Bei Anruf Wein – der Weinpodcast

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Parker, Punkte und Co: Weinkritiker

06.09.2022 26 min Weinfreunde.de

Zusammenfassung & Show Notes

Robert Parker ist der wohl bekannteste Weinkritiker überhaupt. Und obwohl er mittlerweile gar keine Weine mehr persönlich bewertet, haben die von ihm etablierten Parker-Punkte noch immer einen hohen Stellenwert in der Weinwelt. Warum das so ist und was es mit Punktebewertungen überhaupt auf sich hat, wird im heutigen Telefonat von Bei Anruf Wein erörtert. Außerdem: Tobias gibt damit an, dass er Mr. Parker in Vergangenheit schon einmal interviewt hat und Michael möchte ihm dafür 99 Luca-Maroni-Punkte schenken.

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Produktion und Schnitt: Andreas Hagelüken

Transkript

Michael
00:00:02
Bei Anruf Wein. Der Weinfreunde-Podcast.
Tobias
00:00:09
Ich grüße euch, liebe Weinfreunde. Mein Name ist Tobias. Willkommen Bei Anruf Wein. Wer kennt ihn nicht? Robert Parker. Seine Parker-Punkte üben noch heute großen Einfluss auf die Weinwelt aus, obwohl der ehemalige Anwalt aus Baltimore persönlich gar keine Punkte mehr vergibt. Aber wie kam es eigentlich dazu, dass seine Weinbewertungen so einen großen Stellenwert erlangten? Und wie sind diese Punkte überhaupt gemeint? Und genießt heute jemand eine ähnlich hohe Bedeutung im Geschäft der Weinkritik? Fragen über Fragen, die ich jetzt unbedingt mit Michael klären muss. Also bleibt mal dran. Ich ruf den mal an!
Michael
00:00:55
Hui, mein lieber Weinlakai Criticus. Schön, dass du wieder zurückkehrst nach deinem Ausflug in die Popprominenz. Aber das Soloabenteuer mit Samu Haber sei dir mal vergeben. Allerdings, für diesen Bei Anruf Wein-Seitensprung bist du mir eigentlich eine gute Flasche Wein schuldig oder? So, ich sag mal Garnacha von alten Reben vielleicht.
Tobias
00:01:17
Jetzt mal langsam. Also, ich meine, an einer guten Flasche Wein sollte es jetzt nicht fehlen. Aber eigentlich habe ich dir doch nur Arbeit abgenommen. Also, müsstest du mir nicht viel mehr als Dankeschön einen besonderen Wein auf den Tisch stellen? Immerhin ist diese Folge wirklich durch die Decke gegangen. Ja, das hatten wir so auch noch nicht erlebt, und hat uns ja schließlich beiden jede Menge neue Zuhörerinnen, ja, und vielleicht auch ein paar neue Zuhörer gebracht. Also ein guter Burgunder würde mir schon eine Freude bereiten.
Michael
00:01:50
Ach, so läuft das jetzt hier. Ist dem Herren noch eine spezielle Punktezahl für den Wein genehm? Und von welchem Kritiker bitte? Klassische Parker-Punkte? Na ja, gut, im Burgund eher weniger. Aber irgendjemand aus der neuen Garde? Also, wenn ich so recht überlege, Tobias, wir kennen uns ja schon länger, passt doch ein Wein mit 99 Luca-Maroni-Punkten zusammen. Damit mache ich dir doch eine Freude.
Tobias
00:02:17
Ja, lass mal stecken. Also, dann bring doch lieber ich einen Wein mit. Aber bevor wir jetzt direkt in die Welt der Punkte und Weinkritiker eintauchen, muss ich noch mal zurück. Du weißt schon, unser Gewinnspiel. Wir müssen doch noch 2 Gewinnerinnen bzw. Gewinner nachtragen. Das ist in dem Samu-Haber-Trubel, glaube ich, ein bisschen untergegangen. Aber hier soll es ja alles mit rechten Dingen zugehen.
