Wege der Allgemeinmedizin

Kompetenzzentrum Weiterbildung Hessen
Since 10/2021 36 Episoden

Regional verankert mit globalem Blick - mit Stefan Bösner

01.06.2022 43 min

Zusammenfassung & Show Notes

Was haben der Südsudan, Marburg, Schusswunden, Ramadan und globale Gesundheit gemeinsam? Die Antwort: unseren Podcast-Gast Stefan Bösner!
Er erzählt uns in dieser Folge von seinem außergewöhnlichen Lebens- und Berufsweg und zeigt, wie breit das Tätigkeitsspektrum der Allgemeinmedizin so sein kann.
Gleich reinhören auf unserer Homepage oder überall wo es Podcasts gibt!

Shownotes:

 Shownotes:

Transkript

Music. Hi, ihr hört Wege der Allgemeinmedizin, heute mit einem Gast, der uns geografisch vom Südsudan bis nach Hessen und inhaltlich von Schusswunden über Ramadan in Marburg bis hin zu studentischen Lehrprojekten zur globalen Gesundheit erzählt. Stefan Bösner ist Hausarzt, Professor an der Uni Marburg und hat viele Jahre im globalen Süden gearbeitet. Das Gespräch mit ihm zeigt also nochmal so richtig, wie breit das Tätigkeitsspektrum in der Allgemeinmedizin sein kann. Uns ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass wir diese Folge im Frühjahr 2022 aufgenommen haben und obwohl wir grundsätzlich versuchen, unsere Folgen möglichst zeitlos zu gestalten, kommt der Krieg in der Ukraine hier kurz zur Sprache. Wir können zum Zeitpunkt der Aufnahme natürlich nicht sagen, wie sich alles weiterentwickelt hat, wenn ihr die Folge hört, das nur als kurzen Hinweis. Ansonsten hoffe ich, dass die Folge für euch spannend und inspirierend ist. Hallo und herzlich willkommen bei einer neuen Folge unseres Podcasts Wege der Allgemeinmedizin. Ich bin Britta, Ärztin in Weiterbildung Richtung Allgemeinmedizin und mit mir ist heute Maria hier. Ja, hallo, ich bin Maria, Mitarbeiterin am Kompetenzzentrum Weiterbildung in Hessen, da im Mentoring-Programm tätig. Und heute haben wir wie immer einen Gast. Professor Stefan Bösner ist heute bei uns, mit dem wir heute gemeinsam über die hessischen Landesgrenzen und sogar die Bundesgrenzen hinwegschauen wollen und über eine sehr spannende Kombination aus seiner regionalen Hausarzttätigkeit und dem Thema globale Gesundheit sprechen möchten. Ja, Stefan, schön, dass du heute dabei bist. Vielleicht magst du dich für unsere Zuhörerinnen und Zuhörer nochmal einfach kurz selbst vorstellen. Ja, vielen Dank für die Einladung. Ich freue mich, hier zu sein. Mein Name ist Stefan Bösner. Wie schon gesagt, ich bin Professor an der Universität Marburg im Bereich Allgemeinmedizin. In der dortigen Abteilung haben wir die Leitung so ein bisschen aufgeteilt. Ich bin für die Bereiche Lehre und Weiterbildung zuständig. Wir leiten die Abteilung gemeinsam im Team und ich bin aber noch nebenbei dann auch in einer Hausarztpraxis in Marburg tätig, ganz genuin an zwei Tagen die Woche und beschäftige mich damit mit Hausarztmedizin in einem ja eher urbanen Bereich und beide Sachen ergänzen sich in einer in einer guten Art und Weise. Vielen Dank dir. Und wie Britta schon angekündigt hat, soll es ja heute auch um den globalen Blick gehen. Aber bevor wir ins Thema einsteigen, ist ja unsere Einstiegsfrage immer, wie bist du eigentlich in der Allgemeinmedizin gelandet? Wie war dein Weg? Ja, überhaupt nicht direkt. Ich wurde gar nicht in der Richtung geprägt. Mein Weg war erstmal die Frage, wie komme ich nach Afrika und das als Arzt. Das hat mich praktisch bewogen, Medizin zu studieren und das habe ich wirklich auch konsequent verfolgt mit vielen Auslandsfamulaturen, auch schon während dem Studium mit einem längeren Aufenthalt in Uganda. Ich habe dann ein Jahr Pause gemacht, habe dort auch geforscht, habe meine Doktorarbeit über einen afrikanischen Kindheitstumor geschrieben, das Burkitt-Lymphom und hatte dann eigentlich eher angepeilt Augenarzt zu werden, also eine völlig andere Richtung. Das war bei mir von dem Wunsch getragen, dass ich mir gedacht habe, Mensch, das ist doch ein Fach, wo man praktisch einfach ganz vielen Menschen auch helfen kann. Ich hatte während dem Studium immer so Kurse mitgemacht von der Christoffel-Blindenmission, die ist gar nicht so weit von hier beheimatet in Bensheim. Da konnte man immer so Schweineaugen operieren schon üben, das hat mir echt Spaß gemacht. Die haben mich da sogar so ein bisschen entdeckt und wollten mich dann sogar fördern, dass ich einen Teil der Facharztausbildung, gerade den operativen Teil im Ausland schon hätte machen können. Und im PJ Augenmedizin dann habe ich gemerkt, Mensch, da wirst du nicht glücklich in einem Fach, was sich nur um ein kleines Organ kreist. Das bist nicht du. Also ich habe völligen Respekt vor allen Augenärzten. Und ich habe aber gemerkt, es passt einfach nicht zu meiner Person. Ich bin doch mehr der Generalist. Und ich wäre da, glaube ich, nicht glücklich geworden. Manchmal ist ja auch gut, dass man erstmal was macht, um zu sehen, es passt nicht. Und habe dann danach dann doch klassisch mit der inneren Medizin angefangen. Und habe dann gedacht, nö, dann gehst du jetzt die andere Richtung. Du machst eine breite Ausbildung und guckst dann eben noch, wie du das vertiefst während deiner Auslandtätigkeit. Und von daher habe ich dann auch relativ straight, das ging damals noch in knapp dreieinhalb, vier Jahre, dann die Facharztausbildung gemacht. Das heißt, bei dir war der Wunsch zuerst da, nach Afrika zu gehen, bevor überhaupt sozusagen die Fachrichtung feststand. Und das ist ja was, was ich von vielen Medizinstudierenden kenne oder was ich auch selber, wo ich schon häufiger auch drüber nachgedacht habe, dieser humanitäre Aspekt der Medizin, dass man eben mit dem, was man gelernt hat, auch vieles bewirken kann. Wo kam diese große Motivation her, nach Afrika zu gehen? Also die hat interessanterweise schon einen Erdkundelehrer in der Schule gelegt. Also Schule ist nicht nur schlecht, das war in der Kollegstufe damals. Da haben wir ein halbes Jahr uns nur damals mit Entwicklungsländern, so hat man das damals noch genannt, und Entwicklungshilfe beschäftigt. Und das hat mich damals sehr, sehr angesprochen und angerührt. Und ich bin schon als Schüler