Digital Kompass

Sascha Lang
Since 03/2023 18 Episoden

Mobilität und Barrieren

Ein Gespräch mit Nadja Ullrich (Aktion Mensch) und Nora Plogstedt& Annette Jooss (Berliner Hausbesuche).

03.07.2025 43 min

Zusammenfassung & Show Notes

In der 17 Episode des Digital-Kompass Podcasts sprechen Nadja Ullrich  von der Aktion Mensch und Nora Plogstedt& Annette Jooss von den Berliner Hausbesuche über die körperliche und geistige Mobilität von Senioren und Menschen mir Behinderung.   
 
 
Konkret geht es in dieser Podcast-Folge um folgende Fragen: 
 
* Was sagt das Inklusionsbarometers Mobilität 2022 der Aktion Menschen zum Thema Mobilität von Menschen mit Beeinträchtigung?  
 
* Wie läuft ein Besuch der Berliner Hausbesuche ab? 
 
* Wenn wir auf das große Ziel „Mobilität für alle“ schauen – was wäre der erste konkrete Schritt, den wir als Gesellschaft gehen sollten? 
 
* Welche Rolle spielt die persönliche Haltung im Kontakt mit Menschen, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind? 
Genannte Angebote und Links aus dem Podcast:  
 
Barrierefreie Mobilität | Aktion Mensch
https://www.aktion-mensch.de/inklusion/mobilitaet
 
Studie Inklusionsbarometer Mobilität | Aktion Mensch https://www.aktion-mensch.de/inklusion/studien/inklusionsbarometer-mobilitaet>  
 
VBB Bus & Bahn-Begleitservice | VBB <https://www.vbb.de/barrierefrei-unterwegs/begleitservice/>  
 