Michael
00:02:43
Unbedingt. Und richtig, es geht noch um die 3 Rosé-Weine, die wir zu unserer Urlaubsweinfolge ausgelobt haben.
Tobias
00:02:49
Kurz und schmerzlos: Über unser Rosé Trio kann sich Pascal freuen. Der Gute hat uns mit einer kritischen Würdigung bedacht, die gleichermaßen motiviert und inspiriert. Also danke dafür und viel Spaß mit den Weinen.
Michael
00:03:05
Ja, Gratulation auch von meiner Seite, Pascal. Dann übernehme ich mal die Magnumflasche. Also die Sessantanni Primitivo di Manduria 2017 in der original Holzkiste geht an: Nora an die Ostsee. Einfach weil uns gefallen hat, was die Vorstellung, den Wein zu gewinnen, bei ihr ausgelöst hat. Da konnten wir einfach nicht anders. Also herzlichen Glückwunsch!
Tobias
00:03:27
Ja, Nora, auch von meiner Seite, wunderbar. Dann hätten wir den Teil doch erledigt und können uns jetzt dem Thema Weinkritiker und Punktebewertungen für Weine widmen. Mir wäre übrigens ganz lieb, wenn wir am Anfang mal darüber nachdenken, warum es diese Punkte überhaupt gibt und warum Weinkritiker zu echten Kultfiguren aufsteigen können. Wie schaffen die es, geradezu eine eigene Disziplin im Weinbusiness zu begründen und so großen Einfluss zu gewinnen, obgleich sie ja weder Wein erzeugen noch verkaufen? Also da muss schon viel zusammenkommen, damit das dann auch ökonomisch erfolgreich funktioniert, oder?
Michael
00:04:04
Sieh an, sieh an, Tobias, du bist ja ein richtiger Weinkritiker-Kritiker. Dabei hatte ich mir schon die Frage zurechtgelegt, warum es eigentlich keine Weinlakai-Punkte gibt. Du sprichst doch auch Weinempfehlungen aus, hast also eine eigene Systematik, die über Daumen hoch oder Daumen runter bei einer Empfehlung entscheidet. Oder bist du einfach noch nicht so weit?
Tobias
00:04:26
Na ja, also sagen wir mal so, bei aller Kritik an der Weinkritik, die einschlägig bekannten Damen und Herren verstehen natürlich durch die Bank jede Menge von Wein. Ja, allein die Weinbibliothek, die sie im Kopf und auf Papier haben, ist respekteinflößend. Und was den Sachverstand also angeht, gibt es da kaum Zweifel. Aber ich zweifle eben daran, dass es zu den absoluten Topbewertungen letztlich nicht ohne einen sehr persönlichen Einschlag dann auch kommt. Also ist doch klar, jede oder jeder, sieh dir nur uns beide an, hat so seine Vorlieben und Schwächen. Ja, bei dir überwiegen, na ja, lass ich jetzt mal so stehen, und nicht umsonst werden hohe Parker-Punkte mit einem bestimmten Weinstil in Verbindung gebracht. Also noch einmal: Welche Aufgabe beansprucht die Weinkritik für sich eigentlich und welchen Einfluss übt sie darüber hinaus noch aus?
Michael
00:05:20
Du bist doch heute so philosophisch aufgelegt hier. Liegt das am Wein oder am Wetter? Ne, mal ganz im Ernst, das sind genau die wichtigen und richtigen Fragen. Weinkritik will unabhängig und mit großer Expertise Weine beschreiben und damit Konsumenten, sprich Weinfreundinnen und -freunde wie du und ich so, bei der Orientierung im nicht ganz übersichtlichen Weinmarkt, das muss man ja mal zugeben, helfen. So die Theorie zumindest. In der Praxis sieht es dann leider aber oft so aus: sie trinken vor vergeben Punkte und wir trinken nach. Umso mehr, desto höher die Punkte der Weinkritik ausfallen. Ja, also da gibt es tatsächlich einen kommerziellen Hebel. Ja, quasi so eine Art Marketing-Echo, das man im Sinn haben muss, wenn man sich diese Punkte anguckt. Bei der Weinexpertise der Kritiker, da bin ich ganz bei dir. Also das würde ich niemals anzweifeln wollen. Niemals. Aber jetzt lass uns mal ein wenig ausrechenbarer werden nach der Philosophie. Ich möchte mit dir, lieber Tobias, über den Zahlenraum bis 20 und den bis 100 reden.
