird einfach immer nur, wenn ein Holzpfahl kaputt geht, wird er ersetzt durch einen neuen Holzzaun und wenn mal eine Rebe stirbt, wird diese Rebe durch neue Reben ersetzt. Immer durch dieselbe Rebsorte, meistens Riesling. Und so ist es eben auch in Wiltingen gegangen, dass eben nicht alle 30, 40 Jahre neu gepflanzt wurde, sondern über 124 Jahre immer nur einzelne Reben ersetzt worden sind. Und diese Reben, die da ersetzt werden, die sind ja nicht vom selben Klon und die sind auch oft gar nicht aus derselben Rebschule, sondern die Winzer sind ja dann mehrere Generationen. Bei so einem langen Zeitraum, wenn die nachgepflanzt haben, haben die mal in der Rebschule Rieslingreben gekauft, mal in der Rebschule und mal von dem Klon und mal von dem. Und dadurch entsteht eben diese Variation. Und das ist der Grund, warum ein Vieilles Vignes oder ein Old Vines, ein alter Wein aus alten Reben, so anders ist, so viel feiner, so viel besser ist. Man kann das ja auch mit anderen Dingen vergleichen. Schaut euch eine alte Stadt an. Also wenn eine alte Stadt wie Trier, hier die älteste Stadt Deutschlands, das hat schon Charme. Diese vielen verschiedenen winkligen Gassen und Straßen und Architekturen aus verschiedenen Epochen. Wenn man sich dagegen, ich sage jetzt mal eine Plattenbausiedlung anschaut, die innerhalb von 10 Jahren aus der Erde gestampft wurde. Das hat dann schon nicht mehr so viel Charme wie so eine alte Stadt. Und deswegen sage ich immer, ein Weinberg soll nicht nur wachsen, sondern auch gewachsen sein. Ja, wie so eine alte Stadt, umso charmanter ist auch der Output, der Wein, der da drin wächst.
Michael
01:04:09
Michael: Absolut. Also du stehst auf Vielfalt, auf Heterogenes und gar nicht so, obwohl man jetzt denkt, ist ja ein Rieslingwein, ist ja nur eine Rebsorte. Aber die Vielfalt liegt eigentlich im Detail, im Kleinen.
Nik
01:04:21
Nik: Ja, ich glaube, dass Diversität eine sehr natürliche Sache ist. Eine Sache, die in der Natur gang und gäbe ist. Ohne das würde es vieles nicht geben. Vieles, was wir auch schätzen, muss ich einfach sagen. Deswegen sollte man auch der Diversität entsprechend Platz und Raum lassen. Und ich betreibe diese, sagen wir mal genetische oder biologische Vielfalt, diese Biodiversität ja nicht nur bei den Reben, auch bei der Vergärung der Weine. Es gibt die Möglichkeit, einen Most mit Reinzuchthefe anzuimpfen. Dann hat man sofort Milliarden und Abermilliarden Hefezellen in seinem Fass drin, die sofort mit der Gärung loslegen und die entsprechend aber auch nur die Aromatik von einem einzigen Hefestamm dem Wein aufdrücken wie ein aromatischer Fingerabdruck.
Tobias
01:05:08
Tobias: Auch das kann man wieder aussteuern.
Nik
01:05:10
Nik: Man kann Hefen züchten, man kann Hefen züchten, die, sagen wir mal, zum Beispiel besonders eine besonders tolle Apfel-Aromatik produzieren. Dann habe ich nachher einen Riesling, das schmeckt wie Apfelwein. Also es ist jetzt natürlich übertrieben gesagt, aber nur als Beispiel.
Tobias
01:05:23
Tobias: Da sind wir wieder bei der Apfelzucht von damals.
Nik
01:05:26
Nik: Man kann, es gibt Reinzuchthefen, die gewisse Rebsorten, Leitaromen, Leitaromatik zum Beispiel von Sauvignon Blanc unterstützen. Dann hat das Ganze so eine Sauvignon Blanc-Charakteristik. Und so kann man einem Riesling eine gewisse Sauvignon Blanc Charakteristik verleihen. Will man das?
Tobias
01:05:41
Tobias: Hört sich schrecklich an.