Mobisaar – Mobilität für alle <https://mobisaar.de/

Transkript

Anja Ulrich
00:00:00
Mobilität ist ja kein nice to have, sondern jeder möchte, hat das Recht, selbstbestimmt und unabhängig unterwegs zu sein. Und das ist ja ein Recht, was wir eigentlich alle für uns selbstverständlich in Anspruch nehmen. Und Menschen mit einer Beeinträchtigung wird dieses Recht aufgrund von fehlender Barrierefreiheit, Infrastruktur, Services einfach schwer gemacht bis teilweise unmöglich gemacht.
Voice
00:00:29
Digitalkompass Podcast Der Podcast, um gemeinsam digitale Barrieren zu überwinden
Music
00:00:35
Voice
00:00:38
Präsentiert vom Digitalkompass Moderator, euer Inklusator Sascha Lang Digital Kompass Podcast.
Sascha lang
00:00:48
Wir sprechen heute über Mobilität und Barrieren. Bei mir zu Gast sind drei Frauen. Und zwar starte ich mit Anja Ullrich von der Aktion Mensch. Herzlich willkommen.
Anja Ulrich
00:00:57
Hallo.
Sascha lang
00:00:58
Und dann von Berliner Hausbesuche Nora Plokstedt und Annette Joos. Hallo.
Voice
00:01:06
Hallo. Hallo. Guten Tag.
Sascha lang
00:01:08
Damit wir wissen, wie wir heute zu tun haben, würde ich mal gerne anfangen mit Annette. Stell dich mal einfach kurz zu unseren Zuhörern vor, bitte.
Voice
00:01:16
Mein Name ist Annette Joos von den Berliner Hausbesuchen. Wir sind ein senatsgefördertes Projekt und der Trägerschaft der Maltese, ein kostenloses Informationsangebot für Menschen ab 70 Jahre. Und ich selber bin Sozialarbeiterin.
Sascha lang
00:01:34
Und dann haben wir noch Nora, genau.
Annett Joos
00:01:37
Mein Name ist Nora Plockstedt. Ich bin die Kollegin von Annette Joost bei den Berliner Hausbesuchen, bin seit zweieinhalb Jahren dabei und bin gelernte Gesundheits- und Krankenpflegerin.
Sascha lang
00:01:49
Wir haben schon angedeutet, auch die Aktion Mensch ist bei uns mit Nadja Ulrich. Frau Ulrich, erzählen Sie uns kurz in zwei Sätzen nochmal, wer ist überhaupt die Aktion Mensch? Weil es gibt immer noch anscheinend Leute, die nicht wissen, wer die Aktion Mensch ist. Und etwas kurz natürlich zu Ihnen.
Annett Joos
00:02:00
Was?
Anja Ulrich
00:02:01
Das kann nicht sein. Also die Aktion Mensch gibt es schon über 60 Jahre. Wir sind die größte Soziallotterie in Deutschland. Und seit dem Anbeginn an beschäftigen wir uns mit den Themen Inklusion und Behinderung. Wir fördern Projekte für Menschen mit Behinderung und für Kinder und Jugendliche und beschäftigen uns halt mit allen Aspekten des Themas Inklusion und machen da auch Aufklärungskampagnen. Und genau aus diesem Bereich komme ich. Ich mache Inklusionsaufklärung sozusagen seit auch schon sehr langer Zeit und seit einigen Jahren mit dem Schwerpunkt digitale Teilhabe und Mobilität.
Sascha lang
00:02:43
Sehr schön. Wir sprechen über unter anderem eine Studie, die uns zugrunde liegt, eine Studie des Inklusionsbarometer Mobilität von der Aktion Mensch. Die Resultate liegen vor, Sie haben sich sehr intensiv damit beschäftigt. Was hat Sie bei diesen Ergebnissen vielleicht überrascht oder wie interpretieren Sie die Ergebnisse dieser Studie?
Anja Ulrich
00:03:04
Ja, also so richtig überrascht hat mich eigentlich an der Studie nicht so viel, weil wir beschäftigen uns ja schon sehr lange mit dem Thema und kennen natürlich so die Problematiken. Ja, da ist natürlich das Thema barrierefreie Zugänglichkeit ist für Menschen mit einer Behinderung natürlich besonders relevant. Auch beim Thema Mobilität geht es auch viel um einen Zeit- und Kostenfaktor, der für Menschen mit Behinderung oft im Vergleich zu Menschen ohne eine Behinderung einfach viel höher ist. Was einmal mit der vielen Barrierefreiheit zusammenhängt, die einfach Wege erschwert, die es teilweise eben mühsamer macht, an den gewünschten Ort zu kommen. Und oft müssen eben auch kostenintensivere Mobilitätslösungen gefunden werden, weil einfach die Nutzung des ÖPNV nicht möglich ist. Und was mich aber wirklich erschreckt hat, ist, dass viele Menschen mit Behinderung eigentlich noch stärker als die Zugänglichkeit uns über soziale Aspekte erzählt haben und diese auch signifikant einfach schlechter einschätzen als Menschen ohne eine Behinderung. Da geht es zum Beispiel um die Selbstständigkeit beim Reisen und auch den Spaß am Reisen generell. Doppelt so viele Menschen mit Behinderung fühlen sich beim Unterwegssein unsicher und alleingelassen. Und nur 67 Prozent der Menschen mit Behinderung sind überhaupt gerne unterwegs, im Vergleich zu 78 Prozent der Menschen ohne eine Beeinträchtigung. Und Menschen mit Behinderung machen leider auch signifikant schlechtere Erfahrungen mit ihren Mitmenschen und auch teilweise mit Servicepersonal, wenn sie unterwegs sind.
Annett Joos
00:04:47
Das klingt ja sehr beunruhigend im Zeitalter vom Jahr 2025,
Sascha lang
00:04:51
Wo wir da vielleicht noch weiter sein müssten. Welche Barrieren sind denn aus Ihrer Sicht besonders gravierend noch und warum sind die so gravierend?
Anja Ulrich
00:05:02
Also eigentlich kann man das ganze Spektrum der Mobilität hier mit einbeziehen. Bus, Bahn, Zugänge zu Haltestellen, Bahnhöfen, Zugänge zu Gleisen sind ein Problem. Jetzt in den letzten Jahren aber auch ganz vermehrt in den Weg gestellte E-Roller, Aufsteller, einfach dass Fußwege irgendwie verstellt sind. Das ist ein Riesenproblem, weil das natürlich einfach wirklich Stolperfallen sind für viele Menschen, an denen sie gar nicht vorbeikommen. Und was auch nicht vergessen werden darf, ist ja, dass viele Menschen mit einer Beeinträchtigung auch nach wie vor auf das Auto angewiesen sind. Und da ist es eben wichtig, dass jetzt nicht zum Beispiel auf dem Hintergrund des Themas Nachhaltigkeit, was natürlich super wichtig ist, was auch in der Studie alle gesagt haben, dass das für sie total wichtig ist. Aber man darf eben da die Verkehrsteilnehmer auch nicht gegeneinander ausspielen, indem man eben autofreie Zonen baut, aber dann halt vergisst da wiederum auch Parkplätze, rollstuhlgerechte Parkplätze zu bauen. Das ist also so ein Thema, was wahrscheinlich in den nächsten Jahren, denke ich, noch stärker kommen wird auch.
Sascha lang
00:06:13
Über Barrierefreiheit und Mobilität diskutieren fällt uns direkt oder geht uns direkt in den Kopf so, dass das bauliche. Baulicher ist nur das eine. Wir steuern jetzt gerade auf das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz zu, was Produkte und Services auch barrierefrei machen soll. Kommunikation und Informationsbarrieren sind aber auch sehr stark noch präsent.