Tobias
00:06:28
Okay, das hört sich jetzt gut an, das sind so Gespräche, die ich eigentlich nur mit Grundschulkindern führe. Aber egal, wir machen uns mal an die Rechenbeispiele für heute, ja. Zwar heißt es ja immer, weniger ist mehr, aber wir beginnen mal mit der Parker-Skala von 100 Punkten. Also allein fürs Weinsein, ja, also vergorene Trauben sozusagen, gibt es bei Parker schon mal 50 Punkte. So, also das heißt, diese Skala fängt nicht bei 0 an, sondern bei 50. Wenn ein Wein dann tatsächlich schlecht bis unterdurchschnittlich ist, dann kriegt er auch nur zwischen 50 und 69 Punkten. Bei 70 bis 79 Punkten spricht man dann schon von einem durchschnittlichen Wein. Ist jetzt auch nicht so toll. Und ab 80 wird es dann laut dieser Punkteskala eigentlich interessant, denn dann heißt es, einen guten bis sehr guten Wein im Glas zu haben. 90 bis 95 Punkte bedeutet dann, der Wein ist hervorragend. Also das ist dann wirklich schon richtig, richtig gut. Und ja, logischerweise Weine, die dann sogar noch mehr Punkte bekommen, sind außergewöhnlich und gehören dann mehr oder weniger schon wirklich zur Weltklasse.
Michael
00:07:44
Okay, das ist so ein bisschen ja wie mit den Schulnoten jetzt. Wenn man an den kommerziellen Hebel denkt: so 89 Punkte, Sehr gut, setzen. Dabei, wir kennen uns da ja aus ein bisschen, dabei dürfen es heutzutage in der Bewerbung von Weinen kaum mehr unter 90 Punkte sein. Ja, also die 9 muss stehen, kann man quasi sagen. Und man muss ja auch wissen jetzt, bei der Punktevergabe, diese Zahl, das ist ja eine Summe von Additionen einzelner Punktbewertungen, die wiederum für ganz bestimmte Faktoren vergeben werden. Und damit landen wir letztlich wieder bei dem Thema Verkostung. Wir hatten das ja schon mal Bei Anruf Wein, das ist jetzt schon was her, hilf mir, 11, 12, so in dem Dreh, ne? Oder bei 11, 12? Gucke ich gleich mal nach. Ich glaube, Folge 11, 12, das stimmt. Ja, so war das. Also es geht wieder um Auge, Nase und Gaumen. Und jetzt, Tobias, die Punkte, bitte. Wie setzt sich die Formel für die entscheidenden 50 Punkte denn jetzt zusammen?
