Ist Gott Quere?
Eine Predigt im Abschlussgottesdienst des Kirchentages in Nürnberg 2023 hat viel Zustimmung bekommen, aber auch Hasskommentare hervorgerufen. Einen fruchtbaren Dialog über die Aussage „Gott ist queer“ gab es leider fast gar nicht.
15.12.2024 9 min
Zusammenfassung & Show Notes
Ist Gott queer?
Eine Predigt im Abschlussgottesdienst des Kirchentages in Nürnberg 2023 hat viel Zustimmung bekommen, aber auch Hasskommentare hervorgerufen. Einen fruchtbaren Dialog über die Aussage „Gott ist queer“ gab es leider fast gar nicht.
„Jetzt ist die Zeit zu sagen: Gott ist queer.“ Für diesen Satz in seiner Predigt im Schlussgottesdienst des Deutschen Evangelischen Kirchentages in Nürnberg hat er viel Beifall bekommen. Pastor Quinton Ceasar musste aber auch hasserfüllte Reaktionen aushalten, mörderische Wut, widerliche Vernichtungsfantasien. Das ist schlimm. Und dass nicht wenige dieser bösartigen Beleidigungen von Christen kamen, die den Prediger am liebsten jetzt schon in der Hölle sehen würden – das ist noch schlimmer.
Über seine Predigt darf und soll man diskutieren, auch streiten. Doch wenn man sich öffentlich über theologische Aussagen austauscht, dürfen zumindest menschlicher Anstand und Höflichkeit erwartet werden. Gerade unter Christen, die im Gegenüber ein Ebenbild Gottes sehen, bitte nicht ohne Respekt, besser noch: nicht ohne Liebe.
„Wir vertrauen eurer Liebe nicht“, hat der schwarze Pastor aus Ostfriesland gesagt. „Meine Geschwister und ich: Wir haben keinen sicheren Ort in euren Kirchen.“ Zugegeben, das macht eine liebevolle Antwort nicht gerade leicht. Zugegeben, er hat provoziert, wollte wahrscheinlich bewusst einen Stachel ins Fleisch seiner selbstzufriedenen Kirche setzen. Das rechtfertigt natürlich in keiner Weise die Hasskommentare. Sie zeugen, so glaube ich, von einer tiefen Unsicherheit: Scheinbare Gewissheiten, die man für die Fundamente des Glaubens hält, stehen plötzlich in Frage. Das verstört und führt zu verstörenden Reaktionen.
Ceasar hat mit seiner Predigt provoziert und polarisiert. Dass sich das Kirchentagspräsidium angesichts der menschenverachtenden Kommentare hinter ihn stellte, ist selbstverständlich. Doch die extremen Reaktionen – begeisterte Zustimmung einerseits, wütende Ablehnung andererseits – stehen leider einem fruchtbaren Dialog im Weg. Sie blockieren ihn.
Dieser Dialog unter evangelischen Christenmenschen ist aber notwendig. Dabei hilft, wie auch sonst sehr oft, die Tugend des dialektischen Denkens. Ich versetze mich in den anderen hinein und schaue, so gut ich kann, aus seinem Blickwinkel auf mich selbst. Was bewegt ihn, was treibt ihn an? Man muss nicht alles teilen, was Quinton Ceasar damals auf dem Nürnberger Hauptmarkt gesagt hat.
Also: Ist Gott queer? Queere Christen zeigen immer häufiger Gesicht. Gut so. Sie feiern Regenbogengottesdienste. Sie fordern Anerkennung und Gleichberechtigung als Christen. Richtig. Sie betonen, dass queere Menschen in den Gemeinden schon lange da sind. Der Verweis auf die Ebenbildlichkeit aller Menschen ist ein starkes Argument. Die Schöpfungsgeschichte, aus queerer Perspektive gelesen, besagt: Gott hat alles geschaffen, Mann und Frau und alle anderen dazwischen. Gott passt nicht in menschliche Vorstellungen und Bilder.
Die Theologin Kerstin Söderblom sagt: „Nach diesem Verständnis kann Gott als ‚queer‘ bezeichnet werden. Denn der Begriff ‚queer‘ kritisiert alle zweigeschlechtlichen und heteronormativen menschlichen Kategorien. Gott ist in diesem Sinn ganz anders, jenseits von menschlichen Schubladen und unverfügbar für menschliche Normen und Bewertungen.“ So weit Kerstin Söderblom.
Aber ist „queer“ nicht auch wieder genau das: eine menschliche Norm und Bewertung? Wenn Gott „queer“ ist, entzieht er sich zwar der zweigeschlechtlichen und heteronormativen Kategorie. Aber wird er nicht in eine neue Schublade eingesperrt?