Anja Ulrich
00:06:34
Ja, ja, genau. Man muss sich einfach vorstellen, dass Menschen mit einer Behinderung oft nicht einfach spontan unterwegs sein können, sondern einfach viel planen müssen. Fährt der Zug, für den ich den Mobilitätsservice gebucht habe überhaupt? Oder sind die Aufzüge im Bahnhof? Gehen die oder sind die kaputt? Gibt es Baustellen auf dem Weg und so weiter? Also da ist einfach ein sehr hohes Informationsbedürfnis da. Und ein weiteres Hindernis, was unsere Befragung verbindet, alle übrigens, Durchsagen am Bahnhof werden von über 50 Prozent der Menschen akustisch schlecht verstanden. Das ist auch etwas, was wir festgestellt haben. Und klar, Informationen sind einfach essentiell und Kommunikation, gerade wenn man mit einer Behinderung unterwegs ist. Da kann schon ein kleines Detail nicht passen oder nicht stimmen oder nicht funktionieren und dann kann das eine gesamte Reise eigentlich schon zunichte machen. Das muss man sich einfach vor Augen halten.
Sascha lang
00:07:37
Wenn wir auf die digitalen Angebote blicken, das bietet ja auf der anderen Seite Chancen an, auf der anderen Seite aber auch vielleicht Herausforderungen. Wo sehen Sie die Chancen und wo sehen Sie die Herausforderungen bei der digitalen Angebote? ich meine, wir haben jetzt, letztes Jahr kam die Deutsche Bahn um die Ecke und hat gesagt, Bahnkarte nur noch digital. Einen finden das gut, wegen weniger Papierkram, weniger Karten, weil sie auch noch nicht für Blinde und Sehbehinderte mit Blindenschrift versehen waren. Das heißt, man hat eine Karte weniger im Gelb. Das sind aber alles Sachen, die ja, für den einen gut, für den anderen schlecht. Wie empfinden Sie das oder was? Gab es da auch vielleicht Informationen aus der Studie heraus?
Anja Ulrich
00:08:16
Ja, in der Studie, also man muss dazu sagen, die ist von 2022. Da ist natürlich die Zeit jetzt schon ein bisschen fortgeschritten. In der Studie wurden die digitalen Angebote noch gar nicht so hoch gerankt, muss man sagen, in der Mobilität. Aber generell muss man natürlich sagen, dass digitale Angebote können das Leben für Menschen mit Behinderung natürlich erheblich leichter machen. Das muss man einfach sagen. Wenn sie mobilisiert planen oder auch beim Unterwegssein, da kann natürlich so ein digitales Tool sehr hilfreich sein. Dann müssen die Angebote aber eben auch nutzerfreundlich und barrierefrei umgesetzt sein. Und vor allem geht es dann auch darum, dass auch Echtzeitdaten geliefert werden können. Also wieder zum Beispiel das Thema defekte Aufzüge, das sind so Themen. Wir hatten im Rahmen eines Projektes mit der RWTH Aachen Workshops mit Menschen mit Behinderung gemacht und wir wissen aus diesen Workshops, dass so ein digitaler Reisebegleiter, wie wir es genannt haben, Eigentlich gut wäre, da der dann auf individuelle Bedürfnisse angepasst werden kann. Also es kann sehr hilfreich sein, aber nach meinem Eindruck werden die Bedürfnisse vom Menschen mit einer Beeinträchtigung heute in digitalen Angeboten eben noch nicht so. Hoch so sehr berücksichtigt oder zu wenig berücksichtigt und wirklich ein Problem sind einfach an vielen Stellen, aber auch die fehlenden Daten zur Barrierefreiheit, also gerade temporäre Hindernisse, Baustellen und sowas. Da haben wir tatsächlich auch im Moment, glaube ich, noch ein Problem, obwohl ich weiß, dass auch an verschiedenen Stellen, in Projekten auch an diesen Themen gearbeitet wird.
Sascha lang
00:10:00
Ich füge da noch eine Frage dazwischen. Oft ist es ja so, dass wir gerade auch bei Mobilität ja das Problem haben, dass mangelnde Daten an Informationen über Barrierefreiheit, das ist ja das eine. Aber manchmal würde es ja reichen, auch wenn wir Daten hätten über Nicht-Barrierefreiheit. Aber da sträuben sich so ein bisschen die Leute dazu, die Informationen über Nicht-Barrierefreiheit zu geben, was wiederum helfen könnte, weil man dann selber entscheiden kann, ist das, was da fehlt, für mich relevant oder ist es nicht relevant. Wenn gar keine Information da steht, dann weiß ich auch gar nichts. Was halten Sie von der Idee, dass man auch mal auf den Weg geht? Wir sind jetzt bei den Kollegen von Barrierefrei Feiern auch auf diesem Trip, den Veranstaltern mitzuteilen. Ja, dann schreibt auch gerne mal hin, was eben nicht geht. Wenn ihr kein barrierefreies WC habt, dann ist es okay. Aber dann weiß man das als Rollstuhlfahrer und kann sich gegebenenfalls vor einem Konzert dementsprechend organisieren oder was auch immer. Was halten Sie davon?
Anja Ulrich
00:10:54
Ich finde das einen absolut richtigen Ansatz. Wir haben das eigentlich bei der Aktion Mensch tatsächlich, war früher auch im Eventmanagement, da haben wir das eigentlich auch immer so gemacht. Also wir haben gesagt, was wir anbieten, wenn wir Veranstaltungen machen. Und vielleicht ein bisschen implizit, aber ich glaube schon, dass auch immer klar wurde, was wir eben nicht anbieten können. Und wir haben auch immer, also immer, wenn ich sozusagen anderen versucht habe, ein bisschen mitzuteilen, wie kann man es denn machen, auch immer gesagt, ja, bitte sagt auch, was ihr eben nicht anbieten könnt, damit man dann eben entscheiden kann, ja, ist das trotzdem noch was für mich oder kann ich dann leider nicht teilnehmen. Also das wäre auf jeden Fall ein erster Schritt, ich glaube auch zur Sensibilisierung für Barrieren, wenn man einfach mal weiß, okay, das ist überhaupt eine Barriere. Und das setzt, glaube ich, auch einen Denkprozess bei den Veranstaltern in Gang.
Sascha lang
00:11:46
In der Mobilität ist ja eine Barriere für mich, ist nicht gerade eine Barriere für den anderen Blinden oder für einen Rollstuhlfahrer ist eine Barriere anders wie für den anderen Rollstuhlfahrer. Macht das die Sache etwas komplizierter, dass Barrieren nicht gleich für jeden immer dieselben Barrieren sind?
Anja Ulrich
00:12:00
Ja, aber das ist natürlich völlig richtig. Aber umso wichtiger ist es, glaube ich, immer wieder zu sensibilisieren für diese Barrieren. Und man kann ja auch wirklich so eine Art Checkliste erstellen, wo man einfach mal durchgeht, wie die ganzen Barrieren, die es gibt. Also eine Patentlösung habe ich jetzt dafür eigentlich auch nicht. Und natürlich, was man auf jeden Fall machen sollte, was immer gut ist, bei der Planung von solchen Veranstaltungen auch Menschen mit Beeinträchtigungen einzubeziehen und zu fragen, ganz konkret, was braucht ihr denn hier eigentlich gerade? Wenn das möglich ist, wäre das natürlich eigentlich die beste Lösung.