Tobias
00:08:46
Ja, das können wir ja mal aufdröseln. Wobei vorausgeschickt, also ich glaube, so ein Parker, aber auch andere erfahrene Kritiker, die diese 100er-Skala verwenden, die rechnen das gar nicht mehr irgendwie so mathematisch aus, sondern die probieren den Wein und haben dann schon so eine Punktzahl eigentlich im Kopf. Das geht mir ehrlich gesagt mittlerweile auch schon so. Aber es steckt tatsächlich mehr dahinter. Also es geht erst mal mit diesem Grundwert von 50 Punkten für einen fehlerfreien Wein los. Also der darf keinen Kork haben oder sonst irgendwelche Weinfehler, und dann wird es eigentlich erst spannend. Maximal 5 Punkte wird für die Klarheit und Farbe des Weins vergeben, also für das Auge. Dann für die Vielschichtigkeit und Expressivität an der Nase gibt es maximal 15 Punkte, das ist dann schon ordentlich. Aber das wichtigste Kriterium ist natürlich der Eindruck am Gaumen. Da gibt es maximal 20 Punkte. Und hier geht es natürlich um Geschmack, Balance, also Thema, Eleganz und dann eben auch dem Finale, um Finesse und auch, ja, Eindrücklichkeit. Also was hinterlässt der eigentlich für einen Eindruck am Gaumen, nachdem man ihn runtergeschluckt hat? Ja, und dann gibt es noch mal 10 Punkte zum Abschluss, mit denen dann noch mal das Gesamtbild des Weines honoriert werden. Aber auch sein Alterungspotenzial findet in der Bewertung noch Einfluss. Also noch mal zu den Zahlen zusammenfassend: 50 Punkte ist der Grundwert, 5 Punkte für das Auge, 15 für die Nase, 20 für den Gaumen und nochmal 10 Extrapunkte für den Gesamteindruck. Macht dann maximal 100 Punkte.
Michael
00:10:29
Sehr gut, sehr gut. Schön erklärt. Müsste man eigentlich mitschreiben, aber das findet ihr eigentlich auch alles im Weinfreunde-Magazin. Kann man an der Stelle ja auch mal sagen. Dann widme ich mich doch mal der 20er-Skala, die vor allem mit dem Namen Jancis Robinson verbunden ist. Also sie ist quasi die Gegen-Parkerin. Ja, die Frau ist eigentlich, was die Qualifikation betrifft, nicht zu toppen. Autorin für alle Medien, die du dir vorstellen kannst, Verfasserin von Standardwerken zum Wein, nicht zuletzt Master of Wine, ja, und zwar die Erste, die diesen Titel erhalten hat, die nicht im Weinhandel tätig ist. Das ist ja noch mal ein Hinweis. Und all das macht allein schon, weiß ich nicht, 3 Verbeugungen notwendig, ne? Jetzt mal im Ernst: An der Kompetenz von der Frau wagt keine und keiner zu zweifeln.
Tobias
00:11:20
Ja, absolut. Und dein Verweis auf den Weinhandel ist jetzt noch mal wichtig, denn es ist ja hauptsächlich der Handel, der traditionell Weine bewertet. Also er muss ja auch Differenzierung schaffen und Orientierung bieten für den Konsumenten. Das Thema hatten wir ja schon mal. Er sucht letzten Endes nach Güte, die sich dann aber auch gut verkaufen lässt. Ja, und das sind dann nicht immer nur die allerbesten Weine. Und plötzlich gibt es Menschen, die Wein öffentlichkeitswirksam beschreiben und empfehlen. Und zwar mit unbestrittenem Sachverstand, also ohne sozusagen den Lagerbestand noch im Auge zu haben und zu sagen, oh, der muss jetzt mal weg. Ja, und da liegt letzten Endes die Geburtsstunde der Weinkritik, der unabhängigen Weinkritik, glaube ich. Und ja, andere historische Vorbilder dafür gibt es ja nicht. Jancis Robinson trägt daran enormen Anteil aus meiner Sicht. Aber sie gefällt mir auch deshalb so gut, weil für sie Wein nicht nur Job ist. Sie hat mal gesagt: „I consider myself a wine connaisseur most days and wine lover every night". Ja, das ist doch toll, oder? Und zudem bin ich da wieder bei meinen am Ende entscheidenden subjektiven Vorlieben, ja, wenn es dann um die wirklichen Top-Punkte geht.
Michael
00:12:37
Ja, ja, auch als Wine Lover am Abend hat man ja so seine Eindrücke und seine Befriedigung. Gut, aber mit, Tobias, wir sind uns ja heute so einig. Was ist los? Unglaublich. Also wir müssen uns mal untersuchen lassen.
Tobias
00:12:51
Tja, ist doch schön.