Nik
01:05:42
Nik: Ja eben. Also ich, ich will es nicht. Wenn einer das will, okay. Geschmäcker sind verschieden. Was ich gerne möchte, ist, dass auch da an dieser Komplexität und der Vielfalt weiter gearbeitet wird, weil umso interessanter wird der Wein dann nämlich. Das heißt, bei uns läuft der Most von der Kelter, ohne zu pumpen in den Tank darunter, möglichst kurze Wege. Den machen wir voll bis oben hin, Tank oder Fass. Und dann kommt das Gärröhrchen oben drauf, der Gärtrichter, damit das nicht oxidiert, bevor die Gärung beginnt. Und dann tun wir erst mal gar nichts. Dann warten wir. Und dann ist es so, dass die Hefen, die von Natur aus da sind, meistens aus dem Weinberg beim Keltern sozusagen mit in den Most gewaschen werden. Also viele Hefen entstehen da, sind im Weinberg, sitzen auf den Beerenschalen, da geht ja auch mal ein Insekten oder Wespe in so eine Beer rein und die platzt dann auf, dann tritt etwas Saft aus, dann entwickeln sich da Hefen usw. Das sind ja viele verschiedene Hefestämme, die sind dann im Most drin, teilweise vielleicht auch schon im Keller, die sind da drin und die beginnen dann die Gärung. Dann hat man viele verschiedene Hefen, die da loslegen, die dem Wein ihren aromatischen Charakter verleihen. Und natürlich ist das dann weniger oder ein Hefestamm, der dann die Gärung zu Ende führt. Aber das, was da am Anfang passiert ist, das ist schon mal wichtig für ein komplexes Aromenbild und auch ein interessantes Aromenbild. Also ich finde das immer furchtbar, wenn ich an einen Wein rieche, der, und bitte das nicht falsch zu verstehen, das ist jetzt kein Plädoyer nur für Spontangärung, wie man das dann nennt, also für die indigenen Hefen. Man kann auch mit einer gewissen Reinzuchthefen auch hervorragende Weine machen, keine Frage. Aber wenn man das dann zu bunt treibt und das zu eindimensional macht und man hat dann so einen Wein, der nur nach Pfirsich riecht, ja, man riecht dran und denkt Pfirsich, wunderbar, finde ich toll vielleicht, weil man Pfirsich mag, und dann probiert man, schmeckt nach Pfirsich. Und dann nach dem zehnten Mal Riechen und Schmecken ist immer noch Pfirsich. Dann denkt man ja irgendwann, ich will ja keinen Pfirsichsaft, ich will Wein. Und Wein ist kulturell auf einem höheren Niveau als ein Saft, sollte es zumindest sein. Und je komplexer, je interessanter der Wein ist, umso qualitativ anspruchsvoller ist er. Auch deswegen, weil er einfach mehr Freude bereitet. Ist ja viel charmanter, wenn man immer wieder was anderes schmeckt. Und sind so viele Dinge, die da wie bei dieser kleinen Ratte bei dem Film Ratatouille, die etwas isst und dann gehen eben über dem Kopf da diese Blurbs los mit dem Gedankenfeuerwerk, was ja alles schmeckt. So ist das auch dann beim Wein, weil man kann sich mit so einem Wein dann auch wirklich beschäftigen. Also wenn der nicht jedes Mal gleich nach jedem Schluck nach Pfirsich schmeckt, sondern jedes Mal anders und changiert im Glas, sich verändert. Das ist dann nicht nur unterhaltsam, man kann da nicht nur sich mit beschäftigen, sondern es ist auch so, der Wein macht dann Freude, man hat Lust, den nächsten Schluck zu nehmen. Und das finde ich ganz wichtig beim Wein, denn es gibt nichts Schlimmeres, als wenn man eine Flasche Wein aufmacht, vielleicht hat man mal so eine Flasche geschenkt bekommen von jemanden und dann denkt man, probieren wir die doch mal heute Abend. Und dann ist das ein Wein, der einem nicht schmeckt, aus welchem Grund auch immer. Nicht weil der, der einem das geschenkt hat, das böse gemeint hat oder der Winzer nichts taugt, einem selber schmeckt dieser Wein nicht. Und dann kämpft man damit. Und dann sagt man dann irgendwann nach dem ersten Glas, also jetzt mache ich die Flasche wieder zu und trinke ich sie morgen halt weiter. Meistens ist es so, dass man die auch am nächsten Tag nicht trinkt oder am übernächsten Tag nicht. Die landet irgendwann in der Soße, der Wein wird nicht mehr getrunken. Aber das ist auch irgendwie ein bisschen deprimierend. Das ist nicht schön. Ich sage immer schlechter Wein, schlechte Stimmung, guter Wein, gute Stimmung. Und wenn man einen Wein aufmacht, wo man sagt, hoppla, der schmeckt mir jetzt aber gut, das ist aber ein toller Wein. Komm, gib mir mal noch einen Schluck davon und auf einmal ist in kurzer Zeit die Flasche leer. Dieses Erlebnis, das ist so ein bisschen, als wenn man sich verliebt hat. Man hat endlich den Menschen gefunden, nachdem man gesucht hat oder man vielleicht nicht gesucht hat, aber man hat einen gefunden. So ist das bei dem Wein. Man hat mal einen Wein, da ist man positiv überrascht. Das schafft gute Stimmung, das schafft Freude. Und ich glaube, es sollte das oberste Ziel eines Winzers sein, Weine zu erzeugen, die in den allermeisten Fällen, Situationen und für die allermeisten Menschen genau dieses Gefühl auslösen. Das ist mein Ziel.
