Häusliche Gewalt erkennen: Handlungsmöglichkeiten in der Hausarztpraxis- mit Marlies Karsch-Völk
01.03.2025 43 min
Zusammenfassung & Show Notes
In dieser Folge sprechen wir über ein schwieriges, aber wichtiges Thema: die Versorgung von Betroffenen häuslicher Gewalt in der Hausarztpraxis. Jede dritte Frau ist in ihrem Leben von Gewalt betroffen, die Anzahl von weiblichen Opfern häuslicher Gewalt nimmt zu. Unser Gast Dr. Marlies Karsch-Völk ist Chefredakteurin bei Deximed und hat zu dem Thema publiziert. Sie erklärt, wie häusliche Gewalt erkannt werden kann, welche Maßnahmen Ärztinnen und Ärzte ergreifen sollten und gibt praktische Tipps für den Umgang mit Betroffenen in der hausärztlichen Praxis sowie zum Thema Alltagssexismus. Wichtige weiterführende Anlaufstellen, Beratungsangebote und hilfreiche Ressourcen auch für medizinisches Fachpersonal sind in den Shownotes verlinkt.
Shownotes:
Shownotes:
- Istanbul-Konvention
- Bundeslagebericht geschlechtsspezifische gegen Frauen gerichtete Straftaten 2023
- Hilfetelefon für Betroffene
- Medizinische Kinderschutzhotline
- Childhood House Frankfurt
- Kinderschutzleitlinie
- Materialien des Hilfetelefons „Gewalt gegen Frauen“
- Übersicht über Beratungsangebote bei Gewalt
- Handzeichen Hilfezeichen für häusliche Gewalt
- Frauennotrufe in Hessen
- Hilfetelefon Gewalt an Männern
- S.I.G.N.A.L. e.V. Intervention im Gesundheitsbereich gegen Gewalt
- Informationssystem für Ärzt/innen zur Versorgung von Gewaltbetroffenen
- SIGNAL-Leitfaden
- SIGNAL-Dokumentationsbogen
- Flyer von Deximed für Betroffene von Gewalt
- Gesine Campus
- Handlungsempfehlungen für Hausärzt/innen bei Verdacht auf Gewalt in der Häuslichkeit vom Runden Tisch Berlin, BDA und Verband medizinischer Fachberufe
- Unsere Podcastfolge zur Pädiatrie
- Podcastfolge von „Allgemeinmedizin konkret“ zu häuslicher Gewalt
- Artikel „Kindesmisshandlung und Vernachlässigung“ von Deximed
- Podcastfolge von „O-Ton Allgemeinmedizin“ zum Vorgehen bei Verdacht auf Kindesmissbrauch
- Unser Seminarprogramm
- mehr Informationen zu unserem Angebot (Seminare, Mentoring, Fallkonferenzen, Beratung) und uns als Kompetenzzentrum Weiterbildung Hessen
- wir als Kompetenzzentrum Weiterbildung auf Instagram
- wir als Kompetenzzentrum Weiterbildung auf Facebook
- wir als Kompetenzzentrum Weiterbildung auf LinkedIn
- Unser Standort an der Universität in Frankfurt am Institut für Allgemeinmedizin
- Unser Standort an der Universität in Gießen am Institut für hausärztliche Medizin
- Unser Standort an der Universität in Marburg am Institut für Allgemeinmedizin
- mehr Infos zum Hessischen Ministerium für Familie, Senioren, Sport, Gesundheit und Pflege, den Förderern des Projekts
Transkript
Music.
Herzlich willkommen zurück zu unserem Podcast Wege der Allgemeinmedizin.
Ich bin Katharina, Hausärztin aus Frankfurt.
Ich bin Sandra, Ärztin und wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich Lehre
am Institut für Allgemeinmedizin in Frankfurt.
Heute beschäftigen wir uns mit einem sehr wichtigen, aber auch höchst sensiblen Thema.
Und zwar sprechen wir heute über häusliche Gewalt oder Gewalt im häuslichen
Setting und wie wir als Hausärzte, Hausärztinnen diese quasi erkennen können
und damit umgehen können.
Ziel ist somit heute, dass wir Berührungsängste überwinden und Tipps zum konkreten
Vorgehen an die Hand bekommen.
Statistiken haben ja leider eher düstere Zahlen gezeigt. Bis um die 40 Prozent
der Frauen und Mädchen haben im Laufe ihres Lebens körperliche und sexuelle Gewalterlebnisse.
Sicherlich ist die Dunkelziffer da auch noch sehr hoch. Das heißt,
wir wissen jetzt auch gar nicht genau, wie die Zahlen wirklich in der Realität sind.
Und gerade in der Hausarztpraxis können wir natürlich auch als erste Stelle dienen,
wo man auf häusliche Gewalt aufmerksam werden kann und ein Vertrauensverhältnis
besteht, dass sich vielleicht auch Patienten, Patientinnen dem öffnen und man somit in Kontakt geraten kann.
Deswegen haben wir heute wirklich einen tollen Gast hier, Frau Dr. Marlies Karsch-Völk.
Sie ist Fachärztin für Allgemeinmedizin, Chefredakteurin bei Deximed und hat
unter anderem zum Thema Versorgung von Gewaltopfern in der Hausarztpraxis publiziert,
sowie auch Bücher über Alltagssexismusgeschrieben.
Davor war sie einige Jahre als angestellte Fachärztin in Hausarztpraxen und
als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Institut für Allgemeinmedizin an der TU München tätig.
Herzlich willkommen, Marlies. Danke. Wie war denn so dein Weg in die Allgemeinmedizin
und was hat dich daran begeistert?
Also ich wollte eigentlich immer Hausärztin werden.
Mein Vater und mein Opa waren schon Hausärzte und das war so das,
was ich irgendwie toll fand, dass man alle kennt.
Also mein Opa hat in seinem Dorf die Kinder auf die Welt gebracht und die Leute
bis zum Tod begleitet. Das war das, was ich mir unter Medizin vorgestellt habe.
Zuerst habe ich mich in Krankenhäusern in Deutschland ein bisschen herumgequält,
weil ich dachte, vielleicht mache ich Innere und werde dann hausärztliche Internistin
und habe dann festgestellt, dass die Allgemeinmedizin eher mein Fachgebiet sein kann.
Und wie ging das dann so weiter in deinem beruflichen Werdegang und wie kam
dann vor allen Dingen so dieses Thema der Versorgung von Patienten mit Gewalterfahrung
in der Haushaltspraxis so zu dir?
Ja, also ich war eben in zwei deutschen Kliniken mit vielen Nachtdiensten,
schlechter Einarbeitung und dem Gefühl der Ausbeutung zweieinhalb Jahre und
dann hat sich zufällig ergeben, dass mein Mann eine Stelle in Norwegen angeboten bekommen hat.
Und ich habe dann als Ärztin in einem Notfallzentrum gearbeitet, das heißt Legewakt.
