Duderstedt auf Kultour

Andreas Duderstedt
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Über 16 Jahre war er Pressesprecher der Evangelischen Kirche von Westfalen (EKvW): Andreas Duderstedt

Affe der Macht oder Retter der Verfolgten?

Gustaf Gründgens

02.04.2025 9 min

Affe der Macht oder Retter der Verfolgten?
Sein mimisches Talent war herausragend, seine Erfolge waren triumphal, seine Inszenierungen setzten Maßstäbe. Seine Person jedoch war hoch umstritten, sein Leben unglücklich. Gustaf Gründgens wurde 1899 in Düsseldorf geboren.
 
Als er 1934 Intendant des Preußischen Staatsschauspiels in Berlin wurde, hatte Gustaf Gründgens, alles erreicht, was ein Theatermann in Deutschland erreichen konnte. Die staatlichen Bühnen führte er zu ungeahntem Glanz. Genau das war der Ehrgeiz des Preußischen Ministerpräsidenten Hermann Göring, dem die Staatstheater direkt unterstanden. Göring, der wenig später die Schauspielerin Emmy Sonnemann heiratete, hatte das Amt des Intendanten dem Schauspieler Gründgens angeboten, den er bewunderte, und ließ ihm viele Freiheiten. Seine Rolle als Künstler im Dienst der Nazidiktatur ist krass zwiespältig, die Ambivalenz lässt sich nicht auflösen.
 
Einerseits konnte er als Protegé des mächtigen Göring manchen Schauspielerkollegen helfen, die entweder Juden oder mit einer Jüdin verheiratet oder als Regimegegner gefährdet waren. 1943 erreichte Gründgens, dass der Sänger und Schauspieler Ernst Busch, ein Kommunist, nicht zum Tode verurteilt wurde, sondern zu vier Jahren Zuchthaus. Der Anteil der Nazis im Staatsschauspiel-Ensemble war gering. Die Bühne unter der Diktatur war für den Intendanten ein geschützter, berechenbarer Raum. Rückblickend sprach er von einem „Planquadrat“, auf dem er genau wusste, „wenn ich den Satz sage, geht hinten eine Tür auf, und eine Dame in einem grünen Kleid kommt herein – und nicht ein SS-Mann“.
 
Andererseits verhalf er den mörderischen Machthabern zu einem beachtlichen kulturellem Renommee und machte sie damit ein Stück weit salonfähig. Dabei war Gründgens selbst schon allein wegen seiner Homosexualität eindeutig gefährdet. Es war ein Tanz „auf dem Rasiermesser“, stellte Carl Zuckmayer später fest. Die Heirat mit der Kollegin Marianne Hoppe 1936 sollte dem Gerede über seine sexuelle Orientierung entgegenwirken. Mit begrenztem Erfolg, wie der Spottvers zeigt, der damals entstand: „Hoppe hoppe Gründgens, die kriegen keine Kindgens, und wenn die Hoppe Kindgens kriegt, dann sind sie nicht von Gründgens nicht.“
 
Klaus Mann, ältester Sohn von Thomas Mann, kannte Gründgens gut, denn dieser war von 1926 bis 1929 mit seiner Schwester Erika verheiratet gewesen. In dem Roman „Mephisto“, 1936 im Exil erschienen, gibt Klaus Mann dem Schauspieler Hendrik Höfgen deutliche Züge seines vormaligen Schwagers. Und nach einer erfolgreichen Hamlet-Premiere lässt er in einem inneren Monolog den Hamlet zu seinem Darsteller sagen, er sei „ein Affe der Macht und ein Clown zur Zerstreuung der Mörder“. 
 
Der Theaterwissenschaftler und Gründgens-Biograf Thomas Blubacher spricht von einem „schillernd widersprüchlichen Menschen, der sicher als Nutznießer des Dritten Reiches betrachtet werden kann, der sich aber auch erfolgreich für Kollegen eingesetzt hat“.
 
Gerade in solchem Einsatz sieht Klaus Mann in seinem Roman egoistische Motive: Sie beruhigen nicht nur das Gewissen des Karrieristen Höfgen alias Gründgens, sondern sind auch „Rückversicherungen“, die er „sich ohne gar zu große Risiken leisten durfte“: für seine Reinwaschung, wenn das NS-Regime eines Tages nicht mehr bestehen sollte. Tatsächlich war es 1946 Ernst Busch und anderen zu verdanken, dass Gründgens nach neun Monaten aus einem sowjetischen Internierungslager entlassen wurde. Nun konnte er in der Bundesrepublik erneut eine glänzende Karriere beginnen.
 
