Bei Anruf Wein – der Weinpodcast

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Mythos Bordeaux: Legenden und Wahrheiten

17.05.2022 39 min Weinfreunde.de

Zusammenfassung & Show Notes

In dieser Folge rufen Michael und Tobias die ganz großen Namen aus dem Bordeaux auf. Um dabei nicht sofort in Ehrfurcht zu erstarren, holen sie sich Beistand bei Cédric Garraud. Der gebürtige Bordelais und Weinexperte kennt die kleinen Geschichten hinter den großen Legenden und bringt uns auch die Besonderheiten des Weinhandels im Bordeaux näher. Vom Grand Vin gegen Melancholie und Trübsal bis zum Gruß an einen Admiral, der zum Namen eines Châteaus wird. „Bei Anruf Wein“ mit einer zweiten Folge über das Bordeaux.

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Produktion und Schnitt: Andreas Hagelüken

Transkript

Michael
00:00:02
Bei Anruf Wein. Der Weinfreunde-Podcast.
Tobias
00:00:10
Ich grüße euch, liebe Weinfreunde. Mein Name ist Tobias. Willkomm Bei Anruf Wein. Das rote Bordeaux war bereits in unserer 20. Folge Thema und jetzt möchten wir noch tiefer in diese sagenumwobene Welt einsteigen. Wieder mit dabei ist Weinfreund Cédric, in Bordeaux geboren und ein echter Experte, wenn es um Château und jahrhundertealte Klassifikationen geht. Heute weiht er uns auch in weniger bekannte Geschichten ein. Doch bevor wir loslegen, rufe ich nicht etwa Michael an, sondern den Gewinner unseres Gewinnspiels aus der bereits angesprochenen Folge. Dirk aus Springe durfte sich über eine Flasche 2015er Lafite Rothschild im Wert von mehreren Hundert Euro freuen. Bevor es also mit der neuen Bordeaux-Folge losgeht, spreche ich mit Dirk, um zu erfahren, was er mit der edlen Flasche so vorhat. Also bleibt mal dran. Ich ruf den mal an!
Dirk
00:01:07
Ja. Hallo, hier ist Dirk.
Tobias
00:01:08
Ja, hallo, Dirk. Also von meiner Seite jetzt erstmal herzlichen Glückwunsch zu diesem tollen Gewinn. Und natürlich in dem Zusammenhang auch danke für die Teilnahme an dem Gewinnspiel. Jetzt musst du uns unbedingt verraten: Wie war deine spontane Reaktion, als du erfahren hast, diese tolle Flasche gewonnen zu haben?
Dirk
00:01:26
Ja, erstmal danke schön für die Glückwünsche. Die spontane Reaktion war: Ich war ganz aufgeregt. Damit hatte ich nie gerechnet. Also eine Flasche mit dem Wert, sowas habe ich meinen Lebtag noch nicht gesehen und auch noch nicht probiert! Also ich bin mal richtig gespannt, ja.
Tobias
00:01:43
Jetzt hast du quasi schon auf meine nächste Frage geantwortet. Das heißt, das war jetzt auch ein Wein, den du in dieser Form so noch nicht in den Händen gehalten hast, oder?
Dirk
00:01:52
Nein, noch nie! Also ich habe schon teurere Weine genossen. Ich bin zum Weintrinker geworden an meinem Hochzeitstag. Da hatten wir einen richtig guten Rotwein. Ich kannte vorher immer nur so zum Vorglühen in der Disco, so irgendwie so einen französischen Landwein, das war's denn. Und dann gab es da so einen Wein, und seitdem liebe ich Rotwein.
Tobias
00:02:14
Ja, toll. Also dann hat es auf jeden Fall auch den Richtigen getroffen. Und jetzt ist ja so die Frage: Wann trinkt man so eine besondere Flasche? Gibt es da jetzt schon konkrete Pläne?
Dirk
00:02:25
Das habe ich mir auch überlegt, was oder wann und mit wem ich diese Flasche Wein trinken möchte. Ich hoffe ja, dass dieser teure Wein auch noch ein bisschen lagern kann. Von daher bleibt mir noch ein bisschen Chance zum Überlegen.
Tobias
00:02:37
Mit Sicherheit.
Dirk
00:02:38
Es ist ja so, es ist nur eine einzige Flasche. Also von daher werde ich da keine große Party schmeißen können.
Tobias
00:02:43
Ja, besser nicht.
Dirk
00:02:44
Von daher werde ich sie wahrscheinlich mit meiner Frau und einem befreundeten Ehepaar trinken.
Tobias
00:02:49
Ja, super. Das klingt doch nach einem extrem guten Plan. Und ja, gerade schon angesprochen, ich glaube, Eile ist nicht angebracht. Der wird sich noch paar Jahre, paar Jahrzehnte, glaube ich, bestens präsentieren. Ja, Dirk, das war's schon. Vielen Dank für das kurze Gespräch und vor allem noch mal herzlichen Glückwunsch und viel Spaß mit dieser tollen Flasche. Mach's gut. Bis bald mal!
Dirk
00:03:11
Ich danke dir. Tschüss.
Tobias
00:03:13
Ciao.
Michael
00:03:16
Wunderbar. Es geht weiter mit unserem Podcast und erneut geht es um das schöne Bordeaux. Wir hatten dazu bereits mal eine Folge mit dem Titel „Das rote Bordeaux - Crashkurs mit Gast". Und genau diesen Gast haben wir heute hier wieder sitzen, damit er uns als, ich sage mal, Experte weiterhelfen kann. Hallo Cédric.
Cédric
00:03:37
Hallo Michael und hallo Tobias.
Tobias
00:03:39
Ja, hallo Cédric, auch von meiner Seite. Schön, dass du wieder mit dabei bist, denn du bist ja wirklich als gebürtiger Bordelaise, sagt man das so?
Cédric
00:03:49
Bordelais. Ich bin ein Mann. Maskulin wäre Bordelais, Bordelaise wäre eine Frau.