und dann auch als Student sehr viel gereist. Und ich habe mir immer so die Frage gestellt, Mensch, was wäre aus dir geworden, wenn du in dem Dorf oder in der Region geboren wärst? Das können wir uns ja aktuell auch alle fragen. Was wäre jetzt mit uns, wenn wir in der Ukraine geboren wären oder leben würden? Wir wären vielleicht alle auf der Flucht, nichts mehr mit akademischer Medizin, vielleicht gar keinen Job mehr, je nachdem wohin wir fliehen. Und darum habe ich das immer als großes Privileg empfunden, im reichen Land aufzuwachsen, ein Hochschulstudium machen zu dürfen und habe mir gedacht, das ist eigentlich nur fair, wenn man zumindest mal einen Abschnitt im Leben, das einfach auch in der Gegend mit anderen Menschen teilt, die vielleicht nicht die gleichen Privilegien hatten. Dazu kommt schon auch noch mein christlicher Glaube, das war auch mit eine Motivation, aber das ist glaube ich so ein Mischbild aus vielen Dingen gewesen. Und könntest du vielleicht nochmal genau sagen, also du hattest schon angesprochen, du warst während der Famulatur in Uganda, später dann im Sudan glaube ich. Also wo du warst und in welchen Formen du da tätig warst? Genau, also im Studium, das war so die Vorbereitung, da war ich in Norduganda in so einem kleinen Krankenhaus über ein halbes Jahr gewesen, habe da beforscht und gearbeitet. Danach dann eben die Facharztausbildung und dann sind wir mit einer Non-Governmental-Organisation, ähnlich wie Ärzte ohne Grenzen, die Med Sans, die ist in der Schweiz beheimatet, erstmal in den Südsudan gegangen. Da habe ich zwei Jahre lang gearbeitet, ja mitten in einem Bürgerkriegsgebiet an der äthiopischen Grenze. Also damals gab es ja noch den Konflikt, der Südsudan war noch kein eigenständiges Land wie heute und hat gegen den Norden gekämpft. Der Bürgerkrieg war damals schon 16 oder 17 Jahre lang gelaufen, da war die ganze Infrastruktur zerstört. Und wir haben da mit einem internationalen Team im Süden dann so ein basales Gesundheitssystem aufgebaut und danach hat sich dann nochmal so ein Break gezeigt. Ich brauche dann auch ein bisschen Verschnaufpause, habe dann nochmal Truppenmedizin in Liverpool studiert, drei Monate lang und danach ging es dann nochmal für knapp fünf Jahre nach Khartum, mitten in die Wüste in den Nordsudan. Das war insofern auch interessant, weil wir ja letztendlich die Kriegsparteien gewechselt haben, die andere Seite von der Front, hatten aber trotzdem viel noch mit den Menschen aus dem Süden zu tun, weil da eben viele Flüchtlinge auch im Norden waren. Und im Nordsudan, da kann ich ja dann später nochmal ein bisschen ausführlicher berichten, da neben vielen anderen Programmen hat mich dann, nachdem wir anderthalb, zwei Jahre dort waren, ist dann diese Darfur-Krise ausgebrochen, die mich dann massiv beschäftigt hat, bis ich dort auch wieder weggegangen bin, zurück nach Deutschland. Das heißt, du hast wirklich lange Zeit auch am Stück mit kurzen Unterbrechungen ja in Afrika gelebt und gearbeitet. Wie war das dann, als du zwischendurch vielleicht oder auch dann letztendlich zurückgekommen bist nach Deutschland und eben hier deine Tätigkeit aufgenommen hast? Wie hast du diesen Wechsel erlebt? Du hast ja eben schon viele Begriffe genannt, Krieg, Geflüchtete und so weiter, die für uns total ja irgendwo weit weg sind oder schwierig sich das vorzustellen. Wie hast du das erlebt? Genau, dazu sage ich vielleicht nochmal so ganz kurz nochmal ein paar Takte, wie so die Arbeit in Afrika war, dann kann man das glaube ich auch besser kontrastieren, weil die Frage, die habe ich mir natürlich auch schon, als ich noch dort war, gestellt, wie wird das mit dem sogenannten Re-Entry, da gibt es eine Menge Literatur drüber, aber lesen und erfahren sind zwei verschiedene Stiefel natürlich. Im Südsudan war das wirklich so, da haben wir wirklich mitten in der Pampa gelebt mit einem kleinen Team. Wir sind dann mit dem Flugzeug abgesetzt worden. Da hat man immer sechs Wochen am Stück gearbeitet, mehr oder minder rund um die Uhr. Und hatte dann eine Woche Pause in Nairobi, da sind wir auch ausgeflogen. Und das war schon ja in recht beengten Verhältnissen im kleinen Kompa und die Rebellenarmee war direkt um die Ecke, am Abend hatte man auch eine Ausgangssperre, da durfte man nicht raus, man hat auf engem Raum gelebt und ich war der einzige Arzt in der ganzen Region, das heißt rund um die Uhr Dienst, auch für die ganze Bandbreite der Medizin ansprechbar. Ich hatte natürlich vorher völlig einen Bammel, ob ich das medizinisch schaffe. Ich meine, ich hatte mal gerade eine Facharztausbildung gemacht und jetzt auch operativ nicht so viele Erfahrungen. Aber das ging dann sogar erstaunlich gut. Irgendwie, wenn man auf sich allein gestellt ist und es gibt keine großen Alternativen, dann muss man die Flucht nach vorne antreten. Vielleicht war es auch noch die Jugend so, wenn ich heutzutage auf manche Dinge zurückblicke, würde ich mich, glaube ich, nicht mehr trauen. Jede Lebensphase hat auch ihr ideales Alter, in dem man die macht. Ja, da war wirklich auch erstmal alles querbeet. Natürlich von den Tropenkrankheiten, es waren aber auch Schussverletzungen, viele Absesse. Wir haben aber auch präventive Medizin gemacht, wir haben ein großes Programm aufgebaut, zum Beispiel von Verhinderung von Flussblindheit, dass wir da die ganze Bevölkerung behandelt haben. Und ich hatte auch noch so eine Art Flying-Doctor-Job und bin von dort aus praktisch immer mal wieder mit dem Flugzeug von der UN oder WHO abgeholt worden, um dann Epidemien zu managen. Also ich habe zum Beispiel eine Cholera-Epidemie gemanagt oder einmal eine Meningitis-Epidemie direkt an der Frontlinie. Da hatte ich also 24 Stunden Zeit, das irgendwie zu regeln, weil dann die Front sich verschoben hat und bin dann wieder abgeholt worden. Das war schon so einer meiner nervösesten Einsätze. Und das Ganze war schon sehr intensiv, aber interessanterweise im Rückblick waren nicht die medizinischen Herausforderungen das Intensivste, sondern das Leben im Team. Höre und staune, wir arbeiten ja auch alle in Teams. Und gerade im internationalen Team mit