Sowas gibt es bei uns nicht. Das ist eine Anlaufstelle für jede Art von akuter
Erkrankung zwischen Schnupfen und Herzinfarkt, weil man da einfach nicht direkt
zum Hausarzt geht, weil ein gerade was drückt. Das ist da nicht möglich.
Da gab es eine klare Handlungsanweisung zum Vorgehen, wenn sich Opfer sexueller Gewalt bei uns melden.
Da haben wir auch einen Kurs gemacht. Wir haben Spurensicherung gelernt,
wir haben gelernt, wie man die Betroffenen weiterverweist und da gab es praktisch
ein vorgefertigtes Paket.
Ich weiß heute, dass sowas Rape Kit heißt, damals wusste ich das nicht.
Da war alles in einer großen Schachtel, alle möglichen Gegenstände,
mit denen man Spuren sichern kann,
aber auch Notfallkontrazeption und Antibiotika und eben Nadeln und Spritzen
zur Blutentnahme für den ersten HIV-Test.
Und ich habe mich gefragt, wieso gibt es das nicht in Deutschland?
Ich hatte das noch nie gesehen.
Und das Vorgehen war sehr strukturiert und genau geregelt und so war das aber
auch mit allen anderen Dingen.
Alle Eventualitäten der Allgemeinmedizin hatten eine klare Regel.
Man geht evidenzbasiert vor. Ich habe da auch zum ersten Mal gelernt,
aha, es gibt evidenzbasierte Medizin.
Den Begriff kannte ich auch nicht so richtig aus Deutschland.
Und eben im Zusammenhang mit sexueller Gewalt gab es das eben auch. Ja, spannend.
Es ist ja auch eines der Themenfelder, die man auch eher so vor sich hinschiebt
und eher so nicht so gerne berührt oder sich damit wirklich dem stellt.
Kannst du vielleicht auch vielleicht um das Ganze auch nochmal deutlich mal,
wie wichtig das ist, auch so über positive Verläufe oder was dich auch so motiviert,
da jetzt so weiter dran zu bleiben, berichten? Also in Norwegen hatte ich immer
Angst, ich bin sprachlich überfordert.
Wenn eine Betroffene kam, habe ich eher versucht, die anderen Fälle zu nehmen,
weil ich Angst hatte, ich sage was Dummes, weil ich einfach zwar norwegisch sprach,
aber nicht so, dass ich sicher sein konnte, dass ich wirklich sensibel bin.
Aber die wenigen Betroffenen, die ich versorgt habe in Norwegen,
die waren immer wahnsinnig dankbar.
Einfach, wenn man ganz normal freundlich war und wenn man ihnen erklärt hat, was passiert.
Das war auch dort so geregelt, dass das Beweismaterial in dieser Legewakt verblieben
ist und die Leute lang Zeit hatten, sich zu entscheiden, ob sie zur Polizei gehen oder nicht.
Also die haben sich auch juristisch abgesichert gefühlt und da habe ich erlebt,
dass die wirklich sehr dankbar waren und dass es denen völlig egal war,
ob ich gut oder schlecht norwegisch gesprochen habe. Ja, super spannend zu hören.
Danke auch für die Fallbeispiele, Marlies. Und es motiviert ja auch,
wie wirksam man gerade auch in dem Bereich sein kann und wie wichtig es auch
ist, wenn man eben auch im medizinischen Feld arbeitet, dass man da für das
Vorkommen von häuslicher Gewalt überhaupt sensibilisiert ist.
Denn wie du, Katharina, hast ja auch gerade so gesagt, man schiebt es irgendwie
vor sich her. Es ist vielleicht nicht unbedingt Thema, bisher
so sehr viel in Ausbildung, Weiterbildung etc. Aber letztlich,
wenn man dann in der Praxis ist, steht man doch davor und übersieht ja vielleicht
auch die ein oder andere Angelegenheit.
Und jetzt wurde ja auch kürzlich das Bundeslagebild geschlechtsspezifisch gegen
frauengerichtete Schrafttaten 2023 vom Bundeskriminalamt vorgestellt.
Und ja, wenn man sich eben diese erschreckend steigenden Zahlen anschaut und
sich dann auch eben bewusst macht, dass die Dunkelziffer, wie du es auch gesagt
hast, Katharina, schon eh nochmal
höher liegt aus Scham und Angst der Betroffenen, dann ist auch klar,
dass eigentlich mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit in jeder Praxis doch
betroffene PatientInnen sitzen, von denen man vielleicht noch gar nichts weiß.
Der Begriff häusliche Gewalt ist ja auch so ziemlich abstrakt und vielleicht
auch in der einen oder anderen Weise ein bisschen irreführend.
Könntest du uns da, um da ein bisschen einzusteigen, nochmal erzählen,
welche Tatbestände verbergen sich denn genau hinter dem Begriff häusliche Gewalt? Was meint das alles?
Ich halte mich da an die Istanbul-Konvention und ihre Definition und die fasst
unter häuslicher Gewalt körperliche, sexuelle, psychische, wirtschaftliche und
digitale Gewalt zusammen.
Wirtschaftliche Gewalt eben zum Beispiel, dass den Frauen keine EC-Karte oder
Kreditkarte mehr gegeben wird, dass ihnen Geld weggenommen wird,
dass sie für jede Ausgabe fragen müssen, ob sie das überhaupt dürfen zum Beispiel.
Und als häusliche Gewalt wird Gewalt innerhalb der Familie im selben Haushalt
und zwischen Partnern und Ex-Partnern definiert.
Also auch die dann nicht mehr im selben Haushalt wohnen, wenn die Ex-Partner
zum Beispiel sind. Aber in der Beziehung stehen.
Also das Thema Partnerschaftsgewalt. Ja, weil das denkt man sich vielleicht erst mal gar nicht.
Also ich glaube, man hat manchmal einfach direkt vor Augen, okay,
das muss unter dem Dach jetzt noch auch so sein, ist aber nicht der Fall.
Und das eine ist dann ja so die Kategorie Partnerschaftsgewalt oder eben auch
mit Ex-Partnern und auf der anderen Seite aber auch dann ja innerfamiliär,
also wo dann eben auch beispielsweise Kinder betroffen sind.
Und auch was du gesagt hast, die digitale Gewalt, die ja sicherlich auch eben
zunimmt mit so Themen wie Cyber-Grooming, Cyber-Stalking etc.
Das ist ja ein relativ neues Feld auch und auch schwierig beizukommen,
wahrscheinlich so von der kriminalistischen Seite. Wir haben ja jetzt schon
auch die geschlechtsspezifische Gewalt an Frauen angesprochen.
Welche Personengruppen sind denn da insgesamt besonders vulnerabel,
also gefährdet Opfer von häuslicher Gewalt zu werden? Also die häusliche Gewalt
zieht sich durch alle Schichten.
Das kommt bei Familien mit Alkoholmissbrauch genauso vor wie in einer Anwaltsfamilie.
Das Einzige, was ich gefunden habe, war, dass Frauen, die sich trennen wollen
aus einer Beziehung, dass die besonders gefährdet sind, Opfer von Gewalt zu
werden, von Partnergewalt.
