Körperakzeptanz als (lebenslanger) Prozess
29.03.2025 14 min Ira Schumann
Zusammenfassung & Show Notes
In der letzten Folge hatte ich von zwei Schlüsselmomenten in meinem eigenen Prozess der Körperakzeptanz erzählt.
Was dort schon anklang: Körperakzeptanz ist ein langer Prozess - ich würde sagen, ein lebenslanger. Zu diesem Prozess gehören auch immer wieder Unsicherheiten und Zweifel. Genau darum soll es in dieser Folge gehen.
Ich erzähle von 3 Beispielen aus meinem Leben, wie ich damals mit Unsicherheiten umgegangen bin und was diese Erfahrungen für den Prozess der Körperakzeptanz bedeuten.
Am Ende der Folge biete ich dir wieder ein paar Fragen an, wenn du selbst über deinen eigenen Prozess nachdenken möchtest.
Inhalte:
00:00 Einstieg
01:26 3 Beispiele
09:55 Was das bedeutet für den Prozess der Körperakzeptanz
12:23 Reflexionsfragen
Zu dieser (und zur letzten) Podcastfolge gibt es auch einen Blogartikel, den du hier lesen kannst:
Hier findest du das Transkript mit den Fragen (direkt unter der Folge):
Meine Website:
Transkript
Willkommen beim Podcast Körper und Gesellschaft, dem Podcast für das
Thema Körperakzeptanz. Mein Name ist Ira Schumann.
In der letzten Folge hatte ich von zwei Schlüsselmomenten in meinem
eigenen Prozess der Körperakzeptanz erzählt. Und was dort schon
anklang, war, dass Körperakzeptanz ein langer Prozess
ist. Also, ich würde sogar sagen, ein lebenslanger Prozess.
Und dass zu diesem Prozess eben auch immer wieder Unsicherheiten und Zweifel
gehören. Und genau darum soll es in dieser Folge gehen.
Ich werde von drei Beispielen aus meinem Leben erzählen, wie ich
damals mit diesen Unsicherheiten umgegangen bin und was diese Erfahrungen
für den Prozess der Körperakzeptanz bedeuten. Und am Ende der
Folge biete ich dir wieder ein paar Fragen an, wenn du selbst über deinen eigenen
Prozess nachdenken möchtest. Okay, lass uns starten. Untertitel im
Auftrag des ZDF für funk, 2017 Nachdem ich
also mit Mitte 20 entschieden hatte, dass ich keine Diäten mehr mache
und dass ich nicht mehr versuche dünn zu werden oder überhaupt dünn näher zu
werden, gab es in den letzten 20 Jahren trotzdem immer wieder
Momente, in denen der Gedanke aufblitzte, dass ich halt doch nochmal
versuchen könnte abzunehmen. Und ich erzähle euch jetzt von drei
Beispielen, wo dieser Gedanke immer wieder aufblitzte oder wo er da war und
wie ich damit umgegangen bin. Das erste
Beispiel, wenn ich versucht habe in Geschäften Kleidung zu kaufen
und sah, wie viel spannende Auswahl es in den Größen gab, in die ich nicht
reinpasse. Das ist eine Situation, die
ich zwischen Mitte 20, Anfang 30 immer wieder erlebt habe.
Und ich verbinde diese Erfahrung, diese Erlebnisse ganz
stark vor allem mit H&M. Nicht, weil diese Kette jetzt so
extrem großartige Mode hat, sondern weil das damals eben einer der
wenigen Läden war, wo ich überhaupt was in
meiner Größe kaufen konnte. Die Alternative war damals C&A,
was jetzt ganz vorsichtig formuliert nicht besser war. Und
bei H&M war das damals so, dass es in den
meisten Geschäften, also in den größeren Geschäften,
eine kleine Ecke gab mit Kleidung in großen Größen. Und ich
glaube, das hieß sogar große Größen. Und die Kleidung,
die dort hing, die sah für mich meistens langweilig aus. Ich
fand sie nicht so toll geschnitten. Und die führte sich für
mich auf die Plastik ein. Also so ganz, es war auch so unangenehm Materialien
gemacht. Also unangenehm für mich die Materialien.
Und diese kleine Ecke drumherum gab es dann immer ganz viel andere Kleidung
mit viel schöneren Farben oder überhaupt in leuchtenderen Farben
und viel aufregender geschnitten, aber eben leider nicht in meiner Größe.