verschiedenen Kulturen, verschiedenen Sprachen, also die meisten Spannungen oder Herausforderungen gab es da. Und ich war mit meiner Frau, also ich habe das zusammen gemacht mit meiner Frau, wir waren da auch recht schnell Teamleiter. Die haben da auch entsprechend die Verantwortung getragen. Aber insgesamt war das eine sehr erfüllende Arbeit. Und die Arbeit dann im Nordsudan, bevor ich dann gleich auf den Re-Entry komme, die war ein bisschen anders geartet. Da hatte ich dann mehr eine leitende Funktion. Das heißt, ich war für die kompletten Gesundheitsprogramme für das ganze Land zuständig. Ich habe in Khartum gelebt und hatte dann mehr so, wie wir das hier auch machen in unserer Abteilung, ich habe Projektanträge geschrieben, ich habe große Studien initiiert, sogenannte Baseline Service, also auch Wissenschaft gemacht, um überhaupt Daten zu sammeln. Ich habe an der Uni unterrichtet, Public Health in Khartum, um da auch die künftige Generation von Ärzten dort auszubilden. Und wir haben ein großes Malaria-Kontrollprogramm in den Nuba-Bergen gemacht und dann begann halt die Darfur-Krise und da war dann innerhalb von einem halben Jahr wirklich, ja es ist ähnlich wie in der Ukraine praktisch. Es waren da fast eine halbe Million Menschen getötet worden. Es waren zwei Millionen Menschen auf der Flucht innerhalb von sechs Monaten und aber eben als Binnenflüchtlinge hauptsächlich noch im eigenen Land. Und wir haben halt versucht dann mit vielen anderen NGOs eben, wie man die halbwegs versorgen kann. Also ich muss auch ehrlich sagen, jetzt mit den Nachrichten der letzten Wochen, das ist jetzt nicht ein Flashback in dem Sinn, dass ich da traumatisiert war, aber bei mir kam da viel hoch. Ich kann es ja auch gestehen, wir hatten ja schon mal einen Aufnahmetermin, den habe ich völlig verbaselt und ich habe auch nochmal in meinen Mails geguckt und das fiel wirklich genau in diese Zeiten, die erste Woche und ich war da wirklich echt neben mir. Also ich konnte kaum Praxis machen, weil ich habe einen Genozid miterlebt, live in Darfur. Und mir geht das jetzt alles aktuell sehr, sehr nahe natürlich, weil ich das den Menschen sehr nachempfinden kann. Ja und dann, gut dann irgendwann, jetzt komme ich auch zur Eingangsfrage zurück, stellt sich dann natürlich die Frage…, Wie geht es daheim in Deutschland wieder weiter? Wir waren ja insgesamt sieben, acht Jahre eine kritische Zeit. Das wussten wir auch vorher. Wir haben Leute erlebt, wenn man da nicht den Absprung schafft oder mal wieder länger daheim zurück ist, ist es ganz, ganz schwer. Und viele Leute versanden dann im Ausland. Das waren auch teilweise keine guten Karrieren. Wenn die Leute nicht mehr nach Hause kommen können. Also wir haben dann den Schritt genommen. Es war ja nicht schwer, jetzt irgendwie einen Job zu finden als Arzt. Wobei, als ich gegangen bin, war das schon noch der Fall. Da gab es noch zu viele Mediziner. Das ist schon ein bisschen her. Und ich hatte aber schon so einen massiven Re-Entry-Schock. Ich habe am Anfang nur Notfallmedizin machen können, das war das Einzige, was ich ertragen habe. Ich habe dann recht schnell in der Nachbarstadt von Marburg eine Notdienstzentrale mit geleitet und habe nur Nacht- und Wochenenddienst gemacht, weil ich hatte in der Praxis angefangen, gerade in der diabetologischen Schwerpunktpraxis, wo ich auch heute arbeite wieder. Und ich habe mir wirklich gedacht, was haben die Leute eigentlich alle? Weil ich hatte so eine verschobene Schwelle von Gesundheit und Krankheit, das war natürlich unfair. Das soll jetzt nicht so heißen, dass die Menschen hier nicht krank sind und leiden, aber ich musste erst mal wieder mich auf deutsche Verhältnisse einpendeln. Ich war auch richtig das erste halbe Jahr wirklich ein bisschen depressiv und musste mich echt aufraffen. Und insgesamt hat das Jahre gedauert, vier, fünf Jahre bestimmt, bis ich völlig hier angekommen war. Ich habe dann zwei Jahre später an der Uni angefangen. Ich habe am Anfang noch parallel so ein Master in Public Health gemacht. Ich wollte eigentlich wieder länger ins Ausland gehen, das habe ich mit dem Ziel gemacht, aber Familie, wir haben zwei Töchter, die sind beide im Sudan geboren und haben dann nochmal Zwillinge gekriegt, zwei Jungs und mit vier Kindern innerhalb von viereinhalb Jahren, da haben wir dann auch etwas die Grätsche gemacht und sind dann in Deutschland geblieben, das war zumindest einer mit der Gründe. Ja und es hat lange gedauert, es war ein langer Weg und auch was jetzt meine wissenschaftliche Tätigkeit angeht, ich kann mich noch erinnern, gerade in so der Habilitationsphase im Winter, da hat man ja dann oft wochenlang, dann hat irgendwelche Artikel geschrieben und ich habe echt oft aus dem Fenster geguckt und gedacht, what the heck I'm doing here, was mache ich hier eigentlich. Das war, ja, aber ich bin trotzdem im Rückblick dankbar, dass ich es gemacht habe. Und wie würdest du sagen, beeinflusst das jetzt heute noch deine Tätigkeit? Also Marburg ist ja zum Glück eine gut versorgte Region. Was von deiner früheren Arbeit beeinflusst jetzt deine Tätigkeit noch? Gut, das ist denke ich erstmal der Blick auf die Dinge, also auf die Welt, dass ich weiter zum Beispiel breit politisch interessiert bin. Wirklich versuche auch über die normale Medizin hier hinaus zu blicken. Ich gehe weiterhin auch auf internationale Kongresse, versuche auch das Wissen so ein bisschen aufrecht zu halten. Aber es sind auch zwei konkrete Bereiche, über die wir heute ja auch noch ein bisschen reden wollen, also unter dem Überthema regional verankert, aber trotzdem den globalen Blick behalten und das sind eben die Bereiche Lehre an der Universität. Man muss ja, wenn man sich habilitiert, auch eben eine eigene Lehrveranstaltung from the scratch konzipieren. Und da hatte damals sogar Frau Baum, unsere ehemalige Leiterin, die Ideen, die es auf mich zugetreten hat, gesagt, Stefan, überleg doch mal, biete doch mal hier einen Kurs in Global Health an. Mach das doch als dein Habil-Projekt. Da hatten gerade Studierende auch einen Artikel veröffentlicht, dass sie sich das wünschen. Die bundesweite