Und eine besonders hohe Gefahr, Opfer von sexueller Gewalt zu werden oder von
sexuellem Missbrauch, haben generell Menschen, die sich nicht gut wehren können.
Da gehören natürlich Kinder dazu, Menschen mit Behinderungen,
Menschen in Einrichtungen, Wohnungslose.
Aber eben die häusliche Gewalt, die Partnergewalt, die gibt es überall.
Vielleicht können wir ergänzend noch sagen, prinzipiell kann Partnerschaftsgewalt
ja auch natürlich gegen Männer vorliegen, im deutlich überwiegenden Fall sind Frauen die Opfer.
Ja, ich hatte tatsächlich mal einen Fall,
wo eine Frau mir mehrmals in der Praxis gesagt hat, wenn sie sich mit ihrem
Mann streitet, wird es schnell gewalttätig.
Und ich habe so reagiert, als wäre sie das Opfer.
Und was sie mir versucht hat zu sagen war, dass sie Hilfe sucht,
weil sie ihren Mann schlägt.
Und da muss ich sagen, habe ich mich in meinen eigenen Vorurteilen verirrt.
Da habe ich zu lange gebraucht, um es zu verstehen.
Das ist aber ein wirklich sehr gutes Beispiel, dass man das tatsächlich genau hinterfragen musste.
Und sei das erstmal dann so, dass man dann so stolpert über seine Denkschema,
die man dann so im Kopf hat.
Und eigentlich ja gut, dass sie sich öffnet und eigentlich ja Hilfe sucht.
Ja, und da kann natürlich auch das Dunkelfeld groß sein, weil Männer sich sicher
viel mehr schämen und noch weniger Hilfe suchen. Ja.
Und dann, was in der Haushaltspraxis ja auch immer nochmal Thema sind,
sind sie die pflegebedürftigen Personen.
Also wir hatten mal einen Fall, wo der Pflegedienst im Verdacht stand,
den Patienten nicht gut zu versorgen oder zu verwahrlosen oder sogar Körperverletzungen
begangen hatte mit Polizeiauftreten dann auch.
Also das ist ja auch nochmal so eine vulnerable Patientengruppe,
die sich eben nicht gut wehren kann.
Jetzt haben wir ja schon so ein bisschen drüber gesprochen. Jetzt war das ja
ein super Beispiel, was du gerade genannt hattest, Marlies,
dass die Patientin ganz offen damit umgegangen ist und dich in der Sprechstunde
zu dem Thema nach Hilfe befragt hat.
Jetzt ist das natürlich nicht unbedingt der häufigste Fall.
Oder vielleicht hast du auch andere Erfahrungen. Das ist natürlich auch spannend.
Aber wann sollte man denn aufmerksam werden in der Hausarztpraxis?
Gibt es da auch Vorstellungsanlässe, besonders häufige Symptome,
die du so aus deiner Erfahrung einmal ärztlich, aber auch so vor dem wissenschaftlichen Background hast?
Also ich werde immer alarmiert, wenn eine Patientin mit ihrem Partner kommt
und der Partner führt das Gespräch oder dominiert das Gespräch,
ist übergriffig, lässt sie nicht ausreden und es ist sehr schwierig,
die Patientin alleine zu sprechen.
Dann habe ich immer ein schlechtes Gefühl.
Also dann versuche ich zu fragen, ob sie nicht mal alleine mit mir reden möchte.
Aber es ist selten der Fall, dass die Betroffenen darauf eingehen.
Und dann gibt es natürlich bestimmte Symptome, blaue Flecken,
alte Knochenbrüche, Geschlechtskrankheiten, häufige ungewollte Schwangerschaften,
wo man hellhörig werden sollte.
Und ich weiß nicht, ob man selbst dann wirklich in der Sprechstunde draufkommt,
aber wenn eine Suchterkrankung sich zum Beispiel stark verschlechtert bei einer
Person, die in einer Partnerschaft lebt, sollte man natürlich auch vielleicht einmal nachfragen.
Oder Angst, Panikattacken, auch psychische Veränderungen, Vernachlässigungen
auch bei chronischen Erkrankungen.
Also es gibt da im Prinzip viele Anlässe, um darüber nachzudenken oder nachzufragen.
Da können wir vielleicht nachher nochmal ein bisschen drauf eingehen.
Jetzt können wir ja nochmal ein bisschen darüber sprechen, wenn ich jetzt einen
Verdacht habe in der Hausarztpraxis oder eine Patientin oder ein Patient jetzt
auch schon mich angesprochen haben, wie sind denn dann die nächsten Schritte, was mache ich jetzt?
Also ich habe da tatsächlich auch den SIGNAL-Leitfaden auch in unserem Artikel verlinkt.
Ich habe praktisch auch gar keine andere Handlungsempfehlung dazu gefunden.
Signal bedeutet, setzen Sie
ein Signal, sprechen Sie den Verdacht auf die Gewalterfahrung aktiv an.
Das finde ich vielleicht manchmal etwas leicht gesagt. Also da muss man schon
sehr diplomatisch vorgehen und einfach Offenheit signalisieren,
dass man bereit ist zu helfen.
Wenn die Person wirklich sich öffnet und Hilfe will, dann kann man wirklich
nachfragen. Da steht das I für ein Interview.
Da sollte man aber auch ermutigend vorgehen und der Person die Möglichkeit geben,
die Situation zu Hause in ihren eigenen Worten zu schildern.
Und dann steht das G für eine gründliche Untersuchung.
Da haben wir jetzt zum Beispiel in unserem Artikel in Deximed auch Dokumentationsbögen
verlinkt, wie man strukturiert vorgeht und gewaltverdächtige Befunde gut dokumentiert,
möglicherweise sogar Beweismaterial sichert, sodass wenn eine Patientin jetzt
einfach nicht wirklich Hilfe will,
den Mann nicht verlassen will, die Polizei nicht hinzuziehen will,
dass in der Praxis eine gerichtssichere Dokumentation vorhanden ist. Das gilt auch für Fotos.
Also die sollte man auch immer mit dem Zentimetermaß oder einem bekannten Größenvergleich dokumentieren.
Zum Beispiel die verschiedenen blauen Flecken oder andere Verletzungen,
dafür steht dann das N, also für Notieren und Dokumentieren und das A in Signal
steht für Abklären einer aktuellen Gefährdung,
ob die Frau jetzt wirklich akut gefährdet ist, ob sie in ein Frauenhaus muss,
ob sie ins Krankenhaus muss, ob sie zur Frauenärztin muss, das muss man dann
da in dem Moment abklären.
Auch hier muss man vorsichtig und offen sein und fragen,
was überhaupt gewünscht wird, weil in meiner Erfahrung,
ich habe nicht so viele Betroffene erlebt, aber die wollten eigentlich alle keine Hilfe.