Deshalb bin ich sehr skeptisch bei Aussagen über das Wesen Gottes. „Gott ist…“ – Sätze, die so beginnen, haben schon viel Unheil angerichtet. Nicht umsonst steht das Bilderverbot gleich am Beginn der Zehn Gebote. Angesichts der Unbegreiflichkeit Gottes neigen Menschen schon immer dazu, sich ein Bildnis von ihm zu machen – das weiß die Bibel und bietet zugleich eine Fülle wunderbarer sprachlicher Bilder: keineswegs nur Herr oder König, sondern auch Vater, der sich seiner Kinder erbarmt, oder Mutter, die ihren Mantel schützend ausbreitet. Gott ist eine Burg, eine Zuflucht. Unter seinem Schirm oder unter dem Schatten seiner Flügel bin ich geschützt. Gott ist Sonne und Schild. Er ist Hirte. Richter. Er ist wie ein athletischer Mensch: „du hast einen gewaltigen Arm“, betet der Psalmist, „stark ist deine Hand, und hoch ist deine Rechte“. Mit einem Winzer vergleicht der Prophet Jesaja den Gott Israels, und sein gottvergessenes Volk mit einem Weinberg, der trotz bester Hege und Pflege nur schlechte Früchte bringt.
Ja, es gibt das Risiko, dass Gott in das Gefängnis der begrenzten menschlichen Vorstellungskraft eingesperrt wird – mit verheerenden Folgen. Menschen machen sich einen Entwurf von Gott, der ihren Zwecken dient. Menschen basteln sich ihren Gott, mit dem sie sich einrichten und der für vieles herhalten muss. Manche hatten von Gott nur das Bild vom alten Mann mit langem weißem Bart, der auf einer Wolke sitzt. Und als sie ihren Kinderglauben und damit auch dieses Bild verloren, blieb ihnen gar nichts mehr.
Aber: Zeigt nicht genau dieses banale Beispiel, was die vielen verschiedenen und ausdrucksstarken biblischen Bilder von Gott bedeuten? Wir können seine Größe nicht fassen. Er entzieht sich unserer Definition. Weil wir ihn also nicht begreifen können, brauchen die Autoren der Bibel wechselnde Bilder. Es sind viele, alle sagen etwas über Gott aus. Doch wir können ihn auf keines festlegen. Nicht auf ein Geschlecht, weder männlich noch weiblich noch dazwischen. Der biblische Reichtum an Bildern zeugt also von einer wunderbaren Freiheit: Wir haben eine Fülle von Möglichkeiten, Gott zu denken, mit ihm zu sprechen, ihm nahe zu kommen. Bilder dienen in der Bibel also gerade dazu, Gott nicht festzulegen, ihn nicht in den Käfig unseres Denkens zu sperren.
Wir sind Menschen und können Gott nur menschlich denken. Auch die Naturwissenschaften – Mathematik, Physik, Chemie – können ja letztlich nur mit Modellen arbeiten, um sich der Wirklichkeit anzunähern. Unsere Vorstellungskraft ist auf menschliche Hilfsmittel angewiesen. Für Martin Luther, der das Bilderverbot nicht in die Reihe der Zehn Gebote aufnahm, war Christus das Bild Gottes. Wir wissen nicht, wer Gott ist. Aber in Christus sehen wir Gott: nicht so, dass wir ihn erfassen, festlegen und eingrenzen. Sondern in der Gewissheit des Glaubens: Jesus Christus, der Mensch, lebt, spricht und handelt in der letzten Autorität Gottes.
Zwar ist unsere Erkenntnis Stückwerk und damit auch all unsere Bilder, aber weil Gott uns als Mensch begegnet, können Bilder aller Art eine – vielleicht menschlich-geniale – Möglichkeit sein, etwas von seiner Wirklichkeit zu erfahren. Und zu dieser Wirklichkeit gehört: Er wendet sich uns liebevoll zu. Er gibt uns Würde, unabhängig von dem, was wir sind – ob Mann oder Frau oder divers oder queer, schwarz oder weiß, alt oder jung und welche Unterschiede es noch geben mag. Er ist nicht unnahbar, sondern teilt unser Leben. Wir können nicht über ihn verfügen, wir können ihn nicht in ein Bild einsperren, aber wir haben Grund zur Hoffnung, dass er mitten unter uns ist.
Wenn Pastor Quinton Ceasar sagte, Gott sei immer an der Seite derer, die am Rand stehen, „die nicht gesehen, nicht gehört und nicht genannt werden“, stimme ihm zu. Und das gilt auch für seinen Satz: „Wenn Gott da ist, dann ist da auch unser Platz.“