Vertretung deutscher Medizinstudierende hatte das publiziert und das hatte ich eben aufgegriffen. Und das war dann so der Beginn von meinen mittlerweile recht breit gefächerten Aktivitäten im Bereich Global Health und auch Klimawandel an der Uni Marburg. Ja gut, und das andere war dann in der Praxis und das war weniger geplant, aber nahm recht Fahrt auf dann mit der Flüchtlingskrise 2015 und mit den vielen Menschen aus einem arabischen Kontext. Ich habe ja im Nordsudan fünf Jahre lang in der arabischen Welt gelebt und gearbeitet. Ich spreche auch leidlich Arabisch nicht mehr so gut, aber ich habe das gelernt. Die Sprache ist der Schlüssel zur Kultur und wir wären niemals so lange in dem Land geblieben, wenn wir nicht die Sprache gesprochen hätten. Und das hat sich dann natürlich rumgesprochen und dadurch hatte ich dann natürlich auch rasch auch viele jetzt Flüchtlinge, Immigranten in der Praxis, aber auch viele PhD-Studenten aus anderen Ländern, aus afrikanischen Ländern, die auch Englisch reden wollen mit dem Arzt. Also normaler Sprechstundenvormittag ist bei mir eigentlich in der Regel dreisprachig, Deutsch, Englisch und Arabisch. Ja, das sind so die beiden Bereiche. Könntest du dir denn vorstellen, nochmal wieder längere Zeit ins Ausland zu gehen? Oder würdest du sagen, das Thema ist jetzt, es war gut, als es so war, aber jetzt ist es abgeschlossen? Nee, abgeschlossen ist es nicht. Muss jetzt natürlich vorsichtig sein, was ich sage meinen Kollegen an der Uni gegenüber, die das hören. Nee, aber nein, ich hatte ja schon damals, als wir zurückgekommen sind, mich gesagt, da hatte ich es ja sogar geplant, sonst hätte ich gar nicht mehr den MPH gemacht, machte aber dann wiederum auch die Eintrittspforte für meine akademische Arbeit, weil also von daher war das nicht dumm. Und ich könnte mir es wenn dann vorstellen, entweder in der Rente oder die letzten Berufsjahre, weil ich habe es ja eben schon geschildert, ich habe echt keine Lust nochmal diese Reentry-Phase durchzumachen, die schon recht stark auch mit der beruflichen Wiedereingliederung zu tun hat. Also ich glaube, wenn man privat in einer globalisierten Welt lebt, ist es nicht so schwierig, jetzt mal auch ein paar Jahre im Ausland zu leben, aber die Arbeit ist doch so anders. Und man muss auch vielleicht ein bisschen kritisch sagen. Deutschland ist kein gutes Umfeld dafür. Das wird bei uns auch nicht geschätzt. Also im angelsächsischen Raum, das hat vielleicht mit der Commonwealth-Tradition auch der englischen Universitäten oder Gesundheitseinrichtungen zu tun, da wird das sogar ganz gern gesehen, wenn man mal ein paar Jahre irgendwo war und einen gewissen medizinischen Standard auch aufrechterhalten konnte. Aber in Deutschland ist doch eher so, oh, der aus dem Busch. Also ich habe da schon auch Blicke geerntet, auch in Marburg, jetzt nicht in der Allgemeinmedizin. Die ist hoch zu loben. Also die Allgemeinmedizin ist wirklich der Adressat, wo man auch mit einer etwas ungewöhnlicheren Biografie noch gut unterkommt. Ich glaube für meinen Lebenslauf jetzt wäre für eine weitere akademische Tätigkeit an jedem anderen Bereich eigentlich ein absolutes No-Go gewesen. Wobei man durchaus sagen muss, dass man viele der Kompetenzen, die man auch im Ausland bekommen hat, sehr wohl auch im akademischen Umfeld einsetzen kann, obwohl es vielleicht erstmal widersprüchlich erscheint. Also jetzt nicht nur in Global Health Lehre ist es ja klar, da ist es ja inhaltlich gegeben. Aber ich nenne nur mal zwei Beispiele. Ich habe im Sudan am Ende, war ich für ein Team verantwortlich mit den lokalen Mitarbeitern von über 100 Leuten und für die Gesundheit von einer halben Million Menschen. Ich habe mit dem Gesundheitsministerium verhandelt, mit Botschaftsangehörigen, mit der WHO. Also man hat große Erfahrungen im Bereich Networking, im Bereich Verhandeln, natürlich im Bereich Projektanträge schreiben, im Bereich Personalführung, im Bereich Management und dann auch noch, wenn man das jetzt hier abgleicht, ich meine ich leite jetzt auch mit einer Abteilung, da kann man natürlich diese Dinge verwenden. Aber auch jetzt konkret, was die akademische Arbeit angeht, ich habe sieben Jahre lang meine ganze Arbeit mündlich und schriftlich in Englisch gemacht. Das heißt, ich kann fließend Englisch reden und schreiben, denke ich, auf einem hohen Niveau. Das hat natürlich auch enorm geholfen. Also für mich war es keine Probleme, dann irgendwie wissenschaftliche Artikel zu produzieren. Also insgesamt würde ich sagen, da war auch der Auslandsaufenthalt auch eine Bereicherung für hier auf jeden Fall. Ja, alleine schon, dass du gelernt hast und vermutlich sehr schnell unter großem Druck und unter großem Stress schnelle Entscheidungen zu treffen. Und allein diese Krisenkompetenz, die man dadurch gewinnt, ist fürchte ich was, was auf viele von uns zukommen wird in den nächsten Jahrzehnten, gerade wenn es mit der Klimakrise so weitergeht, wie wir gerade auf dem Weg sind. Ja, also in dem Sinne würde man meinen, das ist eigentlich eine Kompetenz, die alle brauchen werden in Zukunft, gerade im medizinischen Bereich. Vielleicht sollten wir das als Wahlpflichtfach mal anbieten, Krisenmanagement für künftige Ärztinnen. Wir hoffen es ja nicht, aber es stimmt, ich meine aktuell unsere politische Situation der letzten Jahre ist wirklich, dass wir uns von Krise zu Krise hangeln. Ja, das stimmt. Ich will nochmal ganz kurz darauf zurückkommen, wie man da, also ja, reinkommt in das ganze Thema, weil viele unserer Hörerinnen und Hörer haben sicherlich auch Interesse daran oder so kann ich es zumindest von mir sagen oder ich kenn auch einige, die von Ärzte ohne Grenzen träumen, aber sich fragen, wo fang ich denn bloß an, was brauche ich denn alles, kann ich mich irgendwie vorbereiten. Hast du vielleicht irgendwelche Ratschläge für solche Menschen, die einfach auch gerne sich engagieren würden. Und vielleicht nicht ganz so früh schon angefangen haben wie du? Naja, auf jeden Fall. Ich meine, da stehen einem ja schon im Studium A viele Optionen offen. Das ist ja das Tolle bei uns im Medizinstudium mit den