Und in diesen Momenten kam immer mal wieder bei mir
der Gedanke, dass ich abnehmen werde, in diese schönere,
aufregendere Kleidung zu passen, einfach auch mehr Auswahl zu haben.
Und was mir geholfen hat damals, war mir immer wieder klarzumachen,
dass nicht mein Körper falsch ist, sondern dass die Modeindustrie falsch
ist. Und dass ich nicht meinen Körper verändern werde, in kaputte
Strukturen reinzupassen.
Und jetzt, also heute, diese Situation, diese
Art von Situation ist für mich verschwunden, seitdem ich meine Kleidung eigentlich fast
ausschließlich online kaufe. Und ich glaube, was halt hilft, ist,
dass ich Anfang 30 Online-Shops gefunden habe, oder dass es sie
überhaupt gab. Also Online-Shops mit
mehr und besserer Auswahl. Und dass ich mir dort
direkt nur Sachen anschaue, die es in meiner Größe gibt. Also
ich filtre halt direkt nach meinen Größen oder ich bin in
Shops unterwegs, wo es überhaupt nur größere Größen gibt
und sehe dadurch quasi den Rest nicht mehr.
Und aus heutiger Sicht schaue ich da eben auch drauf und denke, ja klar, dass
das immer wieder auch eine schlechte Erfahrung war und auch irgendwie immer wieder
Unsicherheiten ausgelöst hat, weil ich war ja damals in diesen
Geschäften an einem Ort, der Begehrlichkeiten weckt. Also man soll ja
konsumieren und dann konnte ich aber fast nichts davon
haben. Das ist ja irgendwie auch nur ganz extrem frustrierende
Erfahrung. Und ja, dick sein bedeutet
eben auch, grundsätzlich weniger Zugangs- und Teilhabemöglichkeiten
zu haben in allen möglichen gesellschaftlichen Bereichen. Und dort in diesen
Situationen wurde das eben extrem greifbar, weil ich ja das, was
ich nicht haben konnte, direkt auch vor mir gesehen habe. Das
zweite Beispiel war mit Anfang 30 und das
war eine Situation Monate vor einer Sommerakademie, die ich
geleitet habe. Vielleicht ein bisschen Hintergrundinfo.
Zwischen 29 und 33 habe ich mehrmals,
also meine Beführung klingt wie 1929, 1939, also
zwischen meinem 29. Und meinem 33. Lebensjahr
habe ich mehrmals eine Sommerakademie geleitet, wo über 100 SchülerInnen
waren und dazu noch ein Team von circa 15
Erwachsenen. Und als Leitung war es unter
anderem mein Job, jeden Tag vor der gesamten Gruppe zu stehen und
Infos weiterzugeben. Also wirklich jeden Tag vor über 100 Menschen zu stehen
und sehr sichtbar zu sein. Und
ja, als dicke Frau ist eben auch meine Erfahrung, also schon ganz
lange, dass ich, wenn ich in neue Räume reinkomme, dass ich dann direkt
sehr sichtbar bin, sehr auffällig bin. Und
ja, dass ich durchaus auch die Erfahrung mache, dass ich sofort beurteilt werde aufgrund
meines Körpers. Also, dass mir Dinge zugeschrieben werden, einfach
nur auf der Grundlage dessen, wie mein Körper aussieht. Also zum Beispiel
gibt es ja eine Zuschreibung, dass dicke Menschen einfach weniger
fähig sind, weniger kompetent, weil sie ja oft als
undiszipliniert gesehen werden nach dem Motto, wenn die sich nur anstrengen würden, wir könnten sie
ja abnehmen. Und da steckt ja die Annahme von Inkompetenz drin. Und das ist
halt eine der Zuschreibungen, von denen ich weiß, dass ich mit denen immer
umgehen muss, wenn ich in Räume reinkomme. Und
diese Sommerakademie war eben ein sehr großer Raum, in dem sehr viele
Menschen waren, die mich sehen und beurteilen würden. Und
dann eben, genau, gab es
diese Situation Monate vor einer dieser Sommerakademien,
da war dann eben dieser Gedanke sehr stark wieder, dass ich dünner sein will zum
Start der Akademie. Also mir war klar, ich würde nicht komplett dünn sein,
aber es war die Idee da, ich würde Gewicht abnehmen. Und