Vielleicht, weil schwerer Betroffene einfach in die Notaufnahme gehen oder woanders
hin als in die Hausarztpraxis, das weiß ich nicht.
Und das L bei Signal, das steht dann dafür, dass man einen Leitfaden mitgibt.
Das bedeutet eben, dass man eine Karte mit Notfallnummern oder ein Informationsblatt
mit dem Frauennotruf und lokalen Anlaufstellen der Patientin mitgibt und auch
sagt, sie kann jederzeit anrufen, einen Termin bekommen, wenn sie Hilfe braucht.
Das ist ja super, dass man da eben standardisierte Anamnese und Dokumentationsbögen
hat, weil gerade in diesen Fällen, die ist es im Prinzip ein bisschen wie bei Notfällen.
Es passiert was nicht so Häufiges, aber ganz Wichtiges und gut zu dokumentieren,
das wo es eben da jetzt ja auch um Rechtssicherheit vor allem geht,
ist es absolut hilfreich, wenn man da standardisierte Bögen hat und die verwenden kann.
Also den werden wir auf jeden Fall auch nochmal verlinken in den Shownotes.
Und was du auch gesagt hast, jetzt zum Thema A, Abklärung Gefährdungspotenzial,
da ist es so, dass gerade dieser Zeitraum, in dem sich dann die Betroffenen
öffnen, auch eine besonders gefährliche Phase sein kann.
Da habe ich auch schon gehört, dass man teilweise auch schon bei der Dokumentation
in Akten mit Codewörtern arbeitet, je nachdem wie intensiv die Tatverdächtigen
stalken oder überwachen.
Das ist sicherlich gar nicht so einfach, damit dann umzugehen.
Und gerade weil man das nicht so häufig macht, hast du da noch Hinweise,
wie man da in der Situation gut handeln kann?
Wie macht man das praktisch, dass die Betroffenen gut versorgt sind?
Also ich schaue zum Beispiel, ob die Patientin wirklich schwer verletzt ist,
ob sie eine schwere Erkrankung hat und ob sie jetzt akut Hilfe braucht, auch ärztlicherseits.
Aber wenn ich sehe, das Ganze ist was Langfristiges und nicht akut und es besteht
keine Lebensgefahr, dann kann ich mich auch nicht mehr einmischen,
als die Betroffene das wünscht.
Also man muss einschätzen, ob eine akute Gefahr für Leib und Leben oder die
Sicherheit besteht oder ob zum Beispiel auch noch Kinder da sind,
die vielleicht auch gefährdet sind durch den gewalttätigen Partner und abhängig
davon muss man entscheiden, aber ich finde es sehr schwer.
Es kann ja auch sein, dass es so bei den ersten Kontakten einfach gar nicht irgendwie….
Sich getraut wird, darüber zu sprechen und erst dann so im Verlauf,
vielleicht Monate, Jahre später, das erst wirklich aufbrechen kann, das Thema.
Das fand ich auch ganz spannend. Ich hatte auch gehört von einer Ärztin,
die das zum Beispiel auch schon so in ihren Aufnahmegesprächen,
wenn sie Patienten neu kennenlernt, einfach mal so fallen lässt.
Irgendwie haben sie schon mal Gewalterfahrungen in ihrem Leben gehabt und dass
einfach schon mal so eine Bereitschaft da ist,
okay, hier in der Praxis kann man über solche Themen sprechen,
so wie man auch so über irgendwie sexuellen Orientierung oder irgendwas das
einfach am Anfang mal anspricht und weiß, okay, hier könnte ich im Prinzip ein
Ohr für sowas finden, muss es nicht verstecken.
Das fand ich irgendwie ganz, ganz guter Tipp irgendwie, dass man da wirklich
so eine direkte Bereitschaft signalisiert. Ja, das finde ich auch gut.
Und da spielt ja auch das Thema Schweigepflicht nochmal eine Rolle,
auch darauf nochmal hinzuweisen, um die Bereitschaft offen zu berichten,
vielleicht auch wirklich zu erhöhen.
Wenn wir jetzt sagen, wir haben jetzt tatsächlich geschafft,
irgendwie die Patientin dazu zu bringen oder den Patienten, dass er sich die
Zeit nimmt und einfach auch mal darüber spricht.
Hast du so Tipps, wie man den Einstieg finden könnte oder wie macht man das
am besten? Das finde ich auch individuell extrem unterschiedlich.
Je nachdem ist mir schon passiert, dass die Leute dann doch gar nichts erzählt
haben oder sofort in Tränen ausgebrochen sind.
Das ist Typsache und ich fand einfach immer die Frage, wie kann ich ihnen helfen?
Sehr gut, dann passiert meistens was, dann kommt irgendeine Antwort.
Ja, simpel, klar und offen, aber für alle Möglichkeiten.
Und dass man vielleicht auch versucht hat, irgendwie den Rahmen relativ ruhig
zu schaffen, dass man es vielleicht am Ende der Sprechstunde oder in einem Raum,
wo wirklich keine Mithörer, wo man weiß,
wir werden nicht gestört oder hier kann jemand hören, was wir sprechen draußen.
Aber wir haben auch in der Praxis hellhörige Räume, da weiß man irgendwie,
das hört eigentlich jeder in der Praxis mit, was da gesprochen wird und dann
aber Räume, die ein bisschen abseitiger sind, dass man eher sowas dann wählt wahrscheinlich.
Ja, genau. Und hilfreich kann ja auch sein, eben ganz transparent auch anzusprechen.
Mir ist etwas aufgefallen, ich mache mir da Gedanken, ich dokumentiere das hier
und auch wenn das jetzt keine akute Handlungsrelevanz hat, sie wissen,
dass sie sich jederzeit da wieder an mich wenden können und dass hier auch was
vorliegt, weil das spielt ja natürlich auch, wenn es dann um die rechtlichen
Themen geht tatsächlich und vielleicht häufiger Fälle vorkommen,
spielt das ja auch eine Rolle, was ist denn vielleicht schon dokumentiert und
das wird dann ja auch herangezogen.
Das kann auch ja eine Sicherheit geben, den Frauen. Ja, genau.
In der Praxis ist man ja auch als Arzt nicht alleine, sondern man hat ja auch
noch das ganze Praxisteam dabei, was ja sicherlich auch eine sehr große Rolle spielt.
Gerade eine MFA kennt oft Familienstrukturen noch besser, ist näher dran,
wenn sie zum Beispiel im Labor irgendwie was macht oder vielleicht auch mal da
mehr ins Gespräch kommt oder Familienstrukturen besser einordnen und kennt,
dass ist der Ehemann oder alles, was man manchmal dann ja hinten im Sprechzimmer
dann gar nicht mehr so alles vor Augen hat,
da ist ja sicherlich auch eine offene Kommunikation oder so ein gewisses Routine
regelmäßig, solche Dinge auch zu thematisieren, wahrscheinlich sehr sinnvoll.