Famulaturen. Also dann eben, wenn man in ein südliches Land geht, muss man ja auch nicht in das hippe Großstadtkrankenhaus gehen. Man kann ja auch durchaus mal in eine ländliche Gegend gehen und gucken, wie Medizin dort passiert. Dann gibt es ja auch in Deutschland mittlerweile viele humanitäre Kongresse. Die Charité ist da mittlerweile sehr engagiert. Da war ich auch schon als Sprecher, nachdem ich aus dem Sudan zurückgekehrt war, war glaube ich zweimal, die machen immer einmal im Jahr einen humanitären Kongress zusammen, ganz federführend, auch mit Ärzte ohne Grenzen. Da kann man gut Networking betreiben, auch schon mit den NGOs. Und natürlich kann man sich auch eine Doktorarbeit in dem Themenfeld suchen, das ist auch eine Möglichkeit. Ich habe gerade eine neue Doktorandin, ganz spannend, da braucht man ein doppeltes Ethikvotum aus Peru und Marburg, die will untersuchen, wie Wissenstransfer bei Community-Health-Workern im Regenwald in Peru funktioniert. Also bei solchen Themen bin ich auch immer aufgeschlossen. Da kann man auch dann tiefer reinkommen. Ja und dann oft denkt man so mit den NGOs, das ist so eine hohe Hemmschwelle. In der Regel wollen die halt, dass man ein paar Jahre Berufserfahrung hat, das ist sicherlich auch nicht dumm. Normalerweise wird man, wenn man auch so eine internationale Karriere anstrebt, man fängt erstmal an mit einem Job einfach vor Ort, wo man in der Klinik oder im Flüchtlingslager erstmal Medizin macht, wie man so weitgehend hier auch kennt. Und dann die anderen Dinge, auch die ich jetzt erwähnt habe, die entwickeln sich. Die habe ich vorher auch nicht so geplant. Dann wird es auf einmal klar, dass man eher eine koordinative Rolle mehr übernimmt und normalerweise rutscht man dann eben so rein. Man muss sich glaube ich allerdings klar machen, das kann man vielleicht noch dazu sagen, was man, wenn man so eine Arbeit anstrebt und ein bisschen länger anstrebt, so wie ich, wo man mittelfristig hin will, wenn man der volle Fan von klinischer Versorgung ist, was ja auch gut ist, dann geht auch der Trend mehr dahin, dass man sich eher hoch spezialisieren soll. Dann wäre da Allgemeinmedizin gar nicht so das Ding. Auch Ärzte ohne Grenzen, die suchen da nicht mal mehr normale Chirurgen, sondern Leute mit Spezialisation Amputationschirurgie zum Beispiel, weil die meisten Länder genug Ärzte selber fort haben, die breit ausgebildet sind und als Organisation haben wir auch natürlich erstmal Leute vor Ort angestellt. Und der andere Trend, das passt wiederum auch gut zu unseren Abteilungen, der geht aber mehr so Richtung Public Health. Und das sind sicherlich immer gesuchte Jobs, dass man eben Gesundheitsprogramme plant und evaluiert. Und da denke ich, können wir Deutschen, da stimmen so ein bisschen schon auch die Stereotype, das Volk der Planer und Vorausdenker. Da können wir schon auch unsere Qualitäten da auch einbringen. Mhm. Britta, kannst du dir denn vorstellen, jetzt während der Weiterbildung noch was zu machen? Beziehungsweise vielleicht auch anschließend dann an dich, Stefan, die Frage ist, das während der Weiterbildung möglich einen Abschnitt im Ausland zu machen. Aber Britta vielleicht, genau, erstmal du. Also ich habe ja schon jetzt gesagt, dass mich das Thema auf jeden Fall auch sehr interessiert. Das war auch einer der Gründe, muss ich sagen. Medizin zu studieren, also diese Motivation, ich möchte irgendwie was tun, in der Welt gibt es so viel Leid und das ist einfach sowas, wo man so praktisch einfach was machen kann. Also das Thema ist auf jeden Fall für mich auch sehr präsent, aber man kann das Leben halt so schlecht vorausplanen und ich habe ja jetzt mittlerweile auch zwei Kinder, die noch klein sind und deswegen fällt es für mich jetzt erstmal total flach. Ich könnte mir aber vorstellen, und die Möglichkeit gibt es ja auch, das später zu machen. Also es gibt ja auch einige Ärztinnen und Ärzte, die dann vielleicht im Ruhestand nochmal sowas machen. Wobei da auch natürlich die Frage ist, ob man so Krisengebiete da noch gut wegsteckt. Das weiß ich jetzt natürlich nicht, wie man da später so drauf ist. Aber ja, in irgendeiner Form sich zu engagieren, ja, das kann ich mir gut vorstellen. Ich kann dich da aber ermutigen, weil du sagst mit zwei kleinen Kindern, das war früher so. Zum Beispiel im Südsudan, wo wir gearbeitet haben, wir wollten damals auch Kinder eigentlich haben an dem Zeitpunkt und haben das dann nochmal hinten angestellt, haben deswegen auch gesagt, wir machen das maximal zwei Jahre. Weil das wäre natürlich ein No-Go gewesen. Wenn da meine Frau schwanger geworden wäre, dann hätten wir das Land verlassen müssen. Aber in Khartum war das dann zum Beispiel kein Problem und auch Organisationen wie Ärzte ohne Grenzen, die nehmen mittlerweile, weil die halt auch Personalmangel haben, die nehmen gerne auch Leute mit Kindern und gerade wenn man eine koordinative Tätigkeit macht, ist man schon meistens in den Hauptstädten, wo es ja eine ähnliche Infrastruktur gibt wie hier. Und da will ich dicheher ermutigen, du musst nicht bis zur Rente warten. Für Kinder gerade im Vorschulalter oder bis die in eine weiterführende Schule kommen, ist Ausland in vielen Dingen wesentlich einfacher. Manche Sachen lassen sich da viel einfacher organisieren. Und ja, auch auf die anfängliche Frage, man muss kein Facharzt sein, um mit einer NGO zu arbeiten. Man kann das gut in die Facharztausbildung integrieren und je nachdem, wo man ist, sogar weltweit anerkennen lassen.Das sollte man dann einfach vorher mit der Landesärztekammer absprechen. Ja, das sind spannende Punkte, die hoffentlich für den einen oder die andere auch interessant und relevant sein werden. Kommen wir vielleicht jetzt nochmal auf deine aktuelle Tätigkeit, Stefan. Du hattest ja schon angedeutet eben, dass du so der Magnet bist für viele Patientinnen und Patienten, die bei dir ja was finden, was sie woanders vielleicht nicht finden. So habe ich das verstanden. Also so einen gewissen Umgang vielleicht mit deiner Sensibilität, mit anderen Kulturen. Kannst du uns das vielleicht nochmal vertiefen? Ja gerne, ich meine gut, ob ich