Michael
00:12:52
Ich mache jetzt mal im selben Sinne weiter, und zwar mit dieser 20-Punkte-Skala, die nicht nur Jancis Robinson, sondern auch viele andere Kritiker benutzen. Auch hier geht es wieder um eine Addition von Punkten für die Bereiche Auge, Nase, Gaumen und diesen berühmten Gesamteindruck. Um es jetzt deiner Aufschlüsselung gleich zu machen: 2 Punkte für die Klarheit, 2 Punkte für die Farbe, 4 für die Nase, 7 für den Gaumen plus 5 Punkte für den Gesamteindruck, gleich 20 Punkte.
Tobias
00:13:25
Ja, wow, das war jetzt auch schön erklärt. Und ich habe gesehen, im Netz gibt es sogar so Schaubilder, wo dann sozusagen die 20er-Skala über die 100er-Skala gelegt wird, damit man auch so ein bisschen sehen kann: Was bedeuten jetzt eigentlich 17 Punkte der 20er-Skala in der 100er-Skala? Ja, Weil Leute das auch vergleichen wollen. Aber das ist dann schon ein ordentlich nerdiges Thema und ich hoffe, mit diesen ganzen Punkten und der Aufzählung haben wir jetzt unsere Zuhörerinnen und Zuhörer nicht überfordert. Also für mich persönlich muss ich ja sagen, ist diese 20er-Skala ein bisschen zu starr. Ja, also ich bevorzuge einfach die 100er-Skala, weil man hier noch feiner abstufen kann. Ja, aber gut, egal. Ja, jetzt haben wir bislang erst 2 Namen von Weinkritikern bzw. Weinkritikerinnen genannt, Robert Parker und Jancis Robinson. Aber da sind ja noch viel, viel mehr. Gerade wenn man die doch sehr angelsächsisch geprägte internationale Weinkritik in den Blick nimmt. Also ich denke da mal an James Suckling und Tim Atkin oder Monica Larner und Lisa Perrotti-Brown, an Antonio Galloni, Hugh Johnson, Jeb Dunnuck und Neal Martin natürlich, aber auch an Stephan Reinhard und Stuart Pigott. Dann sollte man noch, denke ich mal, auch.
Michael
00:14:41
Stopp! Stopp, stopp, stopp, Stopp! Ich glaube, es wird jetzt zu verwirrend. Also alles bekannte Namen und es ehrt dich sehr, dass du sie alle kennst und uns dahersagen kannst. Aber, wenn man, wie es eigentlich richtig wäre, dazu noch die Titel nimmt der Fachzeitschriften, für die die von dir genannten Kritikerinnen und Kritiker geschrieben haben oder gerade jetzt schreiben, dann stiften wir, glaube ich, mehr Verwirrung als Orientierung. Da brauchen wir, wie nennt man das heute, wir brauchen ein anderes Narrativ, tobias.
Tobias
00:15:11
Ja, Moment mal. Das heißt, ich soll jetzt nicht Falstaff, Vinous, Wine Spectator, Gambero Rosso, Decanter, Eichelmann, Weinwisser oder Vinum nennen? Und was bitte hat ein Narrativ mit Wein und Weinkritik zu tun? Was ist das überhaupt?
Michael
00:15:25
Hm. Vor allen Dingen, endlich mal ein wenig Emotion heute. Danke Tobias. Also Narrativ meint vielleicht rollen wir das Thema mal anders auf und erzählen es eben nicht als Namensliste von Berühmtheiten, wie wir das gerade getan haben, sondern zum Beispiel als ein Netzwerk, das gewachsen ist und sich immer mehr verzweigt hat, aber letztlich gemeinsame Wurzeln hat. Dann hat man einen ganz anderen Blick auf die Szene, sage ich mal.