Ja, also ich habe das auch mal erlebt oder auch so gemacht, dass ich mit einer
MFA ausgemacht habe, bei der Frau wird jetzt Blut abgenommen und irgendwie ist
der Mann dann automatisch nicht mitgegangen und dann konnten wir uns im Labor unterhalten.
Zum Beispiel. Das ist ja auch so, wie du ja vorher schon gesagt hast,
oft sind die Männer oder die Partner, Partnerinnen dann jeweils immer mit dabei
und sind sehr schwer zu trennen dann von dem Opfer und sind dann natürlich sehr,
ich meine ja sogar auch Selbstpatienten noch in der Praxis, was es dann ja nochmal
schwieriger macht, dass es so eine Vermischung gibt.
Aber den Punkt auch mit dem Gespräch, es kann ja auch sein, dass eine Sprachbarriere
vorliegt und da ist ja auch wichtig, dass man das nicht über Familiendolmetscher
dann macht, sondern wirklich professionell organisiert.
Ist natürlich auch Organisation, weil das ist schwierig. Da muss man sich wirklich
drum kümmern und zwar vorher, weil es gibt ja auch psychiatrische Patienten,
die Dolmetscher brauchen. Also ich denke, sowas sollte man haben.
Ich habe eine Zeit lang ehrenamtlich bei der Anlaufstelle Open Med von Ärzte
der Welt gearbeitet und die hatten eine Vereinbarung mit einem Anbieter von Telefondolmetschen.
Da waren die einschlägigen Sprachen verfügbar, rumänisch, bulgarisch, arabisch.
Das ist halt ganz neutral und professionell. Und was wir so zu dem Thema,
wie signalisiere ich vielleicht den Patientinnen und Patienten,
die ich so habe in meiner Praxis, dass ich ansprechbar bin und dass es Gewalterfahrungen
gibt und dass über alles gesprochen werden kann in dem geschützten Rahmen,
also auch zum Beispiel durch Flyer oder Plakate.
Das finde ich auch einen richtig wichtigen Punkt. Und es gibt ja auch von den
verschiedenen Anlaufstellen Materialien, die man dann über die Websites bestellen
kann, da schon signalisieren, das ist ein Thema, wenn das für Sie ein Thema ist, wir sind da.
Das hat hier auch Raum. Ja, also wir haben bei Deximed jetzt auch einen Flyer
gemacht, den man eben auf die Damentoilette legen kann, falls es getrennte Toiletten
in der Praxis gibt.
Das heißt: Sind
sie von Gewalt betroffen? Und da steht eben, Gewalt ist nicht normal,
sie sind nicht allein, lassen sie sich helfen.
Und da steht eben drinnen, dass man sich ans Praxispersonal wenden kann und
dann auch weitere Informationen.
Wenn man sich meldet, wird dann automatisch die Polizei eingeschaltet oder wie
kann man vorgehen und was kann man erwarten. Super, ja.
Wobei ich jetzt verstanden habe, dass der Flyer sehr groß ist,
weil manche Frauen werden vom Partner durchsucht oder deren Handtasche wird durchsucht.
Es wird auch häufig empfohlen, dass man so eine kleine Karte im Checkkartenformat
auslegt. Ja, das hatte ich auch gelesen.
Das ist wirklich irgendwie unvorstellbar, irgendwie in so Situationen zu geraten,
dass man da wirklich so ausgeliefert ist, irgendeinem anderen Menschen.
Das ist schon sehr erschreckend.
Ja, was hat man auch nicht auf dem Schirm. Der Flyer muss natürlich klein sein,
damit man ihn verstecken kann. Das denkt man erstmal gar nicht so.
Hast du denn irgendwie mal gehört, ich hatte das auch gelesen mit diesem Handzeichen,
genau ausstrecken, einklappen und dann die Finger drüber machen.
Ist das verbreitet? Wissen das? Also ich habe es gelesen, ihr habt es gelesen,
aber es kann sein, dass eine Frau verzweifelt so macht und niemand...
Ja, vor allem muss die betroffene Person das ja wissen. Niemand versteht sie.
Das fand ich auch, es ist eigentlich eine schöne Idee, aber das müsste man mal
in der Schule vielleicht schon mal jedem beibringen, dass es solche Zeichen
gibt, so wie man erste Hilfe lernt, auch wie man sich selber Hilfe holt.
Was vielleicht ganz wichtig ist, ist, dass man sich jetzt als Arzt oder Ärztin
in seiner Stadt erkundigt, wie sich Vergewaltigungsopfer oder Opfer eines sexuellen
Übergriffs in einer Frauenklinik zum Beispiel bemerkbar machen können.
In München sagt man zum Beispiel an der Rezeption, ich möchte eine Frauenärztin sprechen.
Das ist praktisch so eine Art Losungswort, dass man leicht rankommt und zwar
auch zu einer weiblichen Ärztin und dass man nicht mit den anderen im Wartezimmer
sitzen muss. Aber ich frage mich, wie das verbreitet wird. Also wissen das dann alle?
Also über welchen Kanal erfährt man das? Ich habe es über Kanäle erfahren,
die sich an Ärzte und Ärztinnen richten. Da hast du völlig recht.
Müsste man dann eigentlich in so einer Kampagne. Wenn es ein Geheimnis ist, ein geheimes Notwort.
Ich finde die Idee sehr gut und absolut wichtig. Frag mich nur, wie setzt man es um?
Wie kann man diese Informationen sowohl an die Opfer als auch an jetzt das medizinische
Personal eben weiterbringen?
Aber genau das Thema Anlaufstellen ist ja auch wirklich wichtig,
gerade auch für die weitere Versorgung.
Und wen sollte man denn da noch einbinden? Was würdest du denn noch empfehlen,
wenn man sich jetzt informiert?
Man hat jetzt seine Praxis und man möchte sich auch ein Netzwerk aufbauen,
dass man so ein bisschen guckt und plant.
Welche Stellen sind hier jetzt auch lokal in meiner Umgebung wichtig?
Wo kann ich die Frauen hinverweisen?
Was kann ich denen anbieten? Wie gehe ich denn da vor?
Also ich habe mir da einen Zettel zusammengestellt in der Praxis aus den lokalen
Anlaufstellen in der Umgebung und die findet man zum Beispiel bei Frauennotrufe.de.
Da findet man für Städte aller Art die entsprechende Anlaufstelle.
Und ansonsten ist halt das Hilfetelefon für alle erreichbar.
Und bei den Kinderschutzzentren, da kann man sich auch online das nächstgelegene halt heraussuchen.
Bei dem Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen, auf der Website war ich jetzt dann
auch mal www.hilfetelefon.de,
fand ich auch total spannend, dass es ja sowohl als Beratungsstelle für Betroffene
fungiert, als aber auch für Fachpersonal.
Und in 18 Sprachen, wenn wir wieder bei dem Thema sind.
Das fand ich wirklich hilfreich und ja, gerade bei Kindern ist es dann ja nochmal spezieller.
Da gibt es ja für Fachpersonal die medizinische Kinderschutz-Hotline,
die das Fachpersonal berät, kinderschutzhotline.de.
