Duderstedt auf Kultour

Andreas Duderstedt
Since 08/2022 25 Episoden

Brennende Bücher

15.08.2024 13 min

Zusammenfassung & Show Notes

„Seit Bücher geschrieben werden, werden Bücher verbrannt.“ Sagte Erich Kästner, dessen Bücher 1933 in Flammen aufgegangen waren, 25 Jahre später. Am 10. Mai 1958 erklärte er auf der Tagung des Schriftstellerverbandes PEN: „Die Geschichte des Geistes und des Glaubens ist zugleich die Geschichte des Ungeistes und des Aberglaubens. Die Geschichte der Literatur und der Kunst ist zugleich eine Geschichte des Hasses und des Neides.“ 
 
Wie wahr. Auf den biblischen Bericht von der – freiwilligen! – Verbrennung von Zauberbüchern in Ephesus (Apostelgeschichte 19,19) beriefen sich in den folgenden Jahrhunderten immer wieder gnadenlose Glaubenshüter, mit schrecklichen Folgen. Ein Beispiel für sehr viele ist der Befehl des Erzbischofs von Toledo, 5.000 Bücher islamischer Theologie einschließlich Koran, sowie Philosophie, Geschichtsschreibung und Naturwissenschaften zu verbrennen. Das war 1499, nachdem die islamischen Mauren aus Andalusien vertrieben oder zwangsgetauft worden waren. In Heinrich Heines Tragödie „Almansor“ (1823) bezieht sich der Maure Hassan darauf: „Das war ein Vorspiel nur, dort wo man Bücher / Verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen.“
 
Aber auch aus politischen und moralischen Gründen landete Schriftliches im Feuer. Das zieht sich vom antiken China über muslimische Eroberer im Mittelalter in Indien, die Zeugnisse des Buddhismus verbrannten, über Mongolen, die wiederum islamische Bücher verbrannten. Während der Französischen Revolution verbrannten die Jakobiner royalistische Bücher. Tonnenweise als verwerflich erachtete Literatur samt Bleidruckplatten wurde ein Raub der Flammen durch die 1873 in den USA gegründete „Gesellschaft zur Bekämpfung des Lasters“. Noch 1965 verbrannten junge Menschen, die „Entschieden für Christus“ kämpfen wollten, unter Berufung auf Apostelgeschichte 19,19 in Düsseldorf öffentlich „Schund- und Schmutzliteratur“, aber auch Bücher von Albert Camus, Günter Grass, Françoise Sagan, Vladimir Nabokov und – kaum zu glauben! – Erich Kästner. 
 
Er stand unter den Zuschauern, als am 10. Mai 1933 kurz vor Mitternacht in Berlin der Scheiterhaufen entzündet wurde. Er war, als einziger betroffener Autor, Zeuge, als seine Bücher ins Feuer flogen. begleitet von dem Geschrei der sogenannten Feuersprüche: 


 

Gegen Klassenkampf und Materialismus, für Volksgemeinschaft und idealistische Lebenshaltung!
 Ich übergebe der Flamme die Schriften von Marx und Kautsky.
 
Gegen Dekadenz und moralischen Zerfall! Für Zucht und Sitte in Familie und Staat!
 Ich übergebe der Flamme die Schriften von Heinrich Mann, Ernst Glaeser und Erich Kästner.
 
Gegen Gesinnungslumperei und politischen Verrat, für Hingabe an Volk und Staat!
 Ich übergebe der Flamme die Schriften von Friedrich Wilhelm Foerster.
 
Gegen seelenzerfasernde Überschätzung des Trieblebens, für den Adel der menschlichen Seele!
 Ich übergebe der Flamme die Schriften von Sigmund Freud.
 
Gegen Verfälschung unserer Geschichte und Herabwürdigung ihrer großen Gestalten, für Ehrfurcht vor unserer Vergangenheit!
 Ich übergebe der Flamme die Schriften von Emil Ludwig und Werner Hegemann.
 
Gegen volksfremden Journalismus demokratisch-jüdischer Prägung, für verantwortungsbewusste Mitarbeit am Werk des nationalen Aufbaus!
 Ich übergebe der Flamme die Schriften von Theodor Wolff und Georg Bernhard.
 
Gegen literarischen Verrat am Soldaten des Weltkriegs, für Erziehung des Volkes im Geist der Wehrhaftigkeit!
 Ich übergebe der Flamme die Schriften von Erich Maria Remarque.
 
Gegen dünkelhafte Verhunzung der deutschen Sprache, für Pflege des kostbarsten Gutes unseres Volkes!
 Ich übergebe der Flamme die Schriften von Alfred Kerr.
 