Tobias
00:15:51
Okay, das gefällt mir, das verstehe ich auch. Ja, dann fangen wir doch einfach mal an, okay? Also, es war einmal ein Jurist aus Baltimore in den USA, der seinen sicheren Job bei einer Agrarbank hinschmiss, um sich ganz seiner Leidenschaft, dem Wein, hinzugeben. Ausschlaggebend war der Besuch bei seiner Freundin, die in Frankreich ein Studienjahr absolvierte. Der Mann kaufte sich ein paar Postadressen zusammen und bediente diese mit Besprechungen und Empfehlungen von Weinen, unabhängig von den Händlern. Ja, das war erst einmal so ein fotokopierte Wurstzettel. Aber der Mann gewann zunehmend Abonnenten und damit auch Einfluss. Nicht zuletzt, da sein Auftakt die Bewertung des legendären 1982er-Bordeaux-Jahrgang bildete. Das war dann auch ein bisschen Glück. Ja, jetzt ist natürlich klar, es geht um Robert Parker und seinen Wine Advocate. Wusstest du eigentlich, dass ich den für meinen Weinlakaien-Blog schon mal interviewt habe?
Michael
00:16:50
Klaro, Aber interviewt ist vielleicht ein bisschen übertrieben. Du hast ihm Fragen geschickt und er hat sie dir schriftlich beantwortet.
Tobias
00:16:57
Ja, toll, wie du das wieder irgendwie kleinredest, Aber ja, gut, ich gebe zu, das war jetzt nicht so die Samu-Haber-Nummer. Aber immerhin hat er mir erklärt, was für ihn ein 100-Punkte-Wein ausmacht. Habe ich eben noch mal auf weinlakai.de nachgelesen. Ist doch vielleicht auch ganz interessant für unsere Zuhörerinnen und Zuhörer. Also pass mal auf, er sagte mir: „Perfekte Weine müssen über alles verfügen. Fülle, Komplexität, Ausgeglichenheit und das Potenzial, gut zu reifen. Kurz gesagt, sie müssen ausreichend Tiefe und Reichhaltigkeit haben, um einem Alterungsprozess von 10 bis 20 oder mehr Jahren standhalten zu können". Na ja, die Antwort war jetzt sogar noch ein bisschen ausführlicher, aber ich finde das als Zusammenfassung ziemlich gut.
Michael
00:17:43
Ja, ja, erst Interview, 100-Punkte-Skala. Ich sehe schon, du bist so ein richtiger Parker-Fanboy, Herr Weinlakai. Also dann müssen wir jetzt mal bei Robert M. Parker Jr. doch noch etwas ausführlicher werden. Also, die Geschichte von eben. Der Mann aus Baltimore bereiste die große, weite Weinwelt und verschrieb sich vor allem den Top-Appellation in Bordeaux. Doch bald schon war der Zeitpunkt gekommen, da der Weinversteher, born in the USA, nicht mehr alles erledigen konnte, was ihm angeboten wurde. Also suchte er sich Brüder und Schwestern im Weingeiste und ließ sie alle Weinländer missionieren. So wuchs die Schar der Weinkritiker unter dem Banner des Wine Advocate deutlich an einer Art Tafelrunde, an der nach 100-Punkte-Schema gezecht wird.
Tobias
00:18:32
Ja, Tafelrunde ist gut. Und jetzt habe ich wirklich verstanden, was du mit Narrativ meinst, weil wir hören uns jetzt schon die ganze Zeit so an, als würden wir irgendwelche Geschichten vortragen. Ja, aber zu diesen illustren Kritikerinnen und Kritikern, die beim Wine Advocate geschrieben haben, zählen beispielsweise Robert Parkers angeblicher Ziehsohn Antonio Galloni, dann aber auch Jeb Dunnuck und auch der Brite Neal Martin. Und heute sind es Namen wie Stephan Reinhard und vor allem auch Lisa Perrotti-Brown, die ja den Wine Advocate leitet, die für diese Robert Parker Trademark heute stehen. Ja, Perrotti-Brown ist Chefredakteurin, jetzt auch immerhin schon seit 10 Jahren. Und der Mann aus Baltimore? Ja, der veröffentlicht längst keine Punktebewertungen mehr. Aber nach wie vor ist allüberall von Parker-Punkten die Rede. Ja, das ist völlig wurscht, ob der da jetzt persönlich dahinter steht oder nicht. Ja, insbesondere, weil das eben im Weinhandel immer noch sehr gut ankommt und eben bei Weinfreundinnen und Weinfreunden auch. Und da sagt mir jetzt mal einer, der Mann hätte keinen Einfluss ausgeübt.