Da gibt es Infos und aber auch Arbeitsmaterial, Kitteltaschenkarten,
das können wir auch alles nochmal verlinken.
Das fand ich immer sehr hilfreich. Und es gibt da ja auch noch jetzt hier im
Raum Frankfurt die medizinische Kinderschutzambulanz, beziehungsweise so seit
2023 das Childhood House am Uniklinik Campus.
Das ist ja auch eine interdisziplinäre Anlaufstelle, wo Mediziner, Juristen.
Alle unter einem Dach auch in Kontakt mit insoweit erfahrenen Fachkräften vom Jugendamt,
die einen ja dann beraten, wenn man den Verdacht hat auf Kindswohlgefährdung,
sei es durch Vernachlässigung oder eben auch Missbrauch oder sexualisierte Gewalt.
Und überhaupt bei dem Punkt, wenn ich jetzt davon ausgehe, dass das Kindeswohl
gefährdet ist, darüber hatten wir ja auch schon mal in der Podcast-Folge zur
Pädiatrie das kurz angesprochen und da hatte ja auch Ralf Möbus auf die Kinderschutzleitlinie hingewiesen.
Also das finde ich an der Stelle nochmal wichtig, dass man da,
wenn man da Fragen hat oder nicht weiß, wie man vorgeht, sich nochmal genauer informiert.
Genau. Und bei der Befragung muss man vorsichtig sein, weil Kinder sind ja sehr
suggestibel. Da darf man ja auf keinen Fall Suggestivfragen stellen und auch
das wird über alles auch in dieser Kinderschutzleitlinie nochmal ganz gut dargestellt.
Das finde ich einfach an dem Punkt sehr wichtig, dass man sich dessen bewusst ist.
Das ist dann schon nochmal ein Unterschied auch zu Erwachsenen.
Da haben wir auch einen Artikel dazu, Kindesmisshandlung und Vernachlässigung,
mit auch einigen Links drin.
Also lohnt sich immer ein Blick. Diese vielen Anlaufstellen in Frankfurt,
das konnten wir jetzt natürlich nicht verlinken, das ist mehr allgemeiner Natur.
Da wir hoffentlich auch Hörer außerhalb von Frankfurt haben,
denke ich mal, sucht sich jeder dann seine Stadt.
Aber es ist schon mal gute Inspiration. Es gibt in jeder Stadt,
vor allen Dingen in den größeren, aber auch in den kleineren,
irgendwo nah bei Hilfe und halt auch im Internet natürlich viel Online-Möglichkeiten.
Sich da zu informieren.
Ich denke mal, das ist wirklich das Wesentliche, dass man es in dem Team,
im Praxisteam offen kommuniziert,
dass man darüber spricht, dass eine Bereitschaft signalisiert und solche Situationen
sind immer eine Herausforderung und sehr mit viel Aufregung und viel Nervenreibung irgendwie dabei,
weil es natürlich auch was Beängstigendes hat.
Hast du denn irgendwie einen Tipp, wie man zum Beispiel so, auch wenn man sagt,
danach nach so einer Situation das aufarbeiten kann, an den Selbstschutz denkst,
an sich selber, wie geht es mir denn dann gut damit?
Weil das ist natürlich viel, was man da aufgeladen bekommt. Wie kann ich das gut verarbeiten?
Wie macht man das am besten? Also ich finde es wichtig, mit dem Team zu besprechen,
wie ist das jetzt gelaufen?
Konnten wir der Betroffenen gut helfen? Wie geht es allen damit?
Und mir persönlich hilft es nochmal nachzurecherchieren, ob ich zum Beispiel
alles gewusst habe, was man braucht.
Mir hilft ist eigentlich bei allen Dingen darüber zu schreiben,
weil ich merke, wenn ich schreibe und gleichzeitig Dinge nachlese,
dann strukturieren sich meine
Gedanken und ich komme runter und bringe das auf eine rationale Ebene.
Und wenn man den Selbstschutz noch weitergeht, man kann natürlich dann auch
Angst haben, gerade wenn vielleicht der Täter, die Täterin auch Patient,
Patientin in der Praxis ist oder halt zum Beispiel mit dabei ist und das mitbekommt.
Das kann in dem schlimmsten Fall
ja sogar eskalieren und es kann zu Gewaltausbrüchen in der Praxis kommen.
Also wir hatten jetzt auch einmal in der Praxis, es war jetzt keine Partnerschaft,
sondern es waren zwei unabhängig existierende, also ein Mutter mit Tochter und
ein Patient, die heftig aneinander geraten sind, auch mit wirklich frauenfeindlichen
Beschimpfungen, die dann kamen.
Also es war ein Konflikt, der bei uns in der Praxis auf einmal aufbrandete und
das hat einen dann schon auch erstmal ganz schön in Angst versetzt.
Wie regeln wir denn jetzt die Situation?
Wie gehen wir einmal damit um mit dieser Situation, wenn jetzt hier Gewalt in
der Praxis auf einmal auch herrscht?
Und wie gehe ich dann im Nachhinein auch um mit der Weiterbehandlung von den
jeweiligen, wo ich ja weiß, es ist zum Beispiel jemand, der gewalttätig ist
oder der frauenfeindlich ist.
Also es ist ja so auch dann das, was dann auch so danach kommen kann.
Was hast du da so für Erfahrungen?
Also in Norwegen, als ich in dieser Ambulanz gearbeitet habe,
gab es einen Sicherheitsdienst.
Und in brenzligen Situationen sind die gekommen. Das waren lauter Bodybuilder,
die haben gesagt, was ist da los?
Und dann hat sich das ganz schnell beruhigt. Man hat eigentlich so gut wie nie die Polizei gebraucht.
Und ich dachte mir dann auch, wieso gibt es so eine Möglichkeit nicht in Deutschland,
auch in Notaufnahmen gibt es keinen Sicherheitsdienst, aber dass man zum Beispiel
auch in der Praxis so einen Alarmknopf hat,
wo man draufdrückt und dann kommt ein Sicherheitsdienst und beruhigt die Situation.
Weil die professionell darin sind, zu deeskalieren.
Das fände ich keine schlechte Idee. Man muss ja nicht die Patienten unter Generalverdacht stellen.
Aber wenn was passiert, dass man weiß, wo man draufdrücken kann,
das fände ich nicht schlecht.
Aber wenn die Situation gefährlich wird, also haben wir auch schon mal die Polizei
gerufen. So was ist, so in Deutschland war das.
Sowas passiert halt leider. Aber ich denke ganz so oft.
Ist der Gewalttäter halt der nette Herr X,
der seit Jahren in die Praxis kommt, der völlig zerknirscht ist,
dem das alles wahnsinnig leid tut und dem man jetzt da auch nicht einfach vor
die Praxistür setzen kann, sondern ich denke manchmal muss man sowas aushalten und den mitnehmen.
Ja, im Prinzip hat man ja einen Behandlungsauftrag, Behandlungspflicht,
sitzt da auch immer so zwischen den Stühlen quasi.