Michael
01:09:57
Michael: Das hast du schön gesagt.
Tobias
01:09:58
Tobias: Das ist Perfekt. Und jetzt habe ich so Lust schon wieder auf ein Glas Riesling bekommen, dass ich unbedingt nachfragen muss, in welchen oder in welchem deiner Weine sind denn diese genetischen Vermächtnisse jetzt eingeflossen, die du bei den Winzern eingesammelt hast? Oder sind das unterschiedliche?
Nik
01:10:18
Nik: Ja das würde dann jetzt doch mal die die Antwort ergänzen auf deine Frage mit den alten Reben oder mit der genetischen Vielfalt in den Lagen. Also es ist so, wenn wir nachpflanzen in unseren Weinbergen, nehmen wir immer verschiedene Rieslingreben von verschiedenen Herkünften aus diesen, all von diesen alten Reben geschnitten. Also man kann nicht einfach hingehen und wahllos Holz schneiden, das vermehren und dann auspflanzen. Das muss registriert sein. Das heißt, wir haben also eine Vielzahl von verschiedenen Klonen, die heißen dann auch Klone, registriert. Aber wenn man sie dann nachher, diese vielen Klone zusammenbringt, hat man wiederum ein Klonengemisch, einen gemischten Satz. Wir müssen das machen, einfach um dem Gesetz da Folge zu leisten. Der Gesetzgeber möchte wissen, was an Reben produziert wird, was gezüchtet wird, was vermehrt wird, was ausgepflanzt wird, wo ausgepflanzt wird usw. Das ist ja auch alles richtig so und vor allen Dingen möchte man ja auch einen gewissen Pflanzen Gesundheitsstandard erhalten. Wir haben ja Vorgaben, auch was die Pflanzengesundheit angeht. Wenn man das nicht hätte, würden die Leute einfach munter drauflos irgendwelche viruskranken Reben oder bakterienverseuchten Reben vermehren, deren Nachfolgen oder weiter vermehrten Reben das eben auch hätten. Und deswegen, da wird schon großen Wert drauf gelegt. Aber was wir dann eben machen, von diesen vielen verschiedenen Klonen nehmen wir verschiedene Reben, mit denen wir nachpflanzen. Und sollten wir mal irgendwo ein Feld komplett neu pflanzen, machen wir das natürlich auch so. Das heißt, man hat dann zwar ein ganzes Feld mit jungen Reben, aber man hat trotzdem diese genetische Vielfalt von alten Reben. Das heißt, auf deine Frage, es ist im Grunde genommen bei all unseren Weinbergen so, aber es gibt natürlich diese historische Initialzündung in Wiltingen, der Wiltinger alte Reben, der aus dieser Anlage ist, wo alles angefangen hat.
Tobias
01:12:10
Tobias: Okay.