Tobias
00:03:56
Direkt ins Fettnäpfchen getreten, okay. Aber du bist auf jeden Fall ausgewiesener Experte, also quasi schon durch den Geburtsort. Du bist aber eigentlich viel mehr. Du bist ein richtiger Insider in Sachen Bordeaux. Vielleicht, Das werden wir heute erfahren, sogar eine Art Whistleblower. Ja, und wir möchten uns heute noch mal so diesem ganz prestigereichen Bordeaux widmen. Wir hatten in der von Michael gerade schon erwähnten Folge bereits über die Klassifikation von 1855 gesprochen. Das sind also so, sage ich mal, die wirklich bekanntesten Château im Médoc, die damals im Rahmen der Weltausstellung ja in eine 5er-Aufteilung klassifiziert wurden. Ganz oben an der Spitze stehen die Premier Grand Cru Classés. Dann geht es entsprechend weiter mit Deuxième und den Rest kann ich jetzt auf Französisch nicht mehr so gut aussprechen. Es geht auf jeden Fall bis zu den 5er Grand Cru Classés. Und das Interessante ist, ich glaube, in letzter Folge hatten wir es auch schon mal anklingen lassen, die Produktionsmenge von Wein dieser altehrwürdigen Châteaus macht nur 10 % der gesamten Weinproduktion im Bordeaux aus. Das ist ja jetzt erst mal eine Sache, die man so gar nicht erwarten würde.
Cédric
00:05:14
Nun ja, aber wenn man es ganz genau nimmt, es sind nicht nur die Weingüter, die in dieser Klassifizierung, diese Premier, Deuxième, Troisième, Quatrième, Cinquième enthalten sind, sondern man muss es schon etwas weiter fassen. Das sind insgesamt die ich sage mal klassifizierten Gewächse aus Bordeaux Médoc, Pessac-Léognan, Saint-Émilion usw. Also die großen Weingüter, die auch über den Handelsplatz von Bordeaux, der Place de Bordeaux gehandelt werden, in der Subskription gehandelt werden. Und da sagt man, dass eigentlich diese großen Weingüter keine 10 % der Weinmenge in Bordeaux ausmachen. Das heißt, die Rolle dieser Weine, die ist historisch eigentlich viel mehr darin zu sehen, dass sie eine enorme Imagebedeutung hatten für das Weinanbaugebiet Bordeaux, für die Reputation des Namen Bordeaux, der Herkunft Bordeaux und dass natürlich sämtliche andere Weingüter, die in Bordeaux angesiedelt sind, davon gelebt haben. Und da findet man vom einfachsten Weingut bis zu deutlich anspruchsvolleren Weingütern aber eine große Vielzahl und Vielfalt an Weingütern. Aber tatsächlich, dieser Bereich von Bordeaux ist extrem wichtig. Nicht wegen der Weinmenge, sondern wegen des Images, dieser Spitzenqualität, die es da schon seit Jahrhunderten gibt. Das war eigentlich die große Imagelokomotive für Bordeaux.
Tobias
00:06:41
Und da gibt es ja durchaus auch dann noch mal einen Unterschied zwischen dem sogenannten linken Ufer im Bordeaux und dem rechten. Wir haben ja jetzt gerade mit den Grand Cru Classés über das Médoc gesprochen. Rechtes Ufer Pomerol, aber auch Saint-Émilion, kommen wir nachher auch noch mal dazu. Das ist ja in Sachen Prestigeträchtigkeit und Renommee jetzt nicht wirklich vergleichbar, ne?
Cédric
00:07:04
Ja, absolut. Wir hatten, glaube ich, in der ersten Folge vom Podcast zum Thema Bordeaux auch schon darüber gesprochen, welche Unterschiede geologisch und die Rebsortenverteilung linkes Ufer, rechtes Ufer gesprochen. Das, was du meinst, ist noch mal was anderes, nämlich, dass man sich das so vorstellen muss, Wein ist ja eigentlich ein landwirtschaftliches Produkt, also wird auf einem landwirtschaftlichen Betrieb hergestellt und diente vor ganz langer Zeit zur Risikoteilung. Das heißt, ein Landwirt, der hat natürlich nicht nur auf Wein setzen können, weil wenn irgendwas passiert wäre, witterungsbedingt zum Beispiel, oder wenn eine Krankheit ausbricht und seine Ernte ein oder sogar im schlimmsten Fall 2, 3 Jahre hintereinander schlecht ausfällt, dann hat er natürlich ein existenzielles Überlebensrisiko für sich, für seine Familie. Und dementsprechend haben die meisten landwirtschaftlichen Betriebe das Risiko gedrittelt und die Verteilung klassisch, zumindest bei uns in der Region in Südwestfrankreich, auch über die Grenzen von Bordeaux hinaus, sah aus 1/3 Wein, 1/3 Viehzucht, meistens Rinder, und Ackerbau, also zum Beispiel Mais.
Tobias
00:08:13
Ist ja das, was wir, glaube ich, in Deutschland von Winzern auch schon mal so gehört haben als...
Michael
00:08:16
Sogenannte Mischbetrieb, der oft in den Anfängen eines Weinguts steht. Und dann kommt jemand und sagt, nee, jetzt machen wir nur noch Wein.
Tobias
00:08:23
Genau.
Cédric
00:08:24
Und wenn man auf das zurückkommt, was du gerade angesprochen hast, da kann man schon nicht pauschalisieren, aber man kann schon sagen, dass das linke Ufer und das rechte Ufer von Bordeaux sich schon darin unterscheiden, dass die Weingüter, speziell im Médoc, in vielen Fällen natürlich von großen Handelsfamilien oder Politikern der Region, die sehr, sehr viel Macht hatten und sehr viel Vermögen besaßen, dass die sich halt eben Prestigebauten, richtig große Châteaus, man denkt da an Château Margaux zum Beispiel, ja, gebaut haben und dass das wirklich reine Weingüter waren, das waren also, man könnte fast aus heutiger Sicht sagen, das waren Spielzeuge, dieser mächtigen Leute im Staate Bordeaux. Und auf der anderen Seite, in Saint-Émilion, bis auf wenige Ausnahmen, die eher eigentlich rund um das Dorf Saint-Émilion gelegen sind, in der Regel schon, die meisten schon eher einen viel kleineren landwirtschaftlichen Betrieb dargestellt haben. Und dementsprechend ist auch die Durchschnittsrebfläche der Weingüter in Saint-Émilion, Pomerol viel, viel kleiner als die im Médoc. Zum Beispiel Petrus, ich glaube das sind 7-, 8-Hektar-Weinberge, und im Médoc findet man da schon sehr viel schneller, selbst bei Mouton, Lafite, Latour, Lynch-Bages, zum Beispiel Weingüter, die 50, 60, 80 Hektar Rebfläche haben.