Einerseits denke ich mal, was jetzt auch nochmal wesentlich ist,
was deutlich sein sollte, der Selbstschutz oder das, womit man sich selber irgendwie
gut fühlt, ist das Allerwichtigste.
Also das steht noch über dem Wohl der Patient, Patientin ist das eigene Wohl.
Und wenn man sich selber ängstlich oder unwohl oder in der Gefahrensituation
sieht, dann ist das völlig klar.
Oder auch wenn man einfach denkt, also man kann jetzt auch gar nicht mehr objektiv
behandeln, dann wäre das ja auch durchaus ein Grund, den man dann auch kommunizieren sollte.
Wenn man sich entscheidet, ich kann jetzt hier gar nicht mehr eine objektive
Entscheidung treffen und die
Behandlung wäre dann vielleicht woanders besser aus den und den Gründen,
das müsste man dann auch einfach so kommunizieren wahrscheinlich oder die Person
kommt nicht mehr, wie auch immer.
Hast du denn noch irgendein, was wir jetzt noch nicht besprochen haben,
ein Thema, wo du gerne noch was erzählen möchtest, worauf du noch mal eingehen möchtest?
Also mich hat es so ein bisschen beschäftigt beim Schreiben dieser Artikel,
wie ist das mit der Schweigepflicht?
Wann muss ich die Polizei anrufen und wann darf ich die Polizei anrufen und
wann muss oder darf oder soll ich das Jugendamt anrufen? Ich finde das sehr schwierig.
Also wenn ein Verbrechen schon passiert ist, hat der Arzt keine Pflicht zur Anzeige.
Sollte sich lieber mal zur Sicherheit auch von der Schweigepflicht entbinden lassen.
Und wenn aber ein Verbrechen bevorsteht, dann muss man als Arzt oder Ärztin
die Polizei benachrichtigen. Und wenn man das nicht macht, dann ist das auch eine Straftat.
Und dann gibt es sowas wie den rechtfertigenden Notstand.
Da muss man auch die Polizei oder Hilfe dazu hinzurufen.
Und nachdem etwas passiert ist, hat man keine Meldepflicht.
Also man kann nicht sagen, der Mann hat seine Frau niedergeschlagen,
ich zeige den jetzt an oder man darf das, aber man hat keine Pflicht dazu,
aber wenn die Gefahr droht, dann sollte man das eben machen und das finde ich
gerade auch sehr schwierig,
wenn Kinder im Spiel sind, wie gefährdet sind die.
Da darf man sich zum Beispiel anonym beim Jugendamt beraten lassen,
was man jetzt machen soll.
Das habe ich noch nie gemacht, was das für Konsequenzen hat,
das weiß ich auch nicht, aber ich finde dieses Thema schon sehr verunsichernd.
Da weiß wahrscheinlich keiner so richtig, was jetzt richtig ist und was man darf oder muss.
Ja, wahrscheinlich auch da
der Fall am besten mit so, wie man sich tatsächlich auch gut dann fühlt.
Also da würde ich mich auch beim Hilfetelefon beraten lassen.
Vielleicht ist das auch genau das, wo man da anrufen sollte.
Vor allem der Punkt, eine Straftat steht bevor.
Vielleicht ist ja der am wenigsten greifbare.
Also alles, was schon passiert ist, ist irgendwie klar passiert.
Es gibt vielleicht einen Beweis, aber alles, was vielleicht bevorsteht,
das ist ja ein riesiges Fragezeichen und das ist auch ganz schwierig.
Es wird ja immer wieder auch darüber gesprochen, inwieweit Ärztinnen und Ärzte
eben wirklich die Polizei wann informieren.
Aber das ist ja schwierig zu sagen, kündigt die Person das jetzt direkt an oder
spricht die Frau davon, mein Mann hat dieses und jenes vor,
will aber nach Hause gehen beispielsweise und entscheidet sich eben nicht zu sagen,
okay, ich komme irgendwo unter.
In dem Fall müsste man dann die Polizei rufen, so wie ich dich jetzt verstehe.
Ja, aber das haben wir alle nicht gelernt.
Also das ist was, wo ich denke, da wäre ich sicher überfordert,
wenn ich mal das Gefühl habe, diese Frau ist so schwer geschädigt,
die ist so viel Gewalt ausgesetzt, das ist wirklich gefährlich für sie.
Was tue ich jetzt? Also ich denke, da ist wirklich der Zeitpunkt,
wo man sich beraten lassen muss. Ja, absolut.
Hilfe holen. Weil ich auch gelesen habe, und das ist vielleicht irgendwie auch wichtig zu wissen,
wenn man etwas in einer irrtümlichen Annahme als Ärztin oder Arzt anzeigt und
da war gar nichts, dann ist man straffrei.
Okay. Das ist schon mal gut zu wissen quasi. Ich meine, das ist ja auch so...
Also in Bezug auf Gewalt jetzt nicht, natürlich generell, Entschuldigung.
Naja, aber es ist so ähnlich, wenn jemand eine Suizidgedanken hat
und man dann ja auch quasi so ihn zwangseinweist, man weiß es natürlich auch irgendwie nicht.
So denke ich gerade, es ist so ein ähnlicher Handlungsstrang.
Wenn ich davon ausgehe, es kann jetzt was Gefährliches passieren und ich kann
ihn dafür irgendwie retten, dann ist das in Ordnung.
Das ist auch gut zu wissen, das wusste ich jetzt auch nicht,
dass ich das dann anzeigen könnte.
Wie Sandra sagt, das ist ja auch absurd, das Vergangenes irgendwie dann.
Das ist schon wirklich ein heißes Feld, auf dem man sich da bewegt und um so
wichtig ist es, darüber zu sprechen, sich dessen bewusst zu sein und eben da
nicht total blind in so Situationen zu stolpern, die zwar nicht oft vorkommen,
aber die einem halt doch so viele Menschen, wie man dann so sieht.
Man hat den Querschnitt der Bevölkerung und wenn man die Dunkelziffern und die
Zahlen so bedenkt, dann hat man auf jeden Fall wahrscheinlich viel häufiger
Kontakt mit Opfern, als man denkt. Und Tätern.
Hast du denn auch recherchieren können, wie man sich zum Beispiel mit dem Thema
auch weiterbilden kann?
Ich meine, es gibt sehr, sehr viele Informationen bei euch ja auf der Plattformen
und auch auf den einzelnen Internetseiten gibt es auch.
Es gibt jetzt keine Zusatzbezeichnung, aber gibt es da irgendwas,
wo man vielleicht nochmal darauf hinweisen könnte? Also ich habe wenig gefunden.
Es gibt bei Signal ein Fortbildungsangebot, aber das ist halt in der Umgebung
oder im Bereich von Berlin.
Und dann habe ich noch gesehen, es gibt bei der Seite Gesine einen Campus,
wo es auch Fortbildungen gibt.
Aber so, dass die systematisch gebündelt und zusammen angeboten werden,
das habe ich nicht gesehen.