Sascha lang
00:12:41
Sie haben schon kurz vorher angesprochen, das Projekt mit RWTH Aachen. Für was steht RWTH überhaupt?
Anja Ulrich
00:12:48
Genau, das hatte ich gar nicht gesagt. Das ist die Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen. Das ist also eine Universität in Aachen, die sehr stark auf technische Fächer spezialisiert ist,
Sascha lang
00:13:02
Traditionell. Und mit dem zusammen entwickeln Sie gerade ein neues Mobilitätskonzept, wo sicherlich auch Ihre Studie, die zwar schon ein paar Jahre alt ist, auch Einfluss hat. Was geht es da in diesem Konzept genau?
Anja Ulrich
00:13:14
Also wir haben uns die Frage gestellt, können wir ein Mobilitätskonzept entwickeln, was inklusiv ist und für alle Menschen mit oder ohne Behinderung, egal welche Voraussetzung, gut nutzbar ist. Und wir haben da mit dem Projekt gestartet, indem wir Workshops gemacht haben mit Menschen mit verschiedenen Beeinträchtigungen und die einfach gefragt haben, was ihre individuellen Bedürfnisse sind in der Mobilität. Und im nächsten Schritt haben wir dann diese individuellen Erkenntnisse verallgemeinert und natürlich stellt man dann fest, dass viele Fakten, die wir in der Studie haben, auch mit diesen Ergebnissen korrelieren, dass es einfach zusammenpasst natürlich. Und besonders eben, was das Informationsbedürfnis angeht. Deshalb beschäftigen wir uns auch jetzt ganz spezifisch auch mit diesem Informationsthema.
Sascha lang
00:14:10
Wir werfen gleich einen Blick auf die Praxis mit den Kollegen von Berliner Hausbesuche. Die kümmern sich ja mehr, wenn ich das richtig verstanden habe, kommen sie aber gleich nochmal wahrscheinlich drauf zurück, über Personen, die ältere Generation sozusagen. Wir haben uns jetzt sehr viel mit Menschen mit Behinderung auseinandergesetzt. Ist das alles auch sehr einfach und klar transponierbar auf Menschen, die ältere Menschen, Barriereprobleme in der Mobilität? Also könnte man da sagen, wir stricken das zu eng, wenn wir nur von Menschen mit Behinderung sprechen, sondern wirklich auch von älteren Menschen direkt mitsprechen dürfen?
Voice
00:14:43
Definitiv, also weil das ist ja unterschiedlich für Menschenaltern. Manche Menschen haben eher Probleme mit der Mobilität, manche sehen schlechter, manche hören schlechter. Was uns aber schon häufig begegnet ist, dass die Menschen Einschränkungen haben und dass dadurch der Zugang zu der modernen Lebenswelt eindeutig erschwert ist. Das haben wir tatsächlich häufig als Thema im Großbrissen.
Sascha lang
00:15:08
Frau Ulrich, in der Studie sind da dann auch ältere Menschen mit berücksichtigt worden? Wie gesagt, es ist ja schon 2022, aber wurde da ein Unterschied gemacht zwischen Menschen mit Behinderung oder älteren Menschen?
Annett Joos
00:15:20
Wir haben natürlich bei denen,
Anja Ulrich
00:15:23
Die befragt worden sind, sicherlich auch ältere Menschen dabei. Aber unser Hauptkriterium war die Behinderung beziehungsweise Beeinträchtigung. Aber natürlich haben wir auch ältere Menschen drin, aber ich kann jetzt nicht genau sagen, wie viele. Ich kann aber sagen, dass wir in dem Projekt mit der RWTH Aachen auch einen Workshop mit Senioren gemacht haben tatsächlich. Und da kamen teilweise eben sehr ähnliche Bedürfnisse heraus.
Sascha lang
00:15:53
Kommen wir nochmal zu den Berliner Hausbesuchen. Erzählt uns mal ganz kurz, was verstehe ich da drunter? Was macht ihr genau?
Annett Joos
00:16:00
Also wir sind ein kostenfreies Informationsangebot für alle Menschen ab 70 in Berlin. Und in der Regel gehen wir eben zu den Menschen nach Hause und informieren sie dort zu verschiedensten Themen, also Gesundheit, Pflege, Freizeitgestaltung etc. Und in der Regel ist es so, dass die Senioren erstmal bei uns anrufen, um einen Hausbesuch zu vereinbaren telefonisch und wir erfragen dann schon in diesem ersten Telefonkontakt, was so für konkrete Fragen vielleicht vorhanden sind oder vielleicht auch was für Probleme aufgetreten sind. Und wir fragen dann eben auch, wo der Besuch stattfinden soll. Also wir nennen uns zwar Berliner Hausbesuche, aber wir müssen natürlich nicht zu den Menschen unbedingt nach Hause kommen, sondern manche Senioren und Seniorinnen hätten es lieber, wenn wir uns eben in einem neutraleren Ort treffen. Also ich war zum Beispiel schon in verschiedenen Cafés für das Informationsgespräch oder in Freizeiteinrichtungen oder bei schönem Wetter auch mal im Park. Und wir sind da auch ganz flexibel und richten uns da ganz nach den Wünschen von den Senioren und Seniorinnen. Genau. Und vorbereitend, wenn wir dann erfahren haben, was so die Themen von dem Anrufer sind, packen wir dann eine Mappe zusammen mit verschiedenen Informationsangeboten und suchen eben passgenaue Angebote für den Menschen in der Nähe raus. Das können ganz individuelle Anfragen sein. Also ich hatte zum Beispiel mal die Anfrage für einen Computerkurs auf Russisch oder ein Senior wollte mal eine Liste mit günstigen Mittagstischen zugeschickt bekommen. Und das bereiten wir eben alles vor, recherchieren das, packen das dann in diese Mappe und gehen dann in den Hausbesuch oder in das Informationstreffen eben. Und für den Hausbesuch nehmen wir uns auch wirklich Zeit. Also in der Regel sind wir so eine gute Stunde vor Ort. Und das ist auch häufig nötig, weil so sensiblere Themen wie zum Beispiel Einsamkeit oder Trauer, die werden häufig im Telefonat noch nicht so thematisiert. Aber wenn wir dann vor Ort sind und so eine gewisse Vertrauensbasis eben sich aufgebaut hat, dann werden solche Themen dann doch angesprochen. Und denen muss man natürlich dann entsprechend Raum und Zeit auch geben. Genau, wir informieren dann eben in diesem Gespräch und beantworten die verschiedenen Fragen. Und häufig ist es auch so, dass die Senioren und Senioren dann vielleicht nicht alleine anrufen wollen bei diesen Kontakten, die wir da lassen, sondern dann auch ganz gerne mit uns gemeinsam dort anrufen möchten. Und das ist dann natürlich auch möglich, dass wir dann einfach gemeinsam den Hörer in die Hand nehmen, zum Beispiel bei einer Beratungsstelle dann anrufen und dann schon einen konkreten Termin vereinbaren können, sodass wir dann auch sicher sind, dass derjenige im Hilfenetzwerk ankommt.