Michael
00:09:50
Bevor wir jetzt da auf die ganz großen Namen einsteigen, möchte ich jetzt mal so eine ganz kleine, bescheidene deutsche Frage stellen: Gibt es da überhaupt deutsche Spuren im großen Bordeaux?
Cédric
00:10:00
Absolut. Und zwar zum Teil sehr erhebliche in dem Sinne, dass sie wirklich eine sehr große Rolle in der Weinwelt von Bordeaux gespielt haben. Aber eben das, was wir gerade beschrieben haben, auch diese Einflüsse von sehr reichen, mächtigen Leuten, dass war, Bordeaux war eine große Hafenstadt und als solches eine sehr große Handelsstadt. Und Bordeaux hat sehr viel auch in dem Sinne davon profitiert, dass großer Einfluss durch irische Einwanderer oder Händlerfamilien aus Holland, aus Dänemark, aus Belgien, die sich in Bordeaux niedergelassen hatten und solche Châteaus besaßen oder Weinhändlerfamilien waren, und eben auch deutsche Familien. Ja, und da gibt es welche, die in einer Historie angesiedelt sind, die viel weiter zurückliegt, und welche in der neueren Geschichte. Zum Beispiel, es gibt da den berühmten Hermann Kruse, der aus einer Handelsfamilie aus Schleswig-Holstein, war, glaube ich, damals teilweise sogar nach Dänemark, ausgewandert war als junger Mann nach Bordeaux und durch die Heirat einer Tochter einer sehr reichen Handelsfamilie, sag ich mal, seine Mitgift, er war ein ganz gewiefter und sehr, glaube ich, talentierter Weinhändler, im Jahr 1848, glaube ich, fast all in. Das ist natürlich alles auch viel im Bereich der Legendenbildung, aber es war tatsächlich so, all in hat er den Jahrgang 1847 von sämtlichen Weingütern am Platz von Bordeaux gekauft, en Primeur. Und en Primeur, also Subskription, war nicht wie heute, sondern damals hat man das gekauft, als der Wein noch am Stock war. Also das heißt, heute kaufen die Négociants, die Händler, den Wein en Primeur. Der ist zwar noch nicht abgefüllt und noch in Barrique, aber die können sich ein sehr, sehr genaues Bild davon machen, wie der Wein in dem Jahrgang auf dem Château so und so ausfallen wird. Aber der Mann hat das tatsächlich, wie man das eben damals machte, am Stock gekauft. Und das war quasi wie eine Wette all in und er hat gewonnen. Ich glaube wirklich, der Jahrgang 1847 war damals dann im Nachhinein sehr, sehr hochquotiert und das war wirklich eine große Basis für das Vermögen dieses Mannes. Und er hat dann verschiedene Weingüter gekauft in der Folge, wie zum Beispiel Château Pontet-Canet in Pauillac, Château Giscours in Margaux und eben auch zum Beispiel Château Laffitte Laujac, also etwas nördlicher im Médoc, in Bégadan. Und das Witzige an der Story, der hatte da eine, man würde heute sagen Winemaker, also der für für die Weingüter die Vinifizierung zuständig war, und dem hat er quasi den gleichen Weinkeller, die gleiche Infrastruktur gebaut auf Laffitte Laujac oben im Norden in Bégadan, in Pauillac by Pontet-Canet, das kann man heute noch sehen, und auf Giscours. Und das war wirklich witzig. Ich weiß noch, ich war mal bei verschiedenen Verkostungen dabei und mir ist das wirklich dann irgendwann mal da klar geworden, in diesem Verkostungsraum mit einem großen Spiegel konnte man rausgucken auf die Weinberge und sein Winemaker konnte mit seinem Pferd, also im Médoc von Norden nach Süden und wieder rauf und hatte jedes Mal muss der nicht von vorne wieder anfangen, sich wieder neu einarbeiten, eindenken, sondern er hatte das identische Arbeitsinstrument. Und das sind so, das sind so Dinge. Und diese Familie Kruse war wirklich eine der namhaftesten, einflussreichsten Familie, hatte hinterher viele Weingüter, auch zum Beispiel wie Château d'Issan in Margaux, weiteres Weingut. Und es war wirklich eine ganz, ganz große Weindynastie. Und zum Beispiel Château Laffitte Laujac, was ja exklusiv in Deutschland auch bei Weinfreunde ist, im Übrigen, das ist immer noch im Familie, im Besitz der Familie Kruse. Und historisch gesehen eben das, genau unser Beispiel von vorhin, die hatten, ich glaube, in der maximalen Ausprägung 140 Hektar Weinberge, aber fast 500 Hektar Land, weil sie haben heute noch eine der größten Rinderherden Aquitaniens, nämlich 500 Stück. Ich glaube, das ist die maximal zulässige Zahl für eine Rinderherde. Und die Familie, also ich könnte euch jetzt gar nicht sagen, in der wievielten Generation, aber die führen das Weingut von Laffitte Laujac immer noch. Und zum Schluss noch, weil man könnte da stundenlang über auch nicht nur die Familie Kruse sprechen oder über das Weingut, aber mir fällt noch eine sehr, sehr schöne, persönliche Anekdote zu den Kruse ein. Ich kenne ja die Vanessa Kruse, die auf Laffitte Laujac da seit Jahren die Verantwortung übernommen hat, schon lange und sie hat mir mal erzählt, dass in jeder Generation Kruse, der erstgeborene Sohn, immer als zweiten Vornamen den Vornamen Hermann bekommt, um eben diese Tradition von dem Hermann Kruse, der aus Schleswig-Holstein nach Bordeaux gewandert war. Also sehr, sehr schöne Geschichte.