Michael
00:19:39
Ne, ne, ne. Gleich 2 Sachen fallen mir dazu ein. Also erstens der internationale Stellenwert, der, sagen wir mal, die Parker-Schule auf die Weinkritik überhaupt gehabt hat, ist nicht zu unterschätzen. Ja, da halten ja eigentlich nur noch die Engländer um Jancis Robinson und Hugh Johnson mit, ja. Zweitens, und zudem hat ja Parker mit seinen Punkten angeblich auch einen bestimmten Weinstil und im Gefolge auch bestimmte Önologen und Weinmacher, nennen wir es mal, protegiert. Weißt du darüber mehr?
Tobias
00:20:09
Ja, das war natürlich lange Zeit ein sehr kontroverses Thema. Ja, also man hat immer wieder gesagt, Parker steht eigentlich für kräftige, charakterstarke Rotweine, also Weine, die über Struktur und merklich Tannine verfügen, eher opulent als filigran daherkommen. Also man könnte jetzt auch sagen: Bordeaux. Ja, seine absolut bevorzugte Region. Nicht so sehr das Burgund. Ja, also diese finessenreiche Weine, die hat man nicht wirklich mit Parker verbunden. Worauf du anspielst ist ja, dass im Zusammenhang von Parker und seiner Bedeutung für das Bordelais oft auch der Name Michel Rolland fällt. Also ein Weinmacher, der sich für statistisch auffällig viele Weine zeichnet, die später vom Weinpapst Parker in höchsten Tönen und Punkten gelobt wurden. Also ja, der spielt auch heute immer noch eine Rolle und berät ganz viele Weingüter weltweit. Vielleicht in der Hoffnung, einfach gute Punkte zu bekommen und dadurch den Absatz der Weine nachhaltig zu fördern, wer weiß?
Michael
00:21:13
Ja, und jetzt, was hast du vergessen? Eigentlich sind da wieder deine subjektiven Spitzen bei der Bewertung, von denen du vorhin schon gesprochen hast. Und anscheinend hat dieser Michel Rolland den Parker in diesem Punkt halt eben lesen können und darin seine Chance gesehen. Das müssten wir eigentlich mal unseren Bordeaux-Experten Cédric Garraud fragen, oder? Da machen wir mal was zu. Aber ich möchte jetzt noch einmal, Entschuldigung, ganz kurz auf was anderes zurück. Eine persönliche Frage: wie viele 100-Parker-Punkte-Weine hast du persönlich schon getrunken?
Tobias
00:21:48
Ja, ich glaube, das waren schon ein paar. Aber ehrlich gesagt bin ich jetzt ein bisschen enttäuscht, denn ein paar davon müsstest du kennen. Die haben wir nämlich gemeinsam trinken dürfen. Ich erinnere mich zum Beispiel an einen Châteauneuf-du-Pape von Clos des Papes aus dem Jahrgang 2007. Das kann ich ja hier in meiner App nachgucken, CellarTracker übrigens, sehr zu empfehlen. Den haben wir, haha, im Mai 2017 zusammen probiert. Ist schon ein bisschen her, aber ich habe das alles notiert.
Michael
00:22:19
Ja, ja, ja, allerdings. Es leuchtet gerade ganz arg in meinem ungepflegten Weingedächtnis auf, Entschuldigung. Und hatte dieser Châteauneuf mit dem tollen Namen Deus ex Machina nicht auch 100 Parker-Punkte? Den hast du doch auch schon mal spendiert, hm?