Sascha lang
00:18:36
Gibt es denn den typischen Hausbesuch? Und wenn ja, läuft der ab?
Annett Joos
00:18:43
Naja, eben ganz unterschiedlich. Also es ist so individuell wie die Leute selber. Also wir gucken dann, was sind eben so die Themen, was sind die Fragen, bereiten die vor, treffen uns dann auch an einem individuellen Ort. Und manche brauchen dann eben mehr Hilfe, wollen dann eben auch Unterstützung haben bei der Kontaktaufnahme. Und manche möchten sich nur allgemein informieren und nehmen dann alles Weitere selbst in die Hand.
Sascha lang
00:19:08
Und welche Themen beschäftigt die Menschen über 70 so am meisten? Die haben gesagt, Einsamkeit ist ein Thema, Trauer vielleicht. Aber was sind so die Themen, die im Moment so on top sind, sagen wir mal so?
Voice
00:19:20
Also die Berliner Hausbesuche sind ja ein präventiver Dienst und unterstützen die Menschen darin, solange wie möglich ein eigenständiges Leben zu führen und ihre Gesundheit zu erhalten. Und deswegen haben wir tatsächlich häufig Anfragen zu Freizeit- und Sportangeboten in Wohnortnähe. Und da ist tatsächlich auch so, also wenn jetzt Menschen eingeschränkt sind, dann sagen die zum Beispiel, ich kann jetzt an einem normalen Yoga-Kurs nicht teilnehmen. Und dann haben wir zum Beispiel auch so Angebote Stuhl-Yoga oder Qigong. Oder was auch von großem Interesse ist, sind so Spaziergangs- und Wandergruppen. Und da gibt es einfach sehr unterschiedliche. Da können auch Menschen mit einem Rollator zum Beispiel teilnehmen. Also dann sucht man halt so ein spezielles, individuelles Angebot für die Menschen raus. Dann gibt es eine große Nachfrage nach Haushalts- und Alltagsunterstützung, weil Menschen, die zum Beispiel in ihrer Mobilität oder im Sehen oder Hören eingeschränkt sind, die möchten ja gern trotzdem zu Hause weiterleben und brauchen vielleicht einfach nur Hilfe beim Einkaufen oder im Haushalt.
Annett Joos
00:20:23
Dann ist auch so,
Voice
00:20:24
Was Sie schon angesprochen hatten, dass viele ältere Menschen allein leben und in Gesellschaft möchten. Und da gibt es zum einen, wenn jemand rausgeht und mobil ist, halt Seniorenfreizeitstätten in der Nähe, die wir empfehlen können. Aber wenn jemand nicht mehr so mobil ist oder also besonders auch, wenn jemand schlecht hört oder sieht, traut sich die Person vielleicht nicht in die Freizeitstätte unter vielen Menschen und möchte lieber zu Hause besucht werden. Und da empfehlen wir dann zum Beispiel Besuchsdienste. Das sind Ehrenamtliche, die auch nach Hause kommen. Und häufige Themen sind auch altersgerechtes Wohnen und Mobilität. Also was wir halt feststellen, ist, dass schon viele Menschen, die wohnen jetzt zum Beispiel im vierten Stock oder weiter oben im Haus, Und da gibt es dann mal einen Fahrstuhl, mal gibt es keinen Fahrstuhl. Oder wenn jemand einen Rollator hat und der nicht im Hausflur abgestellt werden kann, Oder was auch häufiger ist, dass der Fahrstuhl nur über Treppen erreichbar ist. Also dass zwar die Barrierefreiheit Fahrstuhl gegeben ist, aber dieser Fahrstuhl, wie gesagt, nur über mehrere Treppen erreicht werden kann. Dann ist es natürlich für die Menschen schwierig, allein das Haus zu verlassen. Und da gibt es dann Mobilitätshilfedienste und Begleitdienste, die wir empfehlen. Dann haben wir noch häufiger Fragen auch zur Pflege. Und dann, was jetzt ja auch Thema dieses Podcasts ist, Umgang mit digitalen Medien. Das wird tatsächlich auch häufig an uns herangetragen, dass da viele Menschen halt überfordert und verunsichert sind. Und da können wir dann zum Beispiel die Digitalzebras empfehlen. Das sind geschulte Mitarbeitende in den Bibliotheken, die individuell auch beraten die Menschen. Oder Computerkurse, die sind dann zum Beispiel mit nur vier Teilnehmenden. Und wo dann auch auf die individuellen Fragen eingegangen wird und wo vor allem halt auch das Tempo langsamer ist. Also weil viele Leute, für die ist es zu schnell, wenn immer alles so ganz schnell erklärt wird. Und es gibt auch Angebote, wo Fachmenschen oder Menschen, die sich eben auskennen mit Computer, Laptop und so weiter, wo die auf individuelle Fragen eingehen. Also da haben wir sozusagen auch so einen ganz Blumenstrauß an Angeboten, wo Menschen über den Umgang mit digitalen Medien unterrichtet werden können.
Sascha lang
00:22:40
Wir haben vorhin von Frau Ulrich gehört, dass in der Studie auch festgestellt wurde oder insgesamt festgestellt wurde, dass Menschen mit Behinderung die Mobilität auch brauchen, um sozial teilhaben zu können. Mittlerweile braucht man für Mobilität oder mobil zu sein ganz viel die digitalen Wege. Sie haben schon bereits ein paar Ideen angesprochen. Fühlen sich die älteren Menschen denn hier in diesem Sinne bei euch auch über eure Kontakte, die ihr da habt von Berlin Hausbesuche, fühlen sich die Leute da mitgenommen? Fühlen sich da, dass durch diese Kombination Mobilität, digitale Medien, digitale Angebote, dass Sie da eher soziale Kontakte wieder kriegen können, auch aktiv sein in der Freizeit? Oder sehen Sie da noch extremen Nachholbedarf?
Annett Joos
00:23:30
Also wir kriegen schon häufig die Rückmeldung, dass jetzt zum Beispiel der Ticketkauf erschwert ist, also dass da schon Barrieren vorhanden sind, wie sie schon meinten, dass die Bahncard zum Beispiel nicht mehr als Plastikkarte zugeschickt wird und aufs Handy geladen werden muss, was häufig bei den älteren Menschen gar nicht vorhanden ist. Oder im Bus kann man jetzt zum Beispiel auch nicht mehr mit Bargeld bezahlen. Und da fühlen sich einige schon ausgeschlossen auch. Und klar können wir immer noch so Kompensationsmöglichkeiten eben empfehlen, wie zum Beispiel Mobilitätshilfedienste, die dann begleiten und auch beim Ticketkauf helfen können. Aber durch diese Barrieren, die online aufkommen, fühlen sich viele Senioren dann eben schon auch ausgeschlossen.
Voice
00:24:12