Gründgens und später sein Erbe haben jahrzehntelang juristisch verhindert, dass das Buch in Westdeutschland erscheinen konnte. Das geschah erst 1980. Doch Klaus Mann hatte beteuert, sein „Mephisto“ sei kein Schlüsselroman: „Mir lag nicht daran, die Geschichte eines bestimmten Menschen zu erzählen […] Mir lag daran, einen Typus darzustellen und mit ihm die verschiedenen Milieus (mein Roman spielt keineswegs nur im ‚braunen‘), die soziologischen und geistigen Voraussetzungen, die solchen Aufstieg erst möglich machten.“ Dennoch: Die Übereinstimmungen bis ins Detail, nicht nur mit der Hauptfigur, liegen auf der Hand. Aber trotzdem, erklärt Thomas Blubacher, „erzählt der Roman beispielhaft etwas Allgemeingültiges“. 
 
Wie aber konnte Gründgens im Faschismus künstlerisch bestehen? Hat er seinen Anspruch verraten? Keineswegs, meint Blubacher. Seine „werkintegren“ Klassikerinszenierungen in Verbindung mit höchster handwerklicher Professionalität waren ihm „eine Möglichkeit, den ‚heiligen Raum‘ des Theaters freizuhalten von nationalsozialistisch-propagandistischer Indienstnahme“, so der Experte. Sein „hoher und strenger Stil“ habe durchaus ins System gepasst. Er musste sich also gar nicht in den Dienst des plumpen „Überwältigungtheaters“ der Nazis stellen – anerkennend urteilte später der Kollege Fritz Kortner, der als Jude vor den Nazis fliehen musste, Gründgens habe zu den „Widerstandskämpfern gegen den Hitlerstil“ gehört.
 
Die Rolle seines Lebens aber war der Böse in Person: Mephistopheles in Goethes „Faust“, den er erstmals 1932 und im Lauf seines Lebens rund 600-mal spielte. Schon vorher war er immer wieder als durchtriebener Schurke auf der Bühne erfolgreich gewesen, auch im Film: als Schränker, Geldschrankknacker, in „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ von Fritz Lang (1931). Dem Teufel aber, der mit Faust einen Pakt schließt, verlieh er schalkhafte, witzige Züge. 1957 kam in Hamburg „Faust I“ mit Gründgens als Mephisto heraus – seine berühmteste Inszenierung, die 1960 verfilmt wurde.
 
Von Anfang an strebte er energisch nach oben. Nach Engagements in Halberstadt, Kiel, Hamburg, kam er 1928 in die Kulturmetropole Berlin. Immer verhandelte er hart und entschlossen um hohe Gagen. Sein luxuriöser Lebensstil verschlang viel Geld. Der Arbeit ordnete Gründgens alles andere unter – menschliche Beziehungen und die eigene Gesundheit. „Ein Fanatiker der Präzision“, schrieb er über sich selbst, „ist er ein geschworener Feind alles Zufälligen, Unklaren und Unkontrollierbaren. Der Zuschauer soll verstehen, was der Schauspieler sagt. Der Schauspieler soll verstehen, was der Dichter sagt, und der Dichter soll verstehen, was er selber sagt.“
 
Als Chef, so Thomas Blubacher, zeigte er „enorme Führungsqualitäten und eine stupende Menschenkenntnis, setzte auf Respekt und Disziplin, forderte Einsatz und Höchstleistungen von allen und duldete nicht die kleinste Nachlässigkeit.“ Seine wirtschaftliche Bilanz war beeindruckend: Unter Gründgens‘ Intendanz waren die Häuser voll, spielten die Theater den allergrößten Teil ihrer Kosten ein.
 
Nach dem Krieg wurde er in seiner Heimatstadt Düsseldorf Generalintendant des neu eröffneten Schauspielhauses, dann des Deutschen Schauspielhauses in Hamburg.
 
Am 7. Oktober 1963 starb Gustaf Gründgens auf einer Weltreise in der philippinischen Hauptstadt Manila an einer Überdosis Schlaftabletten.

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