Ich könnte mir vorstellen, dass es ab und zu eine Fortbildung von einem rechtsmedizinischen
Institut gibt zum Beispiel oder von einer Anlaufstelle, aber wo man die systematisch
finden kann, damit alle den Überblick haben und sich anmelden können,
da habe ich nichts gefunden.
Das ist so ein bisschen Thema im toten Winkel irgendwie. Ja,
also vielleicht schafft man das ja irgendwie,
sich selbstständig in der Praxisorganisation im Rahmen von Teammeetings oder
Qualitätszirkeln, die man macht, sich tatsächlich das Thema immer mal wieder
zu Herzen oder zur Brust zu nehmen.
Gibt es denn etwas, was Hausärztinnen und Hausärzte so im Bereich der Prävention
von häuslicher Gewalt im Praxisalltag noch machen könnten?
Also ich habe mich ziemlich viel mit dem Thema befasst. Und je weiter man einsteigt,
liest man immer denselben Satz.
Prävention gegen geschlechtsspezifische Gewalt ist Geschlechtergerechtigkeit
und dafür zu sorgen, dass es keine Diskriminierung gibt.
Das heißt, in seinem eigenen Umfeld kann man natürlich was tun.
Und ich denke, wir als Frauen und Chefinnen von Frauen würden natürlich nicht
ungerecht handeln in der Geschlechterfrage, aber was man tun kann,
damit es keine Gewalt unter Patientinnen und Patienten gibt,
das finde ich ganz schwierig.
Man kann viel aufklären, man kann darüber schreiben, vielleicht kann man...
Infoblätter auch auslegen, aber man kann vielleicht dazu beitragen,
dass die Gewalt nicht schlimmer wird,
weil Betroffene die Infokarte oder den Infoflyer einstecken,
aber wirklich so direkt was tun kann man glaube ich als Hausärztin oder Hausarzt nicht.
Ist auch ein großes politisches Feld, dieser Bereich.
Und du hast ja schon gesagt, eben auch zum Thema Publizieren,
du hast ja auch das Buch Frau Ähh geschrieben,
in dem du dich ja auch dem Thema Alltagssexismus widmest.
Wie gehst du jetzt mit deinem wissenschaftlichen Hintergrund und dem ärztlichen
Hintergrund im Bereich häuslicher Gewalt auch mit Alltagssexismus um?
Siehst du das so als eine Vorstufe, so ein bisschen in die Richtung,
hast du sowas ja jetzt gerade schon erwähnt und hast du da noch Tipps für unsere
Zuhörerinnen? Also ich denke, es passiert uns allen.
Wir kennen die Situation, es ist eine große Runde, ein Meeting,
es werden Vorträge gehalten.
Mehrere Männer belegen zwei Stühle oder man kommt rein, setzt sich auf den Stuhl,
stellt seinen Laptop hin, geht kurz raus, kommt man zurück, hat ein Mann seinen
Mantel auf den Stuhl gelegt, wo man sich hinsetzen möchte.
Das sind so die Kleinigkeiten. Oder man wird gefragt, sagen Sie mal,
wo gibt es denn hier einen ordentlichen Kaffee?
Das wird man als Frau gefragt und das werden die Männer nicht gefragt.
Ich habe oft auch auf sowas wie, der Kollege kriegt den verlängerten Vertrag,
weil der muss ja schließlich eine Familie ernähren.
Ich habe auch zwei Kinder, aber macht nichts.
Da habe ich immer so perplex reagiert oder dumm. Und wenn es schlimm war,
habe ich vielleicht sogar ein paar Tränen verdrückt und ich fand es immer ganz
fürchterlich, dass ich mich da so überrumpeln lasse.
Und ich habe für mich so gelernt, man muss es ein bisschen humorvoll einsortieren
können und man muss vorbereitet sein.
Also mir hilft es oft, wenn ich denke, ja, der wird sich jetzt gleich auf meinen
Platz setzen. Das ist so ein Typ, der braucht es, der muss andere Leute klein
machen und zwar auch insbesondere Frauen.
Und zack sitzt er auf meinem Platz und dann hat er sich natürlich meinen Namen
nicht gemerkt und spricht mich mit Frau Ähh an, wie es halt oft so passiert.
Ich finde, wenn man das so ein bisschen mit Distanz betrachten kann und vorbereitet
darauf ist, was passiert, kann man vielleicht ein bisschen besser reagieren.
Aber es gibt natürlich Situationen, die gehen gar nicht.
Wenn man einfach offen ständig diskriminiert wird als Frau oder wenn man sogar
belästigt wird, da muss man sich natürlich wehren, mit Kollegen reden,
Betriebsrat fragen oder sogar ein Coaching machen.
Also ich denke, es gibt schwierige Situationen, die sind auch nicht lustig und
da ist es schon auch wichtig, dass man sich Hilfe sucht.
Dankeschön Marlies. Hast du denn ansonsten noch einen abschließenden Rat zum Thema Häusliche Gewalt für AllgemeinmedizinerInnen?
Also ich habe es so verstanden, dass es das typische Bild nicht gibt. Wenn sich Leute hilfesuchend an einen wenden, kann das plötzlich ganz anders sein, als man es erwartet. Es kann auch bei ganz anderen Familien passieren als man im Kopf hat und ich denke man sollte sich auf alle Fälle so ein bisschen rüsten mit Kontaktadressen, mit einem Vorgehen, mit Telefonnummern, zum Beispiel der Rechtsmedizin, damit man praktisch nicht hektisch ins herumsuchen gerät, wenn dann tatsächlich mal die Hilfe gefordert ist. Das ist denke ich so, wie wenn man einen Defi in der Praxis hat, den man wahrscheinlich sehr selten braucht, aber man muss vorbereitet und gerüstet sein.
Also auch sein Kit dafür haben? Ja genau. Ja vielen vielen Dank für deinen wertvollen Einblick in das wichtige und aktuelle Thema. Wir haben auf jeden Fall viel mitgenommen, vor allem, dass es wichtig ist in der Hausarztpraxis dafür sensibilisiert zu sein und das Thema in der Sprechstunde aufzugreifen auch schon vorab Gesprächsbereitschaft zu signalisieren, durch Auslage gewisser Materialien. Vielen Dank dafür. Wir hoffen, euch hat es auch gefallen und ihr konntet auch für euch etwas mitnehmen. Schaut auf jeden Fall in unserer Shownotes, dort verlinken wir die genannten Stellen und noch weitere - zu dem Thema - wichtige Infos und wenn euch der Podcast gefallen hat, abonniert ihn gerne und teilt ihn mit euerm Umfeld. Wir freuen uns auch, wenn Ihr uns Feedback sendet oder Rückmeldungen. Viele Infos rund um die Angebote des Kompetenzzentrums Weiterbildung Hessen wie Seminare, Mentoring, TTT, findet ihr auf kwhessen.de
Dann verabschieden wir uns und bedanken und fürs zuhören und. Bis zum nächsten Mal.