was mir damals geholfen hat war, irgendwann zu verstehen, es
geht gar nicht wirklich darum, dünn sein zu wollen,
sondern es ging den Wunsch, nicht aufgrund meines Körpers
abgewertet zu werden, an einer Situation, die mich sowieso schon
nervös gemacht hat oder so ein bisschen unsicher gemacht hat. Und
aus heutiger Sicht, also mehr als zehn Jahre später, würde ich
außerdem noch hinzufügen,
dass es auch mein Bedürfnis nach mehr Kontrolle ging. Also da
zur Erklärung, im 1-zu-1-Coaching arbeite ich öfter mit dem Modell
der psychologischen Grundbedürfnisse. Und die ganz grobe Idee dahinter
ist, wenn eines der vier Grundbedürfnisse nicht oder nur sehr wenig
erfüllt ist, dann geht es Menschen nicht gut oder dann sind sie auch oft in
Krisen. Und eins dieser Grundbedürfnisse ist das
Bedürfnis nach Kontrolle und Orientierung. Und wenn ich jetzt eben
zurückschaue, kann ich gut sehen, dass in meinem Leben mit Anfang
30 vieles in der Schwebe war. Und aus heutiger Sicht würde ich
sagen, ja, dass mein Bedürfnis nach Kontrolle und Orientierung in dieser
Lebensphase eher wenig erfüllt war.
Und der Wunsch abzunehmen war also dann auch eher
ein Wunsch, etwas kontrollieren zu können. Also einerseits mein Gewicht
und den ersten Eindruck, den andere Menschen von mir haben
würden. Ich hätte das damals nicht mit diesen Worten beschreiben können wie
heute, aber ich habe eben auch damals schon gemerkt, dass es eigentlich nicht mein
Gewicht geht und habe dann letztendlich auch nicht versucht abzunehmen.
Klammer auf, die Akademie lief übrigens total gut, Klammer zu.
Beispiel Nummer 3. Das war, als ich
im Sommer 2020 festgestellt habe, dass ich innerhalb
kurzer Zeit wirklich mehrere Kilo zugenommen hatte und dass einige Kleidungsstücke
nicht mehr so richtig gut passten oder einfach viel, viel enger waren als vorher.
Und in dieser Situation damals führte sich Abnehmen im ersten
Moment wie eine vermeintlich einfache Lösung an, also weil es mir immer
ersparen würde, eine Kleidergröße höher zu wandern, neue Kleidung zu
kaufen etc. Und was mir damals
geholfen hat, war zu akzeptieren, dass mich mein Körper
vorher in einer sehr herausfordernden Zeit, nämlich in den ersten Monaten einer
Pandemie, die ja einfach gesellschaftlich auch eine absolute Krisenzeit
war, dass mein Körper mich in der Zeit am Leben erhalten hat und in dieser
Zeit eben dann ein paar Kilo schwerer geworden ist.
Und für mich war außerdem hilfreich, mir meine Gefühle genauer
anzuschauen. Also da war Unwohlsein und auch Scham.
Und diese Gefühle tauchten eben auf bei dem Gedanken, dass ich nun noch eine
größere Kleidergröße brauche. Und eben, weil es ja auch
hieß, dass ich noch dicker geworden bin. Und
so ganz nach und nach, also das dauert auch ein bisschen, aber nach und nach
konnte ich mir auch klar machen, dass hier dann eben auch meine verinnerlichte
Fettfeindlichkeit eine Rolle spielt und dass es eben
nichts Schlimmes ist, dicker zu werden, sondern dass es okay ist.
Was mir noch geholfen hat, war mich eben daran zu erinnern, wie ich mit meinem
Körper umgehen möchte. Also, dass ich gut für ihn
sorgen möchte und das eben unter anderem damit tue, indem ich
Kleidung trage, in der ich mich wohlfühle und die bequem ist.
Und dann war irgendwie klar, wenn ich jetzt also zukünftig meine Kleidung in einer größeren
Größe kaufe, sorge ich dafür, dass es mir in meinem Körper weiterhin gut
geht. Okay,
das waren die drei Beispiele. Ich würde so ganz kurz
darauf schauen, was bedeutet das für das Thema
Körperakzeptanz oder für diesen Prozess der Körperakzeptanz?
