ZenCast

Sven Precht

! auf ZENdung ! (Was mit Meditieren gemeint ist)

Der Weg alles Lebens

19.09.2023 17 min

Zusammenfassung & Show Notes

Ich habe mal ein Foto gesehen - von einem in perfekter Sitzhaltung meditierenden Zen-Meister. Ich weiß nicht: Das hat irgendwie mein Leben verändert.

Was mit Meditieren gemeint ist

Heute ist ein guter Tag. Der Sommer neigt sich seinem Ende zu. Es ist nicht mehr so drückend heiß. Die Erde kann sich etwas erholen. So empfinde ich das. Die Erde - unsere Erde. Wir machen uns keine oder viel zu wenig Gedanken darüber, was diese Erde für uns ist. Wir trampeln auf ihr herum und plündern sie aus. Die Menschen - das sind wir - die Menschen sind ein gedankenloses Geschlecht. Wie die anderen Tiere aber auch. Das ist zumindest mein Eindruck. Ich mache einen Spaziergang, das heißt ich habe gerade nichts Besonderes zu besorgen und laufe einfach so herum. Nein, einfach so auch wieder nicht. Ich habe schon etwas zu besorgen. Ich möchte mit mir und meinem Denken und Tun ins Reine kommen. Deshalb habe ich mich auf den Weg gemacht. Ich habe mich auf diesen Weg begeben. Dieser Weg - die alten Chinesen nannten es schon vor über 2500 Jahren das Dao. Das Dao ist der Weg. Mein Weg. Dein Weg. Unser Weg. Der Weg von allem Seienden. Im Leben eines einzelnen Menschen kommt viel darauf an, den eigenen Weg zu finden, zu verstehen und letztlich zu gehen. Für die Daoisten bestand Weisheit vor allem darin, im Einklang mit diesem Dao zu leben - und zu sein. Das Dao ist auch der eigene Weg. Im Einklang mit dem eigenen Weg leben und sein. Das ist keine geringe Übung. Diese Anforderung führt mich geradewegs zur Frage: "Was bin ich?" Oder: "Wer bin ich?" Das sind eigentlich zwei unterschiedliche Fragen, die aber dasselbe Thema umkreisen. Das Ich ist nur eine Vokabel. Diese Ich-Vokabel suggeriert etwas Bleibendes, ein bleibendes Ich-Zentrum im Strom der vielen Eindrücke und Erfahrungen. Und tatsächlich gibt es ein solches Zentrum, nur ist es auch wieder nicht von Dauer. Nicht von ewiger Dauer. Falls du so etwas gehofft haben solltest, muss auch ich dich enttäuschen. Das Ich wird ebenfalls vergehen. Irgendwann. Vielleicht schon bald. Wie grundsätzlich alles im Leben. Das Ich - es war auch nicht schon immer da. Das Ich ist im Laufe deiner persönlichen Entwicklung erst entstanden - plötzlich konntest du dich selbst als ein Ich ansprechen. Was aber warst du, bevor du "Ich" sagen konntest? Du warst ebenfalls etwas. Ein Tropfen im Ozean. Ein Teilchen. Ein Partikel. Dein Ich - mein Ich - unser aller Ich ist nicht so entscheidend. Wenn wir uns zum Meditieren hinsetzen, fangen wir früher oder später an, dieses Ich zu studieren. Wer bin ich? Wo komme ich her? Wo gehe ich hin? Das Entscheidende und auch Interessante ist aber, dass wir auf diese Fragen keine Antworten erhalten. Sondern das Ich löst sich langsam auf. Das kann etwas dauern - mitunter ein paar Jahre oder Jahrzehnte. Aber es löst sich auf. Das Ich löst sich unweigerlich auf. Warum? Weil es an sich keine Substanz hat. Das Ich ist etwas, das ich bewusst oder unbewusst setze. Die Kopula. Ich setze das Ich, um meine vielen und vielfältigen Erfahrungen auf etwas beziehen zu können. Wenn ich sage, dass es keine Substanz hat und sich auflösen wird, dann heißt das nicht, dass wir uns als Menschen in Dunst auflösen werden. Du brauchst diesbezüglich keine Angst zu haben, dass du beim Meditieren einfach verschwinden wirst. Aber was heißt Meditieren? Der Begriff "Meditieren" steht auch nur für das Nachdenken, für das Nachsinnen und Nachforschen über das eigene Leben. Und das eigene Leben ist gleichzeitig das allgemeine Leben. Unser gemeinsames Leben. Kein Mensch, kein Tier und keine Pflanze lebt nur für sich allein. Wenn ich über mein Ich nachdenke, komme ich unweigerlich auf alles andere um mich herum zu sprechen. Die Luft, die ich einatme. Das Wasser, das ich trinke. Die Nahrung, die ich aufnehme. Der Boden, auf dem ich mich bewege. Der Himmel über mir, den ich durchfliegen kann - in Gedanken oder mit einem Flugzeug. Wenn ich das Außen wegnehmen würde, könnte ich keine zehn Minuten überleben. Daher sollten wir eigentlich unser Außen, unsere sogenannte Umwelt sorgsam und ehrfurchtsvoll behandeln. Tun wir das? Nun, diese Frage beantwortet sich von selbst. Ein nicht unbeträchtlicher Teil unserer Zeitgenossen macht sich keine Gedanken über das Leben auf dieser Erde. Wie kostbar diese Erde ist! Was alles zusammen kommen musste, dass sich auf der Erde überhaupt Leben entwickeln konnte! Was für ein kostbares und seltenes Geschenk das Leben als Mensch auf dieser Erde darstellt! Wenn wir uns das vergegenwärtigen, kann uns diese nackte Tatsache bereits umhauen. Aber was machen wir - also die Menschen allgemein, zu denen auch du und ich gehören? Wir führen Kriege. Wir führen Kriege gegeneinander und gegen die Natur. Ja, das ist richtig, wir kämpfen sogar gegen die Natur. Wir