Tobias
00:14:47
Okay, ja, da kann man ja nur von Glück sagen, dass die Töchter nicht auch mit Zweitnamen Hermann heißen müssen. Hermine, genau. Aber du sagtest vorhin auch, es gibt auch Beispiele, natürlich aus der neueren Zeit, wenn es um so einen Deutschlandbezug geht. Der Einzige, der mir jetzt persönlich einfällt, ist hier die Familie rund um Graf von Neipperg.
Cédric
00:15:09
Ja, Graf Neipperg, in der Tat, ist ein sehr, sehr erfolgreiches und auch in meinen Augen ganz tolles Beispiel eines deutschen Einwanderers, kann man sagen aus der jüngeren Zeit. Graf Neipperg kommt aus einer adligen deutschen Familie aus Württemberg, die auch selber Wurzeln im Weinbau hat, also die wirklich also aus der Familiengeschichte heraus höchste Kompetenz im Weinbau mitbringt. Und Graf Neipperg hat seine Weingüter vor allem in und um Saint-Émilion, ja, und das muss man auch wirklich sagen, hat sich durch die Qualität seiner Arbeit und die repräsentativen Aufgaben, die er da in Bordeaux übernommen hatte, wirklich also höchstes Ansehen, nicht nur international in der Weinwelt erarbeitet, sondern auch in Bordeaux. Also das heißt, die Leute von Bordeaux wirklich sehen ihn, so meine Interpretation, wie ich ihn immer da erlebt habe, wirklich als einen der Ihren, ja, sozusagen.
Tobias
00:16:11
Ja, sehr gut. Also ja, dann haben wir eigentlich das Kapitel deutsch-französische Freundschaft so ein bisschen hinter uns gebracht. Finde ich ja schon immer auch ziemlich spannend. Ja, vielleicht jetzt so ein Themenwechsel. Wir haben die ganze Zeit über die ganzen altehrwürdigen Château gesprochen, Premier Grand Cru Classé usw. Man spricht ja dann bei diesem einen großen Wein von so einem Château auch von dem Grand Vin. Ja, aber was vielleicht manche Zuhörerin und mancher Zuhörer gar nicht wissen, ist, es gibt auch eigentlich immer einen sogenannten Zweitwein. Da wird dann teilweise auch von dem Super-Second gesprochen, weil der besonders gut ist. Trotzdem aber natürlich nur ein Zweitwein, was sich auch im Preis bemerkbar macht. Ja, Cédric, ist dir natürlich auch ein Thema. Nenn uns doch vielleicht mal ein paar Beispiele, damit wir uns das Thema Zweitwein etwas besser vorstellen können.
Cédric
00:17:06
Ja, also das ist auch wirklich noch mal so, so ein Sonderthema für sich. Da kann man sehen, wie vielschichtig das Thema Bordeaux ist. Also die Zweitweine, natürlich erhöht sich auch der Begriff so ein bisschen herablassend an, ja, es ist aber wirklich eine in vielen Fällen ganz tolle Option. Ja, Super-Second ist da noch mal was anderes. Super-Second bezeichnet man Weine, die als Deuxième Cru Classé sind, aber die vom Qualitätsniveau eigentlich schon fast auf dem Level der ersten sind. Also zum Beispiel Château Léoville-las-Cases wird als Super-Second schon seit vielen Jahrzehnten bezeichnet. Aber ich bleibe mal bei dem Château Léoville-las-Cases.
Tobias
00:17:48
Der Weinlakai hat sich auf jeden Fall jetzt völlig vertan. Das muss man ja, muss man ja jetzt jetzt hier auch mal festhalten.
Michael
00:17:53
Ja, ich schreibe mir das direkt mal in den Kalender.
Tobias
00:17:55
Ja, das freut den Michael, ich weiß schon.
Cédric
00:17:55
Da kann man sehen, dass auch ein echter Weinprofi, eben weil das Thema so vielschichtig ist in der Tiefe, dass man da vielleicht das eine oder andere da nicht mehr ganz unterscheiden kann. Aber lass uns mal bei dem Beispiel Château Léoville-las-Cases bleiben. So ein Weingut hat eine Rebfläche X und das kann nicht über die jahre oder Jahrzehnte so passieren, dass man einfach die Rebfläche bepflanzt mit Rebstöcken und das bleibt einfach für immer so, sondern diese Rebstöcke haben einen Lebenszyklus und haben einen Produktionszyklus, nicht nur von der Menge her, sondern von der Qualität. Das heißt, ein Winzer und die Leute, die an seiner Seite auf dem Weingut arbeiten, die erkennen dann, irgendwann ist der Zeitpunkt gekommen, diese Parzelle herauszureißen, und wir sprechen auch von Monokultur. Das heißt, diese Parzelle muss sich normalerweise ein paar Jahre erholen und erst ab dann wird man diese Parzelle neu bepflanzen können. Vielleicht mit einer anderen Rebsorte, weil man neue Erkenntnisse hat. Und das braucht nun mal ein paar Jahre, bevor so junge Rebstöcke Trauben produzieren, die die Qualität haben, überhaupt für die Vinifizierung infrage zu kommen.
Tobias
00:19:06
Das muss man, muss man vielleicht an der Stelle auch mal sagen. Man spricht ja immer von alten Reben und Vieilles Vignes usw. Aber du hast genau das richtige Thema angesprochen. Irgendwann ist der Rebstock halt wirklich auch zu alt, so altersschwach, dass er dann nicht nur wenige Trauben hoher Qualität erbringt, sondern dann wirklich irgendwann gar keine mehr. Und dann sind Neuanpflanzungen einfach Pflicht.