Gegen Frechheit und Anmaßung, für Achtung und Ehrfurcht vor dem unsterblichen deutschen Volksgeist!
 Verschlinge, Flamme, auch die Schriften von Tucholsky und Ossietzky!“


 

Im Fokus der „Aktion wider den undeutschen Geist“ standen die bedeutendsten Dichter der Zeit: Bertolt Brecht, Alfred Döblin, Lion Feuchtwanger, Ernest Hemingway, Irmgard Keun, Jack London, Arthur Schnitzler, Anna Seghers, Arnold Zweig, Stefan Zweig, ebenso Journalisten wie Egon Erwin Kisch und viele, viele andere politisch unliebsame, oppositionelle, pazifistische, jüdische und marxistische Autoren. An 22 deutschen Hochschulorten verbrannten an diesem Tag Tausende Bücher. Allein in Berlin landeten etwa 20.000 Bände auf dem brennenden Holzstoß.
 
Die Initiative kam von der akademischen Jugend, die das Ganze wochenlang vorbereitet hatte. Der Berliner Bibliothekar Wolfgang Herrmann erstellte „schwarze Listen“, die dann fortlaufend ergänzt und erweitert wurden. Auf dieser Grundlage raubten ab 6. Mai studentische Stoßtrupps Buchhandlungen und Leihbüchereien aus. Auf Lastwagen, in Autos oder Möbelwagen, auf Viehwagen oder Ochsenkarren schafften sie Bücher herbei. Schon ab Mitte März kam es in deutschen Städten zu Bücherverbrennungen. An insgesamt rund 90 Orten, nicht nur Universitätsstädten, brannten in Deutschland Bücher, die Aktionen zogen sich bis in den Herbst 1933. 
 
Die Literaturwissenschaftlerin und Publizistin Inge Jens (1927-2021) erklärte: „Deutsche Studenten bemühten sich, den Nationalsozialisten zu zeigen, dass Verlass auf sie sei.“ Die organisierte „Deutschen Studentenschaft“ galt schon während der Weimarer Republik als reaktionär, nationalistisch und antisemitisch. Inge Jens: „Der 10. Mai 1933, an dem die junge Mannschaft auszurotten begann, was ihrer Vorstellung von einer deutschen Revolution zuwiderlief, war in der Republik von Weimar gründlich vorbereitet worden.“
 
Viele Studenten marschierten in SA-Uniform oder im vollen Wichs ihrer Verbindungen zu den Scheiterhaufen. Und die Professoren – Germanisten, Philosophen, Kunsthistoriker – machten in großer Zahl bereitwillig mit, hielten Feuerreden im Talar und mit Barett. Der politische ranghöchste Germanist Deutschlands hatte seinen Auftritt am 10. Mai kurz in Berlin: Reichspropagandaminister Joseph Goebbels, ein Doktor der Philosophie, wie Erich Kästner feststellte, forderte die deutschen Studenten auf, „den deutschen Geist zu verbrennen. Es war Mord und Selbstmord in einem. Das geistige Deutschland brachte sich und den deutschen Geist um.“ 
 
Ab 1935 erschien regelmäßig eine „Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums“, die schließlich 12.400 Titel und das Gesamtwerk von 149 Autoren umfasste. 


 

 
Ein antifaschistischer Autor, 1933 bereits im österreichischen Exil, gewann nach einer Zeitungsmeldung den Eindruck, seine Bücher seien nicht dem Zerstörungswerk zum Opfer gefallen (was nicht stimmte). Oskar Maria Graf veröffentlichte umgehend in der Wiener Arbeiter-Zeitung den Protest: „Verbrennt mich!“ Dort heißt es:
 
Das Dritte Reich hat fast das ganze deutsche Schrifttum von Bedeutung ausgestoßen, hat sich losgesagt von der wirklichen deutschen Dichtung, hat die größte Zahl seiner wesentlichsten Schriftsteller ins Exil gejagt und das Erscheinen ihrer Werke in Deutschland unmöglich gemacht. Die Ahnungslosigkeit einiger wichtigtuerischer Konjunkturschreiber und der hemmungslose Vandalismus der augenblicklich herrschenden Gewalthaber versuchen all das, was von unserer Dichtung und Kunst Weltgeltung hat, auszurotten und den Begriff ‚deutsch‘ durch engstirnigsten Nationalismus zu ersetzen. Ein Nationalismus, auf dessen Eingebung selbst die geringste freiheitliche Regung unterdrückt wird, ein Nationalismus, auf dessen Befehl alle meine aufrechten sozialistischen Freunde verfolgt, eingekerkert, gefoltert, ermordet oder aus Verzweiflung in den Freitod getrieben werden!
Und die Vertreter dieses barbarischen Nationalismus, der mit Deutschsein nichts, aber auch rein gar nichts zu tun hat, unterstehen sich, mich als einen ihrer ‚Geistigen‘ zu beanspruchen, mich auf ihre sogenannte ‚weiße Liste‘ zu setzen, die vor dem Weltgewissen nur eine schwarze Liste sein kann! Diese Unehre habe ich nicht verdient! Nach meinem ganzen Leben und nach meinem ganzen Schreiben habe ich das Recht, zu verlangen, daß meine Bücher der reinen Flamme des Scheiterhaufens überantwortet werden und nicht in die blutigen Hände und die verdorbenen Hirne der braunen Mordbande gelangen!