Also wir können das tatsächlich ganz deutlich sagen. Es wird wirklich häufig formuliert, dass sich die Menschen eben, was ich vorhin schon gesagt hatte, mit der modernen Lebenswelt überfordert fühlen und dass sie dadurch sich auch von der Gesellschaft abgehängt fühlen. Also ein Beispiel ist zum Beispiel auch der schwierige Zugang zu Ärzten. Früher waren viele Arztpraxen telefonisch erreichbar und das sind die Menschen auch gewöhnt. Und viele alte Menschen sind tatsächlich nicht in der Lage, online einen Termin zu vereinbaren. Also können es entweder nicht oder haben schlicht und ergreifend auch keinen Laptop oder Computer. Und das ist tatsächlich ein großes und häufig genanntes Problem. Und das geht genauso mit Banken, dann mit Lebensmitteln und so weiter. Also das ist ja in vielen Bereichen so. Wir kommen gleich
Sascha lang
00:24:58
Nochmal auf das Thema zurück. Ich würde gerne noch ein wichtiges Thema gerade für Menschen in dem Alter ansprechen oder ältere Menschen, die man so das Gefühl hat, dass sie teilweise auch isoliert sind oder vielleicht zurückgezogen, nicht mehr sich raustrauen. Wir haben vorhin die Barrieren angesprochen oder der Aufzug funktioniert nicht oder, oder, oder. Es gibt ja ganz viele Gründe, warum Menschen auch zurückgezogen sind oder sie haben einfach Angst mittlerweile dann rauszugehen, weil sie sich nicht mehr sicher genug fühlen. Wie erreicht ihr die überhaupt als Berliner Hausbesucher?
Annett Joos
00:25:29
Ja, wir sind ja ein senatsgefördertes Projekt. Also wir werden finanziert von der Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Wissenschaft und haben auch eine enge Kooperation mit den Bezirksämtern der zwölf Berliner Bezirke. Und die Bezirksämter schicken dann Briefe an bestimmte Jahrgänge von Senioren und Senioren raus. Und in diesen Briefen ist auch immer ein Flyer enthalten und macht eben auf unser Angebot aufmerksam. Das heißt, durch diese Briefe erreichen wir eben auch Menschen, die kaum noch die Wohnung verlassen können. Und ein zusätzlicher Schlusspunkt ist natürlich, dass wir zu den Menschen unkompliziert nach Hause gehen. Das heißt, die Menschen müssen sich nicht erst auch den Weg zu uns machen, sondern wir kommen zu ihnen.
Voice
00:26:08
Wir haben halt, also sagen wir mal, wenn jemand noch in der Lage ist, rauszugehen, aber sich innerlich so zurückgezogen hat, das gibt es ja auch ganz viel, da informieren wir auch an Orten, wo ja auch zurück, also Menschen, die sich zurückgezogen hin müssen, Also zum Beispiel in Einkaufszentren, da haben wir regelmäßig Infostände. Dann aktuell gibt es eine Öffentlichkeitskampagne in S- und U-Bahnen, da hängen die Plakate aus, die auf die Berliner Hausbesuche hinweisen. Und dann sind wir gerade dabei, mit Ärzten und Arztpraxen in Kontakt zu treten, sodass wenn ein Arzt oder eine Ärztin feststellt, dass jemand sehr zurückgezogen oder einsam ist, dann kann der Arzt oder die Ärztin eben auch auf die Berliner Hausbesuche hinweisen. Und wie es Frau Blockstädt schon gesagt hat, können wir ja dann in den Hausbesuch auch kommen. Und dann ist auch so, dass wir Seniorinnen und Senioren, mit denen wir ein Informationsgespräch oder Hausbesuch haben, dass wir die auch darauf hinweisen, wenn sie zum Beispiel im Haus bei sich feststellen, dass eine Nachbarin zum Beispiel sehr zurückgezogen lebt oder auch wenn sie im Freundeskreis jemanden kennen, dass sie da auch auf die Berliner Hausbesuche weiterverweisen können und dass man uns dann anrufen kann.
Annett Joos
00:27:21
Frau Ullig, wir haben vorhin kurz erwähnt in der Studie,
Sascha lang
00:27:24
Dass ganz viele Menschen auch das Thema Zeitfaktor mit eingebracht haben. Menschen mit Behinderung haben das Gefühl, dass sie mehr Zeit eventuell benötigen, um Freizeit oder reisen zu können und so weiter. Wir haben dann aber auch jetzt von den Kolleginnen von Berlin Hausbesuchen gehört, dass die Digitalisierung Menschen im Alter vor unlösbare Probleme stellt. Wir haben also zwei Welten, die aufeinandertreffen, weil die Digitalisierung verschnellert ja auch einiges, erleichtert auch einiges und dann verhindert sie aber auch oder behindert sie auch einiges. Was machen wir da? Was können wir da besser machen? Oder wie können wir beides irgendwie zusammenbringen? Gibt es da eine Lösung?
Anja Ulrich
00:28:07
Ja, das ist ein sehr großes Thema. Also Digitalisierung, das treibt ja uns alle im Moment um. Auch junge Menschen haben damit Probleme. Da sind es dann eher die sozialen Medien, dass man da so reingezogen wird, dass man gar nicht mehr rauskommt, Suchterfahrungen, Machtmobbing. Also ich glaube, man kommt nicht daran vorbei, eigentlich, also die Technik folgt immer den Bedürfnissen der Menschen. Also das muss eigentlich das zugrunde liegende Prinzip sein. Und jetzt passiert es halt gerade oft umgekehrt. Und die Technik entsteht, man weiß aber auch gar nicht so genau, was man damit anfangen soll. Und dann entstehen auch manchmal einfach Dinge, die entweder nicht nutzbar sind oder im schlechtesten Fall eben Menschen benachteiligen und ausschließen. Und deshalb ist es immer eigentlich an erster Stelle, muss stehen, dass Menschen mit ihren Bedürfnissen, Rechten einfach anerkannt werden und dass die berücksichtigt werden und dass die dann in eine technische Entwicklung einfließen.
Voice
00:29:19
Ich finde es auch wichtig, dass es neben den digitalen Angeboten analoge Angebote weiterhin gibt, weil tatsächlich Menschen... Also es gibt Menschen, die da noch gut in der Lage sind, diese digitalen Angebote anzunehmen und das zu lernen. Und da gibt es ja auch tatsächlich unglaublich viele Angebote, wo die Menschen das lernen können. Aber es gibt tatsächlich Menschen, die da einfach nicht mehr in der Lage sind. Das haben wir auch ganz viel, wenn man irgendwo anruft und dann kommt da so eine Roboterstimme. Da sind ganz viele Menschen total überfordert damit.
Sascha lang
00:29:54
Aber nicht nur Ältere, ne? Das ist, glaube ich, generationunabhängig.
Voice
00:29:59
Genau, genau, genau. Und deswegen ist es tatsächlich, finde ich, wichtig, dass die Gesellschaft weiterhin analoge Möglichkeiten anbietet. Weil es ist ja auch das, also wenn man zum Beispiel in die Bank kommt, da war es früher so, dass da viel mehr Mitarbeitende da waren. Jetzt gibt es ganz viele Filialen, da ist gar kein Mitarbeitender mehr. Dann kommt dazu, dass dann immer weiter auch diese Automaten, die werden auch immer weiter reduziert. Also es geht ja ganz viel, dass man so gedrängt wird, das alles online zu machen. Und man muss einfach sagen, dass bestimmte Menschen nicht mehr in der Lage sind, das zu lernen und dass wir auch nicht genügend Angebote haben, dass das begleitet wird auf individuelle Art und Weise. Und deswegen, das ist meine Ansicht, dass die Gesellschaft tatsächlich diese analogen Möglichkeiten auch weiter aufrechterhalten muss für die Menschen, die die digitalen Angebote nicht umsetzen können. Also, dass es auch eine Forderung sein müsste, eine gesellschaftliche oder eine politische, meiner Ansicht nach.