Cédric
00:19:28
Genau. Und das ist ja wie in einem Gebäude, wenn man sich nicht darum kümmert, rechtzeitig eben diese Renovierung quasi des Weinberges in Gang zu setzen, dann entsteht ein Renovierungsstau. Und dann kann man wirklich sehr, sehr vieles riskieren, weil du kannst ja nicht einfach alles komplett irgendwann abreißen und über Jahre stehen lassen und noch mal Jahre warten, bis die Trauben gut genug sind, um wieder diese Qualität zu produzieren. Das heißt, du musst immer sehr, sehr nah dran sein. Ja und dann passiert Folgendes, dass man natürlich dann schaut, okay, jetzt sind die Trauben gut genug, um vinifiziert zu werden. Und dann, das hatten wir ja in unserer letzten Podcastfolge erklärt, Bordeaux ist ja Assemblage. Das heißt, jedes Jahr, jeder Jahrgang, neues Spiel, neues Glück. Du guckst, was hat der Weinberg da und da, diese und diese Parzelle überhaupt ergeben? Und was kommt überhaupt infrage für mich dieses Jahr, um eben dieses Maximum an Qualität in der größtmöglichen Menge, was das Weingut hergibt, eben produzieren zu können. Und da gibt es eine ganz strenge qualitative Selektion dieser einzelnen Tanks, die für jeweils eine Parzelle stehen. Und da muss man einfach auch als Winzer mutig und konsequent genug sein, um eben zu sagen, der und der Tank, die sind zwar super, aber die kommen dafür jetzt in diesem Jahr noch nicht infrage. Vielleicht nächstes Jahr.
Tobias
00:20:46
Für den Grand Vin noch nicht?
Cédric
00:20:47
Für den Grand Vin. Und trotzdem sind die Weine, die da jetzt aus der Selektion rausgefallen sind, tolle Weine. Und so ist diese Idee vom Zweitwein entstanden. Und in einem tollen Jahrgang sind auch die Zweitweine qualitativ sehr oft ganz, ganz nah an den Premier. Und da gibt es solche und solche Beispiele. Und da ist unser Beispiel von Château Léoville-las-Cases wieder ganz interessant, weil der historische Zweitwein von Château Léoville-las-Cases hieß immer Clos du Marquis. Und da hat die Familie Delon, glaube ich, irgendwann festgestellt, Mensch, irgendwie, wir machen jedes Jahr Clos du Marquis mit denselben Parzellen. Ein toller Wein, wirklich ein toller Zweitwein, der auch qualitativ und von der Nachfrage her so hoch geranked wurde, dass er fast auf dem oder teilweise über dem Preisniveau von dem einen oder anderen Grand Cru Classé lag. Und dann hat die Familie Delon gesagt, Mensch, dann machen wir doch hier einen eigenständigen Wein. Und Clos du Marquis ist, glaube ich, seitdem kein Zweitwein mehr in dem Sinne von Château Léoville-las-Cases, sondern ein eigenständiger.
Tobias
00:21:49
Oh wow, tolle Geschichte.
Michael
00:21:50
Das ist doch mal eine Karriere.
Tobias
00:21:52
Allerdings.
Michael
00:21:53
Aber ich, ich merke das jetzt schon. Eine kleine Frage habe ich noch, nur damit man sich die Dauer mal vorstellen kann. Jetzt werden die alten Reben rausgeholt, jetzt kommen neue Reben rein, dann dauert das 3, 4, 5 Jahre, bis überhaupt mal wieder Trauben wachsen. Wie viele Jahre stehen die da, bis die für so einen Grand Vin überhaupt zulässig sind?
Cédric
00:22:15
Also bevor die wirklich für die Vinifizierung infrage kommen, das muss jedes Weingut für sich entscheiden. Aber ich glaube, ich habe da so was wie 7, 8 Jahre im Kopf. Ja, und dann muss man sagen, bis wirklich dann der Weingutsbesitzer, seine Önologen, sein sein Team im Weinkeller entscheiden, okay, das ist es, da können teilweise wirklich mal ein Jahrzehnt ins Land gehen. Also wie alles beim Wein, die Uhren ticken langsamer.
Tobias
00:22:42
Geduld ist angesagt.
Cédric
00:22:43
Die Prozesse sind viel, viel langwieriger. Und gerade aus dem Grund, wie ich versucht habe, es zu beschreiben, muss man frühzeitig Entscheidungen in die Wege leiten und die Veränderungen, die Optimierung möglichst frühzeitig in Gang setzen.
Michael
00:22:59
Aber ich möchte jetzt noch mal so einen kleinen Schlenker machen. Wir hatten das ja vorhin schon mit der Aussprache verschiedener französischer Namen, da tue ich mich auch manchmal echt schwer. Mich interessieren aber auch die Geschichten hinter diesen Namen, die ja teilweise sehr kurios sind. Wie zum Beispiel spricht man aus, das ist Beychevelle? Ist das richtig?
Cédric
00:23:18
Ja, das hast du, das hast du eigentlich im Prinzip schon ganz gut hingekriegt. Château Beychevelle ist ein Beispiel. Es gibt auch andere Beispiele für Weingutsnamen, unter anderem aus Bordeaux, die für den Deutschen verständlicherweise schwierig auszusprechen sind. Zum Beispiel Château Haut-Brion von vorhin. Das ist Haut-Brion, H-A-U-T, sprechen viele Deutsche „OD-Brion". Aber das ist jetzt mehr im Bereich der, ich sage mal, Grammatikkenntnisse. Château Beychevelle ist natürlich noch mal eine ganz andere Geschichte. Der Name Beychevelle kommt aus dem, ich würde es mal als platt aus unserer Region beschreiben, das nennt man bei uns Patois. Das ist also auch von der Optik her B-E-Y-C-H-E-V usw. Für die Zuhörer, nur damit die das mal so bildlich vor Augen haben, vielleicht. Und der Ursprung von dem Namen Beychevelle, das muss man sich mal so vorstellen, das liegt ja relativ nah zum Fluss der Garonne. und Beychevelle gehörte mal einem Admiral, der sich da auch auf dem Weingut zurückgezogen hatte, und die ganzen Schiffe, die flussauf- und abwärts an dem Weingut vorbeifuhren, die haben aus Respekt, um diesen Admiral auch Respekt zu zollen, um ihm zu salutieren, auf Höhe des Weinguts immer die Segel auf Halbmast runtergelassen. Und ich, ich meine auch jetzt, wo du so darüber sprichst, bildlich, wenn ich an das Etikett von Beychevelle denke...