Nik
01:12:11
Nik: Aber man kann auch beispielsweise sagen in Piesport, wir haben unseren Besitz in Piesport fast ausschließlich im nicht flurbereinigten Teil der Lage Piesporter Goldtröpfchen, wo also alles noch unberührt ist. Da wurde also nie irgendwie ein Weg reingebaut und irgendwelche Erdmassen hin und her geschoben und alte Reben rausgerissen und dann neu alles angelegt, sondern da ist immer noch diese alte Terrassenanbau in der Piesporter Lay, so heißt das, in der Nähe direkt neben der Mosel Loreley. Da gehen die Felsen bis ins Wasser rein. Ganz toll. Auch ein beseelter Ort, kann man sagen. Und das sind auch alles alte Reben. Das kann man also nicht nur schmecken, man kann das auch sehen, wenn man da hinfährt, sich das anschaut. Auch in Mering, im Meringer Leid, eine uralte Anlage, die wir übernommen haben. Genau das Gleiche, auch nicht flurbereinigt, da stehen sehr alte Reben. Ja, also wenn wir wie gesagt, nachpflanzen immer mit alter Genetik und genetischer Vielfalt, also die Diversität.
Michael
01:13:10
Michael: Ich bin ja jetzt froh, nach dem, was du uns so erzählt hast, dass du gar nicht Meeresbiologe geworden bist. Habe ich gelesen, das war mal ein Wunsch von dir.
Nik
01:13:20
Nik: Ja, ja, das hat mich immer schon interessiert. Ich bin ein sehr maritimer Mensch, auch wenn ich mitten im Inland Europas lebe. Also ich habe schon den richtigen Beruf ergriffen. Ich kann mir nichts anderes vorstellen, als das zu tun, was ich tue, Winzer zu sein. Aber natürlich hat man als junger Mensch viele Vorstellungen, was man gerne machen würde. Das Meer in jeglicher Hinsicht. Forschung und Meer, das hat mir immer schon ganz gut gefallen. Aber ich bin Hobbytaucher und so kann man dann so ein bisschen ja auch mit seinem Hobby dann seinem Interesse nachgehen. Aber ich bin auch Hobby-Weintrinker und Weinsammler, Weinliebhaber. Ich probiere sehr, sehr viel Wein, und das halte ich auch für ausgesprochen wichtig. Es gibt keinen Berufszweig, wo der Begriff „Probieren geht über Studieren" so zutrifft wie im Winzerberuf. Und wenn jemand den Beruf ergreift, kann ich wirklich nur empfehlen, so viel wie möglich, jede Gelegenheit wahrzunehmen, um Wein zu probieren. Weine aus der ganzen Welt, aus allen Weinbaugebieten. Aber auch finde ich die Weine zu probieren, die allgemein als Benchmark gelten. Das finde ich auch ganz, ganz wichtig, dass man also nicht einfach nur drauf losprobiert, sondern was gilt denn als das Beste. Wenn man sich diese Frage stellt und danach geht und sagt, schaut mal, was produzieren die besten Winzer der Welt? Dann kann man sich anfangen, Ziele zu setzen. Erst wenn man diese Dinge mal, diese Weine mal probiert hat und weiß, was das bedeutet und man sich dann damit beschäftigt, dann fängt man auch erst an zu erkennen, was es bedeutet, diese Weine zu produzieren. Wenn ich sehe, was meine geschätztesten Kollegen und auch ich, muss ich sagen, was wir hier im Weingut Nik Weis tun, welchen Aufwand wir betreiben, um das Ergebnis zu erzielen, was man dann in dem Jahr erzielen kann, das bestmögliche Ergebnis, das ist für viele nicht nur Weinliebhaber oder Konsumenten, wäre das überraschend auch für viele Kollegen. Muss das jetzt einfach so sagen. Ich will mich da jetzt nicht oder auch gewisse Kollegen da über andere stellen. Aber der Anspruch und auch das, sagen wir mal, die Herangehensweise an die Arbeit, im Beruf, da gibt es sehr, sehr große Unterschiede und viele Dinge sind für manche Leute gar nicht vorstellbar. Die ist vielleicht auch für manche Leute auch, es muss ja auch alles gerechtfertigt werden, auch preislich gerechtfertigt werden. Aber es fängt damit an, dass man manche Anlagen fünfmal durchkämmt, sechsmal oder noch mehr durchkämmt und selektiert bis ins kleinste Detail. Oder dahin, dass man extrem aufwendig sich auch mit den Nährstoffen im Boden und dem Gefüge sowohl chemischen als auch biologischen Gefüge seiner Böden auseinandersetzt, dass man also nicht nur sich Gedanken macht, wie viel NPK, also wie viel Stickstoff, Phosphat und Kalium braucht man im Boden oder wie viel ist denn jetzt drin, ich mach da mal schnell eine Analyse hier, sondern dass man sich über alles Gedanken macht, was da drin ist. Über Spurenelemente usw., auch über die Biologie. Was wächst denn da überhaupt?