Sascha lang
00:30:58
Ja, wenn wir Mobilität für alle denken, welche konkreten Ideen schlummern bei euch rum, um dieses umzusetzen? Ich würde mal in Berlin anfangen mit den Berliner Hausbüros. Welche konkreten Sachen müssen umgesetzt werden, um Mobilität für alle zu garantieren, hinzukriegen, diese Zielsetzung zu erreichen? Wird nicht heute oder morgen stattfinden, aber was wären so Ansätze?
Annett Joos
00:31:21
Ich denke, ganz allgemein wäre das erste Ziel, dass man die Problematik sichtbarer macht erstmal. Also, dass viele Menschen auf Barrieren verschiedenster Art hingewiesen werden. Weil ich glaube, momentan ist es so, dass eben die Betroffenen selbst die Barrieren natürlich wahrnehmen, aber das gesamtgesellschaftlich noch gar nicht so gesehen wird. Und da ist eben diese Sichtbarkeit ganz wichtig. Also ich erinnere mich zum Beispiel daran, als ich selber in Elternzeit war, das war noch bevor ich bei dem Projekt Berliner Hausbesuche angefangen habe, war ich natürlich viel mit dem Kinderwagen unterwegs und habe damit erschreckend festgestellt, dass ja gar nicht alle U-Bahn-Stationen mit einem Fahrstuhl ausgestattet sind. Beziehungsweise auch wenn ein Fahrstuhl vorhanden war, dass der häufig defekt war. Und die Problematik bestand ja schon viel länger und besteht auch immer noch, aber mir wurde sie halt erst in diesem Moment sichtbar, als ich selber betroffen war sozusagen. Und der Vorteil mit dem Kinderwagen ist ja noch, dass man da immer jemanden findet, der mal anpackt und den mit hochträgt. Aber wenn man auf den Rollstuhl angewiesen ist, dann ist das ja eben nicht möglich. Genau, also dass man das einfach mehr in die Gesellschaft hineinträgt, dass da diese Problematiken bestehen. Und die Berliner Hausbesucher haben ja auch den Auftrag, sogenannte Versorgungslücken zu dokumentieren und auch an dem Senat und die Berliner Bezirke weiterzutragen. zu tragen. Also zum Beispiel, wenn jetzt im Hausbesuch ein Senior meldet, dass der Gehweg einfach zu hoch ist und der die Kreuzung nicht mehr so gut mit dem Polator überqueren kann. Oder wenn eine Seniorin sagt, sie kann eben keinen Facharzttermin mehr vereinbaren, weil sie keine Online-Plattform nutzen kann dafür, dann schreiben wir das auf, dokumentieren das und geben das dann auch an die Entscheidungsträger weiter, dass dann möglichst Abhilfe geschaffen werden kann.
Voice
00:33:02
Ja, grundsätzlich kann man auch sagen, dass wirklich die individuellen Hilfen oft fehlen. Also es gibt einen Mobilitätshilfedienst, da werden die Menschen abgeholt eben zu Hause, aber das ist dann zeitlich sehr besprengt zum Beispiel. Und es gibt auch den VBB-Begleitdienst. Also das ist von der BVG selber. Der sollte ja eigentlich eingestellt werden, aber da gab es sehr viele Proteste und da wird jetzt auch weitergeführt. Aber was wir halt häufig merken ist, was so fehlt, ist so ein flexibler Dienst, wo man sozusagen, wenn man mal einen langen Arztbesuch hat, wo man dann jemanden buchen kann und so. Also das wäre auch ein wichtiger Schritt.
Sascha lang
00:33:44
Frau Ulrich, wo soll die Gesellschaft ansetzen? Gibt es konkrete Ideen, wie man die Mobilität für alle hinkriegen kann?
Anja Ulrich
00:33:53
Also wie gesagt, wir versuchen das ja in unserem Projekt mit der RWTH Aachen so ein bisschen zu erarbeiten, wobei wir festgestellt haben, das ist natürlich echt ein Riesenfeld, ein dickes Brett. Und angefangen bei den Daten, der digitale Reisebegleiter, wo wir uns gerade beschäftigen. Wir gucken uns gerade Mobilitäts-Apps an, zugänglich, die eigentlich sind und wie die eigentlich genutzt werden, von Menschen mit Behinderung und ohne Behinderung und versuchen da ja wirklich nochmal einen Kriterienkatalog zu erarbeiten, den wir dann auch weitergeben können. Und ja, also ich kann das aber nur unterstützen, was die beiden Kolleginnen vorher gesagt haben. Man muss darauf aufmerksam machen weiterhin. Man muss einfach immer wieder auch sagen, dass Mobilität ist ja kein nice to have, Sondern jeder möchte, hat das Recht, selbstbestimmt und unabhängig unterwegs zu sein. Und das ist ja ein Recht, was wir eigentlich alle für uns selbstverständlich in Anspruch nehmen. Und Menschen mit einer Beeinträchtigung wird dieses Recht aufgrund von fehlender Barrierefreiheit, Infrastruktur, Services einfach schwer gemacht bis teilweise unmöglich gemacht. Und da muss man, glaube ich, immer wieder darauf hindringen, dass das gesehen wird.
Sascha lang
00:35:20
Welche Rolle spielt die Haltung im Kontakt mit Menschen mit Mobilität-Einschränkungen?
Anja Ulrich
00:35:27
Ja, die spielt natürlich eine Zentrale, weil Mobilität heißt ja auch Begegnung. Also wer nicht mobil ist, der ist nicht sichtbar, der wird nicht gesehen. Und dann ist keine Begegnung möglich, keine Auseinandersetzung. Und dann kann man auch gar nicht so gut erfassen, was braucht denn dieser andere Mensch jetzt gerade, um mobil sein zu können oder überhaupt am Leben teilnehmen zu können. Ich finde gerade Mobilität ist total zentral, wenn es darum geht, Inklusion zu verwirklichen. Aber ich würde den persönlichen Aspekt, das ist der eine, Aber ich würde auch nach wie vor eine große Verantwortung in der Gesamtgesellschaft sehen und vor allen Dingen natürlich auch in der Politik, einfach die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen, dass das möglich ist. Und wir haben ja mit der UN-BRK zum Beispiel, aber auch mit Gesetzen, haben wir ja eigentlich auch Grundlagen, die umgesetzt werden sollten, um das möglich zu machen.
Sascha lang
00:36:36
Frau Ulrich hat es gerade angesprochen, wir haben die UN-BRK, ihr seid jetzt in Berlin mit Menschen über 70 beschäftigt. Da sollte es demnächst eine UN-Rechtskonvention für ältere Menschen geben. Wird das euch auch in die Karten spielen, wenn es sowas dann für ältere Menschen gibt? Brauchen wir sowas zusätzlich? Was ist da so eure Meinung, auch um die Haltung von der Gesellschaft nochmal auch anzusprechen?