Tobias
00:24:49
Ja, ja, stimmt.
Cédric
00:24:50
...da ist auch so ein Segelschiff mit einem Segel auf Halbmast. Und jetzt kommt's: Die Bedeutung von Beychevelle in Patois, also in unserem Platt, bedeutet baisser la voile, also das Segel runterlassen. Und das ist der Ursprung des Namens von diesem Weingut.
Tobias
00:25:09
Ja, witzig. Und ich muss jetzt immer irgendwie an Béchamelsauce denken. Das muss ich jetzt irgendwie aus dem Kopf wieder kriegen, aber egal, dann...
Cédric
00:25:16
Beychevelle, baisser la Voile.
Tobias
00:25:18
Was heißt das jetzt wieder?
Michael
00:25:19
Die Segel runterlassen.
Cédric
00:25:20
Die Segel runterlassen.
Tobias
00:25:20
Ach so, ja, richtig, okay. Aber immerhin nur die Segel. Alles klar. Nein, Michael, du hattest aber noch irgendwie eine andere Geschichte recherchiert, wo wir jetzt mal nachfragen wollten. Und zwar ging es da um Baudelaire. Das ist ja so dein Gebiet.
Michael
00:25:33
Und es taucht ja irgendwo in einem Weingut Namen Spleen auf. Spreche ich das dann auch englisch aus oder wie spreche ich das aus?
Cédric
00:25:40
Ja, tatsächlich. Das ist ein Wort aus dem Englischen, was aber in der französischen Sprache, glaube ich, also schon eingebürgert wurde im Sinne von übernommen. Das ist ein Weingut in Moulis, das heißt Château Spleen und Château Chasse-Spleen ist wirklich sehr bekannt, sehr berühmt in Bordeaux, ist natürlich sehr, sehr lange Tradition, ist aber jetzt von der Klassifizierung her nicht so hoch angesiedelt vielleicht wie die großen Cru Classé aus dem Médoc, war aber immer sehr bekannt, weil der Spleen, ja, das ist so einer der bekannten Bücher von Baudelaire, und das beschreibt so ein bisschen Melancholie und Trübsal vielleicht, ja, das ist, so Wehmut. Also so ein bisschen das Gefühl, was man so bei Winterdepression oder so was haben kann. Und Chasse-Spleen ist, diesen Spleen eben wegjagen. Und da sagt man eben in Frankreich, in Bordeaux oder in Frankreich, um diesen Spleen loszuwerden, ja, also diese Wehmut, diese Trübsal, diese Melancholie wegzublasen, hilft nichts Besseres als ein schönes Glas Château Chasse-Spleen. Und so gibt es natürlich, das hatten wir aber auch schon mal.
Tobias
00:26:49
Da kann man nur zustimmen, ne?
Cédric
00:26:50
Bitte?
Tobias
00:26:51
Da kann man nur zustimmen, sage ich.
Cédric
00:26:52
Ja!
Michael
00:26:52
Da werde ich mir für den nächsten Winter auf jeden Fall schon mal Flaschen bestellen.
Cédric
00:26:55
Ja, ja, aber das hatten wir schon mal, das hatten wir ja gesagt. Natürlich, neben diesen ganzen fundierten geschichtlichen Hintergründen, die es natürlich auf diesen ganzen historischen Weingütern gibt, gibt es natürlich bei Wein in der Weinwelt sehr viel aus dem Bereich Legendenbildung. Davon leben diese ganzen Storys, aber ich finde sie sehr oft wirklich sehr schön.
Tobias
00:27:14
Ja, wunderbar. Ja, jetzt waren wir ja die ganze Zeit im Médoc unterwegs und haben uns noch mal über die Klassifikation unterhalten. Vorhin klang aber dann auch schon an, wenn man jetzt auf die andere Seite der Gironne hüpft, befindet man sich auf dem rechten Ufer im Bordeaux. Und da haben wir es dann mit so Namen zu tun wie Saint-Émilion, also dieses pittoreske Dörfchen. Du nanntest aber vorhin auch schon Château Petrus, vielleicht überhaupt auch eines der bekanntesten und auch teuersten Châteaus im Bordeaux, aber auch auf dem rechten Ufer, in Pomerol, die haben ja auch eine Klassifizierung. Und da liest man ja auch immer Grand Cru Classé usw. Und da gibt es aber ja auch diese wirklich höchste Klassifizierung Premier Grand Cru Classé, aber dann noch mal mit dieser seltsamen Unterscheidung zwischen A und B. Und außerdem liest man auch, das ist nicht jetzt irgendwie seit 1855 in Stein gemeißelt, sondern da verändert sich ständig was, da gibt es auch irgendwelche Querelen. Erzähl uns dazu noch mal was.