der Magnet bin, weiß ich jetzt nicht, aber klar, es ist eine orale Kultur, auch aus der manche Leute kommen, dann sprechen sich Dinge rum. Zum Beispiel einfach, dass ich jetzt weiß, wie man kulturell gerade auch mit Frauen zum Beispiel umgeht, die jetzt aus dem arabisch sprechenden Raum kommen, dass man dann gewisse Untersuchungen eben doch nicht so macht, wie wir das in einem deutschen Kontext machen würde. Dass man vielleicht auch auf einen gewissen kleinen diagnostischen Gewinn zum Beispiel beim Abhören der Lunge verzichtet und das auch mal durch drei Kleidungsschichten durchmachen, weil es vielleicht, je nachdem wer da vor einem sitzt, auch nicht adäquat ist zu sagen, heben Sie mal Ihren Pulli und das Unterhemd können Sie anbehalten. Wobei es auch so diese differenzierte Aussage ich auch mit meinem Arabisch auch gar nicht mehr so hinbekommen. Auch generell, wie man Angehörige mit einbindet, wie man vielleicht eher Krankheit oder Krankheitskonzepte erklärt, wie man aber auch zum Beispiel versteht, warum zum Beispiel es einer Muslima, die Diabetikerin ist, im Ramadan einfach sehr schwer fällt, da die von uns dargelegten Blutzuckerziele einzuhalten und wo man vielleicht dann auch akzeptiert, dass es einfach sein darf, dass einer Patientin ihr Glauben und die damit verbundenen Normen dann in der Fastenzeit eben wichtiger sind als ein guter HbA1c. Und dass wir dann da mitgehen und nicht irgendwie Patient Blaming betreiben oder versuchen dagegen anzukämpfen. Also das wäre vielleicht mal ein Beispiel. Aber ich will das jetzt auch gar nicht auf die muslimische Welt fokussieren. Ich habe zum Beispiel wirklich auch viele PhD-Studierende, gerade aus dem Max-Planck-Institut in Marburg, da spricht sich das dann auch so ein bisschen rum, die empfehlen mich dann als Hausarzt weiter. Und da hilft mir einfach ja mein eigener Job an der Uni, weil ich kann schon nachempfinden, in was für einem Stress die oft sind. Ich meine, die haben geförderte Programme, oft von den eigenen Regierungen oder von der deutschen Regierung, wenn die dann mit ihren Laborarbeiten eben nicht so vorankommen, wie sie das wollen, dann belastet die das ungemein. Nein, das sind also oft Patienten, bei denen stehen jetzt nicht körperliche Erkrankungen oder Drogenerkrankungen im Vordergrund, sondern einfach das Umgehen mit einem doch sehr kompetenzorientierten Arbeitsfeld in einem europäischen Setting. Und da kann man aber auch viel machen als Hausarzt mit oft gezielten kurzen Krankschreibungen, mit psychosomatischer Grundversorgung, mit Gesprächen, vielleicht auch mal mit Einbindung der Psychotherapie. Dann kann man eben helfen, da jemanden zu finden, der…. Englisch spricht. Also das sind nochmal auf einer ganz anderen Ebene auch Belange, wo mir da jetzt auch meine hiesige akademische Tätigkeit aber schon in Verbindung mit meiner eigenen Biografie auch weiterhilft. Ja, da spricht ja ein ganz großes Maß interkulturelle Erfahrung und Kompetenz aus dir dadurch. Wenn man jetzt zum Beispiel im Studium während der Weiterbildung nicht die Möglichkeit hat, ins Ausland zu gehen und da firsthand sozusagen diese Erfahrung zu machen, kennst du andere Wege oder könntest du was empfehlen, wenn man sich im Bereich interkulturelle Kompetenz ein bisschen weiterbilden will? Ja, da gibt es mittlerweile wirklich auch Seminarangebote. Das Thema ist einfach in den letzten Jahren eben aufgrund der Tatsache, dass ja Migration automatisch hier thematisiert werden muss in unserer Kultur. Wir leben mittlerweile in Deutschland in einer multikulturellen Gesellschaft. Von daher ist das Thema auch vielerorts wirklich auch in einer guten Art und Weise bearbeitet worden. Da kann man sich weiterbilden, auch oft schon wirklich Arbeitsplatz oder Setting spezifisch für den Bereich, in dem man selber tätig ist. Aber ich meine, wir neigen ja oft immer dazu, auch als Akademiker vielleicht uns noch mehr Wissen im Kopf rein zufüttern. Ich glaube, die beste Weiterbildung, die ist wesentlich bodenständiger. Sucht euch Kumpels, Freunde, die aus einer anderen Kultur stammen und geht gemeinsam ein Stück Leben miteinander. Diese Weiterbildung kann kein Seminar ersetzen. Ja, das stimmt. Ja Stefan du hast ja noch neben der Praxistätigkeit deine Unitätigkeit und da wollte ich nochmal sagen, du erinnerst dich da wahrscheinlich ja nicht dran, aber ich schon, wie du im ersten Semester bei mir eine Lehrveranstaltung in der Seminargruppe gehalten hast, nämlich im Fach namens Berufsfelderkundung vom Institut für Allgemeinmedizin. Und da hast du uns nämlich auch ganz viel berichtet, einmal über deine Arbeit als Hausarzt aber du hast auch ganz viel von Afrika erzählt. Und deswegen freue ich mich auch so, dass du heute kommen konntest, um uns dann noch mehr darüber zu erzählen, weil ich es damals schon total spannend und auch inspirierend fand, welche Wege man gehen kann. Das war auf jeden Fall im ersten Semester eine gute Botschaft, dass man eben nicht aufs Krankenhaus oder auf die Praxis hier in Deutschland festgelegt ist, sondern einfach so vielfältige Möglichkeiten hat. Willst du uns noch ein bisschen darüber erzählen, was du sonst noch an der Uni machst? Genau, ja, vielen Dank. Das freut mich natürlich erstmal zu hören. Und in der Berufsfelderkundung, genau, das ist so ein bisschen der Appetizer. Da geht es ja eigentlich um andere Themen, aber wir stellen halt auch immer mögliche Berufsfelder für später vor. Und da habe ich eben ein Berufsfeld Arbeit im Ausland mit der NGO. Ansonsten hat sich mittlerweile wirklich in den letzten 12, 13 Jahren, glaube ich, an der Uni da in dem Bereich ein recht breites Portfolio im Rahmen von Wahlpflichtfächern entwickelt. Das ist ja, das muss ich immer dazu sagen, nicht mein genuiner Kerninhalt. Der liegt natürlich in der allgemeinmedizinischen Lehre. So ein bisschen mein Hobbyhut, den ich da auf habe, aber auch pflegen darf natürlich. Ich habe angefangen so mit dem Kernstück, das hatte ich schon erwähnt, für meine Habilitation damals. Das ist eine einwöchige Veranstaltung, die ich erarbeitet habe. Seminar Global Health, da habe ich auch immer andere Dozenten