Duderstedt auf Kultour

Andreas Duderstedt
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Reklamekönig und Säulenheiliger

Die Litfaßsäule - Werbeträger zehntausendfach im Gebrauch

02.06.2025 7 min

Zusammenfassung & Show Notes

Reklamekönig und Säulenheiliger
Bis heute ist der nach ihm benannte Werbeträger zehntausendfach im Gebrauch: die Litfaßsäule. Ernst Litfaß hat Public Relations und Öffentlichkeitsarbeit beherrscht, lange bevor es diese Begriffe gab.
 
Anschlagzettel und Plakate wurden wild auf Hauswände, Zäune und sonstige öffentlich sichtbare Flächen geklebt. Das missfiel nicht nur dem Berliner Druckereibesitzer und Verleger Ernst Litfaß, sondern auch dem gestrengen Polizeipräsidenten Karl Ludwig von Hinckeldey. Diesem kam ein Angebot des umtriebigen Litfaß gerade recht. Er wollte die alleinige Konzession zur Aufstellung von Anschlagsäulen in der preußischen Hauptstadt. Dem preußischen Beamten Hinckeldey konnte er dies schmackhaft machen, indem er ihm die Möglichkeit eröffnete, eine Zensur gegen den Plakatanschlag einzuführen. Litfaß erhielt 1854 die Konzession zur „Errichtung einer Anzahl von Anschlagsäulen auf fiskalischem Straßenterrain zwecks unentgeltlicher Aufnahme der Plakate öffentlicher Behörden und gewerbsmäßiger Veröffentlichungen von Privatanzeigen“. Außer den neu zu errichtenden Säulen umfasste der Vertrag auch bereits bestehende Brunnen und Pissoirs, die Litfaß mit Holz verkleiden ließ, um sie für den Plakatanschlag zu nutzen. 
 
Ordnung als Geschäftsidee: Die Anschlagsäulen waren anfangs in Berlin umstritten. Litfaß wusste das und startete eine intensive Presse- und Werbekampagne für das neue Medium. Die Idee für die Säule hatte er übrigens von Reisen aus London und Paris mitgebracht, was er aber nicht an die große Glocke hängte.
 
Um die Berliner neugierig zu machen und für sein Vorhaben zu gewinnen, kooperierte er mit einer Tageszeitung, die fortlaufend und wohlwollend über den Entwicklungsstand des verheißungsvollen Projekts berichtete. Bald schon stand das Fundament der ersten Probesäule vor dem Haus seiner Druckerei. Und die Zeitungsleser erfuhren auch, wie die künftige Uniform der „Anschlagspediteure“ aussehen würde: Für die Plakatkleber waren eine graue Bluse mit roten Biesen, ein schwarzer Hut und ein Schild aus Messing vorgesehen.
 
Großformatige Anzeigen in allen wichtigen Berliner Zeitungen kurz vor dem 1. Juli 1855 kamen hinzu, um an diesem Tag den „Geburtstag“ der Litfaßsäule zu feiern. Die Berliner strömten herbei und hörten zunächst ein kleines Platzkonzert: Es erklang erstmals die „Ernst-Litfaß-Annoncir-Polka“ des damals berühmten Komponisten Kéler Béla. Nun war Litfaß in seiner Heimatstadt zum „Reklamekönig“ oder, spöttisch-liebevoll, zum „Säulenheiligen“ geworden. 
 
Aus einer alten Buchdruckerfamilie stammend, hatte Ernst Litfaß 1845 den väterlichen Betrieb mit Druckerei und Verlag übernommen. Sein breites kulturelles Interesse, besonders an Literatur und Theater, nutzte er für verlegerische Aktivitäten. Im Auftrag von sieben Theatern gab er die „Theater-Zwischen-Acts-Zeitung“ heraus. Ein Erfolg, denn sie enthielt nicht nur die aktuellen Theaterzettel mit der Besetzung der Inszenierungen, sondern auch Berichte und Feuilletons und kostete trotzdem nicht mehr als der einfache Theaterzettel bisher. 
 
Seine Druckerei modernisierte er ständig. Er betrieb mehrere Schnellpressen, was die Kosten senkte, konnte Riesenplakate im Format von 6,28 mal 9,42 Meter drucken und war der Erste in Berlin, der sich an den Buntdruck wagte.
 
In den Kriegsjahren 1866 und 1870/71 bekam Litfaß, inzwischen zum Kommissionsrat und Königlichen Hofbuchdrucker avanciert, die alleinige Konzession für die Erstveröffentlichung von Kriegsdepeschen. Das bedeutete einen weiteren geschäftlichen Erfolg, denn die offiziellen Nachrichten lockten viele Interessenten an die Litfaßsäulen. So erhielten auch die Reklameplakate höhere Aufmerksamkeit, was die Werbekunden zu schätzen wussten.
 
Doch Litfaß wollte nicht als Profiteur der militärischen Nachrichtenvermittlung gelten. Er organisierte Wohltätigkeitsveranstaltungen, die er „patriotische Feste“ nannte. Diese beliebten „Litfaß-Bälle“ waren originell gestaltet und hatten Volksfestcharakter. Der Erlös kam zum Beispiel Kriegsinvaliden zugute.
 
Ernst Litfaß starb am 27. Dezember 1874 bei einem Kuraufenthalt in Wiesbaden. Er hinterließ er ein Millionenvermögen. 
 
Die ersten Säulen maßen 3,28 Meter in der Höhe und 2,80 Meter im Umfang, hatten einen Schaft aus Eisenblech und waren von einem gusseisernen Palmettenfries bekrönt. Später baute man sie höher; Beton, Eternit und schließlich auch Kunststoff ersetzten das Metall. Das heutige Standardmodell bietet auf einer Standfläche von nur 1,25 Quadratmetern eine Werbefläche von stattlichen 13 Quadratmetern. Nach Angaben des Fachverbandes Außenwerbung gibt es heute deutschlandweit gut 35.000 Litfaßsäulen verschiedener Art. „Die Säule als Form, wie Ernst Litfaß sie einst in Deutschland populär machte, bleibt ein prägendes Medium in der Außenwerbung, obgleich sie sich von der Säule mit geklebten Plakaten hin zur Säule mit gehängten hinterleuchteten Plakaten entwickelt hat“, sagt Christian Knappe von der Wall GmbH in Berlin, die heute insgesamt rund 1070 Litfaßsäulen bewirtschaftet. Da sich die Firma Wall dem kulturellen Erbe von Litfaß verpflichtet fühlt, pflegt sie nach eigenem Bekunden „die Grabstelle des ‚Säulenheiligen‘ auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin.“