Voice
00:36:57
Das wäre bestimmt ganz gut, weil ältere Menschen tatsächlich so wenig Interessenvertretung haben oder dass es wenig hinterlegt ist, auch so gesetzlich und so. Also es gibt zum Beispiel in der Jugendhilfe, da sind ja viele Sachen so verpflichtend. Für ältere Menschen sind vieles so Kannleistungen. Also daher wäre es bestimmt für die Sichtbarkeit gut.
Sascha lang
00:37:21
Ich würde jetzt gerne natürlich zum Schluss mit etwas Positivem rausgehen. Wir haben jetzt ganz viel gefragt, was wir wünschen, was wir brauchen, was wichtig ist, um Mobilität für alle hinzukriegen und was uns fehlt. Gibt es denn auch vielleicht aus den Berliner Hausbesuchen mal positive Ergebnisse, wo Barrierefreiheit so richtig gut gelungen ist und wo ein positiver Effekt entstanden ist. Habt ihr da vielleicht ein paar schöne Geschichten für uns?
Annett Joos
00:37:47
Ja, auf jeden Fall. Also als ich angefangen habe bei dem Projekt,
Anja Ulrich
00:37:51
War ich ganz begeistert,
Annett Joos
00:37:52
Was für viele oder vielfältige Möglichkeiten es gibt. Und ein sehr schönes Projekt ist mir besonders in Erinnerung geblieben. Das war eine Zusammenarbeit von einer Oberschule mit einem benachbarten Stadtteilzentrum. Und das Ziel war eben, Hilfe für Senioren mit dem Smartphone anzubieten. Das heißt, die Jugendlichen von der Oberschule konnten sich freiwillig in einen Kurs einschreiben und die haben dann regelmäßig im Stadtteilzentrum eine Sprechstunde angeboten. Da gab es dann Kuchen und Tee und eben auch so eine Eins-zu-eins-Betreuung oder Begleitung von den Jugendlichen für die Senioren. Die Senioren konnten dann einfach kostenfrei vorbeikommen mit ihrem Smartphone und ihre Fragen beantworten lassen oder sich Hilfe holen. Also zum Beispiel, wenn sie einfach so Anwendungsfragen hatten, wie man zum Beispiel ein E-Mail-Postfach einrichtet oder wie man Fotos teilt mit der Familie und mit Freunden, dann konnten die Jugendlichen natürlich mit ihrem Wissen glänzen und haben sich total gesehen gefühlt. Und die Senioren haben eben wohnortnah und unkompliziert und vor allem auch kostenfrei Hilfe bekommen. Das war wirklich ganz schön zu sehen, dass da in diesen Begegnungen auch Vorurteile abgebaut werden konnten und auch schöne Gespräche entstanden sind. Und das ist ja generell das Tolle an solchen generationsübergreifenden Projekten.
Voice
00:39:14
Ich habe auch noch zwei ganz schöne Beispiele. Und zwar haben wir halt in den Hausbesuchen festgestellt, dass für viele Menschen, die in ihrer Mobilität oder im Sehen oder Hören eingeschränkt sind, dass das eine Barriere darstellt, irgendwo anzurufen oder auch unter Menschen zu gehen. Und da haben wir jetzt in den Berliner Hausbesuchen zum Beispiel die Rückmeldung, dass für die Menschen das ganz wichtig ist, dass ihnen Freundlichkeit entgegengebracht wird, weil es dann leichter fällt, sein Anliegen vorzutragen, dass auch eine gute Erreichbarkeit wichtig ist. In den Hausbesuchen haben wir deswegen tatsächlich telefonische Sprechzeiten von Montag bis Freitag, 9 bis 16 Uhr. Also weil uns zum Beispiel Senioren zum Teil sagen, dass es sich ganz viel Überbindung kostet anzurufen. Und wenn dann keiner rangeht, dann kann es sein, dann dauert das ganz lange oder die Person ruft gar nicht nochmal an. Und was eine ganz wichtige Rückmeldung ist, dass bei uns ein Mensch dran ist. Also dass anstatt eine Roboterstimme ist, sondern dass man mit einem lebendigen Mensch spricht. Und was auch ganz wichtig ist, was Barrieren abbaut, ist, wenn man viel Zeit hat. Also bei vielen Menschen fällt es schwer, einem Fremden sein Anliegen vorzutragen oder man ist aufgeregt oder so und wir haben halt ganz viel Zeit und Ruhe und dann gelingt das meistens. Und wir hatten das tatsächlich auf Bezirksebene auch schon angesprochen. Und da haben wir mit den Seniorenfreizeitstätten, mit den Leiterinnen halt vereinbart, dass wenn wir im Hausbesuch sind, dann sagen wir den Menschen immer, sie sollen nicht einfach in die Seniorenfreizeitstätte unangemeldet hingehen, sondern die rufen dann an und vereinbaren den Termin mit der Leiterin. Und dann setzen die sich erstmal zusammen und gucken, was interessiert den Mensch und in welche Gruppe passt er vielleicht gut rein. und dann wird die Person auch noch unterstützt, um gut in der Gruppe anzukommen. Also wird da solche vorgestellt. Das haben wir dann so eine Willkommenskultur und so Best-Practice-Beispiele.
Sascha lang
00:41:18
Frau Uli, haben Sie auch noch ein schönes Beispiel für uns?
Anja Ulrich
00:41:21
Ja, die Berliner Hausbesuche. Das finde ich ganz toll. Ich habe mir tatsächlich, fällt mir aber auch ein anderes Projekt ein, was so ein bisschen in eine ähnliche Richtung geht. Ich weiß nicht, ob Sie das kennen. Im Saarland gibt es das Projekt Mobisaar und das ist in der Region Saarbrücken unterwegs. Und dort kann man als Mensch mit Behinderung oder auch als älterer Mensch tagsüber einen Begleitservice für den ÖPNV bieten. Also die kommen dann zu dir nach Hause und machen halt dann den Weg mit dir zusammen. Voraussetzung ist, glaube ich, nur, dass man eben einen gültigen Fahrausweis hat, Fahrschein hat. Und das trifft dann eben genau auch das Bedürfnis nach Sicherheit und Selbstständigkeit, was wir auch festgestellt haben in der Studie, was total wichtig ist. Und kleine Einschränkungen, das Angebot gibt es nur tagsüber. Und das finde ich ebenso wichtig, weil ich auch finde, neben den ganzen digitalen Angeboten, die gut und schön sind und für viele auch total hilfreich, muss es weiterhin auch so menschliche Services geben. Und weil allein mit der Technik werden wir nicht weiterkommen. Die Technik ist unterstützt, aber es geht ja letztendlich immer darum, dass Menschen zusammenkommen, begegnen, sich miteinander auseinandersetzen. Und das kann man natürlich nur, wenn dann auch auf beiden Seiten wirklich Menschen beteiligt sind.
Sascha lang
00:42:46
Nadja Ullerich, Annette Joos und Nora Blockstädt, herzlichen Dank für eure Informationen, Vorstellungen des Projekts Berliner Hausbesuche und für die Informationen über die Studie. Und wir hoffen, dass die Barrierefreiheit in der Mobilität bald wirklich für alle da ist. Dankeschön für eure Zeit.
Annett Joos
00:43:05
Vielen Dank.
Voice
00:43:06
Dank und tschüss. Tschüss.