Cédric
00:28:20
Ja, zu den Hintergründen der Querelen kann ich auch teilweise gar nichts sagen, aber das ist richtig, was du sagst. Es ist schon ein großer Unterschied zwischen Saint-Émilion und ihrer Klassifizierung und der von 1855. Pomerol hat keine Klassifizierung. Also Petrus hat gar keine Klassifizierung. Und ich weiß, als junger Kerl in Bordeaux zum Ende meines Studiums, das war mein wirklicher Eintritt in die berufliche Welt, Weinhandel in Bordeaux. Da habe ich ein halbes Jahr im Weinhandelshaus von dem Jean-François Moueix, das ist der Eigentümer von Petrus, verbracht, und das war aber teilweise schon fast ein großer Stolz wiederum, weil der sagte: Ich brauche gar keine Klassifizierung. Ja, Petrus gehört mir und wir haben das größte Weingut. Das war trotzdem nur, glaube ich, 7 oder 8 Hektar Weinberge. Noch mal eine ganz andere Hintergrundgeschichte. Aber Saint-Émilion hat seine eigene Klassifizierung und tatsächlich auch Premier Grand Cru Classé. Und da um diese Elite doch noch mal feingetuned zu unterscheiden, wenn man das wirklich so machen kann, gibt es ja, wie du sagtest, diese A- und B-Klassifizierung. Und A und B waren eigentlich traditionell historisch immer Cheval Blanc, Château Cheval Blanc und Château Ausone. Das sind wirklich, glaube ich, die 2 ganz, ganz großen Namen aus Saint-Émilion. Und im Zuge der Jahre, der Jahrzehnte gab es aber in Saint-Émilion auch den Anspruch, sich immer wieder selber auf den Prüfstand zu stellen, sich zu hinterfragen und eine mögliche neue Klassifizierung zu veranlassen. Ganz, ganz, ganz groß waren diese, wie könnte man das bezeichnen, Umwälzungen in der Klassifizierung von Saint-Émilion nie, aber tatsächlich gab es Weingüter, die dann aufgestiegen sind. Ja, und da gibt es auch verschiedene interessante Geschichten, wie zum Beispiel Château Angélus, die auch wirklich dann als Premier Grand Cru Classé A klassifiziert wurde, wo man denken kann, Mensch, ein Traum für einen Winzer oder eine Winzerfamilie, eine Eigentümerfamilie, diesen Ritterschlag in die allerhöchste Ebene da zu schaffen, für sich und für die Folgegenerationen von dem Weingut. Aber ich glaube, dass De Boüard, der Eigentümer, vielleicht ist ihm irgendwas zu Kopf gestiegen. Ich weiß es nicht. Ja, aber ich glaube, er hat sich dazu entschlossen, irgendwann auch wieder aus der Klassifizierung rauszugehen. Also Klassifizierung hin und her. Das ist eine große Orientierung, ich sag mal, im Wertesystem, im qualitativen System von Bordeaux, vor allem aus der historischen Sicht betrachtet. Aber es gibt Weingüter wie Angélus oder Petrus, die eben gar keine haben. Das muss man wissen. Ja, aber das macht es auch interessant.
Tobias
00:31:13
Ja, wahrscheinlich ist das genau der Punkt. Angélus hat es jetzt zum Premier Cru Classé A geschafft. Jetzt legen sie die Klassifikation komplett ab und reihen sich sozusagen mit Petrus ein. Vielleicht ist das irgendwie so der psychologische Hintergrund.
Michael
00:31:28
Warten wir ab, würde ich sagen, warten wir ab. Vielleicht gibt es ja auch noch mal ein Comeback oder dergleichen.
Tobias
00:31:33
Ja, könnte sein.
Michael
00:31:33
Ich möchte jetzt noch mal auf einen anderen Punkt kommen. Wir haben jetzt über diese großen Weingüter gesprochen und man muss dann eben auch wissen, da rufen wir auch direkt immer große Preise auf. Überhaupt ist Wein kaufen von diesen Gütern etwas ganz anderes, als wir das hier kennen. Kannst du uns zum Beispiel mal was sagen, was die Aufgabe eines sogenannten Négociants ist?
Cédric
00:31:58
Ja, also das ist ja ein sehr, sehr altes Vertriebssystem am Platz von Bordeaux. Und das fängt an beim Weingut und zwischen dem Weingut und dem Négociant. Der Négociant ist ein Weinhändler, der kauft und verkauft wieder. Zwischen den beiden Handelsstufen in der Wertschöpfungskette hängt der sogenannte Courtier und der kassiert eine Courtage, also der hat keine Einkaufs- und Wiederverkaufsfunktion, sondern der Courtier in Bordeaux bekommt die Courtage für die Vermittlung. Das heißt, man muss auch da unterscheiden zwischen der Cru-Classé-Welt, dem Geschäft in der Subskription, den verfügbaren Jahrgängen. Und der Courtier hat kann auch eine gewisse Tätigkeit haben bei den kleineren Weingütern. Hier, wenn wir uns auf die Cru-Classé-Welt fokussieren, hat er eine Vermittlertätigkeit. Das heißt das Weingut, nehmen wir mal das Beispiel Cheval Blanc, wo wir gerade waren, die haben eine Produktion von X Flaschen im Jahr und wenn es dann auf die Subskription geht, also die Primeur-Kampagne, dann entscheidet das Weingut, okay, dieses Jahr will ich von diesem neuen Jahrgang so und so viel Prozent der Ernte am Platz von Bordeaux zumindest in einer ersten Tranche anbieten, den Négociants anbieten. Und das heißt, dieses Weingut arbeitet mit 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, X Courtiers und diesen Courtiers gibt er Allokationen, Das heißt, so und so viele Kisten hat dieser Courtier zur Verfügung, um diese den Négociants am Platz von Bordeaux anzubieten. Ja, und das teilweise stimmt er auch mit dem Courtier ab und sagt, der Négociant kriegt von mir so und so viele Kisten. Vermittle du das bitte, das Geschäft. Das heißt, es ist wirklich ein sehr, sehr altes, auf sehr alte Zeiten zurückzuführendes kapillarisches Vertriebssystem.
Tobias
00:33:47
Oh kapillarisch. Das klingt ja richtig medizinisch, ne?
Cédric
00:33:50
Ja, das ist wie die Blutgefäße. Das geht von groß bis ins kleinste Glied. Ja, und dieses System sichert natürlich den Weingütern eine sehr frühe monetäre Einkunft, weil die, wenn der Wein noch am Weingut im Fass liegt und weiter bearbeitet wird, im Hinblick auf die Flaschenabfüllungen, die dann noch mal ein Jahr später oder noch länger danach erfolgt, bekommt ja schon das Geld von den Négociants durch die Vermittlungsaufgabe der Courtier. Also die Négociants haben dann weiterhin die Funktion, wenn die das dann eingekauft haben, dafür zu sorgen, dass sie in ihren nicht nur in Frankreich vorhandenen, sondern weltweit international vorhandenen Vertriebsnetzen eben diese Anteile, diese Allokationen von den Weinen, die sie bekommen haben, wieder weiter zu verkaufen.
