Duderstedt auf Kultour

Andreas Duderstedt
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Der germanische Dreiklang

Die Reichsmusiktage 1938 in Düsseldorf verfolgten das Ziel einer „reinrassigen“ Kunst – und offenbarten dabei manche Widersprüche.

15.10.2024 8 min

Zusammenfassung & Show Notes

Der germanische Dreiklang
Die Reichsmusiktage 1938 in Düsseldorf verfolgten das Ziel einer „reinrassigen“ Kunst – und offenbarten dabei manche Widersprüche.
 
Eine „Heerschau deutscher Tonkunst“ sollten sie sein, eine „Olympiade deutscher Musik“, jubelte die gleichgeschaltete Presse: die Reichsmusiktage, 1938 auf Initiative des Propagandaministeriums von der Reichsmusikkammer und der NS-Gemeinschaft „Kraft durch Freude“ in Düsseldorf veranstaltet.
Der feierlichen Eröffnung am 22. Mai, dem 125. Geburtstag von Richard Wagner, folgten acht Tage mit einem dicht gefüllten Programm: Drei Sinfoniekonzerte, vier Werkkonzerte bei Rheinmetall-Borsig und in anderen Betrieben, Platzkonzerte an verschiedenen Stellen der Stadt, Kammermusiken, Chorkonzerte, ein musikalischer Tee-Empfang auf der Rheinterrasse, Offenes Singen, dazu Tagungen (zum Beispiel über „Musik und Rasse“).
 
Offizieller Höhepunkt: die „Kulturpolitische Kundgebung“ mit Reichspropagandaminister Joseph Goebbels, eingeleitet von einem „Festlichen Vorspiel“, komponiert und dirigiert von Richard Strauss. Er und Hans Pfitzner, dessen Kantate „Von deutscher Seele“ erklang, waren die etablierten Tonsetzer im Dienst des Naziregimes, ansonsten standen Werke der deutschen Klassik und Romantik auf dem Programm. Die damals jungen Komponisten, die in Düsseldorf uraufgeführt wurden, sind heute vergessen. 
 
Die von zentraler Stelle durchgeführten Reichsmusiktage sollten die glanzvolle Überlegenheit deutscher Musik machtvoll zum Ausdruck bringen, repräsentativ und populär, auf Grundlage der rassisch begründeten Musikpolitik des „neuen Deutschland“, mit dem Anspruch auf Totalität und Zukunft. Aber: „Die Verbrüderung der Volksgenossen mit Hilfe der Musik funktionierte nur mittels aggressiver Abgrenzung gegen ‚Andersartiges‘“, so der Düsseldorfer Journalist Werner Schwerter: „Der mörderische Antisemitismus war nicht einfach ein Ausrutscher – er gehörte untrennbar dazu, war Programm und Kalkül von Anfang an, auch wenn man bei Beethovens Neunter gerade daran nicht denken mag.“

Das Ziel einer von Rassegesetzen diktierten Kunst war gerade in der Musik nicht immer klar und eindeutig zu erreichen. Die Nazi-Kulturpolitik hatte den Anspruch, Ordnung zu schaffen, verbindliche Maßstäbe zu setzen und Feinde auszumerzen. Musikalische Hauptgegner wurden unter den Etiketten „Atonalität“ und „Jazz“ angegriffen und als schädlich für das deutsche Wesen gebrandmarkt. Dahinter, so die Parteilinie, stand natürlich das internationale Judentum, dessen verderblicher Einfluss mit dem Sieg der „nationalen Revolution“ in Deutschland ein Ende gefunden hatte.
Aber gerade auf dem Gebiet der Musik führte dies oft zu Widersprüchen, Unsicherheit und Verwirrung. Warum sollte sich die musikalische Sprache des Juden Felix Mendelssohn Bartholdy plötzlich grundlegend von der seiner romantischen Zeitgenossen unterscheiden? Warum sollte der Dreiklang „germanischer“ Natur sein, warum der Jazz „undeutsch“? „Der Rassismus hatte auch die deutsche Musikkritik aller Urteilsgrundlagen beraubt“, stellt Werner Schwerter fest: „Sollte man es sich fortan einfach machen: Stammbaum als Maßstab? Das konnte nicht funktionieren.“ Schwerter weist darauf hin, dass es jüdische Komponisten gab, die ganz dem vermeintlich arischen Harmonieverständnis entsprachen. Und umgekehrt Arier, die atonal experimentierten. So viele Ausnahmen – „dass letztlich keine Regeln mehr galten, obwohl doch alles geregelt sein sollte.“
 
Ein Ereignis im Rahmen der Reichsmusiktage, an dem sich solche Widersprüche besonders deutlich zeigten, war die Hetzschau „Entartete Musik“ (in Anlehnung an die im Vorjahr gezeigte Ausstellung „Entartete Kunst“). Die Idee hatte der Generalintendant des Deutschen Nationaltheaters in Weimar, Hans Severus Ziegler. „Was in der Ausstellung ‚Entartete Musik‘ zusammengetragen ist, stellt das Abbild eines wahren Hexensabbath und des frivolsten, geistig-künstlerischen Kulturbolschewismus dar und ein Abbild des Triumphes vom Untermenschentum, arroganter jüdischer Frechheit und völliger geistiger Vertrottelung“, sagte er in seiner Eröffnungsrede. Die Ausstellung, die dem Publikum die Auflösung „unserer arischen Tonordnung“ vorführen sollte, enthielt Nischen, wo man auf Knopfdruck Schallplatten mit Beispielen der verpönten Klänge hören konnte. Die Trennwände dieser Boxen hielten aber den Schall nicht ab: eine beabsichtigte Kakophonie sollte Zieglers „Hexensabbat“ zeigen. „Ein erschreckend billiger und doch raffiniert berechneter Trick, dessen verheerender Wirkung auf die Besucher man sich von vorneherein sicher sein konnte“, sagt dazu der Musikwissenschaftler Albrecht Dümling. Doch nicht alle ließen sich abschrecken: Der Musikkritiker Heinrich Strobel erinnert sich später, dass die meisten Besucher just in den Saal kamen, wo Songs aus der „Dreigroschenoper“ erklangen: „jeder wollte diese Melodien noch einmal hören“.
 
 
Ziegler war alleiniger Initiator der Ausstellung und trieb das Projekt gegen die Widerstände anderer Kulturfunktionäre voran. Peter Raabe hielt die Ausstellung „für einen Unfug“, so schrieb er an Goebbels, und erklärte im selben Brief seinen Rücktritt als Präsident der Reichsmusikkammer. Dass man mit der Zusammenstellung einen Dilettanten und musikalischen Laien wie Ziegler betraut hatte, erboste ihn.
Doch auch Goebbels, der Jazz zu schätzen wusste, hielt nicht viel von Zieglers Grusel-Kabinett: Zwei Stunden nach der Eröffnung verschickte das Reichspropaganda-Amt in Berlin an alle lokalen Propagandaleitungen und die NSDAP-Zentrale in München ein Fernschreiben, in dem groß aufgemachte Berichte über die Ausstellung ausdrücklich untersagt wurden, auch nach den Reichsmusiktagen. Und sie wurde in Düsseldorf zwei Wochen früher als geplant geschlossen.
Vieles spricht dafür, dass sich Hans Severus Ziegler als besonders eifriger Nationalsozialist hervortun wollte, weil er wegen seiner Homosexualität angreifbar war.