Tobias
00:22:34
Ja, das stimmt. Das war der 2003er. Den hatten wir übrigens erst dieses Jahr im Januar im Glas. Aber bei den 100 Punkten, aber bei den 100 Punkten ist das „hatte" sehr korrekt ausgedrückt, denn 2014 wurde diese perfekte Bewertung auf 99 Punkte relativiert. Ja, auch so etwas gibt es. Also die 100 Punkte, die waren damals noch sozusagen originale 100 Parker-Punkte, und 2014 wurde das glaube ich von Jeb Dunnuck dann sozusagen revidiert, wobei 99 Punkte ja immer noch wirklich gut sind. Aber da ist halt eben auch durchaus Bewegung drin, weil die Weine ja nach gewisser Zeit einfach noch mal nachverkostet werden. Was im Übrigen für mich total viel Sinn macht, um einfach die Reifefähigkeit auch, ja, immer mal wieder in regelmäßigen Abständen zu überprüfen.
Michael
00:23:28
Ja, ja, das Trinkfenster. Aber überhaupt, an was du dich so alles erinnerst. Aber jetzt noch mal anders gefragt: Hatten diese Weine denn auch für dich persönlich 100 Punkte? Also hatten die auch 100 Weinlakai-Punkte bekommen?
Tobias
00:23:42
Ja, wahrscheinlich eher nicht. Und da sind wir natürlich wieder bei so dieser sehr persönlichen Seite der Bewertung von Weinen. Also die gerade angesprochenen Weine, die hatten für mich mit Sicherheit auch so 95 oder 96 Punkte, also wirklich schon irre, irre gut. Aber für mich hat halt ein Wein mit 100 Punkten dann schon den Anspruch, dass da was ganz besonderes passiert. Und ja, wenn ich jetzt wirklich über perfekte 100 Punkte nachdenke, dann fällt mir eher so ein Wein ein, den ich wirklich auch erst einmal in meinem Leben hatte, nämlich ein Bordeaux von Château Pichon Comtesse Lalande, und zwar aus diesem eben schon angesprochenen legendären Jahrgang 1982. Ja, da war der Weinlakai dann wirklich im Weinhimmel. Und da habe ich das erste Mal auch begriffen, was wirklich mit Balance gemeint ist, was wirklich damit gemeint ist, wenn alle Attribute eines Weines im Gleichgewicht sind. Das war einfach nur zum Augenschließen schön.
Michael
00:24:42
Na, da hast du doch alle deine Weinlakai-Punkte. Also 100 Punkte sind der Weinhimmel, haben wir jetzt gerade schon gehört. Und was hast du dich vorhin noch angestellt? Oh, ich weiß nicht so richtig, aber okay. Die Zuhörerinnen und Zuhörer wollen doch wissen, was du drauf hast. Du musst einfach mehr zeigen, was du kannst, Sage ich schon lange.
Tobias
00:25:01
Ja, ja. Aber wie sieht es denn mit dir eigentlich aus? Welcher Weinpublikation schenkst du aktuell dein größtes Vertrauen? Bei mir ist es ja eigentlich die US-amerikanische Webseite Vinous. Ja, wir hatten die Namen vorhin schon, Antonio Galloni, Neal Martin, David Schildknecht, der Deutschland rezensiert. Das ist für mich eine Seite, die hat so ein bisschen den Ausdruck von moderner Weinkritik, den ich wirklich schätze.
Michael
00:25:29
Ja, da schaue ich auch rein, aber eher unregelmäßig. Mich interessieren oft mehr die nationalen Weinkritiker und Weinführer, weil sie oft etwas pragmatischer und anschaulicher daherkommen. Also zum Beispiel so was wie der Guía Peñín in Spanien oder auch der Guide d'Achat des Vins in Frankreich. Nun denn, wir wollen unsere Zuhörerinnen und Zuhörer nicht mit Befindlichkeiten langweilen. Ich glaube, es wird Zeit für unsere Schlusspirouette, Schatzi.
Tobias
00:25:56
Gerne doch, Baby. Also wir würden uns freuen, wenn ihr alle wieder dabei wärt, wenn es wieder heißt.
Michael
00:26:03
Bei Anruf.
Tobias
00:26:05
Wein.