Was lässt sich daran vielleicht auch sehen? Und ich würde sagen, die
Beispiele zeigen, dass die bewusste Entscheidung, den eigenen Körper so
zu akzeptieren, wie er ist, dass das nichts Einmaliges ist, sondern eben ein
Prozess. Und das bedeutet auch,
es geht nicht kontinuierlich nach vorne, sondern es geht eben mal zwei
Schritte voran und dann geht es auch wieder einen Schritt zurück und vielleicht auch manchmal
einen größeren Schritt zurück. Und das ist eben völlig
normal für, und ich würde sagen, das ist, also ich begleite ja Entwicklungsprozesse
in verschiedenen Situationen als Coach, als Prozessbegleitung.
Das ist normal für alle Entwicklungsprozesse.
Und für den Entwicklungsprozess hin zu mehr Körperakzeptanz
gibt es eben noch eine zusätzliche Herausforderung. Also da gibt es was, was es eben
auch zusätzlich schwer macht. Nämlich nur weil ich mich entschieden habe,
mit meinem Körper anders umzugehen, heißt es ja nicht, dass der Rest der Welt sich
geändert hat. Also was ich damit meine ist, Körperakzeptanz
bedeutet, in einer Welt zu leben, die einem ständig sagt, dass man
dünner, fitter, schöner etc. Sein sollte, als man es ist
und sich diesen Botschaften aber eben immer wieder auch diesen Botschaften gegenüber
immer wieder abzugrenzen und es bewusst anders zu machen. Also in dieser Welt leben wir
alle, aber Körperakzeptanz bedeutet ja eben auch nicht mehr mitzumachen.
Und ja, das wäre irgendwie seltsam, wenn ich es dann so beschreibe, wäre es irgendwie
seltsam, wenn das nicht anstrengend wäre Und wenn das nicht dazu führen würde, dass auch
immer wieder Zweifel aufkommen an diesem eigenen Weg.
Und wie ich in den Beispielen beschrieben habe, hilft es mir, in solchen
Momenten immer wieder genau hinzuschauen, was gerade bei mir los ist in meinem
Leben. Und warum dünn sein oder dünner
sein gerade wieder so attraktiv wirkt. Und wenn ich das
besser verstehe, dann versuche ich eben mich
das zu kümmern, was so darunter liegt. Also die Gefühle, Bedürfnisse
oder vielleicht auch Glaubenshätze. Und mir hilft es eben
außerdem, mich immer wieder auf meine Werte zu besinnen, auf die Dinge, von
denen ich überzeugt bin. Also wie zum Beispiel vorhin bei diesem ersten Beispiel.
Ich habe eine ganz tiefe Überzeugung, dass ich meinen Körper
nicht kaputten Systemen anpassen möchte, sondern dass ich lieber daran
mitarbeiten möchte, also in so einer ganz kleinen Nische
daran mitarbeiten möchte, dass diese kaputten Systeme sich ändern. Okay, zum
Abschluss. Wenn du für dich über dieses
Thema auch nachdenken möchtest, reflektieren möchtest, dann sind hier ein paar
Fragen, die dich dabei unterstützen können. Ich lese die
jetzt nach und nach in Ruhe vor, aber die findest du auch im Transkript auf
der Podcast-Webseite. Ich packe einen Link dazu in die
Shownotes rein.
In welchen Situationen ist bei dir in letzter Zeit oder in den letzten Jahren der
Wunsch aufgetaucht abzunehmen und dünner zu werden?
Oder in welchen Situationen ist der Wunsch aufgetaucht, deinen
Körper zu verändern, Also falls es nicht darum ging, Gewicht zu reduzieren.
Wenn du da zurückdenkst, was war da zu dieser Zeit los in deinem Leben?
Wie ging es dir zu dieser Zeit?
Und angenommen, also eine hypothetische Frage, mal angenommen, das hinter dem
Wunsch abzunehmen oder deinen Körper zu verändern, dass da eigentlich andere Bedürfnisse
dahinter standen. Welche Bedürfnisse könnten das
sein? Und wie bist du damals mit diesen
Bedürfnissen umgegangen? Und angenommen,
dass du heute wieder in eine ähnliche Situation kommen
würdest, wie würdest du jetzt heute mit diesen Bedürfnissen umgehen?
Damit verabschiede ich mich für heute, wünsche dir eine schöne Zeit und
bis zur nächsten Folge. Tschüss!