Michael
00:34:38
Wieso macht das Weingut das nicht direkt mit dem Négociant? Ich habe jetzt diese Aufgabe von dem Courtier nicht verstanden.
Cédric
00:34:45
Weil der Courtier hat eben diese Vermittlungsfunktion schon seit immer gehabt. Ja, und es ist nicht nur das Prinzip, das haben wir schon immer so gemacht, sondern es ist auch das Prinzip, dass das Weingut dadurch ja auch, ich sage mal, sich nicht abhängig macht von nur einem Négociant, ja, sondern dass er eben seine Allokationen so aufteilt über verschiedene Courtiers.
Michael
00:35:07
Ja, dann wird das kapillar auch noch mal.
Cédric
00:35:08
Dann, dadurch wird das kapillar und es ist auch eine gewisse Risikominderung für die Weingüter. Und es ist halt eben, der große Vorteil ist, dass sie sehr, sehr, sehr früh an liquide Mittel kommen, weil eben Weinbau in Bordeaux sehr viel Geld kostet.
Tobias
00:35:23
Ja, vor allem, du hast gerade so gesagt, das ist schon so seit immer. Hier in meinen Unterlagen haben wir gefunden, seit dem 12. Jahrhundert. Also ich glaube, da kann man tatsächlich schon von fast immer sprechen. Das ist ja schon ziemlich verrückt.
Michael
00:35:40
Cédric, du kannst so toll die Geschichten erzählen. Wir haben jetzt aufmerksam und mit viel Spaß zugehört. Jetzt möchte ich aber mal wissen: Was sind denn jetzt die Weine, die dich persönlich am meisten berühren?
Cédric
00:35:53
Wenn ich mich richtig daran erinnere, habe ich so, da muss ich so 14 Jahre alt gewesen sein, das erste Mal richtig Wein getrunken, probieren dürfen. Und das war Château Cheval Blanc. Und ich habe dann.
Michael
00:36:05
Oh ja, guter Einstieg.
Cédric
00:36:05
Ja, das war wirklich eine tolle Erinnerung dementsprechend. Und ich hatte dann auch später, auch als ganz junger Kerl, eine Kiste Cheval Blanc 1970 und eine Kiste Cheval Blanc 1971 bekommen. Kisten bei uns sind immer 12er-Kisten.
Tobias
00:36:24
Ja, was man so als junger Kerl so im Keller hat.
Cédric
00:36:27
Und ja, und tatsächlich. Also ich habe die über viele, viele Jahre bei mir gehabt und ich habe immer wieder, wenn besondere Momente waren, eine Flasche aus der einen oder aus der anderen Kiste genommen. Und das waren wirklich Begleiter für mich über viele Jahre. Und wie soll ich sagen, das war auch immer wieder schön, selber wieder zu erleben. Weißt du, wenn du in einen Weinkeller gehst, du machst die Kiste auf und da fehlen ja schon ein paar, und dann habe ich, wenn ich mich jetzt richtig dran erinnere, immer wieder an die Flaschen zurück gedacht, die ich für bestimmte Anlässe da rausgenommen hatte. Also das heißt, so eine schöne Weinkiste kann auch so ein bisschen so ein Begleiter sein in der Geschichte einer Familie. Wenn man wirklich für die besonderen Anlässe immer wieder so eine tolle Flasche aus so einer fantastischen Weinkiste holt. Also, um auf deine Frage einzugehen, so diese 2 Kisten Cheval Blanc, die haben mich viele Jahre begleitet, bis sie dann irgendwann alle waren. Und für mich war das auch immer besonders. Ich hatte einen Onkel, mit dem ich wirklich auch diese Weinleidenschaft geteilt habe und er war ein großer Fan von Château Ducru-Beaucaillou in Saint-Julien. Ist auch ein tolles Weingut, tolle Weine, auch wunderschön gelegen, da an der D2 auf so einer Kuppe. Und ich habe auch immer an ihn gedacht, wenn ich an Ducru-Beaucaillou vorbeigefahren bin, musste ich oft zu dem Weingut von meinem Chef da nach Pauillac zu Château Lynch-Bages und rechts habe ich das Weingut immer gesehen. Ich habe jedes Mal an Christian und meinen Onkel gedacht. Und immer wenn ich bei ihm zu Besuch war, da hat er sich gefreut. Da gab es was Schönes zu essen und er wusste ganz genau, und es gab immer wieder Château Ducru-Beaucaillou aus einem anderen Jahrgang. Und das war, das war so ein Ding zwischen ihm und und mir geworden. Und wirklich, Ducru Beaucaillou, das ist auch so emotional dementsprechend bei mir irgendwo angesiedelt. Da denke ich wirklich immer an den Christian. Ja, das sind so 2 Beispiele von wirklich schönen Erinnerungen an Weine.
Tobias
00:38:24
Aber das finde ich auch wirklich klasse, weil es zeigt wieder auf, Wein ist eben viel mehr als nur ein Getränk. Die ganze Historie macht es deutlich. Aber, wenn es dann auch noch sogar so ein persönlicher Begleiter ist, der einen an liebgewonnene Menschen erinnert, finde ich wirklich schön. Und ich finde, das ist eigentlich jetzt auch schon so zum Schluss hin genau die richtige Stimmung, in die wir uns jetzt begeben haben. Und außerdem, eins ist ja irgendwie dabei auch ganz klar, ja, Wein ist zum Teilen da. Ja, und ja, ich glaube, ein besseres Schlusswort konnten wir uns jetzt gar nicht wünschen. Und ja, ich würde sagen, wir machen das jetzt so, wie wir das immer machen, am Ende einer Folge. Ja, Michael, was meinst du?
Michael
00:39:08
Ja, zum Schluss wünschen wir natürlich noch, dass alle gesund und munter bleiben, bis es das nächste Mal wieder heißt.
Cédric
00:39:16
Bei Anruf.
Tobias
00:39:17
Wein.