Michael
01:16:35
Michael: Und auch zu erhalten.
Nik
01:16:36
Nik: Ja, wenn man einen Weinberg hat, der jedes Jahr nur vom Löwenzahn erblüht und es gibt dort nichts anderes als Löwenzahn, sollte man sich mal über seinen Lebensraum Boden im Weinberg Gedanken machen. Da ist irgendwas aus dem Gleichgewicht und das hat nichts mit einer arroganten Besserwisserei zu tun, dass ich sage, ich weiß alles und andere wissen nichts, sondern auch ich weiß nur einen Bruchteil von dem, was ich eigentlich noch wissen müsste und wissen könnte. Wichtig ist, dass man sich damit beschäftigt und auseinandersetzt.
Tobias
01:17:03
Tobias: Dass man auch die Bereitschaft hat, immer dazuzulernen. Das ist ja, denke ich mal, auch ein großer, wirklich positiver Aspekt beim Thema Wein generell.
Nik
01:17:10
Nik: Dazu gehört ja auch die Rebenproduktion dazu. Ich kann mich erinnern, vor 10, 15 Jahren, 20 Jahren, wenn dann jemand angerufen hat, weil er Reben gebraucht hat. Das waren teilweise sehr angesehene Winzer, sehr hochgeschätzte Winzer mit hoher Reputation, die dann Reben gebraucht haben zum Pflanzen und haben dann gesagt, ich brauche Reben. Und wenn man dann gesagt, welche Reben denn? Riesling natürlich. Ja gut, aber welche denn? Ach, Klon, was du da hast. Ja, und dann auch von der Unterlage her. Ja, ich habe, mein Boden ist so und so, so und so, da weißt du schon das Richtige. Das sind Leute, die beschäftigen sich damit, aus welchem Wald ihr Holz kommt für die Fässer, die sie verwenden. Das sind Leute, die beschäftigen sich vielleicht sogar mit sehr anspruchsvollen Dingen wie biodynamischem Weinbau. Oder die beschäftigen sich sehr stark mit Details, was ja auch wichtig ist. Aber die Wahl des Pflanzgutes, das war lange Zeit, wurde das ja so ein bisschen außen vor gelassen, obwohl es ja doch so wichtig ist. Klar ist die Lage wichtig, aber die Rebe ist ja letzten Endes das, wo alles durch muss. Das ist so die Assembly Station, wo alles so verknüpfe zusammengebaut wird. Da geht alles durch die Wurzeln durch, durch die Rebe, in die Traube und das spielt doch eine riesengroße Rolle. Heutzutage ist das bekannt. Und ich meine, im Weinbau war es immer schon so. Mein Vater hat gesagt, er hat immer gesagt, alle 30 Jahre wird der Weinbau neu erfunden. Und ich sage immer, Jedes Jahr wird eine neue Sau durchs Dorf getrieben im Weinbau. Wenn du das machst, dann kriegst du guten Wein. Es ist nie nur das. Es ist nie nur das eine. Aber es gibt Dinge, die sind deutlich wichtiger als andere. Ich glaube, dass neben dem Weinberg, also der Herkunft, des Weines und natürlich auch einen entsprechenden ganzheitlichen, sehr wohl durchdachten Weinbau und im gleichen, auch einen sehr schonenden, sagen wir mal, qualitätserhaltenden Weinausbau im Keller, dass die Rebe, die physische, die Pflanze gleichermaßen wichtig ist.
Tobias
01:19:33
Tobias: Ja, das finde ich auch nachvollziehbar.
Nik
01:19:34
Nik: Da kommt natürlich der Jahrgang dazu, ist klar. Der ist ja jedes Jahr anders.