eingeladen, aus dem Ausland teilweise per Video auch zugeschaltet, also das mache nicht nur ich und das ist mehr so ein Überblick-Seminar, wo wir ganz viele Bereiche anschneiden, Gesundheitsdeterminanten, Gesundheit von Kindern, Gesundheit von Frauen, HIV, AIDS, Tuberkulose, Health Policy, Flüchtlingsmedizin, Non-Communicable Diseases, Health Management, also das sind ganz viele, insgesamt 20 Themenbereiche, immer anderthalb Stunden. Das ist so ein ganz schöner Mix und wird gut angenommen. Daraus hat sich dann entwickelt, dass ich dann ein paar Jahre später auch jedes Semester eine Veranstaltung anbiete, die heißt Global Health für Vorkliniker. Das ist ein Blended Learning Format, da habe ich viel Online-Material erstellt, greife da auch auf Filme von diesen MOOCs zu, also diesen Massive Open Online Courses. Da boomt Global Health total. Das ist weltweit ja sehr hip. In Deutschland kommt manche Sachen einfach immer ein bisschen später an. Und das ist auch immer oft schon ein halbes, dreiviertel Jahr vorher ausgebucht. Das kommt recht gut an. Und dann neu sind noch zwei studentische Initiativen, das möchte ich echt betonen, weil manchmal glaube ich muss man erstmal so ein bisschen in Vorleistung gehen als Dozent, aber Studierende sind ja auch total aktiv und die haben tolle Sachen angefangen. Die haben eine Initiative angefangen, KLUG heißt die, Klimawandel und Gesundheit, wo die ein komplettes Wahlpflichtfach organisieren mit Dozenten und da halte ich mehr oder minder einfach meine Hand drüber. Ich gucke mir dann mit den Studierenden das Konzept an, ich begleite die, aber die machen alles selber, weil ich würde das zeitmäßig gar nicht mehr schaffen und das wird auch gut nachgefragt. Und eine ganz neue Initiative, die ich auch super spannend und interessant finde, die startet jetzt wirklich erst dieses Semester. Ist eine Begleitung von Tuberkulose-Kranken in Marburg, das wurde auch schon in Gießen pilotiert, da ging das Gesundheitsamt auf den Leiter des Global Health Curriculum zu und hat gesagt, könnten denn Studierende die Therapie gerade bei MigrantInnen begleiten, weil die kennen das Gesundheitssystem ja nicht so gut. Und bei der Tuberkulose-Therapie, das ist ja diese DOTS-Therapie, nennt man die, Directly Observed Treatment, da muss man eigentlich unter Aufsicht die Tabletten regelmäßig schlucken, weil es dem Patienten in der Regel nach ein, zwei Monaten deutlich besser geht und viele brechen dann die Therapie ab und so werden Resistenzen kreiert. Und die Studierenden begleiten praktisch dort immer so im Paar eine Tuberkulosekranke oder ein Tuberkulosekranken, natürlich nur wenn die das wollen, komplett anonymisiert, da ist eine Menge Papierkram damit verbunden, also Datenschutz und so, ist natürlich ganz hochgehängt. Aber dadurch konnten die ihre Therapieabbrecherquote in Gießen dramatisch reduzieren. Das gleiche haben wir jetzt in Marburg vor, da hat uns das Gesundheitsamt eben auch angefragt. Und warum finde ich das so schön? Zum einen, weil es von Studierenden initiiert ist, aber weil ein Uni-Projekt praktische Auswirkungen in der Gesundheitsversorgung hat. Und das ist das ja, schöner kann man doch Global oder Public Health hier gar nicht praktizieren, weil es hat ja eben nicht nur Auswirkungen jetzt für die betroffenen Personen, sondern natürlich für die komplette Bevölkerung. Wenn jemand mit abgebrochener, offener Tuberkulose rumläuft, dann ist das ja ein Problem für alle Menschen und von daher ist es gut, wenn man dem einfach mit einer guten Begleitung begegnen kann. Ja, das sind so aktuell die vier verschiedenen Global Health Projekte, die bei uns laufen. Ja, das klingt total spannend und auch die Tatsache, dass das so gut nachgefragt wird und dass auch von den Studierenden selber so tolle Initiativen kommen, zeigt ja auch, wie präsent das Thema einfach ist und welchen wichtigen Stellenwert das mittlerweile einnimmt. Auf jeden Fall. Es wird ja manchmal den Medizinstudierenden nachgesagt, beziehungsweise ich muss mich dann die eigene Kandare nehmen, ich habe das auch schon geäußert, dass Mediziner zu unpolitisch sind. Und die Mediziner sind schon so ein bisschen, ich lerne halt auf die nächste Prüfung und behandle dann meine Patienten. Aber davon müssen wir Abstand nehmen in der heutigen Welt. Auch das müssen wir können. Aber wir brauchen da wirklich einen weiteren Blick und ich sehe das echt in der jungen Generation, gerade auch mit dem Klimawandel, dass da wirklich auch auf politischer Ebene gearbeitet und gepusht wird. Und da hoffe ich auch wirklich, dass da eine neue Generation von ÄrztInnen heranwächst, die da über das eigene Fach hinaus einfach breit engagiert ist. Und je eher das anfängt, desto besser. Ja, das ist toll, weil es gibt ja generell zum Glück gerade diese Bewegung im Medizinstudium hin, dass man auch Haltung, Professionalisierung etc. Mehr in den Blick nimmt als nur Fachwissen. Ich wollte schon noch fragen, du bist ja dadurch sehr nah am ärztlichen Nachwuchs, wie wir es gerade schon hatten. Und wenn du jetzt mal so 10, 15 Jahre in die Zukunft blickst, was würdest du sagen, sind die Themen vielleicht auch ganz konkret inhaltlich, die zukommen werden auf diese neue Generation? Ja, ich denke mal spontan an zwei, drei Dinge. Also auf jeden Fall, vermehrt hat auch schon mehrfach erwähnt, das Zielpublikum, das wir als Ärztinnen haben werden, das wird multikulturell sein. Das wird schon durch Migration geprägt sein. Das ist jetzt nicht nur der Ukraine-Konflikt, es werden weitere Konflikte folgen, wenn wir allein auch sehen in vielen afrikanischen Ländern, wir brauchen da ganz neue Modelle und wir werden in einer zunehmend einfach bunt gemischten Welt leben, in der wir uns professionell auch bewegen und je eher man einfach auch ein inneres Ja dazu findet, würde ich sagen und sich damit auseinandersetzt, ist das ja auch durchaus total bereichernd. Ich meine, wir problematisieren das nur immer, aber es hat ja auch Vorteile und Schöne und auch Seiten für den eigenen Berufsalltag. Also ich denke, das wird eine prägende Kraft sein. Die andere Sache wird schon der Klimawandel sein. Wir sehen und