plündern diese Natur aus - wir bezeichnen das als Kultivieren und Rohstoffe-gewinnen. Wir bohren tiefe Stollen in die Berge, wir leiten Flüsse um und verschmutzen dieselben. Wir führen Giftstoffe in unsere Gewässer und lassen die Fische sterben. Weil wir Metalle und Erze und alles Mögliche gewinnen wollen. Wir bauen Obst und Getreide an und setzen Mittel ein, um unsere landwirtschaftlichen Erträge zu steigern. Das heißt wir setzen Düngemittel auf der einen Seite und Pestizide auf der anderen Seite ein. Wenn unsere Regierungen eines der Mittel verbieten, weil die negativen Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen doch allzu greifbar sind, dann suchen wir - also diesmal unsere Landwirte - andere Mittel, die noch nicht erforscht und verboten sind. Und wir protestieren gegen eine Regierung, die uns scheinbar alles vorschreiben und verbieten will. Wir - die Menschen, also auch du und ich - wir sehen nicht ein, dass wir einen Krieg gegen die Natur führen und eigentlich doch froh sein könnten, wenn uns jemand, in diesem Fall unsere eigene Regierung in die Schranken weist. Wir halten unsere eigene persönliche Freiheit für das Maß der Dinge und begehren gegen alles auf, was uns in die Quere kommen könnte. Das führt aber wohin? Ins Verderben. Wir wären nicht die erste Hochkultur auf dieser Erde, die aufgrund ihrer eigenen Hybris untergegangen ist. Weil die Menschen, die vielen einzelnen Menschen, ihren persönlichen Vorteil und Profit über das allgemeine Leben gestellt haben. Das hat auch etwas mit dem Dao, mit dem Weg des Lebens auf dieser Erde zu tun. Wenn wir Krieg gegen die Natur führen, verlassen wir unseren eigenen Weg und leben nicht im Einklang mit dem Dao. Das Dao ist keine spirituelle Monstranz von ein paar durchgeknallten Spinnern. Das Dao ist einfach die Art und Weise, wie sich die Dinge in dieser Welt verhalten. Unser Profitstreben, unsere Sucht nach Luxus und Wohlstand und Glück ist lediglich der Versuch, unser eigenes Ich über alles andere zu stellen. Das wird nicht funktionieren. Denn so verhalten sich die Dinge einfach nicht. Unser eigenes Ich, das wir selbst irgendwann gesetzt haben, um unsere vielen Eindrücke und Erfahrungen auf etwas beziehen zu können, unser eigenes Ich will sich die Erde untertan machen. Aber die Erde lässt sich nicht untertan machen. Das ist ein Missverständnis. Ein grobes Missverständnis. Ich kann verstehen, dass auch du Momente erlebst, in denen du deine eigene Kraft spürst und glaubst, alles schaffen zu können. Aber das sind immer nur einzelne Augenblicke der Verblendung. Denn genau genommen können wir Menschen aus uns selbst heraus nur sehr wenig ausrichten. Was wir haben und was wir sind, das verdanken wir einerseits unseren Vorfahren, die in vielen hundert und tausend Jahren etwas aufgebaut und entwickelt haben, das wir heute als unsere Kultur bezeichnen dürfen. Und andererseits verdanken wir unser Leben und alle anderen Anlagen und Fähigkeiten eben diesem Leben selbst - einer großen Unbekannten, über die wir nichts weiter sagen können. Ich kenne viele Menschen, die schon lange realisiert haben, dass wir in einem großen Kontext stehen und uns auch entsprechend verhalten sollten. Dieser Kontext wird in den großen religiösen Traditionen angesprochen. Und das ist auch ein Anliegen der Meditation. Der recht verstandenen Meditation. Es geht beim Meditieren nicht um Entspannung und Wohlbefinden. Nicht nur. Es geht nicht darum, meine eigene Persönlichkeit immer weiter zu optimieren. Es geht um etwas viel Grundlegenderes. Um das Nachhausekommen. Um das Ankommen im Sein. Wenn ich im Sein ankomme, dann löst sich mein Ich von selbst auf. Das Ich löst sich aber nicht etwa in einem negativen Sinne auf. Überhaupt nicht. Auch das ist wieder ein Missverständnis. Dieses Auflösen des eigenen Ichs setzt vielmehr Heiterkeit frei. Eine unbändige Heiterkeit. Ich fühle mich befreit von den tausenderlei Zumutungen des Ichs und unserer Ich-Kultur. Ich muss keinen besonderen Erfolg mehr haben, weil jeder Erfolg immer nur auf dem Strom des allgemeinen Lebens schwimmt, wie ein Blatt, das vom Baum herunter gefallenen ist. Wenn ich angekommen bin, kann ich über mich selbst, über uns, über unser megalomanes Streben nach Herrschaft und Perfektion lachen. Dann verstehe ich, warum dieses Leben auch eine Komödie ist - ein Komödie trotz all des unsäglichen Leids, das letztlich auch wieder nur die Menschen selbst verursachen. Vielleicht eine bittere Komödie. Entscheidend ist, dass ich einen Schritt beiseite trete und nicht mehr alles einfach mitmache. Dass ich angemessen würdige, was bereits ist. Dass ich mich entsprechend verhalte. Respektvoll. Und mit Liebe. Dass ich anderen helfe und mich entsprechend ausrichte. Das ist letztlich mit Meditieren gemeint.



Man muss auch nicht immer über Zen sprechen, um Zen zu praktizieren. Das ist eine Einsicht, zu der ich auch irgendwann gekommen bin.