Tobias
01:19:37
Tobias: Ja, klar. Aber die Rebe, die Pflanze, die muss den Großteil der Arbeit erledigen und hat uns auch mal einen Winzer erzählt, im Keller versucht man eigentlich nur noch so viel zu erhalten. Es geht eigentlich gar nicht darum, irgendwie jetzt was besser zu machen, sondern eher das, was ich im Weinberg richtig gemacht, hoffentlich richtig gemacht habe, dann auch wirklich bis in die Flasche zu bringen.
Nik
01:20:02
Nik: Ja, es gibt ganz, ganz wenige Dinge im Keller, wo man noch etwas verbessern kann oder aber man kann verändern, ein bisschen verbessern. Also ich glaube, die Qualität wächst im Weinberg. Also es ist so, man produziert im Weinberg 100 %, wenn man die erreicht, ist toll. Und dann muss man versuchen, diese 100 % mit möglichst wenig Verlust in die Flasche zu tragen. Das ist ein bisschen, wenn man jemand einem Wasser in zwei Hände, wenn man zwei Hände zusammenlegt und jemand schüttet Wasser rein une man versucht dann mit den beiden Händen das Wasser irgendwohin zu tragen. Man versucht so wenig wie möglich dann, dass einem durch die Hände rinnt. Und so ist das. So ist das hier auch. Und im Keller, ja, das beginnt schon mit der Schnittstelle Weinbergkeller. Da kann schon sehr viel kaputt gemacht werden oder verloren gehen. Und dann der Weg bis in die Flasche, sage ich immer, muss so kurz und ungestört wie möglich sein, um so viel wie möglich zu erhalten. Es gibt sicherlich Dinge, sagen wir mal ein gewisses Hefelager beispielsweise, oder bei Weinen, die beabsichtigt im Holzfass reifen, die Wahl des richtigen Holzes und die Dauer der Reife im Holzfass und das spielt alles eine Rolle. Da kann man auch noch Dinge verändern, vielleicht sogar noch ein bisschen verbessern, aber man kann auch...
Tobias
01:21:21
Tobias: Aber auch kaputt machen, wenn man sich nicht ordentlich anstellt.
Nik
01:21:23
Nik: ...Kaputt machen. Es geht letzten Endes ja immer um Balance, um Harmonie im Wein. Und wenn etwas irgendwo in Schieflage gerät, so stark, dass ein Element das andere komplett überlagert, dann ist das teilweise sogar. Kann das bis zu einem Fehler im Wein sein. Also ich finde zum Beispiel viel zu viel Alkohol, finde ich nicht schön. Viel zu viel Säure ist nicht schön. Viel zu viel Zucker, also Restzucker, viel zu viel Süße ist nicht schön. Viel zu viel Holz oder dieses. Also es geht immer um die Balance und der perfekte Wein hat die perfekte Balance. Und zwar in allen Achsen. In der Länge, wie lange er auf der Zunge ist, in der Breite des Aromenspektrums, aber auch in der Tiefe. Das wäre dann die Struktur, also wie kontrastreich der ist und dann auch, wie feinkörnig kontrastreich der Wein ist auf der Zunge, im Haptischen, im Strukturbereich.
Tobias
01:22:17
Tobias: Super. Ja, ich finde, das ist jetzt zum Ende der Folge hin sehr, sehr schön, noch mal über diesen Qualitätsaspekt gesprochen zu haben. Wir haben ja schon über Diversität gesprochen, die auch im Weinbau allesentscheidend ist. Und ich finde vor allem wir haben sehr, sehr viele Themen zusammengetragen und die, glaube ich, auch ziemlich gut, dank deiner Kompetenz auch erklärt. Und ich habe selber sehr viel dazugelernt und hoffe natürlich jetzt auch, dass es den Hörerinnen und Hörern auch so geht.
Michael
01:22:48
Michael: Ja, ich sehe die Klonkrieger jetzt mit anderen Augen, auf jeden Fall. Das war ein wichtiger Hinweis, dass die dann doch noch mal unterschiedlich sind. Ja, wir haben ungeheuer viel gelernt über etwas, was wir auch vorher nur geahnt haben. Und ich hoffe, das geht unseren Zuhörerinnen und Zuhörern auch so, deshalb noch mal ein ganz herzliches Dankeschön, Nick. Das war ungeheuer beeindruckend, was du vorgetragen hast. Und umso mehr freue ich mich, wenn es das nächste Mal wieder heißt.
Nik
01:23:17
Nik: Bei Anruf Wein.