spüren die Auswirkungen schon massiv. Wir haben es jetzt hier in Form von Extremwetterereignissen in Deutschland vor allem gehabt. Da ist so mehr mein Punkt, dieses Thema re-emergent infectious diseases heißt das. Also wir werden Infektionskrankheiten, die wir bisher so aus Afrika, aus den Bilderbüchern kennen, auch wieder hier bekommen. Die Vektoren gibt es teilweise schon. Ich nenne nochmal ein Beispiel. Also die Mücke, die die viszerale Leishmaniose überträgt, das ist eine Krankheit, die eigentlich nur in den Tropen vorkommt, die so HIV-ähnlich verläuft, das Immunsystem kompromittiert, die ist schon in der rheinischen Tiefebene ansässig, weil es da hohe Jahresdurchschnittstemperaturen gibt. Und es sind schon erste autochtone Fälle auch wissenschaftlich beschrieben. Also autochton bedeutet, die haben sich nicht als Urlauber infiziert, sondern in Deutschland. Also das wird einfach auch nochmal das Kompetenzportfolio erweitern. Tropenmedizin, die klassische, wird zu den normalen Kompetenzen der zukünftigen ÄrztInnen gehören. Gut und dann das dritte Thema ist vielleicht noch natürlich neue Modelle dann der Medizin im ländlichen Raum. Da sind wir beide als Abteilungen auch sehr stark dran, da schon Sachen zu entwickeln. Aber da wird es auch natürlich neue Versorgungsformen geben, wie man eben auch in strukturschwachen Gegenden eine gute medizinische Versorgung machen kann. In den Bereichen Telemedizin vielleicht, aber auch sicherlich in der Einbindung anderer Berufsgruppen. Die Medizin der Zukunft wird nicht mehr so arztzentriert sein wie heute. Ja, das klingt total spannend, Stefan. Ich hätte noch rückblickend auf das ganze Thema so eine Frage, die mich interessiert, nämlich sagen wir ja total oft so, klar in Deutschland ist das Versorgungssystem gut etabliert, es läuft gut und wir sind eher diejenigen, die das nach außen tragen sozusagen. Gerade unter dem Stichwort auch, wie man es früher nannte, Entwicklungsländer und wir bringen die Entwicklung dann. Was würdest du denn jetzt rückblickend sagen, was können wir aber andererseits lernen oder wo könnte das deutsche Versorgungssystem von anderen Konzepten profitieren, die du jetzt im Ausland beispielsweise gesehen hast? Ja, da gibt es sicher verschiedene Bereiche, auch nochmal exemplarisch wieder zwei. Also wir können sicherlich lernen, wie man effektiv mit wenigen Mitteln trotzdem gute Gesundheit erreicht. Da vielleicht nochmal als Beispiel, das ist vielleicht aber häufig zitiert, wenn man USA und Kuba zum Beispiel miteinander vergleicht, da hatte Kuba zumindest über viele Jahre eine niedrigere Müttersterblichkeit als die USA, obwohl sie ihr Gesundheitssystem mit einem Zehntel der Ressourcen betreiben. Das hängt einfach an den starken Disparitäten, auch in einem wohlentwickelten Land wie den Vereinigten Staaten zusammen. Ungleichheit, Soziale. Also da können wir sicherlich lernen und wir werden auch gut beraten, weil die Medizin kann immer mehr und die Mittel werden trotzdem auch immer knapper. Also wir werden uns ja auch hier diese Fragen in Zukunft immer mehr stellen müssen. Das wäre die eine Sache und... Die andere wäre, glaube ich, schon in der Einbindung nichtärztlicher Fachgruppen, was einfach im Ausland völlig normal ist. Selbst solche Sachen zum Beispiel wie ein Kaiserschnitt jetzt in Afrika, ein Arzt macht das nicht. Das kann man jemandem mit einer kürzeren Ausbildung, die jetzt vielleicht hier auf der Ebene wie eine Krankenpflegeausbildung ist, das ist eine manuelle Tätigkeit, das kann man gut beibringen oder Routineaugenoperationen wie Star-Operationen zum Beispiel, also das machen in vielen Ländern andere Kräfte und da gibt es viele Studien dazu, die genau in der gleich guten und manchmal sogar besseren Qualität machen. Das haben wir ja auch schon in England. Da gibt es ja so Zwischenmodelle zwischen MFA und Arzt in der Praxis, die eben Special Nurses, die in einem Bereich wie Diabetologie oder Asthma oder COPD eine spezielle Weiterbildung haben. Das ist ja da auch gut validiert und untersucht, dass die Patienten teilweise auf einem besseren Niveau als die Ärzte behandeln, die eben ein viel breiteres Portfolio überblicken müssen. Und ich denke, da sollten wir in Deutschland vorankommen. Und auch mal die Angst überwinden als Ärzte, dass immer alle Leute uns irgendwie anbaggern wollen, inhaltlich da an unserem Beruf kratzen. Ich glaube, wir dürfen da das Selbstbewusstsein haben, dass sich da genug andere interessante Felder öffnen. Ja, das denke ich auch auf jeden Fall. Schon mal vielen Dank, Stefan, für das Teilen deiner Erfahrungen und Einschätzungen. Wir bitten unsere Gäste immer zum Schluss noch eine, wir nennen es immer Lebensweisheit mit uns zu teilen. Das kann irgendwas sein, was du noch mit auf den Weg geben willst oder was dir besonders wichtig war. Vielleicht kannst du damit unsere Podcast-Folge jetzt beenden. Ja, das mache ich gerne. Ich habe eine bekannte und relativ einfache, aber doch sehr stimmige Regel zumindest für mein eigenes Leben mitgebracht aus der sogenannten praktischen Ethik, auch als goldene Regel bezeichnet. Das wurde allerdings erst ein paar hunderte Jahre später. Und die heißt einfach ganz schlicht, behandelt die Menschen so, wie ihr selbst von ihnen behandelt werden wollt. Das ist ein tolles Schlusswort. Vielen Dank, Stefan. Ja, gerne. Vielen Dank für die Einladung. Ja, vielen Dank für deine Zeit, auch von mir. Wir hoffen, dass ihr nach der Folge mindestens genauso inspiriert und beeindruckt seid, wie Britta und ich es waren. Wie in der Folge angesprochen wurde, gibt es in der Allgemeinmedizin über den ganz normalen Praxisalltag hinaus sehr viele Möglichkeiten, individuelle Schwerpunkte zu setzen, auch im ehrenamtlichen Bereich. Und es muss nicht immer gleich im Ausland sein. In unserer nächsten Folge hört ihr genau dazu Claudia Kreuzer aus Frankfurt, mit der wir uns darüber unterhalten werden, wo man sich als Ärztin oder Arzt in der Allgemeinmedizin noch so engagieren und wo man Gutes tun kann, auch während der Weiterbildung schon. Die Folge kommt dann in vier Wochen und wir freuen uns, wenn ihr reinhört. Music.